Programmheft - kammermusik festival hohenstaufen

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31.10.2013 Aufrufe

nach ausgiebigen Beratungen in die Publikation ausgewählter Werke ein. Die erste Wiederaufführung erlebte das Klavierquintett erst 1999 in London in Verbindung mit der Konferenz „Vaughan Williams im neuen Jahrhundert“, der Druck erschien 2002 in der Reihe „The Early Works“ bei Faber Music. Der junge Ralph Vaughan Williams war ein enthusiastischer Verehrer Franz Schuberts. So liegt die Vermutung nahe, dass sich die ungewöhnliche Besetzung seines Quintetts aus der seines Idols herleiten lässt – vom Forellenquintett unseres Eröffnungskonzerts. Dieses Quintett ist zweifellos eines seiner besten Frühwerke. Der Allegro trumpft mit 384 Takten und großer Brahms-Geste auf, während das Andante mit seiner ausdrucksvollen romantischen Melodie erste eigene Pfade Vaughan Williams’ verfolgt, vergleichbar etwa der erwartungsvollen Sehnsuchtsgeste des Liedes „Silent Noon“. Den Schlusssatz mit seinem ruhigen Ende und seinem ungewöhnlich einfühlsamen Klavierpart hielt der Komponist – immerhin – für gelungen genug, um dessen Hauptthema in der Violinsonate von 1954 in einer leicht erweiterten Form als Variationsthema des Finales erneut aufzugreifen. „Wir haben keinen Anlass, den Engländern Vorwürfe zu machen, weil sie Bruckner nicht kennen. Wir kennen Vaughan Williams nicht.“ (Josef Müller- Marein, Die Zeit, 26. September 1958) „go play, boy, play“ Brittens Divertimenti 16 Wem bitte ist heute noch der Name Jack. A. Westrup geläufig? Aha. Also dann, lieber Musikkritiker, wenn Dein Hanslick-Koeffizient nicht deutlich über 90% liegt, erwäge doch im Sinne Deiner Glaubwürdigkeit genau, ob der billige journalistische Verriss eines zeitgenössischen Werkes, wenn’s Dir nicht ausnahmsweise mal direkt vom Herzen in die Feder kommt, wirklich von irgendwelchem Nutzen ist. Denn wollten wir Herrn Westrup nicht nachträglich dafür ohrfeigen, dass seine blöde Kritik uns um ein vollständiges autorisiertes Streichquartett von Benjamin Britten geprellt hat? Nach dem Erguss des designierten Oxford-Professors Westrup (so nennt sich lustigerweise auch ein Ortsteil der Gemeinde Stemwede im nordrhein-westfälischen Kreis Minden-Lübbecke) hat sich Britten nämlich – schweren Herzens – dazu entschlossen, eine Streichquartett-Idee gänzlich aufzugeben, deren zweiter Schritt die Zusammenstellung der „Three Divertimenti“ darstellte. Die Uraufführung durch das Stratton Quartet in der Londoner Wigmore Hall am 25. Februar 1936, quittiert durch besagten Herrn im Daily Telegraph mit aussagestarken Sätzen wie „Why, I don’t know“ oder dem noblen Ratschlag „Mr. Britten wird seinen Rang als Komponist bewiekammermusikfestivalhohenstaufen

sen haben, wenn er es schafft, Musik zu schreiben, die sich weniger auf oberflächliche Wirkung verlässt“, hinterließ einen tagelang völlig niedergeschlagenen Komponisten: „Ich fühlte mich wie ein verprügelter Schuljunge... Das ist umso dümmer, da ich mich für gewöhnlich keinen Deut um Kritiker, am allerwenigsten J.A.W. [Britten unterlässt nicht ein Wortspiel mit „jaw“] schere.“ Nach diesem unerquicklichen Vorfall wurde die Idee zu einem ersten Streichquartett aufgegeben. Noch als Student am Royal College of Music begann Britten 1933 mit der Komposition einer Suite mit einsätzigen Charakterstücken für Streichquartett, der er die Überschrift „Alla Quartetto Serioso: ‘Go play, boy, play’“ gab (der Untertitel ist Shakespeares’ „Wintermärchen“ entnommen.) Von den fünf geplanten Sätzen wurden nur drei (Alla Marcia, Alla Valse, Alla Burlesca) vollendet, obwohl ein Alla Romanza und ein Theme and [zwei] Variations im Kompositionsentwurf vorhanden sind. Die fertigen Sätze wurden ein einziges Mal, am 11. Dezember 1933, vom Macnaghten-Quartett in einem Konzert im Ballet Club des Mercury Theater aufgeführt. Im Februar 1936 ließ sich Britten zu einer Überarbeitung bewegen. Von den drei Sätzen wurde der March mit der Einführung neuer Glissando-Figurationen und der Neuinstrumentierung der Flageoletts im Seitenthema am grundlegendsten überarbeitet, der Waltz von 1936 ist differenzierter als das Original von 1933, während die Burlesque lediglich vom 6/8- zum 3/8-Takt umnotiert wurde. Der arme Mr. „J.A.W.“ konnte indes nicht verhindern, dass der Komponist von Rang Benjamin Britten in den vierziger Jahren zwei Streichquartette vollendet hat; das dritte (1975) wurde Brittens Schwanengesang, mit einem Schlusssatz, der wohl zu den schönsten Kompositionen gehört, die je für Streichquartett geschrieben wurden. Benjamin Britten, ca. 1935/36 Fotografie von Enid Slater, Frau des Schriftstellers und Librettisten von „Peter Grimes“, Montagu Slater „und über allem schwebt ein Zauber“ Faurés Klavierquartett Gabriel Fauré erinnerte sich später, man habe die Musik seines Klavierquartetts bei der Uraufführung 1880 in einem Konzert der Societé Nationale de la Musique Française (mit dem Komponisten am Klavier) als „laut und misstönend“ empfunden. Tatsächlich scheint irkammermusikfestivalhohenstaufen 17

nach ausgiebigen Beratungen in die Publikation ausgewählter Werke<br />

ein. Die erste Wiederaufführung erlebte das Klavierquintett erst 1999<br />

in London in Verbindung mit der Konferenz „Vaughan Williams im<br />

neuen Jahrhundert“, der Druck erschien 2002 in der Reihe „The<br />

Early Works“ bei Faber Music.<br />

Der junge Ralph Vaughan Williams war ein enthusiastischer Verehrer<br />

Franz Schuberts. So liegt die Vermutung nahe, dass sich die<br />

ungewöhnliche Besetzung seines Quintetts aus der seines Idols herleiten<br />

lässt – vom Forellenquintett unseres Eröffnungskonzerts.<br />

Dieses Quintett ist zweifellos eines<br />

seiner besten Frühwerke. Der Allegro trumpft mit<br />

384 Takten und großer Brahms-Geste auf, während<br />

das Andante mit seiner ausdrucksvollen romantischen<br />

Melodie erste eigene Pfade Vaughan<br />

Williams’ verfolgt, vergleichbar etwa der erwartungsvollen<br />

Sehnsuchtsgeste des Liedes „Silent<br />

Noon“. Den Schlusssatz mit seinem ruhigen Ende<br />

und seinem ungewöhnlich einfühlsamen Klavierpart<br />

hielt der Komponist – immerhin – für gelungen<br />

genug, um dessen Hauptthema in der Violinsonate<br />

von 1954 in einer leicht erweiterten Form als Variationsthema<br />

des Finales erneut aufzugreifen.<br />

„Wir haben<br />

keinen Anlass,<br />

den Engländern<br />

Vorwürfe zu machen,<br />

weil sie<br />

Bruckner nicht<br />

kennen. Wir<br />

kennen Vaughan<br />

Williams nicht.“<br />

(Josef Müller-<br />

Marein, Die Zeit,<br />

26. September<br />

1958)<br />

„go play, boy, play“<br />

Brittens Divertimenti<br />

16<br />

Wem bitte ist heute noch der Name Jack. A. Westrup geläufig? Aha.<br />

Also dann, lieber Musikkritiker, wenn Dein Hanslick-Koeffizient nicht<br />

deutlich über 90% liegt, erwäge doch im Sinne Deiner Glaubwürdigkeit<br />

genau, ob der billige journalistische Verriss eines zeitgenössischen<br />

Werkes, wenn’s Dir nicht ausnahmsweise mal direkt vom<br />

Herzen in die Feder kommt, wirklich von irgendwelchem Nutzen ist.<br />

Denn wollten wir Herrn Westrup nicht nachträglich dafür ohrfeigen,<br />

dass seine blöde Kritik uns um ein vollständiges autorisiertes<br />

Streichquartett von Benjamin Britten geprellt hat?<br />

Nach dem Erguss des designierten Oxford-Professors Westrup<br />

(so nennt sich lustigerweise auch ein Ortsteil der Gemeinde Stemwede<br />

im nordrhein-westfälischen Kreis Minden-Lübbecke) hat sich<br />

Britten nämlich – schweren Herzens – dazu entschlossen, eine<br />

Streichquartett-Idee gänzlich aufzugeben, deren zweiter Schritt die<br />

Zusammenstellung der „Three Divertimenti“ darstellte. Die Uraufführung<br />

durch das Stratton Quartet in der Londoner Wigmore Hall am<br />

25. Februar 1936, quittiert durch besagten Herrn im Daily Telegraph<br />

mit aussagestarken Sätzen wie „Why, I don’t know“ oder dem noblen<br />

Ratschlag „Mr. Britten wird seinen Rang als Komponist bewie<strong>kammermusik</strong><strong>festival</strong><strong>hohenstaufen</strong>

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