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<strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong><br />

<strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im<br />

Bundesland Bremen<br />

Wissenschaftliche Diplomarbeit<br />

<strong>zur</strong> Erlangung des Gebärdensprachdolmetscherindiploms<br />

der Universität Hamburg<br />

vorgelegt von<br />

Nicole Braun aus Bremen<br />

Universität Hamburg 2004


„Es ist normal, verschieden zu sein.”<br />

(Richard von Weizsäcker)


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1. Einleitung 9<br />

2. Begriffsklärung 15<br />

2.1 Selbstbewußtsein vs. Identität 15<br />

2.1.1 Identität nach Georg Herbert Mead 16<br />

2.1.2 Identität nach Erik Homburger Erikson 17<br />

2.1.3 Identität nach Erving Goffman 18<br />

2.1.4 Identität nach Lothar Krappmann 20<br />

2.1.5 Zusammenfassung und kritische Anmerkungen 21<br />

2.2 Der Gruppenbegriff 24<br />

2.3 Selbstbewußtsein und Gruppe 28<br />

2.4 Gruppe - Minorität - Veränderung der Gesellschaft 29<br />

3. Die Gebärdensprachgemeinschaft in Bremen 35<br />

3.1 Zur Situation gehörloser Menschen 35<br />

3.1.1 Sprache und Kommunikation 37<br />

3.1.2 Schule und Beruf 39<br />

3.1.3 Die Gebärdensprachgemeinschaft 42<br />

3.1.4 Selbstbewußtsein Gehörloser als sprachliche Minderheit 44<br />

3.2 Zur Situation gehörloser Menschen in Bremen 47<br />

3.2.1 Bremer Vereine 48<br />

3.2.1.1 Allgemeiner Taubstummenverein zu Bremen 49<br />

3.2.1.2 Der Landesverband der Gehörlosen Bremen e. V. 50<br />

3.2.1.3 Das Freizeitheim 53<br />

3.2.1.3.1 Das Kommunikationsforum 56<br />

3.2.1.3.2 Das Deaf-Café 57<br />

3.2.2 Bremer Gehörlosengruppen 59<br />

3.2.2.1 Die Hexenhände 59<br />

3.2.2.2 Gibarida e.V. 60<br />

Seite<br />

5


Inhaltsverzeichnis<br />

3.2.3 Bremer Einrichtungen 60<br />

3.2.3.1 Die Schule für Hörgeschädigte 61<br />

3.2.3.2 Der Sozialdienst für Gehörlose 62<br />

3.2.3.3 Der Berufsbegleitende Fachdienst für Hörgeschädigte 63<br />

3.2.3.4 Der Integrationsfachdienst 65<br />

4. Die Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen 67<br />

4.1 Was bedeutet Dolmetschen? 67<br />

4.1.1 Gebärdensprachdolmetschen 69<br />

4.2 Bremer Entwicklung 72<br />

4.2.1 Die Anfänge 72<br />

4.2.2 Entstehen einer Dolmetscherinnen-Vermittlung 75<br />

4.2.3 Die Landesarbeitsgemeinschaft der Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

in Bremen (LAG Bremen) 80<br />

4.2.4 Buten & Binnen 82<br />

4.2.5 Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten 84<br />

4.2.6 Jüngste Entwicklungen in Bremen (BreGSD) 96<br />

5. Interviewdarstellung 99<br />

5.1 Probandinnen-Akquise 99<br />

5.2 Aufbau des Settings und technische Ausstattung 101<br />

5.3 Der Interviewleitfaden 102<br />

5.3.1 Vorstellung und Zielsetzung der vergleichenden Fragen 107<br />

5.4 Vorgehen und Interviewverlauf 116<br />

5.5 Verarbeitung der erhobenen Daten 117<br />

6. Interviewauswertung 119<br />

6.1 Zum Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden 119<br />

6.1.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten 119<br />

6.1.2 Verhältnis - Überblick über die Probandinnen 124<br />

6.2 Zu den Einschätzungen bezüglich des Selbstbewußtseins 127<br />

6.2.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten 127<br />

6.2.2 Selbstbewußtsein - Überblick über die Probandinnen 130<br />

6


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

6.3 Zu den verwendeten Begriffen bezüglich der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

133<br />

6.3.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten 133<br />

6.3.2 Begriffe - Überblick über die Probandinnen 134<br />

6.4 Zum Kommunikationsforum (KOFO) 136<br />

6.4.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten 136<br />

6.4.2 KOFO - Überblick über die Probandinnen 137<br />

6.5 Erfahrungen mit und von Gebärdensprachdolmetscherinnen 139<br />

6.5.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten 139<br />

6.5.2 Dolmetscherfahrungen - Überblick über die Probandinnen 146<br />

6.6 Zum Beruflichen Fachdienst für Hörgeschädigte 150<br />

6.6.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten 150<br />

6.6.2 FDH - Überblick über die Probandinnen 151<br />

6.7 Zu den einprägsamsten Erlebnissen und Wünschen 153<br />

6.7.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten 153<br />

6.7.2 Ereignisse und Wünsche - Überblick über die Probandinnen 154<br />

6.8 Zusammenfassung der Ergebnisse 156<br />

7. Fazit 161<br />

8. Literatur- und Quellenverzeichnis 171<br />

9. Abkürzungsverzeichnis 179<br />

10. Anhang<br />

a. Interviewleitfäden (Fragekategorien)<br />

b. Interviewtranskriptionen (Probandinnen I-X)<br />

c. Interviewauswertung<br />

7


Inhaltsverzeichnis<br />

8


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

1. Einleitung<br />

In den vergangenen zwei 1 Jahrzehnten beschäftigte sich ein zunehmender Teil der<br />

Sprachwissenschaftlerinnen Deutschlands mit der Deutschen Gebärdensprache<br />

(DGS) und ihrer Erforschung. 2 Damit rückten gehörlose Menschen in Deutschland<br />

zum ersten Mal in das Blickfeld der Wissenschaft abseits der allgemein verbreiteten,<br />

defizitären Anschauung der Behinderten – der Menschen ohne (oder mit<br />

nur eingeschränktem) Gehör –, nämlich als Menschen mit eigener Sprache und einer<br />

eigenen Kultur.<br />

Im Zuge der Erkenntnis, daß die Deutsche Gebärdensprache eine linguistisch vollwertige<br />

Sprache mit allen dazugehörigen Eigenschaften ist, stellte sich die Frage,<br />

was das einerseits für die Gehörlosen selbst und andererseits für den Bereich der<br />

Gehörlosenpädagogik bedeuten könnte. Denn in der Pädagogik wurden die Gebärdenzeichen<br />

traditionsgemäß negiert, und es wurde versucht, ihre Benutzung u. a.<br />

durch Verbote zu unterbinden (siehe Kapitel 3).<br />

Für die Gehörlosen war die Erkenntnis der Vollwertigkeit ihrer Sprache auf linguistischer<br />

Ebene 3 u. a. der Wegbereiter <strong>zur</strong> gesetzlichen Anerkennung der Deutschen<br />

Gebärdensprache 4 und damit ihrer Anerkennung als sprachliche Minderheit.<br />

Die Gebärdensprachforschung hat somit einen großen Teil <strong>zur</strong> Identitätsentwicklung<br />

gehörloser Menschen beitragen können, indem sie den „Nährboden <strong>zur</strong><br />

Anerkennung der Gebärdensprache bereitet[e]” 5 . Das Selbstbewußtsein Gehörloser<br />

hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. So wurden etwa Forderungen<br />

nach eigener Vertretung in den Gehörlosenvereinen, nach Mitbestimmung in<br />

deren Gremien sowie Forderungen nach Mitbestimmung im pädagogischen Bereich<br />

laut. 6 Gehörlose wollten sich nicht länger verstecken (oder von den Familien<br />

1 In den USA wurde die Gebärdensprachforschung bereits seit den 60er Jahren des zwanzigsten<br />

Jahrhunderts betrieben. Sie fand ihren Anfang durch den Sprachwissenschaftler und Dozenten für<br />

Englisch William C. Stokoe Jr. (1919-2000), der 1960 ein erstes Lexikon nach linguistischen Prinzipien<br />

der American Sign Language (ASL) verfaßte.<br />

2 z. B. Prillwitz, 1985; Ebbinghaus/Heßmann, 1989; Papaspyrou 1997; Keller, 1998; Leuninger,<br />

1999; Fischer/Jürgensen, 2000<br />

3 Die linguistische Vollwertigkeit wurde in den „Grundsätze[n] <strong>zur</strong> Anerkennung der nationalen<br />

Gebärdensprachen der Gehörlosen” auf dem 3. Europäischen Kongreß 1989 in Hamburg einstimmig<br />

verabschiedet. - Grundsätze, 1989: 110f<br />

4 Die Anerkennung erfolgte durch das am 1. Mai 2002 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz.<br />

5 Hase, 1999: 26<br />

6 vgl. Informations-Blatt, Dezember 1984/Januar 1985: 2<br />

9


Kapitel 1 - Êinleitung<br />

versteckt werden), sondern an der hörenden Mehrheitsgesellschaft teilhaben und<br />

sich und ihre Art und Weise selbstverständlich offen zeigen. 7 In diesem Zuge haben<br />

sich auch die Ansprüche Gehörloser im Hinblick auf die Berufswahl an die<br />

Pädagogik, sowie vor allem an die Qualität von Dolmetschleistungen verändert.<br />

Mit letztgenanntem Aspekt beschäftigt sich die vorliegende Arbeit. Ziel ist dabei<br />

nicht, erneut der Diskussion um die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache<br />

bzw. der Gehörlosen als sprachliche Minderheit aus dieser oder jener Perspektive<br />

nachzugehen. Ich möchte vielmehr den Aspekt des Gebärdensprachdolmetschens<br />

beleuchten und versuchen darzustellen, ob und inwiefern die Gebärdensprachgemeinschaft<br />

bzw. deren Identitätsentwicklung und Stärkung des Selbstbewußtseins<br />

als sprachliche Minderheit Einfluß auf das berufliche Selbstverständnis<br />

und den Beruf von Gebärdensprachdolmetscherinnen genommen hat und ob vice<br />

versa die Dolmetscherinnen Einfluß auf die Gehörlosen genommen haben.<br />

Beispielhaft soll dafür die Situation der Gehörlosen und der Dolmetscherinnen im<br />

Bundesland Bremen, genauer: die Entwicklung ihrer Verbände und die Professionalisierung<br />

der in Bremen tätigen Gebärdensprachdolmetscherinnen aufgezeigt<br />

werden.<br />

Die Fragestellungen hierbei lauten: Lassen sich die Entwicklungsstränge beider<br />

Gruppen zeitweise als eine sich bedingende bzw. aufeinander aufbauende Beziehung<br />

beschreiben? Wo sind die Berührungspunkte <strong>zwischen</strong> den beiden Gruppen<br />

und inwiefern macht sich gegenseitige Einflußnahme bemerkbar?<br />

Beide Gruppen haben vermutlich darüber hinaus auch eine voneinander unabhängige<br />

Entwicklung vollzogen. Dies herauszuarbeiten, ist eine Aufgabe meiner Arbeit.<br />

Dafür werde ich einen Überblick der Bremer Situation und Bremer Angebote<br />

für Gehörlose und Dolmetscherinnen geben. Es wird dabei kein Anspruch auf<br />

Vollständigkeit erhoben, vielmehr soll meine Arbeit dazu beitragen, Aufklärung<br />

zu leisten und Informationen zu bündeln.<br />

Im zweiten Kapitel werde ich die soziologischen Begriffe ‚Identität’ und ‚Gruppe’<br />

definieren. Dafür umreiße ich kurz einige der klassischen Theorien rund um den<br />

Identitätsbegriff. Anhand dieser wird aufgezeigt, wie schwierig eine treffende<br />

Definition ist und wie umstritten vorhandene Identitätstheorien sind. Mit dem<br />

7 vgl. Mally, in: Fischer/Lane, 1993: 236<br />

10


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Versuch einer eigenen Definition für die zu beschreibenden Gruppen Gebärdensprachgemeinschaft<br />

und Gebärdensprachdolmetscherinnen als Grundlage für diese<br />

Arbeit und mit einem theoretischen Hintergrund, welchen Einfluß Minoritäten<br />

ausüben können, schließt das Kapitel ab.<br />

Darauf folgt im dritten Kapitel eine kurze Einführung <strong>zur</strong> allgemeinen Situation<br />

Gehörloser in Deutschland, um anschließend die Bremer Situation der vergangenen<br />

25 Jahre näher zu erläutern. Dabei liegt der Fokus auf denjenigen Vereinen,<br />

Einrichtungen und Institutionen, die einerseits das alltägliche Leben Gehörloser<br />

beeinflussen und andererseits auch einen Einsatzbereich für Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

bilden. Ein Schwerpunkt bildet hierbei insbesondere die Entwicklung<br />

des Landesverbandes der Gehörlosen und eines der Mitgliedsvereine (Freizeitheim-Verein),<br />

da sich daran die Entwicklung des Selbstbewußtseins der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

Bremens festmachen läßt.<br />

Parallel <strong>zur</strong> Darstellung der Gehörlosenseite werde ich im vierten Kapitel einen<br />

Einblick in den Beruf der Gebärdensprachdolmetscherin geben, um daraufhin, gestützt<br />

auf die Informationen aus den von mir geführten Interviews, die Entwicklung<br />

der Professionalisierung der Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen zu<br />

beschreiben. <strong>Eine</strong> kurze Darstellung der wichtigsten Einflüsse aus dem Bundesgebiet<br />

rundet das Kapitel ab. Außerdem werde ich das mit der Zeit steigende<br />

Selbstverständnis, mit dem sich die Dolmetscherinnen in ihrer Rolle sehen und<br />

diese ausfüllen, und die damit einhergehende Veränderung bzw. Etablierung eines<br />

einheitlichen Berufsbildes darstellen.<br />

Zur Darstellung der Entwicklungen des Selbstbewußtseins der beiden Gruppen<br />

und ihrer Einschätzungen diesbezüglich habe ich zehn Interviews mit jeweils fünf<br />

Gehörlosen und fünf Dolmetscherinnen aus Bremen durchgeführt. Die Interviews<br />

bestehen aufgrund der dürftigen Literaturlage jeweils aus einem informativen und<br />

einem auszuwertenden (qualitativen) Fragenteil. Durch die Befragung erfuhr ich<br />

viele Details über die historischen Anfänge der Bremer Gehörlosen- und Dolmetscherinnenszene<br />

und deren Entstehung und Entwicklung. Die Vorgehensweise der<br />

<strong>empirische</strong>n Studie wird im fünften Kapitel dargestellt.<br />

11


Kapitel 1 - Êinleitung<br />

Im vergleichenden Teil meiner Arbeit, dem sechsten Kapitel, werden die Berührungspunkte<br />

<strong>zwischen</strong> den beiden Gruppen dargestellt. Die Interviewergebnisse<br />

werden vergleichend gegenübergestellt und kritisch reflektiert.<br />

Abschließend erfolgt im siebten Kapitel ein Fazit. Als Ausblick soll außerdem<br />

aufgrund meiner <strong>Untersuchung</strong>sergebnisse eine erste Einschätzung der möglichen<br />

Folgen auf die beiden beschriebenen Gruppen erfolgen.<br />

In der vorliegenden Arbeit verwende ich den Begriff ‚gehörlos’ bzw. ‚Gehörlose’<br />

in Anlehnung an die in den USA gebräuchliche Bezeichnung ‚Deaf’ (nicht<br />

‚deaf’). Durch die Großschreibung heben sich diejenigen Hörgeschädigten, die<br />

sich der Gebärdensprachgemeinschaft (Deaf Community) als sprachliche Minderheit<br />

zugehörig fühlen, von denjenigen Hörgeschädigten ab, die einfach als ‚deaf’<br />

bezeichnet werden, um nur mehr den medizinischen Befund auszudrücken. Mir ist<br />

dennoch bewußt, daß die Gruppe der Gehörlosen heterogen ist. Wie auch Lane,<br />

Hoffmeister & Bahan anmerken:<br />

For in considering the culture of any community, it is essential to keep in mind the<br />

diversity of those who belong to it, even as one focuses on what binds them together<br />

and makes their group distinct from others. 8<br />

Die Bezeichnung ‚Deaf’ schließt gehörlose, schwerhörige oder spätertaubte Menschen<br />

ein, die sich durch „gemeinsame Erfahrungen und Werte und eine gemeinsame<br />

Art der Interaktion untereinander und mit Hörenden” als sprachliche Minderheit<br />

identifizieren und so eine Gemeinschaft bilden. Dabei ist es von keinerlei<br />

Belang, welcher medizinische Befund in Bezug auf das Gehör vorliegt. 9 Auch Baker<br />

& Padden unterstützen diese Sichtweise mit ihrer Aussage:<br />

Die Deaf Community umfaßt diejenigen gehörlosen und schwerhörigen Personen,<br />

die gemeinsame Erfahrungen und Werte und eine gemeinsame Art der Interaktion<br />

untereinander und mit Hörenden teilen. Der grundlegendste Faktor <strong>zur</strong> Bestimmung<br />

eines Mitglieds der Gebärdensprachgemeinschaft scheint das zu sein, was man ‚Gehörlosigkeit<br />

als Geisteshaltung’ (attitudinal deafness) nennt. Diese ergibt sich, wenn<br />

eine Person sich als Mitglied der Gebärdensprachgemeinschaft identifiziert und andere<br />

Mitglieder diese Person als Teil der Gemeinschaft akzeptieren. 10<br />

An Bakers & Paddens Aussage anknüpfend verwende ich den Begriff ‚Gebärdensprachgemeinschaft’<br />

und nicht ‚Gehörlosengemeinschaft’, um dem sprachlichen<br />

8 Lane/Hoffmeister/Bahan, 1996: 7<br />

9 vgl. Lane/Hoffmeister/Bahan, 1996: 5f<br />

10 Baker/Padden, 1978: 4<br />

12


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Aspekt mehr Ausdruck zu verleihen. Gebärdensprachgemeinschaft ziehe ich deshalb<br />

vor, da Gebärdensprachdolmetscherinnen von Berufs wegen mit einem sehr<br />

heterogenen Klientel zu tun haben und somit den unterschiedlichsten kommunikativen<br />

Bedürfnissen und Ansprüchen gerecht werden müssen.<br />

Desweiteren ist anzumerken, daß ich in der vorliegenden Arbeit für Personen<br />

(–gruppen) und Bezeichnungen aus Gründen der Anonymisierung die weibliche<br />

Form verwende. Wenn nicht ausdrücklich anders beschrieben, sind damit sowohl<br />

weibliche als auch männliche Personen eingeschlossen.<br />

13


Kapitel 1 - Êinleitung<br />

14


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

2. Begriffsklärung<br />

Dieses Kapitel dient <strong>zur</strong> näheren Bestimmung der Begriffe ‚Identität’ bzw.<br />

‚Selbstbewußtsein’ und ‚Gruppe’ in bezug auf die beiden zu untersuchenden<br />

Gruppen: Gehörlose des Landesverbandes der Gehörlosen in Bremen (im folgenden<br />

kurz: LV Bremen) und Dolmetscherinnen des Berufsverbandes der Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

Bremen (im folgenden kurz: BreGSD). Es werden<br />

Identitätstheorien skizziert und kritisch miteinander verglichen, um so zu einer eigenen<br />

Definition von Selbstbewußtsein für die vorliegende Arbeit zu gelangen.<br />

Dabei wird der sozialwissenschaftliche Begriff der ‚Gruppe’ näher betrachtet und<br />

einbezogen.<br />

2.1 Selbstbewußsein vs. Identität<br />

Identität, was ist das? Auf der Suche nach einer Definition des Begriffs stößt man<br />

auf unterschiedliche Verwendungen desselben.<br />

Auch Erikson weist darauf hin, daß der Identitätsbegriff in<strong>zwischen</strong> so verbreitet ist<br />

und in so unterschiedlicher Weise verwendet wird, daß es unumgänglich ist, genau<br />

zu bestimmen, was mit Identität eigentlich gemeint ist. 11<br />

Im Duden wird Identität knapp als „die als ‚Selbst’ erlebte innere Einheit der Person”<br />

umschrieben 12 . Im Soziologie-Lexikon erstreckt sich die Beschreibung des<br />

Begriffs ‚Identität’ auf vier Seiten: „Die elementarste Definition von Identität ist<br />

folgende: Identität ist das Gesamt der Antworten auf die Fragen: Wer bin ich?<br />

Wer sind wir? [...]” 13 . Der Verfasser, Bevers, stützt sich dabei in den weiteren<br />

Ausführungen u. a. auf die Soziologen Erikson und Mead, deren Grundsätze ich<br />

in den folgenden Unterkapiteln skizzieren werde.<br />

Auf der Suche nach einer Definition von Identität Gehörloser, stößt man unweigerlich<br />

auf die Hörgeschädigtenpädagogik. Historisch betrachtet wird Gehörlosigkeit<br />

von jeher mit der Einbuße menschlicher Qualitäten in Zusammenhang gebracht<br />

14 und so entwickelte sich in der Hörgeschädigtenpädagogik eine ‚Psycho-<br />

11 Ahrbeck, 1997: 16<br />

12 Duden, 1990: 331<br />

13 Bevers in: Reinhold, 1992: 247<br />

14 Diese Auffassung ist durch Aristoteles‘ Worte begründet, daß nichts im menschlichen Intellekt<br />

vorhanden sein könne, was nicht vorher durch die Sinne hineingekommen ist, und mündete im<br />

15


Kapitel 2 - Begriffsklärung<br />

logie der Gehörlosen’ – anstelle einer <strong>Untersuchung</strong> des Identitätsbegriffs. Mit<br />

diesem Konzept versuchten die sogenannten Spezialistinnen (Ärztinnen, Psychologinnen<br />

und Pädagoginnen) die Gehörlosen in ihrer Eigenart zu erfassen, welches<br />

<strong>zur</strong> Begründung des niedrigen Bildungsniveaus und der Persönlichkeitsentwicklung<br />

herangezogen wurde. Es wurden dafür fast ausschließlich negative Eigenschaften<br />

katalogisiert, die gehörlose Menschen infolge ihres Mangels an Hörfähigkeit<br />

charakterisieren sollten. 15<br />

Erst seit den 1980er Jahren finden sich auch im pädagogischen Bereich Auseinandersetzungen<br />

mit Identität im Zusammenhang mit Gehörlosigkeit. 16 Da es den<br />

Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, einen vollständigen Überblick der Beiträge<br />

<strong>zur</strong> Identitätsproblematik zu geben, werde ich mich neben Mead und Erikson<br />

auf jeweils kurze Darstellungen von Goffman und Krappmann beschränken.<br />

Im Anschluß daran werden diese Ansätze kritisch reflektiert. Weiterhin wird aufgezeigt,<br />

was der Identitätsbegriff heute beinhaltet, um daraufhin den Versuch einer<br />

eigenen Auslegung zu wagen, die etwas weiter gefaßt ist, da sie nicht nur das<br />

Individuum, sondern die Gruppe einbeziehen soll.<br />

2.1.1 Identität nach George Herbert Mead (1836-1931)<br />

Obwohl Mead in seiner Theorie weniger über Identität als vielmehr über die Bildung<br />

des ‚Selbst’ sprach, werden seine Ausführungen als entscheidende Vorarbeiten<br />

den Identitätstheorien zugeordnet. 17 Mead versuchte „in seiner von ihm als<br />

‚Sozialbehaviorismus’ bezeichneten Lehre, die Entstehung des Geistes und der<br />

persönl[ichen] Identität (‚self’) aus Kommunikationsprozessen zw[ischen] den<br />

Lebewesen zu erklären”. 18 Auch Krappmann merkt dazu an:<br />

Der Begriff der Identität tritt bei G. H. Mead nicht auf. Trotz mancher Ähnlichkeit<br />

entspricht er nicht voll seinem ‚Selbst’, weil dieses auch zu existieren vermag, ohne<br />

römischen Recht darin, daß gehörlos geborene Menschen für rechtsunfähig erklärt wurden. Die<br />

Auffassung, daß das Ohr das Organ der Unterrichtung sei, führte bei dem Großteil der Gelehrten<br />

dazu, Gehörlose im Mittelalter als unbildbar und damit als nicht rechtsfähig zu betrachten. - vgl.<br />

Werner, 1932: 67f<br />

15 Hella-Kristina Garten faßt in ihrem Buch „<strong>Untersuchung</strong>en <strong>zur</strong> Psychologie Gehörloser” alle<br />

<strong>Untersuchung</strong>en über gehörlose Menschen, die zum Thema Intelligenz, Denken, Gedächtnis,<br />

Persönlichkeit und Sozialverhalten erschienen sind, zusammen. - vgl. Garten, 1973: 115<br />

Auch Harlan Lane gibt einen Überblick über in der Fachliteratur Gehörlosen zugeschriebene<br />

Eigenschaften. - Lane, 1994: 59<br />

16 z. B. Ahrbeck, 1997; Voit/Hintermair, 1990<br />

17 vgl. Ahrbeck, 1997: 16<br />

18 Meyers großes Taschenlexikon 1992, Band 14: 127<br />

16


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

daß es dem ‚I’ gelingt, die ‚me’s für eine Interaktion so zu artikulieren, daß die<br />

Biographie des Individuums und seine Engagements sichtbar werden. 19<br />

Haeberlin & Niklaus beschreiben Meads Definition von Identität bzw. des<br />

‚Selbst’ einer Person als Möglichkeit eines Menschen, sein Verhalten als sinnvoll<br />

zu betrachten und somit sein eigenes Leben zu einem zusammenhängenden Ganzen<br />

zu gestalten. 20 Identität ist nicht von Geburt an vorhanden, sondern entwickelt<br />

sich erst in der bzw. durch die Gesellschaft im Umgang mit anderen.<br />

Mead unterscheidet <strong>zwischen</strong> bewußtem und unbewußtem Selbst. Von unbewußtem<br />

Selbst spricht er, wenn Verhaltensnormen des Umfeldes (der sozialen Gruppe)<br />

unreflektiert übernommen werden, um somit die Verhaltenserwartungen, die<br />

von außen an ein Individuum bestehen, zu erfüllen. Während von bewußtem<br />

‚Selbst’ oder „Selbst-Bewußtsein” 21 dann die Rede ist, sobald eine Person das eigene<br />

Verhalten reflektiert. Das „Selbst-Bewußtsein” wird wie das unbewußte<br />

Selbst von der sozialen Gruppe beeinflußt, jedoch macht sich die Person hier zum<br />

Objekt ihres eigenen Nachdenkens. Die Bewußtmachung an sich erfolgt aber<br />

„über Denkkategorien [...], welche in der Kommunikation mit Mitgliedern der sozialen<br />

Gruppe erworben worden sind” 22 , und ist demzufolge sozial bestimmt.<br />

<strong>Eine</strong>r der Faktoren, die laut Mead für die Entwicklung eines „Selbst-Bewußtseins”<br />

von immanenter Bedeutung sind, ist die Kommunikation und dabei insbesondere<br />

die Sprache. Sprache ist für ihn die Grundlage des menschlichen Bewußtseins<br />

und des reflektiven, intelligenten Handelns. Dabei versteht er unter<br />

Sprache ein System von signifikanten Symbolen, wie Gesten bzw. Signalen, die<br />

den Umgang <strong>zwischen</strong> Lebewesen regeln. Dazu zählen für ihn auch die „Zeichensprache”<br />

23 gehörloser Menschen und die Schrift.<br />

2.1.2 Identität nach Erik Homburger Erikson (1902-1994)<br />

Erikson spricht in seinem psychoanalytischen Ansatz von Identitätsentwicklung<br />

als eine psychosoziale Entwicklung, „als ständige Wechselwirkung <strong>zwischen</strong> Individuum<br />

und Gesellschaft” 24 .<br />

19 Krappmann, 1982: 59<br />

20 vgl. Haeberlin/Niklaus, 1978: 18<br />

21 Haeberlin/Niklaus, 1978: 22<br />

22 Haeberlin/Niklaus, 1978: 24<br />

23 Mead, 1978: 107<br />

24 Haußer, 1983: 115<br />

17


Kapitel 2 - Begriffsklärung<br />

Sein Begriff „Ich-Identität” deutet für ihn einen „spezifischen Zuwachs an Persönlichkeitsreife”<br />

25 an, der aufgrund von Kindheitserfahrungen entsteht. Diese Erfahrungen<br />

zusammengenommen wiederum führen zu einer Identitätsentwicklung.<br />

In Anlehnung an seinen Lehrer Sigmund Freud erfolgt laut Erikson die Identitätsentwicklung<br />

in acht Entwicklungsphasen und mit der Bewältigung der damit<br />

jeweils verbundenen Konflikte. Die erfolgreiche Lösung einer in einer Phase gestellten<br />

Entwicklungsaufgabe ist nicht Voraussetzung, um auf die nächsthöhere<br />

Stufe zu gelangen, steigert jedoch die Wahrscheinlichkeit, die nächsthöhere Stufe<br />

erfolgreich zu durchlaufen. Erikson nennt dabei Begriffe wie: „gesunde Persönlichkeit”<br />

26 und „Identitätsbildung” 27 . Identitätsbildung fängt dort an „wo die<br />

Brauchbarkeit der Identifizierung aufhört,” 28 , d. h. in der Jugendzeit oder auch<br />

„Adoleszenz” 29 , wenn das Individuum allmählich das Streben, so sein zu wollen<br />

wie Vater und Mutter, aufgibt, frühere und gegenwärtige Erfahrungen miteinander<br />

verknüpft und so die eigene Identität findet. Ohne diese Identitätsfindung können<br />

laut Erikson krisenbedingte psychische Probleme auftauchen.<br />

2.1.3 Identität nach Erving Goffman (1922-1982)<br />

Goffmans Überlegungen <strong>zur</strong> Identität (behinderter Menschen) befassen sich damit,<br />

wie ein Mensch in seiner erlernten sozialen Rolle mit seiner Lebenssituation<br />

umgeht. Goffman verwendet hierfür den Ausdruck ‚Devianz’. Er fokussiert die<br />

Stigmatisierung durch die Gesellschaft als auslösendes Moment der Identitätsbildung.<br />

Dabei benutzt er Eriksons Begriff „Ich-Identität” 30 , um die für ihn zu<br />

unterscheidenden zwei Faktoren der ‚sozialen Identität’ und der ‚persönlichen<br />

Identität’ als Einheit zusammenzufassen.<br />

Die ‚soziale Identität’ wird einem Individuum laut Goffman von der Gesellschaft<br />

gegeben. Personen werden kategorisiert, indem sie mit Attributen belegt werden,<br />

die „für die Mitglieder jeder dieser Kategorien als gewöhnlich und natürlich” 31<br />

empfunden werden. Gesellschaftliche Normen bzw. Normvorstellungen werden<br />

25 Erikson, 2000: 123<br />

26 Erikson, 2000: 62<br />

27 Erikson, 2000: 136<br />

28 Erikson, 2000: 140<br />

29 Erikson, 1997: 128<br />

30 Goffman, 1999: 132<br />

31 Goffman, 1999: 9f<br />

18


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

an ein Individuum herangetragen, in der Erwartung, daß sich das Individuum<br />

diesen unterwirft bzw. sich diesen anpaßt. So findet ein erwünschter Anpassungsprozeß<br />

statt. Übertragen auf die Mitglieder der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

hieße das, daß ihnen von der Gesellschaft das Attribut ‚behindert’ gegeben<br />

wird, was soviel heißt wie: nicht so wie die Mehrheitsgesellschaft.<br />

Die ‚persönliche Identität’ wiederum zielt darauf ab, daß sich das Individuum von<br />

der Gruppe abhebt, sich von anderen unterscheidet. Dazu gehören u. a. die von<br />

Goffman genannten Identifikationsmerkmale wie z. B. Geschlecht, Alter, Augenund<br />

Haarfarbe. Das Individuum kann laut Goffman selbst steuern, wieweit es sich<br />

gegenüber anderen offenbart bzw. inwiefern es ein eventuell vorhandenes Stigma<br />

bekanntmacht oder andere über die eigene Andersartigkeit täuscht. Das Individuum<br />

steuert und kontrolliert dabei, welche Informationen weitergegeben<br />

werden. Will ein Individuum in der Gesellschaft als normal gelten, kommt es <strong>zur</strong><br />

Täuschung, <strong>zur</strong> Verheimlichung eines Stigmas. Durch öffentliches Zeigen des<br />

Stigmasymbols (wie z. B. durch die Nutzung der DGS oder durch das Tragen eines<br />

Hörgeräts) offenbart sich das Individuum freiwillig. 32<br />

Ebenfalls auf die Gebärdensprachgemeinschaft als Gruppe übertragen, ist das Zeigen<br />

des Stigmasymbols (z. B. die gebärdensprachliche Unterhaltung in der Öffentlichkeit)<br />

ein Zeichen des eigenen Selbstbewußtseins und trägt <strong>zur</strong> Festigung<br />

der persönlichen Identität jedes einzelnen Mitglieds der Gruppe bei.<br />

Die ‚Ich-Identität’, die beide vorangegangenen Identitätstypen zusammenfaßt, ist<br />

demnach geprägt von äußerem Einfluß durch soziale Erfahrungen und Anpassung<br />

sowie von eigener Reflexion, die ein Individuum notwendigerweise anstellt, um<br />

sich von anderen abzuheben. Beides erfolgt nach von außen vorgegebenen, also<br />

durch die Gesellschaft aufgestellten Regeln. ‚Ich-Identität’ entsteht laut Goffman,<br />

wenn die ‚soziale und persönliche Identität’ sich in der Anpassung an die Normen<br />

ausgleichen. Ohne diesen Ausgleich drohe eine ‚Nicht-Identität’, die sich<br />

entweder durch völliges Aufgehen in den allgemeinen Rollenerwartungen oder in<br />

Form von normabweichendem Verhalten äußert. 33<br />

32 vgl. Goffman, 1999: 94ff<br />

33 vgl. Goffman, 1999: 172ff<br />

19


Kapitel 2 - Begriffsklärung<br />

2.1.4 Identität nach Lothar Krappmann (*1936)<br />

Krappmann verfolgt einen soziologischen Ansatz. Für ihn ist Identität eine Leistung,<br />

die ein Individuum in der Interaktion durch die Teilnahme an Kommunikation<br />

erbringt. 34 Identität erreicht das Individuum „immer nur in bestimmten Situationen<br />

und unter anderen, die sie [die Leistung] anerkennen” 35 . Dabei geht<br />

Krappmann davon aus, „daß niemand auf jegliche Interaktion verzichten kann,<br />

falls er eine Identität aufbauen möchte” 36 . Identitätsbildung ist für ihn insofern ein<br />

selbstverständlicher und immer neuer Vorgang in der Gesellschaft und nicht auf<br />

ein bestimmtes Alter festgelegt.<br />

Zentrales Mittel <strong>zur</strong> Identitätsbildung ist für Krappmann – ähnlich wie bei Mead –<br />

die Fähigkeit <strong>zur</strong> sprachlichen Äußerung, da sie dazu befähigt, die eigene Identität<br />

einer Interaktionspartnerin angemessen vorzutragen – bzw. sieht er die Sprache<br />

selbst als identitätsbildendes Mittel, da Kommunikation größtenteils verbal vonstatten<br />

geht. Krappmann sieht somit nicht den inneren Sprachprozeß, den Mead<br />

dem Denken gleichsetzt, sondern vielmehr das Äußern von Gedanken, Gefühlen<br />

und Erinnerungen als wichtigen Aspekt der Identitätsdarstellung. 37<br />

Dabei gibt er an, was Sprache zu leisten imstande sein muß, ohne sie konkret zu<br />

definieren: Ausdruck in hoher Präzision, damit einerseits der Informationsverlust<br />

so gering wie möglich gehalten wird und andererseits Sprache als Instrument der<br />

Problemlösung dienen kann. Außerdem sollte Sprache dazu befähigen, daß man<br />

sich mittels ihrer um „eine identifizierbare Präsentation” 38 der eigenen Erwartungen<br />

bemühen kann, d. h. die eigene Einstellung zum Gesagten vermitteln zu können.<br />

Laut Krappmann kann ein Individuum ohne die Verinnerlichung einer differenzierten<br />

Sprache und einem differenzierten und reflektierenden Benutzen derselben<br />

seinen Interaktionspartnerinnen nicht gerecht werden und somit keine<br />

Identität („Ich-Identität”) bilden 39 .<br />

In der Interaktion strebt ein Individuum auf dem Weg <strong>zur</strong> Identitätsbildung nach<br />

Balance auf verschiedenen Ebenen. Ein Balanceakt steht Krappmann zufolge auch<br />

bei Individuen an, die den Normvorstellungen der Gesellschaft im allgemeinen<br />

34 vgl. Krappmann, 1982: 35, 68f<br />

35 Krappmann, 1982: 35<br />

36 Krappmann, 1982: 35<br />

37 vgl. Krappmann, 1982: 40<br />

38 Krappmann 1982: 56<br />

39 vgl. Krappmann, 1982: 70<br />

20


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

nicht entsprechen, wie es beispielsweise bei gehörlosen Menschen der Fall ist. Sie<br />

müssen im Sinne der Identitätsbildung eine Balance <strong>zwischen</strong> den von der Gesellschaft<br />

an sie herangetragenen Erwartungen und der Erkenntnis herstellen, daß<br />

diese Erwartungen von ihnen nicht erfüllt werden können. Durch die Akzeptanz<br />

dieser Tatsache und der Darstellung der eigenen Persönlichkeit kann Interaktion<br />

stattfinden und so der Weg für Lösungen von Problemen und Konflikten geebnet<br />

werden.<br />

Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) kann die von Krappmann geforderten Voraussetzungen<br />

erfüllen. Aufgrund der meist widrigen Umstände, unter denen sie erlernt<br />

wird, werden diese jedoch nicht bei allen Gehörlosen der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

gleichermaßen erfüllt (siehe Kapitel 3). Gemäß Krappmann wäre<br />

das also ein Grund neben anderen für die Heterogenität innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

und die unterschiedlich stark ausgeprägte Identität und damit<br />

verbunden das Selbstbewußtsein Gehörloser als sprachliche Minderheit.<br />

2.1.5 Zusammenfassung und kritische Anmerkungen<br />

Meads früher soziologischer Ansatz (1934) des symbolischen Interaktionismus<br />

mit dem Schwerpunkt auf Sprache als nicht ersetzbare Funktion für die Ausbildung<br />

des ‚Selbst’ beinhaltet die Gleichsetzung von Sprache und Denken.<br />

Bei näherer Betrachtung von Meads Ausführungen ist Identität nur eine Möglichkeit<br />

für den Menschen. Der Mensch kann sein Verhalten reflektieren und so<br />

Selbstbewußtsein erlangen, um sein Verhalten dann als sinnvoll oder nicht sinnvoll<br />

zu betrachten und somit sein Leben als zusammenhängendes Ganzes zu gestalten.<br />

Da er es aber nicht zwingenderweise muß und sich Identität laut Mead nur<br />

in der Gesellschaft im Umgang mit anderen entwickelt, wäre es für einen isoliert<br />

lebenden Menschen demzufolge möglich, ohne Herausbildung eines „Selbst” respektive<br />

einer Identität in diesem Sinne zu leben. Daraus ergibt sich, daß einerseits<br />

Identität möglich ist und andererseits Nicht-Identität ohne negative Auswirkung<br />

für das Individuum bleibt.<br />

Eriksons Phasenmodell umreißt eng die Entwicklungsschritte eines menschlichen<br />

Lebens. Dabei ist deren erfolgreiche Bewältigung jedoch kein Garant für eine<br />

Identität. Wichtig sind für ihn die gemachten Erfahrungen, auf die ein Individuum<br />

21


Kapitel 2 - Begriffsklärung<br />

nach Abnabelung von den Eltern seine Identität aufbaut. Somit ist das Leben wie<br />

eine Art Reifeprozeß im wechselseitigen Austausch eines Individuums mit der<br />

Gesellschaft zu verstehen, an dessen Ende die zuvor gewachsene Identität mit einer<br />

gesunden Persönlichkeit, sprich: einem gewissen Maß an Selbstbewußtsein<br />

steht.<br />

Goffman stellt Identität als einen Umgang mit der eigenen Lebenssituation dar.<br />

Nach ihm ist Identität immer dann vorhanden, wenn der Mensch einen Ausgleich<br />

<strong>zwischen</strong> den gesellschaftlichen Normen und der eigenen Abgrenzung von der<br />

Gesellschaft gefunden hat. Identitätsbildung ist somit eine mentale Grundübung.<br />

Für Gehörlose gibt es quasi eine natürliche Abgrenzung. Sie leben innerhalb der<br />

Mehrheitsgesellschaft und mit ihren Normen, aber in der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

auch gleichzeitig von ihr abgegrenzt, da sie durch ihre Behinderung<br />

von den gesellschaftlichen Normen abweichen, sich aber in der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

nicht behindert fühlen (müssen) (siehe Kapitel 3.1.3).<br />

Laut Cloerkes vernachlässigt Goffman in seiner Theorie jedoch bewußt die internen<br />

Aspekte, d. h. die Verarbeitung von Stigmatisierungsprozessen. 40 Die Abläufe<br />

und die für die Verarbeitung nötigen Entwicklungsschritte oder Voraussetzungen<br />

bleiben unerwähnt.<br />

Krappmann betont wie Mead die Interaktion und die Kommunikation als Basis für<br />

eine Identitätsentwicklung. Passend zum modernen Begriff der Leistungsgesellschaft,<br />

muß ein Mensch für seine Identität eine Leistung erbringen, die durch Anerkennung<br />

von anderer Seite zum Erfolg und damit <strong>zur</strong> Identität für den Interaktionsmoment<br />

führt. Identität ist für Krappmann kein gewonnenes Attribut, sondern<br />

ein andauernder Prozeß, dem sich ein Mensch immer wieder von neuem<br />

stellt. Dabei ist er auf seine Umgebung angewiesen und stets bestrebt, die ihm von<br />

der Umgebung vorgegebenen Parameter (Normen, Werte, Erwartungen) mit seinen<br />

eigenen Bedürfnissen auszugleichen.<br />

Für Gehörlose bedeutet die Untermauerung der eigenen Identifizierung als sprachliche<br />

Minderheit den langen und noch andauernden Kampf um Anerkennung der<br />

40 vgl. Cloerkes, 2001: 149<br />

22


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Gebärdensprache und um gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft als Mitglieder<br />

einer sprachlichen Minderheit.<br />

Bei der Theorie Krappmanns sollte laut Cloerkes beachtet werden, daß er sich nur<br />

auf die <strong>empirische</strong> Realität von extrem psychisch Kranken beziehe und die in der<br />

Sonderpädagogik vorgenommene Ausweitung seiner Überlegungen auf alle Behindertengruppen<br />

die Gefahr einer vorschnellen Pathologisierung behinderter<br />

Menschen beinhalte. 41<br />

Allen dargestellten Identitätstheorien gemein ist die Auseinandersetzung des nach<br />

Identität strebenden Individuums mit der Gesellschaft. Dabei erfolgt stets eine Reflexion<br />

des eigenen Verhaltens, was laut Mead zu mehr Selbstbewußtsein des Individuums<br />

führt, laut Erikson dem Individuum gemachte Erfahrungen verdeutlicht,<br />

laut Goffman <strong>zur</strong> Abhebung des Individuums von der Gesellschaft führt und<br />

sich laut Krappmann in den unabdingbaren Voraussetzungen <strong>zur</strong> Identitätsbildung<br />

für ein Individuum niederschlägt. Diese Reflexion findet stets im Vergleich mit<br />

der Umwelt, d. h. im Rahmen eines Austauschs mit der umgebenden Gesellschaft<br />

statt und kann demzufolge ohne Sprache nicht stattfinden. Identität ist demnach<br />

sehr von äußeren Einflüssen bestimmt (Namensgebung) und geprägt durch die<br />

Normen bzw. Gepflogenheiten der Kontaktpersonen, die ein Individuum umgeben.<br />

Es werden ganz allgemein Bedingungen, äußere Einflüsse und dergleichen<br />

beschrieben, aber die inneren Abläufe, die im Menschen selbst <strong>zur</strong> Erlangung<br />

einer Identität bzw. eines Identitätsbewußtseins führen, werden nicht angesprochen.<br />

Ein Blick auf die neuere Literatur der Identitätsforschung zeigt allerdings, daß<br />

aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und den damit<br />

einhergehenden neuen Anforderungen an das Individuum, sein Leben zu organisieren,<br />

eine inhaltliche Wende stattgefunden hat. Identität läßt sich somit nicht<br />

mehr ausreichend mit den Begriffen der klassischen Identitätstheorien von Mead<br />

oder Erikson beschreiben. Ein erweitertes Verständnis von Identität ist nötig, um<br />

zeitgemäß die Prozesse der Identitätsentwicklung bzw. -konstruktion darzustellen.<br />

Kraus & Mitzscherlich betonen, daß es unumgänglich sei, sich von der Vorstel-<br />

41 vgl. Cloerkes, 2001: 149<br />

23


Kapitel 2 - Begriffsklärung<br />

lung zu trennen, Identität als „stufenbezogenes Extrakt”, als aus den bisherigen<br />

Beziehungen „Geronnenes” 42 zu verstehen. Sie vertreten eine Auffassung, die<br />

Identität mehr „als ständig zu erneuernden (und erneuerungsbedürftigen) Modus<br />

der realen Bezugnahme auf reale Bedingungen” 43 begreift. Zudem heben sie hervor,<br />

daß „Identität [...] nicht mehr primär eine Frage der psychologischen Innenregulation,<br />

sondern eine Frage des Bezugs zu außerhalb der Person liegenden Lebens-<br />

und Handlungsbedingungen” 44 ist und stimmen damit den Definitionen<br />

Goffmans und Krappmanns zu. Das heißt, Kommunikation und damit auch Sprache,<br />

die zweifelsohne für die genannten Lebens- und Handlungsbedingungen Voraussetzung<br />

sind, spielen auch bei Kraus & Mitzscherlich – ohne daß sie es explizit<br />

erwähnen – eine Rolle.<br />

Darüber hinaus beziehen sich alle Identitätstheorien auf Individuen und individuelle<br />

Prozesse vor dem Hintergrund einer Gesellschaft und sind damit so nur bedingt<br />

auf die von mir weiter unten angesprochenen Gefüge in einer Gruppe bzw.<br />

<strong>zwischen</strong> zwei bestimmten Gruppen übertragbar.<br />

Aus diesem Grund wird im weiteren zunächst der Gruppenbegriff allgemein definiert,<br />

um dann den Identitätsaspekt einer Gruppe zu thematisieren. Im Anschluß<br />

daran erfolgt eine Übertragung der Erkenntnisse auf die Gruppe der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

und die Gruppe der Gebärdensprachdolmetscherinnen, um zu<br />

einer eigenen Definition zu gelangen.<br />

2.2 Gruppenbegriff<br />

Im Gegensatz <strong>zur</strong> umgangssprachlichen Verwendung ist der Begriff ‚Gruppe’ in<br />

der Soziologie spezieller gefaßt. Allerdings widersprechen sich einige Wissenschaftlerinnen<br />

mit ihren Definitionen, so daß beispielsweise die Gruppe der Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

nach einer Definition als soziale Gruppe gilt, während<br />

sie nach einer anderen Definition lediglich eine soziale Kategorie und keine<br />

Gruppe darstellt. Das zeigt sich in folgenden Ausführungen:<br />

42 Kraus/Mitzscherlich, 1997: 156<br />

43 Kraus/Mitzscherlich, 1997: 156<br />

44 Kraus/Mitzscherlich, 1997: 156<br />

24


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Nach Neidhardt sind Gruppen vage gekennzeichnet als „Interaktionssysteme persönlicher<br />

Beziehungen” 45 . Dies trifft sowohl auf die Gehörlosen, die sich im LV<br />

Bremen zusammengeschlossen haben, als auch auf die Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

des BreGSD zu.<br />

Bellebaum ist mit seiner Definition präziser:<br />

<strong>Eine</strong> soziale Gruppe umfaßt mehrere Menschen, die zumindest ein gemeinsames<br />

Merkmal haben, die regelmäßig etwas Gemeinsames tun, die sich irgendwelchen gemeinsamen<br />

Überzeugungen verpflichtet fühlen und die ein Gefühl der Zusammengehörigkeit<br />

auszeichnet. Kennzeichnend für Mitglieder einer sozialen Gruppe sind<br />

ein Wir-Gefühl und gleiches oder doch annährend [sic] gleiches Handeln. Gemeinsame<br />

Überzeugungen sind von Regelmäßigkeiten des Handelns in den sozialen Beziehungen<br />

der Gruppenmitglieder begleitet. 46<br />

Dieser Definition entspricht die Gruppe der Gehörlosen des LV Bremen, die sich<br />

regelmäßig (u. a. im Gehörlosenfreizeitheim) trifft. Das gemeinsame Merkmal ist<br />

die Benutzung der Gebärdensprache als Kommunikationsmittel. Das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

unter ihnen konstituiert sich aus gemeinsamen oder ähnlichen<br />

Erfahrungen, die sie im Laufe ihres Lebens in der hörenden Mehrheitsgesellschaft<br />

gemacht haben. Ein in<strong>zwischen</strong> veralteter Begriff dafür ist „Schicksalsgemeinschaft”<br />

47 , welches das oben genannte ‚Wir-Gefühl’ wohl am besten beschreibt.<br />

Der Begriff ‚Schicksalsgemeinschaft’ wandelt sich im Zuge der Entwicklung<br />

der Gehörlosen zu (Gebärden-) „Sprachgemeinschaft” 48 .<br />

Die gemeinsame Überzeugung, die die Gehörlosen teilen, ist, daß ihre Sprache ein<br />

der Deutschen Sprache gleichberechtigtes Ansehen erlangen muß. Das hat u. a.<br />

<strong>zur</strong> Folge, daß die Deutsche Gebärdensprache als Unterrichtssprache in den Gehörlosenschulen<br />

eingesetzt werden kann. Ein großer Teil der Gehörlosen hat sich<br />

viele Jahre lang politisch dafür eingesetzt, bis schließlich die gesetzliche Anerkennung<br />

der Deutschen Gebärdensprache erreicht wurde. 49 <strong>Eine</strong> weitere Folge dieser<br />

Anerkennung ist der Anspruch auf Dolmetsch-Service. Auch hier ist gemeinsames<br />

45 „‚Persönlich’ soll dabei eine Beziehung in dem Maße heißen, in dem die je besondere<br />

Individualität der Beteiligten mit ihren subjektiven Erfahrungen, Interessen und Gefühlen nicht nur<br />

gezeigt und wahrgenommen, sondern auch ausdrücklich thematisiert und <strong>zur</strong> Begründung eigener<br />

Aktionen und Reaktionen legitimiert wird.” - König/Neidhardt/Lepsius, 1983: 14 (Hervorh. im<br />

Orig.)<br />

46 Bellebaum, 2001: 27<br />

47 Hase, 1996: 79<br />

48 Hase, 1996: 79<br />

49 Die gesetzliche Anerkennung erfolgte durch das am 1. Mai 2002 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz<br />

(§ 6). Durch das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), in Kraft getreten<br />

am 1. Juli 2001, hat die DGS erstmals in ein bundesdeutsches Gesetz Einzug gefunden.<br />

25


Kapitel 2 - Begriffsklärung<br />

Handeln vonnöten: die Forderung nach angemessener Dolmetscherinnen-Finanzierung,<br />

um Qualitäts-Ansprüchen genügen zu können.<br />

Schäfers spricht davon, daß die in der Gruppenforschung relevante Größe für eine<br />

Gruppe 25 beträgt. Diese Gruppengröße wird auch als Kleingruppe bezeichnet. 50<br />

Nach König, Neidhardt & Lepsius sind Mitgliederzahlen allerdings lediglich Zusatzbedingungen<br />

für Gruppenausprägungen, gehören jedoch nicht in den Rang eines<br />

Definitionsmerkmals. 51 Die von Schäfers vorgenommene Einschränkung der<br />

Höchstzahl, wird in seiner Definition aber auch relativiert. Dort umfaßt eine<br />

Gruppe<br />

eine bestimmte Zahl von Mitgliedern (G[ruppe]n-Mitglieder), die <strong>zur</strong> Erreichung eines<br />

gemeinsamen Ziels (G[ruppe]n-Ziel) über längere Zeit in einem relativ kontinuierlichen<br />

Kommunikations- und Interaktionsprozeß stehen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit<br />

(Wir-Gefühl) entwickeln. Zur Erreichung des G[ruppe]n-Ziels<br />

und <strong>zur</strong> Stabilisierung der G[ruppe]n-Identität ist ein System gemeinsamer Normen<br />

und eine Verteilung der Aufgaben über ein gruppenspezifisches Rollendifferential<br />

erforderlich. 52<br />

Die Gruppe der Gehörlosen ist heterogen und dennoch eine Gruppe nach soziologischer<br />

Definition. Das politische Handeln wird vom ‚aktiven Kern’ bestimmt,<br />

während das verbindende Wir-Gefühl auf alle Mitglieder der Gruppe zutrifft.<br />

Hillmann betont gleichfalls den Aspekt des ‚Wir-Gefühls’ und spricht in Bezug<br />

auf Gruppe von einem strukturiertem, relativ dauerhaftem Gebilde, das<br />

aus einer Mehrzahl von Rollen sowie Rolleninhabern besteht. Die Gruppe ist in Orientierung<br />

an bestimmten Auffassungen und Werten auf spezifische Ziele und Aufgaben<br />

ausgerichtet, die der Aufgaben- und Rollenverteilung zugrunde liegen. [...]<br />

Die Stabilität der Gruppe hängt maßgeblich von der Stärke des gruppenbezogenen<br />

Wir-Bewußtseins bzw. Wir-Gefühls der Mitglieder ab. 53<br />

Weiterhin gibt Hillmann Beispiele für bestimmte soziale Kategorien (z. B. „Frauen,<br />

Angestellte, Gewerkschaftsmitglieder” 54 ), demzufolge strenggenommen die<br />

Berufsgruppe der Gebärdensprachdolmetscherinnen keine soziale Gruppe bilden.<br />

Allerdings würde dabei der Aspekt des Zusammenschlusses und des verbindenden<br />

‚Wir-Gefühls’ 55 , welches die Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen aus<br />

50 vgl. Schäfers, 1992: 120<br />

51 König/Neidhardt/Lepsius, 1983: 16<br />

52 Schäfers, 1992: 117 (Hervorheb. im Orig.)<br />

53 Hillmann, 1988: 124<br />

54 Hillmann, 1988: 124<br />

55 vgl. Probandin X: 6<br />

26


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

zeichnet, außer acht gelassen. Die Mitglieder des BreGSD bilden insofern eine<br />

Gruppe, als sie – gemäß Bellebaum – einen Beruf als gemeinsames Merkmal haben<br />

und regelmäßig etwas gemeinsam tun (Dolmetschen im Team, Besuch von<br />

Mitgliederversammlungen des Verbands, auf denen gemeinsame politische Schritte<br />

diskutiert und geplant werden).<br />

Das ‚Wir-Gefühl’ wird von Bellebaum an anderer Stelle nochmals im Zusammenhang<br />

mit dem Begriff ‚soziale Position’ betont. Dieser Aspekt spricht ebenfalls<br />

dafür, daß die Dolmetscherinnen des BreGSD als Gruppe aufzufassen sind,<br />

da sich der Beruf Gebärdensprachdolmetscherin in seinem Sinne als soziale Position<br />

klassifizieren läßt, genauso wie die sozialen Positionen ‚Vater’, ‚Mutter’,<br />

‚Lehrerin’, ‚Bäuerin’ etc.:<br />

Jeweils betroffene Menschen bilden Typen von Handelnden [...]; man kann eben<br />

nicht sagen, daß jeweils alle Väter und Mütter eine soziale Gruppe bilden. In bestimmten<br />

Situationen könnten allerdings jeweils einige oder mehrere Väter und<br />

Mütter angesichts gleicher Probleme zumindest zeitweise ein Wir-Gefühl entwikkeln<br />

und also ein soziale Gruppe bilden. 56<br />

Wobei m. E. ‚gleiche Probleme’ hier nicht mit unwägbaren Schwierigkeiten<br />

gleichzusetzen sind, sondern vielmehr gemeinsame Interessen oder Ziele ausdrücken.<br />

Der Beruf der Gebärdensprachdolmetscherin ist demnach soziologisch gesehen einem<br />

Typ von Handelnden einer sozialen Position zugehörig. Die Dolmetscherinnen<br />

in Bremen zeichnen sich durch ein Wir-Gefühl innerhalb des Berufsverbands<br />

aus, innerhalb welchem sie – wie im Berufsleben auch – eine ‚soziale Rolle’<br />

ausfüllen. Das heißt, sie handeln gemäß den Erwartungen, die an eine Positionsinhaberin<br />

gestellt werden. 57<br />

Inwieweit eine solche soziale Rolle Veränderungen unterliegt und inwieweit soziale<br />

Interaktionen (auch „soziale Beziehungen” oder „soziale Wechselwirkungen”<br />

genannt) 58 die daran beteiligten Parteien bzw. Gruppen beeinflussen, wird in<br />

Kapitel 2.4 aufgezeigt.<br />

56 Bellebaum, 2001: 51<br />

57 vgl. Bellebaum, 2001: 53<br />

58 vgl. Bellebaum, 2001: 17<br />

27


Kapitel 2 - Begriffsklärung<br />

2.3 Selbstbewußtsein und Gruppe<br />

Wenn die in den Kapiteln 2.1.1–2.1.4 genannten Definitionen auch einige Gemeinsamkeiten<br />

aufweisen, wird schließlich doch klar, daß es eine Einigung auf eine<br />

Definition bzw. ein allgemeingültiges Verständnis von Selbstbewußtsein bzw.<br />

Identität nicht gibt. Aus diesem Grund habe ich für die vorliegende Arbeit eine eigene<br />

Definition herausgearbeitet.<br />

Die Herausbildung des Selbstbewußtseins, die im Kontakt mit der Gesellschaft<br />

zwangsläufig geschieht, wenn die Voraussetzung dafür – Sprache bzw. Kommunikation<br />

mit sich und der Umwelt (bzw. der umgebenden Gesellschaft) – gegeben<br />

ist, erfolgt allmählich und zwar durch die Auseinandersetzung und den Umgang<br />

mit der eigenen Lebenssituation (innerhalb der Gesellschaft), an deren Ende ein<br />

möglichst starkes Selbstbewußtsein in Abgrenzung <strong>zur</strong> Gesellschaft steht. Diese<br />

Abgrenzung kann sich z. B. durch Stolz, d. h. dem öffentlichen Zeigen, wer und<br />

was man ist, bemerkbar machen. Das Ende ist hierbei nicht als abschließendes<br />

Ereignis einer individuellen Entwicklung zu sehen, sondern eher als Ende einer<br />

Lebensphase, die individuell unterschiedlich lang andauern kann. Das Individuum<br />

kann sich durch fortdauernde Auseinandersetzung mit seiner Umwelt immer wieder<br />

neu anpassen oder distanzieren und damit das eigene Selbstbewußtsein in stets<br />

neu vorzunehmender Abgrenzung festigen oder schwächen und somit verändern.<br />

Nun stellt sich die Frage, was sich demzufolge über das Selbstbewußtsein einer<br />

Gruppe (LV Bremen und BreGSD) folgern läßt und wie Selbstbewußtsein inhaltlich<br />

den Gruppenaspekt treffend beschreiben könnte.<br />

Selbstbewußtsein entsteht durch die Akzeptanz der Andersartigkeit der eigenen<br />

Person bei gleichzeitigem Streben nach Austausch unter Gleichgesinnten, den<br />

Mitgliedern einer Gruppe. Gleichgesinnte sind Personen mit gleichen oder ähnlichen<br />

Zielen aufgrund gleicher persönlicher Merkmale und/oder gleichen Erfahrungen.<br />

Die allmähliche Herausbildung von Selbstbewußtsein der Gruppe erfolgt<br />

auch hier durch die Auseinandersetzung und den Umgang mit der eigenen Lebenssituation<br />

nach innen (d. h. innerhalb der Gruppe in Form von Austausch unter<br />

Gleichgesinnten und damit dem Bewußtsein über eigene Stärken und Schwächen)<br />

und nach außen in Abgrenzung <strong>zur</strong> umgebenden Gesellschaft.<br />

28


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Auch Krappman zieht den Bogen von der Gruppenidentität <strong>zur</strong> Ich-Identität. Dabei<br />

bezieht er sich auf Erikson: „E. H. Erikson spricht von Gruppenidentität und<br />

persönlicher Identität, die als subjektiv erfahrene dann Ich-Identität ist” 59 .<br />

Anders wird Gruppenidentität von Reinhold formuliert, sie sei:<br />

das Insgesamt der Vorstellungen, das Selbstbild der Gruppe, das ein integriertes<br />

Ganzes ist und sich nicht als Summe von Eigenschaften der einzelnen Mitglieder ergibt.<br />

Es ist dies der Komplex von Zielen, Normen, Werten und Verhaltensmustern,<br />

die in der Gruppe als solcher existent sind und sie wesentlich konstituieren. 60<br />

<strong>Eine</strong> Gruppenidentität oder auch ein Gruppenbewußtsein zeichnet sich also durch<br />

ein Zusammengehörigkeitsgefühl aus, welches u. a. aus den selbstgegebenen Zielen<br />

besteht. In diesem Sinn wird auch von Gruppengeist oder Kollektivbewußtsein<br />

gesprochen. 61 Dieses ist bei beiden in dieser Arbeit angesprochenen Gruppen der<br />

Fall.<br />

Der folgende Abschnitt zeigt auf, wie soziale Interaktionen die daran beteiligten<br />

Parteien bzw. Gruppen beeinflussen können.<br />

2.4 Gruppe - Minorität - Veränderung der Gesellschaft<br />

Ahrbeck zitiert Schweitzer, der Meads „I” und „Me” zusammenfassend beschreibt,<br />

und stellt heraus, daß „Mead den Einzelnen nicht nur als Anpassungsprodukt<br />

an die ihn umgebende Umwelt sieht, sondern auch betont, daß der Einzelne<br />

auf das soziale Umfeld verändernd einwirken kann” 62 . Wenn dies einem<br />

einzelnen Individuum möglich ist, sollte es auf eine Gruppe Gleichgesinnter<br />

verstärkt zutreffen.<br />

Den Gehörlosen allgemein und somit auch den Gehörlosen des LV Bremen<br />

kommt als Gruppe ein besonderer Status zu: der Status einer sprachlichen Minderheit.<br />

Während Jordan die benachteiligte Gruppe (Disadvantaged Group) der Behinderten<br />

grundsätzlich nicht als Minorität bezeichnet, indem er sagt: „Minoritäten<br />

sind im allgemeinen aus sich selbst heraus beständig, kapseln sich nach außen<br />

59 Krappmann, 1982: 73<br />

60 Reinhold,1992: 218<br />

61 vgl. Reinhold, 1992: 217<br />

62 Ahrbeck, 1997: 36<br />

29


Kapitel 2 - Begriffsklärung<br />

ab und haben eigene Normen und Werte. Dies trifft für Behinderte nicht zu” 63 ,<br />

schließt Schäfer in seiner Definition von Minderheiten (oder Minoritäten) keine<br />

Gruppe von vornherein aus. Bei ihm umfaßt die Definition alle<br />

Bevölkerungsgruppen innerhalb einer Gesellschaft, die sich durch bestimmte religiöse,<br />

kulturelle oder ethnisch-rassische Merkmale unterscheiden, zumeist Vorurteilen<br />

und Benachteiligungen seitens der Mehrheit ausgesetzt sind und die partiell von<br />

der Kultur und den Institutionen der Gesellschaft, in der sie leben, ausgeschlossen<br />

sind 64 .<br />

Des weiteren halten Minderheiten laut Schäfer „bewußt an ihrem M[inderheiten-]<br />

Status fest und weisen eine eigenständige Organisation und kollektive Handlungsfähigkeit<br />

auf” 65 . Die jeweilige nationale Gebärdensprache der Gehörlosen<br />

beinhaltet gemäß der oben genannten Definition den kulturellen Aspekt dieser<br />

Minderheit.<br />

Lane, Hoffmeister & Bahan begründen den Minderheitenstatus Gehörloser mit<br />

vier Punkten, die den Verbund untermauern:<br />

(1) the group shares a common physical or cultural characteristic, such as skin color<br />

or language, (2) individuals identify themselves as members of the minority and<br />

others identify them in that way, (3) there is a tendency to marry within the<br />

minority, and (4) minority members suffer oppression 66 ,<br />

und geben an, daß sich die Gebärdensprachgemeinschaft („Deaf-World”) in sämtlichen<br />

vier Punkten wiederfinden läßt.<br />

Davon ausgehend, daß die Gebärdensprachgemeinschaft an sich und damit gleichermaßen<br />

die Gebärdensprachgemeinschaft Bremens eine sprachliche Minderheit<br />

ist, lautet die Frage der vorliegenden Arbeit, inwiefern die Gebärdensprachgemeinschaft<br />

als sprachliche Minderheit Einfluß auf die sie umgebende (hörende)<br />

Mehrheitsgesellschaft ausübt. Dabei liegt der Fokus auf der Berufsgruppe der Gebärdensprachdolmetscherinnen:<br />

Bewirkt o. g. Einfluß möglicherweise Veränderungen<br />

in der Gruppe der Gebärdensprachdolmetscherinnen des BreGSD? Da bei<br />

zwei Parteien eine Einflußnahme i. d. R. wechselseitig erfolgt, ergibt sich<br />

gleichzeitig die Frage, inwiefern die Gebärdensprachdolmetscherinnen vice versa<br />

Einfluß auf die Gebärdensprachgemeinschaft ausüben.<br />

63 Jordan in: Cloerkes, 2001: 29<br />

64 Schäfer, 1992: 200<br />

65 Schäfer, 1992: 200<br />

66 Lane/Hoffmeister/Bahan, 1996: 159<br />

30


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Moscovici hat zum Einfluß, der von Minderheiten ausgeht, ein Konzept erstellt.<br />

Folgende seiner angeführten Punkte 67 treffen m. E. auf die Gebärdensprachgemeinschaft<br />

zu:<br />

1. Minderheiten werden dann sozialen Einfluß ausüben, wenn sie einen sichtbaren<br />

Konflikt mit der Majorität auslösen und der dominierenden Mehrheitsposition einen<br />

alternativen Standpunkt entgegensetzen.<br />

2. Minderheiteneinfluß findet nur dann statt, wenn die Minderheit einen konsistenten<br />

und persistenten Verhaltensstil aufweist.<br />

Die Punkte 1 und 2 lassen sich in Betrachtung der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

auf die Forderung nach Gleichberechtigung bzw. gesetzlicher Anerkennung der<br />

DGS durch Protestschreiben und Demonstrationen beziehen. Bezogen auf Bremen<br />

sprechen die Punkte unter anderem die Forderung nach einer Gebärdensprachdolmetscherinnen-Einblendung<br />

in der regionalen Nachrichtensendung ‚Buten & Binnen’<br />

an, die mit Unterstützung der Gebärdensprachdolmetscherinnen Bremens erfolgte<br />

(siehe Kapitel 4.2.4).<br />

4. Das Bestehen der Minderheit auf dem alternativen Standpunkt wird als Ausdruck<br />

von Überzeugung und Selbstsicherheit interpretiert, sofern nicht andere Attributionen<br />

naheliegender sind (bei rigidem Verhandlungsstil z. B. Attributionen in Richtung<br />

Dogmatismus und Unbelehrbarkeit).<br />

5. Diese Attribution drückt Achtung und Respekt aus, sofern das Verhalten nicht als<br />

rigide eingestuft wird. Sie wird begeleitet von persönlicher Ablehnung durch die<br />

Mitglieder der Mehrheit (ambivalente Wahrnehmung und Beurteilung).<br />

6. Minoritäten werden dann besonders erfolgreich sein, wenn das Ausmaß der Konsistenz<br />

und Persistenz innerhalb der Majorität deutlich niedriger liegt als innerhalb<br />

der Minorität.<br />

In den Punkten 4 und 5 drückt sich der Umstand aus, daß die Gehörlosen ‚gehört’<br />

werden, aber eben auch Ablehnung erfahren, da ihre Forderungen nicht nur ein<br />

Umdenken erfordern, sondern ein entsprechendes Handeln auch mit finanziellem<br />

Aufwand verbunden ist.<br />

In Punkt 6 könnte der Aspekt der Legislaturperioden angesprochen sein, das heißt,<br />

es gab wechselnde Ansprechpartner in den politisch entscheidungstragenden bzw.<br />

einflußreichen Positionen, während die Vorsitzenden des LV Bremen (wie auch<br />

des Deutschen Gehörlosen-Bunds) über viele Jahre durchgehend in ihren Ämtern<br />

sind. Dies könnte bei den zu den Punkten 1 und 2 angesprochenen Forderungen<br />

unter anderem zum Erfolg geführt haben.<br />

67 Moscovici, zit. in: Wiswede, 1991: 182<br />

31


Kapitel 2 - Begriffsklärung<br />

8. Minoritäten werden dann besonders einflußreich sein, wenn sie i. S. des Zeitgeistes<br />

oder Normtrends agieren. [...]<br />

10. Öffentliche Zustimmung zum Minderheiteneinfluß führt eher zu innerer Akzeptanz,<br />

während bei Anpasssung an die Mehrheitsmeinung oft nur ein „Mitschwimmen”<br />

erfolgt. Anpassung an die Minderheit führt also <strong>zur</strong> Konversion i. S. einer internalisierten<br />

Einstellungsänderung, die auch dann aufrecht erhalten bleibt, wenn der<br />

Gruppendruck weicht. Ist eine öffentliche Identifikation mit der Minorität nicht akzeptabel<br />

(z. B. radikale, sozial unerwünschte Ansichten), dann sinkt die Wahrscheinlichkeit<br />

einer öffentlichen Einstellungsänderung.<br />

Das allmähliche Umdenken in der Gesellschaft bezüglich Menschen mit Behinderungen<br />

von der einstigen Verwahrung und Verunglimpfung als ‚Krüppel’ hin zu<br />

zunehmender Akzeptanz und selbstbestimmtem Leben erstreckt sich aufgrund der<br />

Nicht-Sichtbarkeit der Behinderung Gehörlosigkeit nur bedingt auf Gehörlose.<br />

Dennoch können Phänomene wie die gesetzliche Anerkennung der DGS oder die<br />

geforderte gleichberechtigte Teilhabe wohlmöglich u. a. dem Zeitgeist (Moscovicis<br />

Punkt 8) zugeschrieben werden, der sich auch im vergangenen Europäischen<br />

Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003 widerspiegelt.<br />

Da die Gebärdensprachgemeinschaft von der hörenden Mehrheitsgesellschaft als<br />

nicht normenkonform und deswegen zwar als ‚anders’, aber gemeinhin nicht als<br />

gefährlich oder radikal angesehen wird, ist die Chance für eine öffentliche Zustimmung,<br />

wie sie unter Punkt 10 angeführt wird, und damit auch eine Einstellungsänderung<br />

gegenüber veralteten Denkweisen gegeben. Durch Öffentlichkeitsarbeit<br />

und Informationen über Gehörlosigkeit wird auch Interesse geweckt<br />

und beispielsweise durch das Entdecken und/oder Erlernen einer neuen Sprache<br />

Verständnis und innere Akzeptanz geschaffen.<br />

Diese innere Einstellungsänderung trifft auch auf die translatorisch tätigen<br />

Personen als Mitglieder der hörenden Mehrheitsgesellschaft und damit auf die<br />

Entwicklung des Berufs der Gebärdensprachdolmetscherin zu (siehe Kapitel 4).<br />

Meine Hypothese bezüglich der obenstehenden Fragestellungen lautet nunmehr<br />

wie folgt: Die Gehörlosen der Gebärdensprachgemeinschaft Bremens und die Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

des heutigen BreGSD haben innerhalb der letzten<br />

25 Jahre eine Entwicklung bezüglich ihrer Identität und damit ihres Selbstbewußtseins<br />

bzw. ihres Selbstbewußtseins als Berufsgruppe erfahren. Diese Entwicklungen<br />

erfolgten teilweise in Abhängigkeit voneinander bzw. unter gegenseitiger<br />

Einflußnahme.<br />

32


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Des weiteren besteht die Annahme, daß die Gehörlosen der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

unter anderem durch ihre gezielten Forderungen nach Qualität, Einfluß<br />

auf die Gebärdensprachdolmetscherinnen ausüben und sich dadurch schrittweise<br />

die Arbeitsweise und damit auch die Arbeitsbedingungen der Dolmetscherinnen<br />

verändert.<br />

Was die Dolmetscherinnen ihrerseits betrifft, könnte folgende Vermutung bestätigt<br />

werden: Durch den Dolmetschdienst an sich erfolgt ein positiver Einfluß auf<br />

Gehörlose, weil diese mit dem Wissen, endlich verstanden zu werden, selbstbestimmter<br />

ihrem Gegenüber begegnen können.<br />

<strong>Eine</strong> Überprüfung dieser Hypothesen soll durch die vorgenommenen Interviews<br />

erfolgen. Dafür werden in den Kapiteln 3 und 4 die für die vorliegende Arbeit<br />

zentralen Gruppen beschrieben.<br />

33


Kapitel 2 - Begriffsklärung<br />

34


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

3. Die Gebärdensprachgemeinschaft in Bremen<br />

In diesem Kapitel wird die Situation gehörloser Menschen in Deutschland zunächst<br />

ganz allgemein beschrieben, um dann in Unterkapiteln die Bremer Situation<br />

hervorzuheben. Angesichts der Umstände, unter denen Gehörlose in der hörenden<br />

Mehrheitsgesellschaft leben, lassen sich Bezug und Verhältnis der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

zu den Gebärdensprachdolmetscherinnen nachvollziehen.<br />

3.1 Zur Situation gehörloser Menschen<br />

Gehörlosigkeit ist eine unsichtbare Behinderung und deshalb unauffällig. Für den<br />

Großteil der hörenden Bevölkerung sind die Implikationen daher kaum nachvollziehbar.<br />

Folgen wie ein „große[s] Informationsdefizit mit verbundenen Wissenslücken”<br />

68 ergeben sich jedoch nicht einfach aus der Diagnose ‚gehörlos’, sondern<br />

sind Auswirkungen der Umgebung, in die ein gehörloses Kind hineingeboren<br />

wird und/oder aufwächst. In vielen Fällen werden die Auswirkungen mangels<br />

adäquater Kommunikationsmöglichkeiten noch verstärkt, so daß es zu Isolation<br />

und Entwicklungsdefiziten in der Persönlichkeitsbildung kommen kann. 69<br />

Zunächst sei hier die familiäre Situation angesprochen. Die Zahl gehörloser Menschen<br />

im gesamten Bundesgebiet ist von Schumann mit „rund 80.000” 70 beziffert<br />

worden. Die Verteilung in den Familien wird in der Fachliteratur mit neunzig zu<br />

zehn Prozent genannt, das heißt, daß neunzig Prozent der gehörlos geborenen oder<br />

postnatal ertaubten Kinder in einem hörenden Elternhaus aufwachsen und nur<br />

zehn Prozent mindestens ein gehörloses Elternteil haben. 71 Gehörlose stammen<br />

also in der Regel aus einem hörenden Elternhaus und nur sehr wenige haben gehörlose<br />

Eltern oder auch nahe Verwandte, die gehörlos sind. 72 Das wiederum bedeutet,<br />

daß nur ein sehr geringer Teil mit einer altersgemäß ausgebildeten Kom<br />

68 Mally, 1993: 212<br />

69 Prillwitz, 1987 (a): Video<br />

70 Schumann in: Prillwitz, 2001: 7<br />

Diese Angabe ist exklusive der schwerhörigen Menschen, von denen sich ein Teil der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

zugehörig fühlt und deren Zahl insgesamt vom Deutschen Schwerhörigen-<br />

Bund bereits 1988 als weitaus größer eingeschätzt wurde (ca. 10 Mio.). - vgl. Prillwitz, 1988: 90<br />

71 Fengler, 1995: 26; Lane/Hoffmeister/Bahan, 1996: 30<br />

72 vgl. List, 1997: 17<br />

35


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

munikationskompetenz aufwächst und die Chance hat, „primärsprachlich in einer<br />

gewachsenen Gebärdensprachkultur sozialisiert zu werden” 73 . Denn nur ein<br />

Bruchteil der hörenden Eltern verfügt über ausreichende Gebärdensprachkenntnisse<br />

und den Willen, ihre Kinder von Anfang an nicht nur mit der deutschen<br />

Sprache, sondern vor allem auch mit der ihnen als Basissprache dienenden Gebärdensprache<br />

zu erziehen und aufwachsen zu lassen. Trotzdem ist eine Entwicklung<br />

in Richtung Öffnung gegenüber Gebärden und Gebärdensprache zu bemerken.<br />

Diese Entwicklung stellt für viele Gehörlose der älteren Generationen einen unvorstellbar<br />

großen Vorstoß dar, wurde teilweise doch zu ihrer Jugendzeit die Gehörlosigkeit<br />

selbst vor den Nachbarn verschwiegen und die gehörlosen Kinder<br />

versteckt, aus Angst diesen ‚Makel’ öffentlich zu machen. 74 Und auch Schein<br />

schreibt: „Die meisten gehörlosen Kinder wachsen auf, als seien sie Fremde in ihrer<br />

eigenen Familie” 75 , wenn in Ermangelung an Gebärden keine echte Kommunikation<br />

<strong>zwischen</strong> Eltern und Kind zustande kommt.<br />

Ich gehe davon aus, daß die vorangehenden Durchschnittswerte in Bremen ebenso<br />

Gültigkeit besitzen.<br />

<strong>Eine</strong> inhaltliche Zuwendung zum Thema Gehörlosigkeit und Gebärdensprache<br />

wurde nicht zuletzt erreicht durch die internationalen Forschungsarbeiten <strong>zur</strong> Gebärdensprache<br />

in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, die ermöglichten,<br />

daß Gehörlosigkeit positiv als eigene Lebensform begriffen werden kann.<br />

So brachten gehörlose Menschen auch in Deutschland vermehrt ihre Anliegen an<br />

die Öffentlichkeit, indem sie ihre Identität als gehörlose Menschen thematisierten.<br />

Dadurch erreichten sie eine zunehmende Akzeptanz in der Bevölkerung und<br />

brachten in Zusammenhang mit der Sprachwissenschaft auch interessante Forschungsgebiete<br />

in anderen Disziplinen hervor wie beispielsweise in der Soziologie<br />

76 .<br />

73 List, 1997: 17<br />

74 vgl.Probandin VIII: 2<br />

75 Schein zit. in: Sacks, 1992: 173<br />

76 Der Hauptteil der vorhandenen älteren Arbeiten ist soziologisch betrachtet von geringem Wert,<br />

da die Gesprächspartnerinnen nicht selbst gehörlos waren, sondern sich aus dem Umfeld der Gehörlosen<br />

rekrutierten. Dadurch wurde das eherne Gesetz der Soziologie, welches besagt, daß<br />

Grundlagenforschung in der Sprache der Betroffenen betrieben werden sollte, gebrochen. Die soziologische<br />

Forschung bezüglich der Gebärdensprachgemeinschaft steht in Deutschland somit<br />

noch am Anfang.<br />

36


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Nachfolgend werden nun einige weitere für die vorliegende Arbeit relevante<br />

Merkmale die gehörlose Bevölkerungsgruppe betreffend dargestellt werden.<br />

3.1.1 Sprache und Kommunikation<br />

Bedingt durch die oben beschriebenen familiären Konstellationen, verläuft die<br />

Kommunikation in der Gebärdensrpachgemeinschaft auf verschiedenen Wegen.<br />

Die gehörlosen Kinder, die in einer gehörlosen Familie aufwachsen, erlernen<br />

meist von ihren Eltern die Deutsche Gebärdensprache (DGS) als Muttersprache,<br />

in der sie sich vollständig auszudrücken lernen und eine altersgemäße Kommunikation<br />

aufbauen können. DGS ist eine natürlich gewachsene, eigenständige Sprache<br />

mit eigenständiger Grammatik und eigenem Lexikon, die sich im Austausch<br />

der Gehörlosen untereinander ausgebildet haben. 77 Dennoch existiert noch keine<br />

Gebrauchsschrift für Gebärdensprache. 78 DGS ist keine Hochsprache, sondern besteht<br />

aus regionalen Dialekten.<br />

<strong>Eine</strong> andere Kommunikationsform wird bei denjenigen Kindern verwendet, die in<br />

einem hörenden Elternhaus aufwachsen. Sie erlernen lautsprachbegleitende Gebärden<br />

(LBG) von den Eltern, die seit der Geburt ihres Kindes bzw. nach der<br />

Diagnose ‚gehörlos’ versuchen, sich auf die kommunikativen Anforderungen eines<br />

hörgeschädigten Menschen einzustellen, indem sie Gebärden lernen. LBG ist<br />

ein Kommunikationssystem und keine eigenständige Sprache. Die Gebärdende<br />

verbleibt in der grammatikalischen Struktur der Lautsprache – also im Deutschen.<br />

Es gibt LBG in unterschiedlich ausgeprägten Formen der Anlehnung an die Lautsprache:<br />

von der Begleitung jedes oder nahezu jedes einzelnen Wortes der deutschen<br />

Sprache mit einer Gebärde und u. U. zusätzlicher Hinzufügung morphosyntaktischer<br />

Informationen 79 mit Hilfe des Fingeralphabets bis hin zum Weglassen<br />

von Füllwörtern. LBG kann als Absehhilfe für lautsprachkompetente Gehörlose<br />

verstanden werden und wird darüber hinaus von LGB-kompetenten Pädagoginnen<br />

im Unterricht verwendet.<br />

77 vgl. Fachausschuß Pädagogik, 2000: 32<br />

78 Notationssysteme wie HamNoSys (Hamburger Notationssystem) oder das Eshkol-Wachmann<br />

Movement Notation System dienen u. a. der wissenschaftlichen Beschreibung von Gebärden.<br />

79 Darstellung von Endungen (Flexionsmorphemen), z. B.: An die Gebärde GEHEN wird ein „T”<br />

angehängt: „geht”.<br />

37


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

Den größten Teil jedoch stellen diejenigen Kinder dar, deren Eltern hörend und –<br />

bedingt durch den in Deutschland traditionell starken Einfluß des Oralismus –<br />

ohne Bezug zu Gebärden resp. Gebärdensprache leben. Diese Kinder wachsen in<br />

einem Umfeld auf, das größtenteils nie mit Gebärdensprache oder der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

in Berührung gekommen ist. Für sie bedeutet sprachliche<br />

Entwicklung zugleich harte Arbeit und kein Aufwachsen mit spielerischem<br />

Umgang von Erlerntem. Sie sind darauf angewiesen, vom Mund abzusehen und<br />

müssen sich Inhalte durch Kombinationsgabe 80<br />

erarbeiten. Das Absehen vom<br />

Mund ist sehr schwierig, und der Erfolg hängt von vielen Einflußfaktoren ab. 81<br />

Fest steht jedoch, daß selbst unter idealen Bedingungen nur maximal dreißig Prozent<br />

des gesprochenen Textes bzw. der artikulierten Laute eindeutig abgesehen<br />

werden können. Diese Angabe reduziert sich bei einem Kind ohne Vorstellung<br />

von Sprache bzw. Kenntnis einer Lautsprache um ein weiteres. Die Folge davon<br />

ist, daß die häusliche Kommunikation auf Bedürfnisse und den Gebrauch des Imperativ<br />

beschränkt bleibt. 82 Die Chance auf eine sprachlich phantasievolle Entwicklung<br />

besteht somit nicht. 83<br />

Auch Gerkens merkt zu den Schwierigkeiten beim Absehen vom Mund an:<br />

Der eigentliche Inhalt erschließt sich aus der Kombination der verstandenen Fragmente<br />

mit etwas Phantasie. Mißverständnisse und häufige Wiederholungen sind so<br />

vorprogrammiert. <strong>Eine</strong> lockere, zwangslose [sic] Kommunikation ist dadurch nicht<br />

möglich.<br />

Durch diese starken Kommunikationshürden und daraus entstehenden Informationsdefizite<br />

sind die meisten Gehörlosen nicht in der Lage die laut- und sogar schriftsprachliche<br />

Kommunikation zu verstehen, so daß es oft zu Mißverständnissen, sowohl<br />

bei den Gehörlosen als auch bei den Hörenden [,] kommen muß. Diese Hürden<br />

verursachen bei den Gehörlosen Frustrationen und Mißtrauen. 84<br />

Professioneller Dolmetsch-Service kann einen großen Teil dazu beitragen, diesem<br />

Mißtrauen zu begegnen (siehe Kapitel 4). Der Gebrauch von Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

trägt somit nicht nur <strong>zur</strong> Barrierefreiheit bei, sondern auch zum<br />

80 Sacks spricht in diesem Zusammenhang vom „intuitiven Raten” - Sacks, 1992: 20<br />

81 Dazu gehören beispielsweise Talent, Lichtverhältnisse, Mundbild der Sprecherin, Vertrautsein<br />

mit der Person etc. - vgl. Lehmann, 1997: 388<br />

82 Lane, Hoffmeister & Bahan schreiben bei hörenden Eltern gehörloser Kinder auch davon, daß<br />

die Eltern die Kommunikation kontrollieren, so daß keine wirkliche Kommunikation stattfinden<br />

kann: „Most hearing parents talk to their Deaf children, not with them.” - Lane/Hoffmeister/Bahan,<br />

1996: 40 (Hervorh. im Orig.)<br />

83 Butzkamm & Butzkamm sprechen an dieser Stelle sogar von „katastrophaler sozialer und geistiger<br />

Verkümmerung” - Butzkamm/Butzkamm, 1999: 149<br />

84 Gerkens, 1996(a): 3<br />

38


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Abbau von Mißverständnissen und beeinflußt so die Teilhabe an der Gesellschaft<br />

im positiven Sinne.<br />

3.1.2 Schule und Beruf<br />

Viele Eltern haben in bester Absicht für die Entwicklung ihres Kindes bewußt keine<br />

Gebärden gelernt, da ihnen die jeweiligen Fachleute (Ärztinnen und Pädagoginnen)<br />

davon abgeraten haben. 85 Der erste Kontakt gehörloser Kinder hörender<br />

Eltern zu anderen Gehörlosen bzw. <strong>zur</strong> Gebärdensprache ist daher oftmals der Tag<br />

der Einschulung. 86 In der Schulzeit haben diese Kinder durch den Austausch mit<br />

anderen gehörlosen Kindern dann die Chance, sich Gebärden bzw. die Gebärdensprache<br />

anzueignen. 87 Dies ist die Voraussetzung für eine spätere Inanspruchnahme<br />

von Gebärdensprachdolmetscherinnen, wobei das jeweilige Sprachvermögen<br />

durch das unsystematische Erlernen bei jeder Gebärdenden unterschiedlich ausgeprägt<br />

ist. Das belegt auch eine Probandin, die selbst Kind gehörloser Eltern ist:<br />

[M]ir [ist] damals schon bei den anderen gehörlosen Kindern aufgefallen, daß sie<br />

nicht einfach drauflosgebärdeten, sondern sich immer ein wenig verhalten zeigten.<br />

Der Grund dafür war ganz einfach, daß sie hörende Eltern hatten. Sie haben immer<br />

viel geschaut, aber ohne dabei aktiv zu werden. Und als ich dann kam und mit ihnen<br />

gebärdete, hingen sie ganz gebannt an meinen Händen. Das war für sie wie Fernsehen.<br />

[...] [S]ie haben es sich bei mir abgeschaut. Mir ist dabei aber auch aufgefallen,<br />

daß ihre Gebärden sich von meinen gänzlich unterschieden haben. Man merkte, daß<br />

DGS nicht ihre Muttersprache war, sondern daß sie hörende erwachsene Vorbilder<br />

hatten, von denen sie bisher Gebärden gelernt haben. [...] Sie entwickelten nur langsam<br />

ein Sprachgefühl, durch das tägliche Miteinander in der Familie. Daran ist mir<br />

wirklich aufgefallen, daß sie anders erzogen wurden als ich. Und dazu kam, daß ihr<br />

Gebärden-Schatz sehr klein war. Wirklich wahr, ich war in ihrer Mitte wie so ein<br />

kleiner König. 88<br />

Hinzu kommt, daß in deutschen Gehörlosenschulen traditionell der Unterrichtsschwerpunkt<br />

auf Artikulationstraining lag (Oralismus). 89 Zu welchem Verhalten<br />

85 Lenarz, Hartmann-Börner, Diller et al. sprechen noch 1997 davon, daß eine zweisprachige Erziehung<br />

„die Kompetenz in der gesprochenen Sprache ausschließt und überdies die Schriftsprache<br />

nicht signifikant verbessert”. - Lenarz/Hartmann-Börner/Diller et al., 1997<br />

86 Diese Kinder werden als spracharm bezeichnet, da sie bei Schuleintritt im Durchschnitt nur über<br />

einen stark unterdurchschnittlichen Wortschatz im Vergleich zu ihren Mitschülerinnen verfügen. -<br />

vgl. Prillwitz, 1987 (b): 44f<br />

87 Der Bericht eines erwachsenen Gehörlosen, der im Rahmen einer Arbeitstagung das Versagen<br />

schulischer Förderung beschreibt, belegt dies: „In der Schule sehnten sich die Kinder nach den<br />

Pausen, denn im Unterricht waren Gebärden verboten. Auch die Schilderungen des inneren Abstandes<br />

vieler Gehörloser zu ihren nicht-gebärdenden Eltern wurde nur deshalb nicht als zu bitter<br />

empfunden, weil die Referenten ihre Beiträge selbstbewußt, engagiert und mit Witz vortrugen.” -<br />

George, 1991: 2<br />

88 Probandin II: 3-4<br />

89 „Auf dem zweiten internationalen Taubstummenlehrer-Kongreß 1880 in Mailand wurde beschlossen[,]<br />

von nun an jegliche Formen manueller Kommunikation aus den Schulen für Hörge-<br />

39


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

diese anstrengende Form der Kommunikation unter den Schülerinnen führte, beschreibt<br />

Mally wie folgt:<br />

Bei dieser Situation [Gehörlose unterhalten sich mit hörenden Gebärdenanfängern<br />

und lassen mehr und mehr die Stimme weg] erinnerte ich mich sofort an die Schulzeit,<br />

an meine gehörlose Mitschülerinnen. Typisch, das gleiche Verhalten, das duldende<br />

Zunicken gegenüber der Lehrerin, während sie sprach, wenn sie ihn nicht alles<br />

verstehen konnten. Das mechanische Kopfnicken zu den nichtverstandenen<br />

Sprachinhalte war nicht anderes als die Angst vor der Entblößung des ‚Dummseins’<br />

oder vor erneutem Wutausbruch des Lehrers! 90<br />

Die sogenannte ‚Deutsche Methode’ oder ‚Orale Methode’ führte zu einer drastischen<br />

Reduzierung der Lernleistung gehörloser Kinder und der Bildung Gehörloser<br />

ganz allgemein. 91 Sprechübungen verbunden mit der Lehre über den Artikulationsapparat<br />

(d. h. Wissen über Zungenstellungen <strong>zur</strong> Erzeugung der einzelnen<br />

Laute) beanspruchten den überwiegenden Teil der Unterrichtszeit, so daß für die<br />

Informationsvermittlung – der Lehre von Sachwissen – vergleichsweise wenig<br />

Zeit blieb. 92 Das führte dazu, daß viele Gehörlose der heute mittleren bis älteren<br />

Jahrgänge mit enormen Wissensdefiziten 93 aus der Schule entlassen wurden und<br />

teilweise in Schulen, die ein strikt lautsprachliches Konzept verfolgen, noch heute<br />

werden. Um diesem Mißstand zu begegnen, wurden in der Vergangenheit im Bereich<br />

der Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik verschiedene Unterrichtskonzepte<br />

erprobt. Beispielhaft seien hier die Ansätze der Totalen Kommunikation<br />

94 , LBG im Unterricht 95 oder der Bilinguale Schulversuch 96 in Hamburg genannt.<br />

Auch die Elternverbände sehen dieser Entwicklung in<strong>zwischen</strong> nicht mehr tatenlos<br />

zu. Auf einer Arbeitstagung des Elternverbandes deutscher Gehörlosenschulen<br />

schädigte zu verbannen und allein die lautsprachliche Methode zu verwenden.” - Feuchte, 1984: 3<br />

zit. in: Ahrbeck, 1997: 27 (Hervorh. i. Orig.)<br />

90 Mally, 1993: 223<br />

91 Trotz der Bemühungen der Vertreter der hörgerichteten Lehrmethode ging der Deutsche Gehörlosen-Bund<br />

1985 noch davon aus, daß von zehntausend Gehörlosen nur zweihundert – das sind<br />

2 % – die deutsche Sprache in Wort und Schrift vollständig beherrschen. - Ahrbeck, 1997: 56 - Im<br />

Gegensatz dazu berichten Prillwitz und Wudtke von nur 0,5 % lautsprachkompetenten Gehörlosen<br />

bei einem Anteil von etwa sechzigtausend Gehörlosen in West-Deutschland. - Prillwitz/Wudtke,<br />

1988: 19<br />

92 Günther behauptet, daß die Hörgeschädigtenpädagogik bis heute „ihre Aufgabe fast ausschließlich<br />

in der Entwicklung von Hör- und Sprechfähigkeit” versteht. - Günther, 1999: 24<br />

93 Butzkamm & Butzkamm schreiben dazu: „Sprechanbildung [ist] eine gefährliche Mixtur von<br />

sensu-motorischer Überforderung bei gleichzeitiger geistiger Unterforderung.” - Butzkamm/Butzkamm,<br />

1999: 149<br />

94 vgl. Paul, 1922, zit. in: Johnson/Liddell/Erting, 1990: 9<br />

95 vgl. Bauschen, in: Rammel, 1989: 42–46<br />

96 vgl. Günther, 1999<br />

40


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

wurde 1991 eine einstimmig beschlossene Resolution verfaßt, in der „die umfassende<br />

Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache, der Einsatz gehörloser<br />

Pädagogen, die Zusammenarbeit mit den erwachsenen Gehörlosen, die Hereinnahme<br />

der Gebärdensprache in die Lehrerausbildung und die Schaffung von Dolmetscher-Ausbildungsgängen<br />

verlangt wird” 97 . Diese Resolution ist für gehörlose<br />

Kinder bzw. Schülerinnen symbolisch als großer Schritt vorwärts zu sehen. An einer<br />

Umsetzung dieser von den Eltern aufgestellten Forderungen wird jedoch nur<br />

an wenigen Schulen in Deutschland gearbeitet.<br />

Aufgrund der oben beschriebenen schulischen Lebensläufe waren die typischen<br />

Ausbildungsberufe für Gehörlose traditionsgemäß im handwerklichen Bereich zu<br />

finden, da für deren Ausübung nur wenig Kommunikation vonnöten ist. 98 Alles<br />

andere schien den Beteiligten unmöglich. So berichtet eine Probandin von ihrem<br />

Vater, der gesagt habe: „Du mußt nun mal Schneiderin werden. Alles andere geht<br />

nicht. Du hörst doch nichts.” 99<br />

Die angeführten Berufe meiner Probandinnen und deren Klassenkameradinnen<br />

spiegeln diese Situation wider. Für die 1950er/1960er Jahre wurden Schneiderin,<br />

Tischlerin, Schuhmacherin, Malerin, Bandagistin, Optikerin, Buchbinderin und<br />

Gärtnerin als typische Ausbildungsberufe angegeben. Für die 1970er Jahre kommen<br />

zu den Angaben Lackiererin, Feinmechanikerin, Zahntechnikerin, Medizinisch<br />

Technische Assistentin, Bauzeichnerin und Technische Zeichnerin hinzu,<br />

sowie Verwaltungsangestellte und Computerfachkraft. Und eine neuere Entwicklung<br />

etwa ab den 1980er/1990er Jahren sind Berufe wie: Elektrikerin und Vermessungstechnikerin.<br />

100<br />

Andere Berufe für Gehörlose sind in den Vorstellungen der Pädagoginnen so gut<br />

wie nicht vorhanden. Und auch bei den Ämtern ist hinsichtlich der Bewilligung<br />

von Geldern für den Dolmetsch-Service bei Berufsausbildungen ein Umdenken<br />

vonnöten, da die Tendenz der Berufswahl Gehörloser zunehmend in eine neue<br />

97 George, 1991: 2; Elternverband deutscher Gehörlosenschulen, 1991: 91<br />

98 Diese typischen Ausbildungsberufe lassen sich auch in Berufsbildungszentren mit gehörlosem<br />

Klientel wiederfinden: z. B. Metallbauerin, Industriemechanikerin, Zerspanungsmechanikerin,<br />

Technische Zeichnerin, Damenschneiderin, Malerin und Lackiererin, Hauswirtschafterin - Theodor-Schäfer-Berufsbildungswerk,<br />

1995: o. P.<br />

99 Probandin III: 2<br />

100 vgl. Probandin I: 22; Probandin II: 17; Probandin III: 2; Probandin IV: 6; Probandin V: 5<br />

41


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

Richtung geht. Gehörlose erschließen sich unter anderem durch das Studium an<br />

Universtitäten oder Fachhochschulen eine größere Bandbreite an Berufen.<br />

In direktem Zusammenhang damit steht selbstverständlich auch die Entwicklung<br />

des Berufs der Gebärdensprachdolmetscherin und damit einhergehend die Entwicklung<br />

der Dolmetscheinsätze (siehe Kapitel 4.2).<br />

3.1.3 Die Gebärdensprachgemeinschaft<br />

Gehörlose stellen innerhalb der Gruppe der behinderten Menschen einen Sonderfall<br />

dar. Sie haben aufgrund ihrer Kommunikationsbehinderung ein besonderes<br />

Merkmal: ihre eigene Sprache. Innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft können<br />

sie sich sicher und ungezwungen verständigen. Das Bild der Gehörlosen, die<br />

ein ‚Leben in zwei Welten’ 101 führen, fand Eingang in die fachlichen Diskussionen:<br />

Nun wäre es ein leichtes, zu sagen, die betreffenden Personengruppen seien sehr einfach<br />

der jeweiligen ‚Welt’ zuzuordnen. Beispielsweise gehörten diejenigen gebärdensprachkompetenten<br />

mit relativ wenig bis keinem Hörvermögen der ‚gehörlosen<br />

Welt’ an und diejenigen lautsprachkompetenten mit relativ viel Hörvermögen der<br />

‚hörenden Welt’. In Anbetracht der Tatsache, daß die Gruppe der Gehörlosen jedoch<br />

sehr heterogen ist und sie verschiedenen sozialen Umfeldern mit unterschiedlichen<br />

Erfahrungshorizonten entstammen, ist dem zweifelsohne nicht so. 102<br />

Auch Voit stellt fest, daß im Einzelfall nicht aus der erworbenen Hör- und Sprachfähigkeit<br />

eines gehörlosen oder hochgradig schwerhörigen Menschen auf seine<br />

sprachlich-kulturelle Zuordnungstendenz geschlossen werden kann. 103 Das heißt,<br />

daß es sowohl Menschen gibt, die sich, obgleich gehörlos und voll gebärdensprachkompetent,<br />

vorwiegend in der sogenannten ‚hörenden Welt’ bewegen und<br />

damit zufrieden sind, als auch andere u. U. mit einem Hörrest, die voll lautsprachkompetent<br />

sind, sich im privaten Bereich jedoch hautptsächlich in der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

wohlfühlen und bewegen. Zugehörigkeit <strong>zur</strong> Gebärdensprachgemeinschaft<br />

ist also nicht durch äußerliche Betrachtung bzw. medizinische<br />

Meßwerte und Schulerfolg zu klären. Vielmehr ist das innere<br />

Zugehörigkeitsgefühl ausschlaggebend. 104<br />

Ein wichtiger aber nicht der einzige Aspekt für die Zugehörigkeit ist zweifelsohne<br />

101 Kyle stellt dieses Bild als besonders gewichtigen Aspekt der frühen Äußerungen der Gehörlosenkultur<br />

dar. - vgl. Kyle, 1991: 212<br />

102 Jussen, 1987: 14f<br />

103 vgl. Voit, 1995: 65<br />

104 vgl. Baker/Padden, 1978: 4<br />

42


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

die Sprache. In der hörenden Gesellschaft ist Gebärdensprache allgemein betrachtet<br />

nicht normal, da sie bisher nur von vergleichsweise wenigen Menschen genutzt<br />

wird.<br />

Gehörlose allerdings tun dies, und dieser Umstand ist für ihr Leben alles andere als<br />

trivial. Die Möglichkeit eines kommunikativ gelösten Miteinanders schafft Bindungen<br />

besonderer Qualität und stellt alternative Entfaltungsräume bereit. Der Rückhalt,<br />

den die Gehörlosengemeinschaft gewährt, trägt dazu bei, daß der einzelne Gehörlose<br />

den unabhängig von seinen individuellen lautsprachlichen Fähigkeiten zu erfahrenden<br />

Zumutungen eines Lebens unter Hörenden mit Zuversicht begegnen<br />

kann. 105<br />

Innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft sind Gehörlose somit nicht behindert.<br />

Die Behinderung entsteht nur durch Kommunikationsbarrieren im Austausch mit<br />

der hörenden Gesellschaft. Gerlinde Gerkens, Präsidentin des Deutschen Gehörlosen-Bundes<br />

bestätigt dies, indem sie sagt, daß Gehörlose – insbesondere gehörlose<br />

Frauen – „alltäglich und lebenslang durch Kommunikationsbarrieren in einer<br />

Welt der Hörenden behindert [sind]; in der Welt der Gehörlosen – in der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

– existiert diese Behinderung nicht.” 106 An anderer Stelle<br />

gibt sie an:<br />

Sobald aber die Gehörlosen in der Gehörlosengemeinschaft sind, ist die Belastung<br />

durch Kommunikationsbarrieren in der hörenden Welt wie weggeblasen. In der Gehörlosengemeinschaft<br />

verstehen die Gehörlosen in der Gebärdensprache untereinander<br />

alles. Durch die Gebärdensprache in der Gehörlosengemeinschaft erfahren die<br />

Gehörlosen eine psychische Aufmunterung als Ausgleich zum hindernisreichen Leben<br />

im Zusammenleben mit den Hörenden im Alltag und Beruf. 107<br />

Der zweite wichtige Aspekt der Zugehörigkeit <strong>zur</strong> Gebärdensprachgemeinschaft<br />

sind somit die geteilten negativen Erfahrungen außerhalb der Gemeinschaft und<br />

damit der positive Ausgleich zu diesen Erfahrungen innerhalb derselben.<br />

Gehörlose sind weltweit in einem großen Netzwerk von Verbänden organisiert.<br />

Dieses Netzwerk umfaßt Städte bzw. Regionen (Gehörlosenvereine), Länder<br />

(Landesverbände), Staaten (z. B. der Deutsche Gehörlosen-Bund), Kontinente<br />

(z. B. die European Union of the Deaf (EUD)) und schließlich die ganze Welt<br />

(z. B. die World Federation of the Deaf (WFD)) 108 . Sie stehen im Austausch miteinander<br />

und haben dadurch eine gute Basis für politische Aktivitäten.<br />

105 Heßmann 1995: 82<br />

106 Gerkens, 1996 (b): V (Vorwort)<br />

107 Gerkens, 1996 (b): 3<br />

108 Weitere Mitglieder des Netzwerks sind außerdem Organisationen wie z. B. Wohlfahrtsverbände<br />

u. d. m.<br />

43


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

Die in Kapitel 2 angeführte Konsistenz und Persistenz einer Minorität als Voraussetzung<br />

für erfolgreiche Einflußnahme inmitten der Gesellschaft auf dieselbe ist<br />

somit gegeben. 109<br />

3.1.4 Selbstbewußtsein Gehörloser als sprachliche Minderheit<br />

<strong>Eine</strong> logische Entwicklung, die sich durch den starken Einfluß der hörenden<br />

Mehrheit bzw. durch den Oralismus an deutschen Schulen vollzog, war, daß das<br />

Gebärden oder „Plaudern”, wie es genannt wurde und teilweise noch heute von<br />

der älteren Generation der Gehörlosen wird 110 , zum großen Teil auch von den Gehörlosen<br />

negativ besetzt war. Durch das Gebärden-Verbot in der Schule, welches<br />

bei Verstoß früher mit Schlägen auf die Hände geahndet wurde 111 , wurde DGS<br />

lange Zeit nur heimlich bzw. im privaten Bereich zu Hause oder unter Freunden<br />

verwendet.<br />

Gebärden wurden auch in der Öffentlichkeit weitestgehend vermieden, weil die<br />

Gebärdenden sich andernfalls Diskriminierungen ausgesetzt sahen. 112 Da die hörenden<br />

Vorbilder (Lehrerinnen und Eltern) Gebärden als schlecht bezeichneten,<br />

war die Meinung, daß Gebärden schlecht seien allgemein verbreitet. Mit ihrer Benutzung<br />

ging die Auffassung einher, daß man dumm sei, wenn man auf Gebärden<br />

<strong>zur</strong>ückgreife, da nur diejenigen Gebärden benutzten, die es mit dem Sprechen<br />

nicht geschafft hätten. Im allgemeinen wurden die Hörenden und damit das Sprechen<br />

als vorbildlich postuliert. So erzählt auch eine Probandin aus ihrer Kindheit:<br />

Gehörlose wurden irgendwie immer schief angesehen. Und auch ich habe mehr zu<br />

den Hörenden geschaut. Da ist alles gut und richtig. So wurde uns das auch eingegeben.<br />

Und dasselbe war bei anderen Gehörlosen: Selbständig auftreten, Ellenbogen<br />

gebrauchen, das gab es kaum. [...] Daß wir immer klein beigeben ... Ohren <strong>zur</strong>ücklegen,<br />

so bin ich selber erzogen worden. 113<br />

Ein negatives Bild, das von außen auf eine bestimmte Gruppe projiziert wird,<br />

führt häufig dazu, daß diese Gruppe sich umso stärker zusammenfindet. Bei den<br />

109 vgl. Kapitel 2: 31<br />

110 vgl. Probandin I: 21; Probandin II: 15; Probandin III: 10; Probandin IV: 5; Probandin V: 5<br />

111 „[G]ehauen wurde [in meiner Schulzeit] nicht mehr, aber es gab Druck. ‚Hier in der Klasse<br />

wird nicht gebärdet. Außerhalb kannst du es machen, aber hier störst du die Klasse.’ [...] Nein, das<br />

hat meine Mutter damals noch erlebt, als sie <strong>zur</strong> Schule ging [1940/50er Jahre]. Da gab es noch<br />

den Rohrstock, um das Gebärden-Verbot zu maßregeln. Bei uns war das so, wenn der Lehrer gerade<br />

etwas an die Tafel geschrieben hat, haben wir Schüler immer gebärdet. Oder ich bin aufgestanden<br />

und habe mich unterhalten. Ich war halt immer als Erste fertig.” - Probandin IV: 16f<br />

112 vgl. Probandin III: 9<br />

113 Probandin I: 23<br />

44


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Gehörlosen war es lange Zeit auch dieses negative Bild der Gesellschaft, das die<br />

Mitglieder der Gebärdensprachgemeinschaft zusammenschweißte. Sie teilten<br />

nicht nur gemeinsam den von der hörenden Mehrheitsgesellschaft bestimmten<br />

Status, behindert zu sein, sondern hatten jede auch Erfahrungen mit öffentlichen<br />

Demütigungen und Diskriminierungen aufgrund ihrer Sprache und Kommunikationsschwierigkeiten<br />

im Umgang mit Hörenden. Lane, Hoffmeister & Bahan beschreiben<br />

das als eine von vier Eigenschaften einer Minderheit, die sämtlich auf<br />

die US-amerikanischen Gehörlosen zutreffen. 114 Für die deutschen Gehörlosen ist<br />

ebenfalls davon auszugehen. Auch Kyle bestätigt den Minderheitenstatus:<br />

[Gehörlose] funktionieren wie eine Minderheitengruppe. Die Geschichte der Gehörlosen<br />

ist durch den Druck <strong>zur</strong> ‚Abschaffung von Gehörlosigkeit’ und ‚Normalisierung’<br />

durch orale Sprache gekennzeichnet. 115<br />

Von einer Zugehörigkeit zu einer sprachlichen Minderheit ist unter den Gehörlosen<br />

selbst dennoch relativ spät die Rede, da ein Bewußtsein für DGS als Sprache<br />

lange Zeit so gut wie nicht vorhanden war. Mally bestätigt dies mit folgender<br />

Aussage:<br />

[D]amals [Ende der 1970er Jahre, zu Beginn der ersten Gebärdenkurse] haben weder<br />

die Gehörlosen noch ich gewusst, dass es sich bei der Gebärdensprache wirklich um<br />

eine Sprache handelt. [...] 1985 hat [in Hamburg] der erste Gebärdenkongress stattgefunden,<br />

und dort wurde zum ersten Mal öffentlich gesagt, dass die Gehörlosen eine<br />

eigene Sprache haben. Ich war bei diesem Kongress dabei und für mich war das<br />

damals wirklich ganz was Neues. Ich hatte auch das Wort noch nie gehört, was heißt<br />

das denn: eigenständige Sprache? Dieser Kongress war für mich wirklich der Durchbruch.<br />

[...] Vorher hatte man ja gar kein Bewusstsein von Identität. 116<br />

Durch Einflüsse aus den USA, wo Forschungsarbeit, Veröffentlichungen und persönliches<br />

Engagement von Stokoe 117 zu einer „breiten Akzeptanz der Vorstellung<br />

geführt [haben], dass ASL eine angemessene Sprache <strong>zur</strong> Unterrichtung gehörloser<br />

Schüler und Studenten und sogar eine geeignete Zweitsprache für hörende<br />

Schüler und Studenten an den amerikanischen High Schools und Universitäten<br />

ist” 118 , und durch andere nationale und internationale Forschungen entstand dann<br />

allmählich auch hierzulande ein zunehmendes Bewußtsein der jüngeren Generation<br />

für DGS als eigenständige Sprache, die ihren Platz in der Öffentlichkeit hat.<br />

114 vgl. Kapitel 2: 30<br />

115 Kyle, 1990: 205<br />

116 Mally, 2001: 545f<br />

117 William C. Stokoe Jr. (1919-2000) verfaßte 1960 Sign Language Structure; eine Skizze, in<br />

welcher er die Strukturen der Amerikanischen Gebärdensprache (American Sign Language (ASL))<br />

als denen der Lautsprache (Englisch) vergleichbar ansieht.<br />

118 I. King Jordan, 2000: 185<br />

45


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

So bestätigt auch eine Probandin: „Ja. Und durch die neuere Entwicklung: mehr<br />

Selbstbewußtsein durch Gebärden, Kompetenz zeigen und so, da hat sich viel<br />

getan, viel geändert bei den Gehörlosen, bei den jüngeren, ja.” 119<br />

Innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft gibt es so eine Spaltung. Denn viele<br />

Gehörlose der älteren Generation finden den Umstand, daß die DGS eine mit der<br />

Lautsprache vergleichbare, eigenständige Sprache sei, noch befremdlich. Für die<br />

jüngeren hingegen ist es eine Selbstverständlichkeit. Festmachen läßt sich dieser<br />

Umstand an den bereits oben erwähnten Begriffen: Während in den 1960er/<br />

1970er Jahren hauptsächlich der Begriff ‚plaudern’ für gebärdensprachliche Kommunikation<br />

verwendet wurde, hat sich mit zunehmendem Selbstbewußtsein der<br />

Name DGS durchgesetzt. 120 Ein anderer Begriff, der ebenfalls der älteren Generation<br />

der Gehörlosen zuzuordnen ist, ist ‚Schicksalsgemeinschaft’. Er wurde ersetzt<br />

durch die Ausdrücke ‚Solidargemeinschaft der Gehörlosen’ 121 oder<br />

‚Gehörlosengemeinschaft’ 122 sowie ‚Gebärdensprachgemeinschaft’. Letzterer<br />

impliziert ausdrücklich die vielen Schwerhörigen, die sich gebärdensprachlich<br />

ausdrücken können und sich nicht nur der Sprachgemeinschaft zugehörig fühlen,<br />

sondern von den Gehörlosen auch als eine der ihren angesehen werden. 123<br />

Auch der Begriff ‚taubstumm’ wurde seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

als verfälschend erachtet, und mit dem Bewußtsein: „Wir sind nicht stumm, wir<br />

haben eine Sprache” 124 hat sich ‚gehörlos’ als Bezeichnung in der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

durchgesetzt.<br />

In den folgenden Ausführungen soll anhand der Bremer Situation exemplarisch<br />

aufgezeigt werden, in welches soziale Vereinsgefüge Gehörlose eingebunden sein<br />

können. Der Bezug erfolgt hier weitestgehend auf die Stadt Bremen. In der Stadt<br />

Bremerhaven gibt es weitere Vereine, die wie ihre Zwillinge in der Stadt Bremen<br />

gleiche Interessen verfolgen, sich jedoch sinnvollerweise in räumlicher Nähe zu<br />

den Mitgliedern etabliert haben. Auch die Bremerhavener Vereine sind im LV<br />

Bremen (Kapitel 3.2.2) organisiert.<br />

119 Probandin I: 24<br />

120 vgl. Probandin I: 21; Probandin II: 15; Probandin III: 10; Probandin IV: 5f und Probandin V: 5<br />

121 Maisch/Wisch, 1987: 49<br />

122 vgl. Probandin II: 16; Probandin IV: 6<br />

123 vgl. Probandin V: 5<br />

124 Probandin I: 21<br />

46


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

3.2 Zur Situation gehörloser Menschen in Bremen<br />

Die Gebärdensprachgemeinschaft in Bremen, zu denen die Mitglieder des Landesverbandes<br />

Bremen bzw. die Mitglieder der ihm angeschlossenen Vereine zählen,<br />

ist in einem Netz von Gruppen und Vereinen organisiert. Es sei an dieser Stelle<br />

darauf hingewiesen, daß die Bremer Vereinslandschaft im Gehörlosenbereich wie<br />

oben erwähnt nicht isoliert zu betrachten ist. Die Vertreterinnen der Vereine sind<br />

in anderen Behindertenverbänden sowohl regional (z. B. in der Landesarbeitsgemeinschaft<br />

‚Hilfe für Behinderte’) als auch deutschlandweit (z. B. im Deutschen<br />

Paritätischen Wohlfahrtsverband) vertreten, die von ihnen aktiv unterstützt werden<br />

und von denen sie Unterstützung erfahren 125 :<br />

Wir haben bei den Behinderten immer gesagt, wir kämpfen gemeinsam. Das bedeutet,<br />

daß wir deren Interessen, die Interessen der Blinden auch mit unterstützt haben<br />

und die Interessen der Körperbehinderten beim Hauptbahnhofumbau [Einsetzen für<br />

einen barrierefreien Hauptbahnhof mit Blindenleitsystem, Faxmöglichkeit (etc.) 126 ],<br />

obwohl wir mit dem Bau nicht viel zu tun haben, aber auf der anderen Seite: Die Behinderten<br />

haben auch unsere Forderungen, nach der [fest eingerichteten] Stelle [für<br />

die Dolmetscherinnen-Vermittlung] vom Landesverband und nach der Anerkennung<br />

der Gebärdensprache mit unterstützt. So ist die Zusammenarbeit bis jetzt immer<br />

gewesen. 127<br />

Der Großteil der Mitglieder ist im sportlichen Bereich organisiert. Den Landes-<br />

Gehörlosen-Sportverband Bremen e. V. gibt es seit 1920. In Bremen gab und gibt<br />

es phasenweise viele verschiedene Mannschaften in den Abteilungen: Fußball,<br />

Schach, Kegeln, Basketball, Motorsport, Schwimmen, Wasserball, Tischtennis,<br />

Darts, Volleyball, Badminton, Judo, Bowling und Gymnastik für Frauen, Männer<br />

und „Ältere”. 128<br />

Des weiteren ist der Bremer Gehörlosen-Angelclub angeschlossen.<br />

Die Mitgliederzahl wurde in der Statistik für das Jahr 2001 mit 187 angegeben.<br />

129<br />

Über sportliche Aktivitäten findet Ausgleich, sozialer Austausch und Kommunikation<br />

ganz allgemein statt. Die Motivation dabei ist ein Miteinander im sportlichen<br />

Wettstreit über regionale Grenzen hinweg. Dazu gehören auch Fahrten und<br />

Treffen mit sportbegeisterten Gehörlosen in ganz Deutschland und darüber hi-<br />

125 vgl. Probandin I: 6<br />

126 Informations-Blatt, Dezember 2001/Januar 2002: 1<br />

127 Probandin I: 6; siehe auch Informations-Blatt, Juni 2001: 3 - im Zusammenhang mit der Streichung<br />

des Landespflegegeldes für blinde und sehbehinderte Menschen: „Zusammenschluß und<br />

Solidarität mit anderen Behindertenverbänden in Bremen”<br />

128 Informations-Blatt, 1974–2003, Veranstaltungsankündigungen (Trainingszeiten)<br />

129 Statistik des Deutschen Gehörlosensportverbands, in: Deutsche Gehörlosen-Zeitung, Mai<br />

2002: 144<br />

47


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

naus. 130 Durch erwachsene Vorbilder in den Jugendabteilungen wird Nachwuchs<br />

auch für andere Vereinsbereiche gefördert. Denn viele heute politisch aktive Gehörlose<br />

haben den Einstieg über den Sport gefunden. 131<br />

Aber auch andere Gruppen wie z. B. Skat- und Romméclub, Hausfrauentreff,<br />

Mutter-und-Kind-Gruppe, Seniorentreffen etc. 132 gehören <strong>zur</strong> festen Einrichtung<br />

mit regelmäßigen Treffen und bilden somit einen großen Mitgliederstamm.<br />

3.2.1 Bremer Vereine<br />

Bestimmend für die Vereinsmitgliedschaft ist oft der persönliche Lebensweg, d. h.<br />

welche Schule besucht wurde oder welchem Verein andere Familienmitglieder<br />

angehören, und der Wohnort. Es gibt auch Gehörlose, die aufgrund der räumlichen<br />

Nähe Bremen zuzuordnen wären, aber aus unterschiedlichen Gründen andere<br />

Vereine im Umland vorziehen. Als ein möglicher Grund dafür wurde geäußert,<br />

daß es für die betreffenden Personen nicht einfach wäre, in fortgeschrittenem Alter<br />

in die Bremer Vereinsstrukturen hineinzuwachsen, da es sich um eine relativ<br />

feste Gemeinschaft handele. 133<br />

Im folgenden werden einige der großen Vereine der Bremer Gehörlosenszene näher<br />

vorgestellt, da sich anhand ihrer die Geschichte und damit die Entwicklung<br />

des Gefüges der Gebärdensprachgemeinschaft darstellen läßt. Die weiter oben beschriebenen<br />

sportlichen Abteilungen lasse ich bei meinen Beschreibungen unberücksichtigt,<br />

da sie zwar von der Menge der Mitglieder her wichtig sind, jedoch<br />

im politischen Bereich nur eine untergeordnete Rolle spielen.<br />

Die Vereine werden chronologisch nach Gründungsdatum aufgeführt.<br />

130 Gehörlose veranstalten eigene Landes-, Europa-, Weltmeisterschaften (die letzten Weltspiele<br />

(Deaflympics) fanden im Sommer 2001 in Rom statt) unabhängig von anderen sportlichen Geschehen<br />

oder Behindertensportveranstaltungen.<br />

131 vgl. Probandin I: 1<br />

132 vgl. Kapitel 3.2.2 und 3.2.3<br />

133 gehörloser Bremer, 2003<br />

48


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

3.2.1.1 Allgemeiner Taubstummenverein zu Bremen<br />

Der Allgemeine Taubstummenverein e. V. wurde 1905 in Bremen gegründet 134 .<br />

Bis zu seiner Auflösung im Jahre 1999 zählte er zu den ältesten Gehörlosen-Vereinen<br />

in Deutschland.<br />

Die Situation für Gehörlose zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war derart,<br />

daß ihnen nur einige wenige Handwerksberufe zugänglich waren, es keinen Gottesdienst<br />

für Gehörlose gab und ihnen auch keinerlei Hilfen bei rechtlichen Auseinandersetzungen<br />

<strong>zur</strong> Verfügung standen. Wie auch das Gründungsprotokoll<br />

dokumentiert, wurde der Verein ursprünglich gegründet, um den Gehörlosen vor<br />

diesem Hintergrund eine Stätte der Begegnung zu bieten:<br />

Der Verein pflegt ja auch die beste Zusammenkunft der Taubstummen zu bieten,<br />

denn es ist doch kein Vergnügen, wenn Taustumme [sic] stets allein sind. [...] Sind<br />

doch sozusagen die Taubstummen eine Familie für sich, da sie sich nur unter ihresgleichen<br />

am Glücklichsten und Vergnügsten fühlen, besonders durch die Gebärdensprache.<br />

135<br />

In seiner Blütezeit zählte der Verein rund 300 Mitglieder und hat u. a. auch als<br />

„Eheinstitut” 136 gedient. Ohne Gelder aus öffentlicher Hand übernahm er später<br />

u. a. beratende Aufgaben in der Sozialpolitik und bot mit einer kleinen Reisegruppe<br />

die Gelegenheit für Ausflüge, deren Kosten der Verein weitesgehend übernahm,<br />

da seinen Mitgliedern – zumeist ältere Frauen und Männer – die Mittel dafür<br />

fehlten. Gebärdensprachkundige Reisebegleiterin und Mitbegründerin der Reisegruppe<br />

war die Enkelin des damaligen Vorsitzenden. 137<br />

Die Mitglieder des Taubstummenvereins trafen sich über Jahre hinweg einmal im<br />

Monat. 138 Auf diesen Sitzungen in öffentlichen Lokalen wurden „dringende berufliche<br />

und private Sorgen” 139 besprochen.<br />

Der Verein hat in seiner langjährigen Vereinsgeschichte einige Male seinen Namen<br />

gewechselt 140 :<br />

1905- 1933: Allgemeiner Taubstummen-Verein zu Bremen<br />

1934-1945: Reichsverband der Gehörlosen Deutschlands e. V.<br />

- Ortsbund Bremen -<br />

1946-1964: Allgemeiner Gehörlosen-Verein zu Bremen (gegr. 1905)<br />

134 vgl. Allgemeines Taubstummen-Kalender-Handbuch, 1924/25: 67<br />

135 Gründungsprotokoll des Allgemeinen Taubstummen-Vereins zu Bremen, 1905: 1f<br />

136 Bremer Nachrichten, 1970: 5<br />

137 vgl. Weser-Kurier, 1970: 12<br />

138 In Ermangelung noch lebender ehemaliger Mitglieder beziehe ich mich auf die erhaltenen Protokolle<br />

der Versammlungen, Dokumente des letzten Vorsitzenden und Veranstaltungsankündigungen<br />

des ‚Informationsblatts’ vom Gehörlosenfreizeitheim Bremen e. V.<br />

139 Gründungsprotokoll des Allgemeinen Taubstummen-Vereins zu Bremen, 1905: 3<br />

140 vgl. Borchardt, 1994: o. P.<br />

49


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

1965-1991: Landesverband der Gehörlosen des Landes Bremen e. V.<br />

- Ortsbund Bremen (gegr. 1905) -<br />

1992-1999: Gehörlosenverein Bremen (gegr. 1905)<br />

Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten des Bundeslandes Bremen gab es zwei<br />

Vereine, den Ortsbund Bremen und den Ortsbund Bremerhaven, die sich im Jahre<br />

1960 zusammenschlossen. Kurze Zeit später, am 13. Mai 1961, wurde eine erste<br />

Satzung für den Landesverband der Gehörlosen des Landes Bremen entworfen,<br />

die einen Monat später auf der abgehaltenen Generalversammlung einstimmig beschlossen<br />

wurde.<br />

Bereits im Jahre 1970 auf der 65-jährigen Jubiläumsfeier des Ortsbundes klagte<br />

der erste Vorsitzende über Nachwuchssorgen, da die älteren Gehörlosen zwar in<br />

diesem Verein eine Heimat gefunden hätten, nicht jedoch die Jugend. Daher sei<br />

der größte Wunsch der Bau eines Vereinsheims, der als „Stätte der Entspannung<br />

und Erholung” 141 auch einen Anreiz für die Jugend schaffen könne.<br />

Der Gehörlosenverein wurde schließlich aufgrund mangelnden Nachwuchses, sinkender<br />

Mitgliederzahlen (Mitglieder schieden meist durch Tod aus) und Überalterung<br />

des Vorstands aufgelöst. Der Nachwuchsmangel läßt sich vor allem dadurch<br />

begründen, daß es in Bremen einen Zusammenschluß aller Vereine gab. 142<br />

Als Mitglied eines Vereines gehört man demnach automatisch dem Gefüge des<br />

Landesverbands an (vgl. Kapitel 3.2.2) und hatte dadurch einen mehr oder weniger<br />

ausgeprägten Anschluß an die übrigen Vereine, ohne in letzteren Mitglied zu<br />

sein.<br />

3.2.1.2 Der Landesverband der Gehörlosen Bremen e. V.<br />

Der Landesverband der Gehörlosen Bremen e. V. wurde im Jahr 1961 durch den<br />

Zusammenschluß der Ortsbunde Bremen und Bremerhaven gegründet und 1963<br />

in das Vereinsregister eingetragen. 143 Die Vorsitzenden des neugegründeten Landesverbands<br />

waren zugleich die Vorsitzenden der beiden Ortsbunde. 144<br />

Der Verband dient als Dachverband für die unterschiedlichen Vereine, in denen<br />

sich Bremer Gehörlose und Gehörlose aus den Einzugsgebieten Bremens und Bre-<br />

141 Bremer Nachrichten, 1970: 5<br />

142 vgl. Probandin I: 1<br />

143 Vereinsregister des Amtsgerichts Bremen, Blatt 2883, 1963<br />

144 vgl. Borchardt, 1994: o. P.<br />

50


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

merhavens organisiert haben und stellt die Repräsentantinnen und <strong>Verbindung</strong>spersonen<br />

zu den anderen Behindertenverbänden.<br />

Mitgliedsvereine waren bzw. sind heute:<br />

- Gehörlosenverein (1905-1999)<br />

- Gehörlosen-Verein zu Bremerhaven (gegr. 1899)<br />

- Foto- und Filmclub (gegr. 1970) später (1982) umbenannt in: Bremer<br />

Gehörlosen Film- und Wanderfreunde<br />

- Seniorentreffen (seit 1977)<br />

- Heimatverein (Gemeinschaft der Heimatvertriebenen der Gehörlosen<br />

Bremens und Umgebung (gegr. 1958))<br />

- Bremer Gehörlosen-Skat- und Rommé-Club (gegr. 1984)<br />

- Landesskatvereinigung Bremen (gegr. Dez 1995/Jan ’96)<br />

- Landes-Gehörlosen-Sportverband Bremen e. V. (gegr. 1920) mit<br />

Jugendabteilung<br />

- Freizeitheim e. V. (gegr. 1976)<br />

Wie die anderen Gehörlosen-Landesverbände in Deutschland 145 ist auch der Landesverband<br />

Bremen Mitglied im Deutschen Gehörlosen-Bund (DGB) und darüber<br />

auch Mitglied in der Deutschen Gesellschaft <strong>zur</strong> Förderung der Gehörlosen und<br />

Schwerhörigen.<br />

Die langjährige Vorsitzende Käthe George (seit Februar 1981 Vorstandsvorsitzende)<br />

ist mit den aktiven Vorstandsmitgliedern Vorreiterin bei den politischen<br />

Aktivitäten des Verbands. 146 Folgende Aktivitäten seien hier beispielhaft genannt:<br />

- Bitte beim Sender Radio Bremen nach mehr Untertitelung ihres TV-<br />

Angebots; 147<br />

- Forderung nach Gleichbehandlung aller Sinnesgeschädigten; regionale<br />

Umsetzung der Protestaktion des Deutschen Gehörlosen-Bunds gegen<br />

die vom Gesetzgeber geplante Streichung der Freifahrt; 148<br />

- Mitorganisation und über zehnjährige Beteiligung am Protesttag der<br />

Behinderten in Bremen mit Forderung nach Anerkennung der Gebärdensprache<br />

und Forderung eines Landesgleichstellungsgesetzes; 149<br />

- ständiger Protest und Einsatz gegen die Kürzungen der Zuwendungen<br />

durch den Senat und Forderung nach einer hauptamtlichen Kraft für<br />

Dolmetscher-Vermittlung. 150<br />

145 vgl. http://www. gehoerlosen-bund.de/uebersicht/mitgliedsverbaende/<br />

146 Der Ursprung der politischen Aktivitäten kam nicht von Anfang an vom Landesverband. Vielmehr<br />

bildete sich im Freizeitheim-Verein eine engagierte Gruppe, die die von ihr formulierten Forderungen<br />

aus Gründen der politisch besseren Repräsentanz an die Vertreter des Landesverbands<br />

weitergab. Sehr bald verschmolzen die Vorstände beider Vereine nahezu zu einer Personalunion.<br />

147 Informations-Blatt, April 1982<br />

148 Informations-Blatt, Oktober 1983<br />

149 Informations-Blatt, April/Mai 1994; vgl. Probandin I: 6<br />

150 Informations-Blatt, März 2000: 1<br />

51


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

Diese aktive Spitze hat ehrenamtlich mit konstantem Einsatz und in nahezu<br />

gleichbleibender Besetzung über viele Jahre viel für die Verbesserung der Lebensumstände<br />

der Gehörlosen Bremens bewirkt. Die Basis der Mitglieder der angeschlossenen<br />

Vereine ist dankbar für die Ergebnisse, verbleibt in bezug auf diese<br />

Aktivitäten jedoch größtenteils passiv, wenn sie überhaupt über die jeweils aktuellen<br />

Geschehnisse und Planungen innerhalb des Vorstands informiert ist. Die dadurch<br />

entstehende Arbeitsakkumulation auf nur wenige Personen führt zu einer<br />

hohen Belastung der Vorstandsmitglieder bei gleichzeitiger Nachwuchssorge. Die<br />

Mehrheit der Vorstandsmitglieder befindet sich im Ruhestand 151 , und die<br />

Gehörlosen, die sich bereits engagieren bzw. in einem der an den LV Bremen<br />

angeschlossenen Vereine aktiv sind und für eine Vorstandstätigkeit in Frage<br />

kämen, stellen sich die Frage, wie sie Beruf, Familie und Landesverbandstätigkeit<br />

miteinander vereinbaren können. Sie entscheiden sich dann meistens dagegen,<br />

sich in den Vorstand wählen zu lassen. 152<br />

Ohne das große ehrenamtliche Engagement wäre eine Verbandsarbeit, wie sie in<br />

Bremen zu sehen ist, nicht möglich. Trotzdem benötigt der Landesverband neben<br />

den Mitgliedsbeiträgen weitere finanzielle Mittel, um seine Ziele verfolgen zu<br />

können. In einigen Bereichen erhält er daher Unterstützung durch die Stadt Bremen:<br />

Die Gehörlosen können bis zum Jahre 2030 das Freizeitheim mietfrei nutzen.<br />

Sie müssen lediglich für die Verbrauchskosten aufkommen und sind dazu<br />

verpflichtet, das Gebäude – eine Altbremer Villa – instand zu halten. Dazu gehören<br />

regelmäßige Kosten für Renovierungs- und Reparaturarbeiten, die der Landesverband<br />

trägt. 153 Darüber hinaus erhält der Landesverband jährliche Zuwendungen<br />

aus Wettmitteln von der Stadt Bremen, mit denen Veranstaltungen wie<br />

z. B. das Kommunikationsforum (Kapitel 3.2.3.1) und Dolmetschkosten für bestimmte<br />

Bereiche des außergewöhnlichen Bedarfs 154 , die nicht von anderen Trägern<br />

übernommen werden, finanziell getragen werden.<br />

151 Das hat den Vorteil, daß der Landesverband so auch in Gremien vertreten sein kann, die sich<br />

an Vormittagen treffen. - vgl. Probandin I: 5<br />

152 vgl. Probandin I: 11<br />

153 vgl. Probandin I: 8<br />

154 Dazu zählen Ereignisse wie Taufe, Kommunion/Konfirmation, Heirat, Beerdigung, Eigentümerversammlungen,<br />

Rechtsberatung etc. und in begrenztem Maße auch Freizeitaktivitäten, so sie<br />

mehr als einer gehörlosen Person zugute kommen.<br />

52


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Zu einer in<strong>zwischen</strong> festen Institution zählen die zumeist von Landesverbandsmitgliedern<br />

angebotenen, sehr vielfältigen Weiterbildungen. Mittlerweile werden alle<br />

Kurse unter Einsatz von Gebärden durchgeführt – entweder durch die Dozentinnen<br />

selbst oder durch Bereitstellung von Gebärdensprachdolmetscherinnen. Einige<br />

der in Zusammenarbeit mit der Bremer Volkshochschule (VHS) angebotenen<br />

Kurse seien hier beispielhaft erwähnt 155 :<br />

- Gebärden(sprach)kurse (diese Kurse haben im Laufe der Zeit eine inhaltliche<br />

Entwicklung erfahren und zwar vom anfänglichen Lehren von<br />

LBG hin <strong>zur</strong> Lehre der DGS);<br />

- Teilnahme am politischen Tagesgeschehen (Beschäftigung mit Nachrichten<br />

aus Zeitung und Fernsehen);<br />

- Erste-Hilfe-Kurse,<br />

- Hobbykurse: Fotographie, Makramee, Kosmetik, Aquarell-Malerei,<br />

Kochen und Basteln etc.;<br />

- Deutschkurse (z. B. mit dem Thema Schreibtelefon: Wie schreibe ich<br />

eine Mitteilung schnell, um Gebühren zu sparen? etc.);<br />

- Computerkurse.<br />

Diese Angebote stellen neben dem KOFO nicht nur <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und<br />

Hörenden im allgemeinen einen weiteren möglichen Berührungspunkt dar, sondern<br />

auch <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Gebärdensprachdolmetscherinnen.<br />

Der Landesverband als Dachorganisation steht, wie oben erwähnt, u. a. dem Verein<br />

des Freizeitheimes vor. Dieser Verein, der eine zentrale Institution im kulturellen<br />

Leben der Gehörlosengemeinschaft darstellt, ist Dreh- und Angelpunkt der<br />

Gehörlosen in Bremen. Er ist in seiner Entwicklung so eng mit dem Landesverband<br />

verwoben, daß beider Entwicklung unmöglich voneinander getrennt betrachtet<br />

werden kann. Sie steht repräsentativ für die Entwicklung der Bremer Gebärdensprachgemeinschaft.<br />

3.2.1.3 Das Freizeitheim und der Freizeitheim-Verein<br />

Das Gebäude des Freizeitheims in Bremen war ursprünglich eine Dependance der<br />

Bremer Schule für Hörgeschädigte. Das Land Bremen hat im Jahr 1978 156 den<br />

Gehörlosen hier erstmals Räumlichkeiten <strong>zur</strong> Verfügung gestellt. Hierfür hatten<br />

sich Vertreterinnen der damaligen Vereine der Gehörlosen, Eltern hörgeschädigter<br />

Schülerinnen der Schule an der Marcusallee und Hörgeschädigtenpädagoginnen<br />

155 vgl. Informations-Blatt des Gehörlosenfreizeitheims Bremen e. V., 1979-2003<br />

156 vgl. Informations-Blatt, Mai 1979: 1<br />

53


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

1976 in einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen und sich für den<br />

langgehegten Wunsch eines Freizeitheims für die Gehörlosen Bremens eingesetzt.<br />

157 Bis zu jenem Zeitpunkt war in den 1960er Jahren beispielsweise die Kirche<br />

ein Gehörlosen-Treffpunkt gewesen oder die einzelnen Vereine und Gruppierungen<br />

der Gehörlosen trafen sich in unterschiedlichen Lokalen Bremens. 158 Verschiedene<br />

Berichte legen Zeugnis davon ab, daß die Zusammenkünfte in öffentlichen<br />

Lokalen oftmals mit Diskriminierungen verbunden waren. 159 Somit war der<br />

Wunsch nach eigenen Räumen naheliegend. Um den Jugendlichen in ihrer Freizeit<br />

einen Abstand vom Schulalltag zu ermöglichen, sollten sie nicht der Schule<br />

angegliedert sein.<br />

Um ihr Ziel zu verwirklichen, luden die Beteiligten am Tag der Gehörlosen Politikerinnen<br />

und Behördenleiterinnen zu einer Gesprächsrunde ein. 160 Das war nicht<br />

das erste Mal, wie eine Beteiligte erzählt:<br />

Politiker haben wir oft eingeladen – schon vor der Gründung mit dem Freizeitheim<br />

1976 – haben wir schon Politiker eingeladen, um sie überzeugen zu können, daß wir<br />

Gehörlosen ein Freizeitheim brauchen. 161<br />

Nach mehreren Vorschlägen des Senats gegenüber der Interessengemeinschaft<br />

setzten die Gehörlosen sich schließlich für die ehemalige Hausmeisterwohnung<br />

ein, die sich im Nebengebäude des großen Schulgebäudes der Dependance auf<br />

demselben Grundstück befand. 162 Zunächst waren sie auf die Räumlichkeiten der<br />

kleinen Hausmeisterwohnung als Treffpunkt beschränkt und konnten für Feierlichkeiten<br />

eine kleine Turnhalle nutzen, die ebenfalls auf dem Grundstück stand.<br />

Heute hat der Verein seinen Sitz in den Räumlichkeiten des Hauptgebäudes und<br />

beherbergt neben den anderen Vereinen des Landesverbands auch den Beruflichen<br />

Fachdienst für Hörgeschädigte, sowie die Dolmetscher-Vermittlungszentrale<br />

mit angeschlossener Beratungsstelle für Gehörlose und verfügt über einen großen<br />

Saal, der in Eigenarbeit der Vereinsmitglieder angebaut und 1993 eingeweiht werden<br />

konnte. 163<br />

157 vgl. Probandin I: 7<br />

158 vgl. Probandin VIII: 21<br />

159 z. B. Informations-Blatt, März 1984: 2<br />

160 Informations-Blatt, November 1990: 1<br />

161 Probandin I: 6<br />

162 vgl. Probandin I: 8<br />

163 Informations-Blatt Oktober 1991: 1; Informations-Blatt November 1991: 1<br />

54


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Die engagierte Gruppe der Interessenvertretung, die dann in den Freizeitheim-<br />

Verein überging, war anfänglich vor allen Dingen in der Außenwirkung viel aktiver<br />

als die Vertreterinnen des Landesverbandes. Da dieser jedoch bis heute die<br />

offizielle Vertretung der Gehörlosen in Bremen darstellt, wurden die vom Freizeitheim<br />

formulierten Forderungen nach und nach an die Vertreterinnen des Landesverbands<br />

weitergegeben, um so eine solidarische Einheit zu demonstrieren.<br />

Die Arbeit der Gruppe erfuhr unter den Gehörlosen eine hohe Wertschätzung. Das<br />

äußerte sich u. a. auch in der erfolgreichen Wahl der gehörlosen Interessenvertretungsmitglieder<br />

in den Vorstand des Landesverbands:<br />

[W]ir haben auch viel Gewicht gelegt auf das Freizeitheim, muß ich zugeben, weil<br />

der Vorstand des Landesverbandes damals [...] schwach war, habe ich immer die<br />

Zusamenarbeit mit dem Freizeitheim gesucht und wir haben Sitzungen meistens zusammen<br />

abgehalten. Da waren ganz oft [thematische] Überschneidungen. Und wir<br />

haben im Freizeitheim mehr geleistet, [...] [d]aß wir nach außen hin immer mehr als<br />

Freizeitheim aufgetreten sind. Aber später ist uns auch bewußt geworden, daß wir<br />

auch kämpfen müssen um Mittel. Der Landesverband muß Priorität haben. Alles Politische,<br />

Fragen beantworten, mit Dolmetschern und so weiter; das paßte nicht [zum<br />

Namen ‚Freizeitheim’]. Wir waren ja allen bekannt als Freizeitheim und das mußten<br />

wir ändern. Und jetzt ist es so und vielen bewußt: der Landesverband hat das Sagen.<br />

Das Freizeitheim ist nur Mitglied im Landesverband. 164<br />

Die Vorstandssitzungen des Landesverbandes und des Freizeitheims finden<br />

gleichzeitig statt. Das hat zum einen personelle Gründe, da ca. zwei Drittel der<br />

beiden Vorstände aus ein und demselben Personenkreis bestehen 165 und zum anderen<br />

wird so die Zeit effizient genutzt. Personen, die in beiden Gremien tätig<br />

sind, können sich zeitsparender einbringen, und eine enge Zusammenarbeit bleibt<br />

gewährleistet.<br />

Aktivitäten im Freizeitheim Bremen e. V. sind:<br />

- Hausfrauennachmittag (seit 1978);<br />

- Informations-Blatt (seit 1979);<br />

- Diskothek für Jugendliche (März 1980);<br />

- Sprechstunde im FZH (seit 1980);<br />

- Bastelkurs für alle (1983 und Bastelkreis 1991-’95);<br />

- MuKi-Treff (seit 1983);<br />

- Spielkreis für Kinder (seit 1985);<br />

- Teestube (seit 1986);<br />

- Selbsthilfegruppe (seit 1992), später Namensänderung in KOFO;<br />

- Ahnenforschertreffen (März 1993-Oktober 1994);<br />

- Frauentreff (seit 1995);<br />

- Stammtisch (seit 1999);<br />

- Deaf-Café (seit 1999).<br />

164 Probandin I: 2<br />

165 vgl. Probandin I: 2<br />

55


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

Zwei der vom Freizeitheim-Verein für diese Arbeit herausragenden Gruppen sind<br />

das KOFO und das Deaf-Café, da sie Berührungspunkte zu Dolmetscherinnen<br />

bzw. zu Hörenden allgemein bilden. Sie sollen daher im folgenden näher vorgestellt<br />

werden.<br />

3.2.1.3.1 Das Kommunikationsforum<br />

Das erste Kommunikationsforum (KOFO) in Bremen wurde 1988 von einer Gebärdensprachdozentin<br />

ins Leben gerufen. 166 Viele hörende Teilnehmerinnen der<br />

Gebärdensprachkurse hatten sich dahingehend geäußert, daß es an praktischer Anwendung<br />

des Gelernten mangele. So entstand die Idee, Abende zu veranstalten, an<br />

denen Gehörlose und Hörende mittels Gebärden kommunizieren sollten. Regelmäßige<br />

vierzehntägige Treffen fanden über einen Zeitraum von ca. zwei Jahren<br />

statt, bevor sie aus Mangel an Interesse wieder eingestellt wurden. 167<br />

Das heutige KOFO geht aus einer Selbsthilfegruppe hervor, die 1992 gegründet<br />

wurde. Die Selbsthilfegruppe war ein lockerer Zusammenschluß Gehörloser, die<br />

ein Angebot für Gehörlose schaffen wollten, um dem weiter oben beschriebenen<br />

Informationsdefizit zu begegnen. Sie organisierten Themenabende mit eingeladenen<br />

Referentinnen, die jeweils über ein auf Gehörlose zugeschnittenes Thema<br />

referieren sollten. Diese Gruppe wurde dann allmählich umgewandelt in eine KO-<br />

FO-Diskussionsgruppe nach Münchner Vorbild 168 . In Bremen ist der überwiegende<br />

Anteil der Referentinnen hörend, daher werden für die Abende Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

bestellt. Da die Runde für Hörende offen ist, werden<br />

entsprechend auch bei gehörlosen Referentinnen Dolmetscherinnen angefordert.<br />

Das KOFO-Team fordert in Abständen immer wieder dazu auf, Themenvorschläge<br />

abzugeben, und so variieren die Themen je nach Interesse der Besucherinnen<br />

bzw. je nach Vorgabe des KOFO-Teams, welches sich um eine abwechslungsreiche<br />

Gestaltung der Abende bemüht. <strong>Eine</strong>s beinhaltete das Gebärdensprachdolmetschen,<br />

und die Bremer Dolmetscherinnen wurden bereits mehrmals eingeladen,<br />

zu diesem Thema zu referieren.<br />

166 vgl. Probandin I: 25<br />

167 vgl. Probandin I: 26<br />

168 siehe dazu etwa: Mally, 1993: 226<br />

56


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Die Bezahlung der Referentinnen und Dolmetscherinnen der KOFO-Abende erfolgt<br />

teils durch eingenommene Eintrittsgelder und teils durch den Freizeitheim-<br />

Verein, dem ein Budget aus Bremer Wettmitteln (Kapitel 3.2.2) <strong>zur</strong> Verfügung<br />

steht.<br />

Ziel der KOFO-Abende ist die Informationsvermittlung, auch wenn zu Beginn das<br />

Bestreben im Vordergrund stand, den Gehörlosen zu mehr Selbstbewußtsein zu<br />

verhelfen. 169 Gehörlose haben oft Hemmungen, nachzufragen, wenn etwas nicht<br />

verstanden wurde. Diese Hemmungen oder Ängste sind durch Unsicherheit begründet,<br />

welche wiederum aus fehlendem Wissen und dem in<strong>zwischen</strong> als historisch<br />

zu bezeichnenden Vorurteil ‚Gehörlose sind dumm’ 170<br />

resultiert. Das<br />

KOFO-Team kann auf diesem Gebiet Erfolge nachweisen, bestätigt eine<br />

Probandin:<br />

[D]ieses Verhalten hat sehr abgenommen. Heute fragen die Gehörlosen, wenn sie<br />

etwas wissen wollen. [...] Der Grund dafür war einfach, daß die Gehörlosen dachten,<br />

sie würden vielleicht ausgelacht, weil ihre Frage blöd oder merkwürdig war. 171<br />

Die KOFO-Abende haben somit erfolgreich einen Beitrag <strong>zur</strong> Selbstbewußtseinsbildung<br />

der Gehörlosen geleistet.<br />

3.2.1.3.2 Das Deaf-Café<br />

Das Deaf-Café existiert seit Ende 1999. Zuvor im Jahr hatte der Landesverband<br />

eine einmalige Zuwendung vom Bremer Senat über 100.000,- DM erhalten – mit<br />

der Maßgabe, sie <strong>zur</strong> „Kommunikation für die Gehörlosen” 172 zu verwenden. Im<br />

selben Jahr wurde an einem KOFO-Abend über das Thema ‚Internet’ referiert und<br />

bei der Gelegenheit die Frage diskutiert, ob ein Internet-Café für Gehörlose im<br />

Bremer Freizeitheim gewünscht würde, da noch ein Teil des Geldes <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stand. Nach einvernehmlichem Ergebnis wurden von dem Geld die ersten<br />

Rechner gekauft und ein Raum eingerichtet. Bei Einnahme-Überschuß des<br />

Landesverbands floß später weiteres Geld für das Inventar an das Deaf-Café-<br />

Team.<br />

Ziel des Landesverbands war, eine neue Gruppe zu unterstützen, um so mehr Leben<br />

in das Bremer Freizeitheim zu bringen. Durch Einrichtung des Deaf-Cafés<br />

169 vgl. Probandin V: 9<br />

170 vgl. Günther, 1993: 166ff<br />

171 Probandin V: 11<br />

172 Probandin I: 3<br />

57


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

wurde einer der wenigen Treffpunkte vor allem für junge Gehörlose geschaffen<br />

und damit ein Angebot, das sie allein oder mit gebärdensprachlicher Unterstützung<br />

anderer Gehörloser nutzen können. 173 Das Internet bietet eine für Gehörlose<br />

nie dagewesene Informationsmöglichkeit, über die sie sich als User in diesem<br />

Rahmen austauschen können. 174 Des weiteren ist mit dem Deaf-Café eine<br />

Möglichkeit geschaffen worden, Computerkurse von Gehörlosen für Gehörlose<br />

direkt im Freizeitheim durchzuführen. Diese Kurse finden regelmäßig statt.<br />

Laut Aussagen der Probandinnen wurde das Ziel des Landesverbands erreicht 175 :<br />

Durch den vermehrten Zustrom junger Leute finden im Freizeitheim auch an den<br />

Wochenenden zunehmend Aktivitäten statt. Aber auch ein neuer Einfluß auf das<br />

Vereinsleben hat sich bestätigt: das Deaf-Café bildet sogar eine Konkurrenz,<br />

wenn die älteren Gehörlosen oder der Vorstand am gleichen Abend eine Veranstaltung<br />

machen möchten. Da die weiter oben erwähnten Nachwuchssorgen in nahezu<br />

allen Gruppen groß sind, wurde, um Ärger zu vermeiden, beschlossen, die<br />

Veranstaltung der Jüngeren so zu koordinieren, daß zumindest die Möglichkeit<br />

<strong>zur</strong> Teilnahme an beiden Veranstaltungen besteht.<br />

Das erweiterte Bildungsangebot 176 wird von allen Generationen positiv bewertet,<br />

da sich eine jede mit Hilfe der Computertechnik eine eigene Informationswelt erschließen<br />

kann. So nehmen nicht nur Arbeitnehmerinnen an den Kursen teil, die<br />

sich Vorteile für ihr Arbeitsleben versprechen, sondern u. a. auch Rentnerinnen,<br />

die den Kontakt mit diesem Medium wagen. Die jüngere Generation ist größtenteils<br />

an Spielen interessiert, und auch diesen Wünschen wird mit entsprechenden<br />

Angeboten (Treffs zum Austausch, Spiele-Abende, LAN-Parties) Rechnung getragen.<br />

Allerdings gibt es diesbezüglich nicht nur positive Stimmen. <strong>Eine</strong> Probandin<br />

meint, daß bei übertriebener Internetnutzung „nicht mehr kommuniziert [wird],<br />

sondern jeder sitzt nur noch stumpf vor seinem Bildschirm” 177 . Früher habe man<br />

sich unter Gehörlosen öfter getroffen bzw. zwangsläufig treffen müssen, um Informationen<br />

auszutauschen oder einfach nur miteinander gebärdensprachlichen<br />

173 vgl. Probandin IV: 5<br />

174 vgl. Rieckmann, 2003: 29<br />

175 vgl. Probandin I: 10; Probandin III: 6; Probandin IV: 5; Probandin V: 5<br />

176 z. B. Internet-Kurse (Suchmaschinen, Chatten etc.), Software-Schulungen (Word, Excel etc.),<br />

Anwendungs-Kurse (Homepages erstellen)<br />

177 Probandin II: 5<br />

58


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Kontakt zu pflegen. Diese Treffen hätten im Zeitalter der Computertechnologie,<br />

so die Probandin, unter den jugendlichen Gehörlosen abgenommen. Dieses Verhalten<br />

könne somit als ein negativer Rückwärtstrend, quasi als Parallelerscheinung<br />

<strong>zur</strong> Gebärdensprachbewegung gewertet werden.<br />

3.2.2 Bremer Gehörlosengruppen<br />

Neben den Vereinsstrukturen gibt es noch vereinzelte weitere Gruppen, die von<br />

oder mit Gehörlosen ins Leben gerufen wurden und insbesondere für den Austausch<br />

<strong>zwischen</strong> Hörenden und Gehörlosen stehen und damit auch mögliche<br />

Berührungspunkte <strong>zwischen</strong> den beiden in der vorliegenden Arbeit untersuchten<br />

Gruppen darstellen. Zwei werden im folgenden näher vorgestellt.<br />

3.2.2.1 Die Hexenhände<br />

Die Gruppe „Die Hexenhände” existiert seit 1993 als offene FrauenLesben-<br />

Gruppe. Sie bildete sich aus einem Kern von anfangs drei, später fünf gehörlosen<br />

Frauen, die sich regelmäßig trafen, um sich über diverse Themen und Probleme<br />

auch mit Hörenden gebärdensprachlich auszutauschen. Ziel ist, sich in lockerer<br />

Runde zu treffen und im Austausch mit hörenden FrauenLesben mehr über die<br />

Welt der anderen zu erfahren. Die Hexenhände treffen sich dafür bewußt in immer<br />

abwechselnden Kneipen und Lokalen abseits vom Freizeitheim, um durch öffentliche<br />

Präsenz Aufmerksamkeit und Neugierde zu wecken, sich als Ansprechpersonen<br />

für Neugierige anzubieten und damit Aufklärungsarbeit zu leisten.<br />

Außerdem sind sie so nicht an die Vereinsstruktur und die damit zusammenhängende<br />

Abhängigkeit bei Entscheidungen über geplante Aktivitäten gebunden. 178<br />

Ihre Aktivitäten erstrecken sich auf Teilnahme an unterschiedlichen Projekten:<br />

Herausgabe eines Aufklebers „GL Frauenpower”, Organisation eines Liederabends<br />

einer lesbischen Sängerin mit Verdolmetschung der Texte, Teilnahme an<br />

politischen Vorträgen, Diskussion über sexistische und diskriminierende Gebärden,<br />

Mitarbeit am autonomen FrauenLesben-Kalender „Tag für Tag”, DGS-Kurse,<br />

Herausgabe eines Posters und einer Postkarte, Planung, Organisation und<br />

Durchführung einer Photo-Ausstellung mit Darstellung alltäglicher Kommunikationssituationen<br />

<strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden und eines Vortrags mit eige-<br />

178 vgl. Probandin II: 15<br />

59


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

nen Erfahrungsberichten (mit Gebärdensprachdolmetscherin), gehörloser Beitrag<br />

zum Projekt ‚Frauen gegen Gewalt’ und aktuelle politische Diskussionen bei den<br />

regelmäßigen Treffen. 179<br />

Diese Gruppe leistet nach wie vor viel Aufklärungsarbeit, von der beide Seiten,<br />

also sowohl Hörende als auch Gehörlose, profitieren können, wie auch folgende<br />

Aussage bestätigt:<br />

[I]ch jedenfalls hatte vor diesen Treffs eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wie<br />

Hörende so sind. Die ganz typischen Vorurteile: alle Hörenden sind anstrengend<br />

z. B. Und ich mußte feststellen, daß es gar nicht stimmt. Es gibt soo viele verschiedene<br />

hörende Menschen! Da konnte ich an mir erstklassig beobachten, wie ich mich<br />

durch diese Erkenntnis veränderte. Genauso gibt es ja auch oft dieses Vorurteil von<br />

den dummen Gehörlosen. 180<br />

3.2.2.2 Gibarida e. V.<br />

Gibarida ist ein Verein, der sich aus Gehörlosen und Hörenden aus Bremen und<br />

der Umgebung zusammensetzt. Er wurde 2000 gegründet und hat zum Ziel, regionale<br />

gebärdensprachliche Beratungs- und Weiterbildungsangebote zu entwickeln.<br />

Er bietet zudem die Möglichkeit zu fachlichem Austausch <strong>zwischen</strong> Gehörlosen<br />

und Hörenden außerhalb des Freizeitheims. Neben dem Austausch baut der Verein<br />

ein Bildungsangebot für Gehörlose und Hörende auf, welches verschiedene<br />

Gebärdensprach- (DGS und British Sign Language (BSL)) und Lautsprachkurse<br />

(Deutsch, Englisch) sowie Computereinführungskurse beinhaltet. Dadurch wird<br />

ein interessenorientiertes Lernen auch nach der Schulzeit ermöglicht. Der Veranstaltungsort<br />

ist dabei nicht zwangsläufig der Vereinssitz, sondern je nach Bedarf<br />

werden Fortbildungen beispielsweise auch in Firmen mit gehörlosen Arbeitnehmerinnen<br />

durchgeführt. 181<br />

3.2.3 Bremer Einrichtungen<br />

Neben den Vereinen und Gruppen, die von Gehörlosen selbst initiiert und motiviert<br />

sind, gibt es eine Reihe staatlicher Einrichtungen, die dem gesetzlichen Versorgungsauftrag<br />

nach Betreuung und Fürsorge und dem Bestreben nach Integration<br />

behinderter Menschen in die Gesellschaft („gesellschaftliche Teilhabe” 182 )<br />

nachkommen. In Bremen waren bzw. sind das die Schule für Hörgeschädigte, der<br />

179 vgl. Muster et al., 1995: 448-453; Probandin II: 6-15<br />

180 Probandin II: 11<br />

181 vgl. Probandin VI: 29<br />

182 SGB IX, Art. I, Teil 2<br />

60


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Sozialdienst für Gehörlose, der Berufsbegleitende Fachdienst für Hörgeschädigte<br />

im Arbeitsleben und der Integrationsfachdienst, die im folgenden näher vorgestellt<br />

werden.<br />

3.2.3.1 Die Schule für Hörgeschädigte<br />

Die Hörgeschädigtenbildung Bremens hat eine über 175jährige Geschichte – angefangen<br />

1824 mit dem Privatunterricht zweier Schüler über das private Taubstummeninstitut<br />

ab 1827 und der Taubstummenanstalt ab 1863, in denen Taubstummenlehrer<br />

versuchten, „den Zöglingen sprechen, lesen, schreiben, rechnen,<br />

gute Tugenden und das rechte Verständnis für das Wort Gottes” 183 zu vermitteln.<br />

Darauf folgte nach dem II. Weltkrieg die Umbenennung in ‚Schule für Gehörgeschädigte’<br />

und ab 1959 die Zusammenlegung der Taubstummenanstalt mit der<br />

Schwerhörigenschule. Die Schule hatte in den 1980er Jahren aufgrund der zunehmenden<br />

Schülerinnenzahlen Platzprobleme und richtete drei Dependancen ein, die<br />

im heutigen „Staatlichen Förderzentrum für die Bereiche Schwerhörigen- und Gehörlosenpädagogik”<br />

184 jedoch keinen Bestand mehr haben.<br />

In der Bremer Schule an der Marcusallee können hörgeschädigte Schülerinnen<br />

den Haupt- und seit 1986 185 den Realschulabschluß erlangen. Insgesamt unterrichten<br />

an der Schule z. Z. 31 Lehrerinnen in dreizehn Klassenverbänden, zuzüglich<br />

„drei Lerngruppen mit Kindern, die neben der Hörschädigung weitere Handikaps<br />

haben” 186 . Primäre Unterrichtssprache ist Deutsch und je nach Hörstatus der<br />

Schülerinnen Deutsch mit LBG. Aufgrund der heterogenen Zusammensetzung der<br />

Schulklassen ist ggf. auch differenzierter Unterricht mit Lautsprache, LBG und –<br />

eingeführt durch den ersten gehörlosen Gehörlosenpädagogen in Bremen – DGS<br />

erforderlich. DGS wird außerdem als Wahlpflichtkurs angeboten. Darüber hinaus<br />

werden leistungsstarke hörgeschädigte Schülerinnen, die am Unterricht in Regelschulen<br />

ihres Wohngebiets teilnehmen, von einigen Kolleginnen des Förderzentrums<br />

ambulant betreut.<br />

Im Gegensatz zu ihren Berliner Kolleginnen, die per Landesgleichberechtigungs-<br />

183 Festschrift, 2002: 5<br />

184 Festschrift, 2002: 1<br />

185 Die Gründung des Realschulzweigs erfolgte 1980. Sechs Jahre später beendeten die ersten<br />

Schülerinnen die Schule mit einem Realschulabschluß.<br />

186 Festschrift, 2002: 7<br />

61


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

gesetz dazu verpflichtet sind, bis zum Jahr 2006 Gebärdensprachkenntnisse zu erwerben<br />

und diese nachzuweisen, besteht für die Bremer Hörgeschädigtenpädagoginnen<br />

so eine Verpflichtung nicht. Es existiert lediglich ein Beschluß der Kultusministerkonferenz<br />

über „Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Hören” 187 , in<br />

denen es zum Einsatz und Qualifikation des Personals heißt:<br />

Der verantwortliche Einsatz gebärdensprachlicher Kommunikationsmittel erfordert<br />

für die Lehrerschaft Kenntnis manueller Kommunikationsformen und die Fähigkeit,<br />

diese schülerangemessen und sprachsituationsbezogen zu gebrauchen. Sowohl der<br />

Erwerb der manuellen Kommunikationsmittel als auch der fortwährende Austausch<br />

über diese Sprachsysteme muss in der Lehrerausbildung sowie durch Veranstaltungen<br />

der Lehrerfortbildung und durch Weiterbildungsmaßnahmen in Kursen erfolgen.<br />

188<br />

Demzufolge sollen die langjährigen Forderungen Gehörloser nach Verwendung<br />

von Gebärden im pädagogischen Bereich in ersten Ansätzen endlich erfüllt werden.<br />

In Deutschland gibt es insgesamt nur 47 staatliche Schulen für Hörgeschädigte,<br />

daher hat jede dieser Schulen ein relativ großes Einzugsgebiet. 189 Dieser Umstand<br />

bedeutet für zahlreiche Schülerinnen, daß sie täglich lange Busfahrten <strong>zur</strong> Schule<br />

und nach Haus auf sich nehmen müssen. Da die Schule, wie oben beschrieben<br />

(Kapitel 3.1.2), für viele gehörlose Kinder den ersten Kontakt <strong>zur</strong> Gebärdensprache<br />

darstellt, kommt dem Schulbesuch und damit dem Aufenthalt in der Schule an<br />

sich eine besonders gewichtige Bedeutung zu: Die Schuljahre bedeuten ein gemeinsames<br />

Erwachsen-Werden und vor allem ein gemeinsames Hineinwachsen in<br />

die Gebärdensprachgemeinschaft.<br />

3.2.3.2 Der Sozialdienst für Gehörlose<br />

Der ‚Sozialdienst für Gehörlose’ wurde 1967 190 eingerichtet und war seitdem in<br />

wechselnder Besetzung lange Zeit die einzige staatliche Anlaufstelle für Gehörlose<br />

bei Problemen des Alltags. Gehörlose konnten den Sozialdienst beispielsweise<br />

aufsuchen, wenn sie Telefonate zu erledigen hatten, 191 oder die Mitarbeiterinnen<br />

haben Gehörlose <strong>zur</strong> Erledigung von Behördenangelegenheiten zu den entsprechenden<br />

Ämtern begleitet und sie dort unterstützt. Die Aufgabengebiete des<br />

187 Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 10.05.1996<br />

188 http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/soda/Texte/KMK-Hoeren.htm<br />

189 vgl. http:// www.direktorenkonferenz.de<br />

190 Telefonat mit erster Fachkraft des Sozialdienstes, 2004<br />

191 vgl. Probandin II: 3<br />

62


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Sozialdienstes waren dementsprechend umfangreich bis sie, durch den ‚Beruflichen<br />

Fachdienst für Hörgeschädigte’ und gesetzliche Neuerungen in gewissen Bereichen<br />

wie Beruf und Rehabilitation (LVA/BfA) entlastet wurden. Die verbleibenden<br />

Aufgaben umfaßten alles, was mit Sozialleistungen zu tun hat: Anträge im<br />

sozialen Bereich (z. B. Wohngeld), Wohnungssuche, Jugendamt etc.<br />

Die Angestellten verfügten über geringe Gebärdensprachkenntnisse und haben mit<br />

den Gehörlosen schriftsprachlich oder in LBG kommuniziert. Ab 2001 war es<br />

durch die Einstellung einer Kraft, die gänzlich ohne Gebärdensprachkenntnisse<br />

begann, möglich, zu den Sprechstunden Dolmetscherinnen zu bestellen und so eine<br />

reibungslose Kommunikation sicherzustellen.<br />

Aufgrund von Sparmaßnahmen des Bremer Senats ist der Sozialdienst schließlich<br />

im Jahre 2003 nach über 36-jähriger Tätigkeit ersatzlos abgeschafft worden.<br />

3.2.3.3 Der Berufliche Fachdienst für Hörgeschädigte<br />

Die Idee <strong>zur</strong> Einrichtung eines Beruflichen Fachdiensts für Hörgeschädigte entstand<br />

gemeinschaftlich mit dem Landesverband und Vertreterinnen der Schule an<br />

der Marcusallee. Dieser Personenkreis empfand es als erstrebenswert, neben dem<br />

Sozialdienst und der in der Schule befindlichen Beratungsstelle weitere Unterstützung<br />

in Form einer Anlaufstelle für gehörlose Schulabgängerinnen bzw. gehörlose<br />

Arbeitnehmerinnen im beruflichen Rahmen anzubieten. Daraufhin wurde versucht,<br />

Fürsprecher auf politischer Ebene und finanzielle Mittel für die Einrichtung<br />

eines Beruflichen Fachdienstes, wie er im Rheinland in ähnlicher Form schon bestand,<br />

zu finden. Zur Bedarfsfeststellung wurde zunächst von der Universität Bremen<br />

in Zusammenarbeit mit dem LV Bremen und der Beratungsstelle der Schule<br />

für Hörgeschädigte eine Fragebogenaktion durchgeführt. 192 Der Bremer Fachdienst<br />

wurde schließlich 1994 unter der Trägerschaft des LV Bremen eingerichtet<br />

und hebt sich so von anderen vergleichbaren Einrichtungen, die zumeist der<br />

Trägerschaft von Integrationsämtern unterstehen, in Deutschland ab. 193<br />

Die Notwendigkeit für einen solchen Fachdienst zeigt sich im breiten Aufgabenfeld<br />

der Mitarbeiterinnen als Angebot für Arbeitgeberinnen, Arbeitnehmerinnen,<br />

Kolleginnen, Schwerbehindertenvertrauensleute und Betriebs- und Per-<br />

192 vgl. Informations-Blatt, Oktober 1991: 3<br />

193 vgl. Probandin I: 12<br />

63


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

sonalräte. Sie bieten begleitende Hilfen und Unterstützung bei Antragstellungen<br />

am Arbeitsplatz an und informieren u. a. über die kommunikativen Bedürfnisse<br />

gehörloser Arbeitnehmerinnen und über die damit verbundenen erwünschten Verhaltensweisen<br />

Hörender am Arbeitsplatz. Negative Folgen bezüglich des Verhaltens<br />

Gehörloser, wenn die kommunikativen Bedürfnisse nicht bekannt sind, erläutert<br />

Weber folgendermaßen:<br />

Sie [die gehörlosen Arbeitnehmerinnen] simulieren dann zu oft Verständnis, um den<br />

Gesprächspartner nicht zu nerven, die positive Einschätzung ihrer Sprach- und Fachkompetenz<br />

nicht zu schmälern (Mitteilungen nicht aufnehmen können, wird manchmal<br />

leider als Mangel an Intelligenz statt als Fehler der Sinnesorgane interpretiert!).<br />

194<br />

Die aus solchen oder ähnlichen Verhaltensweisen resultierende Konflikte oder<br />

Probleme werden von den Mitarbeiterinnen des Fachdiensts bei Konsultation im<br />

Sinne eines guten Arbeitsklimas erörtert und Lösungsansätze für Vermeidungsstrategien<br />

gemeinschaftlich für die Zukunft erarbeitet.<br />

Einige der weiteren Aufgabenbereiche des Fachdienstes sind 195 :<br />

- Anlaufstelle bei Problemen am Arbeitsplatz;<br />

- Beratung bei Um- und Versetzung;<br />

- Unterstützung bei der Aufnahme eine neuen Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses<br />

(Vorstellungsgespräche, Arbeitseinweisungen);<br />

- Angebot und Beratung zu Fort- und Weiterbildungen;<br />

- Vermittlung von Dolmetscherinnen;<br />

- Unterstützung bei der Organisation von begleitenden Hilfen<br />

(techn. Ausstattung, Dolmetscherversorgung) am Arbeitsplatz;<br />

- Aufklärung für Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen über<br />

Hörschädigung und deren Auswirkungen;<br />

- Beratung bei Kündigung, Abmahnung, Fehlzeiten und anderen<br />

arbeitsrechtlichen Problemen;<br />

- Begleitung zu Behörden, Ämtern und anderen Institutionen.<br />

<strong>Eine</strong> weitere Besonderheit des Fachdienstes sind die Mitarbeiterinnen: Sie sind alle<br />

gebärdensprachkompetent und können Beratungsangebote somit gebärdensprachlich<br />

anbieten. Bei Gesprächen mit hörenden Mitarbeiterinnen oder Vorgesetzten<br />

in den Firmen kommen Gebärdensprachdolmetscherinnen zum Einsatz,<br />

damit sie, die Fachdienstmitarbeiterinnen, nicht in die Gefahr einer Doppelrolle<br />

kommen: beraten und dolmetschen. 196 Der einzige gehörlose Mitarbeiter eines<br />

194 Weber, 1995: 75<br />

195 „Berufsbegleitender Fachdienst für Hörgeschädigte”, 2003<br />

196 vgl. Probandin X: 26<br />

64


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Fachdienstes deutschlandweit ergänzt die Besonderheit des Bremer Fachdienstes<br />

um ein weiteres. Er bedient sich auch bei Beratungsgesprächen mit hörenden Personen<br />

einer Dolmetscherin.<br />

Die fachdienstliche Beratung ist kostenlos und erfolgt in Zusammenarbeit mit den<br />

zuständigen Sachbearbeiterinnen des Integrationsamtes.<br />

3.2.3.4 Der Integrationsfachdienst<br />

Der Integrationsfachdienst stellt eine Erweiterung bzw. Ergänzung des Beruflichen<br />

Fachdienstes für Hörgeschädigte dar. Seine Aufgabe ist die Eingliederung<br />

schwerbehinderter Menschen in das Arbeitsleben ganz allgemein. Er hat im Land<br />

Bremen als Modellprojekt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung<br />

seit 2000 einen besonderen Zweig für ausschließlich gehörloses Klientel.<br />

Die Mitarbeiterinnen des Integrationsfachdiensts unterstützen arbeitslose Gehörlose<br />

bei der Arbeits- und Ausbildungsplatzsuche kostenlos im Auftrag sowohl des<br />

Integrationsamtes als auch des Arbeitsamtes. Weitere Angebote 197 sind:<br />

- Ansprechpartnerin sein für Arbeitgeberinnen, um die gehörlose<br />

Person bei Erwägung einer Festanstellung genauer kennenzulernen;<br />

- Beratung bei Einrichtung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes<br />

und Koordination für notwendige unterstützende Maßnahmen;<br />

- Bewerbungstraining.<br />

Die Mitarbeiterinnen des Integrationsfachdienstes arbeiten mit dem Beruflichen<br />

Fachdienst zusammen, wenn es für eine gehörlose Klientin zu einer Anstellung<br />

bzw. einem Bewerbungsgespräch oder der Einarbeitung an einem neuen Arbeitsplatz<br />

kommt. Sie sind gebärdensprachkompetent und können somit in ihrer Beratungstätigkeit<br />

auf die kommunikativen Bedürfnisse ihrer Klientinnen eingehen.<br />

All diese Einrichtungen spiegeln eine gesellschaftliche Fürsorge wider, die – wie<br />

die Entwicklung der gehörlosen Menschen Bremens und der Dolmetscherinnen –<br />

gesellschaftlichen Schwankungen unterlag und weiterhin unterliegt. Die Zuund/oder<br />

Abnahme der Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten durch den<br />

Staat ist einerseits eng verbunden mit finanziellen Möglichkeiten, aber anderer-<br />

197 Integrationsfachdienst, 2000<br />

65


Kapitel 3 - Gehörlose in Bremen<br />

seits auch mit dem wachsenden Selbstbewußtsein Gehörloser. <strong>Eine</strong> stabiles<br />

Selbstbewußtsein gibt dem Individuum und gemäß meiner Definition auch der<br />

Gruppe die Grundlage für die nötige Kenntnis über eigene Fähigkeiten und Bedürfnisse.<br />

In <strong>Verbindung</strong> damit befähigt ein starkes Selbstbewußtsein selbige <strong>zur</strong><br />

verstärkten Einforderung der persönlichen Rechte mit dem Ziel, die Bedürfnisse<br />

zu erfüllen und die eigenen Fähigkeiten einsetzen zu können (z. B. die Forderung<br />

nach gesetzlicher Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache).<br />

Das Verhältnis in der Beziehung <strong>zwischen</strong> gehörlosen und hörenden Menschen in<br />

der Gesellschaft, wie die Gehörlosen es selbst sehen, ist Spiegelbild einer zunehmenden<br />

Öffentlichkeit und damit verbunden auch einer zunehmenden Akzeptanz<br />

und Selbstverständlichkeit, mit denen Gehörlosen bzw. Menschen mit Behinderungen<br />

allgemein begegnet wird.<br />

Um im weiteren auf das Verhältnis <strong>zwischen</strong> der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

und den Gebärdensprachdolmetscherinnen eingehen zu können, werden im folgenden<br />

Kapitel letztere als zweite für die vorliegende Arbeit relevante Gruppe<br />

vorgestellt.<br />

66


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

4. Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

In diesem Kapitel wird ein Einblick in den Dolmetschprozeß und der Beruf in den<br />

Gebärdensprachdolmetscherin im allgemeinen gegeben. Außerdem werden darin<br />

die Tätigkeitsfelder von Gebärdensprachdolmetscherinnen näher betrachtet. Im<br />

Anschluß daran erfolgt ein Überblick über die Entwicklung der Dolmetscherinnen-Szene<br />

in Bremen von ihren Anfängen bis heute.<br />

4.1 Was bedeutet Dolmetschen?<br />

Dolmetscherinnen sind translatorisch tätige Personen, die das verbindende Glied<br />

<strong>zwischen</strong> zwei Parteien, die miteinander kommunizieren möchten, darstellen, indem<br />

sie durch bestimmte von ihnen erlernte Fertigkeiten (Kapitel 4.2.5) einen<br />

sprachlichen Austausch <strong>zwischen</strong> diesen beiden Parteien ermöglichen.<br />

Unter Translation werden die beiden Tätigkeiten Dolmetschen und Übersetzen zusammengefaßt.<br />

„Übersetzerinnen übertragen schriftliche Texte in eine andere<br />

Sprache [...]. Übersetzungen werden in der Regel schriftlich niedergelegt und sind<br />

daher für die Dauer bestimmt. Der Transfer der übersetzten Botschaft vom Sender<br />

zum Empfänger erfolgt zeitlich versetzt.” 197 Dolmetscherinnen hingegen übertragen<br />

mündlich geäußerte Botschaften von einer Sprache (Ausgangssprache) in eine<br />

andere (Zielsprache). Henry van Hoof drückt den Unterschied der beiden Berufsgruppen<br />

folgendermaßen aus:<br />

La différence radicale qui existe entre le métier de traducteur et celui d’interprète<br />

doit être soulignée d’emblée. Alors que le traducteur peut chercher à tête reposée le<br />

mot précis et la tournure élégante, alors qu’il peut s’aider de tous dictionnaires et<br />

ouvrages de référence, l’interprète, au contraire, ne dispose que d’un temps de réflexion<br />

extrêmement bref [...]. 198<br />

Demzufolge stellt sich für ihn der Hauptunterschied in der Zeit dar, der einer<br />

translatorisch tätigen Person für die Übertragung <strong>zur</strong> Verfügung steht: Übersetzerinnen<br />

haben relativ viel Zeit und Dolmetscherinnen sehr wenig Zeit.<br />

Der Dolmetschprozeß selbst ist nicht als reine Umkodierung einer sprachlichen<br />

Äußerung in eine andere Sprache anzusehen, sondern es erfolgt vielmehr eine<br />

Übertragung des Sinns einer Äußerung. So äußert sich Seleskovitch: „[...] nie er-<br />

197 BGSD, 2002: 9<br />

198 van Hoof, zit. in: Wilss, 1991: 15<br />

67


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

gibt sich der Sinn einer Aussage einzig aus der Summe der Bedeutungen seiner<br />

[eines Satzes] einzelnen Bestandteile” 199 , sondern die Umstände und Zusammenhänge,<br />

in denen Aussagen getroffen werden, spielen für den Prozeß des Dolmetschens<br />

ebenfalls eine große Rolle. Darüber hinaus sind auch die (Sach-) Kenntnisse,<br />

die eine Sprecherin bei ihren Aussagen bei der Dolmetscherin resp. Rezipientin<br />

voraussetzt, unabdingbar für das Verstehen des Sinnes und somit der Intention<br />

der Aussage. Und das Verstehen auf Seiten der Dolmetscherin wiederum<br />

stellt die Voraussetzung für die adäquate zielsprachliche Umsetzung dar.<br />

Dolmetschen ist also „kein Umkodieren von Sprachbedeutungen, sondern ein<br />

Verstehen und wieder Verständlich-machen eines Sinns.” 200 Dabei ist eine Grundvoraussetzung<br />

für jede Dolmetscherin, daß sie über umfassende Kenntnisse der<br />

Kultur und Lebensweise beider Sprachgemeinschaften verfügt, in deren Sprachen<br />

sie ihre Dienste anbietet. Nur mit diesem Hintergrund ist gewährleistet, daß die<br />

Übertragungen der Dolmetscherin von der Ausgangs- in die Zielsprache eine<br />

größtmögliche Korrektheit bzw. Identität mit der Aussageabsicht der Sprecherin<br />

aufzeigen. Die Dolmetscherin ist hierbei gleichzeitig Rezipientin und Produzentin.<br />

Somit ist für sie außerdem (neben Kenntnissen der Kultur und Lebensweise beider<br />

Sprachgemeinschaften) das Wissen um den Erfahrungshintergrund und das<br />

sprachliche Niveau der zielsprachlichen Rezipientin wichtig, um den Dolmetschprozeß<br />

erfolgreich zu gestalten. Denn die Dolmetscherin muß ihr Produkt ständig<br />

dahingehend überprüfen, ob sich darin die Intention der Sprecherin in adäquater<br />

Form wiederfinden läßt. 201<br />

Kulturelle Unterschiede bei den Angehörigen der beiden Sprachgemeinschaften<br />

lassen sich durch Umschreibungen und ggf. durch Erläuterungen in die Zielsprache<br />

übertragen, ohne daß der ausgangssprachliche Sinn verlorengehen muß oder<br />

verfälscht wird. Dolmetscherinnen verfügen bei ihrer Arbeit also über einen gewissen<br />

Ermessensspielraum. 202 Kalina spricht in diesem Zusammenhang von<br />

„Extension” 203 .<br />

Beim Dolmetschen wird <strong>zwischen</strong> den Techniken Simultandolmetschen und Kon-<br />

199 Seleskovitch, 1991: 39<br />

200 Seleskovitch, 1991: 42<br />

201 vgl. Frishberg, 1986: 3<br />

202 vgl. Bischoff/Loutan, 2000: 29<br />

203 Kalina, 1998: 37f<br />

68


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

sekutivdolmetschen unterschieden. Während bei letztgenanntem die „ausgangssprachliche<br />

Mitteilung [...] von der Dolmetscherin erst nach Beendigung einzelner<br />

Sätze, Sinnabschnitte oder der gesamten Mitteilung in die Zielsprache übertragen”<br />

204 wird, erfolgt die Übertragung beim Simultandolmetschen nahezu sofort.<br />

Beide Techniken setzen ein trainiertes Gedächtnis voraus, wobei das Konsekutivdolmetschen<br />

oft durch „eine spezielle Notizentechnik erleichtert werden kann, bei<br />

der Merkzeichen für wichtige Sinnträger als Gedächtnisstütze für den späteren<br />

mündlichen Vortrag fest gehalten werden.” 205<br />

Dolmetscherinnen arbeiten im Team, wenn Aufträge z. B. eine gewisse Dauer 206<br />

überschreiten oder die zu verdolmetschenden Texte 207 eine große Informationsdichte<br />

enthalten oder beides. Beim Teamdolmetschen wechseln sich die Dolmetscherinnen<br />

in einem zuvor vereinbarten Rhythmus während des Dolmetschens ab.<br />

Sie sind dann abwechselnd ‚on’ oder ‚off’. Auf diese Weise kann eine höchstmögliche<br />

Dolmetschqualität über einen relativ großen Zeitraum gewährleistet<br />

werden. Ein weiterer Vorteil des Teamdolmetschens ist die mögliche gegenseitige<br />

Unterstützung der Dolmetscherinnen, die ebenfalls <strong>zur</strong> Qualitätssicherung beiträgt.<br />

Die Kollegin, die ‚off’ ist, verfolgt gleichfalls die Texte, Ausgangstext der<br />

Sprecherin und Output der Kollegin, und kann so bei Mißverständnissen oder Unsicherheiten<br />

der Kollegin helfen.<br />

4.1.1 Gebärdensprachdolmetschen<br />

Bei Gebärdensprachdolmetscherinnen kommt zu der oben dargestellten Arbeitsweise<br />

klientelbedingt noch der Aspekt der Visualisierung aller weiteren relevanten<br />

akustischen oder visuellen Informationen und Signale hinzu.<br />

Die Häufigkeit des Teamdolmetschens kann regional aufgrund der unterschiedlich<br />

hohen Dolmetscherinnendichte insbesondere in Flächenländern der BRD stark<br />

differieren. Die beim Gebärdensprachdolmetschen am häufigsten verwendete<br />

Technik ist das Simultandolmetschen. Weil eine der Arbeitssprachen von Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

einen räumlich-visuellen Charakter aufweist, ist in je-<br />

204 BGSD, 2002: 5<br />

205 BGSD, 2002: 5; vgl. auch: Matyssek, 1989: 12<br />

206 <strong>Eine</strong> von Brasel durchgeführte <strong>Untersuchung</strong> im Bereich der geistigen und psychischen Anforderungen<br />

beim Dolmetschen zeigt, daß die Genauigkeit nach zwanzigminütiger Dolmetschzeit<br />

merklich nachläßt. - vgl. Brasel (1976), zit. in: Cokeley, 1995: 20<br />

207 Der Begriff ‚Texte’ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf mündliche Texte.<br />

69


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

dem Falle die sichtbare Präsenz der Gebärdensprachdolmetscherinnen gefordert.<br />

Das ist eines der größten Unterscheidungsmerkmale gegenüber Konferenzdolmetscherinnen,<br />

da diese in einer Dolmetschkabine und von daher nahezu unsichtbar<br />

für die beteiligten Parteien arbeiten.<br />

Der Beruf der Gebärdensprachdolmetscherin unterlag und unterliegt noch großen<br />

Veränderungen. Auch Frishberg erwähnt:<br />

Sign language interpreting is ancient, but the interpreting profession is relatively<br />

new [...]. Prior to the emergence of the interpreting profession in 1964, interpreting<br />

was a favor that people who were able to hear and sign did for those who were<br />

deaf. 208<br />

Was für die USA laut Frishberg 1964 begann, nämlich die Entwicklung des Gebärdensprachdolmetschens<br />

als Profession 209 , setzte in Deutschland erst sehr viel<br />

später ein. Auch hier gab es immer (und gibt es noch) Personen, die für Gehörlose<br />

in bestimmten Situationen gebärdet und gesprochen haben. Das waren meistens<br />

Freunde oder Familienmitglieder, die gehörlose Eltern, Kinder oder Verwandte<br />

hatten. Andere waren Taubstummenlehrerinnen oder Seelsorgerinnen, die sich für<br />

die Belange Gehörloser einsetzten.<br />

Durch die im dritten Kapitel aufgezeigten Veränderungen im Selbstbewußtsein<br />

Gehörloser – nicht zuletzt motiviert durch US-amerikanische Vorbilder – wurden<br />

verstärkt Forderungen nach einer Professionalisierung der bislang angebotenen<br />

Dolmetschdienste laut, wenngleich sie nicht von allen Menschen als positiv gewertet<br />

werden:<br />

Auch wenn Kritiker in den Dolmetschdiensten nur einen weiteren Beleg für die<br />

mangelnde Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft sehen, die einer<br />

Normalisierung der Lebensbedingungen behinderter Menschen entgegenstehen, sehen<br />

viele Gehörlose darin einen Schritt zu mehr Selbstbestimmung und Partizipation.<br />

210<br />

Seit 1996 gibt es fest eingerichtete Ausbildungsmöglichkeiten im Gebärdensprachdolmetschbereich<br />

(siehe Kapitel 4.2.5). Dadurch kommen nach und nach<br />

ausgebildete und professionell arbeitende Dolmetscherinnen zum Einsatz, welche<br />

die Seelsorgerinnen, Lehrerinnen und andere langsam ablösen. Gebärdensprach-<br />

208 Frishberg, 1986: 2<br />

209 „The establishment of a national organization, the Registry of Interpreters for the Deaf (RID),<br />

changed the status of interpreting from an unpaid courtesy to a paid profession at Ball State Teachers<br />

College on June 14-17, 1964.” - Frishberg, 1986: 3f<br />

210 Hofe, 2001: 76<br />

70


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

dolmetscherinnen sind heutzutage weitestgehend freiberuflich tätig und haben seit<br />

wenigen Jahren auch die Möglichkeit, sich auf bestimmten Themengebieten fortzubilden.<br />

Diese Fortbildungsmöglichkeiten sind Ergebnis eines langen Prozesses,<br />

der einhergehend mit der Sprachforschung kompetente gehörlose Dozentinnen<br />

hervorbrachte, die in ihrer Muttersprache, der DGS, unterrichten. Andere Fortbildungen<br />

werden weitestgehend von hörenden Kolleginnen durchgeführt, die selbst<br />

bereits eine der noch jungen Ausbildungen durchlaufen haben. Das Angebot wird<br />

teilweise auch von denjenigen Dolmetscherinnen genutzt, die bereits über eine<br />

langjährige Berufserfahrung verfügen, jedoch nie die Gelegenheit zu Aus- bzw.<br />

Fortbildung hatten.<br />

Durch die professionellen Dolmetschdienstleistungen, die von Gehörlosen in vielen<br />

Bereichen genutzt werden können und werden, sind Gehörlose in immer mehr<br />

Situationen in der Lage, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen, weil Kommunikation<br />

ohne Einmischung oder gar Bevormundung gewährleistet wird. Dadurch<br />

werden das in Kapitel 3 angesprochene Mißtrauen und Frustrationen auf seiten<br />

der Gehörlosen gegenüber Gebärdensprachdolmetscherinnen abgebaut.<br />

Bei Heßmann ist im Zusammenhang mit Dolmetscheinsätzen am Arbeitsplatz zu<br />

lesen:<br />

Wo immer möglich, muß ungehinderter und neutraler Zugang zu Informationen geschaffen<br />

werden, um selbstverantwortlichem Handeln eine Grundlage zu geben. Zuverlässig,<br />

schnell und umfassend ist dies nur durch den Einsatz von Dolmetschern,<br />

einer professionellen und ungefilterten Übertragung <strong>zwischen</strong> Laut- und Gebärdensprache<br />

also, zu gewährleisten. Daß der tagtägliche Arbeitseinsatz Gehörloser<br />

nicht von Dolmetschern begleitet werden kann und soll, versteht sich von selbst.<br />

Ebenso selbstverständlich jedoch sollte es sein, in allen Situationen, die vorhersehbarerweise<br />

aufwendigere sprachliche Vermittlungen erforderlich machen, durch den<br />

Einsatz von Dolmetschern sicherzustellen, daß dem gehörlosen Betriebsangehörigen<br />

volles inhaltliches Verständnis und umfassende Möglichkeiten zum eigenen<br />

Eingreifen gewährt werden. 211<br />

Nicht nur am Arbeitsplatz ist der ungehinderte und neutrale Zugang zu Informationen<br />

vonnöten. Die Bandbreite, innerhalb derer Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

tätig sind, ist groß. 212 Spezialisierungen auf bestimmten Fachgebieten wie bei<br />

211 Heßmann, 1995: 88<br />

212 Beispielhaft seien hier folgende Tätigkeitsfelder genannt: Arbeitswelt (Betriebsversammlungen,<br />

Fortbildungen, Mitarbeiterinnengespräche, Konferenzen, etc.), Ausbildung (Lehrveranstaltungen<br />

an Universitäten, Fach(hoch)schulen, Berufsschulen etc.), Sportbereich (Ausbildungen zu<br />

Sportscheinen, Lizenzen etc.), medizinischer Bereich (Ärztinnenbesuche, Erste-Hilfe-Kurse, OP-<br />

Vorbereitungen etc.), Polizei und Gericht (Vernehmungen, Gespräche mit Anwältinnen, Gerichts-<br />

71


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

den Lautsprachendolmetscherinnen, sind im Bereich des Gebärdensprachdolmetschens<br />

jedoch noch nicht sehr ausgeprägt. Solch eine Entwicklung hängt einerseits<br />

von der oben erwähnten Dolmetscherinnendichte und andererseits von der<br />

Tendenz der Aufträge in den jeweiligen (Fach-)Gebieten ab. Letztere muß einen<br />

Umfang erreichen, daß sie eine überlebensfähige Grundlage für Dolmetscherinnen<br />

bildet. Andernfalls wird es Spezialisierungen in die jeweiligen Richtungen nicht<br />

geben. Angebot und Nachfrage regulieren den Markt.<br />

Allgemein ist jedoch die Festlegung auf ein bestimmtes geographisches Einsatzgebiet<br />

weit verbreitet, da es viele regionale Dialekte gibt. Das heißt, die in<br />

Deutschland tätigen Dolmetscherinnen üben ihren Beruf hauptsächlich an ihrem<br />

Wohnort und der ihn umgebenden Region aus und entwickeln sich folglich parallel<br />

<strong>zur</strong> jeweiligen Gebärdensprachgemeinschaft vor Ort.<br />

4.2 Bremer Entwicklung<br />

Die folgenden Abschnitte befassen sich mit der Entwicklung der Bremer Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

und einhergehend damit mit der Veränderung der Akzeptanz<br />

und des Selbstbewußtseins als Berufsgruppe.<br />

4.2.1 Die Anfänge<br />

Die Bremer Situation ist klassisch: Die ersten Personen, die für Gehörlose dolmetschten,<br />

waren Seelsorgerinnen, Lehrerinnen und Kinder gehörloser Eltern, sogenannte<br />

CODAs 213 . Wobei erstgenannte und mit großer Wahrscheinlichkeit auch<br />

die Lehrerinnen in ihren Funktionen als Betreuende nicht nur dolmetschten, sondern<br />

auch Fürsprache hielten und bei Problemen berieten. 214 <strong>Eine</strong> Dolmetschtätigkeit<br />

nach heutigen Gesichtspunkten war insofern oftmals nicht gegeben.<br />

Die CODAs wurden in die Dolmetscherinnenrolle im wahrsten Sinne des Wortes<br />

verhandlungen etc.), privater Bereich (Elternabende, Gottesdienste, Führungen und Ausstellungen,<br />

Aufführungen, Wahlkampfveranstaltungen, Behördengänge, Kaufverhandlungen, Workshops).<br />

Stewart, Schein & Cartwright erwähnen gesondert noch den Bereich „Emergencies”, womit<br />

nächtliche Ad-hoc-Einsätze bei Unfällen, auf Polizeiwachen oder in der Psychiatrie gemeint sind. -<br />

Stewart/Schein/Cartwright, 1998: 124<br />

213 CODA steht für ‚Child of Deaf Adults‘. In der deutschen Gehörlosenszene findet vereinzelt<br />

auch der Begriff ‚Kigel‘ (Kind gehörloser Eltern) Verwendung.<br />

214 vgl. Probandin VIII: 3<br />

72


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

‚hineingeboren’. Als Bindeglied <strong>zwischen</strong> der gehörlosen und der hörenden Welt<br />

stellen sie für ihre gehörlosen Familienangehörigen oft eine perfekte ‚natürliche’<br />

Dolmetscherin dar. 215 In den 1950er Jahren gab es in Bremen eine Person, die<br />

hauptsächlich im Bereich des Gehörlosensportvereins tätig war und dort als erste<br />

CODA auch dolmetschte 216 . Später in den 1970er Jahren kamen weitere CODAs<br />

hinzu, die zunächst in der eigenen Familie und später bei bestimmten Anlässen im<br />

Freizeitheim dolmetschten. 217 Mit der Zeit wurden sie auch darum gebeten, in<br />

Situationen zu dolmetschen, die außerhalb des Gehörlosenfreizeitheims stattfanden,<br />

so beispielsweise auf Elternabenden oder bei Ärztinnenbesuchen. 218 Da es<br />

noch keine berufsqualifizierenden Ausbildungsgänge, wie man sie von den Lautsprachendolmetscherinnen<br />

kennt, gab 219 und diese Dolmetscheinsätze zudem keine<br />

reguläre Vergütung 220 einschlossen, kann man sagen, daß das Dolmetschen zu<br />

dieser Zeit eine Berufung, nicht aber ein Beruf war.<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen waren immer rar. 221 Der Bedarf war in den<br />

1980er Jahren und noch bis Mitte der 1990er Jahre stets höher, als die Dolmetscherinnen<br />

abdecken konnten. Das lag zum einen an den mit der Zeit wachsenden<br />

Bedürfnissen der Gehörlosen, denen nur sehr wenige Dolmetscherinnen,<br />

die zudem auch nur in ihrer Freizeit dolmetschen konnten, gegenüberstanden, zum<br />

anderen an der geringen Zahl der Dolmetscherinnen und dem mangelndem Dolmetscherinnennachwuchs<br />

sowie der ungeklärten Kostenträgersituation.<br />

Wegen der Finanzierung wandte sich der Landesverband mehrfach an den Bremer<br />

Senat mit der Bitte um Unterstützung. Ein kleiner Durchbruch gelang 1983, als<br />

die Landesverbandsvorsitzende, Käthe George, in ihrer Rede anläßlich des Fests<br />

<strong>zur</strong> Einweihung des Turnhallenanbaus auf dem Freizeitheim-Gelände die anwe-<br />

215 Durch eine 1987 veröffentlichte Bestandserhebung stellte sich heraus, daß deutschlandweit<br />

(ehemalige BRD) die Kinder gehörloser Eltern unter den Dolmetscherinnen dominieren. - Donath,<br />

1987: 63;<br />

Pollard und Rendon sprechen vom Einsatz hörender Kinder als Dolmetscherinnen für ihre gehörlosen<br />

Eltern als Problem- und Konfliktpotential, wenn das Dolmetschen zu zeitaufwendig oder belastend<br />

wird. Außerdem könne es bei Überforderung der Kinder, wenn z. B. zu viel Fachsprache<br />

benutzt wird, zu Frustrationen und Versagenserfahrungen auf beiden Seiten führen. - vgl.<br />

Pollard/Rendon: 1999: 417f<br />

216 vgl. Informations-Blatt, Mai 1986: 3<br />

217 vgl. Probandin VIII: 4<br />

218 vgl. Probandin VIII: 5<br />

219 vgl. Prillwitz, 1988: 92<br />

220 vgl. Probandin VII: 17; Probandin VIII: 16; Prillwitz, 1988: 91<br />

221 vgl. Probandin VIII: 20<br />

73


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

senden Politikerinnen um Unterstützung bat. „In seiner spontanen Antwort sagte<br />

Herr Senator Scherf den Gehörlosen eine Unterstützung bei den genannten Problemen<br />

zu. Voraussetzung sei, daß ihm genauere Informationen über das Ausmaß<br />

des Dolmetscherbedarfs vorliegen müßten.” 222 Die finanzielle Unterstützung für<br />

Dolmetschleistungen durch den Bremer Senat lief daraufhin im Jahre 1984 223 an.<br />

Der Landesverband erhielt eine bestimmte Summe aus den staatlichen Wettmitteln,<br />

welche jährlich neu zu beantragen war. Somit bestand in jedem Jahr erneut<br />

die Angst, ob im darauffolgenden Jahr wieder entsprechende Mittel <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stehen würden. Steter Einsatz und Argumentation für die Wichtigkeit dieser<br />

finanziellen Mittel für die Gehörlosen bestimmten neben vielen anderen Aufgaben<br />

die Verbandsarbeit. Da die Dolmetscherinnen sich Anfang der 1980er Jahre noch<br />

in einem lockeren Verbund auf privater Ebene trafen, jedoch nicht als offiziell<br />

fester Zusammenschluß organisiert waren, war die Unterstützung der Gehörlosen<br />

individuell zwar gegeben 224 , jedoch nicht als eigenständige Gruppe mit<br />

politischem Einfluß. Die Dolmetscherinnen erklärten sich mit den Gehörlosen solidarisch.<br />

Ihre Unterstützung belief sich weitestgehend auf die Bereitschaft zu dolmetschen,<br />

auch wenn sich die (noch sehr geringe) Bezahlung erst später ergab<br />

bzw. sich nach einem Einsatz herausstellen sollte, daß es keine Kostenübernahme<br />

geben würde. 225<br />

Nachdem ab 1984 vom Senat ein kleines Budget für Dolmetschleistungen <strong>zur</strong><br />

Verfügung stand und von Jahr zu Jahr auch die Zahl der Aufträge anstieg, wurde<br />

1989 von Landesverbandsseite versucht, die Nachwuchssituation zu verbessern.<br />

Deutschlandweit standen keine Ausbildungsgänge für Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

<strong>zur</strong> Verfügung. Deshalb entschied sich der Landesverband für einen<br />

öffentlichen Aufruf im Informations-Blatt: Hörende Personen, „die gut mit Gehörlosen<br />

kommunzieren können, oder den Wunsch haben, dies zu lernen” 226 , wurden<br />

um Unterstützung gebeten und gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, in bestimmten<br />

Situationen als Dolmetscherin zu fungieren. Bei einem Kennenlern-<br />

222 Informations-Blatt, März 1983: 2<br />

223 Die Vereine konnten für Vorträge, Besprechungen, Beratungen usw. eine Dolmetscherin beim<br />

Vorstand des Gehörlosenfreizeitheims beantragen, der über das Geld verfügte. - vgl. Informations-<br />

Blatt, Juli 1984: 1<br />

224 Beispielsweise gaben einzelne Dolmetscherinnen Hilfestellung bei der Formulierung von Briefen<br />

und Anträgen. - vgl. Probandin I: 27<br />

225 vgl. Probandin VII: 17<br />

226 Informations-Blatt, Juni 1989: 1<br />

74


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Treffen sollte beschlossen werden, wie und wann die Interessierten ausgebildet<br />

werden könnten. So kam es zu ‚Hilfsdolmetscherinnen’, die aus der Not geboren<br />

wurden. Sie sollten zunächst bei den in Bremen tätigen Dolmetscherinnen hospitieren<br />

und so im Austausch mit ihnen zu Dolmetsch-Grundkenntnissen gelangen.<br />

227 Beiden Seiten, sowohl den gehörlosen Initiatorinnen als auch den Bremer<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen, war bzw. wurde schnell bewußt, daß die Notlösung<br />

mit ‚Hilfsdolmetscherinnen’ keine langfristige Lösung darstellten konnte.<br />

<strong>Eine</strong> Dolmetschsituation stellt für einen sprachlichen Laien immer eine Überforderung<br />

dar und ein solches Vorgehen kann somit weder den gehörlosen Klientinnen<br />

noch der ‚Hilfsdolmetscherin’ selbst gerecht werden. So stellte die Nachfrage<br />

im Informations-Blatt nicht viel mehr als einen einmaligen Aufruf dar.<br />

Mit der Zeit gab es in Deutschland verschiedene Vorstöße zum Aufbau von Ausbildungen<br />

228 im Gebärdensprachdolmetschbereich (siehe Kapitel 4.2.5), und die<br />

Mangelsituation besserte sich dadurch ganz allmählich. Sie ist bis zum heutigen<br />

Tage jedoch noch nicht hinlänglich ausgeglichen.<br />

Im folgenden Kapitel werde ich näher auf die Gruppe der Dolmetscherinnen und<br />

ihre Arbeitsorganisation eingehen.<br />

4.2.2 Entstehen einer Dolmetscherinnen-Vermittlung<br />

Um die Dolmetschanfragen zu kanalisieren und eine größtmögliche Abdeckung<br />

zu erreichen, etablierten die Bremer Gebärdensprachdolmetscherinnen eine an den<br />

Landesverband angeschlossene Dolmetscherinnen-Vermittlung. Diese erfolgte zunächst<br />

privat bei jeweils einer Dolmetscherin, deren Telefonnummer durch Aushänge<br />

und Postverteiler bei Firmen und Ämtern bekannt war. 229 Den Gehörlosen<br />

wurden etwaige Veränderungen oder Neuigkeiten jeweils über das Informations-<br />

Blatt und Aushänge im Freizeitheim bekanntgegeben. 230 Technische Möglichkeiten<br />

wie Schreibtelefon, Anrufbeantworter oder Faxgerät waren Anfang der 1980er<br />

Jahre allgemein nur begrenzt verfügbar, somit konnten Gehörlose ihren Bedarf<br />

fernmündlich nur über eine Vertrauensperson, postalisch mit einem Postkarten-<br />

227 vgl. Probandin X: 10<br />

228 vgl. Probandin VII: 1ff; Probandin X: 2ff<br />

229 vgl. Probandin VIII: 20<br />

230 vgl. Probandin IX: 16<br />

75


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

vordruck oder direkt beim Landesverband anmelden. Beim Landesverband hing<br />

ebenfalls für die Postkarten bzw. Faltblätter eine Dolmetscherinnenbestellbox aus,<br />

die von den Dolmetscherinnen regelmäßig geleert wurde. Durch die finanzielle<br />

Unterstützung durch den Bremer Senat konnten erstmalig 1983 und dann im weiteren<br />

1984, 1985 und 1987 jeweils eine begrenzte Zahl Schreibtelefone zu ermäßigten<br />

Anschaffungspreisen ausgegeben werden. 231 <strong>Eine</strong>s dieser Telefone wurde<br />

der Vermittlungszentrale <strong>zur</strong> Verfügung gestellt. 232 Sobald es eingerichtet war,<br />

haben die Gehörlosen ihre Dolmetschanfragen überwiegend über das Schreibtelefon<br />

gestellt. 233 Die Anfragen von hörenden Klientinnen wurden ab 1988 dann bei<br />

der jeweiligen Dolmetscherin, die für die Vermittlungszentrale verantwortlich<br />

war, mittels des Anrufbeantworters entgegengenommen.<br />

Mit Einweihung des neuen Saals im Freizeitheim 1993 und gleichzeitiger Aufgabe<br />

der Räumlichkeiten als Dependance durch die Schule für Hörgeschädigte standen<br />

den Gehörlosen mehr Räumlichkeiten <strong>zur</strong> Verfügung. <strong>Eine</strong> Folge davon war,<br />

daß der Vorstand des Landesverbands vom Keller in ein größeres Büro in den<br />

oberen Etagen umzog. Dadurch war auch genug Platz für einen Anrufbeantworter<br />

der Dolmetscherinnen-Vermittlung, der mit einer kleinen Feierlichkeit von den<br />

Dolmetscherinnen im neuen Büro plaziert werden durfte. 234 Dieses Ereignis stellt<br />

neben der Beteiligung an KOFO-Abenden den ersten Schritt der aktiven Zusammenarbeit<br />

<strong>zwischen</strong> den Dolmetscherinnen und dem Landesverband dar. 235<br />

Mit Einrichtung des Beruflichen Fachdiensts für Hörgeschädigte (FDH) 1994 und<br />

der damit verbundenen Einstellung einer Verwaltungsfachkraft auf Teilzeitbasis,<br />

wurde die Dolmetscherinnen-Vermittlung neu organisiert. Übergangsweise, das<br />

heißt, bis eine vom Landesverband angestrebte feste Stelle für unter anderem solche<br />

Belange eingerichtet war, sollte durch diese Verwaltungsfachkraft die Vermittlung<br />

solcher Aufträge, die für den FDH relevant waren, übernommen werden.<br />

Praktisch erreichten aber auch darüber hinausgehende Anfragen diese Stelle und<br />

231 vgl. Informations-Blatt, Mai 1983: 1; Informations-Blatt, Juli 1984: 1; Informations-Blatt, Juni<br />

1985: 1; Informations-Blatt, Juli/August 1987: 1 - Ab 1988 mußte unter Einkommensprüfung<br />

durch das Sozialamt ein Antrag auf Bewilligung eines ermäßigten Schreibtelefons gestellt werden<br />

und konnte nicht mehr über den LV Bremen verteilt werden. - vgl. Informations-Blatt,<br />

März 1988: 1<br />

232 vgl. Probandin VIII: 21<br />

233 vgl. Probandin VIII: 20<br />

234 vgl. Probandin VI: 16; Informations-Blatt, November 1991: 1<br />

235 vgl. Probandin VI: 17<br />

76


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

wurden unkompliziert mitbearbeitet. Von Vorteil waren die nun dauerhaft eingerichtete<br />

(Schreib-)Telefon- und Faxnummer und die Erreichbarkeit zu bestimmten<br />

Stunden am Tag. Potentielle Klientinnen hatten von diesem Zeitpunkt an eine direkte<br />

Ansprechpartnerin, die bei etwaigen zusätzlichen Nachfragen umgehend<br />

Auskunft geben konnte.<br />

Die Dolmetscherinnen waren somit nicht mehr in die Vermittlungsarbeit eingebunden<br />

und konnten sich auf die Dolmetschtätigkeit die Organisation ihrer Einsätze<br />

konzentrieren. Dieser Schritt bedurfte zunächst der Gewöhnung 236 , stellte<br />

aber für die Mehrheit eine Erleichterung dar, da sie weiterhin nebenberuflich dolmetschten<br />

und so dem gestiegenen Dolmetscherinnenbedarf mehr freie Kapazitäten<br />

gegenüberstellen konnten.<br />

Aufgrund der weiter oben beschriebenen fortschreitenden Altersstruktur im Vereinsbereich<br />

und der damit einhergehenden Nachwuchssorgen verlegten die Vertreterinnen<br />

des Landesverbands ab Mitte der 1990er Jahre ihre Hauptforderung<br />

auf die oben erwähnte hauptamtliche Stelle für eine Gehörlosenberatungsstelle<br />

mit Sitz im Freizeitheim, die auch geschäftsführerische Tätigkeiten umfassen sollte.<br />

237 Bewilligt wurde die Beratungsstelle schließlich 2002, sie wurde im selben<br />

Jahr mit einer nebenberuflich tätigen Dolmetscherin besetzt. Die Beratung umfaßt<br />

in Abgrenzung zum Sozialdienst für Gehörlose sämtliche Hilfestellungen, die<br />

nicht dem staatlichen Sozialbereich zugeordnet werden, wie beispielsweise das<br />

Erklären von Briefen, Schadensmeldungen bei der Versicherung, Erledigung von<br />

Telefonaten u. ä.<br />

Für die in Bremen tätigen Dolmetscherinnen stellte die neuerliche Umorganisation<br />

eine Chance dar, alte Strukturen aufzubrechen und auf bestimmte Abläufe<br />

Einfluß zu nehmen und sie in Abstimmung mit allen beteiligten Personen (Dolmetscherinnen,<br />

Vermittlung und Landesverband) zu verändern. So zählt mit der<br />

Neugestaltung der Vermittlungszentrale beispielsweise die Klärung des Kostenträgers<br />

jeweils vor Verschicken der Auftragsbestätigung fest zu den Aufgaben der<br />

Vermittlerin. Dies ist eine teilweise aufwendige Aufgabe, die von der Verwaltungsfachkraft<br />

des FDH aus zeitlichen Gründen nicht immer gewährleistet werden<br />

konnte. Durch eine Person vom Fach kann zudem bei Auftragseingang detaillier-<br />

236 vgl. Probandin X: 18<br />

237 vgl. Probandin I: 6<br />

77


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

ter über allgemein übereinstimmende Einsatzmodalitäten und weitere einsatzrelevante<br />

Punkte Auskunft gegeben werden. Bis heute stellt es somit für die Dolmetscherinnen<br />

eine weitere Erleichterung bei ihrer Arbeitsorganisation dar.<br />

Als Finanzierungsmodell für die Dolmetscherinnenvermittlung einigten sich der<br />

Träger (Landesverband), verschiedene Ämter (Integrationsamt, Arbeitsamt, Sozialdeputation)<br />

und Dolmetscherinnen auf einen Kostenbeitrag von 5,00 € für jeden<br />

vermittelten Auftrag (pro Einsatztag). Er wird jeweils anteilig von Bestellerin<br />

und der Dolmetscherin getragen. Die Vertragsverhandlungen (Kostensätze, Stornierungsfristen<br />

etc.) führen die Dolmetscherinnen nach wie vor selbst.<br />

<strong>Eine</strong> Übersicht über die Ausdehnung der Einsatzgebiete in Bremen und im niedersächsischen<br />

Umland sowie ihre quantitative Entwicklung gibt nachfolgende Tabelle<br />

238 :<br />

1970er Jahre 1980er Jahre 1990er Jahre ab 2000<br />

Elternabende Elternabende Elternabende Elternabende<br />

Fernsehen<br />

Fernsehen<br />

Standesamt Standesamt Standesamt Standesamt<br />

Gericht Gericht Gericht Gericht<br />

Polizei Polizei Polizei Polizei<br />

andere Behörden andere Behörden<br />

Arbeitsamt<br />

Arbeitsamt<br />

Hauptfürsorgestelle Integrationsamt<br />

Sozialamt<br />

Sozialamt<br />

Ärztinnen Ärztinnen Ärztinnen Ärztinnen<br />

Krankenhaus Krankenhaus Krankenhaus Krankenhaus<br />

Firmen Firmen Firmen Firmen<br />

Betriebsversamml. Betriebsversamml. Betriebsversamml. Betriebsversamml.<br />

Vorstellungsgespräche Vorstellungsgespräche Vorstellungsgespräche<br />

Einarbeitungen Einarbeitungen Einarbeitungen<br />

Schulungen Schulungen Schulungen<br />

Dienstbesprechungen Dienstbesprechungen<br />

Teamgespräche Teamgespräche<br />

Berufsschule Berufsschule Berufsschule<br />

Vereinsarbeit Vereinsarbeit Vereinsarbeit Vereinsarbeit<br />

privat privat privat privat<br />

Ausflüge Ausflüge Ausflüge Ausflüge<br />

Kirche Kirche Kirche<br />

Notar Notar Notar<br />

Eigentümerversamml. Eigentümerversamml. Eigentümerversamml.<br />

polit. Veranstaltungen polit. Veranstaltungen<br />

Fortbildungen<br />

kulturelle Veranstaltungen<br />

238 vgl. Probandin VI: 19; Probandin VII: 5; Probandin VIII: 21; Probandin IX: 16;<br />

Probandin X: 15f; Statistik der Gebärdensprachdolmetscherinnen des BreGSD<br />

78


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Farblegende:<br />

grau<br />

oliv<br />

blau<br />

rot<br />

= sehr selten (1-5 Einsätze/Jahr)<br />

= selten (6-10 Einsätze/Jahr)<br />

= relativ häufig (11-15 Einsätze/Jahr)<br />

= häufig (16 Einsätze und mehr/Jahr)<br />

Die Einsätze pro Jahr sind jeweils als Einsatztage zu verstehen, wobei ein Auftrag<br />

mehrere Tage umfassen kann. Über die Dauer der Einsätze gibt diese Tabelle keine<br />

Auskunft; sie variiert von fünf Minuten bis acht Stunden pro Einsatztag. Einige<br />

der genannten Bereiche sind selbsterklärend, andere sind nur mehr Oberbegriffe,<br />

die stellvertretend für folgende Einsatzgebiete stehen:<br />

- Fernsehen = regionale Nachrichtensendung ‚Buten & Binnen’<br />

- Gericht = Verhandlungen, Betreuungssachen, Scheidungen etc.<br />

- Arbeitsamt = Beratungen, Umschulungsmaßnahmen etc.<br />

- Hauptfürsorgestelle bzw. Integrationsamt = FDH, Gespräche mit Kolleginnen<br />

und mit der Arbeitgeberin, Mahnverfahren, Kündigungsgespräche etc.<br />

- Sozialamt = Sozialdienst, Anträge, Gespräche mit Betreuerinnen<br />

- Ärztinnen = Sprechstunde, Vorsorgeuntersuchungen, Gesundheits-Checks etc.<br />

- Krankenhaus = Aufnahmen, OP-Gespräche, Einverständniserklärungen<br />

- Vereinsarbeit = Sitzungen, Gespräche mit Politikern, öffentl. Auftritte, KOFO<br />

- Kirche = Taufen, Kommunionen/Konfirmationen, Hochzeiten, Beerdigungen<br />

- kulturelle Veranstaltungen = Theater, Kino, Führungen<br />

Wie aus obenstehender Tabelle deutlich hervorgeht, hat die Quantität der Einsätze<br />

in Bremen über die Jahrzehnte zugenommen. Besonders in den Bereichen Elternabende,<br />

Ärztinnen und Firmen (Betriebsversammlungen) ist ein kontinuierlicher<br />

Anstieg zu verzeichnen. Neue Bereiche wie Fernsehen, Arbeitsamt, Integrationsamt,<br />

Dienstbesprechungen und Teamgespräche treten zwar erst seit relativ kurzer<br />

Zeit auf, nehmen jedoch umgehend eine hohe Dolmetscherinnenkapazität in Anspruch.<br />

Andere neue Bereiche (private Fortbildungen und kulturelle Veranstaltungen)<br />

stellen wiederum eine ganz neue Herausforderung an die Dolmetscherinnen<br />

dar, und vor allem die kulturellen Veranstaltungen sind ein Beispiel dafür,<br />

wie umfangreich das Anforderungsprofil für Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

ist, es aber aufgrund der geringen Auftragsquantität wohl schwerlich zu einer Spezialisierung<br />

in diesem Bereich kommen wird (vgl. Kapitel 4.1.1).<br />

79


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

In anderen Bereichen wie Standesamt sowie dem gesamten juristischen Bereich<br />

(Gericht, Polizei, Notar) sind die Einsätze über die Jahre nahezu gleichbleibend<br />

häufig.<br />

Der Anstieg der Einsätze hat, wie bereits erwähnt, vielschichtige Gründe, die sich<br />

m. E. im Endeffekt alle auf die Entwicklung des Selbstbewußtseins der Gehörlosen<br />

<strong>zur</strong>ückführen lassen. Mit steigendem Selbstbewußtsein und dem Bewußtsein<br />

einer eigenen gehörlosen Identität – damit einhergehend die Einforderung von<br />

Rechten auf gleichberechtigte Teilhabe – und der veränderten, abnehmenden Tabuisierung<br />

von Behinderung durch die Gesellschaft erfolgten tiefgreifende Veränderungen<br />

für die Gehörlosen (und teilweise für mit ihnen zusammenhängende<br />

Berufsgruppen (Pädagoginnen, Dolmetscherinnen)). Eng mit dem öffentlichen<br />

Bewußtsein verbunden ist auch die zunehmende Bereitstellung von Geldern durch<br />

die Ämter und die gesetzliche Verankerung bestimmter Rechte (SGB IX, Behindertengleichstellungsgesetz,<br />

Landesgleichstellungsgesetz). Ohne diese Entwicklung<br />

würde auch der Beruf der Gebärdensprachdolmetscherin sich sicherlich<br />

kaum weiterentwickelt haben.<br />

4.2.3 Die Landesarbeitsgemeinschaft der GebärdensprachdolmetscherInnen<br />

in Bremen (LAG Bremen)<br />

Die in Bremen tätigen Dolmetscherinnen haben sich seit Ende der 1980er Jahre<br />

unregelmäßig vier bis fünf Mal im Jahr im privaten Rahmen getroffen, um sich<br />

auszutauschen. 239 Sie waren untereinander gut bekannt und konnten auf diesen<br />

Treffen u. a. anstehende Dolmetschanfragen koordinieren. 240 Da die Gruppe in<br />

den 1980er Jahren mit sechs bis sieben Kolleginnen noch relativ klein und nicht<br />

als eigener Verband organisiert war, fühlte sie sich den Hamburger<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen zugehörig und hat sich zwecks kollegialen<br />

Austauschs dorthin orientiert. 241 Ein Grund dafür war sicher auch der dort<br />

ansässige Studiengang Hörgeschädigtenpädagogik und die aus Studienzeiten<br />

bestehenden Kontakte zu Kolleginnen in Hamburg. Zudem muß beachtet werden,<br />

daß es zu dieser Zeit deutschlandweit noch keine Vollzeit-Ausbildungen für<br />

239 vgl. Probandin VI: 13<br />

240 vgl. Probandin VII: 13<br />

241 vgl. Probandin VIII: 11<br />

80


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen gab und in Bremen keine der Dolmetscherinnen<br />

vollberuflich arbeitete. Somit war auch das Bewußtsein der Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

als Berufsgruppe noch relativ wenig gefestigt. 242<br />

Den Auslöser für die Gründung einer selbständigen Landesarbeitsgemeinschaft,<br />

der sich als fließender Übergang 243 von privatem Austausch hin <strong>zur</strong> LAG vollzog,<br />

gaben die Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) und die u. a. aufgrund<br />

der angestiegenen Mitgliederzahl erfolgende Distanzierung von den Hamburger<br />

Dolmetscherinnen, die 1992 244 ihrerseits eine LAG gegründet hatten. Die Gründung<br />

der LAG in Bremen erfolgte kurz danach. 245 Darüber hinaus haben zwei<br />

Kolleginnen aus Bremen von 1985-1987 an der berufsbegleitenden Hamburger<br />

Dolmetscherinnen-Fortbildung (siehe Kapitel 4.2.5) teilgenommen und damit einen<br />

weiteren neuen Schritt in Richtung Professionalität vollzogen.<br />

Auf den LAG-Treffen wurden von diesem Zeitpunkt an inhaltlich zunehmend dolmetschrelevante<br />

Themen diskutiert, und direkte Einflüsse aus den USA kamen<br />

speziell von einer Kollegin in die Runde. Zu den Themen gehörten etwa: Auseinandersetzung<br />

mit der Berufs- und Ehrenordnung für Gebärdensprachdolmetscherinnen,<br />

Kontakt mit der BAG und den dort diskutierten Themen, kollegialer<br />

Austausch und Unterstützung bei Unsicherheiten und Problemen im Umgang mit<br />

Klientinnen. <strong>Eine</strong>n großen Stellenwert hat bis zum heutigen Tage das gemeinsame<br />

Eintreten bei öffentlichen Stellen für adäquate Bezahlung. 246 Die Dolmetscherinnen<br />

waren beispielsweise stets um einen guten Kontakt zum Integrationsamt (ehemals:<br />

Hauptfürsorgestelle) bemüht, da dieses seit Anfang der 1990er Jahre einen<br />

großen Teil der Dolmetschkosten bezuschußt und auch mit dem LV Bremen in<br />

Kontakt steht. So sind die Dolmetscherinnen mit der Forderung nach besseren<br />

Einsatzbedingungen, z. B. Forderung nach Bezahlung von Doppelbesetzung und<br />

nach adäquater Bezahlung überhaupt, mit Unterstützung des Landesverbands an<br />

das heutige Integrationsamt herangetreten. Vertreterinnen des Integrationsamtes<br />

legten den Bremer Dolmetscherinnen daraufhin nahe, einen Verband mit einer<br />

Person als feste Ansprechpartnerin zu gründen. Sie meinten, eine Interessenge-<br />

242 vgl. Probandin VIII: 9<br />

243 vgl. Probandin VIII: 12<br />

244 vgl. Flessa, 1992: 322<br />

245 vgl. Probandin VI: 14<br />

246 vgl. Probandin VI: 11; Probandin VII: 15; Probandin VIII: 17; Probandin IX: 12; Probandin<br />

X: 14<br />

81


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

meinschaft, wie die LAG es sei, wäre zu undefiniert, d. h. zu wenig greifbar, da<br />

stets andere Kontaktpersonen an das Integrationsamt im Namen der LAG herantreten<br />

würden. Darüber hinaus sähen sie auch rechtliche Schwierigkeiten, bei der<br />

Verhandlung von Kostensätzen, wenn die Rechtsform der LAG nicht die eines<br />

eingetragenen Vereins wäre. Dabei völlig unbeachtet blieb jedoch ein weiteres<br />

Mal die Argumentation der Dolmetscherinnen, daß es einem Verband unmöglich<br />

sei, Honorarverhandlungen für andere Freiberuflerinnen zu treffen, und daß das<br />

Ziel vielmehr sei, den Mindeststundensatz anzuheben. Verträge für Aufträge sind<br />

auch weiterhin jedoch selbstverständlich mit jeder einzelnen Dolmetscherin zu<br />

verhandeln. 247 Die Gespräche mit den Vertreterinnen des Integrationsamts erwiesen<br />

sich somit zunehmend als uneffektiv.<br />

Mit Inkrafttreten des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) im Jahr 2001<br />

gab es für die einzelnen Bundesländer die Aufgabe der Auslegung und Umsetzung<br />

der neuen Gesetzesvorgabe. In Bremen erfolgte daraufhin eine Einladung an<br />

Vertreterinnen der betroffenen Gruppen und Sozialleistungsträger durch eine Delegierte<br />

der damaligen Sozialsenatorin Bremens. Zu dieser Runde waren neben<br />

Vertreterinnen des Landesverbands der Gehörlosen erstmals auch die Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

als eigene stellungnehmende Partei geladen. In diesem<br />

Rahmen konnten sie sich somit solidarisch mit den Gehörlosen zeigen und dennoch<br />

unabhängig auftreten.<br />

Diese Einladung stellt für die Bremer Gebärdensprachdolmetscherinnen ein wichtiges<br />

Signal für die Anerkennung des Berufsstands dar. Sie bedeutet ein Ernstgenommen-Werden<br />

bei öffentlichen Stellen und eine Abkehr der Sichtweise als<br />

bloßes Anhängsel des LV Bremen. In dieser Weise die eigenen Interessen<br />

vertreten zu können markierte gleichfalls den Übergang zum BreGSD (siehe<br />

Kapitel 4.2.6).<br />

4.2.4 Buten & Binnen<br />

‚Buten & Binnen’ ist die regionale Nachrichtensendung des Rundfunksenders<br />

‚Radio Bremen’. Sie wird täglich außer sonntags in unterschiedlichen Formaten<br />

ausgestrahlt. Seit 1997 wird täglich von Montag bis Freitag vor der Hauptsen-<br />

247 I. d. R. erfolgen diese Vertragsverhandlungen mit den jeweiligen Gehörlosen oder Firmen, die<br />

als Auftraggeber fungieren, wenngleich sich das Integrationsamt Bremen in der Vergangenheit<br />

auch um Intervenierung in dieses rechtliche Verhältnis bemühte, um selbst als Auftraggeberin aufzutreten<br />

und so die Stundensätze festzulegen.<br />

82


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

dung, die ohne Dolmetscherinnen produziert wird, eine fünfminütige Sendung mit<br />

regionalen Nachrichten mit Dolmetscherinnen gesendet.<br />

Der Einzug von Dolmetscherinnen in die Sendung ist ein Beispiel für die Zusammenarbeit<br />

Gehörloser und Dolmetscherinnen. Grundgedanke war die Idee einer<br />

Dolmetscherin, die nebenberuflich beim Sender arbeitete, das Angebot für Minderheiten<br />

auszuweiten. Da plattdeutsche Nachrichten im Hörfunkbereich bei Radio<br />

Bremen eine lange Tradition haben und die Gehörlosen eine weitere Minderheit<br />

darstellen, wurde die Idee von der Dolmetscherin so lange im Sender verbreitet,<br />

bis sie auf Interesse stieß. 248 In <strong>Verbindung</strong> mit Vertreterinnen des LV Bremen,<br />

die sich, einhergehend mit den Forderungen der Gehörlosen beim Norddeutschen<br />

Rundfunk (NDR) 1995 249 nach Dolmetscherinnen-Einblendung im<br />

Fernsehen, um einen Vorstoß im Bereich Information für Gehörlose bemühten,<br />

kam es so zu mehreren Gesprächen mit der Intendanz. Diese Gespräche fanden<br />

unter Gebärdensprachverdolmetschung statt. Politische Dolmetscherinnen waren<br />

somit nicht geladen, gleichfalls Stellung zu nehmen, sondern blieben als Dolmetscherinnen<br />

nur im Hintergrund.<br />

Nach anfänglichen Widrigkeiten – der Sender sah beispielsweise Probleme bei der<br />

technischen Umsetzung – kam es 1997 dann unvermittelt <strong>zur</strong> Entscheidung für<br />

das Sendeformat mit Dolmetscherinnen und <strong>zur</strong> Umsetzung desselben. Der Grund<br />

hierfür kann zum einen auf den politischen Druck <strong>zur</strong>ückgeführt werden, der<br />

durch die Mitglieder des Rundfunkrats und Befürworterinnen der Umsetzung ausgeübt<br />

wurde, und zum anderen auf den Umstand, daß das neue Sendeformat für<br />

den ums Überleben kämpfenden Sender ein weiteres Standbein bedeutete.<br />

So wurde ein neues Markenzeichen Bremens geschaffen. Es entstand ein in<br />

Deutschland einzigartiges Sendeformat, welches die jeweilige Dolmetscherin alleinig<br />

im Bild zeigt. Die Nachrichtensprecherin ist zu Beginn der Sendung nur<br />

relativ kurz zu sehen und spricht die verbleibende Zeit aus dem Off. Zum Bedauern<br />

vieler Gehörloser ist die Sendung nur regional empfangbar und hat daher viele<br />

Neiderinnen aus anderen Bundesländern.<br />

248 vgl. Probandin VIII: 30<br />

249 In diesem Jahr rief der Deutsche Gehörlosen-Bund zu einer bundesweiten Demonstration unter<br />

dem Motto „Gebärdensprache auch ins Fernsehen - Gehörlose haben ein Recht auf Information,<br />

aber NDR und ZDF lehnen Dolmetschereinblendungen ab” in Hamburg auf. - vgl.<br />

Wempe/Walther, 1995: 287ff<br />

83


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

Die Umsetzung der Forderungen der Gehörlosen Bremens stellt einen wichtigen<br />

Schritt hin zu mehr Identität dar. Die Gründe für die Umsetzung sind dabei zweitrangig.<br />

Wichtig ist vielmehr der Zugang zu Informationen in der eigenen Sprache<br />

und daß fast täglich Gebärden in einem Medium zu sehen sind, das viele Menschen<br />

erreicht. Das erzeugt Stolz und stärkt das Selbstbewußtsein, wenn auch<br />

nicht alle Gehörlosen diese Sendung regelmäßig verfolgen (können). 250<br />

4.2.5 Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten<br />

Im Vergleich zu anderen Ländern 251 besteht die Möglichkeit, in Deutschland an<br />

einer Ausbildung <strong>zur</strong> Gebärdensprachdolmetscherin teilzunehmen, erst seit kurzem,<br />

wie folgende Ausführungen zeigen werden. Dafür sollen die wichtigsten<br />

Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten für Gebärdensprachdolmetscherinnen in<br />

Deutschland in chronologischer Abfolge kurz umrissen werden. Sie stellen im<br />

einzelnen jeweils ein mehr oder weniger großes Einflußpotential auf die Bremer<br />

Dolmetscherinnen und deren Sicht auf das Berufsbild dar.<br />

Durch zunehmendes Selbstbewußtsein und Einflüsse aus dem Ausland wurden<br />

seit den 1980er Jahren von immer mehr Gehörlosen gezielte Forderungen nach<br />

qualifizierten DGS-Dolmetscherinnen laut. 252 Die bis dahin in Bremen tätigen<br />

Dolmetscherinnen haben weitestgehend als LBG-Dolmetscherinnen fungiert, da<br />

ihnen einerseits die DGS aufgrund mangelnder Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten<br />

entweder nicht bekannt war – die bewußte Trennung 253 <strong>zwischen</strong> LBG und<br />

DGS wurde für viele (auch für Gehörlose) erst in den 1980er Jahren klar – oder<br />

sie nicht gut genug beherrscht wurde und anderseits ihnen nicht passend erschien.<br />

Einzubeziehen ist dabei m. E. die Tatsache, daß die DGS erst seit Anfang der<br />

1980er Jahre 254 von der Sprachwissenschaft in Deutschland als vollwertige Sprache<br />

eingestuft wurde. Für die Bremer Dolmetscherinnen gilt dasselbe: Den Dolmetscherinnen<br />

war bewußt, daß es da noch „etwas anderes” 255 gab, das ihnen aber<br />

250 vgl. Probandin I: 30; Probandin III: 14; Probandin IV: 14; Probandin V: 12<br />

251 Beispielsweise gibt es in den USA seit 1968 erste ‚quasi’-Ausbildungen, und in Schweden<br />

wurde 1969 die erste Ausbildung für Gebärdensprachdolmetscherinnen durchgeführt. - vgl.<br />

McIntire, 1988: 95; Schwedisches Erziehungsministerium, 1988: 89<br />

252 vgl. Mally, in: Fischer/Lane, 1993: 234<br />

253 vgl. Probandin X: 1<br />

254 vgl. Prillwitz, 1988: 93<br />

255 Probandin VI: 1<br />

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Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

nur sehr begrenzt zugänglich war. Denn den Gehörlosen war ihre Sprache als Unterschied<br />

zu LBG zum großen Teil zwar bewußt, aber sie konnten diese selbst<br />

kaum vermitteln. 256 Die CODAs wiederum konnten sich teilweise mit ihren Eltern<br />

in DGS unterhalten, für die Dolmetschsettings jedoch wurde auf LBG <strong>zur</strong>ückgegriffen,<br />

da das – auch von den Gehörlosen – als korrekt angesehen wurde. 257<br />

Mit der Erweiterung der Bandbreite der Einsatzgebiete und damit auch dem vermehrten<br />

Dolmetscherinnen-Bedarf erhöhten sich die Ansprüche der Gehörlosen<br />

hinsichtlich besserer Qualität und professionellem Auftreten 258 der Dolmetscherinnen.<br />

Gleichzeitig wurde mehr und mehr der Bedarf für die Einrichtung einer<br />

berufsqualifizierenden Gebärdensprachdolmetscherinnenausbildung deutlich, die,<br />

mit mehreren Standorten in Deutschland, dem Dolmetscherinnen-Mangel begegnen<br />

sollte. 259<br />

Im Jahr 1983 260 erfolgte dann erstmalig in Hamburg der Versuch einer<br />

Dolmetsch-Ausbildung nach US-amerikanischen Vorbild 261 . Sie wurde zweimal<br />

angeboten (zweiter Durchgang: 1985-1987), war zweijährig berufsbegleitend<br />

konzipiert, von den Teilnehmerinnen selbst zu finanzieren und fand großes<br />

Interesse im gesamten norddeutschen Raum. Sie war jedoch auf nur wenige<br />

Teilnehmerinnen beschränkt. 262 Inhaltlich wurde für viele Teilnehmerinnen<br />

erstmalig <strong>zwischen</strong> LBG und DGS unterschieden. 263 Mit dieser bewußten<br />

Unterscheidung nahmen die aus Bremen an der Ausbildung teilnehmenden<br />

Dolmetscherinnen eine Vorreiterinnenrolle ein, die erst allmählich Anerkennung<br />

fand. Bei den ersten Versuchen einer DGS-Verdolmetschung stießen sie nämlich<br />

zusehends auf Unsicherheit und Ablehnung, was mit der Bitte endete, lieber bei<br />

LBG zu bleiben. 264<br />

256 vgl. Probandin VI: 2; Mally, in: Fischer/Lane, 1993: 225<br />

257 vgl. Probandin VII: 3<br />

258 Dazu gehört die Verinnerlichung der Berufs- und Ehrenordnung für Gebärdensprachdolmetscherinnen,<br />

die beispielsweise die Einhaltung der Schweigepflicht einschließt. Der Bericht einer<br />

Probandin zeigt, daß dieses Verhalten unter einigen Kolleginnen nicht gegeben war. - vgl.<br />

Probandin IX: 16<br />

259 Dieser eklatante Dolmetscherinnen-Mangel wurde von Prillwitz mit einer eindrucksvollen Bedarfsrechnung<br />

verdeutlicht. - vgl. Prillwitz 1988: 91<br />

260 vgl. Probandin VI: 6<br />

261 vgl. Probandin VII: 3; Schmidt, 1988: 86<br />

262 vgl. Probandin VI: 6<br />

263 vgl. Probandin VII: 3<br />

264 vgl. Probandin VII: 3<br />

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Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

Ein klar gesetztes Ziel der Hamburger Ausbildung war, Dolmetscherinnen-Nachwuchs<br />

auszubilden. Viele der Teilnehmerinnen haben sie jedoch eher als Chance<br />

gesehen, ihre eigenen Gebärdenkenntnisse zu erweitern, und nicht vorrangig als<br />

Berufseinstieg. 265 Inhaltlich wurde viel Vokabelarbeit geleistet und von den angehenden<br />

Dolmetscherinnen vor allem Rollenspiele nachgestellt und durchgesprochen.<br />

266 Übungen in Nonverbaler Kommunikation (NVK) sollten der besseren<br />

Wahrnehmung und somit als Grundlage für den Gebärdensprachaufbau dienen. 267<br />

Ein großes Problem stellte allerdings die Sprachlehre dar. Die Mehrheit der Teilnehmerinnen<br />

waren mit LBG gut vertraut, mit DGS jedoch nur wenig oder gar<br />

nicht. Ferner steckte die DGS-Forschung zu diesem Zeitpunkt noch in den Kinderschuhen.<br />

Die Sprachlehre stellte also die allergrößten Anforderungen an die<br />

Ausbilderinnnen, die diesen zu jener Zeit nur bedingt gewachsen waren. 268 Trotz<br />

großer Bemühungen der Initiatorinnen war dieser von Prillwitz als „‚Not’ausbildung”<br />

269 bezeichnete Vorstoß nach zwei Durchgängen zum Scheitern verurteilt,<br />

da das Dozentinnen-Team an dem noch zu wenig ausgereiften und zu wenig fundierten<br />

Konzept zerbrach. 270<br />

Ein weiterer Vorstoß in Richtung Gebärdensprachdolmetscherinnen-Ausbildung<br />

wurde dann 1991 in Essen mit der Einrichtung eines vierjährigen Modellprojekts<br />

des Landesverbands der Gehörlosen in Nordrhein-Westfalen (LV NRW) gemacht.<br />

Die Finanzierung und Durchführung erfolgte durch die beiden Hauptfürsorgestellen<br />

der Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit dem<br />

Landesverband der Gehörlosen und dem nordrhein-westfälischen Sozialministerium.<br />

Finanziert wurden zwei Stellen für gehörlose Dozentinnen und eine Stelle<br />

für die organisatorische Abwicklung. 271 Dieses als ‚MoVesDo’ (= Modellversuch<br />

Gebärdensprachdolmetscher-Ausbildung Nordrhein-Westfalen) bezeichnete Projekt<br />

umfaßte zwei Durchgänge und nach Abschluß erhielten die Teilnehmerinnen<br />

ein Zertifikat des LV NRW. Die Auswertung dieses Modellprojekts ergab, daß die<br />

265 vgl. Probandin VII: 3<br />

266 vgl. Probandin X: 4<br />

267 vgl. Schmidt, in: Mally, 1993: 224<br />

268 vgl. Probandin X: 1<br />

269 Prillwitz 1988:92<br />

270 vgl. Probandin VII: 2<br />

271 vgl. Landschaftsverband Rheinland, 1991: 454<br />

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Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

allein in der Ausbildung zu erwerbende Gebärdensprachkompetenz zu gering für<br />

die Ausübung des Berufs sei und daher idealerweise eine Sprachausbildung vorgeschaltet<br />

sein müsse. Eben solch eine Sprachausbildung wurde daraufhin im<br />

Landesinstitut für Gebärdensprache (LINGS) in Essen etabliert. Gleichzeitig startete<br />

der LV NRW eine Umfrage, um zu ermitteln, wo der Großteil der Gebärdensprachdolmetsch-Einsätze<br />

benötigt würde, um – basierend auf den Ergebnissen<br />

– ein Curriculum für eine dahingehend angepaßte Ausbildung zu erstellen und<br />

um eine passende Prüfungsinstanz mit bundesweiter Anerkennung zu finden. Die<br />

Umfrage ergab, daß ca. 80% der Einsätze berufsbezogen sind, das heißt, den wirtschaftlichen<br />

und technischen Bereichen zugeordnet werden können. Die dafür<br />

passende Prüfungsinstanz war somit die Industrie- und Handelskammer (IHK) in<br />

Düsseldorf. Nach Vorlage in den Ministerien wurde daraufhin der Auftrag erteilt,<br />

ein Pilotprojekt zu starten, welches im Juni 2003 begann. Es umfaßt ein dreigleisiges<br />

Ausbildungsangebot mit Umschulung, berufsbegleitenden Ausbildung und<br />

Möglichkeit <strong>zur</strong> Weiterqualifizierung für diejenigen Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

mit langjähriger Berufserfahrung aber ohne anerkannten Qualifikationsnachweis.<br />

Alle drei Ausbildungsangebote schließen mit der IHK-Prüfung für den<br />

Titel ‚Staatlich geprüfte Gebärdensprachdolmetscherin (IHK)’ bzw. ‚ Staatlich geprüfter<br />

Gebärdensprachdolmetscher (IHK)’ ab. <strong>Eine</strong> weitere Vollzeit-Umschulung<br />

nach Essener Konzept startete 2003 am Berufsbildungswerk Bad Pyrmont. An ihr<br />

sind viele der Essener Dozentinnen beteiligt. Sie ist ebenfalls für zwei Jahre<br />

ausgelegt und schließt mit der IHK-Prüfung in Düsseldorf ab. 272<br />

In Bayern gibt es seit dem 24. Oktober 1991 eine „Prüfungsordnung für Gehörlosendolmetscher<br />

bei Gericht und Behörden (GDPO)” 273 , die einen großen Vorstoß<br />

bedeutete, da sie die erste ihrer Art in Deutschland überhaupt war. Sie war in<br />

Fachkreisen jedoch sofort umstritten 274 , da sie teilweise sehr ‚schwammig’ formuliert<br />

war, nach Expertinnenmeinung viele veraltete Begriffe enthielt und Fachleute<br />

aus der Pädagogik, welche für den Dolmetschbereich keine Fachleute sind,<br />

für die Besetzung der Prüfungskommission vorsah. Darüber hinaus sollte die er-<br />

272 Gespräch mit der Dozentin Frau Knühmann-Stengel, 2004; vgl. www.lingsnrw.de<br />

273 Deutsche Gesellschaft <strong>zur</strong> Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen e. V. (DG),<br />

1992: 66ff<br />

274<br />

vgl. Flessa/Schaffers, 1992: 70ff; Vorstand der LAG Bayern, 1992: 73; Kopp-Zug,<br />

1992: 232ff; Kaiser, 1992: 472f<br />

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Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

folgreiche Teilnahme zum Führen des Titels ‚Staatlich geprüfter Dolmetscher’<br />

bzw. ‚Staatlich geprüfte Dolmetscherin’ berechtigen, welches einer ungerechtfertigten<br />

Aufwertung entspräche. Es käme dem Titel im Lautsprachendolmetschbereich<br />

gleich, ohne jedoch vergleichbaren Maßstäben zu genügen. 275<br />

Kurz nach Veröffentlichung der Prüfungsordnung folgte 1993 auf Bitten des Bayerischen<br />

Staatsministeriums für Arbeit, Familie und Soziales die Bildung einer<br />

vorläufigen Lehrplankommission durch das Bildungswerk des Verbandes der bayerischen<br />

Bezirke als Träger, mit dem Ziel, eine Ausbildung von Gehörlosendolmetschern<br />

276 in Bayern zu schaffen. 277 Auf eine Empfehlung verschiedener Ministerien<br />

wurde schließlich im Jahre 1999 das Gebärdensprach-Institut Bayern (GIB)<br />

gegründet, welches drei Jahre später den ersten nebenberuflichen Ausbildungsgang<br />

anbieten konnte. Der erste Durchgang ist im Gegensatz zu den darauffolgenden<br />

dreijährigen Aubildungsgängen lediglich auf zwei Jahre angelegt und war<br />

nur für bereits berufserfahrene Gebärdensprachdolmetscherinnen ausgeschrieben.<br />

<strong>Eine</strong> Prüfungsordnung, die juristisch gesehen auf der GDPO von 1991 basiert,<br />

wird im Jahr 2004 nach vollständiger Überarbeitung veröffentlicht werden. Der<br />

erfolgreiche Abschluß der GIB-Ausbildung ist dann der staatlichen Prüfung in<br />

Darmstadt (siehe unten) gleichrangig.<br />

An der Universität Hamburg wurde 1992 dann mit Voranschreiten der Forschung<br />

der Modellversuch des Studiengangs ‚Gebärdensprache’ als Lieferant von „wichtige[n]<br />

Bausteine[n] für eine umfassende berufsqualifizierende Vollausbildung für<br />

Gebärdensprachdolmetschen” 278 eingerichtet. Es folgte im Wintersemester<br />

1993/94 der Modellstudiengang ‚Gebärdensprachdolmetschen’ ebenfalls an der<br />

Universität Hamburg 279 , der ab dem Wintersemester 1996/97 zu einem Regelstudiengang<br />

etabliert werden konnte.<br />

275 vgl. Prüfungsablauf der staatlichen Prüfung für Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetscher<br />

- Schröder, 2002: 194<br />

276 Der Begriff ‚Gehörlosendolmetscherin’ hat sich im bayerischen Raum aufgrund einer starken<br />

LBG-Befürwortung und Einschätzung der DGS als primitive Sprache durch die Funktionäre am<br />

längsten gehalten. Erst 1989 löste der Deutsche Gehörlosen-Bund mit einer Abstimmung diesen<br />

Begriff in den meisten Teilen Deutschlands gegen den Begriff ‚Gebärdensprachdolmetscherin’ ab.<br />

- vgl. Mally, in: Fischer/Lane, 1993: 235<br />

277 vgl. Jehl, 1993: 241<br />

278 Prillwitz, 1993: 150<br />

279 vgl. Flessa/Schaffers, 1992: 320f<br />

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Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Die Ausbildungsinhalte umfassen verschiedene Schwerpunkte: DGS, LBG, visuell-taktile<br />

Kommunikationssysteme (Lormen/Nießen) 280 , Translationswissenschaft,<br />

Dolmetsch- und Übersetzungstechniken, Rhetorik, Geschichte, Kultur und<br />

Soziologie der Gehörlosen und ihrer Gebärdensprachgemeinschaften, Gebärdensprachlinguistik<br />

sowie verschiedene Sachgebiete und Praktika. Diese universitäre<br />

Ausbildung mit einer Regelstudienzeit von neun Semestern schließt mit einer Diplomprüfung<br />

für den akademischen Grad ‚Diplom-Gebärdensprachdolmetscherin’<br />

bzw. ‚Diplom-Gebärdensprachdolmetscher’ ab. 281<br />

Mit dieser universitären Vollausbildung wurde der Beruf Gebärdensprachdolmetscherin<br />

erstmalig auf einem Niveau angesiedelt, der dem Dolmetschen zukommt<br />

und wo er dem Vergleich mit Lautsprachendolmetscherinnen standhält. Die Teilnehmerinnen-Zahl<br />

ist begrenzt auf 15 Studierende pro Jahr. Weitere Vollausbildungen<br />

mit ähnlichen Konzepten folgten 1997 an der Fachhochschule in Magdeburg-Stendal<br />

und 2000 an der Westsächsischen Hochschule Zwickau (FH). 282<br />

In Zwickau wird seit 1993 eine dreijährige berufsbegleitende Ausbildung am Gebärdensprachdolmetscher-Ausbildungszentrum<br />

in Zwickau von der Landesdolmetscherzentrale<br />

für Gehörlose in Sachsen angeboten. 283 Ziel der Ausbildung ist,<br />

dem Dolmetscherinnen-Mangel zu begegnen und darüber hinaus auch ein Angebot<br />

<strong>zur</strong> Qualifizierung für all diejenigen Dolmetscherinnen zu schaffen, die bereits<br />

gebärdensprachkundig und berufserfahren sind, aber aus unterschiedlichen<br />

Gründen an keiner Vollausbildung teilnehmen möchten oder können. Die Kosten<br />

sind von den Teilnehmerinnen selbst zu tragen. Pro Durchgang werden nach einer<br />

Aufnahmeprüfung zwölf Teilnehmerinnen zugelassen. Der fünfte und vorläufig<br />

letzte Durchgang begann im Jahr 2000. 284<br />

Die Teilnehmerinnen erhalten nach erfolgreich durchlaufener Ausbildung ein Zertifikat<br />

des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit und Familie<br />

und einen Dolmetscherausweis. An dieser Ausbildung nahmen auch mehrere Bre-<br />

280 Lormen und Nießen sind Dolmetschtechniken, die bei Taubblinden Verwendung finden. Beim<br />

Lormen werden den taubblinden Personen Informationen in die Handfläche und beim Nießen auf<br />

den Handrücken getippt.<br />

281 vgl. Universität Hamburg, Fachbereich Sprachwissenschaften, 1998: 1ff<br />

282 vgl. Leven, 2000: 484<br />

283 vgl. Landesdolmetscherzentrale für Gehörlose Sachsen, 1995: 192f<br />

284 vgl. http://home.t-online.de/home/lv_gehoerlose-sachsen/sites_03/sites/ldz/ldzgsd.html<br />

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Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

mer Dolmetscherinnen teil und brachten ihre dort gemachten Erfahrungen in den<br />

Kolleginnenkreis ein. 285<br />

<strong>Eine</strong> weitere berufsbegleitende Gebärdensprachdolmetscherinnen-Ausbildung begann<br />

1999 an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Es ist ein weiterbildendes<br />

Studium der Qualifikation zum Gebärdensprachdolmetscher bzw. Gebärdensprachdolmetscherin.<br />

Mit einer Kapazität von 12 Teilnehmerinnen pro Jahrgang<br />

läuft momentan der fünfte Durchgang. Diese Ausbildung geht über eineinhalb<br />

Jahre, und der erfolgreiche Abschluß gilt wie bei anderen Ausbildungen auch<br />

(z. B. SIGNaLE (Berlin)), als Vorbereitung und Zugangsberechtigung <strong>zur</strong> staatlichen<br />

Prüfung in Darmstadt (siehe unten).<br />

Seit Ende 2000 286 gibt es in Darmstadt die Prüfung zum ‚Staatlich geprüften Gebärdensprachdolmetscher’<br />

bzw. <strong>zur</strong> ‚Staatlich geprüften Gebärdensprachdolmetscherin’.<br />

287 Die Prüfung umfaßt zwei Tage mit fünf Abschnitten, die jeweils von<br />

den vier Mitgliedern der Prüfungskommission bewertet werden. Sie beinhaltet<br />

Übersetzungen, einen Aufsatz, Simultandolmetschen in die deutsche Lautsprache,<br />

Simultandolmetschen in LBG und Simultandolmetschen <strong>zwischen</strong> einem hörenden<br />

und einem gehörlosen Mitglied der Prüfungskommission. 288<br />

In Bremen forderten die Dolmetscherinnen im Zuge der Nachrichtensendung ‚Buten<br />

& Binnen’ Fortbildungen zu diesem Bereich als Vorbereitung auf das Fernseh-Dolmetschen.<br />

Es wurden Mittel <strong>zur</strong> Verfügung gestellt, die die Durchführung<br />

einer solchen Fortbildung 1997 sowie das Erstellen von Video-Material mit<br />

Vokabel-Sammlungen ermöglichten. 289<br />

285 Nach Beginn des fünften Durchgangs wurde die erfolgreich abgelegte Prüfung nicht mehr als<br />

gleichwertig <strong>zur</strong> Darmstädter Prüfung (siehe unten) anerkannt.<br />

286 vgl. Deutsche Gehörlosen-Zeitung, Mai 2001: 138<br />

287 Die Durchführung obliegt dem Dezernat für die Organisation und Durchführung der Staatlichen<br />

Prüfung für Übersetzer und Übersetzerinnen, Dolmetscher und Dolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetscher<br />

und Gebärdensprachdolmetscherinnen.<br />

288 vgl. Schröder, 2002: 194<br />

289 vgl. Probandin I: 3<br />

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Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Wichtig ist und bleibt neben der Ausbildung die Fortbildungsmöglichkeit für bereits<br />

tätige Gebärdensprachdolmetscherinnen. Treffend beschrieben wird dies im<br />

„Berufsbild für Gebärdensprachdolmetscher/innen und verwandte Berufe”. Durch<br />

Verbesserung und Neuentwicklung medizinisch-technischer Hilfen, Veränderung<br />

der Bildungssituation Gehörloser, neue Entwicklungen in den Kommunikationstechnologien,<br />

gesetzliche Veränderungen sowie zunehmende Globalisierung und internationale[n]<br />

Austausch [...] wandeln sich auch die Bereiche und Situationen, mit<br />

denen Gebärdensprachdolmetscherinnen konfrontiert werden: Ansprüche an das<br />

Verhalten, die Fähigkeiten und Kenntnisse von Dolmetscherinnen werden sich verändern<br />

bzw. erhöhen, technisches Wissen wird in Zukunft eine größere Rolle spielen<br />

[sic] und eine Erweiterung der Einsatzbereiche ist bereits jetzt abzusehen. Die politische<br />

Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache wird diesen Wandel voraussichtlich<br />

noch forcieren. Um konstant eine qualitativ hochwertige Leistung erbringen<br />

zu können, ist eine ständige Auseinandersetzung mit den hier genannten Veränderungen<br />

sowie eine Anpassung an dieselben unabdingbar. 290<br />

Dolmetscherinnen müssen sich ständig fortbilden, um den Anforderungen, die der<br />

Beruf und ihre Klientel an sie stellen, gewachsen zu sein. Dies zieht unterschiedliche<br />

Konsequenzen nach sich. Es erfordert beispielsweise eine Weiterentwicklung<br />

im Fortbildungsangebot selbst. Momentan versuchen die verschiedenen Berufsverbände<br />

durch ihre Fortbildungsangebote die Grundbedürfnisse der Kolleginnen<br />

abzudecken. Das heißt, es existieren noch zu wenig spezielle, fachlich ausgerichtete<br />

Fortbildungen (z. B. in Bereichen wie Jura oder Medizin). Das ist zum<br />

einen schwierig, weil die Einsatzgebiete sehr weitläufig sind, zum anderen haben<br />

sich aber auch die Dolmetscherinnen noch zu wenig spezialisiert, um eine derartige<br />

Fortbildung selbst anbieten bzw. Fachleute auf diese dolmetschtechnisch vorbereiten<br />

zu können.<br />

Einige Berufsverbände haben in ihre Satzung die Verpflichtung der Mitglieder<br />

zum Nachweis einer bestimmten Anzahl besuchter Fortbildungen in einem bestimmten<br />

Zeitraum aufgenommen (siehe BreGSD in Kapitel 4.2.6). Bei Nichterfüllung<br />

kommt es zum Verlust der Mitgliedschaft. Ziel dabei ist ganz klar, einen<br />

Mindestqualitätsstandard zu schaffen.<br />

Für diejenigen Gebärdensprachdolmetscherinnen, die bereits über viel Dolmetscherfahrung<br />

verfügen, aber selbst keine oder wenig Möglichkeiten <strong>zur</strong> Aus- bzw.<br />

Fortbildung hatten, stellen die oben erwähnten Studiengänge und ihre Absolventinnen<br />

eine nicht einschätzbare Neuheit dar. Die daraus resultierenden gemischten<br />

Gefühle gab es auch unter den Kolleginnen in Bremen: <strong>Eine</strong>rseits ist man froh<br />

290 BGSD, 2002: 19-20<br />

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Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

über den Nachwuchs, um die vielen Dolmetschanfragen endlich besser abdecken<br />

zu können; andererseits gibt es jedoch Vorbehalte aufgrund von Verhaltensweisen<br />

einiger Absolventinnen 291 , die als unpassend angesehen wurden und die die Angst<br />

schüren, die Neulinge könnten sich in gleicher Weise verhalten oder gar mit dem<br />

Anspruch kommen, sie könnten aufgrund ihrer Ausbildung alles anders machen<br />

wollen, als es bisher gelaufen ist. Es prallen somit quasi zwei Dolmetscherinnen-<br />

Generationen aufeinander, deren gemeinsamer zukünftiger Weg auf unterschiedlichen<br />

Erfahrungen basiert. Beispiele dafür sind die Themen ‚Vorbereitung’ und<br />

‚Reflexion’.<br />

Auf der einen Seite stehen diejenigen ‚Do-it-yourself-Dolmetscherinnen’, die<br />

schon immer (teilweise von Kindesbeinen an) gedolmetscht haben und sich das<br />

Dolmetschen ohne die Möglichkeit einer Anleitung, geschweige denn irgendeiner<br />

Form von Ausbildung angeeignet haben. Sie wurden kaum danach gefragt, ob sie<br />

sich gewisse Settings zutrauen würden; es wurde von ihnen vielmehr erwartet, zu<br />

dolmetschen, um bestimmte Kommunikationslücken auszufüllen. 292 <strong>Eine</strong> Redensart,<br />

die in diesem Zusammenhang oft fällt, lautet: „einen Sprung ins kalte Wasser<br />

machen” 293 . Das Verhalten der Dolmetscherinnen, welches auf diesen Erfahrungen<br />

beruhte, war, daß sie selbstverständlich diese Lücken ausfüllen wollten. <strong>Eine</strong><br />

Vorbereitung erfolgte nur in einer äußerst geringen Anzahl von Einsätzen. 294 Im<br />

überwiegenden Teil der Einsätze war es schlichtweg nicht möglich, rechtzeitig<br />

Vorbereitungsmaterial zu erhalten. Der eigentliche Grund war aber vielmehr, daß<br />

es nicht üblich war, sich vorzubereiten, da bis dahin ohne Vorbereitung stets <strong>zur</strong><br />

Zufriedenheit aller gedolmetscht worden war (zum Thema Feedback von Klientinnen<br />

siehe Kapitel 6.1). Die Dolmetscherinnen haben unter diesen Umständen<br />

die bestmögliche Leistung erbracht, um hilfreich zu sein. <strong>Eine</strong> Reflexion der Dolmetschleistung<br />

war ebenso wie die Vorbereitung nicht üblich und konnte nur in<br />

seltenen Fällen ausführlich mit der jeweiligen Klientin 295 durchgeführt werden. 296<br />

<strong>Eine</strong> Reflexion wurde gemeinhin entweder als nicht notwendig empfunden, da die<br />

291 vgl. Probandin VIII: 36f<br />

292 vgl. Probandin VI: 3 und 5; Probandin VIII: 9<br />

293 Probandin VII: 2; Probandin IX: 32<br />

294 vgl. Probandin IX: 14<br />

295 I. d. R. waren und sind das bis heute Gehörlose, die selbst studiert sind oder sich mit der Gebärdensprachlehre<br />

auseinandersetzen. Anzumerken ist dabei jedoch, daß eine optimale Reflexion<br />

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Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Gehörlosen sich zumeist zufrieden zeigten und bestätigten, gut verstanden zu haben,<br />

oder es fehlten den Dolmetscherinnen ganz einfach die Mittel (Kamera bzw.<br />

Teamkollegin) und den Gehörlosen das prozedurale Know-how. Dabei ist das geringe<br />

Reflexionsbedürfnis u. a. auch auf den Umstand <strong>zur</strong>ückzuführen, daß es sich<br />

i. d. R. um LBG-Verdolmetschungen handelte und das Dolmetschprodukt damit<br />

scheinbar als so sicher eingeschätzt wurde, daß es keiner Reflexion der Dolmetschsituation<br />

bedürfe.<br />

Auf der anderen Seite stehen die ‚neuen’, ausgebildeten Dolmetscherinnen. Sie<br />

sind ausgestattet mit einem fundierten Hintergrundwissen über Translation, Dolmetschtechniken<br />

etc., verfügen jedoch zum großen Teil über nur wenig Berufserfahrung.<br />

Mit den aus der Ausbildung mitgebrachten Ideen stoßen sie bei ihren berufserfahrenen<br />

Kolleginnen ebenso auf Offenheit wie auf Befangenheit: Nicht,<br />

daß heutzutage die Vorbereitung auf einen Dolmetscheinsatz und die gezielte Forderung<br />

von Vorbereitungsmaterial für letztere etwas Neues wäre, aber es fehlt ihnen<br />

zum Teil an den nötigen Argumenten, das Einfordern von Vorbereitungsmaterial<br />

beispielsweise bei Firmen, in denen sie schon lange Jahre tätig sind, zu begründen<br />

und u. U. auch an Konsequenz beim Einfordern desselben. Bei einigen<br />

fehlt es aber auch an Informationen und damit der nötigen Einsicht über die Notwendigkeit<br />

und den Vorteil einer Vorbereitung. Darum sind einige Kolleginnen<br />

froh und aufgeschlossen gegenüber dem Nachwuchs, auch aus dem Grund, weil<br />

sie mit dessen Hilfe Neuerungen umsetzen können, die bis dahin nicht oder nur<br />

vereinzelt üblich waren, andere hingegen sind befangen, weil sie es nicht als notwendig<br />

erachten, sich z. B. vorzubereiten, und das ihren Klientinnen gegenüber<br />

auch kundtun. Dieses letztgenannte Verhalten ist m. E. auf fehlende oder zu geringe<br />

Reflexion der eigenen Rolle sowie auf mangelnde Kenntnis der Weiterentwicklung<br />

des Berufes und damit der zu wenigen Beschäftigung mit dem Berufsbild<br />

von heute <strong>zur</strong>ückzuführen. <strong>Eine</strong>r der Gründe dafür könnte die Dolmetschtätigkeit<br />

als Nebenberuf und damit verbunden eine vermutlich geringe Bereitschaft<br />

sein, für einen Nebenberuf mehr Zeit als nötig ein<strong>zur</strong>äumen oder einräumen zu<br />

können.<br />

mit einer Dolmetschkollegin durchgeführt wird und durch die gehörlose Klientin in Form von<br />

Feedback sinnvollerweise ergänzt werden kann, wenn sie dies wünscht.<br />

296 vgl. Probandin VI: 5<br />

93


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

Vorbereitung bedeutet Streßabbau während des Einsatzes und damit im weitesten<br />

Sinne auch Gesundheitsvorsorge für die Dolmetscherin. 297 Wichtig dabei ist, daß<br />

sich die Dolmetscherin vorbereitet fühlt, damit sie entspannt zu einem Einsatz gehen<br />

kann. Vorbereitung bedeutet des weiteren Bereitschaft zu bestmöglicher Leistung<br />

und Fairneß gegenüber den Klientinnen – dabei sind gehörlose und hörende<br />

Klientinnen gleichermaßen gemeint –, da durch eine gezielte Vorbereitung ein reibungsloser<br />

Ablauf des Geschehens wahrscheinlicher ist als ohne. Durch eine gezielte<br />

Vorbereitung sind der Dolmetscherin beispielsweise firmeninterne Abkürzungen<br />

geläufig, was eine Minimierung der akustischen Fehlwahrnehmungen bedeutet.<br />

Darüber hinaus kann eine Vorbereitung der Dolmetscherin für den Dolmetschprozeß<br />

wertvolle Zusammenhänge liefern, die bei erstmaligem Hören u. U.<br />

nicht gleich verständlich sind. Oder aber sie erhält durch Vorbereitungsmaterialien<br />

die Gelegenheit, vor Beginn des Dolmetschens nachzufragen, wenn sie für sie<br />

unverständliche Abläufe, die den gehörlosen Klientinnen als Fachkräften sehr<br />

wohl geläufig sind, zu dolmetschen hat. Ohne nachzufragen, könnte sie als Laie<br />

diese Abläufe nicht bzw. nur un<strong>zur</strong>eichend dolmetschen. Dabei ist zu beachten,<br />

daß nur adäquat gedolmetscht werden kann, was die Dolmetscherin selbst verstanden<br />

hat bzw. verstanden zu haben glaubt. Vorbereitung bedeutet somit die<br />

Möglichkeit zu einer besseren Dolmetschleistung und zu besserem Service für die<br />

Klientinnen.<br />

Zum anderen lehnen die neuen Dolmetscherinnen Aufträge aus Mangel an Kompetenz<br />

und/oder Erfahrung ab – ein Verhalten, das, wie oben beschrieben, früher<br />

nicht nur unüblich war, sondern von den Dolmetscherinnen auch sich selbst gegenüber<br />

vielfach negativ bewertet wurde. Dolmetschanfragen anders als aus terminlichen<br />

Gründen abzulehnen, gestatteten sich Dolmetscherinnen in vielen Fällen<br />

nur, wenn die Abdeckung durch eine andere Kollegin gewährleistet war.<br />

Durch die gestiegene Anzahl an Dolmetschkolleginnen ist es heutzutage allerdings<br />

viel wahrscheinlicher, daß ein abgelehnter Auftrag durch eine Kollegin abgedeckt<br />

werden kann, so daß die negative Sanktion, jemanden ‚hängengelassen’<br />

zu haben, vor allem sich selbst gegenüber längst nicht mehr in demselben Maße<br />

greift wie früher. Die eigene Kompetenz einzuschätzen und Aufträge abzulehnen,<br />

denen man sich (noch) nicht gewachsen fühlt, kann von einigen älteren Kollegin-<br />

297 vgl. Kirketerp, 2003: 101<br />

94


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

nen aber durchaus auch heute noch negativ bewertet und u. U. mit dem berühmten<br />

‚Sprung ins kalte Wasser’ abgewiegelt werden, da sie es in ihren Anfängen<br />

schließlich ebenso tun mußten. Beachtet werden muß aber auch, daß sich die Erwartungen,<br />

die Gehörlose an eine Dolmetscherin heutzutage stellen, verändert haben.<br />

Den Grund für diese Veränderung nennt eine Probandin: „Ich habe ja schon<br />

gesagt, damals waren wir froh, daß wir überhaupt etwas mitbekamen. Und heute<br />

stellen wir gehobene Ansprüche [...]. Jetzt gibt es die Dolmetscher-Ausbildung.<br />

Und dadurch kann man ja auch mehr Ansprüche stellen.” 298 Die Zeit des Duldens<br />

bzw. Erduldens durch die Gehörlosen, wenn eine Dolmetscherin noch sehr jung<br />

und/oder ihre Dolmetschleistung noch verbesserungsbedürftig ist, wird mit zunehmendem<br />

Selbstbewußtsein der Gehörlosen, den Kenntnissen über die eigenen<br />

Erwartungen an Dolmetscherinnen, dem Bewußtsein über freie Wahl einer bestimmten<br />

Dolmetscherin in Zukunft immer kürzer werden. Damit steigt auch der<br />

Konkurrenzdruck unter den Kolleginnen. Daher sind die (neuen) Dolmetscherinnen<br />

bestrebt, diesen veränderten Ansprüchen möglichst vom Beginn ihrer Berufstätigkeit<br />

an zu entsprechen, zumal sie in den meisten Fällen das Gebärdensprachdolmetschen<br />

nicht als Nebenberuf, sondern als vollberufliche Tätigkeit anstreben.<br />

Neben der gezielten Vorbereitung stellt die Reflexion eines Dolmetscheinsatzes<br />

einen Schritt dar, den die neuen Kolleginnen während der Ausbildung wieder und<br />

wieder durchlaufen haben. Es bedeutet eine Chance auf Verbesserung der eigenen<br />

Leistung und gehört für sie zum Dolmetschen selbstverständlich dazu. Sie auch<br />

im Berufsleben für sich zu nutzen, um eine Einschätzung und Kontrolle der eigenen<br />

Leistung zu gewährleisten, ist etwas, an das sich die berufserfahrenen Kolleginnen<br />

mitunter erst gewöhnen müssen (vgl. Kapitel 4.2.6 (Qualitätssicherung und<br />

Teamgespräche)).<br />

Um beide Generationen harmonisch zu vereinen, sind offener Umgang, viele Gespräche<br />

und Diskussionen mit Vergleichen der womöglich unterschiedlichen Ansichten<br />

und dem Abbau bilateraler Vorurteile sowie das gegenseitige Voneinander-Lernen<br />

unumgänglich.<br />

4.2.6 Jüngste Entwicklungen in Bremen (BreGSD)<br />

298 Probandin I: 30<br />

95


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

Die Anzahl der Gebärdensprachdolmetscherinnen ist in Bremen in den letzten<br />

Jahren (Ende der 1990er Jahre) sprunghaft gestiegen. Grund dafür sind u. a. die<br />

vermehrten Ausbildungsangebote (vgl. Kapitel 4.2.5).<br />

Im Zuge der Entwicklungen in anderen Bundesländern (Auflösungen der LAGs<br />

und Gründung von Berufs(fach)verbänden) haben sich die Mitglieder der nunmehr<br />

vergrößerten LAG Bremen dazu entschlossen, die Interessengemeinschaft in<br />

einen Berufsverband umzuwandeln. Durch das neue Erscheinungsbild wird die<br />

Vertretung der Mitglieder nach außen klarer und wirkt professioneller und zeitgemäß.<br />

Darüber hinaus wird das ehemals lockere Versprechen zu ständiger<br />

Weiterbildung durch die Verbandssatzung für alle Mitglieder verpflichtend. Ein<br />

nun <strong>zur</strong> Verfügung stehendes Budget durch die Einführung von Mitgliedsbeiträgen<br />

ermöglicht es dem Berufsverband u. a. auch sich an der Durchführung entsprechender<br />

Fortbildungsmaßnahmen zu beteiligen bzw. diese selbständig anzubieten.<br />

Die Umwandlung von der LAG Bremen in den ‚Berufsverband der GebärdensprachdolmetscherInnen<br />

Bremen’ (BreGSD) erfolgte in dem Bestreben nach einer<br />

solidarischen und starken Gemeinschaft, in der alle Mitglieder sich nicht nur gemeinsam<br />

gesetzten Regeln verpflichten, sondern diese auch nachweislich erfüllen<br />

müssen. Das kommt zum einen bei besagten Fortbildungen, zum anderen bei der<br />

Qualitätssicherung durch Teamgespräche zum tragen. Um Reflexion im Team zu<br />

üben und zu gewährleisten, sind die Mitglieder des BreGSD dazu verpflichtet,<br />

nachweislich mindestens ein Reflexionsgespräch pro Quartal bzw. jährlich mindestens<br />

vier dieser Gespräche nach einem Einsatz mit einer Kollegin durchzuführen.<br />

Ein entsprechender Entwurf für einen Leitfaden eines solchen Gesprächs<br />

wurde entworfen. Das Ziel ist dabei, dem Wunsch nach Qualitätssicherung aus<br />

der Berufsgruppe heraus nachzukommen, 299 im Gegensatz <strong>zur</strong> bis dahin praktizierten<br />

Qualitätssicherung durch eine rein gehörlose Instanz. Um ein Mindestmaß<br />

an Qualität zu gewährleisten, war es bislang üblich, daß der Vorstand des LV Bremen<br />

nach Vorstellung der Anwärterin darüber entschied, ob eine Person auf die<br />

Liste der Dolmetscherinnen-Vermittlungszentrale aufgenommen wird oder nicht.<br />

299 Dieses Ziel erfolgt unter der Maßgabe, daß die Leistung einer Gebärdensprachdolmetscherin<br />

nur durch andere Gebärdensprachdolmetscherinnen überprüft werden kann. - vgl. Flessa/Schaffers,<br />

1992: 70<br />

96


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Die beschriebene Entwicklung hin zum BreGSD ist wie oben erwähnt eher dem<br />

Einfluß von außen, sprich: den Entwicklungen der Berufsverbände in den anderen<br />

Bundesländern zuzuschreiben und nicht dem Einfluß der Gehörlosen der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

Bremens. Das heißt, Ausbildungen, gesetzliche Neuerungen<br />

und damit entstandene Rechte sowie der gestiegene Anspruch an die Profession<br />

beeinflussen die Organisationsstrukturen auch in Bremen.<br />

97


Kapitel 4 – Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bremen<br />

98


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

5. Interviewdarstellung<br />

Nach dem Überblick über die Bremer Situation, in dessen Darstellung bereits einige<br />

Daten der Interviews eingeflossen sind, möchte ich im folgenden Kapitel die<br />

Herangehensweise, Entwicklung und der Aufbau der Interviews darstellen.<br />

Wie es in der <strong>empirische</strong>n Sozialforschung überwiegend der Fall ist, 300 habe auch<br />

ich mich methodisch für eine Befragung entschieden. Aufgrund der unten dargestellten<br />

Literaturlage und der angestrebten Probandinnenzahl können nur qualitative<br />

und nicht quantitative Ergebnisse das Ziel sein. 301 Geplant waren teilstandardisierte,<br />

neutrale Interviews mit vielen offenen Fragen, sogenannte Intensivinterviews<br />

302 .<br />

Bei den Befragungen sollten die Probandinnen möglichst viel über eigene Erfahrungen<br />

berichten und Einschätzungen über die Entwicklung der beiden Gruppen<br />

(Gehörlose/Dolmetscherinnen) abgeben. Ich bin dabei von einem unterschiedlichen<br />

Kenntnisstand der Probandinnen in bezug auf Interviews ausgegangen. Daher<br />

eignet sich das Konzept des Intensivinterviews, auch „Tiefeninterview” 303 genannt,<br />

da mir so als Interviewerin die Möglichkeit bleibt, individuell angemessen<br />

auf die Probandinnen einzugehen und ggf. tiefergehend nachzufragen oder einzelne<br />

Fragen um- bzw. spontan zu formulieren.<br />

5.1 Probandinnen-Akquise<br />

Aufgrund des Erhebungsziels (Überprüfung einer möglichen Beeinflussung der<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen des BreGSD durch die Gehörlosen der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

Bremens und vice versa mitsamt der Historien beider<br />

Gruppen) und unter Berücksichtigung der Angemessenheit der Probandinnenzahl<br />

im Rahmen einer Diplomarbeit war eine bewußte und keine zufällige Auswahl der<br />

Probandinnen vorzunehmen die einzig sinnvolle Entscheidung.<br />

300 Schäfers schreibt dazu: „Die Befragung ist die wohl immer noch am häufigsten verwendete<br />

M[ethode] d[er] emp[irischen] S[ozialforschung].” - Schäfers, 1992: 183<br />

301 vgl. Schäfers, 1992: 184<br />

302 vgl. Friedrichs, 1990: 224ff<br />

303 Friedrichs, 1990: 224<br />

99


Kapitel 5 - Interviewdarstellung<br />

Die Auswahl der gehörlosen Interviewpartnerinnen erfolgte nach folgenden Kriterien:<br />

Alter, Erfahrung im Umgang mit Dolmetscherinnen, Verwendung der Gebärdensprache<br />

im Alltag sowie Zugehörigkeit <strong>zur</strong> Gebärdensprachgemeinschaft<br />

304 , welche sich m. E. vor allem durch die Mitgliedschaft im Landesverband<br />

der Gehörlosen sowie den mehr oder weniger regelmäßigen Aufenthalt im Freizeitheim<br />

ausdrückt. Dabei war es mir wichtig, Gesprächspartnerinnen zu rekrutieren,<br />

die die Gründung des Landesverbandes 1976 miterlebt und u. U. auch mitgestaltet<br />

haben, um Informationen von direkten Zeitzeuginnen zu erhalten. 305 Um<br />

den Blickwinkel der nachfolgenden Generation einzubeziehen, habe ich auch jüngere<br />

Mitglieder der Gebärdensprachgemeinschaft interviewt. Als Probandinnen<br />

kamen somit einige Gehörlose der Gebärdensprachgemeinschaft Bremens sowie<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen des BreGSD in Frage. Die Probandinnen wurden<br />

aus meinem persönlichen Wirkungskreis gezielt ausgewählt. Dabei habe ich<br />

zunächst ein ausgewogenes Verhältnis männlicher und weiblicher Probandinnen<br />

angestrebt. Nachdem ich mir jedoch einen Überblick über die Verbandsstrukturen<br />

in Bremen verschafft hatte, verlagerte ich meine Prioritäten zugunsten der Frauen,<br />

da beispielsweise der Vorstand des Landesverbandes der Gehörlosen in Bremen<br />

weitestgehend aus weiblichen Aktiven besteht. Diese Struktur scheint für Bremen<br />

typisch zu sein, da die anderen Vereine ähnliche Verteilungsschemata erkennen<br />

lassen. Ich entschied mich daher für eine Probandinnenauswahl. Dadurch erhoffte<br />

ich mir umfangreichere Auskünfte u. a. über die Historie und Entwicklungen in<br />

Bremen.<br />

Im Dolmetscherinnenbereich waren ausschließlich weibliche Interviewpartnerinnen<br />

vorgesehen, da dieser Beruf in Bremen nahezu ausschließlich von Frauen ausgeübt<br />

wird. Bei der Auswahl entschied ich mich für Dolmetscherinnen, die ‚von<br />

Anfang an’ dabei waren und die Dolmetschszene in Bremen als Vorreiterinnen<br />

geprägt haben. Meine Recherchen im Vorfeld ergaben, daß unter den ersten Ge-<br />

304 Die wirklich Aktiven im Vereinsleben scheinen mit Ausnahme der Vorstandsvorsitzenden<br />

hauptsächlich diejenigen Personen zu sein, die zu der Minderheit in der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

gehören, nämlich (in<strong>zwischen</strong> erwachsene) Kinder gehörloser Eltern. Diesen Eindruck erhält<br />

man, wenn man die Zusammensetzung der Gremien und des Vorstands betrachtet. Aus diesem<br />

Grund ist der Anteil Gehörloser aus gehörlosem Elternhaus unter den von mir interviewten Personen<br />

so hoch.<br />

305 Beachtet werden muß dabei sicher die Regel: „Je weiter ein Ereignis <strong>zur</strong>ückliegt, desto ungenauer<br />

werden die Angaben”, jedoch genauso die Regel: „Je wichtiger ein Ereignis für eine Person<br />

ist, desto genauer werden die Angaben.” - Friedrichs, 1990: 206<br />

100


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

bärdensprachdolmetscherinnen Bremens auch ein Mann ist. Er wurde daraufhin<br />

von mir für ein Interview gewonnen. Aus Gründen der Anonymität ist in meinen<br />

Ausführungen jedoch stets von Probandinnen die Rede.<br />

Die Alterstruktur der Probandinnen (gehörlos/hörend) läßt sich aufteilen in: 25-<br />

30 Jahre (1/0), 31-40 Jahre (1/2), 41-50 Jahre (1/3), 51-60 Jahre (0/0),<br />

über 60 Jahre (2/0) alt. Vorgesehen waren jeweils vier Interviews mit Vertreterinnen<br />

aus den jeweiligen Gruppen mit einer Länge von nicht mehr als 1,5 Stunden.<br />

Daraus wurden letztlich zehn Interviews mit jeweils fünf Vertreterinnen beider<br />

Gruppen.<br />

5.2 Aufbau des Settings und technische Ausstattung<br />

Der Interviewort war jeweils ein geschlossener, von außen nicht einsehbarer<br />

Raum im Freizeitheim für Gehörlose in Bremen. Durch die Sommerpause war im<br />

Freizeitheim zu Zeiten der Interviews kein Publikumsverkehr, so daß die Befragungen<br />

streßfrei, d. h. ohne Störungen von außen und ohne Unruhe der Probandinnen<br />

durch das Bewußtsein etwaiger Aktivitäten im Nebenraum in einer entspannten<br />

und anonymen Atmosphäre durchgeführt werden konnten. Zudem stellt<br />

das Freizeitheim für Gehörlose in Bremen für die Probandinnen einen wohlvertrauten<br />

Aufenthaltsort dar. Dadurch lassen sich Antwortverzerrungen aufgrund<br />

von Unbehagen, ein Gefühl der Fremde oder neue ungewohnte Eindrücke durch<br />

ein fremdes Umfeld durch das gewählte Setting weitestgehend ausschließen. <strong>Eine</strong><br />

Ausnahme stellen drei der Befragungen dar. Sie wurden aufgrund der weiten Entfernung<br />

des Freizeitheims vom Wohnort im eigenen Hause der Probandin, im Büro<br />

der Probandin und bei mir zu Hause durchgeführt. Bei allen Settings war somit<br />

dennoch jeweils eine der Probandin vertraute und lockere Atmosphäre gegeben.<br />

Um den kommunikativen Gegebenheiten der beiden unterschiedlichen Probandinnengruppen<br />

(gehörlos und hörend) gerecht zu werden, wurden zwei verschiedene<br />

Dokumentationsweisen verwendet. Die Interviews mit den gehörlosen Probandinnen<br />

wurden per Video-Kamera mit Stativ dokumentiert und die Interviews<br />

der hörenden Probandinnen mittels eines Diktiergeräts.<br />

101


Kapitel 5 - Interviewdarstellung<br />

Wie Prillwitz schildert, drohen durch diesen „erforderlichen umfangreichen Einsatz<br />

von Aufnahme- und Dokumentationstechnik während der Interviewdurchführung<br />

[...] zusätzliche Verfremdungseffekte und Antwortverzerrungen” 306 . Diese<br />

waren so gering wie möglich zu halten. Aus diesem Grund habe ich mich beim<br />

Interviewrahmen an das Vorgehen der ULR-Studie 307 gehalten und die dortige<br />

technische Ausstattung sowie die Anordnung bzw. den Aufbau vor Ort für meine<br />

Interviews übernommen. 308 Der Aufbau bestand somit aus einem Tisch zum offenen<br />

Ablegen und damit für die Probandin frei einsehbaren Interviewleitfaden,<br />

zwei Stühlen, seitlich neben dem Tisch einander gegenüber angeordnet, einem<br />

großen Spiegel schräg hinter dem Stuhl der Interviewten und der Kamera gegenüber<br />

der Interviewten bzw. – anstelle der Kamera – des Diktiergeräts auf dem<br />

Tisch liegend.<br />

5.3 Der Interviewleitfaden<br />

Ausgehend von der Fragestellung, inwiefern die Gebärdensprachgemeinschaft<br />

bzw. deren Identitätsentwicklung und Stärkung des Selbstbewußtseins als sprachliche<br />

Minderheit Einfluß auf das berufliche Selbstverständnis und somit auf den<br />

Beruf von Gebärdensprachdolmetscherinnen genommen haben und ob und inwiefern<br />

vice versa die Dolmetscherinnen Einfluß auf die Gehörlosen genommen haben,<br />

habe ich mich in der Vorbereitung auf die Befragung für unterschiedliche<br />

Themenbereiche entschieden und entsprechende Fragen entwickelt.<br />

Die Themenbereiche sind:<br />

(a) Gehörlose (Erfahrungen, typischer Werdegang und Technik);<br />

(b) Dolmetschen (Erfahrungen und Entwicklung);<br />

(c) Einschätzungen über die Entwicklung des Selbstbewußtseins beider Gruppen;<br />

(d) Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden;<br />

(e) Gehörlosenverein;<br />

(f) Landesverband;<br />

(g) Freizeitheim;<br />

(h) Gebärdenkurse (LBG und DGS);<br />

306 Prillwitz, 2001: 36<br />

307 Prillwitz, 2001<br />

308 Näheres zum Aufbau des Interviewsettings: Prillwitz, 2001: 38<br />

102


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

(i) Kommunikationsforum (KOFO);<br />

(j) andere Gruppen in und um Bremen: Hexenhände und Gibarida;<br />

(k) Beruflicher Fachdienst für Hörgeschädigte (FDH);<br />

(l) abschließende Fragen (Wünsche für die Zukunft).<br />

Bei der Auswahl der Themenschwerpunkte waren folgende Kriterien ausschlaggebend:<br />

wichtige Bestandteile im Leben Gehörloser der Bremer Gebärdensprachgemeinschaft,<br />

breitgefächerter Überblick, was es in Bremen in diesem Bereich gibt,<br />

sowie Schnittpunkte von Gehörlosen und Dolmetscherinnen, an denen möglicherweise<br />

Einfluß ausgeübt wurde und wird. Es muß trotz ausgiebiger Literaturrecherche<br />

im Bremer Raum die Tatsache berücksichtigt werden, daß es an Literatur<br />

in diesem Bereich mangelt. So gibt es beispielsweise nur wenige schriftliche<br />

Belege für die chronologische Abfolge der weiter oben skizzierten Darstellung der<br />

Bremer Gebärdensprachgemeinschaft. Neben der Tagespresse und dem seit 1979<br />

elfmal jährlich erscheinenden „Informations-Blatt” 309 fußten meine gesammelten<br />

Informationen daher weitestgehend auf den Interviews. Die im Informations-Blatt<br />

veröffentlichten Berichte und Ankündigungen dokumentieren Veranstaltungen,<br />

Zusammenkünfte und Geschehnisse der Gehörlosen in und um Bremen. Um Informationen<br />

über die historischen Anfänge der Bremer Gebärdensprachgemeinschaft<br />

und der Situation Gehörloser Bremens vor 1979 zu erhalten, entschied ich<br />

mich bei der Befragung neben dem auszuwertenden Teil für einen rein informativen<br />

Befragungsteil, dessen Antworten einige der weiter oben genannten Themenschwerpunkte<br />

ganz oder teilweise abdecken, um so die Literaturlücke weitestgehend<br />

schließen zu können.<br />

Bei der Auswahl der Methode für die <strong>empirische</strong> Sozialforschung fiel die Entscheidung<br />

aus verschiedenen Gründen zugunsten des in der Durchführung zeitlich<br />

aufwendigeren Verfahrens der Interviewerhebung und gegen eine Fragebogenerhebung.<br />

<strong>Eine</strong> schriftliche Befragung („mailed questionnaire” 310 ) ist nur ab einer<br />

relativ hohen Probandinnenzahl effektiv, da die Rücklaufquote schwer im voraus<br />

eingeschätzt werden kann. Sie ist jedoch tendenziell als eher niedrig einzuschät-<br />

309 Informations-Blatt des Gehörlosenfreizeitheims Bremen e. V., 1979-heute<br />

310 Friedrichs, 1990: 236<br />

103


Kapitel 5 - Interviewdarstellung<br />

zen. 311 Außerdem entfällt bei dieser Art der Befragung die Möglichkeit zu etwaigen<br />

Erläuterungen meinerseits bei Nicht-Verstehen der Fragen auf seiten der<br />

Probandinnen. Zudem erhöht sich die Gefahr der willkürlichen Beantwortung der<br />

Fragen um der Antwort willen und damit verbunden auch die mögliche Verfälschung<br />

der Befragungsergebnisse.<br />

<strong>Eine</strong> Notwendigkeit <strong>zur</strong> schriftlichen Befragung war auch insofern nicht gegeben,<br />

da die Probandinnen geographisch nicht stark verstreut sind. Der bei Friedrichs erwähnte<br />

geringere Zeitaufwand bei einer schriftlichen Befragung gegenüber Interviews<br />

312 kann aus untenstehenden Gründen bei meinen Probandinnen und der Art<br />

meiner Fragestellung nicht als entscheidungsbeeinflussender Vorteil zugunsten einer<br />

Fragebogenerhebung gewertet werden.<br />

Die eingangs vorzunehmende Anleitung mit Erläuterungen <strong>zur</strong> Befragung (Sinn,<br />

Zweck und Hintergrund der Befragung, Werben für Verständnis und damit Motivation<br />

<strong>zur</strong> Teilnahme und die Aufklärung über die Wichtigkeit des Projektes für<br />

mich) in schriftlicher Form ist bei Adressatinnen, die <strong>zur</strong> Hälfte aus Gehörlosen<br />

bestehen, eine denkbar schlechte Wahl für eine erfolgreiche Befragung. Darüber<br />

hinaus war es meine Absicht, den Aufwand für die Probandinnen so gering wie<br />

möglich zu halten. Aus diesen Gründen habe ich mich mit den einzelnen Probandinnen<br />

jeweils vor dem geplanten Interviewtermin getroffen, um sie in diesen<br />

Vorgesprächen über mein Vorhaben aufzuklären.<br />

<strong>Eine</strong> Textproduktion von Probandinnen zu erwarten, von denen zum Teil angenommen<br />

werden kann, daß sie ungeübte Schreiberinnen sind bzw. daß die deutsche<br />

Schriftsprache für sie eine Fremdsprache darstellt, die sie überwiegend nur<br />

ungenügend erlernen konnten 313 , wäre ein Fehler. 314 Denn Schwäche in der<br />

Schriftsprachkompetenz ist ein Punkt, der den Voraussetzungen <strong>zur</strong> Fragebogenerhebung<br />

widerspricht. Friedrichs zitiert dafür Goode & Hatt, die in diesem Zusammenhang<br />

von „Auffassungsgabe” und „Schreibgewandtheit” als Voraussetzung<br />

für die schriftliche Befragungsform einer Erhebung sprechen. 315<br />

311 Friedrichs spricht von einer Schwankung <strong>zwischen</strong> 7% und 70%. - vgl. Friedrichs, 1990: 237<br />

312 vgl. Friedrichs, 1990: 237<br />

313 siehe Kapitel 3.1.2<br />

314 Auch George meint in diesem Zusammenhang: „Da ist es wichtig, daß Du Frauen findest, die<br />

das [eine Befragung durchführen] vielleicht selbst machen können [...], weil es für Gehörlose sehr<br />

schwierig ist, so etwas Schriftliches zu verstehen.” - Interview u. a. mit Käthe George, 1995: 280<br />

315 Friedrichs, 1990: 236<br />

104


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

<strong>Eine</strong> schriftliche Befragung hätte sich für meine Belange darüber hinaus insofern<br />

ungünstig ausgewirkt, da ich, wie oben erwähnt, beabsichtigte, die Fragen weitestgehend<br />

offen zu stellen. Durch diese Frageform erhoffte ich mir, von den Probandinnen<br />

soviel Informationen wie möglich zu erhalten. Die Möglichkeit zum<br />

direkten Einhaken und Nachfragen im Interview hat den Vorteil, die Probandinnen<br />

auf Punkte aufmerksam machen zu können, die sie selbst u. U. als unwichtig<br />

und deshalb nicht erwähnenswert eingestuft hätten. Der Rücklauf bei einer Fragebogenerhebung<br />

mit vielleicht stichpunktartigen Antworten birgt zudem die Gefahr,<br />

daß uneindeutige Angaben zu einer subjektiven, d. h. interpretativen Auswertung<br />

der Antworten führen können. <strong>Eine</strong> falsche Auslegung der Antworten<br />

meinerseits hätte dann verfälschte <strong>Untersuchung</strong>sergebnisse <strong>zur</strong> Folge. Um derartige,<br />

möglicherweise falsche Antwortauslegungen ausschließen zu können, wäre<br />

wiederum die persönliche Kontaktaufnahme mit der entsprechenden Probandin<br />

vonnöten. Dies läßt sich bei der Befragungsform des Interviews vermeiden, da<br />

hier der direkte Kontakt schon während der Erhebung besteht.<br />

Für die Interviewerhebung entschied ich mich allem aufgrund der vorgesehenen<br />

offenen Fragestellung. Zum einen erhalte ich so die Gelegenheit, die Atmosphäre<br />

in der Erhebungssituation zu steuern und mir ein Bild von den gegebenen Antworten<br />

zu machen, so daß ich etwaige Unsicherheiten auf seiten der Probandinnen<br />

und mögliche externe Einflüsse später in der Auswertung ggf. berücksichtigen<br />

kann. Und zum anderen schafft persönliche Nähe Vertrauen. Es besteht für beide<br />

Seiten – sowohl für mich als interviewende Person als auch für die Probandin –<br />

die Möglichkeit zum direkten Nachfragen. Die weitestgehend offen gestaltete Fragestellung<br />

ermöglicht darüber hinaus, Antworten in einem weiten Spektrum zu erhalten.<br />

Die Probandinnen mußten keine Befürchtungen haben, daß sie etwa falsche<br />

Antworten geben könnten. Ich habe mich in meiner Interviewerin-Rolle darum<br />

bemüht, jeder Sichtweise und jedem individuellen Erlebnis Raum zu geben.<br />

Die Interviewsprachen waren bei den gehörlosen Probandinnen DGS und bei den<br />

Dolmetscherinnen Deutsch. Trotz der vorgegebenen Maßgabe, daß Interviews mit<br />

gehörlosen Probandinnen in DGS nur von selbst gehörlosen und voll DGS-kompetenten<br />

Interviewern durchgeführt werden können 316 , habe ich mich aus Gründen<br />

316 vgl. Prillwitz, 2001: 32<br />

105


Kapitel 5 - Interviewdarstellung<br />

der Arbeitseffizienz dafür entschieden, die Interviews selbst durchzuführen. Der<br />

Aufwand für eine zusätzliche Schulung Gehörloser als Interviewerinnen ist im<br />

Rahmen einer Diplomarbeit nicht leistbar.<br />

Darüber hinaus ist ein Anlernen gehörloser Interviewerinnen für die vorliegende<br />

Arbeit auch deshalb kritisch zu sehen, da bei den Interviewten das sichere Gefühl<br />

der Anonymität wohlmöglich nicht mehr gegeben wäre. Das wiederum macht eine<br />

Verfälschung der von den Probandinnen gemachten Angaben wahrscheinlicher.<br />

In Anbetracht meiner relativ hohen DGS-Kompetenz übernahm ich die Rolle<br />

der Interviewerin. Ich konnte dabei auf meine Erfahrungen in Produktbefragungen<br />

<strong>zur</strong>ückgreifen. So sparte ich Zeit und konnte meine Frageabsichten direkt<br />

umsetzen. Und ich sparte außerdem Geld, da ich für die Interviewdurchführung<br />

niemanden hätte bezahlen können.<br />

Mir ist jedoch bewußt, daß die oben beschriebene Art der Interviewdurchführung<br />

einen Schwachpunkt darstellt, der bei einer möglicherweise an diese Arbeit anknüpfenden<br />

<strong>empirische</strong>n Studie in eine methodisch sauberere, d. h. unangreifbare<br />

Lösung verbessert umgesetzt werden kann. 317<br />

Aus der Menge der Themenbereiche ergibt sich eine Datenvielfalt, die sich in informative<br />

Fragen und vergleichende Fragen aufteilen läßt. Zur Darstellung der<br />

Bremer Situation in der Vergangenheit bis heute sind die informativen Fragen<br />

aufgrund der Literaturlage unerläßlich. Die Probandinnen dienten mit ihren Beiträgen<br />

in diesem Sinn folglich als Zeit- und Dokumentationszeugen. In bestimmten<br />

Bereichen (z. B. (b) Gehörlosenverein, (c) Landesverband, (d) Freizeitheim,<br />

(f) Kommunikationsforum (KOFO) und (g) andere Gruppen in und um Bremen)<br />

wurden die Fragen somit auch nicht an alle Probandinnen gestellt, sondern nur an<br />

eben jene, von denen ich wußte oder im Vorgespräch erfuhr, daß sie Kenntnis<br />

über den betreffenden Themenkomplex haben. Aus diesem Grund gab es auch<br />

keinen einheitlichen Interviewleitfaden. Vielmehr habe ich aus unterschiedlichen<br />

Fragebausteinen, die jeweils einem Themenschwerpunkt zugeordnet werden können,<br />

unterschiedliche, individuell auf die Probandinnen zugeschnittene Interviewleitfäden<br />

zusammengestellt (siehe Anhang).<br />

317 Bezüglich der Voraussetzungen für die Durchführung von Interviews in Deutscher Gebärdensprache<br />

siehe Prillwitz, 2001: 32<br />

106


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

5.3.1 Vorstellung und Zielsetzung der vergleichenden Fragen<br />

Folgende Fragen und Fragenkomplexe wurden als vergleichende Fragen gestellt:<br />

(d) Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden (Fragen 71, 72, 73, 74, 75,<br />

76/77 und 78/79) [Auswertung 1];<br />

(c) Einschätzungen über die Entwicklung des Selbstbewußtseins beider Gruppen<br />

(Fragen 66, 67, 68 und 69) [Auswertung 2];<br />

(a) Gehörlosigkeit (Sprache) (Fragen 9 und 11) [Auswertung 3];<br />

(i) Kommunikationsforum (KOFO) (Fragen 114 und 115) [Auswertung 4];<br />

(b) Dolmetschen (Erfahrungen und Entwicklungen) (Fragen 23/54, 29a, 47/55,<br />

48/56, 49/58, 50/58a, 39/61 bzw. 39/61b, 40/64, 43/65, 46/63 bzw. 46/63a und 38)<br />

[Auswertung 5];<br />

(k) Beruflicher Fachdienst für Hörgeschädigte (Fragen 134 und 135) [Auswertung<br />

6] und<br />

(l) abschließende Fragen (Wünsche für die Zukunft) (Fragen 136 und 137) [Auswertung<br />

7].<br />

Die Zielsetzung der einzelnen Fragen und ggf. ihre Gegenüberstellung bei Befragung<br />

von je nur einer Gruppe der Probandinnen wird im folgenden Abschnitt erläutert.<br />

Einige Fragen sind nicht allen zehn Probandinnen gestellt worden. Dies<br />

hat unterschiedliche Gründe, zum einen habe ich teilweise vorher gewußt, ob die<br />

jeweilige Probandin die Frage beantworten kann oder nicht und habe deshalb bestimmte<br />

Fragen bei einigen Probandinnen ausgelassen, um Versagensängste während<br />

des Interviews zu vermeiden. Zum anderen habe ich bei verschiedenen Fragen,<br />

die oben mit einem Schrägstrich (/) gekennzeichnet sind, eine Gegenüberstellung<br />

zweier Fragen vorgenommen, die jeweils aus Gehörlosen- oder Dolmetscherinnensicht<br />

beantwortet wurden. Die Abkürzungen GL (Gehörlose) und<br />

DOLM (Dolmetscherinnen) stehen entsprechend hinter den Fragen, die der jeweiligen<br />

Gruppe oder einzelnen von ihnen gestellt wurden.<br />

Auswertung 1 (Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden):<br />

Frage 71.<br />

Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden<br />

[in einer bestimmten Zeitspanne] beschreiben? GL/DOLM<br />

Diese Frage bezieht sich auf die Erfahrungen, die die Probandinnen gemacht<br />

haben und eine subjektive Einschätzung derselben in bezug auf das Verhältnis<br />

107


Kapitel 5 - Interviewdarstellung<br />

<strong>zwischen</strong> den angesprochenen Gruppen allgemein. Die Zeitspanne bezieht sich jeweils<br />

auf die Jugendzeit der Probandinnen. Die weitestgehend geschlossene Fragestellung<br />

mit Antwortvorgaben wie: offen, befruchtend; mißtrauisch, versteckt;<br />

abhängig (wie Lehrer und Schüler – wer ist was?); neutral, unabhängig; freundschaftlich,<br />

nett; zugänglich, mit Vorbehalten; mit hierarchischem Gefälle (wer<br />

steht dabei oben und wer unten?) ... oder anders?, sollte zu einer besseren Vergleichbarkeit<br />

der Antworten führen. Die Antwortvorgaben beziehen sich auf die<br />

Fragen 71-74.<br />

Frage 72.<br />

Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Hörenden und Gehörlosen<br />

heute beschreiben? GL/DOLM<br />

Entsprechend der vorangegangenen Frage wird ein Vergleich von früher zu heute<br />

vorgenommen. Meine Vorannahme, daß sich das Verhältnis der angesprochenen<br />

Gruppen zueinander von früher zu heute verbessert hat.<br />

Frage 73.<br />

Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen<br />

[in einer bestimmten Zeitspanne] beschreiben? GL/DOLM<br />

Vom Allgemeinen kommt diese Frage zum Speziellen, nämlich den in der vorliegenden<br />

Arbeit beschriebenen Gruppen.<br />

Frage 74.<br />

Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen<br />

heute beschreiben? GL/DOLM<br />

Entsprechend der vorangegangenen Frage wird ein Vergleich von früher zu heute<br />

vorgenommen. Ich habe hier gleichfalls angenommen, daß sich das Verhältnis der<br />

angesprochenen Gruppen zueinander mit der Zeit verbessert hat.<br />

Frage 75.<br />

Hat sich deiner Meinung nach etwas an diesem Verhältnis entschieden<br />

verändert? Wenn ja, was und wodurch bzw. ab wann? GL/DOLM<br />

Hier sollen Gründe für die von mir angenommene Entwicklung angeführt und erläutert<br />

werden. Durch die offene Fragestellung können weitere Aspekte zum Vorschein<br />

kommen, welche durch die Antwortvorgaben der vorhergehenden Frage<br />

möglicherweise unterdrückt wurden.<br />

Frage 76.<br />

Hat sich durch die Gebärdenkurse etwas in deiner Einstellung gegenüber<br />

Hörenden verändert? GL<br />

<strong>Eine</strong>n möglichen Bezugspunkt <strong>zwischen</strong> meinen beiden Probandinnengruppen<br />

stellen die Gebärdenkurse dar. In <strong>Verbindung</strong> mit der vorangestellten Frage bedeutet<br />

diese also eine Vertiefung der Suche nach Gründen für die Verhältnisverbesserung.<br />

108


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Frage 77.<br />

Hat sich deine Einstellung gegenüber Gehörlosen in irgendeiner Weise<br />

durch Ausübung des Berufes allgemein verändert? Wenn ja, in welcher?<br />

DOLM<br />

Diese Frage ist die Gegenüberstellung zu Frage 76 entsprechend für die Dolmetscherinnen.<br />

Frage 78.<br />

Wie würdest du das Verhältnis der Dolmetscherinnen zum Landesverband<br />

einschätzen? DOLM<br />

Durch die beim LV Bremen eingerichtete Dolmetscherinnen-Vermittlungszentrale<br />

besteht ein enger Kontakt zum LV Bremen. Diese und die anschließende Frage<br />

sollen aufzeigen, ob das Verhältnis zum LV Bremen und damit zu den Funktionärinnen<br />

des Verbands von besonderer Art im Vergleich zu den Gehörlosen<br />

allgemein ist.<br />

Frage 79.<br />

Gibt es Unterschiede oder eine Entwicklung in diesem Verhältnis<br />

[Dolmetscherinnen-Landesverband] heute gegenüber deinen Anfangszeiten?<br />

DOLM<br />

Entsprechend der Frage 78 kann hier vertiefend auf die Beziehung der Dolmetscherinnen<br />

zum LV Bremen eingegangen werden.<br />

Auswertung 2 (Einschätzungen über die Entwicklung des Selbstbewußtseins beider<br />

Gruppen):<br />

Frage 66.<br />

Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Gehörlosen in<br />

Bremen als sprachliche Minderheit [in einer bestimmten Zeitspanne]<br />

auf einer Skala von 1-10 einstufen (1 entspricht: wenig selbstbewußt,<br />

10 entspricht: stark selbstbewußt)? GL/DOLM<br />

Sämtliche Fragen des 2. Auswertungsteils sind den Probandinnen vorab nicht bekannt<br />

gewesen. Sie sollen spontan beantwortet werden, damit ‚aus dem Bauch heraus’<br />

entschieden wird, ohne das Für und Wider vorher abgewogen zu haben. Davon<br />

verspreche ich mir eine zutreffendere Einschätzung, als wenn die Fragen im<br />

voraus bekannt gewesen wären. Die Formulierung „in einer/derselben bestimmten<br />

Zeitspanne” wurde bei den Fragen 66 und 68 durch jeweils einen Zeitraum ersetzt,<br />

der bei der jeweiligen Probandin die Jugendzeit bzw. das junge Erwachsenenalter<br />

darstellt.<br />

Frage 67.<br />

Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Gehörlosen in<br />

Bremen als sprachliche Minderheit heute auf einer Skala von 1-10<br />

einstufen (1 entspricht: wenig selbstbewußt, 10 entspricht: stark<br />

selbstbewußt)? GL/DOLM<br />

109


Kapitel 5 - Interviewdarstellung<br />

Vergleichend <strong>zur</strong> Vergangenheit soll der heutige Stand von den Probandinnen<br />

eingeschätzt werden. Die erwartete Steigerung in den Einschätzungen sollte<br />

dadurch verifiziert werden.<br />

Frage 68.<br />

Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Dolmetscherinnen<br />

in Bremen als Berufsgruppe [in derselben bestimmten Zeitspanne]<br />

auf einer Skala von 1-10 einstufen (1 entspricht: wenig selbstbewußt,<br />

10 entspricht: stark selbstbewußt)? GL/DOLM<br />

An dieser Stelle wird die entsprechende Einschätzung der zweiten Probandinnengruppe<br />

gegenüber der ersten abgefragt.<br />

Frage 69.<br />

Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Dolmetscherinnen<br />

in Bremen als Berufsgruppe heute auf einer Skala von 1-10 einstufen<br />

(1 entspricht: wenig selbstbewußt, 10 entspricht: stark selbstbewußt)?<br />

GL/DOLM<br />

Wie die vorangegangene Frage soll hier die entsprechende Einschätzung der zweiten<br />

Probandinnengruppe gegenüber der ersten erfolgen.<br />

Auswertung 3 (Gehörlosigkeit (Sprache)):<br />

Frage 9. Welche Begriffe benutzten die Gehörlosen in Bremen in den<br />

1960er/1970er Jahren, wenn sie von sich selbst und ihren Gebärden<br />

sprachen? Habt ihr von der „Sprache der Hände” gesprochen oder<br />

habt ihr gebärdet: „Wir plaudern”? Gab es noch andere Ausdrücke,<br />

die benutzt wurden? (z. B. taubstumm, hörgeschädigt, hörbehindert,<br />

gehörlos, schwerhörig, Schicksalsgemeinschaft, Genossen, Gehörlosengemeinschaft,<br />

Gebärdensprachgemeinschaft, plaudern, gebärden<br />

etc.) GL<br />

Anhand des Sprachgebrauchs früherer Zeit gegenüber heute läßt sich eine Entwicklung<br />

ablesen. Ausgehend von der Annahme, daß sich eine Entwicklung von<br />

diskriminierenden und negativ besetzten hin zu neutraleren Begriffen vollzog,<br />

könnten gewisse Antworten auf diese Frage ein Hinweis auf das Selbstbewußtsein<br />

der Probandinnengruppe sein.<br />

Frage 11.<br />

Wie sieht das mit den Begrifflichkeiten aus, die in der Gehörlosenwelt<br />

zu dem Zeitpunkt, als du Gebärden gelernt hast, verwendet wurden?<br />

Sprach man von sich als ‚gehörlos’, oder war ‚taubstumm’ noch gang<br />

und gäbe? (z. B. taubstumm, gehörlos, Schicksalsgemeinschaft, gebärden,<br />

plaudern, Gebärdensprache, ...) DOLM<br />

Die Antworten auf diese Frage spiegeln die von mir vorausgesetzte Nähe der<br />

Dolmetscherinnen zu den Gehörlosen wider und zeigen damit gleichzeitig die von<br />

den Dolmetscherinnen verfolgte (sprachliche) Entwicklung der Gebärdensprachgemeinschaft.<br />

110


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Auswertung 4 (Kommunikationsforum):<br />

Frage 114. Haben diese KOFO-Abende irgend etwas bewirkt oder verändert?<br />

Wenn ja, was glaubst du was? GL/DOLM<br />

Meiner Einschätzung nach haben KOFO-Abende bei vielen Gehörlosen zu einem<br />

stärkeren Selbstbewußtwein beigetragen. Sie stellen eine Plattform zum freien<br />

Meinungsaustausch und zu kontroverser Diskussion über spezifische Themen dar.<br />

Die Frage dient <strong>zur</strong> Verifizierung meiner Einschätzung.<br />

Frage 115. Glaubst du, daß diese Abende in irgendeiner Form zum besseren Verständnis<br />

und/oder besseren Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden<br />

geführt haben? GL/DOLM<br />

Der Schwerpunkt dieser Frage zielt auf die spezielle subjektive Sicht der Probandin,<br />

im Gegensatz zu der vorher erfragten allgemeinen Ansicht.<br />

Auswertung 5 (Dolmetschen (Erfahrungen und Entwicklungen)):<br />

Frage 23.<br />

Hat dich etwas von Gehörlosenseite (Aktivitäten, Begegnungen, Gespräche<br />

etc.) angestoßen, das dich in deiner Rolle als Dolmetscherin<br />

beeinflußt hat? (ohne direkte Einflußnahme wie z. B. durch Feedback)<br />

DOLM<br />

Bei dieser Frage wird vermutet, daß die Dolmetscherinnen in ihrem Werdegang<br />

von ihren gehörlosen Bekannten und/oder Klientinnen geprägt wurden. Sie dient<br />

somit als Beleg für einen der Berührungspunkte der Probandinnen.<br />

Frage 54.<br />

Was ist für dich persönlich wichtig beim Dolmetschen? Was erwartest<br />

du von einer Dolmetscherin? GL<br />

Die Gegenüberstellung dieser Frage mit Frage 23 ist beabsichtigt, weil sie Punkte<br />

der angenommenen Einflußnahme anspricht. Sie hat so neben ihrem informativen<br />

Charakter daher auch eine Art Kontrollfunktion.<br />

Frage 29a. War es (den Gehörlosen) möglich, Dolmetscherinnenwünsche auszusprechen?<br />

GL/DOLM<br />

Durch die Wahl der Dolmetscherinnen findet eine natürliche Beeinflussung (indirektes<br />

Feedback) statt, aus welchem Grund sie daher einen weiteren Berührungspunkt<br />

<strong>zwischen</strong> beiden untersuchten Gruppen darstellt.<br />

Frage 47.<br />

Erhältst du von deinen gehörlosen Klientinnen Feedback? Wenn ja,<br />

wann (direkt während/nach dem Einsatz, hinterher, ...) und in welcher<br />

Form? DOLM<br />

Als logische Konsequenz folgt auf Frage 29a die Frage nach dem direkten Feedback<br />

– einer der zentralen Berührungspunkte <strong>zwischen</strong> den untersuchten Gruppen.<br />

111


Kapitel 5 - Interviewdarstellung<br />

An dieser Stelle wird die Frage konkret gestellt, ob Feedback direkt geäußert<br />

wird. Die Zusatzfrage soll eine Erinnerungshilfe sein.<br />

Frage 55.<br />

112<br />

Wenn eine Dolmetscherin fertig ist und dir einige Dinge beim Dolmetschen<br />

aufgefallen sind, gibst du der Dolmetscherin Bescheid, daß dir<br />

diese Dinge aufgefallen sind? GL<br />

Die Frage ist die entsprechend konkrete Frage für die andere Probandinnengruppe.<br />

Frage 48.<br />

Wie wird in Bremen mit Dolmetschkritik umgegangen? War es ein<br />

Thema in der LAG? DOLM<br />

Hier wird allgemein nach dem Umgang mit Kritik sowohl von seiten der Klientinnen<br />

als auch aus dem Kreis der Dolmetscherinnen selbst gefragt. Diese Frage<br />

ist gleichzeitig eine Einleitung zu Frage 50.<br />

Frage 56.<br />

Wenn Gehörlose sich treffen, unterhaltet ihr euch über die Dolmetscherinnen?<br />

(Persönliche Lieblinge usw.) Wenn ja, über welche Punkte<br />

redet ihr dabei am häufigsten? GL<br />

Diese Frage spricht den kritischen Austausch über Dolmetscherinnen in der Gehörlosengruppe<br />

an. Vermutet wird hierbei, daß ein Austausch stattfindet. Gleichzeitig<br />

dient diese Frage als Einleitung für Frage 58, da Feedback womöglich nicht<br />

direkt an die Dolmetscherinnen weitergegeben wird, sondern an den Vorstand des<br />

LV Bremen.<br />

Frage 50.<br />

In Bremen gibt es ja bis heute noch keine Schiedsstelle, die in Streitfragen<br />

über Dolmetschsituationen als Schlichterin in Erscheinung<br />

treten könnte. Wie wird in Bremen sichergestellt, daß bzw. ob die Dolmetscherinnen<br />

sich an die Prinzipien ihrer Berufs- und Ehrenordnung<br />

(BEO) halten? Habt ihr das bei der Einführung der BEO auch schon<br />

bedacht/diskutiert? DOLM<br />

Das Bedürfnis nach Kritik soll an dieser Stelle angesprochen werden. Die möglicherweise<br />

gegebenen Antworten können Aufschluß über die Kontrollen und des<br />

gegenseitigen Austauschs der Dolmetscherinnen untereinander und ihren Umgang<br />

mit Kritik geben.<br />

Frage 58.<br />

Wird Kritik bezüglich der Dolmetscherinnen an den Landesverband<br />

herangetragen? Wenn ja, wie kommt Kritik beim Landesverband an?<br />

In welcher Form? Und über welche Aspekte wird dabei am häufigsten<br />

gesprochen? Kommt auch positive/konstruktive Kritik beim Landesverband<br />

an? GL<br />

Hier soll meine Annahme, daß Kritik gegenüber dem LV Bremen geäußert wird,<br />

bestätigt werden. Durch die Gegenüberstellung mit der vorangegangenen Frage<br />

(50) erhält diese Frage eine kontrollierende Komponente. Hintergrund der Frage<br />

ist aber auch, wie auf Gehörlosenseite mit Kritik umgegangen wird.


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Frage 49.<br />

Ist dir ein Unterschied in der Art und Weise des Feedback-Gebens im<br />

Vergleich zu deinen Anfangszeiten aufgefallen? DOLM<br />

Diese Frage soll klären, ob einhergehend mit der Entwicklung des Selbstbewußtseins<br />

der Gehörlosen auch eine Veränderung im Umgang mit Dolmetscherinnen<br />

aufgefallen ist.<br />

Frage 58a. Wird überhaupt von den Gehörlosen im allgemeinen heute mehr Kritik<br />

gegenüber Dolmetscherinnen an den Landesverband herangetragen<br />

als früher? Was, denkst du, sind die Gründe dafür? GL Auswahl<br />

Hier wird entsprechend nach der Veränderung im Umgang mit Dolmetscherinnen<br />

aus Gehörlosensicht gefragt.<br />

Frage 39.<br />

Wie kam es dann zu den Einsätzen bei Radio Bremen vor fünf Jahren?<br />

Wer hat das angestoßen und wie? DOLM<br />

Die Vermutung liegt nahe, daß an der Einrichtung der Nachrichtensendung mit<br />

Dolmetscherinnen-Einblendung sowohl Dolmetscherinnen als auch Gehörlose beteiligt<br />

waren. Diese informativ gestellte Frage dient <strong>zur</strong> Überprüfung meiner Vermutung.<br />

Frage 61.<br />

Seit 1997 gibt es in Bremen die Verdolmetschung der Regionalnachrichten<br />

von montags bis freitags in der Fernsehsendung ‚Buten &<br />

Binnen’ von Radio Bremen. Im Informationsblatt wird berichtet, daß<br />

die Rundfunkratsvorsitzende, Roswitha Erlenwein, den Wunsch der<br />

Gehörlosen unterstützt hat und an den Gesprächen im Vorfeld beteiligt<br />

war. An diesen Gesprächen waren ebenfalls der Intendant von Radio<br />

Bremen, Herr Klostermeier, die SPD-Abgeordnete Elke Steinhöfel<br />

und die Fraktionssprecherin der Grünen, Karoline Linnert, beteiligt.<br />

Waren auch Vertreter des Landesverbandes dabei und wie wurde der<br />

Wunsch der Gehörlosen vorgebracht? Wie kam es dazu? GL Auswahl<br />

Diese informative Frage dient ebenfalls der Überprüfung der vorangestellten Vermutung.<br />

Sie ist gezielt an nur eine der Probandinnen gestellt worden. Daher gilt<br />

als Gegenüberstellung zu Frage 39 die folgende Frage.<br />

Frage 61b. Haben Gehörlose auch dafür gekämpft? (z. B. die Hexenhände? Oder<br />

andere?) Wenn ja, wie kam es dazu? GL<br />

Entsprechend wird auch hier auf die Überprüfung meiner Vermutung abgezielt.<br />

Frage 40.<br />

Wie erfolgte die Auswahl der Dolmetscherinnen? Gab es auch Kolleginnen,<br />

die es egal aus welchen Gründen ablehnten? DOLM<br />

Hier wird noch einmal auf die indirekte Art des Feedback-Gebens eingegangen.<br />

Vermutet wurde dabei, daß die Gehörlosen darüber entschieden haben, wen sie im<br />

Fernsehen sehen möchten. Die Frage nach der Ablehnungsmöglichkeit dient als<br />

Erinnerungshilfe und gleichzeitig als indirekte Abfrage der Auseinandersetzung<br />

mit der Berufs- und Ehrenordnung der Dolmetscherinnen.<br />

113


Kapitel 5 - Interviewdarstellung<br />

Frage 64.<br />

Wie hat sich damals die Besetzung der Dolmetscherinnen ergeben?<br />

Gab es jemanden, der das entschied? GL<br />

Siehe Erläuterung zu Frage 40 weiter unten.<br />

Frage 43.<br />

Ich kenne die Vokabelkassetten und -listen, die ihr damals erstellt<br />

habt. Wer gab den Anstoß, was war Auslöser für diese Schulung mit<br />

Vokabelsammlung? DOLM<br />

Mir war im Vorfeld bekannt, daß es eine Vorbereitung der Dolmetscherinnen auf<br />

die Nachrichtensendung ‚Buten & Binnen’ gegeben hat, im Rahmen derer eine<br />

Vokabelsammlung in Video-Form erstellt wurde. Hier wird konkret nach dieser<br />

Vorbereitung und damit verbunden nach einem weiteren möglichen Berührungspunkt<br />

<strong>zwischen</strong> den Probandinnengruppen gefragt.<br />

Frage 65.<br />

Gab es eine spezielle Vorbereitung für die Dolmetscherinnen auf diese<br />

Einsätze? (z. B.: Vokabelsammlungen) Wenn ja, welche Rolle haben<br />

Gehörlose – insbesondere der Landesverband – dabei gespielt? GL<br />

Mit dieser Frage wird entsprechend aus der anderen Perspektive nach Vorbereitung<br />

und damit einem weiteren möglichen Berührungspunkt gefragt.<br />

Frage 46.<br />

Bekommt ihr Feedback von euren gehörlosen Zuschauerinnen? Wenn<br />

ja, in welcher Form und wie wird damit umgegangen? DOLM Auswahl<br />

Hier kommt wieder der Berührungspunkt des Feedback-Gebens zum Tragen. In<br />

diesem speziellen Fall ist es jedoch noch schwieriger, Feedback zu erhalten, da<br />

die Fernsehzuschauerinnen nicht in direktem Kontakt mit den Dolmetscherinnen<br />

während oder direkt nach der Sendung stehen. Diese Hürde zu überwinden kann<br />

als besondere Leistung gewertet und mit dem möglicherweise gestiegenenen<br />

Selbstbewußtsein in <strong>Verbindung</strong> gebracht werden.<br />

Frage 63.<br />

Bist du mit der Sendung und der Dolmetscherinnen-Leistung zufrieden?<br />

Hast du Verbesserungsvorschläge? GL<br />

Hier wird nach dem Kritikpotential gefragt, um festzustellen, ob die Gehörlosen,<br />

abgesehen von Sendeformat und Sendezeit, auch auf die Dolmetscherinnen eine<br />

Einflußmöglichkeit sehen.<br />

Frage 63a. Wird von den Gehörlosen auch Kritik geübt oder versucht, Einfluß zu<br />

nehmen auf die Art und Weise der Darstellung bzw. der Verdolmetschung?<br />

GL Auswahl<br />

In <strong>Verbindung</strong> mit Frage 63 stellt diese Frage eine Kontrollfrage dar. Sie soll ermitteln,<br />

ob das womöglich vorhandene Kritikpotential kanalisiert und/oder in einer<br />

bestimmten Form weitergegeben wird.<br />

114


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Frage 38.<br />

Welche gemeinsamen Veranstaltungen der LAG und des LV (gemeinsam<br />

geplant, von einer der Seiten eingefordert) fallen dir ein?<br />

GL/DOLM<br />

Die offensichtlichsten Berührungspunkte der beiden untersuchten Gruppen werden<br />

mit dieser Frage angesprochen. Dadurch können noch Aspekte eingebracht<br />

werden, die in meiner Planung unberücksichtigt blieben.<br />

Auswertung 6 (Beruflicher Fachdienst für Hörgeschädigte):<br />

Frage 134. Hat sich durch den FDH deiner Meinung nach etwas für Gehörlose<br />

verändert? Wenn ja, was? GL/DOLM<br />

Meiner Einschätzung nach haben die Mitarbeiterinnen des Fachdienstes für viel<br />

Aufklärung und damit Verständnis für (Firmen-)Strukturen bei gehörlosen Arbeitnehmerinnen<br />

gesorgt. Diese Frage dient <strong>zur</strong> Bestätigung meiner Einschätzung.<br />

Die erwartete Folge ist eine Veränderung im Umgang mit den Mitarbeiterinnen<br />

und auch in der Darstellung der eigenen Gehörlosigkeit. Ein Nebeneffekt davon<br />

ist die vermehrte Nutzung von Gebärdensprachdolmetscherinnen in bestimmten<br />

Situationen des Arbeitslebens und damit verbunden ein weiterer (indirekter) Berührungspunkt<br />

der beiden untersuchten Gruppen.<br />

Frage 135. Hat sich durch den FDH deiner Meinung nach etwas für Hörende verändert?<br />

Wenn ja, was? GL/DOLM<br />

Diese Frage dient <strong>zur</strong> Kontrolle der vorangegangenen Einschätzung in bezug auf<br />

die Kolleginnen- und Arbeitgeberinnenseite.<br />

Auswertung 7 (abschließende Fragen (Wünsche für die Zukunft)):<br />

Frage 136. Welches Ereignis im Zusammenhang mit der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

ist dir am besten in Erinnerung geblieben? Was war am eindrucksvollsten<br />

für dich? Warum? (Welche großen politischen Ereignisse<br />

in Bremen und auch in Deutschland (1970-heute)?) GL/DOLM<br />

Diese als eine der letzten Fragen bietet eine nochmalige Kontrollmöglichkeit nach<br />

möglichen Berührungspunkten und gegenseitigen Einflüssen, die möglicherweise<br />

außerhalb Bremens liegen.<br />

Frage 137. Was sind deine Wünsche für die Gebärdensprachgemeinschaft, für die<br />

Dolmetscherinnen und für dich für die Zukunft? GL/DOLM<br />

Ganz zum Schluß zielt diese Frage nach Wünschen für die Zukunft darauf ab, indirekt<br />

zu erfahren, ob eine mögliche nähere Zusammenarbeit oder Beeinflussung<br />

ein gleichbleibend positives Miteinander bekräftigen kann. Letztendlich kann mit<br />

Beantwortung dieser Frage ein Bild der subjektiven Idealvorstellungen der ein-<br />

115


Kapitel 5 - Interviewdarstellung<br />

zelnen Probandinnen, eventuell ergänzt durch neue Überlegungen, die durch das<br />

Interview angeregt wurden, aufgezeigt werden.<br />

5.4 Vorgehen und Interview-Verlauf<br />

Mit den Probandinnen habe ich vor dem Interview jeweils ein Gespräch geführt,<br />

um sicherzustellen, daß die jeweilige Probandin über die Informationen verfügt,<br />

die ich mir für diese Arbeit erhoffte. Diese Gespräche erfolgten in Form eines persönlichen<br />

Treffens oder eines Telefonats. Im Anschluß an die jeweiligen Gespräche<br />

habe ich die Interviewfragen in Schriftform <strong>zur</strong> Verfügung gestellt. <strong>Eine</strong><br />

Ausnahme bildeten dabei vier Fragen, die später im Interview spontan beantwortet<br />

werden sollten (Themenschwerpunkt (k) Einschätzungen über die Entwicklung<br />

des Selbstbewußtseins beider Gruppen (Fragen 66-69)).<br />

An den jeweiligen Interview-Terminen wurden die Probandinnen vor Interviewbeginn<br />

nochmals über meinen persönlichen Hintergrund und den Grund der Befragung<br />

informiert. Außerdem klärte ich sie darüber auf, daß durch die Auswertung<br />

des Interviews die von ihnen gemachten Angaben anonymisiert würden und<br />

im Zweifelsfall nur die Gutachter meiner Diplomarbeit – und das auch nur nach<br />

vorheriger Rücksprache mit den Probandinnen – Zugang zu den Originalaufzeichnungen<br />

bekämen. Des weiteren versprach ich, daß die im Anhang der vorliegenden<br />

Diplom-Arbeit befindlichen Interviewtranskriptionen und Auswertungsschritte<br />

(siehe Kapitel 5.5) nur den Gutachtern <strong>zur</strong> Verfügung stehen und keinesfalls<br />

veröffentlicht werden würde. Zudem habe ich angekündigt, daß ich nach Beenden<br />

des Interviews um eine Unterschrift unter eine Einverständnis-Erklärung<br />

für die Verwendung der Daten bitten würde.<br />

Zur Einstimmung und zum besseren Überblick bin ich vor dem Start der Aufnahme<br />

mit den Probandinnen nochmals kurz die einzelnen Themengebiete in der Reihenfolge,<br />

in der sie abgefragt würden, durchgegangen. Dabei hatten die Probandinnen<br />

Gelegenheit <strong>zur</strong> Nachfrage bei etwaigen Unklarheiten.<br />

Darauf folgte das jeweilige Interview. Beim Wechsel bzw. Umdrehen der Videound<br />

Audiokassetten wurden kleine Pausen eingelegt. Nach den Interviews bestand<br />

die Möglichkeit zu eigenen Anmerkungen oder ggf. zum nochmaligen Nachfragen<br />

116


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

von den Probandinnen. Sodann unterzeichneten sie ihre Einverständnis-Erklärungen<br />

und wurden von mir dankend verabschiedet.<br />

Während der Dauer des gesamten Interviews standen den Probandinnen Erfrischungen<br />

und Süßigkeiten <strong>zur</strong> Verfügung.<br />

Die teilweise stark divergierende Dauer der Interviews ist auf zwei Gründe <strong>zur</strong>ückzuführen.<br />

Zum einen ist jede Probandin mehr oder weniger mitteilsam über<br />

ihren persönlichen Hintergrund und die angesprochenen Themen, zum anderen<br />

sind die Interviewleitfäden, wie oben erwähnt, variabel gestaltet. Die Bausteine<br />

der verschiedenen Themenkomplexe fügen sich somit jeweils zu einem mehr oder<br />

weniger langen Interviewleitfaden zusammen.<br />

5.5 Verarbeitung der erhobenen Daten<br />

Die Auswertung der Daten erfolgte mittels eines Antwortenabgleichs mit anonymisierender<br />

Aussagezusammenfassung. Die einzelnen Schritte bei der Auswertung<br />

in Form einer qualitativen Inhaltsanalyse sind:<br />

- Paraphrasierung der Textantworten und Zuordnung der Paraphrasen zu den<br />

einzelnen Fragen;<br />

- Generalisierung der Paraphrasen und Streichung von Generalisierungen gleichen<br />

Inhalts;<br />

- Reduzierung der verbliebenen Generalisierungen;<br />

- vergleichende Gegenüberstellung der Antwortsreduktionen aller Interviews. 318<br />

Die Interviewtranskriptionen waren die Grundlage für die Auswertung mittels Excel-Tabellen<br />

(siehe Anhang). Zunächst wurden die Antworten, die für die Fragen<br />

der qualitativen Inhaltsanalyse vorgesehen waren, diesen zugeordnet, die Kernaussagen<br />

markiert, numeriert und in die Excel-Tabellen paraphrasiert übertragen.<br />

Daraufhin wurden die Paraphrasen als Generalisierung mit gleichzeitiger Streichung<br />

von Generalisierungen gleichen Inhalts in die entsprechende Spalte der<br />

Tabellen eingefügt, um sie zu reduzieren.<br />

Die Ergebnisse der zu vergleichenden Fragenteile sollen, wie oben erwähnt, eine<br />

Tendenz aufzeigen, da eine repräsentative Umfrage im Rahmen der vorliegenden<br />

318 vgl. Friedrichs in: Neumann, 1995: 45<br />

117


Kapitel 5 - Interviewdarstellung<br />

Arbeit nicht leistbar ist. Die Gegenüberstellung der Reduktionen aller Antworten<br />

des quantitativen Teils der Interviews wird im folgenden Kapitel 6 zentrales Thema<br />

sein.<br />

118


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

6. Interviewauswertung<br />

In diesem vergleichenden Teil meiner Arbeit werden die Entwicklungsstränge der<br />

beiden Probandinnen-Gruppen zusammengeführt. Die Interviewergebnisse werden<br />

dargestellt und im Anschluß daran jeweils kritisch reflektiert.<br />

Im Vordergrund stehen hierbei die besonderen Berührungspunkte <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft<br />

und Dolmetscherinnen (Dolmetschservice, KOFO und<br />

FDH). Zusätzlich erfolgt eine Auswertung der gegenseitigen Einschätzungen.<br />

Einführend werden subjektive Einschätzungen bezüglich des Verhältnisses <strong>zwischen</strong><br />

Gehörlosen und Hörenden allgemein dargestellt, um dann auf das Verhältnis<br />

<strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen zu kommen und zu beschreiben,<br />

inwiefern dieses Verhältnis eine Veränderung erfahren hat.<br />

6.1 Zum Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden<br />

Gehörlose haben mit Hörenden unterschiedliche und in der Vergangenheit oft Erfahrungen<br />

mit Diskriminierungen gemacht. Wie sie vor diesem Hintergrund das<br />

Verhältnis zu Hörenden einschätzen, wie sich das Verhältnis im Vergleich zu früher<br />

verändert hat, ob sich das Verhältnis möglicherweise durch die Gebärdensprachkurse<br />

oder die Dolmetscherinnen verändert hat und wie Dolmetscherinnen<br />

als Hörende mit besonderem Bezug <strong>zur</strong> Gebärdensprachgemeinschaft dieses Verhältnis<br />

heute allgemein und im Vergleich zu früher einschätzen, sollen die Interviewergebnisse<br />

zeigen.<br />

6.1.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten<br />

Die vergleichende Gegenüberstellung der Reduktionen ergab folgende Antwortverteilungen<br />

auf die einzelnen Fragen:<br />

Frage 71:<br />

Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden<br />

[in einer bestimmten Zeitspanne] beschreiben? GL/DOLM<br />

Folgende verhältnisbestimmende Faktoren wurden genannt (8 Personen):<br />

1. Das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden war:<br />

mißtrauisch<br />

: 4 Nennungen<br />

nett<br />

: 2 Nennungen<br />

119


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

offen<br />

: 2 Nennungen<br />

versteckt<br />

: 2 Nennungen<br />

freundschaftlich<br />

: 1 Nennung<br />

interessiert<br />

: 1 Nennung<br />

dankbar<br />

: 1 Nennung<br />

abhängig<br />

: 1 Nennung<br />

von Vorurteilen geprägt<br />

: 1 Nennung<br />

mit Vorbehalten<br />

: 1 Nennung<br />

2. <strong>Eine</strong> pauschale Antwort ist aufgrund der Heterogenität der<br />

Menschen so nicht möglich.<br />

: 2 Nennungen<br />

3. Es gab nur wenige Hörende, die die Gehörlosen unterstützt<br />

haben. : 1 Nennung<br />

4. Auch bei Unterstützung wurde nicht gebärdet, so daß Gehörlose<br />

das Gefühl hatten, es würde über sie gesprochen. : 1 Nennung<br />

5. Es gab sehr wenig Verständnis füreinander. : 1 Nennung<br />

6. Gehörlose und Hörende lebten wie in zwei verschiedenen<br />

Welten.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Gehörlose waren früher kritiklos in bezug auf das Dolmetschen.<br />

: 1 Nennung<br />

8. Ich habe keinen Überblick über die gesamte Gebärdensprachgemeinschaft.<br />

: 1 Nennung<br />

Frage 72:<br />

Frage 73:<br />

Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Hörenden und Gehörlosen<br />

heute beschreiben? GL/DOLM<br />

Folgende verhältnisbestimmende Faktoren wurden genannt (7 Personen):<br />

1. Das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden ist heute:<br />

offen<br />

: 2 Nennungen<br />

nett<br />

: 1 Nennung<br />

verständnisvoll<br />

: 1 Nennung<br />

mißtrauisch<br />

: 1 Nennung<br />

von Vorurteilen geprägt<br />

: 1 Nennung<br />

2. <strong>Eine</strong> pauschale Antwort ist aufgrund der Heterogenität<br />

der Menschen so nicht möglich.<br />

: 2 Nennungen<br />

3. Das Verhältnis hat sich nicht verändert. : 1 Nennung<br />

4. Das Verhältnis hat sich verbessert. : 1 Nennung<br />

5. Durch die bessere Ausbildung sind Gehörlose wählerischer<br />

in bezug auf die Dolmetscherinnen geworden. : 1 Nennung<br />

6. Ohne Dolmetscherinnen wäre die verstärkte öffentliche<br />

Präsenz von Gehörlosigkeit nicht möglich gewesen. : 1 Nennung<br />

7. Ich habe keinen Überblick über die gesamte Gebärdensprachgemeinschaft.<br />

: 1 Nennung<br />

Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen<br />

[in einer bestimmten Zeitspanne] beschreiben? GL/DOLM<br />

Folgende verhältnisbestimmende Faktoren wurden genannt (9 Personen):<br />

1. Das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen war:<br />

offen<br />

: 4 Nennungen<br />

nett<br />

: 3 Nennungen<br />

mißtrauisch<br />

: 3 Nennungen<br />

befruchtend<br />

: 2 Nennungen<br />

freundschaftlich<br />

: 2 Nennungen<br />

zugänglich<br />

: 2 Nennungen<br />

120


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

neutral<br />

: 2 Nennungen<br />

positiv<br />

: 1 Nennung<br />

freundlich<br />

: 1 Nennung<br />

dankbar<br />

: 1 Nennung<br />

unabhängig<br />

: 1 Nennung<br />

distanziert<br />

: 1 Nennung<br />

mit Vorbehalten<br />

: 1 Nennung<br />

nicht hierarchisch<br />

: 1 Nennung<br />

2. Früher haben Lehrer gedolmetscht, ohne Wahlmöglichkeit<br />

für die Gehörlosen.<br />

: 2 Nennungen<br />

3. Früher haben Dolmetscherinnen geholfen. : 2 Nennungen<br />

4. Früher waren Dolmetscherinnen nicht neutral. : 1 Nennung<br />

5. Früher wurden dolmetschende Personen von Gehörlosen<br />

als Freundin, Helferin, Beraterin und Komplizin gesehen. : 1 Nennung<br />

6. Gehörlose haben sich gegen die Lehrerinnen ausgesprochen<br />

und sich für von ihnen präferierte Dolmetscherinnen eingesetzt.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Ich kannte früher keine Dolmetscherinnen. : 1 Nennung<br />

8. Der Beruf ‚Dolmetscherin’ war [in den 1980er Jahren] so<br />

neu, daß sehr vorsichtig und ungläubig damit umgegangen<br />

wurde.<br />

: 1 Nennung<br />

9. Gehörlose waren früher kritiklos in bezug auf das Dolmetschen.<br />

: 1 Nennung<br />

10. Von einem abhängigen Verhältnis kann man bei Gehörlosen<br />

sprechen, die meinten, die Dolmetscherin sei<br />

eine Helferin.<br />

: 1 Nennung<br />

Frage 74:<br />

Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen<br />

heute beschreiben? GL/DOLM<br />

Folgende verhältnisbestimmende Faktoren wurden genannt (7 Personen):<br />

1. Das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen ist heute:<br />

ebenbürtig<br />

: 2 Nennungen<br />

vertrauensvoll<br />

: 1 Nennung<br />

offen<br />

: 1 Nennung<br />

professionell<br />

: 1 Nennung<br />

freundschaftlich<br />

: 1 Nennung<br />

nett<br />

: 1 Nennung<br />

differenzierter (durch mehr Dolmetscherinnen) : 1 Nennung<br />

abhängig (wenn Gehörlose um Hilfe bitten) : 1 Nennung<br />

2. Der Umgang mit Dolmetscherinnen ist heute selbstbewußter<br />

und selbstverständlicher.<br />

: 2 Nennungen<br />

3. Das Verhältnis hat sich sehr verändert. : 1 Nennung<br />

4. Das Verhältnis hat sich insgesamt betrachtet kontinuierlich<br />

verbessert.<br />

: 1 Nennung<br />

5. Ich bin heute selbständiger und nutze Dolmetscherinnen<br />

als reine Sprachmittlerinnen.<br />

: 1 Nennung<br />

6. Gehörlose sind im Umgang mit Dolmetscherinnen sowohl<br />

kritiklos und kritikfähig als auch versteckt unzufrieden. : 1 Nennung<br />

7. Ich verstehe Dolmetscherinnen immer gut. : 1 Nennung<br />

8. Ich fühle mich mit Dolmetscherinnen wohl. : 1 Nennung<br />

9. Bei den älteren Gehörlosen ist der Umgang mit Dolmetscherinnen<br />

bis auf einige Ausnahmen ähnlich geblieben. : 1 Nennung<br />

10. Gehörlose tauschen sich über Dolmetscherinnen aus und<br />

empfehlen sie untereinander weiter.<br />

: 1 Nennung<br />

11. Bei Gehörlosen und Dolmetscherinnen hat jede Person<br />

ihren eigenen Kompetenzbereich.<br />

: 1 Nennung<br />

121


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

Frage 75:<br />

Hat sich deiner Meinung nach etwas an diesem Verhältnis entschieden<br />

verändert? Wenn ja, was und wodurch bzw. ab wann? GL/DOLM<br />

Folgende Antworten erfolgten <strong>zur</strong> Veränderung des Verhältnisses<br />

(8 Personen):<br />

1. Die Gehörlosen haben sich verändert. : 2 Nennungen<br />

2. Heute können Gehörlose lockerer, freier und leichter an<br />

andere Personen herantreten.<br />

: 2 Nennungen<br />

3. Durch die Dolmetscherinnen hat sich viel verändert. : 1 Nennung<br />

4. Dolmetscherinnen haben sich verändert. : 1 Nennung<br />

5. Dolmetscherinnen bilden sich fort. : 1 Nennung<br />

6. Dolmetscherinnen werden von Gehörlosen nicht mehr<br />

als Helferinnen gesehen, sondern als Dienstleisterinnen. : 1 Nennung<br />

7. Es gibt Gehörlose, die alles beim alten belassen wollen. : 1 Nennung<br />

8. Gehörlose erhalten viel leichter Informationen von überall<br />

her.<br />

: 1 Nennung<br />

9. Gehörlose sind heute viel selbstkritischer u. a. durch die<br />

Aufklärung seitens der Dolmetscherinnen und der Medien.: 1 Nennung<br />

10. Das Verhältnis ist durch den Dolmetscherinnen-Nachwuchs<br />

differenzierter geworden.<br />

: 1 Nennung<br />

11. Das Verhältnis ist freundschaftlich und offen. : 1 Nennung<br />

12. Gehörlose sind bequem und möchten, daß ihnen geholfen<br />

wird.<br />

: 1 Nennung<br />

13. Die Gebärdensprachgemeinschaft heißt einen willkommen,<br />

ist aber recht klein, verzeiht einem nicht so schnell etwas<br />

und hat ein langes Gedächtnis.<br />

: 1 Nennung<br />

Folgende Nennungen erfolgten in bezug auf den Dolmetscherinnenberuf:<br />

14. Freiberufliche Dolmetscherin zu sein ist hart, weil das niedrige<br />

Einkommen immer wieder Existenzängste schürt. : 1 Nennung<br />

15. Ich möchte nach wie vor gute Qualität abliefern, genüge<br />

meinem Anspruch jedoch nach wie vor nicht.<br />

: 1 Nennung<br />

Frage 76:<br />

Hat sich durch die Gebärdenkurse etwas in deiner Einstellung gegenüber<br />

Hörenden verändert? GL<br />

Folgende Veränderungen wurden von den gehörlosen Probandinnen<br />

genannt (3 Personen):<br />

1. Durch die Gebärdenkurse habe ich eine ganz andere Einstellung<br />

zu Hörenden bekommen.<br />

: 1 Nennung<br />

2. Hörende müssen lernen, mit ihrer Mimik umzugehen. : 1 Nennung<br />

3. Hörende müssen erst lernen, große Bewegungen zu machen,<br />

weil es ihrer Erziehung widerspricht.<br />

: 1 Nennung<br />

4. Die Erkenntnis, daß Hörende auf Gehörlose eingehen, hat<br />

mich verändert.<br />

: 1 Nennung<br />

5. Früher war die Kommunikation mit den hörenden Kolleginnen<br />

schwierig.<br />

: 1 Nennung<br />

6. Die hörenden Kolleginnen wissen durch Kollegenseminare über<br />

Gehörlosigkeit besser Bescheid, und jetzt ist auch<br />

die Kommunikation viel besser.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Durch die Gebärdenkurse hat sich meine Einstellung zu<br />

Hörenden nicht verändert, aber durch meine hörenden Kolleginnen<br />

am Arbeitsplatz.<br />

: 1 Nennung<br />

122


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

8. Hörende im Kurs sind daran interessiert, Gebärden zu lernen,<br />

die Kolleginnen bei der Arbeit nicht.<br />

: 1 Nennung<br />

Frage 77:<br />

Hat sich deine Einstellung gegenüber Gehörlosen in irgendeiner Weise<br />

durch Ausübung des Berufes allgemein verändert? Wenn ja, in welcher?<br />

DOLM<br />

Folgende Antworten wurden von den Dolmetscherinnen genannt<br />

(5 Personen):<br />

1. Nein. : 3 Nennungen<br />

2. Ich werde jetzt als Gesprächspartnerin gesehen und nicht<br />

länger als Hörende, mit der man sich per se nicht unterhalten<br />

kann.<br />

: 1 Nennung<br />

3. Durch die DGS sind Hörende und Gehörlose gleichgestellte<br />

Kommunikationspartnerinnen.<br />

: 1 Nennung<br />

4. Früher habe ich mich geschämt; heute kann ich durch die<br />

Ausbildung im Gehörlosenbereich die Dolmetscherinnenrolle<br />

vom anderen trennen.<br />

: 1 Nennung<br />

5. Kann ich nicht sagen. : 1 Nennung<br />

Fragen 78/79: Wie würdest du das Verhältnis der Dolmetscherinnen zum Landesverband<br />

einschätzen? DOLM<br />

Gibt es Unterschiede oder eine Entwicklung in diesem Verhältnis<br />

[Dolmetscherinnen-Landesverband] heute gegenüber deinen Anfangszeiten?<br />

DOLM<br />

Folgende Einschätzungen in bezug auf das Verhältnis zum Landesverband<br />

und der Entwicklung desselben haben die Dolmetscherinnen<br />

angegeben (3 Personen):<br />

1. Das Verhältnis ist heute im Vergleich zu früher:<br />

nicht mehr so abhängig<br />

: 2 Nennungen<br />

besser<br />

: 1 Nennung<br />

einfacher<br />

: 1 Nennung<br />

kooperativer<br />

: 1 Nennung<br />

hierarchisch ausgeglichener<br />

: 1 Nennung<br />

offener<br />

: 1 Nennung<br />

kritikfähiger<br />

: 1 Nennung<br />

2. Früher gab es eine Person, die <strong>zwischen</strong> Dolmetscherinnen<br />

und LV als Bindeglied auftrat.<br />

: 1 Nennung<br />

3. Es hat eine Abkoppelung der Dolmetscherinnen vom LV<br />

stattgefunden.<br />

: 1 Nennung<br />

4. Durch den Nachwuchs einer neuen Dolmetscherinnen-Generation<br />

haben die Dolmetscherinnen insgesamt einen höheren<br />

Stellenwert bekommen.<br />

: 1 Nennung<br />

5. Der LV hat mich bei meinem Wunsch, an einer Dolmetscherinnen-Ausbildung<br />

teilzunehmen, unterstützt. : 1 Nennung<br />

6. Dolmetscherinnen und LV haben gemeinsam im Informations-Blatt<br />

einen Aufruf für Dolmetscherinnen-Nachwuchs<br />

gestartet.<br />

: 1 Nennung<br />

123


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

6.1.2 Verhältnis – Überblick über die Probandinnen<br />

Die Auswertung läßt einen Zusammenhang <strong>zwischen</strong> der gesellschaftlichen Veränderung<br />

(Offenheit in bezug auf Behindertengruppen) und dem gesteigerten<br />

Selbstbewußtsein der Gehörlosen der Gebärdensprachgemeinschaft erkennen.<br />

Probandin I<br />

Probandin II<br />

Die Probandin hat sowohl viel Kontakt <strong>zur</strong> Gebärdensprachgemeinschaft<br />

als auch mit Hörenden außerhalb derselben. Durch ihre<br />

Dozentinnentätigkeit verfügt sie über Erfahrungen mit an der DGS<br />

interessierten Hörenden. Sie bestellt regelmäßig Dolmetscherinnen<br />

und ist in der Lage, differenzierte Kritik zu üben. Zu den Unterschieden<br />

<strong>zwischen</strong> den Verhältnissen von Gehörlosen und Hörenden<br />

und von Gehörlosen und Dolmetscherinnen macht sie keine<br />

Angaben.<br />

Die Probandin hat viel Kontakt <strong>zur</strong> Gebärdensprachgemeinschaft.<br />

Durch ihre Dozentinnentätigkeit verfügt sie sowohl über Erfahrungen<br />

mit an der DGS interessierten Hörenden als auch unabhängig<br />

davon mit hörenden Kolleginnen am Arbeitsplatz. Sie verfügt über<br />

viel Erfahrung im Umgang mit Dolmetscherinnen, ist über deren<br />

Berufsbild und Tätigkeitsprofil sehr gut informiert und in der Lage,<br />

differenzierte Kritik zu üben. Die Veränderung im Verhältnis gehörlos–hörend<br />

führt sie auf die Erkenntnisse <strong>zur</strong>ück, die sie vornehmlich<br />

in den Gebärdenkursen gesammelt habe und die wiederum<br />

auch sie verändert hätten. Die Entwicklung im Verhältnis <strong>zwischen</strong><br />

Gehörlosen und Dolmetscherinnen wird von ihr hauptsächlich<br />

auf ihre persönliche Entwicklung und die Informationen, die<br />

sie über das Dolmetschen im Laufe der Zeit erhalten hat, <strong>zur</strong>ückgeführt.<br />

Probandin III Die Probandin hat vornehmlich Kontakt <strong>zur</strong> Gebärdensprachgemeinschaft<br />

und relativ unregelmäßigen Kontakt mit Dolmetscherinnen.<br />

Sie hat jedoch den Überblick über die langjährige Entwicklung<br />

der Dolmetscherinnen. Die Verbesserung im Verhältnis <strong>zwischen</strong><br />

Gebärdensprachgemeinschaft und Hörenden führt sie auf gesellschaftliche<br />

Veränderungen (Offenheit bezüglich Behindertengruppen<br />

und spürbar weniger öffentliche Diskriminierung), das gesteigerte<br />

Selbstbewußtsein Gehörloser und damit verbunden den<br />

verbesserten Zugang zu Informationen für selbige <strong>zur</strong>ück. Zu Veränderungen<br />

im Verhältnis <strong>zwischen</strong> den beiden untersuchten Gruppen<br />

macht sie keine Angaben.<br />

Probandin IV Die Probandin hat sowohl Kontakt <strong>zur</strong> Gebärdensprachgemeinschaft<br />

als auch täglichen Umgang mit hörenden Kolleginnen. Sie<br />

hat relativ regelmäßigen Kontakt mit Dolmetscherinnen und einen<br />

groben Überblick über deren Tätigkeitsprofil. Die Verbesserung im<br />

Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und Hörenden<br />

führt sie auf die Tatsache <strong>zur</strong>ück, daß die Kommunikation <strong>zwischen</strong><br />

Gehörlosen und Hörenden in heutiger Zeit durch die Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

gesichert ist. Außerdem seien Hörende<br />

heute im allgemeinen aufgeschlossener gegenüber Gehörlosen und<br />

könnten mittels Dolmetscherinnen über Gehörlosigkeit informiert<br />

124


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Probandin V<br />

werden. Die Vorbehalte gegenüber Dolmetscherinnen früher sind<br />

ihrer Meinung nach durch die heutigen Ausbildungen und das etablierte<br />

Berufsbild gewichen.<br />

Die Probandin hat viel Kontakt sowohl <strong>zur</strong> Gebärdensprachgemeinschaft<br />

als auch mit hörenden Kolleginnen am Arbeitsplatz.<br />

Durch ihre Dozentinnentätigkeit verfügt sie über Erfahrungen mit<br />

an der DGS interessierten Hörenden. Am Arbeitsplatz hat sie relativ<br />

regelmäßigen Kontakt mit Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

und einen groben Überblick über deren Tätigkeitsprofil. Sie macht<br />

bis auf den fehlenden Hörsinn kaum Unterschiede <strong>zwischen</strong> Gehörlosen<br />

und Hörenden aus. Die Veränderung im Verhältnis Gehörloser<br />

zu Dolmetscherinnen erfolgte vom Bild der hörenden Lehrerin<br />

als Helferin der Gehörlosen hin zu einem professionellen unabhängigen<br />

Berufsbild der heutigen Dolmetscherinnen.<br />

Probandin VI Die Probandin interessiert sich seit ihrer Kindheit für Gebärdensprache,<br />

hat einen langjährigen Austausch mit Gehörlosen und verfügt<br />

über eine langjährige Berufserfahrung als Gebärdensprachdolmetscherin.<br />

Zum Verhältnis gehörlos–hörend allgemein macht sie<br />

keine Angaben. Das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen<br />

im Vergleich früher (1980er Jahre) zu heute hat sich ihrer<br />

Ansicht nach kontinuierlich verbessert, aber ansonsten kaum<br />

verändert. Es gebe nach wie vor freundschaftliche Beziehungen,<br />

die sich intensiviert hätten, neutrale Beziehungen auf professioneller<br />

Ebene und bestimmte Personen, von denen man sich fernhalte.<br />

Durch eine Sprache bzw. DGS-kompetente Hörende stünden Gehörlose<br />

und Hörende eher auf einer Ebene. Verändert habe sich<br />

aber das Verhältnis zum Landesverband der Gehörlosen. Durch<br />

strukturelle Veränderungen und zunehmende Professionalisierung<br />

seien die Dolmetscherinnen als solche heute eigenständiger und<br />

nicht mehr in dem Maße abhängig von dessen Entscheidungen.<br />

Probandin VII Die Probandin interessiert sich seit ihrer Jugend für Gebärdensprache<br />

und verfügt über eine langjährige Berufserfahrung als Gebärdensprachdolmetscherin.<br />

Die relativ strikte Trennung der Gehörlosen<br />

und Hörenden in ihren beiden unterschiedlichen Welten habe<br />

im Vergleich zu früher abgenommen. Durch gesellschaftliche Veränderung<br />

herrsche heute auf hörender Seite mehr Verständnis gegenüber<br />

Gehörlosen. Früher (1980er Jahre) seien Gehörlose mit<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen sehr vorsichtig umgegangen, um<br />

diese junge Erscheinung (Existenz von Gebärdensprachdolmetscherinnen)<br />

zu fördern und nicht zu belasten. Bis heute habe sich<br />

das Verhältnis <strong>zwischen</strong> den beiden untersuchten Gruppen durch<br />

viel Aufklärung in einem stetigen Prozeß zu einem selbstverständlicheren<br />

Umgang gewandelt. Verändert habe sich auch das Verhältnis<br />

zum Landesverband der Gehörlosen. Die Dolmetscherinnen<br />

seien heute eigenständiger und nicht mehr in dem Maße abhängig<br />

von dessen Entscheidungen. Die Zusammenarbeit sei dadurch offener<br />

geworden, und durch den Dolmetscherinnen-Nachwuchs habe<br />

die Gruppe der Dolmetscherinnen insgesamt einen höheren Stellenwert<br />

bekommen.<br />

125


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

Probandin VIII Die Probandin ist bilingual aufgewachsen, dolmetscht seit früher<br />

Kindheit und hat viel Kontakt <strong>zur</strong> Gebärdensprachgemeinschaft.<br />

Zum Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden allgemein<br />

macht sie keine Angaben. Das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und<br />

Dolmetscherinnen sei stark von Dankbarkeit geprägt. Im Verhältnis<br />

zu früher seien die Gehörlosen heute durch Aufklärung und die verbesserten<br />

Informationsmöglichkeiten durch die Medien im allgemeinen<br />

wesentlich kritischer und kritikfähiger. Die Dolmetscherinnenrolle<br />

ist für sie heute auch viel klarer.<br />

Probandin IX Die Probandin ist bilingual aufgewachsen, dolmetscht seit früher<br />

Kindheit und hat viel Kontakt <strong>zur</strong> Gebärdensprachgemeinschaft.<br />

Zum Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden allgemein<br />

macht sie keine Angaben. Das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und<br />

Dolmetscherinnen erfährt sie als relativ gleichbleibend freundschaftlich,<br />

offen und wenig mißtrauisch. Durch den Dolmetscherinnen-Nachwuchs<br />

sei das Verhältnis allerdings differenzierter geworden.<br />

Einige Gehörlose hätten jedoch noch – besonders vor dem<br />

Hintergrund der neuen Gesetzgebung – den Anspruch, daß Dolmetscherinnen<br />

ihnen als Helferinnen <strong>zur</strong> Verfügung stehen sollten,<br />

und nähmen ihre Pflichten als selbständige Bürgerinnen kaum<br />

wahr.<br />

Probandin X<br />

Die Probandin hat seit ihrer Jugend mit Gehörlosen und der Gebärdensprache<br />

Kontakt und verfügt über eine langjährige Berufserfahrung<br />

als Gebärdensprachdolmetscherin. Zum Verhältnis gehörlos–hörend<br />

allgemein macht sie keine Angaben. Sie sei immer<br />

warm und herzlich von Gehörlosen aufgenommen worden. Das<br />

Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen habe sich<br />

im Laufe der Zeit (seit Ende der 1980er Jahre) von einem einseitigen<br />

Helfen zu einem professionelleren ebenbürtigen Miteinander<br />

gewandelt. Ausgenommen von dieser Entwicklung seien allerdings<br />

weitestgehend Gehörlose der älteren Generation.<br />

Folgende Zusammenhänge lassen sich feststellen:<br />

1. Gebärdensprachkurse haben zu einem Kontakt <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und<br />

Hörenden geführt, der durch Interesse und Offenheit geprägt ist. Durch<br />

diesen relativ intensiven Kontakt erfolgte eine Annäherung mit Einblicken<br />

in die jeweils andere Welt, die eine Veränderung des Verhältnisses<br />

<strong>zwischen</strong> den beiden Gruppen <strong>zur</strong> Folge hatte.<br />

2. Das durch zunehmendes Selbstbewußtsein geprägte Auftreten Gehörloser<br />

hat wie das veränderte gesellschaftliche Bewußtsein gegenüber<br />

Behindertengruppen zu einer Veränderung im Verhältnis <strong>zwischen</strong><br />

Gehörlosen und Hörenden im positiven Sinne geführt.<br />

126


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

3. Aufklärung über das Berufsbild einer Gebärdensprachdolmetscherin und<br />

das zunehmende Selbstbewußtsein sowohl auf seiten der Gehörlosen als<br />

auch unter den Dolmetscherinnen haben zu einem besseren und<br />

professionelleren Verhältnis <strong>zwischen</strong> den beiden Probandinnengruppen<br />

geführt.<br />

6.2 Zu den Einschätzungen bezüglich des Selbstbewußtseins<br />

<strong>Eine</strong> der für die vorliegende Arbeit angenommenen Entwicklungen der vergangenen<br />

25 Jahre war eine Steigerung des Selbstbewußtseins beider untersuchter<br />

Gruppen in ihrem jeweiligen Bereich. Um die angenommene Tendenz eines gesteigerten<br />

Selbstbewußtseins Gehörloser als sprachliche Minderheit sowie eines<br />

gesteigerten Selbstbewußtseins von Dolmetscherinnen als Berufsgruppe zu bestätigen,<br />

sollten die nachfolgenden Fragen von den Probandinnen spontan beantwortet<br />

werden.<br />

6.2.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten<br />

Die vergleichende Gegenüberstellung der Reduktionen ergab folgende Antwortverteilungen<br />

auf die einzelnen Fragen:<br />

Frage 66:<br />

Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Gehörlosen in<br />

Bremen als sprachliche Minderheit [in einer bestimmten Zeitspanne]<br />

auf einer Skala von 1-10 einstufen (1 entspricht: wenig selbstbewußt,<br />

10 entspricht: stark selbstbewußt)? GL/DOLM<br />

Der Grad des Selbstbewußtseins Gehörloser wird auf einer Skala von<br />

1 bis 10 für früher folgendermaßen eingeschätzt (10 Personen):<br />

1-2 : 1 Nennung<br />

2 : 1 Nennung<br />

2-3 : 2 Nennungen<br />

3-4 : 2 Nennungen<br />

4 und weniger : 1 Nennung<br />

5 : 1 Nennung<br />

8-10 (bezogen auf Schülerinnen) : 1 Nennung<br />

o. A. : 1 Nennung<br />

1. Die Einschätzungen in Werten ausgedrückt ergeben folgendes Bild:<br />

• •<br />

• • • • • • •<br />

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />

2. <strong>Eine</strong> allgemeine Einschätzung ist bei dieser heterogenen<br />

Gruppe sehr schwierig.<br />

: 2 Nennungen<br />

127


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

Gruppe sehr schwierig.<br />

: 2 Nennungen<br />

128


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

3. Gehörlose hatten nicht viel Selbstbewußtsein.<br />

(1970er Jahre)<br />

: 2 Nennungen<br />

4. Gehörlose waren nicht anerkannt. (1970er Jahre) : 1 Nennung<br />

5. Gehörlose orientierten sich an den Hörenden als Vorbilder.<br />

(1970er Jahre)<br />

: 1 Nennung<br />

6. Gehörlose waren kaum selbständig. (1970er Jahre) : 1 Nennung<br />

7. Alle Gehörlosen machten die gleiche Arbeit, ohne aufzufallen.<br />

(1970er Jahre)<br />

: 1 Nennung<br />

8. Gehörlose haben ihre Meinung nicht geäußert.<br />

(1970er Jahre)<br />

: 1 Nennung<br />

9. Es gab eine Hoch-Zeit Anfang bis Mitte der 1980er Jahre<br />

mit viel Selbstbewußtsein unter gehörlosen Schülerinnen. : 1 Nennung<br />

10. Es gab Gehörlose, die sich ganz selbstverständlich in der<br />

Öffentlichkeit in DGS unterhalten haben. (1980er Jahre) : 1 Nennung<br />

11. Ich kann keine Einschätzung abgeben. : 1 Nennung<br />

Frage 67:<br />

Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Gehörlosen in<br />

Bremen als sprachliche Minderheit heute auf einer Skala von 1-10<br />

einstufen? GL/DOLM<br />

Der Grad des Selbstbewußtseins Gehörloser wird für heute folgendermaßen<br />

eingeschätzt (10 Personen):<br />

1-2 (bezogen auf Schülerinnen) : 1 Nennung<br />

5 (bezogen auf Männer (Frauen: 7)) : 1 Nennung<br />

6-7 : 1 Nennung<br />

7 : 2 Nennungen<br />

8 : 3 Nennungen<br />

8-9 : 2 Nennungen<br />

o. A. : 1 Nennung<br />

1. Die Einschätzungen in Werten ausgedrückt ergeben folgendes Bild:<br />

(•) •<br />

• • •<br />

• • • • •<br />

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />

2. Gehörlose haben heute mehr Selbstbewußtsein. : 7 Nennungen<br />

3. <strong>Eine</strong> allgemeine Einschätzung ist bei dieser heterogenen<br />

Gruppe sehr schwierig.<br />

: 2 Nennungen<br />

4. Die ältere Generation ist nicht so selbstbewußt wie die<br />

jüngere.<br />

: 2 Nennungen<br />

5. Die Männer sind nicht so selbstbewußt wie die Frauen. : 1 Nennung<br />

6. Junge, gebildete Gehörlose sind selbstbewußt. : 1 Nennung<br />

7. Gehörlose können heute ihre Meinung äußern. : 1 Nennung<br />

8. Gehörlose haben heute mehr Einfluß und mehr Macht. : 1 Nennung<br />

9. Das Selbstbewußtsein kam durch Aufklärungsarbeit. : 1 Nennung<br />

10. Die Entwicklung des Selbstbewußtseins ist bei Gehörlosen<br />

noch nicht abgeschlossen.<br />

: 1 Nennung<br />

11. Das Selbstbewußtsein ist unter gehörlosen Schülerinnen<br />

nicht mehr so stark wie früher.<br />

: 1 Nennung<br />

12. Je weniger gehörlose Schülerinnen an der Schule sind,<br />

desto weniger wird gebärdensprachlich kommuniziert. : 1 Nennung<br />

13. Es gibt immer noch Gehörlose, die kein Selbstbewußtsein<br />

als sprachliche Minderheit haben.<br />

: 1 Nennung<br />

129


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

Frage 68:<br />

Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Dolmetscherinnen<br />

in Bremen als Berufsgruppe [in derselben bestimmten Zeitspanne]<br />

auf einer Skala von 1-10 einstufen? GL/DOLM<br />

Der Grad des Selbstbewußtseins der Dolmetscherinnen wird für früher<br />

folgendermaßen eingeschätzt (10 Personen):<br />

1 : 1 Nennung<br />

1-2 : 1 Nennung<br />

2-3 : 1 Nennung<br />

3 : 1 Nennung<br />

5 : 1 Nennung<br />

5,5 : 2 Nennungen<br />

6-7 : 1 Nennung<br />

7-8 : 1 Nennung<br />

8 : 1 Nennung<br />

1. Die Einschätzungen in Werten ausgedrückt ergeben folgendes Bild:<br />

•<br />

• • • • • • • • •<br />

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />

2. Es wurde unter den Dolmetscherinnen wenig reflektiert. : 3 Nennungen<br />

3. Damals (1. Hälfte der 1980er Jahre) war alles im Entstehen.<br />

: 1 Nennung<br />

4. Es gab sehr wenige Dolmetscherinnen. : 1 Nennung<br />

5. Das berufliche Selbstverständnis war in Ansätzen vorhanden.<br />

: 1 Nennung<br />

6. Das Thema: ‚LBG oder DGS?’ wurde nie diskutiert. : 1 Nennung<br />

7. Dolmetscherinnen hatten in den Firmen bezüglich ihrer<br />

Arbeitsbedingungen keine Forderungen zu stellen. : 1 Nennung<br />

8. Ein Teil der Dolmetscherinnen hatte ein berufliches Selbstverständnis<br />

und der andere Teil noch nicht.<br />

: 1 Nennung<br />

9. Alles, was den Berufsstand ausmacht, war schon da<br />

(1980er Jahre): Berufs- und Ehrenordnung, Anerkennung<br />

der Funktion.<br />

: 1 Nennung<br />

10. Die Idee, daß Gebärdensprachdolmetscherin ein Beruf<br />

ist, war neu.<br />

: 1 Nennung<br />

Frage 69:<br />

Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Dolmetscherinnen<br />

in Bremen als Berufsgruppe heute auf einer Skala von 1-10 einstufen?<br />

GL/DOLM<br />

Der Grad des Selbstbewußtseins der Dolmetscherinnen wird für heute<br />

folgendermaßen eingeschätzt (10 Personen):<br />

5 : 1 Nennung<br />

7-8 : 2 Nennungen<br />

8-9 : 2 Nennungen<br />

9 : 2 Nennungen<br />

9-10 : 2 Nennungen<br />

10 : 1 Nennung<br />

130


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

1. Die Einschätzungen in Werten ausgedrückt ergeben folgendes Bild:<br />

• • • •<br />

• • • • • •<br />

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />

2. Heute haben die Dolmetscherinnen mehr Selbstbewußtsein.:1 Nennung<br />

3. Einige Dolmetscherinnen haben dieses Selbstbewußtsein,<br />

andere nicht.<br />

:1 Nennung<br />

4. Es besteht eine Diskrepanz <strong>zwischen</strong> den Veröffentlichungen<br />

im Bereich Gebärdensprachdolmetschen und der tatsächlichen<br />

Professionalität der Gebärdensprachdolmetscherinnen.<br />

:1 Nennung<br />

5. Es gibt nur eine geringe Veränderung gegenüber früher<br />

(die Dolmetscherinnen waren früher schon relativ selbstbewußt).<br />

:1 Nennung<br />

6. Heute wird ‚Gebärdensprachdolmetscherin’ von allen<br />

Bremer Dolmetschkolleginnen als Beruf angesehen. :1 Nennung<br />

6.2.2 Entwicklung des Selbstbewußtseins – Überblick über die Probandinnen<br />

Die Auswertung der Antworten ergiebt im Trend eine klare Bestätigung der Vermutung,<br />

daß beide untersuchten Gruppen durchschnittlich eine Selbstbewußtseinssteigerung<br />

erfahren haben.<br />

Probandin I<br />

Probandin II<br />

Die Probandin schätzt die Entwicklung des Selbstbewußtseins Gehörloser<br />

als sprachliche Minderheit heute im Vergleich zu den<br />

1970er Jahren als sehr stark ein. Sie macht jedoch die Einschränkung,<br />

daß es relativ große Gruppierungen innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

gebe, wie beispielsweise Gehörlose der älteren<br />

Generation, deren Entwicklung hinter der der jüngeren Generation<br />

<strong>zur</strong>ückbleibe. Bei den Dolmetscherinnen hat das Selbstbewußtsein<br />

ihrer Einschätzung nach auch zugenommen, wenngleich diese<br />

Gruppe gemäß ihrer Einschätzung in den 1970er Jahren von einer<br />

stärkeren Position ausgegangen sei als die der Gehörlosen.<br />

Die Probandin bezieht sich in ihrer Einschätzung auf gehörlose<br />

Schülerinnen. Ihrer Ansicht nach verhält sich die Entwicklung des<br />

Selbstbewußtseins dieser Gruppe gegensätzlich zum Rest der Gehörlosen<br />

bzw. zu den Einschätzungen der Probandinnen. Die Blütezeit<br />

des sprachlichen Selbstbewußtseins gehörloser Schülerinnen,<br />

ausgelöst durch viele gehörlose DGS-kompetente Schülerinnen, die<br />

<strong>zur</strong> gleichen Zeit an der Schule waren, und viele engagierte Eltern,<br />

die in der ersten Hälfte der 1980er Jahre einen lebhaften Austausch<br />

mit unterschiedlichen Projekten förderten, sei vorübergegangen als<br />

die Schülerinnen die Schule nach Abschluß verlassen hätten. Ihre<br />

Einschätzung bezüglich der Dolmetscherinnen ist vage, da sie über<br />

nur sehr eingeschränkte Erfahrung mit Dolmetscherinnen zu der<br />

Zeit verfügt. In jedem Fall hätten die Dolmetscherinnen eine Entwicklung<br />

durchgemacht, und einige Dolmetscherinnen hätten heute<br />

ein relativ großes berufliches Selbstbewußtsein.<br />

131


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

Probandin III Die Probandin beschreibt die Mitglieder der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

in den 1970er Jahren als nicht sehr selbstbewußt. Alle<br />

seien in den gleichen Berufen beschäftigt gewesen und hätten sich<br />

gegen die übermächtigen Argumente der hörenden Umgebung, die<br />

beispielsweise gegen andere Berufe sprachen, auch nicht gewehrt.<br />

Heute dagegen hätten Gehörlose mehr Macht und könnten einen<br />

größeren Einfluß ausüben. Die Dolmetscherinnen haben sich ihrer<br />

Einschätzung nach auch weiterentwickelt und sich vom mittleren<br />

Bereich bis nahezu in Spitzenwerte emporgearbeitet.<br />

Probandin IV Die Probandin schätzt die Entwicklung des Selbstbewußtseins der<br />

Gebärdensprachgemeinschaft als sehr stark ein. Von sehr geringem<br />

Selbstbewußtsein in den 1970er Jahren hätten sich die Gehörlosen<br />

bis an obere Werte entwickelt, wobei sie anfügt, daß der Wert ‚10’<br />

nicht genannt werden könne, da die Entwicklung noch nicht abgeschlossen<br />

sei. Die Entwicklung der Dolmetscherinnen für den gleichen<br />

Zeitraum sei allerdings ungleich schwerer, da es früher nur<br />

sehr wenige Dolmetscherinnen gab. Aber trotzdem hätten sie eine<br />

Entwicklung nach oben gemacht, wenn sie auch als weniger stark<br />

eingeschätzt wird als die der Gehörlosen.<br />

Probandin V<br />

Die Probandin schätzt die Allgemeinheit der Gehörlosen heute als<br />

sehr selbstbewußt im Vergleich zu den 1970er Jahren ein, als Gehörlose<br />

sich gegen ihre Unterdrückung und Diskriminierung noch<br />

nicht gewehrt und zu vielen Dingen lediglich „Ja, ja” gesagt hätten.<br />

Heutzutage stünden sie für sich ein und sagten ihre Meinung. Die<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen hätten eine noch viel stärkere<br />

Entwicklung gemacht.<br />

Probandin VI Die Probandin hat in den 1980er Jahren Gehörlose erlebt, die sich<br />

ganz selbstverständlich in DGS in der Öffentlichkeit unterhalten<br />

und so das sprachliche Selbstbewußtsein nach außen getragen hätten.<br />

Ausgehend von diesem Personenkreis habe sich das Selbstbewußtsein<br />

bis heute in Bremen sogar in der breiten Masse stetig<br />

nach oben entwickelt, so daß die Probandin jetzt für die Allgemeinheit<br />

der Gehörlosen von einem Wert im oberen Drittel ausgeht. Die<br />

Frauen stechen für sie dabei insofern hervor, als von ihnen weitestgehend<br />

Aktionen ausgingen, die dazu beitrügen, daß Gehörlose in<br />

der hörenden Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen würden und<br />

sich das Bild von Gehörlosen langsam aber stetig positiv verändere.<br />

Als Beispiel nennt sie Gebärdensprachkurse, öffentliche Diskussionen<br />

und Gebärdensprachstammtische mit Gehörlosen und Hörenden.<br />

Die Dolmetscherinnen hätten sich dagegen im Vergleich zu<br />

anderen Berufen nicht so stark in Richtung Professionalität entwickelt.<br />

Sie schätzt das berufliche Selbstbewußtsein und die professionelle<br />

Entwicklung als in den Anfängen begriffen ein, vor allem<br />

wenn man vergleiche, was in diesem Bereich schon alles publiziert<br />

und wie wenig davon bisher in Bremen umgesetzt worden<br />

sei.<br />

Probandin VII Die Probandin schätzt das sprachliche Selbstbewußtsein der Gehörlosen<br />

heute im Vergleich zu den 1970er Jahren als viel größer ein.<br />

132


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Wenn es auch noch nicht bei allen Gehörlosen der Fall sei, so hätten<br />

doch bei vielen die Aufklärungsarbeit des LV, der Dolmetscherinnen<br />

und in den letzten zehn Jahren verstärkt die Arbeit des<br />

FDH dazu beigetragen, daß sich viel verändert habe. Die Dolmetscherinnen<br />

hätten sich von der Mitte, als es unter den wenigen<br />

verfügbaren Dolmetscherinnen hauptsächlich Nebenberuflerinnen<br />

gab, <strong>zur</strong> Spitze mit ein wenig verbleibendem Spielraum nach noch<br />

weiter oben entwickelt.<br />

Probandin VIII Die Probandin schätzt das Selbstbewußtsein der Gehörlosen in<br />

den 1970er Jahren als sehr gering ein und hat im Vergleich dazu<br />

heute „fitte” 319 Gehörlose vor Augen, deren sprachliches Selbstbewußtsein<br />

sehr weit oben angesiedelt werden könne. Die Dolmetscherinnen<br />

werden von ihr von Anfang an relativ hoch eingeschätzt,<br />

obwohl sie sich nicht sicher ist, ob die Dolmetscherinnen<br />

selbst ihre Tätigkeit schon als Beruf gesehen haben. Bis heute sind<br />

sie ihrer Meinung nach ähnlich hoch geblieben, haben sich aber<br />

noch ein Stück weiterentwickelt.<br />

Probandin IX Gehörlose hätten sich, bezogen auf ihr Selbstbewußtsein als<br />

sprachliche Minderheit, von der Spitze des untersten Drittels an die<br />

Spitze des mittleren Drittels weiterentwickelt. Auch die Dolmetscherinnen<br />

hätten sich in ihrer Entwicklung weiter nach oben bewegt,<br />

wenn auch nicht so dramatisch wie die Gehörlosen im<br />

gleichen Zeitraum. Da der Anfangswert für die 1980er Jahre schon<br />

als sehr hoch eingeschätzt war, weil zwar das Berufsbild als solches<br />

noch nicht existiert habe, wohl aber die Funktion der Gebärdensprachdolmetscherin<br />

mit allem, was dazugehöre, wie z. B. eine<br />

Berufs- und Ehrenordnung, kann man laut der Probandin von einem<br />

relativ stark ausgeprägten Selbstbewußtsein ausgehen.<br />

Probandin X<br />

Die Probandin gibt für die Gebärdensprachgemeinschaft in Ermangelung<br />

eines breiten Überblicks über die Gruppe keine Einschätzung<br />

ab. Für sie steht aber fest, daß die jungen, gebildeten<br />

Gehörlosen heute für sich einstehen. Bei den Dolmetscherinnen<br />

schätzt sie das berufliche Selbstbewußtsein als mittelwertig ein, da<br />

es relativ spät selbstverständlich gewesen sei, für diese Tätigkeit<br />

Geld zu verlangen. Heute jedoch seien die Dolmetscherinnen beim<br />

Spitzenwert ‚10’ angelangt, weil heute jede von den Bremer Kolleginnen<br />

das Gebärdensprachdolmetschen als Beruf ansehe.<br />

Folgende Zusammenhänge lassen sich feststellen:<br />

1. Das Selbstbewußtsein der Gehörlosen als sprachliche Minderheit hat sich um<br />

mehr als das Doppelte vergrößert.<br />

(Durchschnitt der angegebenen Werte: 3,2 mit Steigerung zu 7,1)<br />

319 Probandin VIII: 35<br />

133


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

2. Das veränderte Selbstbewußtsein der Gehörlosen war und ist ein steter Prozeß,<br />

der in der jüngeren Generation schneller vonstatten geht als bei Gehörlosen<br />

der älteren Generation.<br />

3. Das Selbstbewußtsein der Gebärdensprachdolmetscherinnen hat sich um fast<br />

das Doppelte vergrößert.<br />

(Durchschnitt der angegebenen Werte: 4,6 mit Steigerung zu 8,4)<br />

4. Die Gebärdensprachdolmetscherinnen Bremens entwickeln sich als Gruppe<br />

relativ gleichmäßig.<br />

6.3 Zu den verwendeten Begriffen bezüglich der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

Sprache sagt viel über ihre Benutzerinnen aus. <strong>Eine</strong> Entwicklung bezüglich der<br />

Verwendung bestimmter Begriffe innerhalb der DGS kann somit Aufschluß über<br />

reflektorische Prozesse der Benutzerinnen geben. Ob und warum es eine Veränderung<br />

hinsichtlich bestimmter Begriffe gegeben hat, sollen untenstehende Fragen<br />

klären.<br />

6.3.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten<br />

Die vergleichende Gegenüberstellung der Reduktionen ergab folgende Antwortverteilungen<br />

auf die einzelnen Fragen:<br />

Frage 9: Welche Begriffe benutzten die Gehörlosen in Bremen in den<br />

1960er/1970er Jahren, wenn sie von sich selbst und ihren Gebärden<br />

sprachen? Habt ihr von der „Sprache der Hände” gesprochen oder<br />

habt ihr gebärdet: „Wir plaudern”? Gab es noch andere Ausdrücke,<br />

die benutzt wurden? (z. B. taubstumm, hörgeschädigt, hörbehindert,<br />

gehörlos, schwerhörig, Schicksalsgemeinschaft, Genossen, Gehörlosengemeinschaft,<br />

Gebärdensprachgemeinschaft, plaudern, gebärden<br />

etc.) GL<br />

Folgende Begriffe wurden von den gehörlosen Probandinnen genannt<br />

(5 Personen):<br />

1. Begriffe, die der älteren Generation zugeordnet werden:<br />

plaudern<br />

: 4 Nennungen<br />

Schicksalskameraden<br />

: 1 Nennung<br />

taubstumm<br />

: 1 Nennung<br />

2. Begriffe, die der jüngeren Generation zugeordnet werden:<br />

gebärden<br />

: 3 Nennungen<br />

plaudern<br />

: 1 Nennung<br />

134


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

3. Hörende benutzen immer den verpönten Begriff ‚taubstumm’.<br />

: 2 Nennungen<br />

4. Heute benutzen Gehörlose den Begriff ‚gehörlos’. : 1 Nennung<br />

5. Gehörlose sagen heute stolz: „Ich bin gehörlos.” : 1 Nennung<br />

6. Früher haben die Gehörlosen das Wort ‚taubstumm’ benutzt,<br />

jetzt nicht mehr.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Gebärdensprache sagen Gehörlose erst, seitdem es Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

gibt.<br />

: 1 Nennung<br />

8. Zu Hause wurde früher ‚plaudern’ gesagt. Heute sage<br />

ich ‚gebärden’.<br />

: 1 Nennung<br />

Frage 11:<br />

Wie sieht das mit den Begrifflichkeiten aus, die in der Gehörlosenwelt<br />

zu dem Zeitpunkt, als du Gebärden gelernt hast, verwendet wurden?<br />

Sprach man von sich als ‚gehörlos’, oder war ‚taubstumm’ noch gang<br />

und gäbe? (z. B. taubstumm, gehörlos, Schicksalsgemeinschaft, gebärden,<br />

plaudern, Gebärdensprache, ...) DOLM<br />

Folgende Begriffe wurden von den Dolmetscherinnen genannt (4 Personen):<br />

1. Begriffe, die der älteren Generation zugeordnet werden:<br />

plaudern<br />

: 2 Nennungen<br />

Schicksalsgemeinschaft<br />

: 2 Nennungen<br />

taubstumm<br />

: 1 Nennung<br />

2. Begriffe, die der jüngeren Generation zugeordnet werden:<br />

Gebärdensprache<br />

: 1 Nennung<br />

3. Hörende benutzen immer den verpönten Begriff ‚taubstumm’.<br />

: 2 Nennungen<br />

4. Die meisten Gehörlosen sagen ‚gehörlos’. : 1 Nennung<br />

5. Gehörlose benutzten unter sich den Begriff ‚plaudern’, obwohl<br />

der Begriff ‚Gebärdensprache’ bekannt war. : 1 Nennung<br />

6. ‚taubstumm’ und ‚gehörlos’ wurden neben vielen anderen<br />

Begriffen parallel benutzt.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Der Begriff ‚plaudern’ war schon Anfang der 1980er Jahre<br />

umstritten.<br />

: 1 Nennung<br />

8. Den Begriff ‚Schicksalsgemeinschaft’ benutzen die Gehörlosen<br />

nur in offiziellen Reden.<br />

: 1 Nennung<br />

9. Gehörlose sprachen von sich selbst als „Wir Gehörlose”<br />

und nicht von ‚Gehörlosengemeinschaft’ o. ä.<br />

: 1 Nennung<br />

6.3.2 Begriffe – Überblick über die Probandinnen<br />

Die Aussagen der Probandinnen bestätigen die Veränderung im Sprachgebrauch<br />

bezüglich bestimmter Begriffe.<br />

Probandin I<br />

Probandin II<br />

Die Probandin stellt die ältere Generation als unbelehrbar und den<br />

althergebrachten Begriffen verhaftet dar und unterscheidet somit<br />

die älteren von den jüngeren Gehörlosen.<br />

Die Probandin stellt die ältere Generation ebenfalls als unbelehrbar<br />

und den althergebrachten Begriffen verhaftet dar. Die jüngere Generation<br />

sei im Sprachgebrauch einerseits progressiver, aber andererseits<br />

seien die ganz jungen (Schülerinnen) teilweise auch rückschrittig<br />

und benutzten in Anlehnung an wahrscheinlich ältere Be-<br />

135


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

zugspersonen wieder die althergebrachten Begriffe wie z. B. ‚plaudern’.<br />

Probandin III Die Probandin erwähnt die Entwicklung von ‚taubstumm’ zu ‚gehörlos’,<br />

die sich ergeben habe, weil Gehörlose mit dem Fehlurteil,<br />

Gehörlose könnten nicht sprechen, aufräumen und dies auch<br />

sprachlich umsetzen wollten. Andere Begriffe wie z. B. ‚plaudern’<br />

benutzt sie, die Probandin, aber weiter.<br />

Probandin IV Die Probandin stellt heraus, daß die Veränderung der Begriffsbenutzung<br />

mit der Veränderung der Einstellung der Menschen einhergehe.<br />

Auch sie unterscheidet die ältere von der jüngeren Generation<br />

und erwähnt den Stolz, mit dem Gehörlose heutzutage teilweise<br />

von sich und ihrer Gehörlosigkeit sprechen.<br />

Probandin V<br />

Die Probandin hat sich von den Begrifflichkeiten des Elternhauses<br />

gelöst und die gebräuchlichen Begriffe der jüngeren Generation für<br />

sich angenommen. Damit macht auch sie einen sprachlich spürbaren<br />

Unterschied <strong>zwischen</strong> der älteren und jüngeren Generation.<br />

Probandin VII Der Probandin sind ganz allgemein die unterschiedlichen Begriffe,<br />

die verwendet wurden und werden, aufgefallen. Sie stellt die lang<br />

andauernde Diskussion um Begrifflichkeiten wie z. B. ‚plaudern’<br />

heraus.<br />

Probandin VIII Die Probandin kennt ebenfalls diverse verwendete Begriffe, die in<br />

der ‚Schicksalsgemeinschaft’ kursiert hätten. Der Begriff ‚taubstumm’<br />

wird von ihr als Irrtum der Hörenden dargestellt, der sie<br />

schon lange störe und den sie als Aufhänger für Aufklärung unter<br />

den Hörenden nimmt.<br />

Probandin IX Die Probandin unterscheidet <strong>zwischen</strong> Gehörlosen der älteren und<br />

jüngeren Generation, allerdings nicht konsequent. Wenn auch die<br />

sprachliche Veränderung beispielsweise des Begriffs ‚plaudern’ zu<br />

‚gebärden’ bzw. ‚Gebärdensprache’ den meisten Gehörlosen längst<br />

geläufig sei, sehe man in privaten Gesprächen trotzdem immer<br />

noch das Mundbild ‚plaudern’.<br />

Probandin X<br />

Die Probandin stellt heraus, daß Gehörlose noch Anfang der<br />

1980er Jahre unter den Älteren von ‚Zeichensprache’ gesprochen<br />

haben. Der Begriff ‚Gebärdensprache’ sei nur unter den jüngeren<br />

verbreitet gewesen. Bei Verwendung des Begriffs ‚taubstumm’ hätten<br />

die Gehörlosen jedoch schon früher vehement kritisiert.<br />

Folgende Zusammenhänge lassen sich feststellen:<br />

1. Die ältere Generation der Gehörlosen stellt sich in bezug auf bestimmte Begriffe<br />

nicht mehr oder nur sehr schwerfällig um.<br />

2. Jüngere Gehörlose lösen sich zum großen Teil von althergebrachten Begriffen<br />

und versuchen, die ältere Generation auch dafür zu gewinnen.<br />

136


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

6.4 Zum Kommunikationsforum (KOFO)<br />

Die KOFO-Abende stellen einen wichtigen Berührungspunkt <strong>zwischen</strong> den<br />

beiden Probandinnengruppen dar, weil sie nicht nur eine Möglichkeit zum<br />

gegenseitigen Austausch bieten, sondern von den Dolmetscherinnen auch gezielt<br />

als Plattform genutzt wurden, um Aufklärung über das eigene Berufsbild zu<br />

betreiben. Darüber hinaus wurde das KOFO als Zugriffsmöglichkeit auf eine relativ<br />

große Zahl Gehörloser gesehen, als es um die Entscheidung der gewünschten<br />

Dolmetscherinnen für die Verdolmetschung der Fernsehnachrichten ging.<br />

Ob das KOFO von den Probandinnen selbst als Berührungspunkt und damit als<br />

Möglichkeit der Einflußnahme auf die jeweils andere Gruppe gesehen wird, sollen<br />

dei Antworten auf untenstehende Fragen zeigen.<br />

6.4.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten<br />

Die vergleichende Gegenüberstellung der Reduktionen ergab folgende Antwortverteilungen<br />

auf die einzelnen Fragen:<br />

Frage 114: Haben diese KOFO-Abende irgend etwas bewirkt oder verändert?<br />

Wenn ja, was glaubst du was? GL/DOLM<br />

(Aufgrund eines Interviewfehlers wurde den Dolmetscherinnen diese<br />

Frage nicht gestellt.) In der aufgeführten Reihenfolge wurden folgende<br />

Veränderungen durch die KOFO-Abende von den Gehörlosen genannt<br />

(4 Personen):<br />

1. Es hat sich sehr viel verändert. : 3 Nennungen<br />

2. Die Gehörlosen haben gelernt, sich ihre eigene Meinung<br />

zu bilden und nicken nicht mehr nur ab.<br />

: 3 Nennungen<br />

3. Gehörlose erhalten mehr Informationen. : 2 Nennungen<br />

4. Die Gehörlosen sind offener geworden. : 2 Nennungen<br />

5. Die Gehörlosen sind aufmerksamer geworden. : 1 Nennung<br />

6. Gehörlose sind selbstbewußter geworden. : 1 Nennung<br />

7. Die KOFO-Abende haben etwas zu dieser Veränderung<br />

beigetragen.<br />

: 1 Nennung<br />

8. Es hat sich eigentlich nicht viel verändert. : 1 Nennung<br />

Frage 115: Glaubst du, daß diese Abende in irgendeiner Form zum besseren Verständnis<br />

und/oder besseren Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden<br />

geführt haben? GL/DOLM<br />

In der aufgeführten Reihenfolge wurden folgende Einschätzungen von<br />

den Gehörlosen genannt (5 Personen):<br />

1. Das Verhältnis hat sich verbessert. : 2 Nennungen<br />

2. Durch den Austausch hat sich das Verhältnis verbessert. : 1 Nennung<br />

3. Man lernt die andere Welt kennen. : 1 Nennung<br />

137


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

4. Die KOFOs sind Informationsveranstaltungen für Gehörlose.<br />

: 1 Nennung<br />

5. Gehörlose können sich durch das KOFO genauso Wissen<br />

aneignen wie Hörende, so daß die Angst, Hörende würden<br />

sie für dumm halten, abnimmt.<br />

: 1 Nennung<br />

6. Es sind immer nur sehr wenige Hörende auf den KOFO-<br />

Abenden.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Es hat sich nichts verändert. : 1 Nennung<br />

In der aufgeführten Reihenfolge wurden folgende Einschätzungen von<br />

den Dolmetscherinnen genannt (4 Personen):<br />

8. Ich komme nicht regelmäßig zum KOFO. : 4 Nennungen<br />

9. Die Dolmetscherinnen-Situation war oft nicht geklärt. : 2 Nennungen<br />

10. Der Termin Freitag abend paßt mir nicht gut. : 2 Nennungen<br />

11. Bei KOFO-Besuchen interessehalber wurden Dolmetscherinnen<br />

beschimpft, wenn sie nicht spontan als<br />

Dolmetscherin einspringen wollten.<br />

: 1 Nennung<br />

12. Bei KOFO-Besuchen interessehalber sah ich mich oft<br />

genötigt als Dolmetscherin spontan einzuspringen und<br />

konnte nicht als Privatperson teilnehmen.<br />

: 1 Nennung<br />

13. Da ich nach einem arbeitsreichen Tag nicht mehr dolmetschen<br />

wollte, bin ich oft nicht zum KOFO-Abend gegangen.<br />

: 1 Nennung<br />

14. Wenn ich nicht als Dolmetscherin bestellt wurde, hatte<br />

ich einfach gern Wochenende.<br />

: 1 Nennung<br />

6.4.2 KOFO – Überblick über die Probandinnen<br />

Entgegen meiner Erwartungen spiegeln die Antworten das KOFO nicht als<br />

herausragenden Berührungspunkt <strong>zwischen</strong> den Probandinnengruppen wider.<br />

Probandin I<br />

Probandin II<br />

Die Probandin bezweifelt, daß die KOFO-Abende Auslöser für eine<br />

Verbesserung oder Veränderung des Verhältnissses der beiden<br />

Probandinnengruppen oder <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden<br />

allgemein gewesen sind. Dafür sei die Teilnahme seitens der Hörenden<br />

und damit auch der Dolmetscherinnen an den Abenden, abgesehen<br />

vom Dolmetschen selbst, zu gering gewesen.<br />

Die Probandin wertet den Austausch auf KOFO-Abenden <strong>zwischen</strong><br />

Gehörlosen und Hörenden als großes Veränderungspotential.<br />

Durch die KOFO-Abende hätten Gehörlose die Chance, Informationen<br />

in ihrer Sprache zu erhalten und seien durch diesen Zugewinn<br />

viel offener und aufmerksamer geworden. Viele Themen seien<br />

die Quelle für neue Informationen und gäben teilweise auch Einblicke<br />

in die Welt der Hörenden. Durch diese Erweiterung der Perspektive<br />

habe sich das Verhältnis zu Hörenden allgemein verbessert.<br />

Probandin III Die Probandin schätzt eine mögliche Veränderung durch die KO-<br />

FO-Abende als sehr gering ein. <strong>Eine</strong> Verbesserung im Verhältnis<br />

<strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden allgemein sowie <strong>zwischen</strong> den<br />

Probandinnengruppen im speziellen konnte sie nicht feststellen.<br />

138


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Probandin IV Die Probandin sieht eine große Veränderung bei den Gehörlosen<br />

durch die KOFO-Abende. Durch den Zugewinn dieser Informationsquelle<br />

wurde ihrer Meinung nach die freie Meinungsäußerung<br />

geschult und Hemmschwellen diesbezüglich abgebaut. Den Gehörlosen<br />

hätten die KOFO-Abende so zu größerem Selbstbewußtsein<br />

verholfen. Das Verhältnis zu Hörenden habe sich dadurch auch verändert.<br />

Grund dafür ist für sie weniger der direkte Austausch mit<br />

Hörenden als vielmehr der Abbau von Vorurteilen und Ängsten,<br />

der Gehörlose selbstbewußt werden ließe, auf Hörende zuzugehen.<br />

Die Dolmetscherinnen seien auf diesem Weg ein Zweckmittel, um<br />

an Informationen zu gelangen und ein gleiches Niveau wie das der<br />

Hörenden zu erreichen.<br />

Probandin V<br />

Die Probandin sieht eine Veränderung im Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen<br />

und Hörenden, schreibt das aber nicht vorrangig den KO-<br />

FO-Abenden allein zu. Auch sie wertet die Abende als Informationsgewinn<br />

und Schulung der freien Meinungsäußerung. Diesbezüglich<br />

hätten die KOFO-Abende sehr viel bewirkt und so auch zu<br />

mehr Selbstbewußtsein verholfen. Aber ein Einfluß auf das Verhältnis<br />

<strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden könnten die KOFO-<br />

Abende nicht haben, weil der Anteil der hörenden Zuschauer sehr<br />

gering sei.<br />

Probandin VII Die Probandin sieht keinen Einfluß auf das Verhältnis <strong>zwischen</strong><br />

Gehörlosen und Dolmetscherinnen. Die Beteiligung der Dolmetscherinnen<br />

sei dafür zu gering. Die geringe Teilnahme sei durch die<br />

in der Vergangenheit oft unklare Dolmetschsituation organisatorisch<br />

bedingt.<br />

Probandin VIII Auch diese Probandin sieht diese organisatorischen Gründe für die<br />

geringe Teilnahme von Dolmetscherinnen an den KOFO-Abenden.<br />

Unter anderem sei der Termin am Freitag abend ungünstig.<br />

Probandin IX Die Probandin sieht den Termin des KOFO-Abends nach einer arbeitsreichen<br />

Woche ebenfalls als ungünstig an. Bei einem hohen<br />

Arbeitspensum während der Woche falle die Entscheidung für oder<br />

gegen den Besuch des KOFOs daher oft zugunsten der Familie aus.<br />

Bei Bestellung als Dolmetscherin komme man aber gern.<br />

Probandin X<br />

Die Probandin sieht organisatorische und terminliche Gründe für<br />

die geringe Beteiligung der Dolmetscherinnen an den KOFO-<br />

Abenden.<br />

Folgende Zusammenhänge lassen sich feststellen:<br />

1. Durch die Informationen der KOFO-Abende erweitern die Besucherinnen, vor<br />

allem Gehörlose ihr Wissen und bauen so auch Hemmungen im Umgang mit<br />

Hörenden ab.<br />

139


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

2. KOFO-Abende haben durch die geringe Anzahl hörender Besucherinnen und<br />

damit auch Dolmetscherinnen kaum zu einer Veränderung des Verhältnisses<br />

<strong>zwischen</strong> den beiden untersuchten Gruppen beigetragen.<br />

6.5 Erfahrungen mit und von Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

Der zentrale Berührungspunkt <strong>zwischen</strong> den beiden Probandinnengruppen ist<br />

zweifelsohne die Begegnung in einer und um eine Dolmetschsituation. Aufschluß<br />

darüber, inwiefern dort eine gegenseitige Einflußnahme erfolgt und ob diese möglicherweise<br />

zu einer Weiterentwicklung der jeweils anderen Gruppe führt, sollen<br />

untenstehende Fragen klären.<br />

6.5.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten<br />

Die vergleichende Gegenüberstellung der Reduktionen ergab folgende Antwortverteilungen<br />

auf die einzelnen Fragen:<br />

Frage 54:<br />

Was ist für dich persönlich wichtig beim Dolmetschen? Was erwartest<br />

du von einer Dolmetscherin? GL<br />

Folgende Erwartungen wurden als<br />

am wichtigsten genannt (5 Personen):<br />

1. Ich erwarte von Dolmetscherinnen, daß<br />

sie mich verstehen und ich sie verstehe<br />

: 2 Nennungen<br />

sie vollständig dolmetschen<br />

: 2 Nennungen<br />

sie DGS-kompetent sind<br />

: 1 Nennung<br />

sie sich vorbereiten<br />

: 1 Nennung<br />

sie ihre Kompetenzen kennen und Aufträge ablehnen,<br />

die ihre Kompetenzen überschreiten<br />

: 1 Nennung<br />

sie sich bei Ausfall um Ersatz bemühen<br />

: 1 Nennung<br />

sie neutral dolmetschen<br />

: 1 Nennung<br />

sie sich im Team gegenseitig unterstützen und bei<br />

Fehlern eingreifen<br />

: 1 Nennung<br />

sie die Verdolmetschung dem Stil und Ausdruck der<br />

Rednerin anpassen<br />

: 1 Nennung<br />

sie nicht das Gefühl vermitteln, sie hätten keine Lust<br />

zu dolmetschen<br />

: 1 Nennung<br />

sie die Schweigepflicht einhalten<br />

: 1 Nennung<br />

2. Früher gab es kaum Ansprüche an die Dolmetscherinnen,<br />

man war froh, überhaupt etwas mitzubekommen. : 1 Nennung<br />

3. Heute werden gehobene Ansprüche gestellt. : 1 Nennung<br />

140


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Frage 23:<br />

Hat dich etwas von Gehörlosenseite (Aktivitäten, Begegnungen, Gespräche<br />

etc.) angestoßen, das dich in deiner Rolle als Dolmetscherin<br />

beeinflußt hat? (ohne direkte Einflußnahme wie z. B. durch Feedback)<br />

DOLM<br />

In der aufgeführten Reihenfolge wurden folgende Einflüsse von den<br />

Dolmetscherinnen genannt (4 Personen):<br />

1. Einfluß auf die Sicht meiner Dolmetscherinnenrolle hatten:<br />

einzelne Gehörlose<br />

: 2 Nennungen<br />

bestimmte Dolmetschsituationen, die Gehörlose weitergebracht<br />

haben<br />

: 2 Nennungen<br />

die (Not-)Ausbildung in Hamburg<br />

: 2 Nennungen<br />

meine Mentorin von außerhalb Deutschlands und der<br />

Umgang der Gehörlosen dort mit Dolmetscherinnen : 1 Nennung<br />

eine Teilnehmerin der Hamburger (Not-)Ausbildung : 1 Nennung<br />

Großveranstaltungen, auf denen ich gedolmetscht<br />

habe.<br />

: 1 Nennung<br />

Frage 29a: War es (den Gehörlosen) möglich, Dolmetscherinnenwünsche auszusprechen?<br />

GL/DOLM<br />

(Aufgrund eines Interviewfehlers wurde der Mehrzahl der Gehörlosen<br />

diese Frage nicht gestellt.) Folgende Antworten bezüglich der Möglichkeit<br />

nach Dolmetscherinnenwünschen wurden genannt (6 Personen):<br />

1. Ja, Gehörlose konnten sich bestimmte Dolmetscherinnen<br />

wünschen (aber anfangs nicht).<br />

: 3 Nennungen<br />

2. Per Kreuz auf einem Bestellvordruck. : 2 Nennungen<br />

3. Die Gehörlosen haben nur bei schlechten Erfahrungen<br />

ausgewählt.<br />

: 2 Nennungen<br />

4. Gründe für die Nutzung der Wahlmöglichkeit waren<br />

Nicht-Verstehen und Unpünktlichkeit.<br />

: 1 Nennung<br />

5. Die Wahlmöglichkeit wurde wenig genutzt. : 1 Nennung<br />

6. An so etwas wurde kaum gedacht, man war froh,<br />

überhaupt etwas mitzubekommen.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Nein, Dolmetscherinnenwünsche waren nicht möglich. : 1 Nennung<br />

Frage 55:<br />

Wenn eine Dolmetscherin fertig ist und dir einige Dinge beim Dolmetschen<br />

aufgefallen sind, gibst du der Dolmetscherin Bescheid, daß dir<br />

diese Dinge aufgefallen sind? GL<br />

Folgendes Feedback-Verhalten wurde von den Gehörlosen genannt<br />

(5 Personen):<br />

1. Gehörlose geben nicht Bescheid. : 2 Nennungen<br />

2. Ja, ich gebe Bescheid. : 2 Nennungen<br />

3. Ich korrigiere Gebärden. : 1 Nennung<br />

4. Ich korrigiere Lokalitäten. : 1 Nennung<br />

5. Ich frage bei Erschöpfung der Dolmetscherin nach einer<br />

Dolmetschpause.<br />

: 1 Nennung<br />

6. Ja, ich frage nach, ob ich verstanden worden bin. : 1 Nennung<br />

7. Manchmal gebe ich Bescheid, manchmal nicht. : 1 Nennung<br />

8. Feedback-Geben muß man lernen. : 1 Nennung<br />

141


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

Frage 47:<br />

Frage 56:<br />

Frage 48:<br />

Erhältst du von deinen gehörlosen Klientinnen Feedback? Wenn ja,<br />

wann (direkt während/nach dem Einsatz, hinterher, ...) und in welcher<br />

Form? DOLM<br />

Die Frage nach dem Feedback ergab bei den Dolmetscherinnen folgende<br />

Antworten (4 Personen):<br />

1. Ja, ich erhalte Feedback. : 4 Nennungen<br />

2. Ich erhalte Feedback nach dem Einsatz. : 3 Nennungen<br />

3. Mir wird i. d. R. für das Dolmetschen gedankt. : 2 Nennungen<br />

4. Ich fordere Feedback i. d. R. nicht ein. : 2 Nennungen<br />

5. Ich frage, ob ich verstanden werde. : 2 Nennungen<br />

6. Früher habe ich nicht viel Feedback erhalten. : 1 Nennung<br />

7. Ich mußte Feedback meistens einfordern. : 1 Nennung<br />

8. Gehörlose sind in der Mehrheit sehr <strong>zur</strong>ückhaltend oder<br />

finden es befremdlich.<br />

: 1 Nennung<br />

Wenn Gehörlose sich treffen, unterhaltet ihr euch über die Dolmetscherinnen?<br />

(Persönliche Lieblinge usw.) Wenn ja, über welche Punkte<br />

redet ihr dabei am häufigsten? GL<br />

Gehörlose tauschen sich am häufigsten über folgende Punkte bezüglich<br />

der Dolmetscherinnen aus (5 Personen):<br />

1. Die wichtigsten Punkte sind das Verstehen und Produzieren<br />

von DGS.<br />

: 4 Nennungen<br />

2. Es wird über persönliche Präferenzen gesprochen. : 3 Nennungen<br />

3. Es wird über das Auftreten gesprochen. : 2 Nennungen<br />

4. Es wird über die sprachliche Anpassungsfähigkeit an<br />

unterschiedliche Wissensniveaus Gehörloser gesprochen. : 1 Nennung<br />

5. Es wird über Dolmetschvorbereitung gesprochen : 1 Nennung<br />

6. Es wird über von den Dolmetscherinnen erbetene Wiederholungen<br />

gesprochen, die Gehörlose aus dem Konzept<br />

bringen.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Gehörlose geben Kritik an den Landesverband weiter. : 1 Nennung<br />

8. Das weiß ich nicht. : 1 Nennung<br />

Wie wird in Bremen mit Dolmetschkritik umgegangen? War es ein<br />

Thema in der LAG? DOLM<br />

Die Frage nach dem Umgang mit Dolmetschkritik ergab folgende<br />

Antworten (4 Personen):<br />

1. Kritik wird nicht direkt an die Dolmetscherin gegeben. : 4 Nennungen<br />

2. Kritik wurde in der LAG selten thematisiert. : 2 Nennungen<br />

3. Der Umgang mit Kritik ist nicht offen. : 2 Nennungen<br />

4. Kritik ist ein schwieriges Thema. : 1 Nennung<br />

5. Bei Beschwerden wurde das Thema allgemein auf einem<br />

LAG-Treffen angesprochen.<br />

: 1 Nennung<br />

6. Kritik wurde immer offen angenommen. : 1 Nennung<br />

7. Kritik hat den Beigeschmack von Tratsch. : 1 Nennung<br />

8. Kritik wurde in einem klärenden Gespräch mit dem<br />

Landesverband erörtert.<br />

: 1 Nennung<br />

9. Die Mitglieder der LAG haben Kolleginnen bei Kritik<br />

aufgefangen.<br />

: 1 Nennung<br />

10. Kritik wird anderen Stellen (auch anderen Dolmetscherinnen)<br />

gegenüber geäußert.<br />

: 1 Nennung<br />

142


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

11. Dolmetscherinnen haben sich gegen die Mittlerinnen-<br />

Rolle gesperrt und direkte Kritik empfohlen.<br />

: 1 Nennung<br />

12. Kritik wurde in der LAG nicht thematisiert. : 1 Nennung<br />

Frage 58:<br />

Frage 50:<br />

Wird Kritik bezüglich der Dolmetscherinnen an den Landesverband<br />

herangetragen? Wenn ja, wie kommt Kritik beim Landesverband an?<br />

In welcher Form? Und über welche Aspekte wird dabei am häufigsten<br />

gesprochen? Kommt auch positive/konstruktive Kritik beim Landesverband<br />

an? GL<br />

Folgende Antworten wurden bezüglich an den LV gegebener Dolmetschkritik<br />

genannt (3 Personen):<br />

1. Ja, Gehörlose geben Kritik an den Landesverband weiter. : 3 Nennungen<br />

2. Kritik sollte besser in einem persönlichen Gespräch <strong>zwischen</strong><br />

Gehörlosen und Dolmetscherin geäußert werden. : 2 Nennungen<br />

3. Kritik wird über folgende Punkte geäußert:<br />

Verstehen<br />

: 2 Nennungen<br />

Pünktlichkeit<br />

: 1 Nennung<br />

Nicht-Kommen<br />

: 1 Nennung<br />

Kleidung (1x)<br />

: 1 Nennung<br />

in Form von Lob (KOFO-Vorträge)<br />

: 1 Nennung<br />

4. Der Landesverband trägt die von Gehörlosen geäußerte<br />

Kritik an die Dolmetscherinnen heran, damit diese nicht<br />

von allen Gehörlosen einzeln angegangen werden. : 1 Nennung<br />

5. Viele Gehörlose sind damit (vgl. Punkt 4) aber nicht<br />

zufrieden, weil das zu keiner Lösung führt.<br />

: 1 Nennung<br />

In Bremen gibt es ja bis heute noch keine Schiedsstelle, die in Streitfragen<br />

über Dolmetschsituationen als Schlichterin in Erscheinung<br />

treten könnte. Wie wird in Bremen sichergestellt, daß bzw. ob die Dolmetscherinnen<br />

sich an die Prinzipien ihrer Berufs- und Ehrenordnung<br />

(BEO) halten? Habt ihr das bei der Einführung der BEO auch schon<br />

bedacht/diskutiert? DOLM<br />

Bezüglich einer Schiedsstelle wurden von den Dolmetscherinnen<br />

folgende Antworten genannt (3 Personen):<br />

1. Es gibt eine Schiedsstelle. : 3 Nennungen<br />

2. Die Schiedsstelle wurde nie genutzt. : 2 Nennungen<br />

3. Die Schiedsstelle wurde nicht publik gemacht. : 2 Nennungen<br />

4. Die Schiedsstelle und die Festlegung der Personen für<br />

selbige wurde nie intensiv diskutiert.<br />

: 2 Nennungen<br />

5. <strong>Eine</strong> Kontrollinstanz bezüglich der BEO wurde bei ihrer<br />

Einführung nicht bedacht.<br />

: 2 Nennungen<br />

6. Der Landesverband kam mit der Einrichtung der Schiedsstelle<br />

einer Forderung des DGB nach.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Die Schiedsstelle wurde durch Initiative des Landesverbands<br />

ins Leben gerufen.<br />

: 1 Nennung<br />

8. Es gibt keine Richtlinie für die Arbeit der Schiedsstelle,<br />

nach der verfahren werden könnte.<br />

: 1 Nennung<br />

9. Bei möglicherweise auftretenden Verstößen gegen die<br />

Prinzipien der BEO gibt es die Schiedsstelle.<br />

: 1 Nennung<br />

10. Vor Einrichtung der Schiedsstelle wurde an Dolmetscherinnen<br />

herangetragenes Fehlverhalten von Kolleginnen<br />

auf LAG-Treffen unterschwellig behandelt.<br />

: 1 Nennung<br />

143


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

Frage 58a: Wird überhaupt von den Gehörlosen im allgemeinen heute mehr Kritik<br />

gegenüber Dolmetscherinnen an den Landesverband herangetragen<br />

als früher? Was, denkst du, sind die Gründe dafür? GL Auswahl<br />

[Aufgrund eines Interviewfehlers wurde der betreffenden gehörlosen<br />

Probandin diese Frage nicht gestellt.]<br />

Frage 49:<br />

Ist dir ein Unterschied in der Art und Weise des Feedback-Gebens im<br />

Vergleich zu deinen Anfangszeiten aufgefallen? DOLM<br />

Folgende Auffälligkeiten in bezug auf verändertes Feedback-Verhalten<br />

Gehörloser wurden genannt (4 Personen):<br />

1. Ich erhalte Feedback nach dem Einsatz. : 3 Nennungen<br />

2. Ich muß Feedback auch heute noch meistens einfordern. : 2 Nennungen<br />

3. Einzelne Gebärden werden korrigiert. : 2 Nennungen<br />

4. Ich erhalte Feedback sowohl während des Einsatzes als<br />

auch danach.<br />

: 1 Nennung<br />

5. Ich frage heute nach, ob ich verstanden wurde. : 1 Nennung<br />

6. Ich erhalte meistens nur allgemeine Kritik. : 1 Nennung<br />

7. Gehörlose sind in der Mehrheit auch heute noch sehr<br />

<strong>zur</strong>ückhaltend oder finden das Einfordern von Feedback<br />

befremdlich.<br />

: 1 Nennung<br />

8. Das Feedback ist differenzierter als früher. : 1 Nennung<br />

9. DGS oder LBG wird gezielt verlangt bzw. abgelehnt. : 1 Nennung<br />

10. Früher war ich dankbar über eingegebene Gebärden. : 1 Nennung<br />

Frage 39/61(b): Wie kam es dann zu den Einsätzen bei Radio Bremen vor fünf<br />

Jahren? Wer hat das angestoßen und wie? DOLM<br />

Seit 1997 gibt es in Bremen die Verdolmetschung der Regionalnachrichten<br />

von montags bis freitags in der Fernsehsendung ‚Buten &<br />

Binnen’ von Radio Bremen. Wie kam es dazu? GL Auswahl<br />

Haben Gehörlose auch dafür gekämpft? (z. B. die Hexenhände? Oder<br />

andere?) Wenn ja, wie kam es dazu? GL<br />

Über den Verlauf der Bemühungen um eine verdolmetschte Nachrichtensendung<br />

wurden folgende Antworten genannt (9 Personen):<br />

1. Die Vorgespräche wurden von einer Dolmetscherin initiiert.<br />

: 5 Nennungen<br />

2. Der Landesverband war an den Vorgesprächen beteiligt. : 5 Nennungen<br />

3. Unterstützt wurde das Anliegen des Landesverbands vom<br />

Rundfunkrat und Wolfgang Lintl von Radio Bremen. : 3 Nennungen<br />

4. Radio Bremen sprach zunächst von unüberwindbaren<br />

technischen Problemen, lenkte dann aber ein.<br />

: 2 Nennungen<br />

5. Unterstützt wurde das Anliegen des Landesverbands vom<br />

Senat und von den Parteien.<br />

: 1 Nennung<br />

6. Die Begründung war, daß Gehörlose ebenso eine sprachliche<br />

Minderheit darstellen wie plattdeutsch-sprechende<br />

Menschen.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Von der Idee bis <strong>zur</strong> Umsetzung verging über ein Jahr. : 1 Nennung<br />

8. Die Gehörlosen demonstrierten für Untertitelung und<br />

Dolmetscherinnen-Einblendungen allgemein.<br />

: 1 Nennung<br />

144


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

9. ‚Buten & Binnen’ mit Dolmetscherinnen ist vom Sender<br />

selbst gekommen.<br />

: 1 Nennung<br />

10. Die Dolmetschkollegin hat die Dolmetscherinnen zunächst<br />

davon überzeugen müssen, daß sie diese Aufgabe<br />

bewältigen können.<br />

: 1 Nennung<br />

11. Ich weiß es nicht. : 1 Nennung<br />

Frage 40/64: Wie erfolgte die Auswahl der Dolmetscherinnen? Gab es auch Kolleginnen,<br />

die es egal aus welchen Gründen ablehnten? DOLM<br />

Wie hat sich damals die Besetzung der Dolmetscherinnen ergeben?<br />

Gab es jemanden, der das entschied? GL<br />

Folgende Antworten wurden für die Dolmetscherinnenwahl genannt<br />

(4 Personen):<br />

1. Die Gehörlosen haben das entschieden. : 3 Nennungen<br />

2. Auf einer KOFO-Veranstaltung (und einem Seniorinnentreffen)<br />

wurde unter allen Dolmetscherinnen gewählt. : 2 Nennungen<br />

3. Jede Dolmetscherin konnte sich auf diesen Treffen<br />

(vgl. Punkt 4) vorstellen.<br />

: 1 Nennung<br />

4. Alle waren bereit, im Fernsehen zu dolmetschen. : 1 Nennung<br />

5. Die vier mit den meisten Stimmen wurden dann verkündet.<br />

: 1 Nennung<br />

6. Ich weiß nicht, ob jemand nicht wollte. : 1 Nennung<br />

Frage 43/65: Ich kenne die Vokabelkassetten und -listen, die ihr damals erstellt<br />

habt. Wer gab den Anstoß, was war Auslöser für diese Schulung mit<br />

Vokabelsammlung? DOLM<br />

Gab es eine spezielle Vorbereitung für die Dolmetscherinnen auf diese<br />

Einsätze? (z. B.: Vokabelsammlungen) Wenn ja, welche Rolle haben<br />

Gehörlose – insbesondere der Landesverband – dabei gespielt? GL<br />

Folgende Antworten ergaben die Fragen nach der Vorbereitung der<br />

Dolmetscherinnen auf die Nachrichtensendung (4 Personen):<br />

1. Die Dolmetscherinnen haben eine Fortbildung initiiert. : 3 Nennungen<br />

2. Dozentinnen des Landesverbands haben die vorbereitende<br />

Fortbildung durchgeführt.<br />

: 3 Nennungen<br />

3. Es gab Übungen <strong>zur</strong> DGS-Verdolmetschung mit Original-<br />

Ansagetexten.<br />

: 2 Nennungen<br />

4. Es gab ein Vokabeltraining : 2 Nennungen<br />

5. Bei der Sendung wird trotzdem viel LBG benutzt anstatt<br />

DGS.<br />

: 1 Nennung<br />

6. Durch eine Fortbildung wollten die Dolmetscherinnen<br />

eine möglichst einheitliche Verdolmetschung der Sendung<br />

erreichen.<br />

: 1 Nennung<br />

Frage 63(a): Bist du mit der Sendung und der Dolmetscherinnen-Leistung zufrieden?<br />

Hast du Verbesserungsvorschläge? GL<br />

Wird von den Gehörlosen auch Kritik geübt oder versucht, Einfluß zu<br />

nehmen auf die Art und Weise der Darstellung bzw. der Verdolmetschung?<br />

GL Auswahl<br />

145


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

Folgende Kritikpunkte wurden genannt (5 Personen):<br />

1. Ja, ich habe Verbesserungsvorschläge. : 3 Nennungen<br />

2. Die Gebärden sind oft sehr klein. : 2 Nennungen<br />

3. Bei der Sendung wird viel LBG benutzt anstatt DGS. : 2 Nennungen<br />

4. Man kann einzelne Gebärden verbessern. : 1 Nennung<br />

5. Älteren Gehörlosen ist es zu schnell. : 1 Nennung<br />

6. Die Mundbilder sind manchmal schwer zu verstehen. : 1 Nennung<br />

7. Lockere, deutliche und große Gebärden sind wichtig. : 1 Nennung<br />

8. Es gibt schon Verbesserungen. : 1 Nennung<br />

9. Es ist oft nur wenig Mimik zu sehen. : 1 Nennung<br />

10. Ich bin mit der Dolmetscherinnen-Leistung zufrieden. : 1 Nennung<br />

11. Die Dolmetschqualität variiert nach Dolmetscherin und<br />

Tagesform.<br />

: 1 Nennung<br />

12. Die Gehörlosen tauschen sich über die Sendung aus. : 1 Nennung<br />

13. Die Gehörlosen tauschen sich darüber aus, daß man den<br />

Dolmetscherinnen Fortbildungen anbieten könnte. : 1 Nennung<br />

14. Die Gehörlosen sind sich unsicher, wie sie mit Verbesserungsvorschlägen<br />

an die Dolmetscherinnen herantreten<br />

können, ohne eine negative Stimmung zu erzeugen, da<br />

sie von den Dolmetscherinnen abhängen.<br />

: 1 Nennung<br />

15. In einem Brief an Radio Bremen habe ich das Dolmetschformat<br />

gelobt.<br />

: 1 Nennung<br />

16. Man kann einzelne Gebärden verbessern. : 1 Nennung<br />

17. Die Verdolmetschung ist weniger lebendig als bei Phoenix.<br />

: 1 Nennung<br />

18. Ich wünsche mir eine Sendung mit gehörlosen Moderatorinnen.<br />

: 1 Nennung<br />

19. Bezüglich Verbesserungsvorschlägen möchte ich nichts<br />

sagen.<br />

: 1 Nennung<br />

Frage 46:<br />

Frage 38:<br />

Bekommt ihr Feedback von euren gehörlosen Zuschauerinnen? Wenn<br />

ja, in welcher Form und wie wird damit umgegangen? DOLM Auswahl<br />

Folgende Antworten wurden zum tatsächlich erhaltenen Feedback genannt<br />

(3 Personen):<br />

1. Gehörlose geben kaum Feedback <strong>zur</strong> Verdolmetschung<br />

der Sendung.<br />

2. Ich werde darauf angesprochen, wenn man mich im<br />

Fernsehen gesehen hat.<br />

3. Ich höre immer nur, daß die Gehörlosen alles gut verstanden<br />

hätten.<br />

4. Gehörlose kritisieren die Sendelänge als zu kurz, aber<br />

nicht die Verdolmetschung.<br />

5. Früher habe ich hilfreiches Feedback von den Dozentinnen<br />

[des Vorbereitungsseminars] erhalten.<br />

6. Gehörlose kritisieren die Dolmetsch-/Sprechgeschwindigkeit.<br />

: 3 Nennungen<br />

: 3 Nennungen<br />

: 1 Nennung<br />

: 1 Nennung<br />

: 1 Nennung<br />

: 1 Nennung<br />

Welche gemeinsamen Veranstaltungen der LAG und des LV (gemeinsam<br />

geplant, von einer der Seiten eingefordert) fallen dir ein?<br />

GL/DOLM<br />

[Aufgrund eines Interviewfehlers wurde den gehörlosen Probandinnen<br />

diese Frage nicht gestellt.] Folgende Antworten wurden für von<br />

146


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Gehörlosen und Dolmetscherinnen gemeinsam geplante Veranstaltungen<br />

genannt (5 Personen):<br />

1. Die Dolmetscherinnen haben zwei KOFO-Abende mit<br />

Gehörlosen zusammen geplant und gestaltet.<br />

: 3 Nennungen<br />

2. Die Dolmetscherinnen haben bei Etablierung der DEZ<br />

im Landesverband eine Einweihungsfeier gemacht. : 2 Nennungen<br />

3. Die Dolmetscherinnen haben einen KOFO-Abend mit<br />

Gehörlosen zusammen geplant und gestaltet.<br />

: 1 Nennung<br />

4. Die Dolmetscherinnen haben die Rollenspiele des KO-<br />

FO-Abends auch beim Seniorinnentreffen gezeigt. : 1 Nennung<br />

5. Dolmetscherinnen nehmen individuell an Feiern und<br />

Demonstrationen der Gehörlosen teil.<br />

: 1 Nennung<br />

6. Es fehlte früher eine passende Örtlichkeit für gemeinsame<br />

Veranstaltungen.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Ich weiß es nicht mehr. : 1 Nennung<br />

6.5.2 Dolmetscherfahrungen – Überblick über die Probandinnen<br />

Probandin I<br />

Probandin II<br />

Die Probandin verfügt über eine langjährige Erfahrung mit Dolmetscherinnen<br />

und stellt mittlerweile – durch die vorhandenen<br />

Ausbildungen – gehobene Ansprüche an deren Leistungen. Ihr sei<br />

aufgefallen, daß Gehörlose zwar vereinzelt Dolmetschleistungen<br />

bemängeln, dies aber nicht der betreffenden Dolmetscherin direkt<br />

vermitteln, sondern sich an Ansprechpartnerinnen im Landesverband<br />

wenden. <strong>Eine</strong> direkte <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und<br />

Dolmetscherinnen besteht ihrer Aussage zufolge somit nur in Ausnahmefällen.<br />

<strong>Eine</strong> Ausnahmesituation sei in der Vergangenheit die<br />

Wahl der Dolmetscherinnen für die Nachrichtensendung ‚Buten &<br />

Binnen’ gewesen, bei der die Gehörlosen per Kreuz hätten wählen<br />

und bestimmen können. Direkter Einfluß auf dieses besondere Dolmetschsetting<br />

durch die Gehörlosen würde aber auch in diesem Bereich<br />

nicht erfolgen.<br />

Die Probandin stellt gleichfalls gehobene Ansprüche an die Leistung<br />

von Dolmetscherinnen. Sie wünscht sich eine größere Zusammenarbeit<br />

und Transparenz <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und den für<br />

sie arbeitenden Dolmetscherinnen in bezug auf die Vorbereitung<br />

der Dolmetscheinsätze. Auch sieht sie in der Zusammenarbeit<br />

zweier Dolmetscherinnen im Team vereinzelt Verbesserungsmöglichkeiten<br />

im Sinne der vollständigen und korrekten Informationsübertragung.<br />

Sie teile den Dolmetscherinnen mit, wenn ihr Fehler<br />

auffielen. Die direkte Einflußmöglichkeit werde von ihr somit gewinnbringend<br />

für beide Seiten genutzt. Ihr sei bewußt, daß sich<br />

nicht alle Gehörlosen gleichermaßen oder ähnlich verhalten würden,<br />

und führe diesbezüglich in der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

immer wieder Gespräche.<br />

Probandin III Die Probandin sagt, sie spreche nach einem Negativ-Erlebnis die<br />

Dolmetscherinnen während des Einsatzes direkt an und frage nach,<br />

ob sie gut verstanden werde. Sie sei zunehmend zufrieden mit den<br />

Dolmetschleistungen allgemein und bestätigt, daß auch ihre Erwartungen<br />

an die Dolmetschleistung – durch die vorhandenen Ausbildungen<br />

– gestiegen sind. Allerdings sei die Allgemeinheit der Ge-<br />

147


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

hörlosen noch nicht soweit, daß sie bei nicht verstandenen Informationen<br />

nachfragten. Direkter Einfluß auf die Dolmetscherin wird<br />

von ihr daher als noch schwieriger eingestuft und findet kaum statt.<br />

Probandin IV Die Probandin gebe in einer Dolmetschsituation den Dolmetscherinnen<br />

Bescheid, sehe für darüber hinausgehende positive und negative<br />

Kritik aber den Landesverband als zentrale Stelle für die<br />

Weitergabe an die Dolmetscherinnen an. Dort werden ihrer Meinung<br />

nach die Kritikpunkte kanalisiert und an die Dolmetscherinnen<br />

vermittelt, damit die Gehörlosen nicht geballt an die Dolmetscherinnen<br />

herantreten. <strong>Eine</strong> direkte Beeinflussung sei somit nur<br />

teilweise gegeben, und der genaue Weg der Kritik über den Landesverband<br />

ist ihr auch unklar. Obwohl sich Gehörlose vereinzelt<br />

über Verbesserungsmöglichkeiten oder Einflußnahme auf beispielsweise<br />

die Verdolmetschung der Nachrichten austauschten,<br />

bestünde eine Unsicherheit bezüglich der Art und Weise, wie man<br />

diese Vorschläge an die Dolmetscherinnen herantragen könnte, da<br />

die Gehörlosen auf die Dolmetscherinnen einerseits in ihrem Sinne<br />

Einfluß nehmen könnten, sie von ihnen aber anderseits abhängen<br />

und sie sie nicht möglicherweise verletzen wollen würden.<br />

Probandin V<br />

Die Probandin macht Einflußnahme auf Dolmetscherinnen von den<br />

Personen abhängig. Neben dem Verstehen ist für sie ein empfindlicher<br />

Punkt <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen die Einhaltung<br />

der Schweigepflicht. Über Dolmetscherinnen wird in der<br />

Gebärdenprachgemeinschaft ihrer Meinung nach immer nur dann<br />

gesprochen, wenn es einen konkreten Anlaß, also ein Problem in<br />

einer Dolmetschsituation gegeben habe. Mit ihrer Aussage relativiert<br />

sich die Einschätzung der vorangegangenden Probandin in bezug<br />

auf die Weitergabe von Kritik über den Landesverband. <strong>Eine</strong>rseits<br />

sei das schon lang nicht mehr vorgekommen, andererseits<br />

wird ihrer Einschätzung nach dieses Vorgehen von vielen Gehörlosen<br />

nicht gutgeheißen, da sich in der Vergangenheit nach derartigen<br />

Gesprächen keine zufriedenstellende Lösung ergeben habe. Sie<br />

befürwortet den direkten Kontakt <strong>zur</strong> Dolmetscherin bei Problemen,<br />

sieht die Einflußnahmemöglichkeit für Gehörlose jedoch beispielsweise<br />

hinsichtlich der Nachrichtensendung nicht. Das Einfordern<br />

von Feedback von den Dolmetscherinnen wertet sie als Unsicherheit,<br />

die bei den Bremer Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

ganz unnötig sei.<br />

Probandin VI Die Probandin verfügt über ehemals regelmäßige Dolmetscherfahrung<br />

auch außerhalb Bremens und stellt im Vergleich zu Bremen<br />

heraus, daß die breite Masse der Gehörlosen in Bremen sehr viel<br />

selbstbewußter sei und sie in Bremen von Anfang an ein weitaus<br />

weniger stark hierarchisch geprägtes Gefälle <strong>zwischen</strong> Gehörlosen<br />

und Hörenden und somit auch <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen<br />

bemerkt habe. Ein direkter Einfluß <strong>zwischen</strong> den beiden<br />

Probandinnengruppen finde vor oder nach einer Dolmetschsituation<br />

allerdings eher im Ausnahmefall statt. Und auch außerhalb von<br />

Dolmetschsituationen erfolge ein Einfluß eher punktuell und im<br />

148


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Austausch innerhalb des Freundeskreises als flächendeckend in der<br />

Gebärdensprachgemeinschaft.<br />

Probandin VII Einfluß auf die Sicht der Probandin als Dolmetscherin hätten punktuell<br />

immer wieder Gespräche mit Gehörlosen gehabt, noch viel<br />

mehr aber Dolmetschsituationen, die der gehörlosen Person in irgendeiner<br />

Form zum Vorteil gereicht hätten. Direkter Einfluß von<br />

Gehörlosenseite sei allerdings selten, so daß immer die Gefahr bestehe,<br />

daß vorhandene Kritik unprofessionell weitergegeben werde.<br />

Die mangelnden bzw. wenig intensiv diskutierten Kritikstrukturen<br />

<strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen treten nach Meinung<br />

der Probandin aber auch innerhalb des Dolmetscherinnenkollegiums<br />

auf. Feedback in direktem Zusammenhang mit einer Dolmetschsituation<br />

erfolge durch Gehörlose mehr und differenzierter<br />

als früher, aber nach wie vor sehr <strong>zur</strong>ückhaltend und auch dann nur<br />

nach Aufforderung. Gemeinsame Veranstaltungen der untersuchten<br />

Gruppen seien in der Vergangenheit rar gewesen. Die Dolmetscherinnen<br />

nähmen aus Solidarität individuell privat an großen<br />

Veranstaltungen wie Demonstrationen oder Feiern teil, aber regelmäßig<br />

gemeinsam organisierte Veranstaltungen existierten in dem<br />

Sinne nicht.<br />

Probandin VIII Die Probandin wurde stark durch die ersten deutschen Veröffentlichungen<br />

im Gebärdensprachdolmetschbereich aus Hamburg geprägt.<br />

Sie sieht eine Veränderung innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

dahingehend, daß durch größeres Selbstbewußtsein<br />

der Mitglieder und die erhöhte Anzahl der verfügbaren Dolmetscherinnen<br />

die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Dolmetscherin<br />

aufgekommen sei, die früher nicht möglich gewesen<br />

sei. Darüber hinaus wüßten die meisten gehörlosen Klientinnen<br />

heute auch eher als früher, was sie von einer Dolmetscherin erwarten<br />

können, und stellten gezieltere Forderungen. Feedback fordert<br />

sie größtenteils in bezug auf Verständlichkeit ein und hat damit gute<br />

Erfahrungen gemacht. Der Austausch von Kritik innerhalb des<br />

Kollegiums sei früher bereits minimal gewesen und eher allgemein<br />

behandelt worden, um die betreffende Kollegin nicht direkt<br />

anzusprechen. Zu von den untersuchten Gruppen gemeinsamen<br />

Veranstaltungen könne sie durch ihren beruflichen Schwerpunkt<br />

außerhalb des Gebärdensprachdolmetschens keine genauen Angaben<br />

machen.<br />

Probandin IX Die Probandin sagt, daß diejenigen Dolmetschsituationen den größten<br />

Einfluß auf sie gehabt hätten, die der gehörlosen Person in irgendeiner<br />

Form zum Vorteil gereicht hätten, und darüber hinaus<br />

Dolmetscherlebnisse, die rein von der Menge an gehörlosen Zuschauerinnen<br />

besonders eindrucksvoll gewesen seien. Einflußnahme<br />

seitens der Gehörlosen auf Dolmetscherinnen habe sehr verhalten<br />

mit der Wahlmöglichkeit bei Dolmetscherinnenbestellung begonnen<br />

und sei bis heute noch sehr <strong>zur</strong>ückhaltend in bezug auf einen<br />

Dolmetscheinsatz geblieben. Die sehr selten geäußerte Kritik<br />

werde von Dolmetscherinnen stets offen angenommen. Die Probandin<br />

sieht den Umstand, daß direktes Feedback negativer Art<br />

149


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

Probandin X<br />

kaum gegeben wird, in der Kultur der Gehörlosen verankert. Wenn<br />

Kritik geäußert werde, würden meistens einzelne Gebärden korrigiert.<br />

<strong>Eine</strong> andere Einflußnahmemöglichkeit für die Gehörlosen,<br />

die ihrer Meinung nach breit angelegt, aber eben einmalig gewesen<br />

sei, sei die Auswahl der Dolmetscherinnen für die Nachrichtensendung<br />

gewesen.<br />

Die Probandin verfügt ebenfalls über ehemals regelmäßige Dolmetscherfahrung<br />

außerhalb Bremens. <strong>Eine</strong> Einflußnahme von seiten<br />

der Gehörlosen sei allmählich mit der Auswahlmöglichkeit<br />

durch die erhöhte Anzahl der Dolmetscherinnen aufgekommen.<br />

Vorher habe man als Dolmetscherin kaum eine Rückmeldung bekommen,<br />

daß Klientinnen möglicherweise unzufrieden gewesen<br />

wären. Heutzutage bedankten sich die Klientinnen meistens direkt<br />

im Anschluß an die Dolmetschsituation. Durch das direkt im Zusammenhang<br />

mit der Tätigkeit stehende Feedback sei der Dolmetschberuf<br />

für sie so reizvoll, da das mit kaum einem anderen Beruf<br />

vergleichbar sei. Kritik negativer Art komme allerdings eher<br />

über Umwege bei den Dolmetscherinnen an, und so plädiere sie<br />

trotz Verständnisses dafür, daß es nicht leicht sei, für direkte Gespräche<br />

<strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen.<br />

Folgende Zusammenhänge lassen sich feststellen:<br />

1. Je mehr Dolmetscherinnen in Bremen tätig sind, desto eher haben Gehörlose<br />

die Einflußnahme durch Wahlmöglichkeit genutzt.<br />

2. Die Dolmetscherinnen stehen mit der Gebärdensprachgemeinschaft außerhalb<br />

von Dolmetschsituationen und persönlichen Freundschaften nur selten miteinander<br />

in Kontakt, so daß das zwangsläufig entstehende Informationsvakuum<br />

einen Nährboden für Vermutungen und Vorurteile auf beiden Seiten gegenüber<br />

der jeweils anderen Gruppe bietet.<br />

3. Gehörlose sprechen Dolmetscherinnen nur selten an, um Kritik zu äußern,<br />

weil sie entweder keine Kritik haben oder ihnen nicht klar ist, in welcher Form<br />

sie ihre Kritik am besten anbringen sollten, so daß sie andere Wege gefunden<br />

haben, wie ihre Kritik für sie weitergeleitet wird.<br />

4. Dolmetscherinnen haben in ihrer Funktion als Sprachmittlerinnen durch ihre<br />

bloße Existenz einen Einfluß auf die Entwicklung des Selbstbewußtseins der<br />

Gehörlosen. Aber darüber hinaus haben sie keinen direkten Einfluß auf die<br />

Gebärdensprachgemeinschaft.<br />

5. <strong>Eine</strong>n Einfluß auf die Entwicklung des Selbstbewußtseins der Dolmetscherinnen<br />

haben die Mitglieder der Bremer Gebärdensprachgemeinschaft durch die<br />

150


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

<strong>zur</strong>ückhaltenden Kritikäußerungen als breite Masse nur versteckt und punktuell<br />

verschieden.<br />

6.6 Zum Beruflichen Fachdienst für Hörgeschädigte<br />

Durch die Aufklärungsarbeit der Mitarbeiterinnen des Fachdienstes ist es zunehmend<br />

zu Dolmetscheinsätzen in den Firmen <strong>zur</strong> Kommunikationssicherung bei<br />

z. B. Mitarbeiterinnenbesprechungen etc. gekommen. In diesem Sinne stellt der<br />

Fachdienst somit einen indirekten Berührungspunkt der beiden in der vorliegenden<br />

Arbeit untersuchten Gruppen dar.<br />

6.6.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten<br />

Die vergleichende Gegenüberstellung der Reduktionen ergab folgende Antwortverteilungen<br />

der einzelnen Fragen:<br />

Frage 134: Hat sich durch den FDH deiner Meinung nach etwas für Gehörlose<br />

verändert? Wenn ja, was? GL/DOLM<br />

Folgende Veränderungen für Gehörlose durch den Fachdienst wurden<br />

genannt (8 Personen):<br />

1. Es hat sich viel zum Positiven verändert. : 7 Nennungen<br />

2. Die Gehörlosen haben jetzt eine Anlaufstelle, wenn sie<br />

Konflikte am Arbeitsplatz haben.<br />

: 7 Nennungen<br />

3. Der Fachdienst leistet Aufklärungsarbeit. : 6 Nennungen<br />

4. Der Fachdienst kann beraten und bei Forderungen oder<br />

Fehlbewertungen unterstützen.<br />

: 2 Nennungen<br />

5. Durch die Aufklärung herrscht jetzt viel mehr gegenseitiges<br />

Verständnis unter Arbeitskolleginnen.<br />

: 2 Nennungen<br />

6. Durch den Fachdienst können Gehörlose viel lernen in<br />

bezug auf das Arbeitsrecht.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Der Fachdienst ist eine große Hilfe. : 1 Nennung<br />

8. Durch den Fachdienst werden verstärkt Dolmetscherinnen<br />

angefordert.<br />

: 1 Nennung<br />

9. Der Fachdienst ist auch für umgebende Kreise in Niedersachsen<br />

zuständig.<br />

: 1 Nennung<br />

Frage 135: Hat sich durch den FDH deiner Meinung nach etwas für Hörende verändert?<br />

Wenn ja, was? GL/DOLM<br />

Folgende Veränderungen für Hörende durch die Fachdienstarbeit wurden<br />

genannt (8 Personen):<br />

1. Der Fachdienst leistet Aufklärungsarbeit. : 7 Nennungen<br />

2. Durch die Aufklärung herrscht jetzt viel mehr Verständnis<br />

gegenüber Gehörlosen.<br />

: 6 Nennungen<br />

3. Durch den Fachdienst hat sich auch etwas für Hörende<br />

verändert.<br />

: 3 Nennungen<br />

151


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

4. Gehörlose haben in Zukunft mehr Möglichkeiten im Berufsleben,<br />

das kommt aber vielleicht nicht nur durch den<br />

Fachdienst.<br />

: 1 Nennung<br />

5. Die Hörenden sind offener und respektvoller geworden. : 1 Nennung<br />

6. Durch den Fachdienst werden Dolmetscherinnen eingesetzt.<br />

: 1 Nennung<br />

7. Durch den Fachdienst werden in den Firmen spezielle<br />

Gebärdensprachkurse angeboten.<br />

: 1 Nennung<br />

8. Die Informationsveranstaltungen bewirken auch etwas<br />

für schon sehr lang bestehende Arbeitsverhältnisse. : 1 Nennung<br />

6.6.2 FDH – Überblick über die Probandinnen<br />

Probandin I<br />

Probandin II<br />

Die Probandin schätzt den Einfluß der Veränderung für die Situation<br />

im Arbeitsleben Gehörloser durch den FDH als sehr hoch ein.<br />

Ohne den FDH fühlten sich die Gehörlosen allein gelassen, jetzt<br />

hätten sie eine Anlaufstelle bei Problemen. Außerdem profitierten<br />

sie von der Aufklärungsarbeit, durch die Kolleginnen und Vorgesetzte<br />

heutzutage viel besser verstünden, was es bedeute, eine Gehörlose<br />

zu beschäftigen.<br />

Die Probandin schätzt die Arbeit des FDH gleichfalls als einen<br />

großen Beitrag zu positiver Veränderung für gehörlose Arbeitnehmerinnen<br />

ein. Ein zentraler Aspekt sei dabei die Aufklärungsarbeit<br />

sowohl der Gehörlosen, was z. B. arbeitsrechtliche Gegebenheiten<br />

betrifft, als auch der Hörenden über die besondere Kommunikationssituation<br />

Gehörloser. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die für<br />

ebenfalls beide Seiten (gehörlose und hörende Personen) zum Vorteil<br />

gereichende Unterstützung bei Problemen, Forderungen oder<br />

Beschwerden.<br />

Probandin III Die Probandin schätzt die Veränderung für Gehörlose durch die<br />

Beratung und Unterstützung als große Erleichterung gegenüber früheren<br />

Zeiten ein. <strong>Eine</strong> Veränderung durch den FDH für Hörende<br />

gibt sie zögerlich mit einem Mehr an Informationen aufgrund der<br />

Aufklärungsarbeit an. Die verbesserten beruflichen Möglichkeiten<br />

für Gehörlose stellten auch eine Veränderung dar, über deren Entstehen<br />

sie jedoch in bezug auf einen möglichen Zusammenhang <strong>zur</strong><br />

Arbeit des FDH keine Einschätzung geben kann.<br />

Probandin IV Die Probandin sieht den FDH in erster Linier als Anlaufstelle für<br />

unbefriedigende Arbeitsplatzsituationen. Durch den FDH hätten<br />

Gehörlose endlich die Möglichkeit, Hörende über die eigenen Fähigkeiten<br />

aufzuklären, Anerkennung diesbezüglich zu finden und<br />

so anderen Kolleginnen ebenbürtig zu sein. Die Mitarbeiterinnen<br />

des FDH werden von den Gehörlosen als starke Vertrauenspersonen<br />

gesehen, die bei der Lösung von Problemen hülfen und die Arbeitsplatzsituation<br />

ganz allgemein verbesserten, durch ihre Arbeit<br />

herrsche z. B. auch mehr Respekt gegenüber gehörlosen Kolleginnen.<br />

Probandin V<br />

Die Probandin empfindet das Echo der Gehörlosen bezüglich der<br />

Arbeit des FDH als bemerkenswerte Veränderung. Wann immer<br />

ein Problem am Arbeitsplatz auftauche, werde umgehend an den<br />

152


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

FDH gedacht, der einem helfen könne. Für Hörende erstrecke sich<br />

die Veränderung auf mehr Informationen durch den Einsatz von<br />

Dolmetscherinnen und spezielle Gebärdensprachkursangebote.<br />

Probandin VII Die Probandin sieht in der Hauptsache die Aufklärungsarbeit des<br />

FDH als große Veränderung und in dem Zuge auch den vermehrten<br />

Einsatz von Dolmetscherinnen <strong>zur</strong> Kommunikationssicherung am<br />

Arbeitsplatz. Für die Hörenden habe sich dadurch ein größeres<br />

Verständnis für die Bedeutung von Gehörlosigkeit entwickeln<br />

können.<br />

Probandin IX Der FDH hat nach Meinung der Probandin wesentlich <strong>zur</strong> fachlichen<br />

Unterstützung von langjährigen Argumenten für bestimmte<br />

Verbesserungen bzw. Änderungen an Arbeitssplätzen Gehörloser<br />

beigetragen, die Gehörlose teilweise zwar vorzubringen versucht,<br />

bei ihren Arbeitgeberinnen damit jedoch keine Unterstützung<br />

erfahren hätten. Darüber hinaus könnten die Mitarbeiterinnen des<br />

FDH durch ihre Besuche innerhalb der Firmen teilweise eingefahrene<br />

Verhaltensmuster aufbrechen, Mißverständnisse klären und so<br />

zu einem verbesserten Arbeitsklima beitragen.<br />

Probandin X<br />

Die Probandin sieht den Bedarf der Mitarbeiterinnen des Fachdienstes<br />

durch die hohe Frequentierung der Sprechstunden bestätigt.<br />

Vielfach seien die gehörlosen Arbeitnehmerinnen froh, wenn<br />

nicht nur beispielsweise zu Betriebsversammlungen Dolmetscherinnen<br />

kämen, sondern es eine Vertrauensperson gebe, die sich vor<br />

Ort mit den Kolleginnen und der Meisterin über womöglich aufgetretene<br />

Probleme unterhalte und aufklären könne.<br />

Folgende Zusammenhänge lassen sich feststellen:<br />

1. Die Arbeit der Mitarbeiterinnen des FDH hat unmittelbar zu einer Verbesserung<br />

des Ansehens Gehörloser unter hörenden Arbeitskolleginnen und Vorgesetzten<br />

geführt.<br />

2. Die Dolmetscherinnen haben durch den FDH ein breiteres Einsatzspektrum.<br />

3. Gehörlose brauchen bei Problemen im Betrieb aufgrund ihrer kommunikativen<br />

Situation eine Vertrauensperson und nicht nur eine Dolmetscherin. Sie<br />

brauchen eine Person, mit deren Hilfe sie über sich aufklären, Mißverständnissen<br />

vorbeugen und/oder Probleme lösen können.<br />

153


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

6.7 Zu den einprägsamsten Erlebnissen und Wünschen<br />

Der Abschluß der Interviews hat mit einem Blick in die Vergangenheit und einem<br />

Blick in die Zukunft den Probandinnen erlaubt, sich auf Ereignisse oder Situationen<br />

zu besinnen, an die sie im Lauf des Interviews möglicherweise nicht gedacht<br />

haben. <strong>Eine</strong> Gegenüberstellung der prägendsten Erlebnisse und Wünsche für die<br />

Zukunft der beiden Probandinnengruppen kann darüber hinaus Aufschluß über<br />

eine etwaige gemeinsame Entwicklung und gemeinsame Zielvorstellungen geben.<br />

6.7.1 Vergleichende Gegenüberstellung der Antworten<br />

Frage 136: Welches Ereignis im Zusammenhang mit der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

ist dir am besten in Erinnerung geblieben? Was war am eindrucksvollsten<br />

für dich? Warum? (Welche großen politischen Ereignisse<br />

in Bremen und auch in Deutschland (1970-heute)?) GL/DOLM<br />

Bei möglicher Mehrfachnennung wurden folgende Ereignisse als am<br />

beeindruckendsten genannt (9 Personen):<br />

1. der Gebärdensprachkongreß 1985 in Hamburg : 4 Nennungen<br />

2. 1. Kulturtage der Gehörlosen in Hamburg : 4 Nennungen<br />

3. der Protestmarsch der Gehörlosen 1993 in Hamburg: : 2 Nennungen<br />

4. Internationaler Gebärdensprachkongreß 1980 in Hamburg : 1 Nennung<br />

5. Vorträge von Prof. Prillwitz : 1 Nennung<br />

6. Entstehung des ZDGS [heute: IDGS] : 1 Nennung<br />

7. Dolmetschen auf dem Kirchentag : 1 Nennung<br />

8. Musikfestival (USA) mit Dolmetscherinnen : 1 Nennung<br />

9. ‚Deaf President Now’ (USA) : 1 Nennung<br />

10. In schlechtester Erinnerung ist mir der orale Schulunterricht<br />

geblieben.<br />

11. In schlechtester Erinnerung sind mir Dolmetscherinnen<br />

geblieben, die sich aufgrund vertraglicher Vereinbarungen<br />

weigerten, bestimmte Anteile eines Dolmetschauftrags zu<br />

dolmetschen.<br />

: 1 Nennung<br />

: 1 Nennung<br />

Frage 137: Was sind deine Wünsche für die Gebärdensprachgemeinschaft, für die<br />

Dolmetscherinnen und für dich für die Zukunft? GL/DOLM<br />

Folgende Wünsche wurden genannt (10 Personen):<br />

1. Die Gehörlosen wünschen:<br />

engagierte Gehörlose in der Vereinsarbeit<br />

: 2 Nennungen<br />

Verbesserungen für Gehörlose durch ein Antidiskriminierungsgesetz<br />

: 1 Nennung<br />

mehr Selbstbewußtsein für die Gehörlosen<br />

: 1 Nennung<br />

mehr sprachliche Rechte für Gehörlose<br />

: 1 Nennung<br />

daß Gebärdensprachdolmetscherinnen bei öffentlichen<br />

Veranstaltungen <strong>zur</strong> Selbstverständlichkeit werden : 1 Nennung<br />

politisch bewußte und engagierte Gehörlose : 1 Nennung<br />

mehr kulturelle Aktivitäten im Gehörlosenbereich : 1 Nennung<br />

Dolmetscherinnenversorgung überall<br />

: 1 Nennung<br />

154


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

2. Die Dolmetscherinnen wünschen:<br />

weiterhin gute Zusammenarbeit unter den Dolmetscherinnen<br />

den Gehörlosen mehr Selbstbewußtsein<br />

gleichwertige Anerkennung von Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

mit den Lautsprachendolmetscherinnen<br />

wieder vollberuflich als Dolmetscherin zu arbeiten<br />

: 2 Nennungen<br />

: 1 Nennung<br />

: 1 Nennung<br />

: 1 Nennung<br />

mehr berufliche Flexibilität<br />

: 1 Nennung<br />

daß Dolmetscherinnen Aufträge nicht aus Angst ablehnen,<br />

sie könnten bei Versagen ihr Gesicht verlieren : 1 Nennung<br />

6.7.2 Wichtige Ereignisse und Wünsche – Überblick über die Probandinnen<br />

Probandin I<br />

Probandin II<br />

Der Probandin fallen auf Anhieb viele große politische Veranstaltungen<br />

der Vergangenheit ein. Am eindrucksvollsten seien ihr aber<br />

große Veranstaltungen außerhalb Bremens in Erinnerung geblieben,<br />

die mit der Anerkennung der Gebärdensprache und dem<br />

Kampf der Gehörlosen dafür zu tun hatten. Für die Zukunft<br />

wünscht sie sich, daß diejenigen für Bremen in der Vergangenheit<br />

erfolgreich erkämpften Fortschritte für Gehörlose erhalten bleiben<br />

und von der nachkommenden Generation weiterverfolgt und gepflegt<br />

werden. Für Deutschland allgemein wünscht sie sich einen<br />

Fortschritt mit Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes<br />

und mehr Selbstverständlichkeit in der Umsetzung von Barrierefreiheit<br />

bei öffentlichen Veranstaltungen.<br />

Die Probandin hätten Veranstaltungen sehr geprägt, die mit der<br />

Darstellung von Gehörlosigkeit zu tun haben und vielfach unter<br />

den Gehörlosen zu einem besseren Verständnis für die eigene Identität<br />

führten. Der Kampf um die Anerkennung der Gebärdensprache<br />

habe einen großen Anteil daran. In schlechter Erinnerung sei für sie<br />

die Schulzeit mit Lehrerinnen geblieben, die aufgrund mangelnder<br />

Gebärdenkenntnisse oftmals nicht zu ihren Schülerinnen durchdringen<br />

konnten und mit ihrem Kommunikationsstil für die Schülerinnen<br />

eher eine Barriere als eine Chance auf Wissensvermittlung<br />

darstellten. Für die Zukunft wünscht sie sich ein Mehr an kulturellen<br />

Veranstaltungen im Bereich der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

und einen aufmerksameren Blick der breiten Masse der Gehörlosen<br />

für politische Themen. Die Anerkennung der Gebärdensprache ist<br />

für sie noch nicht abgeschlossen, und die Gehörlosen dürften nicht<br />

denken, daß sie passiv bleiben könnten.<br />

Probandin III Die Probandin wünscht sich eine zunehmend selbstverständlichere<br />

Barrierefreiheit im öffentlichen Bereich, sieht gleichzeitig aber<br />

auch den finanziellen Aspekt, der eine Umsetzung in vielen Bereichen<br />

erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Zu Ereignissen<br />

macht sie keine Angaben.<br />

Probandin IV Die Probandin hätten Veranstaltungen sehr geprägt, die mit dem<br />

Aufbruch in die öffentliche Darstellung von Gehörlosigkeit und<br />

dem Erfahrungsaustausch innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

zu tun hatten. In schlechter Erinnerung sei ihr der Schulun-<br />

155


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

Probandin V<br />

terricht geblieben, der durch das Gebärdenverbot im Klassenzimmer<br />

und der oral ausgerichteten Pädagogik einerseits endlos mühsam<br />

erschien, aber andererseits Schlupflöcher für die Schülerinnen<br />

zuließ, die sie ausgenutzt hätten, um zu gebärden. Eingeprägt habe<br />

sich dadurch in bezug auf die Gebärdensprache jedoch bei vielen<br />

ein negatives Bild von Ablehnung und Minderwertigkeit. Für die<br />

Zukunft wünscht sie sich mehr Selbstbewußtsein für Gehörlose und<br />

den Mut, sich im Vereinsleben zu engagieren, damit die mühsam<br />

aufgebauten Strukturen nicht bröckelten und die Lebendigkeit erhalten<br />

bliebe.<br />

Der Probandin ist der Aufbruch der Gehörlosen in die Öffentlichkeit<br />

unvergeßlich: Veranstaltungen, auf denen sich Gehörlose träfen<br />

und die eine Vielzahl an gebärdensprachlichem Angebot begleite<br />

(wie z. B. die Kulturtage der Gehörlosen). Für die Zukunft<br />

wünscht sie sich größeres Selbstbewußtsein der Bremerinnen und<br />

den Ausbau der rechtlichen Gebärdensprachanerkennung.<br />

Probandin VI Die Probandin wünscht sich zunehmende berufliche Anerkennung<br />

durch Professionalisierung und angemessene Bezahlung sowohl im<br />

Dolmetschbereich als auch in anderen Berufen, die mit der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

zusammenhängen.<br />

Probandin VII Die Probandin wurde sowohl durch internationale wie nationale<br />

Bewegungen der Gebärdensprachgemeinschaft stark geprägt. Als<br />

Wunsch für die Zukunft nennt sie eine gute und noch bessere Zusammenarbeit<br />

sowohl unter den Dolmetscherinnen als auch mit<br />

dem Landesverband und dem Fachdienst.<br />

Probandin VIII Die Probandin hätten das Entstehen des ZDGS (heute: IDGS) und<br />

damit verbundene Kongresse und Entwicklungen im Bereich der<br />

Gebärdensprachforschung nachhaltig beeindruckt. Mit dem ZDGS<br />

sei erstmalig eine Einrichtung geschaffen worden, die sich in positiver<br />

Weise mit der Gebärdensprachgemeinschaft und ihrer Sprache<br />

auseinandersetze und somit eine fachliche Grundlage als Gegenpol<br />

zu den bis dahin existierenden defizitären Anschauungen bilde. Für<br />

sie sei das ein wichtiger Schritt gewesen und eine Quelle, auf die<br />

man sich beziehen könne. In negativer Weise hätten sie Dolmetscherinnen<br />

beeindruckt, die es auf einer Großveranstaltung ablehnten,<br />

Fragen aus dem Publikum zu dolmetschen. Die Probandin<br />

wünscht sich für die Zukunft, daß das bislang gute Verhältnis unter<br />

den Dolmetscherinnen auch zukünftig andauern möge und sie sich<br />

weiterhin als Dolmetscherinnen einer Gruppe identifizieren und<br />

nicht auseinanderdriften sollten.<br />

Probandin IX Die Probandin zählt zu ihren eindrucksvollsten Erlebnissen Dolmetschsituationen,<br />

die ihr rein von der Anzahl an gehörlosen Zuschauerinnen<br />

besonders in Erinnerung geblieben sind. Für die Zukunft<br />

wünscht sie sich gleichfalls, daß diejenigen in der Vergangenheit<br />

erfolgreich erkämpften Fortschritte für Gehörlose erhalten<br />

bleiben und von der nachkommenden Generation weiterverfolgt<br />

und gepflegt werden. Außerdem wünscht sie sich ein weiterhin zunehmendes<br />

Selbstbewußtsein innerhalb der Gebärdensprachge-<br />

156


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Probandin X<br />

meinschaft und daß die Dolmetscherinnen auch weiterhin ein gutes<br />

Team bleiben und von außen als Team gesehen werden und nicht<br />

ein Bild zweier Dolmetscherinnengruppen entstehen möge: diejenigen<br />

mit und diejenigen ohne staatliche Prüfung.<br />

Die Probandin nennt als beeindruckendstes Erlebnis der Vergangenheit<br />

die Gebärdensprachkongresse der ersten Stunde in Hamburg.<br />

Besonders hervorzuheben sei für sie dabei das erstmalige Erleben<br />

und Verfolgen der Arbeit einer Vielzahl von Dolmetscherinnen<br />

<strong>zur</strong> selben Zeit gewesen. Als Wunsch für die Zukunft sieht sie<br />

vorrangig das Ziel der gleichwertigen Anerkennung der Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

mit den Lautsprachendolmetscherinnen,<br />

weil es eine immer wiederkehrende, auch kränkende Erfahrung sei,<br />

wenn die eigene Dolmetscharbeit herablassend als einfache Arbeit<br />

eingestuft und somit geringgeschätzt werde.<br />

Folgende Zusammenhänge lassen sich feststellen:<br />

1. Gemein ist vielen Probandinnen, sowohl den Gehörlosen als auch den Dolmetscherinnen,<br />

die Erinnerung an Ereignisse, die – außerhalb Bremens – mit<br />

dem Aufbruch von Gehörlosigkeit und Gebärdensprache in die Öffentlichkeit<br />

zusammenhängen. Das verbindende Element ist dabei jeweils die Gebärdensprache:<br />

Darstellung, Aufklärung und Kampf für die rechtliche Anerkennung.<br />

2. Die Wünsche sowohl der Gehörlosen als auch der Dolmetscherinnen sind relativ<br />

breit gestreut und individuell.<br />

3. Die Wünsche der beiden Probandinnengruppen decken sich nur in einem<br />

Punkt, dem Wunsch nach mehr Selbstbewußtsein für die Gehörlosen.<br />

6.8 Zusammenfassung der Ergebnisse<br />

Die ausgewerteten Antworten der vergleichenden Fragen ergeben ein zum Teil<br />

unerwartetes, weil meinen Annahmen zuwiderlaufendes Bild. Unter den als Berührungspunkte<br />

<strong>zwischen</strong> den Gehörlosen der Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

den Dolmetscherinnnen Bremens ausgewählten Gebieten ergaben sich nur gering<br />

genutzte Einflußmöglichkeiten auf die jeweils andere Probandinnengruppe.<br />

Zu den vermeintlichen Berührungspunkten zählen in der Reihenfolge der Auswertung:<br />

1. Gebärdensprachkurse<br />

2. KOFO-Abende<br />

3. Wahl der Dolmetscherinnen (indirektes Feedback) – allgemein<br />

4. Feedback nach einer Dolmetschsituation<br />

157


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

5. Feedback von Gehörlosen, über den Landesverband weitergegeben an die<br />

Dolmetscherinnen<br />

6. Bemühen um eine verdolmetschte Nachrichtensendung<br />

7. Wahl der Dolmetscherinnen (indirektes Feedback) – ‚Buten & Binnen’<br />

8. Vorbereitung für die Dolmetscherinnen auf die Nachrichtensendung<br />

9. Feedback für die Verdolmetschung der Nachrichtensendung<br />

10. gemeinsame Veranstaltungen der beiden Probandinnengruppen<br />

11. Forderung nach Gebärdensprachdolmetscherinnen im Arbeitsbereich<br />

durch den FDH (indirekt)<br />

12. gemeinsame beeindruckende Erlebnisse<br />

13. gemeinsame Wünsche für die Zukunft<br />

Bei den Gebärdensprachkursen stellt sich heraus, daß sie keinen Berührungspunkt<br />

<strong>zwischen</strong> den beiden untersuchten Gruppen darstellen. Allerdings gibt es durch<br />

sie punktuelle Veränderungen im Bewußtsein Gehörloser bezüglich Hörender.<br />

Aus unterschiedlichen Gründen gibt es der Interviewauswertung zufolge bei den<br />

KOFO-Abenden eine zu geringe Beteiligung auf seiten der Dolmetscherinnen, als<br />

daß sie einen festen und regelmäßigen Berührungspunkt darstellen könnten. <strong>Eine</strong><br />

Ausnahme stellt dabei lediglich die genutzte Einflußnahmemöglichkeit von den<br />

Dolmetscherinnen auf die Gebärdensprachgemeinschaft während der Dolmetscherinnen-KOFOs<br />

dar. Die Dolmetscherinnen haben dabei mittels Rollenspielen<br />

zwei mit Gehörlosen gemeinsam organisierte Customer Educations durchgeführt,<br />

und so einen Einblick in den beruflichen Alltag einer Dolmetscherin gegeben.<br />

Die ‚Auslese’ der Dolmetscherinnen durch gezielte Bestellung der Wunschdolmetscherinnen<br />

für einen Einsatz wird von Gehörlosen von jeher nur selten wahrgenommen.<br />

Für die 1970er und 1980er Jahre, als die Anzahl der <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stehenden Dolmetscherinnen noch relativ gering war, kann dieses Verhalten entweder<br />

auf Unwissenheit <strong>zur</strong>ückgeführt oder mit dem noch sehr geringen Selbstbewußtsein<br />

und einer gewissen Bescheidenheit und Dankbarkeit verbunden werden,<br />

die das Anforderungsprofil an Dolmetscherinnen relativ niedrig hielten, oder<br />

aber auf gute Dolmetschleistungen. Da mehrere Interviews darauf hinweisen, daß<br />

die Gehörlosen mit den Leistungen beispielsweise dolmetschender Lehrerinnen<br />

nicht zufrieden waren, kann letztgenannter Punkt vernachlässigt werden.<br />

Heute gibt es unter den Gehörlosen die oben genannte Unwissenheit stellenweise<br />

noch immer, allerdings gibt es eine zaghafte Veränderung im Bestellverhalten der<br />

158


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Gehörlosen. Das rührt zum einen daher, daß sie unter einer größeren Anzahl an<br />

Dolmetscherinnen wählen können, aber auch daher, daß sie allgemein über ein<br />

größeres Selbstbewußtsein als sprachliche Minderheit und mehr Informationen<br />

bezüglich des Dolmetschberufs verfügen, ihre Einflußnahmemöglichkeit beim Bestellen<br />

jedoch kaum nutzen.<br />

Das direkte Feedback-Verhalten nach einer Dolmetschsituation hat sich ähnlich<br />

dem indirekten Feedback der Dolmetscherinnen-Wahlmöglichkeit verändert.<br />

Während einer Dolmetschsituation oder direkt danach kommt es vor, daß Gehörlose<br />

ihre Dolmetscherinnen über Auffälligkeiten informieren, diese im Idealfall<br />

differenziert erörtern und mit der Dolmetscherin austauschen. Allerdings ist diese<br />

Art des direkten Feedbacks noch sehr selten. Negative Kritik umfassender Art<br />

wird jedoch gar nicht direkt der betreffenden Dolmetscherin gegenüber geäußert.<br />

Hier verbleiben etwaige Äußerungen entweder unter den Gehörlosen, oder sie<br />

wenden sich an den Vorstand des Landesverbands, der sie statt ihrer weitergeben<br />

möge. Da dieses Vorgehen laut Aussage einer Probandin schon seit geraumer Zeit<br />

nicht mehr erfolgt, kann entweder davon ausgegangen werden, daß die Gehörlosen<br />

zunehmend mit den Dolmetscherinnen zufrieden sind oder daß sie – wie im<br />

Interview erwähnt – ein derartiges Vorgehen nicht befürworten und es infolge<br />

dessen einen gewissen Grad an Verdrießlichkeit in der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

bezüglich der Dolmetscherinnen gibt.<br />

Es existiert bislang kein Ventil oder Weg bzw. keine Kommunikationsebene, die<br />

zu einer Auflösung dieser Situation führen könnten. Und das ist möglicherweise<br />

auch ein Grund dafür, warum sich das Wahlverhalten bei Dolmetschbestellungen<br />

verändert hat. Auf der anderen Seite herrschte auch unter den Dolmetscherinnen<br />

lange Zeit kein geregelter Umgang mit Feedback und als Resultat mangelnder<br />

Kritik von Gehörlosenseite auch nur selten ein zielgerichteter kollegialer Austausch<br />

darüber.<br />

<strong>Eine</strong>n außergewöhnlichen Berührungspunkt stellt in Bremen die Bemühung um<br />

die verdolmetschte Nachrichtensendung ‚Buten & Binnen’ dar. Vor dem Hintergrund<br />

der länger bestehenden Bemühungen der Gebärdensprachgemeinschaft um<br />

Untertitelung von und Dolmetscherinnen-Einblendungen bei Fernsehsendungen<br />

hat eine Dolmetscherin unabhängig davon bestimmte Beziehungen <strong>zur</strong> Erörterung<br />

159


Kapitel 6 - Interviewauswertung<br />

der Forderungen eingesetzt, um auf diese Weise einen Prozeß anzustoßen, der von<br />

den Gehörlosenvertreterinnen erfolgreich weitergeführt wurde.<br />

Ausführende Personen nach den Bemühungen waren und sind die Dolmetscherinnen,<br />

die daraufhin aus dem oben genannten außergewöhnlichen Berührungspunkt<br />

eine weitere <strong>Verbindung</strong> initiierten: die gezielten Vorbereitungen mit Gehörlosen<br />

auf die Verdolmetschung der Nachrichten. Da diese vorbereitenden Übungen allen<br />

interessierten Bremer Dolmetscherinnen offenstanden, kann man hier von einer<br />

echten, im Gegensatz zu einer zufälligen Zusammenarbeit und von Einflußnahme<br />

der beiden untersuchten Gruppen sprechen.<br />

<strong>Eine</strong> wider Erwarten kaum als Berührungspunkt zu bezeichnende Einflußnahmemöglichkeit<br />

hat die Frage nach gemeinsam organisierten oder eingeforderten<br />

Veranstaltungen ergeben. Mit Ausnahme der KOFO-Abende und des Seniorinnentreffs,<br />

auf denen sich die Dolmetscherinnen vorstellten, um über ihre Rolle als<br />

Dolmetscherinnen aufzuklären, und der Einweihung der Dolmetscherinnen-Einsatzzentrale<br />

in den Räumlichkeiten des Landesverbands gab es keine gemeinsam<br />

geplanten Veranstaltungen.<br />

<strong>Eine</strong> für Probandinnen aus beiden Gruppen bestehende <strong>Verbindung</strong> ergibt sich für<br />

einen kleinen Teil der Erlebnisse, die als am beeindruckendsten genannt wurden.<br />

Als echter Berührungspunkt kann jedoch auch das nicht gewertet werden, da die<br />

Erlebnisse individuell erfahren wurden und nicht als gemeinschaftliches Erlebnis.<br />

Außerdem liegen sie mit meiner vorherigen Vermutung übereinstimmend sämtlich<br />

außerhalb Bremens und sind auch nicht in besonderem Maße durch Bremer<br />

Aktivitäten angestoßen worden.<br />

Bei den Wünschen für die Zukunft zeichnet sich ein ganz ähnliches Bild ab, wie<br />

bei den Ereignissen: mit Ausnahme einer Nennung – dem Wunsch nach noch<br />

mehr Selbstbewußtsein für Gehörlose – sind die Wünsche breit gestreut. Lediglich<br />

ein weiterer Wunsch auf Gehörlosenseite nach mehr sprachlichen Rechten könnte<br />

mit dem Wunsch nach gleichwertiger Anerkennung der Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

mit den Lautsprachdolmetscherinnen in <strong>Verbindung</strong> gebracht werden.<br />

Die vermutete <strong>Verbindung</strong> in Form einer möglichen näheren Zusammenarbeit ist<br />

somit, wenngleich auch vage, gegeben.<br />

160


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Bestätigt haben sich die Einschätzungen bezüglich der Veränderung bzw. Verbesserung<br />

des Verhältnisses <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden allgemein. Die Unterscheidung<br />

in der Befragung durch die unterschiedlichen Jahrgänge und damit<br />

der einheitlichen Befragung nach der Situation <strong>zur</strong> Jugendzeit der Probandinnen<br />

ergeben gemäß ihrer Einschätzungen eine kontinuierliche Verbesserung der Situation,<br />

da sowohl nach den 1960er und 1970er als auch nach den 1980er Jahren<br />

gefragt wurde. Gleichwohl dieses Ergebnis auch nicht repräsentativ ist, so spiegelt<br />

es doch den Trend einer allgemeinen Öffnung der hörenden Mehrheitsgesellschaft<br />

für die Themen Gehörlosigkeit und Gebärdensprache wider. Auf dieser Basis<br />

kann sich das Selbstbewußtsein der Gebärdensprachgemeinschaft entfalten und<br />

weiter wachsen.<br />

161


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

7. Fazit<br />

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, der Frage nachzugehen, inwiefern die Gebärdensprachgemeinschaft<br />

bzw. deren Entwicklung als sprachliche Minderheit einen<br />

Einfluß auf die Berufsgruppe der Gebärdensprachdolmetscherinnen ausübt und ob<br />

vice versa die Dolmetscherinnen die Gehörlosen der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

in ihrer Entwicklung beeinflussen. Durch die Vorgehensweise mit den<br />

durchgeführten Tiefeninterviews und wegen der relativ geringen Probandinnenzahl<br />

ist die vorliegende Arbeit eine Erkundung des Problemgebiets. De Groot<br />

merkt zu dieser Art der <strong>Untersuchung</strong> folgendes an: „Es ist [...] eine Art Versuch<br />

mit einer Einstellung, die man folgendermaßen beschreiben kann: Schauen wir<br />

mal, was wir finden können. Und was man findet – d. h. selektiert –, kann man<br />

nicht <strong>zur</strong> gleichen Zeit an demselben Material überprüfen.” 320 <strong>Eine</strong> endgültige<br />

Antwort auf obenstehende Frage kann daher an dieser Stelle nicht gegeben werden.<br />

Durch die vorliegende Arbeit konnte erreicht werden, einige Antworten auf die<br />

obenstehende Frage hervorzubringen, und somit können für bestimmte ausgewählte<br />

Berührungspunkte <strong>zwischen</strong> den Gehörlosen und den Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

Bremens tendenzielle Aussagen getroffen werden. Dafür wurden<br />

drei Teilziele bearbeitet:<br />

• Sind die Probandinnen soziologisch definierbaren Gruppen zugehörig?<br />

(Kapitel 2)<br />

• Welches sind die Berührungspunkte <strong>zwischen</strong> diesen Gruppen? (Kapitel 3<br />

und 4)<br />

• Findet an den ausgewählten Berührungspunkten ein (wechselseitiger) Einfluß<br />

statt? (Kapitel 6)<br />

Die Ergebnisse der Befragung und die Darstellungen der Probandinnen belegen<br />

die in der Einleitung angenommenen Überschneidungen und ferner unabhängig<br />

voneinander verlaufende Entwicklungen. Dabei überwiegen die letztgenannten<br />

bzw. es findet an vielen der für die vorliegende Arbeit ausgewählten Berührungspunkte<br />

nahezu kein Einfluß statt. Und auch die Annahme, daß die Gehörlosen der<br />

320 De Groot, zit. in: Fabert/Weber, 1991: 52 (Hervorh. im Orig.)<br />

161


Kapitel 7 - Fazit<br />

Gebärdensprachgemeinschaft durch ihre gezielten Forderungen nach Qualität<br />

Einfluß auf die Gebärdensprachdolmetscherinnen ausüben und sich dadurch<br />

schrittweise die Arbeitsweise und damit auch die Arbeitsbedingungen der Dolmetscherinnen<br />

verändern, hat sich für den Bremer Bereich nur ansatzweise bestätigt.<br />

<strong>Eine</strong> allgemeingültige Aussage bzw. Tendenz kann daraus nicht abgeleitet<br />

werden, da die für die Veränderungen verantwortlichen Einflüsse weitestgehend<br />

von außerhalb Bremens kamen.<br />

Die Entwicklung der Gebärdensprachdolmetscherinnen erfolgt nicht nur eigenständig<br />

aus sich heraus, sondern vollzieht sich durch immer wieder neue Einflüsse:<br />

einerseits durch die Entwicklung des Geflechts der anderen Dolmetscherinnenverbände<br />

und der Veränderung der Forschungs- und, darauf aufbauend, der Ausbildungssituation.<br />

Andererseits haben neu hinzukommende Kolleginnen direkten<br />

Einfluß ausgeübt, indem sie neue Strukturen und z. T. neue Methoden mit eingebracht<br />

haben. Die Folge ist, daß althergebrachte und durch die besondere Entwicklung<br />

des Berufs bedingte Auffassungen, wie z. B. immer bereit zu sein und<br />

‚ins kalte Wasser’ zu springen bzw.: ‚Augen zu und durch’, auch dann wenn Verunsicherung<br />

bezüglich der Kompetenz besteht, teilweise in Frage gestellt und modifiziert<br />

wurden.<br />

Solche von außen auf die Probandinnen einwirkenden Einflüsse erfolgen sowohl<br />

bei den Dolmetscherinnen als auch bei den Gehörlosen; so ist etwa im Berufsbild<br />

der Gebärdensprachdolmetscherinnen zu lesen:<br />

Die Lebenssituation gehörloser Menschen in Deutschland befindet sich in ständiger<br />

Veränderung und Entwicklung (Verbesserung und Neuentwicklung medizinischtechnischer<br />

Hilfen, Veränderung der Bildungssituation Gehörloser, neue Entwicklungen<br />

in den Kommunikationstechnologien, gesetzliche Veränderungen sowie zunehmende<br />

Globalisierung und internationaler Austausch). 321<br />

Das bedeutet, daß zwar auch hier von innen heraus Entwicklungen stattfinden,<br />

aber auch viel Einfluß aus der hörenden Mehrheitsgesellschaft besteht, der weitestgehend<br />

ohne Einbezug Gehörloser von außen auf die Gebärdensprachgemeinschaft<br />

ausgeübt wird.<br />

<strong>Eine</strong>n direkten Beleg für die dritte Hypothese, daß Dolmetscherinnen vermutlich<br />

ihrerseits mit dem Anbieten ihrer Leistungen einen Einfluß auf die Gehörlosen<br />

ausüben, insofern als Gehörlosen durch den Dolmetschservice in vielen kommu-<br />

321 BGSD, 2002: 19<br />

162


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

nikativen Bereichen eine größere Selbstbestimmung möglich ist, liefert lediglich<br />

eine Probandin mit ihrer Einschätzung: „[...] ohne Dolmetscher wäre das nicht<br />

möglich gewesen.” 322 Sie bezieht sich damit einerseits auf die größere Bandbreite<br />

an Berufen, die Gehörlosen heutzutage als Lehrberufe <strong>zur</strong> Verfügung stehen, und<br />

andererseits auf das verbesserte Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden<br />

durch die veränderten Möglichkeiten <strong>zur</strong> Teilhabe an der hörenden Mehrheitsgesellschaft.<br />

Die Verdolmetschung der Nachrichtensendung ‚Buten & Binnen’ stellt darüber<br />

hinaus ein positives wie negatives Beispiel für die Einflußnahme Gehörloser auf<br />

die Dolmetscherinnen dar – positiv bezüglich des Auswahlverfahrens und negativ<br />

bezüglich der Einflußnahme mittels Feedback.<br />

Kurz nach Bekanntgabe der Entscheidung des Senders Radio Bremen und vor<br />

dem Start der Sendungen haben die Gehörlosen auf den beiden größten Veranstaltungen<br />

des Freizeitheimes – dem Seniorinnentreffen und dem KOFO – eine<br />

Abstimmung organisiert. Die Dolmetscherinnen hatten Gelegenheit, sich auf den<br />

Veranstaltungen noch einmal vorzustellen, da nicht alle allen bekannt waren, und<br />

die anwesenden Gehörlosen konnten über die Besetzung der Dolmetscherinnen<br />

per Kreuz abstimmen. 323 Vier Dolmetscherinnen wurden so mit einfacher Mehrheit<br />

ausgewählt.<br />

Ein bis heute ungelöstes Problem stellt allerdings die darauffolgende mangelnde<br />

Einflußnahme dar. Es wurde noch kein Weg gefunden, wie die Gehörlosen bei<br />

Interesse Verbesserungsvorschläge einbringen könnten. Die Fernseh-Dolmetscherinnen<br />

erhalten im Kontakt mit Gehörlosen und bei anderen Aufträgen zwar<br />

hin und wieder persönliches Feedback auch zu den jeweiligen Sendungen, jedoch<br />

werden keine Vorschläge geäußert.<br />

Wie die Befragung zeigt, existieren gewisse Ideen bezüglich der Verdolmetschung<br />

der Sendung, aber es bestehen offensichtlich Hemmungen, direkt an die<br />

Dolmetscherinnen heranzutreten, aus Angst, es könnte als Kritik mißverstanden<br />

werden. Das Feedback bezüglich der Sendungen ist im direkten Kontakt mehrheitlich<br />

positiv u. a. deswegen, weil Gehörlose bei einer bzw. den Dolmetsche-<br />

322 Probandin IV: 8<br />

323 vgl. Probandin IX: 36<br />

163


Kapitel 7 - Fazit<br />

rinnen durch negative Kommentare nicht in Mißkredit geraten möchten. Diese<br />

Angst und Abhängigkeit wird in der Aussage: „Wir Gehörlosen brauchen ja die<br />

Dolmetscher auch” 324 , deutlich.<br />

Stellenweise wird von einigen Gehörlosen aber auch Einfluß genommen, in der<br />

Form, daß einzelne Gebärdenzeichen oder ganze Phrasen gezielt verbessert werden.<br />

Ein solches Verhalten erfolgt jedoch größtenteils von DGS-Dozentinnen und<br />

einigen wenigen routinierten Klientinnen.<br />

Diese Zurückhaltung liegt m. E. an der alten Vorstellung ‚Hörende können alles<br />

besser’ 325 , welche in vielen Köpfen noch vorherrscht – und Dolmetscherinnen<br />

sind hörend! Hinzu kommt fehlendes Bewußtsein darüber, daß Einfluß genommen<br />

werden kann. <strong>Eine</strong> Diskussionskultur ist untereinander in der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

zwar gegeben, jedoch sind Gehörlose diesbezüglich mit Hörenden im<br />

allgemeinen ungeübt, so daß eine Angst vor Mißverständnissen sogar gegenüber<br />

den DGS-kompetenten Dolmetscherinnen besteht.<br />

Erkenntnisse über den Umgang mit Feedback auf anderem Weg hätte die in Bremen<br />

eingerichtete Schiedsstelle ergeben können. Diese Schiedsstelle ist für<br />

Schlichtungsfragen zuständig, wenn es zu Problemsituationen während eines Dolmetschauftrags<br />

kommt. Sie wurde jedoch noch nie in Anspruch genommen.<br />

Ein Grund für die bestehenden Hemmungen, an Dolmetscherinnen heranzutreten,<br />

ist womöglich der geringe Kontakt bzw. Austausch <strong>zwischen</strong> den beiden untersuchten<br />

Gruppen. Wenngleich in der Vergangenheit offensichtlich keine großen<br />

Problemfälle aufgetreten sind, könnte es über lange Sicht doch problematisch<br />

werden, wenn beide Gruppen, ohne miteinander bezüglich etwaiger Unklarheiten<br />

zu kommunizieren, nebeneinander existieren. Unvollständige oder Fehlinformationen<br />

führen zu Vorurteilen. Und diesen kann am einfachsten durch Kommunikation<br />

begegnet werden.<br />

<strong>Eine</strong> Herausforderung bzw. Aufgabe für die Zukunft ist also, einen Weg zu finden,<br />

wie gegenseitiger Austausch angeregt bzw. gefördert werden kann, um einen<br />

unverkrampften Umgang miteinander zu erreichen, in dem auch kritische Punkte<br />

324 Probandin IV: 15<br />

325 vgl. Probandin I: 23<br />

164


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

wie beispielsweise das Feedback-Geben besprochen werden können. <strong>Eine</strong> Voraussetzung<br />

dafür ist, daß beide Seiten mit dafür geeigneten Mitteln, wie Informationen<br />

über Feedback-Technik, über Sprache und über das Dolmetschen, ausgestattet<br />

sind. Oft fehlt es nicht nur an Selbstbewußtsein, sondern auch an Wissen<br />

z. B. über die Dolmetschtätigkeit, um den Dolmetscherinnen mit bestimmten Anliegen<br />

gegenübertreten zu können. Bei einigen mag auch die Unerfahrenheit im<br />

Umgang mit Dolmetscherinnen eine Rolle spielen und die Unklarheit darüber,<br />

was sie genau von den Dolmetscherinnen erwarten und was sie von ihnen fordern<br />

können. Den Dolmetscherinnen ihrerseits fehlt es womöglich ebenfalls an Wissen<br />

und konkreten Forderungen. Vage Nachfragen wie: ‚Hast du mich verstanden?’<br />

dienen zunächst zwar der Absicherung der Dolmetscherin, sind für die Klientinnen<br />

aber zu pauschal artikuliert, da im Normalfall zumindest immer etwas verstanden<br />

wird.<br />

<strong>Eine</strong> Einschätzung der Dolmetschsituation und damit eine Einschätzung darüber,<br />

ob Kritik an bestimmten Stellen angemessen ist oder nicht, erweist sich aufgrund<br />

der Fülle möglicher einflußnehmender Faktoren für Gehörlose zumeist als<br />

schwierig. Hinzu kommt, daß Gehörlosen bei Nachfrage oder kritischen Äußerungen<br />

über eine bestimmte Dolmetschsituation Erklärungen oft verallgemeinernd<br />

und diffus vorkommen, weil diese aufgrund des i. d. R. indirekt gegebenen Feedbacks<br />

wiederum von Dolmetscherinnen gemacht werden, die in der entsprechenden<br />

Situation nicht zugegen waren. <strong>Eine</strong> gezielte Aufklärung läßt sich so aufgrund<br />

der mannigfaltigen Situationsmöglichkeiten, die es gibt, nicht betreiben. Und genau<br />

an dieser Stelle befindet man sich in einem Teufelskreis, den es zu durchbrechen<br />

gilt. Der Mut einer gehörlosen Person, sich mit einer kritischen Äußerung an<br />

eine Dolmetscherin zu wenden, wird durch verallgemeinernde Stellungnahmen<br />

oder eine pauschale Antwort nicht belohnt. Die gehörlose Person gewinnt dadurch<br />

vielmehr den Eindruck, daß es keinen Zweck hat, Kritik zu äußern, da ihr spezielles<br />

Problem aus ihrer Sicht nur abgewiegelt und allgemein betrachtet wird. Die<br />

antwortgebende Dolmetscherin befindet sich ihrerseits womöglich in der mißlichen<br />

Situation, über Kritik Bescheid zu wissen, diese jedoch nicht weitergeben zu<br />

können, da sie entweder nicht weiß, um welche Kollegin es sich handelt, oder von<br />

der gehörlosen Person gebeten wurde, über die Angelegenheit Stillschweigen zu<br />

wahren.<br />

165


Kapitel 7 - Fazit<br />

Aufgebrochen werden kann diese Situation nur in der direkten Kommunikation<br />

mit den betroffenen Personen. Und da liegt es einerseits an den Dolmetscherinnen,<br />

immer wieder Offenheit für Kritik zu signalisieren, und andererseits an den<br />

Gehörlosen, den Schritt zu wagen, Dinge anzusprechen, die sie beschäftigen. Dolmetscherinnen<br />

können ohne entsprechende Äußerungen nicht ahnen, daß es eventuell<br />

Probleme gibt. Das bedeutet, daß die Gehörlosen aktiver werden sollten,<br />

wenn sie einen effektiven und fruchtbaren Umgang mit Dolmetscherinnen erreichen<br />

möchten. Ein für beide Seiten positiver Umgang miteinander erfordert einen<br />

Austausch und ein Abgleichen der gegenseitigen Erwartungen. Um Unzufriedenheit<br />

und Vorurteile abzubauen, benötigen beide Seiten darüber hinaus Zeit; denn<br />

Kritik zu üben braucht Übung. <strong>Eine</strong> Veränderung ist je nach Situation mitunter<br />

nicht durch ein einziges Gespräch herbeizuführen. Sinnvoll ist es daher, ein Forum<br />

zu schaffen bzw. einen Rahmen – sinnvollerweise in zeitlicher Nähe eines<br />

Dolmetschauftrags –, in dem Kritikpunkte diskutiert und dadurch im besten Fall<br />

beseitigt werden können. Darüber hinaus können Vereinbarungen für die Zukunft<br />

getroffen und Erklärungen bezüglich der Dolmetscherinnenrolle gegeben werden,<br />

die Unzufriedenheit verhindern helfen. Beiden Seiten muß dabei klar sein, daß es<br />

Punkte bzw. Situationen gibt, die entweder erst mittel- oder langfristig verbessert<br />

werden können oder vollständig außerhalb des Einflußbereichs der betreffenden<br />

Personen liegen.<br />

Unerläßlich für jede Dolmetscherin ist außerdem das Feedback im kollegialen<br />

Austausch. Denn nur Dolmetscherinnen sind in der Lage, translatorisches Hintergrundwissen<br />

in die situativen Gegebenheiten einzubringen sowie durch Zugang zu<br />

beiden Sprachen und Kulturen das Dolmetschprodukt als solches kritisch zu beurteilen.<br />

Mit Gründung des BreGSD gab es den Anstoß, kollegiales Feedback innerhalb<br />

der Dolmetschteams zu üben. Jedes Mitglied hat sich dazu verpflichtet, eine<br />

bestimmte Anzahl von Feedbackgesprächen innerhalb eines Jahres durchzuführen<br />

und dieses durch eine Bestätigung der jeweiligen Kollegin dem Verband gegenüber<br />

nachzuweisen. Diese Gespräche sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg in<br />

Richtung Professionalisierung des Gebärdensprachdolmetscherinnenberufs.<br />

Ein weiterer Schritt ist ein von den Dolmetscherinnen geplanter KOFO-Abend,<br />

der sich mit ‚Customer Education’ beschäftigt. In Zusammenarbeit mit Gehörlo-<br />

166


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

sen soll auf diesem Weg ein Anfang gemacht werden, Informationen über den<br />

Dolmetscherinnenberuf allgemein und die Abläufe beim Dolmetschen insbesondere<br />

zu geben und gegebenenfalls offene Fragen zu beantworten. Die Dolmetscherinnen<br />

haben dafür ein Konzept entwickelt, welches nicht nur für diesen einen<br />

Abend gedacht ist, sondern bei weiteren Gelegenheiten, wie zum Beispiel dem<br />

Seniorinnentreffen oder in der Schule, Anwendung finden kann. Es schließt Fragen<br />

ein, die von Gehörlosen gestellt werden (z. B. „Warum ist eine Dolmetscherin<br />

so teuer?”), sowie dem Dolmetschprozeß immanente Umstände, die bei Gehörlosen<br />

u. U. zu Verwirrung führen (z. B. Timelag). Die Zusammenstellung beruht auf<br />

den Erfahrungen der Dolmetscherinnen. Auf diese Art und Weise kann ein neuer<br />

Anlauf genommen werden, um für Aufklärung, gegenseitiges Verständnis und<br />

besseren Kontakt <strong>zwischen</strong> der Gebärdensprachgemeinschaft und den Dolmetscherinnen<br />

zu sorgen. Möglicherweise wird dadurch ein weiterer Grundstein gelegt<br />

(zwei KOFO-Abende ähnlichen Inhalts liegen schon einige Jahre <strong>zur</strong>ück), der<br />

die von Hase beschriebene „Verselbständigung des Dolmetscherwesens und damit<br />

[die] Gefahr einer Loslösung von der Arbeit der Gehörlosenverbände” 326 abwenden<br />

und einen intensiveren Kontakt pflegen hilft.<br />

Wie in vielen anderen Bereichen, die mit Gehörlosigkeit in Zusammenhang stehen,<br />

liegen die deutschen Entwicklungen weit hinter denen der USA <strong>zur</strong>ück, wo<br />

Gehörlose beispielsweise auch in den Dolmetscherinnen-Verbänden Mitglied<br />

werden können, nach dem Motto: Ohne Kundinnen geht es nicht. Dieses Motto ist<br />

auch Grundlage für die oben beschriebenen, geplanten Aktivitäten der Bremer<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen. Sie streben mit der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

bzw. dem Landesverband der Gehörlosen als deren politische Vertretung<br />

jedoch keine strukturelle, sondern eine normative Integration an: eine „Konvergenz<br />

der Zielsetzungen und gemeinsamen Überzeugungen im Hinblick auf die<br />

Geltung von Verhaltensnormen” 327 . Das heißt, es sollen <strong>zwischen</strong> den beiden<br />

Gruppen nach Möglichkeit ein relativ intensiver Informationsaustausch und Absprachen<br />

im Sinne eines gemeinsamen Ziels erfolgen. Dieses gemeinsame Ziel ist,<br />

Dolmetschdienste auf hohem Niveau anbieten zu können.<br />

326 Hase, 1999: 33<br />

327 Wiswede, 1991: 170<br />

167


Kapitel 7 - Fazit<br />

Verallgemeinernd kann festgestellt werden, daß Veränderungen durch Einflüsse<br />

stattgefunden haben, auch wenn sich letztere nicht in ausgeprägter Form auf Landesebene<br />

nachweisen lassen. Die Sprache als verbindendes Element bleibt <strong>zwischen</strong><br />

den beiden untersuchten Gruppen bestehen. Das wachsende Selbstbewußtsein<br />

Gehörloser als sprachliche Minderheit löste vermehrt Forderungen nach ihrem<br />

Recht auf Kommunikation aus, welches von den Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

bedient wird. Pollitt bestätigt diese Aussage, indem sie feststellt:<br />

Deaf people are moving away from a tradition of dependency on ‘generous’ hearing<br />

people and social workers to independance and recognition as a linguistic minority.<br />

The rise of interpreting as a profession is evidence of this. 328<br />

Die Auseinandersetzung <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

führte und führt zu gegenseitigen Einflüssen, die unter anderem durch wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse begründet sind. Durch Wissen über die eigene Sprache<br />

entstehen Ansprüche u. a. in bezug auf Dolmetschqualität, und damit verbunden<br />

entstehen Ansprüche an die Lehre im Bereich der Translations- und Sprachwissenschaft.<br />

Viele Gehörlose, die regelmäßig Dolmetschdienste in Anspruch<br />

nehmen, reflektieren, was sie als Gehörlose wollen bzw. von einer Dolmetscherin<br />

erwarten und was eine Dolmetscherin leisten kann. Sie setzen sich mit ihren Dolmetscherinnen<br />

auseinander auf sowohl persönlicher als auch übergeordneter Ebene<br />

wie beispielsweise in der Lehre. Ebendiese Auseinandersetzung führt zu Einflußnahmen.<br />

In Zukunft wird das weiter wachsende Selbstbewußtsein Gehörloser in Deutschland<br />

m. E. durch das verbriefte Recht auf gesellschaftliche Teilhabe eine verstärkte<br />

Forderung nach professionellen Dolmetschdiensten <strong>zur</strong> Folge haben. Denn<br />

nur mittels solcher Dolmetscherinnen kann ein ungehinderter Informationszugang<br />

im Sinne der gesetzlich angestrebten Barrierefreiheit erfolgen. <strong>Eine</strong> Folge davon<br />

ist, daß diese Dolmetschdienste die qualitativen Ansprüche der (gehörlosen wie<br />

hörenden) Klientinnen erfüllen müssen, was unweigerlich ein noch umfassenderes<br />

Angebot an Aus- und Weiterbildungsangeboten in diesem Bereich erforderlich<br />

machen wird, um sowohl qualitativ als auch quantitativ der Nachfrage genügen zu<br />

können.<br />

328 Pollitt, 1991: 24 (Hervorh. im Orig.)<br />

168


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Abschließend bleibt zu erwähnen, daß neben den bereits gesetzlich verankerten<br />

verbrieften Rechten, die Gehörlosen, wie erwähnt, seit jüngster Vergangenheit zustehen,<br />

noch ein weiteres Standbein fehlt: ein zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz.<br />

Im Rahmen des an der Universität Bremen stattgefundenen Kongresses<br />

„Gleich richtig stellen” im Sommer 2003, dem europäischen Jahr der Menschen<br />

mit Behinderungen, haben die Teilnehmerinnen eine Forderung verfaßt, in<br />

dem sie ihre Befürchtung äußern, daß das von Politikerinnenseite gemachte Versprechen,<br />

dem Behindertengleichstellungsgesetz auf Bundesebene ein Antidiskriminierungsgesetz<br />

folgen zu lassen, nicht eingelöst werden würde. 329 Wie sich<br />

zeigt, ist das Jahr 2003 tatsächlich verstrichen, ohne daß ein derartiges Gesetz auf<br />

den Weg gebracht wurde. Es bleibt demzufolge noch viel zu tun, denn es ist<br />

unbestritten, daß „nicht zu hören nur der Ausgangspunkt einer Behinderung ist.<br />

Behindernd ist vor allem der Ausschluss von Kommunikation” 330 welche durch<br />

Dolmetschservice sichergestellt werden kann.<br />

Beide Gruppen leben in gewisser Hinsicht in Abhängigkeit voneinander: Gehörlose<br />

sind in manchen Lebenssituationen auf den Dolmetschservice angewiesen und<br />

die Dolmetscherinnen ihrerseits existieren als Berufsgruppe nur, weil es Gehörlose<br />

gibt. Im Idealfall sollte dieses Abhängigkeitsverhältnis jedoch positiv genutzt<br />

werden, indem sich beide Gruppen für die Belange der jeweils anderen Gruppe interessieren<br />

und einsetzen, um sich innerhalb der Gesellschaft gegenseitig zu unterstützen.<br />

Dies könnte im Sinne einer Symbiose mit großer Sicherheit gute Zukunftsperspektiven<br />

für beide Gruppen bedeuten und es bleibt zu hoffen, daß die<br />

Einflußnahmemöglichkeiten in Zukunft stärker genutzt werden.<br />

329 vgl. http://www.netzwerk-artikel-3.de/tagung/bremerkl.php, Stand: 09.08.2003<br />

330 Stiftung Deutsches Hygiene-Museum und Deutsche Behindertenhilfe – Aktion Mensch e. V.,<br />

2001: 180<br />

169


Kapitel 7 - Fazit<br />

170


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

8. Literatur und Quellenverzeichnis<br />

Ahrbeck, Bernd: „Gehörlosigkeit und Identität: Probleme der Identitätsbildung<br />

Gehörloser aus der Sicht soziologischer und psychoanalytischer Theorien”,<br />

(Internationale Arbeiten <strong>zur</strong> Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser;<br />

Bd. 22), 2., überarb. Auflage, Hamburg, Signum-Verlag, 1997<br />

Allgemeines Taubstummen-Kalender-Handbuch 1924/25, S. 67<br />

Baker, Charlotte / Padden, Carol: „American Sign Language. A look at its history,<br />

structure, and communitiy”, Silver Spring, T. J. Publishers, 1978<br />

Bauschen, R.: „Meine Einstellung <strong>zur</strong> lautsprachbegleitenden Gebärde, demonstriert<br />

am Unterrichtsthema AIDS”, in: Rammel, Georg: Lautsprachbegleitende<br />

Gebärden in der pädagogischen Praxis, Hamburg, Verlag hörgeschädigte<br />

kinder, 1989, S. 42–46<br />

Bellebaum, Alfred: „Soziologische Grundbegriffe. <strong>Eine</strong> Einführung für Soziale<br />

Berufe”, 13. aktualisierte Aufl., Kohlhammer-Verlag, Stuttgart u. a. 2001<br />

Berufsbegleitender Fachdienst für Hörgeschädigte: „Beratungs- und Unterstützungsangebote”,<br />

Bremen, Broschüre, 2003<br />

Bevers, A. M.: „Identität”, in: Reinhold, Gerd (Hrsg.): Soziologie-Lexikon, 2.,<br />

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Berufe”, Zwickau, Broschüre, 2002<br />

Bischoff, Alexander / Loutan, Louis: „Mit anderen Worten. Dolmetschen in Behandlung,<br />

Beratung und Pflege”, Genf, Broschüre, 2000<br />

Borchardt, Lothar: „Auflistung der Vorsitzenden und Schriftführer des Gehörlosenvereins<br />

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Cloerkes, Günther: „Soziologie der Behinderten: <strong>Eine</strong> Einführung”, 2., neu bearb.<br />

und erweiterte Aufl., Heidelberg, Winter, 2001<br />

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(Internationale Arbeiten <strong>zur</strong> Gebärdensprache und Kommunikation<br />

Gehörloser; Bd. 28), Dt. Erstausgabe, Hamburg, Signum-Verlag, 1995<br />

Das Zeichen – Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser [Untertitel bis <strong>zur</strong><br />

Ausgabe Nr. 43 (März 1998): Zeitschrift {Vierteljahresschrift} zum Thema<br />

Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser], hrsg. vom Institut für<br />

Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser (IDGS),<br />

Hamburg, und der Gesellschaft für Gebärdensprache und Kommunikation<br />

Gehörloser (GGKG) e.V., [erscheint viermonatlich], Hamburg, Signum-<br />

Verlag<br />

171


Literatur- und Quellenverzeichnis<br />

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(Internationale Arbeiten <strong>zur</strong> Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser;<br />

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172


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

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173


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Kaiser, Dr. (Ministerialdirigent des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht,<br />

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Das Zeichen, Jahrgang 12, Heft 45, 1998, S. 424–442<br />

174


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

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175


Literatur- und Quellenverzeichnis<br />

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176


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

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Stewart, David Allan / Schein, Jerome D. / Cartwright, Brenda E.: „Sign Language<br />

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Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter<br />

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Jahrgang 2001, Teil I, Nr. 27; S. 1046-1140<br />

Theodor-Schäfer-Berufsbildungswerk: „Informationsbroschüre <strong>zur</strong> Einrichtung”,<br />

Husum, Broschüre, 1995<br />

Universität Hamburg, Fachbereich Sprachwissenschaften: „Studienordnung für<br />

den Diplomstudiengang Gebärdensprachdolmetschen”, Fassung vom:<br />

25.03.1998<br />

Voit, Helga: „Zur Identitäts- und Integrationsgestaltung hörgeschädigter Erwachsener”,<br />

in: Schulte, Klaus (Hrsg.): Standortbestimmungen für Forschung,<br />

Lehre und Praxis in der Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik, Villingen-Schwenningen,<br />

Neckar, 1995, S. 63–68<br />

Voit, Helga / Hintermair, Manfred: „Bedeutung, Identität und Gehörlosigkeit:<br />

Argumente für eine veränderte Entwicklungs- und Förderperspektive in<br />

der Erziehung gehörloser Kinder”, Hörgeschädigtenpädagogik: Beiheft 26,<br />

Heidelberg, Groos-Verlag, 1990<br />

177


Literatur- und Quellenverzeichnis<br />

Weber, Heinrich: „Psychosoziale Faktoren für gehörlose Arbeitnehmer in einer<br />

hörenden Welt”, in: Bungard, Walter / Kupke, Sylvia (Hrsg.): Gehörlose<br />

Menschen in der Arbeitswelt (Arbeits- und Organisationspsychologie in<br />

Forschung und Praxis; Bd. 4), Weinheim, Beltz-Verlag, 1995, S. 74–80<br />

Wempe, Karin / Walther, Ulrike: „Gebärdensprache auch ins Fernsehen – Ein Aktionstag<br />

in Hamburg”, in: Das Zeichen, Jahrgang 9, Heft 33, 1995, S. 287–<br />

293<br />

Werner, H.: „Geschichte des Taubstummenproblems bis ins 17. Jahrhundert”, Jena,<br />

Verlag von Gustav Fischer, 1932<br />

Weser-Kurier: „Gehörlosenvereinigung 65 Jahre alt”, erschienen 12. Januar 1970,<br />

S. 12<br />

Wilss, Wolfram: „Die Bedeutung des Übersetzens und Dolmetschens in der Gegenwart”,<br />

in: Kapp, Volker (Hrsg.): Übersetzer und Dolmetscher,<br />

Tübingen, Francke-Verlag, 1991, S. 13–25<br />

Wiswede, Günter: „Soziologie: Ein Lehrbuch für den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen<br />

Bereich”, 2. Aufl., Landsberg/Lech, Verlag Moderne Industrie,<br />

1991<br />

Weitere Quellen:<br />

„Bremer Erklärung der TeilnehmerInnen des Kongresses ‚Gleich richtig stellen’<br />

vom 26.–27. Juli 2003 in Bremen”, einzusehen unter:<br />

http://www.netzwerk-artikel-3.de/tagung/bremerkl-php, Stand: 09.08.2003<br />

Gespräch mit der Dozentin Frau Knühmann-Stengel: „Die Entwicklung der<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen-Ausbildung in Nordrhein-Westfalen”,<br />

Telefonat, 17.03.2004<br />

Gespräch mit gehörlosem Bremer: „Austausch über Aspekte der Bremer Gehörlosenszene”,<br />

09.05.2003<br />

http://www.lingsnrw.de; gesehen am 17.03.2004<br />

Landesverband der Gehörlosen Sachsen e. V.: http://home.t–online.de/home/lv_<br />

gehoerlose-sachsen/sites_03/sites/ldz/ldzgsd.html, gesehen: 01.02.2004<br />

Prillwitz, Siegmund (a): „Ein Zentrum für die Deutsche Gebärdensprache”, Video,<br />

1987<br />

World Health Organization (WHO): „ICIDH – 2. Internationale Klassifikation der<br />

Funktionsfähigkeit und Behinderung. Beta-2 Entwurf”, Vollversion April<br />

2000 (Internet), Genf, 2000, verfügbar unter: http://www.ifrr.vdr.de<br />

178


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

9. Abkürzungsverzeichnis<br />

ASL ................. American Sign Language<br />

Aufl. ................ Auflage<br />

BAG ................ Bundesarbeitsgemeinschaft der GebärdensprachdolmetscherInnen<br />

bearb................ bearbeitete<br />

BEO................. Berufs- und Ehrenordnung<br />

BfA.................. Bundesversicherungsanstalt für Angestellte<br />

BGG ................ Behindertengleichstellungsgesetz<br />

BGSD.............. Bundesverband der Gebärdensprachdolmetscher/innen<br />

Deutschlands e. V.<br />

BRD ................ Bundesrepublik Deutschland<br />

BSL ................. British Sign Language<br />

BreGSD........... Berufsverband der Bremer GebärdensprachdolmetscherInnen<br />

bzw.................. beziehungsweise<br />

CODA ............. Child of Deaf Adults<br />

DEZ................. Dolmetschereinsatzzentrale<br />

DG................... Deutsche Gesellschaft <strong>zur</strong> Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen<br />

e. V.<br />

DGB ................ Deutscher Gehörlosen-Bund<br />

DGS................. Deutsche Gebärdensprache<br />

d. h................... das heißt<br />

DOLM............. Dolmetscherinnen (der Probandinnengruppe)<br />

DPWV............. Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband<br />

Dt..................... Deutsche<br />

etc.................... et cetera<br />

e. V.................. eingetragener Verein<br />

EUD ................ European Union of the Deaf<br />

FDH................. Beruflicher Fachdienst für Hörgeschädigte<br />

FH ................... Fachhochschule<br />

Fr..................... Frage<br />

GDPO.............. Prüfungsordnung für Gehörlosendolmetscher bei Gericht und Behörden<br />

gegr.................. gegründet<br />

ggf. .................. gegebenenfalls<br />

GIB.................. Gehörlosen Institut Bayern<br />

GL ................... Gehörlose/r<br />

Hervorh. .......... Hervorhebung(en)<br />

hrsg.................. herausgegeben<br />

Hrsg................. Herausgeber<br />

IDGS ............... Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser<br />

i. d. R............... in der Regel<br />

JHV ................. Jahreshauptversammlung<br />

Kigel................ Kind gehörloser Eltern<br />

KOFO.............. Kommunikationsforum<br />

LAG ................ Landesarbeitsgemeinschaft der GebärdensprachdolmetscherInnen<br />

LAN ................ Local Area Network<br />

LBG................. Lautsprachbegleitende/s Gebärden<br />

LINGS............. Landesinstitut für Gebärdensprache Nordrhein-Westfalen<br />

LVA ................ Landesversicherungsanstalt<br />

LV Bremen...... Landesverband der Gehörlosen in Bremen e. V.<br />

LV NRW......... Landesverband der Gehörlosen in Nordrhein-Westfalen e. V.<br />

m. E. ................ meines Erachtens<br />

MoVesDo........ Modellversuch Gebärdensprachdolmetscher-Ausbildung NRW<br />

MuKi-Treff ..... Mutter-und-Kind-Treff<br />

179


Abkürzungsverzeichnis<br />

NDR ................ Norddeutscher Rundfunk<br />

NRW ............... Nordrhein-Westfalen<br />

NVK................ Nonverbale Kommunikation<br />

o. A.................. ohne Angabe<br />

o. ä................... oder ähnliches<br />

o. J................... ohne Jahr<br />

o. P. ................. ohne Paginierung<br />

Orig. ................ Original<br />

P ...................... Paraphrase<br />

resp.................. respektive<br />

SBG IX............ Neuntes Buch Sozialgesetzbuch<br />

ULR................. Unabhängige Landesanstalt für das Rundfunkwesen<br />

unveränd.......... unveränderte<br />

unveröff........... unveröffentlicht(e)<br />

USA................. United States of America<br />

vgl.................... vergleiche<br />

VHS................. Volkshochschule<br />

WFD................ World Federation of the Deaf<br />

u. a................... unter anderem<br />

u. d. m.............. und dergleichen mehr<br />

überarb. ........... überarbeitete<br />

u. U.................. unter Umständen<br />

u. v. a. m.......... und vieles andere mehr<br />

ZAG ................ Ziviles Antidiskriminierungsgesetz<br />

z. B. ................. zum Beispiel<br />

ZDGS .............. Zentrum für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser<br />

(heute: IDGS)<br />

zit..................... zitiert<br />

z. T. ................. zum Teil<br />

180


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Ich versichere an Eides statt durch meine eigene Unterschrift,<br />

daß ich die vorstehende Arbeit selbständig und<br />

ohne fremde Hilfe angefertigt und alle Stellen, die<br />

wörtlich oder annähernd wörtlich aus Veröffentlichungen<br />

entnommen sind, als solche kenntlich gemacht und mich<br />

auch keiner anderen als der angegebenen Literatur<br />

bedient habe.<br />

Diese Versicherung bezieht sich auch auf die in der Arbeit<br />

gelieferten Zeichnungen, Skizzen, bildlichen Darstellungen<br />

und desgleichen.<br />

Mit der späteren Einsichtnahme in meine Diplomarbeit<br />

erkläre ich mich einverstanden, mit Ausnahme des<br />

Anhangs (Teile b und c).<br />

Bremen, im März 2004


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

10. Anhang<br />

12. Fragekategorien der Interviewleitfäden<br />

13. Interviews (transkribiert)<br />

• Probandin I<br />

• Probandin II<br />

• Probandin III<br />

• Probandin IV<br />

• Probandin V<br />

• Probandin VI<br />

• Probandin VII<br />

• Probandin VIII<br />

• Probandin IX<br />

• Probandin X<br />

14. Interviewauswertung


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Anhang a: Interviewleitfaden (Fragekategorien)<br />

Die Fragen in einfacher Schrift stellen die informativen (qualitativ) und die unterstrichenen<br />

Fragen stellen die Auswertungsfragen (quantitativ) dar. Unterteilt sind<br />

die Fragekategorien in folgende Themen:<br />

(a/1) Gehörlosigkeit (Erfahrungen, typischer Werdegang, Sprache und<br />

Technik) - Gehörlose<br />

(a/2) Gehörlosigkeit (Sprache) - Dolmetscherinnen<br />

(b/1) Dolmetschen (Erfahrungen, typischer Werdegang, und Entwicklung) -<br />

Dolmetscherinnen<br />

(b/2) Dolmetschen (Erfahrungen, und Entwicklung) - Gehörlose<br />

(c) Einschätzungen über die Entwicklung des Selbstbewußtseins beider Gruppen<br />

(d) Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden<br />

(e) Gehörlosenverein<br />

(f) Landesverband<br />

(g) Freizeitheim<br />

(h) Gebärdenkurse (LBG und DGS)<br />

(i/1) Kommunikationsforum (KOFO)- Gehörlose<br />

(i/2) Kommunikationsforum (KOFO) - Dolmetscherinnen<br />

(j) andere Gruppen in und um Bremen: Hexenhände und Gibarida<br />

(k) Beruflicher Fachdienst für Hörgeschädigte (FDH)<br />

(l) Abschließende Fragen (Wünsche für die Zukunft)<br />

(a/1) Gehörlosigkeit (Erfahrungen, typischer Werdegang, Sprache und<br />

Technik) - Gehörlose<br />

1. Als du noch klein warst und noch nicht in die Schule gegangen bist, hast du<br />

schon bewußt <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden unterschieden? Wann fing<br />

das an? Probandinnen II / III / IV / V<br />

2. Bist du in einer gehörlosen Familie aufgewachsen? Wenn ja, bist du mit DGS<br />

aufgewachsen/ist DGS deine Muttersprache? Wenn nein, wie hast du Gebärden<br />

gelernt und wann? Probandin III<br />

2a. Du bist in einer gehörlosen Familie aufgewachsen. DGS ist deine Muttersprache.<br />

Wie hast du die deutsche Lautsprache gelernt? (von den Eltern, vom<br />

Bruder oder von der Schwester, im Kindergarten, in der Schule, ...)<br />

Probandinnen II / IV / V<br />

3. Wie war es, als du <strong>zur</strong> Schule oder in den Kindergarten kamst? Wurde dort<br />

mit dir gebärdet? Konnten die anderen Kinder gebärden? (Probandinnen<br />

II / III / IV / V)<br />

4. Im Informationsblatt ist nachzulesen, daß der Senat im Jahre 1982 angefangen<br />

hat, Schreibtelefone zu sponsorn. Wie kam der Antrag der Gehörlosen an die<br />

I


Anhang a: Interviewleitfaden (Fragekategorien)<br />

Sozialdeputation damals zustande? Wurden die Telefone dann laut Interessentinnen-Liste<br />

ausgehändigt oder welche Kriterien waren bei der Vergabe der<br />

Schreibtelefone entscheidend? Probandin I<br />

4a. Wie lief denn in den 1970er Jahren (und früher) die Informationsverbreitung?<br />

Denn das Informations-Blatt erscheint erst seit 1979, das Schreibtelefon kam<br />

erst ab 1978 in den Handel und das Telefax gab es ja für den Hausgebrauch<br />

noch nicht. Probandin I<br />

4b. Wie wußtet ihr Bescheid über Treffs und Veranstaltungen (z. B. im Freizeitheim)?<br />

Hattet ihr zu Hause ein Schreibtelefon oder Fax? Wenn nein, wie lief<br />

die Informationsverbreitung? (per Post, persönliche Besuche, Verabredungen<br />

vom einen zum anderen Mal ...) Probandinnen II / III / IV / V<br />

5. Wie wurdest du Mitglied im Landesverband der Gehörlosen Bremen e. V.?<br />

Automatisch durch deine Eltern oder hast du dich irgendwann bewußt <strong>zur</strong><br />

Mitgliedschaft entschieden? Warum / nicht? Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

6. Hast du in den 1980er Jahren den Gebärdenkurs „Robinson auf der Erde” im<br />

Fernsehen gesehen? (Beginn: Oktober 1981) Wenn ja, wie fandest du das?<br />

Probandinnen II / III / IV / V<br />

7. Wo haben sich Gehörlose vor der Gründung des Freizeitheims getroffen? Gab<br />

es feste Treffpunkte für die Vereinsmitglieder oder lief alles eher privat ab?<br />

Probandinnenandin I / III<br />

7a. Und als es dann das Freizeitheim gab, haben sich die Gehörlosen dann nur<br />

noch dort getroffen oder auch weiter noch an den alten Treffpunkten?<br />

Probandin III<br />

7b. Früher haben sich viele Gehörlose in Kneipen oder Restaurants getroffen. Das<br />

Freizeitheim gab es früher noch nicht. Dann kam das Freizeitheim und die Gehörlosen-Vereine<br />

haben sich dort getroffen. Wie sieht das heute aus? Wo sind<br />

Treffpunkte der Gehörlosen heute? Treffen sich die Gehörlosen Bremens<br />

heute immer noch im Freizeitheim oder auch woanders? Was meinst du ist der<br />

Grund dafür? Probandinnen II / IV / V<br />

8. Welchen Beruf hast du gelernt? Und was waren die typischen Berufe, die die<br />

Gehörlosen Bremens in den 1960er / 1970er Jahren erlernten und in denen sie<br />

arbeiteten? Gibt es heute gegenüber damals eine Veränderung in der Berufswahl?<br />

Wenn ja, welche Berufe werden heute gelernt? Welche Gründe könnte<br />

das deiner Meinung nach haben? (oder mehrere Gründe) Probandinnen I / III<br />

II


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

8a. Welche Berufe, haben deine Klassenkameraden erlernt? Haben sie nach der<br />

Ausbildung in ihrem Beruf gearbeitet oder haben sie etwas anderes gemacht?<br />

Wenn nein, welche Gründe könnte das deiner Meinung nach haben?<br />

Probandinnen II / IV / V<br />

9. Welche Begriffe benutzten die Gehörlosen in Bremen in den 1960er/1970er<br />

Jahren, wenn sie von sich selbst und ihren Gebärden sprachen? Habt ihr von<br />

der „Sprache der Hände” gesprochen oder habt ihr gebärdet: „Wir plaudern”?<br />

Gab es noch andere Ausdrücke, die benutzt wurden? (z. B. taubstumm,<br />

hörgeschädigt, hörbehindert, gehörlos, schwerhörig, Schicksalsgemeinschaft,<br />

Genossen, Gehörlosengemeinschaft, Gebärdensprachgemeinschaft, plaudern,<br />

gebärden etc.) Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

10. Welche Gebärden (oder Worte) benutzen die Gehörlosen in Bremen heute,<br />

wenn sie von sich selbst und ihren Gebärden sprechen? Hat sich gegenüber<br />

damals etwas verändert? Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

(a/2) Gehörlosigkeit (Sprache) - Dolmetscherinnen<br />

11. Wie sieht das mit den Begrifflichkeiten aus, die in der Gehörlosenwelt, als du<br />

Gebärden gelernt hast, verwendet wurden? Sprach man von sich als ‚gehörlos’,<br />

oder war ‚taubstumm’ noch gang und gäbe? (z. B. taubstumm, gehörlos,<br />

Schicksalsgemeinschaft, gebärden, plaudern, Gebärdensprache, ...)<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

(b/1) Dolmetschen (Erfahrungen und Entwicklung) - Dolmetscherinnen<br />

12. Wann und wo gab es für dich erste Kontaktpunkte zu Gehörlosen und Gebärden?<br />

Und wie hast du gebärden gelernt? (wo, wann, wie lang)?<br />

Probandinnen VI / VII / X<br />

12a. Du bist ja in eine gehörlose Familie hineingeboren. Somit hattest du von<br />

klein auf Kontakt mit Gehörlosen und Gebärden. Wurdest du bilingual erzogen<br />

oder hast du dir Gebärden erst nach und nach angeeignet?<br />

Probandinnen VIII / IX<br />

13. Gab es in deiner Kindheit [bzw. als du Gebärden gelernt hast] schon eine bewußte<br />

Unterscheidung <strong>zwischen</strong> LBG und DGS?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

III


Anhang a: Interviewleitfaden (Fragekategorien)<br />

14. Wann hast du angefangen zu dolmetschen, was war deine Motivation dafür?<br />

Und wie sah das aus? (Lippenabsehen, Mitschreiben, Erklären, konsekutiv<br />

oder simultan, Telefongespräch für einen gehörlosen Nachbarn, ...)<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

14a. Was war deine Motivation dann auch außerhalb der Familie zu dolmetschen?<br />

Probandinnen VIII / IX<br />

14b. Wann hast du in Bremen angefangen zu dolmetschen Hast du vorher schon<br />

woanders gedolmetscht? Probandinnen VI / VII / X<br />

15. Wie kam der Kontakt zum Bremer Landesverband zustande und wann?<br />

Probandinnen VI / VII / X<br />

16. Wie kam der erste ‚Auftrag’ zustande und wodurch? Aufgrund wessen Initiative?<br />

(Hintergrund: Anstoß von wem?) Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

17. Qualifikation zum Dolmetschen: Wurde von Käthi geprüft, bzw. musstest du<br />

dich ihr vorstellen, um in Bremen dolmetschen zu können?<br />

Probandinnen VI / VII / X<br />

17a. Käthi hat in Bremen ja immer die ‚neuen’ Dolmetscherinnen in Augenschein<br />

genommen, bevor sie in Bremen anfangen konnten zu dolmetschen. Weißt du<br />

wann sie damit angefangen hat und waren dir zu der Zeit andere<br />

‚Qualitätskontrollen’ (vielleicht in anderen Bundesländern) bekannt?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

18. Sind dir heute Qualitätskontrollen bekannt? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

19. Was ist dein persönlicher Hintergrund? Du bist selbst ausgebildete [...], was<br />

hat dich dazu bewogen, diesen Beruf zu ergreifen? Hast du davor noch eine<br />

andere Ausbildung durchlaufen (unabhängig vom Dolmetschen)?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

20. Was für Ausbildungsmöglichkeiten gab es für Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

zu Zeiten deines ersten Auftrags? (in Bremen und Deutschland)?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

20a. Du hast mit PERSON gemeinsam die erste Ausbildung in Hamburg gemacht.<br />

Woher wußtest du davon und wie sah diese aus? (Länge, Frequenz, Inhalte,<br />

Teilnehmerinnen, ...)) Probandinnen VII / X<br />

21. Was denkst du, was für eine Ausbildung wäre optimal, um Dolmetscherin zu<br />

werden (was muß man auf dem Weg dahin durchlaufen? Was hättest du für<br />

dich gewünscht (was fehlt(e) dir)? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

22. Ab wann wurde das Dolmetschen deine hauptberufliche Tätigkeit?<br />

IV


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Probandinnen VI / VII / X<br />

23. Hat dich etwas von Gehörlosenseite (Aktivitäten, Begegnungen, Gespräche<br />

etc.) angestoßen, das dich in deiner Rolle als Dolmetscherin beeinflußt hat?<br />

(ohne direkte Einflußnahme wie z. B. durch Feedback)<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

24. Wer oder was hatte den größten Einfluß auf deine Sicht deiner Rolle als<br />

Dolmetscherin? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

25. Wie erfolgte die Organisation von Dolmetscheinsätzen, bevor es die Dolmetschervermittlung<br />

des FDH (=heutige Vermittlungszentrale für Gebärdensprachdolmetscherinnen<br />

des LV Bremen) gab? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

26. Ab wann gab es eine Dolmetschereinsatzzentrale in Bremen?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

27. Hat sich durch die Dolmetschereinsatzzentrale etwas verändert? Wenn ja,<br />

was? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

28. Welches waren die Einsatzbereiche zu deinen Anfangszeiten, zu denen Dolmetscherinnen<br />

bestellt wurden, welche sind es heute?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

28a. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt vermehrt Fortbildungen, bei denen<br />

Gehörlose integrativ teilnehmen (d. h. es ermöglicht ihnen u. a. eine größere<br />

Bandbreite der Berufsauswahl). Woran liegt das deiner Meinung nach?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

29. War es möglich Aufträge abzulehnen? Wie sieht das heute aus?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

29a. War es den Gehörlosen möglich, Dolmetscherinnenwünsche auszusprechen?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

30. Ab wann hast du dich entschieden, dich als Dolmetscherin zu bezeichnen?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

30a. Was gab den Anstoß, war Auslöser dafür? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

30b. Wieviel Kolleginnen hattest du zu der Zeit in Bremen?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

30c. Waren die in Bremen tätigen Dolmetscherinnen derselben Meinung? Wurdest<br />

du von ihnen als Dolmetscherin gesehen und wie sahen sie sich selbst<br />

deiner Meinung nach? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

V


Anhang a: Interviewleitfaden (Fragekategorien)<br />

30d. Welcher Begriff war zu der Zeit üblich? (Begleitung von bzw. Helfer für<br />

Taubstumme / Gehörlose, Gehörlosendolmetscherin, Gebärdendolmetscherin,<br />

Gebärdensprachdolmetscherin, ...) Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

31. Ab wann gab es in Bremen Aufträge in Doppelbesetzung? Wie kam diese<br />

Entwicklung zustande? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

31a. Das Teamdolmetschen in der Doppelbesetzung war dann ja (wohlmöglich)<br />

eine völlig neue Art des Dolmetschens. Wie war das am Anfang? Habt ihr<br />

euch über diese neue Arbeitsweise ausgetauscht oder Feedback gegeben<br />

(Fortbildungen besucht?)? Fand ein Austausch mit Dolmetscherinnen aus<br />

anderen LAGs in Deutschland statt? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

32. Wie sehen heutige Aufträge aus? (LBG, DGS, konsekutiv/simultan, Teamdolmetschen,<br />

...) Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

33. Was hat sich bei den Aufträgen von heute verändert gegenüber früheren Aufträgen?<br />

Und wodurch? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

34. Kannst du anhand einer Zeitschiene die quantitative Enwicklung der Auftragsannahme<br />

aufzeigen? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

35. Aufgrund wessen Initiative kam es <strong>zur</strong> Gründung der LAG Bremen und<br />

wann? Ihr Dolmetscherinnen hier in Bremen hattet euch ja schon vor der<br />

Gründung der LAG regelmäßig getroffen – war die Gründung der LAG dann<br />

ein bewußter Schritt oder eher ein fließender Übergang?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

35a. Gab es einen Kontakt zu anderen LAGs? Und wenn ja, gab es den schon vor<br />

der Gründung? Wie kam der Kontakt zustande?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

35b. Gab es <strong>zur</strong> Gründungszeit besondere Aktivitäten bzw. Ereignisse von Seiten<br />

des Landesverbandes oder des DGB, die mit <strong>zur</strong> Gründung beigetragen haben?<br />

Welche? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

35c. Hat <strong>zur</strong> Gründungszeit schon die BAG der Dolmetscherinnen existiert oder<br />

erfolgten die Gründungen mehr oder weniger gleichzeitig? Gab es besondere<br />

Aktivitäten bzw. Ereignisse von deren Seite? Wer waren die Kontaktpersonen<br />

und wie kam es dazu? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

36. Wann habt ihr das erste Mal von der Berufs- und Ehrenordnung bzw. von<br />

einem Dolmetscherinnen-Codex gehört? Wer brachte das ein?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

VI


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

36a. Wie seid ihr damit umgegangen, ab wann war es Bestandteil des Berufsalltags?<br />

Welche Fassung habt ihr benutzt und woher hattet ihr die?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

36b. Hat sich dadurch etwas an der beruflichen Situation für Dolmetscherinnen<br />

verändert? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

37. Sind dir wichtige politische Einflüsse (Entwicklungsstationen) bekannt, die<br />

entscheidend auf die finanzielle Entwicklung eingewirkt haben?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

38a. Wie sieht es mit der finanziellen Entwicklung der Kostensätze aus?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

38. Welche gemeinsamen Veranstaltungen der LAG und des LV (gemeinsam geplant,<br />

von einer der Seiten eingefordert) fallen dir ein?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

Buten & Binnen:<br />

39. Wie kam es dann zu den Einsätzen bei Radio Bremen vor fünf Jahren? Wer<br />

hat das angestoßen und wie? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

40. Wie erfolgte die Auswahl der Dolmetscherinnen? (Gab es auch Kolleginnen,<br />

die es egal aus welchen Gründen ablehnten? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

41. Wie war damals die Reaktion des ‚Buten & Binnen’-Teams, bzw. wie erfolgte<br />

die Annäherung an die Nachrichtensprecherinnen? (Gab es beispielsweise<br />

einführende Gespräche oder einen Austausch? Waren die Reaktionen neugierig,<br />

egal, scheu?) Probandinnen VIII / IX / X<br />

42. Ich habe ja selbst schon hospitiert, d. h. ich habe ein Bild von dem Ablauf<br />

während der Sendung und vor allem von davor. War das schon von Anfang an<br />

so oder gab es eine Entwicklung, z. B. daß nach dem Nachrichtentext <strong>zur</strong><br />

Vorbereitung gefragt wurde? Probandinnen VIII / IX / X<br />

43. Ich kenne die Vokabelkassetten und -listen, die ihr damals erstellt habt. Wer<br />

gab den Anstoß, was war Auslöser für diese Schulung mit Vokabelsammlung?<br />

Probandinnen VIII / IX / X<br />

44. Bevor die Kurznachrichten mit Gebärdensprachdolmetscherinnen eingerichtet<br />

wurden sagte die Rundfunkratsvorsitzende Roswitha Erlenwein: „In einem<br />

ersten Schritt könnte ein Gebärdendolmetscher oder eine -dolmetscherin<br />

beispielsweise bei den Lokalnachrichten im Fernsehen eingesetzt werden.”<br />

Hat es deines Wissens von eurer Seite, von der Seite des Landesverbandes<br />

VII


Anhang a: Interviewleitfaden (Fragekategorien)<br />

oder von Radio Bremen aus Aktionen gegeben, die darauf weitere Schritte<br />

(Ausweitung des gebärdensprachlichen Angebots) verfolgten? Wenn ja, was<br />

für Aktionen sind das gewesen? (z. B. Gespräche, Diskussionsrunden, Vorschlagsammlungen,<br />

Umfrage unter den Gehörlosen nach Wünschen, ...)<br />

Probandinnen VIII / IX / X<br />

45. In welcher Art und Weise erfolgt der Austausch bzw. ein Feedback unter euch<br />

Dolmetschkollegen? Probandinnen VIII / IX / X<br />

46. Bekommt ihr Feedback von euren gehörlosen Zuschauerinnen? Wenn ja, in<br />

welcher Form und wie wird damit umgegangen? Probandinnen VIII / IX / X<br />

47. Erhältst du von deinen gehörlosen Klientinnen Feedback? Wenn ja, wann<br />

(direkt während/nach dem Einsatz, hinterher, ...) und in welcher Form?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

48. Wie wird in Bremen mit Dolmetschkritik umgegangen? War es ein Thema in<br />

der LAG? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

49. Ist dir ein Unterschied in der Art und Weise des Feedback-Gebens im<br />

Vergleich zu deinen Anfangszeiten aufgefallen?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

50. In Bremen gibt es ja bis heute noch keine Schiedsstelle, die in Streitfragen<br />

über Dolmetschsituationen als Schlichterin in Erscheinung treten könnte, wie<br />

wird in Bremen sichergestellt, daß bzw. ob die Dolmetscherinnen sich an die<br />

Prinzipien ihrer Berufs- und Ehrenordnung (BEO) halten? Habt ihr das bei der<br />

Einführung der BEO auch schon bedacht/diskutiert?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

(j/2) Dolmetschen (Erfahrungen und Entwicklung) - Gehörlose<br />

51. In welchen typischen Situationen wurde in den 1960er/1970er Jahren gedolmetscht?<br />

Erweiterte sich das Einsatzspektrum nach der Gründung des Freizeitheims?<br />

Probandin I<br />

52. Der Anfang für eine Finanzierung von Dolmetschaufträgen begann durch den<br />

Senat der Stadt Bremen erst im Jahr 1984 mit DM 1.000,-. Wieviele dolmetschende<br />

Personen gab es in den 1960/1970er Jahren in Bremen? (CODAs,<br />

Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen...) Probandin I<br />

VIII


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

52a. In welchen typischen Situationen wurde in den 1970er Jahren gedolmetscht?<br />

Probandin I<br />

52b. Kannst du dich daran erinnern, wann du das erste Mal eine Dolmetscherin erlebt<br />

hast? Was für eine Situation war das? (Nachbarin, die beim telefonieren<br />

dolmetscht?, im Vereinsheim bei einem Vortrag?, eine Lehrerin in der Schule?,<br />

... oder eine ganz andere Situation?) Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

53. Wann hast du das erste Mal einen Dolmetscher bestellt? Für welche Situation<br />

war das? (<strong>zur</strong> Schulzeit, beim Arzt, im Berufsleben, Familienfeier, Fortbildung,<br />

Kirche, Arztbesuch, Gericht, ...) Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

54. Was ist für dich persönlich wichtig beim Dolmetschen? Was erwartest du von<br />

einer Dolmetscherin? Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

54a. War das schon immer so oder hat es in deinen Ansprüchen an Dolmetscherinnen<br />

eine Entwicklung gegeben? Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

(wie 29a.) War es möglich, Dolmetscherinnenwünsche auszusprechen?<br />

Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

55. Wenn eine Dolmetscherin fertig ist und dir einige Dinge beim Dolmetschen<br />

aufgefallen sind, gibst du der Dolmetscherin Bescheid, daß dir diese Dinge<br />

aufgefallen sind? Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

56. Wenn Gehörlose sich treffen, unterhaltet ihr euch über die Dolmetscherinnen?<br />

(Persönliche Lieblinge usw.) Wenn ja, über welche Punkte redet ihr dabei am<br />

häufigsten? Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

57. Von welchen Gehörlosen kommt eher Kritik oder Beschwerden? (von<br />

Gehörlosen mit viel Dolmetscher-Erfahrung oder von Gehörlose mit eher<br />

wenig Dolmetscher-Erfahrung) Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

58. Wird Kritik an den Landesverband herangetragen? Wenn ja, wie kommt Kritik<br />

beim Landesverband an? In welcher Form? Und über welche Aspekte wird<br />

dabei am häufigsten gesprochen? Kommt auch positive/konstruktive Kritik<br />

beim Landesverband an? Probandin I<br />

58a. Wird überhaupt von den Gehörlosen im allgemeinen heute mehr Kritik gegenüber<br />

Dolmetscherinnen an den Landesverband herangetragen als früher?<br />

Was, denkst du, sind die Gründe dafür? Probandin I<br />

59. Warst du durch den Fachausschuß für Gebärdenfragen des Deutschen Gehörlosen-Bunds<br />

auch bei der Dolmetscherinnen-Ausbildung an der Universität<br />

Hamburg dabei? Wenn ja, wie sah die Zusammenarbeit aus? Probandin I<br />

IX


Anhang a: Interviewleitfaden (Fragekategorien)<br />

60. Seit langem streiten Gehörlose für ihr Recht auf die Gebärdensprache. Wer hat<br />

diese Öffentlichkeitsarbeit organisiert? Oder wie sind die Gehörlosen an die<br />

Politiker herangetreten? Gab es auch persönliche Kontakte? Probandin I<br />

60a. Welche Rolle spielten dabei die Gebärdensprachdolmetscherinnen Bremens?<br />

Spielten sie eine Rolle? Probandin I<br />

Buten &Binnen<br />

61. Seit 1997 gibt es in Bremen die Verdolmetschung der Regionalnachrichten<br />

von montags bis freitags in der Fernsehsendung „Buten & Binnen” von Radio<br />

Bremen. Im Informationsblatt wird berichtet, daß die Rundfunkratsvorsitzende,<br />

Roswitha Erlenwein, den Wunsch der Gehörlosen unterstützt hat und an<br />

den Gesprächen im Vorfeld beteiligt war. An diesen Gesprächen waren ebenfalls<br />

der Intendant von Radio Bremen, Herr Klostermeier, die SPD-Abgeordnete<br />

Elke Steinhöfel und die Fraktionssprecherin der Grünen, Karoline<br />

Linnert, beteiligt. Waren auch Vertreter des Landesverbandes dabei und wie<br />

wurde der Wunsch der Gehörlosen vorgebracht? Wie kam es dazu? Probandin I<br />

61a. Seit 1997 gibt es in Bremen ja auch die Verdolmetschung der Regionalnachrichten<br />

von Radio Bremen („Buten & Binnen”). Siehst du diese Sendung<br />

manchmal? Probandinnen II / III / IV / V<br />

61b. Haben Gehörlose auch dafür gekämpft? (z. B. die Hexenhände? Oder andere?)<br />

Wenn ja, wie kam es dazu? Probandinnen II / III / IV / V<br />

62. Wie haben die Gehörlosen auf die Sendung reagiert? Probandin I<br />

62a. Wie haben du und deine Bekannten reagiert? Schaust du die Sendung regelmäßig?<br />

Probandinnen II / III / IV / V<br />

63. Bist du mit der Sendung und der Dolmetscherinnen-Leistung zufrieden? Hast<br />

du Verbesserungsvorschläge? Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

63a. Wird von den Gehörlosen auch Kritik geübt oder versucht, Einfluß zu nehmen<br />

auf die Art und Weise der Darstellung bzw. der Verdolmetschung?<br />

Probandin I<br />

64. Wie hat sich damals die Besetzung der Dolmetscherinnen ergeben? Gab es jemanden,<br />

der das entschied? Probandin I<br />

65. Gab es eine spezielle Vorbereitung für die Dolmetscherinnen auf diese Einsätze?<br />

(z. B.: Vokabelsammlungen) Wenn ja, welche Rolle haben Gehörlose –<br />

insbesondere der Landesverband – dabei gespielt? Probandin I<br />

X


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

(c) Einschätzungen über die Entwicklung des Selbstbewußtseins beider<br />

Gruppen<br />

66. Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Gehörlosen in Bremen<br />

als sprachliche Minderheit [in einer bestimmten Zeitspanne] auf einer Skala<br />

von 1-10 einstufen? (1 entspricht: wenig selbstbewußt, 10 entspricht: stark<br />

selbstbewußt)?<br />

Probandin I (1960er/1970er)<br />

Probandin II (zu deiner Schulzeit (=1980er))<br />

Probandin III (1970er)<br />

Probandin IV (Schulzeit (=1960/1970))<br />

Probandin V (Schulzeit (=1960/1970)<br />

Probandin VI (Anfangszeit (=1980))<br />

Probandin VII (Anfangszeit (=1980))<br />

Probandin VIII (Kindheit (=70er))<br />

Probandin IX (70er)<br />

Probandin X (Anfangszeit (=1980))<br />

67. Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Gehörlosen in Bremen<br />

als sprachliche Minderheit heute auf einer Skala von 1-10 einstufen<br />

(1 entspricht: wenig selbstbewußt, 10 entspricht: stark selbstbewußt)?<br />

Probandinnen I / II / III / IV / V / VI / VII / VIII / IX / X<br />

68. Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Dolmetscherinnen in<br />

Bremen als Berufsgruppe [in derselben bestimmten Zeitspanne] auf einer<br />

Skala von 1-10 einstufen (1 entspricht: wenig selbstbewußt, 10 entspricht:<br />

stark selbstbewußt)? Probandin I (1960/1970er Jahre)<br />

Probandin II (1980er)<br />

Probandin III (1980er)<br />

Probandin IV (Schulzeit (=1960er/1970er))<br />

Probandin V (Schulzeit (=1960er/1970er))<br />

Probandin VI (Anfangszeit (=1980er))<br />

Probandin VII (Anfangszeit (=1980er))<br />

Probandin VIII (Kindheit (=1960er)) XXX<br />

Probandin IX (1970er)<br />

Probandin X (Anfangszeit (=1980er))<br />

69. Wie würdest du den Grad des Selbstbewußtseins der Dolmetscherinnen in<br />

Bremen als Berufsgruppe heute auf einer Skala von 1-10 einstufen<br />

(1 entspricht: wenig selbstbewußt, 10 entspricht: stark selbstbewußt)?<br />

Probandinnen I / II / III / IV / V / VI / VII / VIII / IX / X<br />

XI


Anhang a: Interviewleitfaden (Fragekategorien)<br />

(d) Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden<br />

70. [Erfahrungsbericht im Informations-Blatt über Diskriminierung einer Gehörlosengruppe<br />

in einem Restaurant] Warst du auch dabei? Probandinnen I / III<br />

70a. Hast du selbst Erfahrungen gemacht, wo Hörende dich oder andere Gehörlose<br />

diskriminiert haben? Probandinnen II / IV / V<br />

71. Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden [in einer<br />

bestimmten Zeitspanne] beschreiben?<br />

Probandinnen I / II / III / IV / V / VI / VIII / IX / X<br />

72. Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Hörenden und Gehörlosen heute beschreiben?<br />

Probandinnen I / II / III / IV / V / VI / VIII / IX / X<br />

73. Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen<br />

[in einer bestimmten Zeitspanne] beschreiben?<br />

Probandinnen I / II / III / IV / V / VI / VIII / IX / X<br />

74. Wie würdest du das Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen<br />

heute beschreiben? Probandinnen I / II / III / IV / V / VI / VIII / IX / X<br />

75. Hat sich deiner Meinung nach etwas an diesem Verhältnis entschieden verändert?<br />

Wenn ja, was und wodurch bzw. ab wann?<br />

Probandinnen I / II / III / IV / V / VI / VII / VIII / IX / X<br />

76. Hat sich durch die Gebärdenkurse etwas in deiner Einstellung gegenüber Hörenden<br />

verändert? Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

77. Hat sich deine Einstellung gegenüber Gehörlosen in irgendeiner Weise durch<br />

Ausübung des Berufes allgemein verändert? Wenn ja, in welcher?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

78. Wie würdest du das Verhältnis der Dolmetscherinnen zum Landesverband<br />

einschätzen? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

79. Gibt es Unterschiede oder eine Entwicklung in diesem Verhältnis [Dolmetscherinnen-Landesverband]<br />

heute gegenüber deinen Anfangszeiten?<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

(e) Gehörlosenverein<br />

80. <strong>Eine</strong>r der ältesten Gehörlosenvereine Bremens bestand ja über neunzig Jahre<br />

(gegr. 1905). Ab 1965 wurden Ausflüge für die Vereinsmitglieder organisiert<br />

und für die Freifahrt gekämpft. Nach der Auflösung des Vereins 1999 mangels<br />

Nachwuchs gab der langjährige Vorsitzende Lothar Borchardt die Vereins-<br />

XII


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Unterlagen (Protokollbücher etc.) in die Hände des Landesverbandes. Was<br />

waren die Hauptaufgaben des Vereins und kennst du die Motivation für die<br />

Gründung Anfang des letzten Jahrhunderts? Und warst du Mitglied in diesem<br />

Verein? Probandinnen I / III<br />

(f) Landesverband<br />

81. Parallel zum Gehörlosenverein gab es dann im Laufe der Zeit den Landesverband<br />

der Gehörlosen Bremen e. V. Hattest du Kontakt zu den Gründerinnen<br />

des Landesverbandes? Bist du vielleicht selbst ein Gründungsmitglied?<br />

Probandinnen I / III<br />

81a. Wann wurde er gegründet und warum? Was war die Motivation der Gründungsmitglieder?<br />

Probandinnen I / III<br />

82. Gab es Vorbilder für den Aufbau des Landesverbands? Hat der DGB dazu beigetragen?<br />

(Initiator/Unterstützung durch Kontakte zum DGB? Automatische<br />

Mitgliedschaft?) Probandin I<br />

83. Hat sich durch die Gründung des Landesverbandes im Juni 1963 für die Gehörlosen<br />

etwas in Bremen verändert? Wenn ja, was hat sich verändert?<br />

Probandin III<br />

84. Welche Gruppen gehören noch dazu?<br />

Seniorentreffen (seit 1979 (und davor seit wann?) bis heute),<br />

Hausfrauennachmittag (1979-1987 (davor seit wann?))<br />

Bastelgruppe (1983 und 1991-1995)<br />

Treff der Mehrfachbehinderten (seit 1984 bis heute)<br />

KOFO (seit 1988 bzw. 1992 bis heute), ...) Probandin I<br />

85. Der Landesverband hat dann die Funktion eines Dachverbandes für die Bremer<br />

Vereine gebildet, in deren Namen sich Gehörlose trafen und heute noch<br />

treffen. Er gehört mit seinen angeschlossenen Vereinen zu den Mitgliedsverbänden<br />

des Deutschen Gehörlosen-Bundes (DGB). Dadurch ist er Mitglied in<br />

der Deutschen Gesellschaft <strong>zur</strong> Förderung von Gehörlosen und Schwerhörigen<br />

e. V. und seit 1991 auch Mitglied im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband<br />

(DPWV). Sind das die korrekten Mitgliedsvereine heute? Probandin I<br />

86. Seit 1981 bist du die Vorsitzende dieses Verbandes. Worin besteht die Hauptaufgabe<br />

des Vorstands? (z. B. Kontakte pflegen mit und Berichte von Bremen<br />

XIII


Anhang a: Interviewleitfaden (Fragekategorien)<br />

an den DGB geben, Organisation der Sommerfeste, Entscheidungen über Anschaffungen,<br />

Verwalten der Gelder, Öffentlichkeitsarbeit, etc.?) Probandin I<br />

87. Wie aktiv sind dabei die Mitglieder des Landesverbandes? Gibt es aktive<br />

Gruppen oder wechselt das immer wieder, so daß jeder mal mitmacht?<br />

Probandin I<br />

88. Wer war/ist der Träger des Landesverbandes in Bremen? Probandin I<br />

(g) Freizeitheim<br />

89. Im Informations-Blatt konnte ich nachlesen, daß der Freizeitheim-Verein von<br />

Vertreterinnen der Gehörlosenvereine, Eltern hörgeschädigter Schülerinnen<br />

der Marcusallee und engagierten Hörgeschädigtenpädagoginnen gegründet<br />

wurde. Was geschah vor der Gründung? Wie kam es genau <strong>zur</strong> Gründung<br />

1976? Zeichnete sich das schon lange vorher ab? Was genau gab schließlich<br />

den Anstoß? Probandinnen I<br />

90. Wie hast du die Gründung des Freizeitheims erlebt? Weißt du noch von der<br />

Gründung des Freizeitheims 1976? Was hast du in Erinnerung?<br />

Probandinnen II / III / IV / V<br />

91. Gab es Vorbilder für den Verein des Freizeitheims bei seiner Gründung und<br />

hat der DGB dazu beigetragen? Wenn ja, inwiefern? Probandin I<br />

92. Welche Rolle spielte das Land Bremen?<br />

Probandinnen I / III / IV / V<br />

93. Welche Rolle spielten bei der Gründung die damaligen Dolmetscherinnen?<br />

Waren Dolmetscherinnen beteiligt? Probandinnen I / III / IV / V<br />

94. Wurde im Vertrag mit der Stadt die Trägerschaft geregelt bzw. wer war/ist der<br />

Träger des Freizeitheims und gibt es für den Unterhalt des Gebäudes bis heute<br />

noch Unterstützung durch die Stadt? (z. B. Mietkosten entfallen?) Probandin I<br />

95. Wo fanden JHV und sicherlich auch andere Versammlungen vor der Fertigstellung<br />

des Saales statt? Probandin I<br />

Freizeitheim/Deaf-Café:<br />

96. Aufgrund wessen Initiative wurde das Deaf-Café gegründet und von wem<br />

wurden die Rechner finanziert? Probandin I<br />

97. Seit Ende 1999 / Anfang 2000 gibt es das Deaf-Café im Freizeitheim. Warst<br />

du schon einmal dort? Was ist für dich dort wichtig? Oder warum nicht?<br />

Probandinnen II / III / IV / V<br />

XIV


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

98. Glaubst du, daß das Deaf-Café das Vereinsleben in irgendeiner Weise<br />

beeinflußt hat? Wenn ja, wie? Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

Freizeitheim/Filmclub:<br />

99. Seit 1970 gibt es den Foto- und Filmclub. Welche Filme habt ihr gesehen und<br />

wo? Wurden die Filme gedolmetscht oder gab es Untertitel? Probandin III<br />

108a. Der Foto- und Filmclub wurde dann umbenannt in Film- und Wanderfreunde.<br />

Wann war das und warum wurde er umbenannt? Probandin III<br />

Freizeitheim/Motorsport-Club:<br />

100. Heute gibt es den Motorsport-Club ja gar nicht mehr. Aber wenn du dich<br />

an früher erinnerst, was war bei den Treffen für dich am wichtigsten?<br />

Probandin III<br />

101. Gibt es eine Abteilung oder eine Gruppe, die deiner Meinung nach in<br />

Bremen für die Gehörlosen noch fehlt oder die du dir wünschen würdest?<br />

Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

(h) Gebärdenkurse (LBG und DGS)<br />

102. Du warst ein aktives Mitglied im Referat für Gebärdenfragen des DGB,<br />

der im Jahre 1985 nach dem Hamburger Kongreß „Gebärdensprache in Bildung<br />

und Erziehung gehörloser Kinder” in’s Leben gerufen wurde. In diesem<br />

Zusammenhang warst du ja auch an der Entwicklung der ‚Blauen Bücher‘ beteiligt.<br />

Was war deine Motivation für die Zusammenarbeit? Probandin I<br />

103. Erster Gebärdenkurs mit Namen: „Einführung in die Gebärdensprache”<br />

steht im Oktober 1979 im Informations-Blatt. Gab es schon vorher Kurse?<br />

Wann fingen die Gebärdenkurse in Bremen überhaupt an (privat / vom LV)<br />

und aufgrund wessen Initiative? Probandin I<br />

104. Im Informationsblatt kann man u. a. nachlesen, daß Kurse speziell für „Eltern<br />

und andere Bezugspersonen Gehörloser” angeboten wurden. Hatte das einen<br />

bestimmten Grund? (Z. B. eine zu große Nachfrage, die man nicht bedienen<br />

konnte? Gab es Interessenten aus anderen Kreisen?) Probandin I<br />

105. Gab der Gebärdenkurs „Robinson auf der Erde” im Fernsehen (Beginn<br />

Oktober 1981) den Anstoß <strong>zur</strong> Gründung der BAG der Gebärdenkursleiterinnen<br />

im September 1982 in Büsum oder was war die Motivation des Herrn<br />

XV


Anhang a: Interviewleitfaden (Fragekategorien)<br />

Dr. Feuchte (Gesellschaft <strong>zur</strong> Förderung der Hör-Sprach-Geschädigten e. V.<br />

Hamburg) zu dieser ersten Arbeitstagung einzuladen? Probandin I<br />

106. Wurden die LV-Kurse schon von Anfang an in Kooperation mit der VHS<br />

durchgeführt? Wie kam dieser Kontakt zustande und was sind die Gründe dafür?<br />

Probandin I<br />

107. Die Hexenhände gibt es ja seit 1993. Seit wann bietet ihr Gebärdenkurse<br />

an? Wie macht ihr das Kursangebot bekannt? Probandin II<br />

108. Du selbst gibst ja auch Gebärdenkurse und hast dadurch viel Kontakt mit<br />

Hörenden, die die Gebärdensprache erlernen möchten. Wann hast du damit<br />

angefangen und warum? Probandin II<br />

108a. Hast du bei anderen Gebärdenkursleiterinnen gelernt? Probandin II<br />

109. Was wurde zunächst unterrichtet und wer hat gelehrt und wer war interessiert<br />

an den Kursen? Probandin I<br />

109a. Ab wann wurde bewußt DGS unterrichtet und wodurch kam der Wechsel<br />

LBG - DGS zustande? Probandin I<br />

109b. Was wurde zuerst unterrichtet - LBG? Wer hat gelehrt? Und wer war interessiert<br />

an den Kursen? Ab wann wurde bewußt DGS unterrichtet? Probandin II<br />

(i/1) Kommunikationsforum (KOFO)<br />

110. Im Jahre 1988 wurde erstmals in Bremen von der Volkshochschule ein regelmäßiges<br />

Treffen unter dem Namen Kommunikationsforum (KOFO) zum<br />

Austausch <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden angeboten. Aufgrund wessen<br />

Initiative ist das entstanden? Waren die Gebärden-Kurse ein Grund dafür?<br />

Und wie lange liefen diese Treffs tatsächlich 14-tägig? Probandin I<br />

110a. Die Idee der Kommunikations-Foren von früher war, einen gebärdensprachlichen<br />

Austausch für Gehörlose und Hörende zu schaffen. Dabei wurde<br />

über die unterschiedlichsten Themen diskutiert. (Gertrud Mally hatte diese<br />

Idee schon 1983 in München) Im Informationsblatt kann man lesen, daß Käthi<br />

George 1988 erstmals in Bremen ein regelmäßiges Treffen organisiert hat. Der<br />

Name war damals schon KOFO. Warst du auch dabei? Wenn ja, warum waren<br />

diese Treffen interessant für dich? Wie sind sie abgelaufen?<br />

Probandinnen III / IV / V<br />

111. Heute gibt es in vielen verschiedenen großen Städten bzw. in deren Gehörlosenvereinen<br />

KOFO-Teams. Sie organisieren die KOFO-Abende. Es werden<br />

XVI


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

Referenten eingeladen, die zu einem bestimmten Thema erzählen und anschließend<br />

gibt es noch die Möglichkeit zu diskutieren. Gehst du regelmäßig<br />

zum KOFO-Abend? Wenn ja, warum? Was ist für dich wichtig dabei? Oder<br />

warum nicht? Probandinnen II / III<br />

111a. Über die Jahre gründeten sich in vielen verschiedenen großen Städten bzw.<br />

in deren Gehörlosenvereinen KOFO-Teams, die die Organisation und Gestaltung<br />

dieser Treffen übernahmen und damit den Ablauf der Abende langsam<br />

veränderten zu Informationsabenden mit eingeladenen Referenten jeweils zu<br />

einem bestimmten Thema: Ab wann wurden diese Themenabende konsequent<br />

gedolmetscht, so daß Gehörlose und Hörende gleichermaßen willkommen waren?<br />

Wurde darüber entschieden oder ergab es sich einfach so? Probandin I<br />

111b. Heute gibt es in vielen verschiedenen großen Städten bzw. in deren<br />

Gehörlosenvereinen KOFO-Teams. Du selbst gehörst zum KOFO-Team in<br />

Bremen. Seit wann bist du dabei? Warum ist diese Arbeit interessant für dich?<br />

Probandinnen IV / V<br />

112. Bist du bei jedem KOFO-Abend dabei? Probandinnen IV / V<br />

113. Wie sieht die Organisation eines KOFO-Abends aus? Woher nehmt ihr die<br />

Ideen für die Themen? Werden auch bestimmte Themen von Gehörlosen oder<br />

Hörenden gefordert? Wie kommt ihr an die Referenten heran?<br />

Probandinnen IV / V<br />

114. Haben diese KOFO-Abende irgend etwas bewirkt oder verändert? Wenn<br />

ja, was glaubst du was? Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

115. Glaubst du, daß diese Abende in irgendeiner Form zum besseren<br />

Verständnis und/oder besseren Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden<br />

geführt haben? Probandinnen I / II / III / IV / V<br />

(i/2) Kommunikationsforum (KOFO) - Dolmetscherinnen<br />

116. Bevor es die KOFOs, so wie man sie heute kennt, in Bremen gab (d. h. mit<br />

eingeladenen Referenten zu je einem bestimmten Thema), hat Käthi 1988 einen<br />

gebärdensprachlichen Austausch <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden initiiert,<br />

der auch KOFO hieß. Weißt du davon bzw. hast du dort selbst teilgenommen?<br />

Wenn ja, wie ist das abgelaufen? Probandinnen VIII / IX / X<br />

117. Kommst du regelmäßig zu den KOFO-Abenden? Warum / Warum nicht?<br />

Probandinnen VIII / IX / X<br />

XVII


Anhang a: Interviewleitfaden (Fragekategorien)<br />

118. Ihr Dolmis habt ja im Januar 1995 einen KOFO-Abend gestaltet: „Rollenspiele,<br />

Umgang mit Vorgesetzten und Dolmetscherinnen”. Wie kam es dazu?<br />

Wer hatte die Idee? Probandinnen VII / VIII / IX / X<br />

118a. Waren auch Gehörlose an den Rollenspielen beteiligt?<br />

Probandinnen VII / VIII / IX / X<br />

118b. Wie habt ihr euch darauf vorbereitet?<br />

Probandinnen VII / VIII / IX / X<br />

(wie 114.) Haben diese KOFO-Abende irgendetwas bewirkt oder verändert?<br />

Wenn ja, was glaubst du was? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

(wie 115.) Glaubst du, daß diese Abende in irgendeiner Form zum besseren Verständnis<br />

und/oder besseren Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Dolmetscherinnen<br />

geführt haben? Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

(j) andere Gruppen in und um Bremen: Hexenhände und Gibarida<br />

119. Die Hexenhände ist eine Gruppe unabhängiger FrauenLesben. Warum seid<br />

ihr kein Mitgliedsverein im Landesverband der Gehörlosen in Bremen?<br />

Probandin II<br />

120. Im Zeichen war zu lesen, daß du durch deine Schwester Martina zu den<br />

Hexenhänden gekommen bist. Was hat sie dir erzählt? Warum war diese<br />

Gruppe interessant für dich? Probandin II<br />

121. Im Zeichen habt ihr die FrauenLesbengruppe vorgestellt. Dort kann man<br />

lesen, daß ihr euch nicht nur zum Spaß trefft, sondern euch auch austauscht<br />

über feministische Themen, Zeitungsartikel, politische Entscheidungen im Zusammenhang<br />

mit Frauen usw. Ist das heute immer noch so? Welche Themen<br />

sind im Moment aktuell? Probandin II<br />

122. Im Zeichen ist auch zu lesen, daß ihr unterdrückende Sprachformen ablehnt.<br />

Ein Beispiel dafür ist die Gebärde FRAU (Brust). Ihr gebärdet FRAU<br />

(mit der Faust am Ohr) und zeigt es auch so in den Gebärdenkursen. Gibt es<br />

noch mehr Beispiele für unterdrückende oder sexistische Gebärden? Ist es immer<br />

noch Thema auf euren Treffen? Probandin II<br />

123. Der Austauch <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden, wie er durch Gertrud<br />

Mally ursprünglich als KOFO eingeführt wurde, wird von den Hexenhänden<br />

weitergeführt. Jeden Monat trefft ihr euch, um euch in gemütlicher Runde in<br />

XVIII


Nicole Braun: <strong>Eine</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Untersuchung</strong> <strong>zur</strong> <strong>Verbindung</strong> <strong>zwischen</strong> Gebärdensprachgemeinschaft und<br />

Gebärdensprachdolmetscherinnen im Bundesland Bremen<br />

DGS zu unterhalten. Wie kam es dazu und seit wann gibt es diese Treffen?<br />

Probandin II<br />

124. Was glaubst du, haben diese Hexenhände-Abende irgendetwas bewirkt<br />

oder verändert? Wenn ja, was glaubst du was hat sich verändert? Probandin II<br />

125. Glaubst du, daß diese Abende in irgendeiner Form zum besseren<br />

Verständnis und/oder besseren Verhältnis <strong>zwischen</strong> Gehörlosen und Hörenden<br />

geführt haben? Probandin II<br />

126. Dann kam der Aufbau von GIBARIDA. Ab wann ging das los? Wann kam<br />

die zündende Idee oder warst du schon lange mit dem Gedanken schwanger?<br />

Probandin VI<br />

127. Stand das Konzept von Anfang an für dich fest oder hat sich das mit der<br />

Zeit auch nach Beginn von GIBARIDA noch entwickelt? Probandin VI<br />

(k) Beruflicher Fachdienst für Hörgeschädigte (FDH)<br />

128. Wodurch kam es <strong>zur</strong> Einrichtung des Beruflichen Fachdienstes für Hörgeschädigte<br />

im Jahre 1994 in Zusammenarbeit mit der damaligen Hauptfürsorgestelle?<br />

Probandin I<br />

129. Gibt es ein Vorbild für den FDH oder ist diese Einrichtung eine völlig<br />

neue Idee aus Bremen? Probandin I<br />

130. Wie kam es überhaupt zum FDH? Hast du oder andere Dolmetscherinnen<br />

dazu beigetragen? (Kontakte bei der Hauptfürsorgestelle, Absprachen mit dem<br />

Landesverband, Initiativen von/mit Gehörlosen, ...)<br />

Probandinnen VI / VII / VIII / IX / X<br />

131. Als gebärdenkompetente Fachfrau (Sozialarbeiterin und Dolmetscherin)<br />

führst du ja Beratungen nicht nur im Fachdienst, sondern auch in den Firmen<br />

durch. War es für dich schwierig in deinen (wohlmöglich) ehemaligen Wirkungskreisen<br />

als Dolmetscherin in die Rolle der Fachdienstfrau zu schlüpfen?<br />

Wie hast du das gemacht und wie waren die Reaktionen in den Firmen?<br />

Probandin X<br />

132. Ab wann war es für dich/euch möglich, zu den Gesprächen Dolmetscherinnen<br />

zu bestellen? Habt ihr bei der HaFü dafür kämpfen müssen oder wurde<br />

das sofort angenommen? Probandin X<br />

XIX


Anhang a: Interviewleitfaden (Fragekategorien)<br />

133. Seit 1994 gibt es den Beruflichen Fachdienst für Hörgeschädigte (FDH).<br />

Hast du dich bei den Mitarbeiterinnen schon einmal beraten lassen oder ihre<br />

Hilfe in Anspruch genommen? Probandinnen II / IV / V<br />

134. Hat sich durch den FDH deiner Meinung nach etwas für Gehörlose<br />

verändert? Wenn ja, was? Probandinnen I / II / III / IV / V / VII / VIII / IX / X<br />

135. Hat sich durch den FDH deiner Meinung nach etwas für Hörende<br />

verändert? Wenn ja, was? Probandinnen I / II / III / IV / V / VII / VIII / IX / X<br />

(l) Abschließende Fragen (Wünsche für die Zukunft)<br />

136. Welches Ereignis im Zusammenhang mit der Gebärdensprachgemeinschaft<br />

ist dir am besten in Erinnerung geblieben? Was war am eindrucksvollsten<br />

für dich? Warum? (Welche großen politischen Ereignisse in Bremen<br />

und auch in Deutschland (1970-heute)?)<br />

Probandinnen I / II / III / IV / V / VI / VII / VIII / IX / X<br />

137. Was sind deine Wünsche für die Gebärdensprachgemeinschaft, für die<br />

Dolmetscherinnen und für dich für die Zukunft?<br />

Probandinnen I / II / III / IV / V / VI / VII / VIII / IX / X<br />

XX

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