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C.THOMAS GRUNDLAGEN DER KLINISCHEN MEDIZIN<br />

G. Gebert<br />

C. Thomas<br />

Unter Mitwirkung von<br />

A. Bittinger, K. Joseph,<br />

H.-D. Mennel, K. Neumann<br />

J. Rüschoff und<br />

W-8, Schwerk<br />

Endokrincs<br />

Systom<br />

ANATOMIE . PHYSIOLOGIE . PATHOLOGI E<br />

MIKROBIOLOGIE . KLINIK<br />

<strong>ö</strong> <strong>Schattauer</strong>


C.Thomas (Herausgeber)<br />

Grundlagen der klinischen Medizin<br />

5 Endokrines System


Grundlagen<br />

der klinischen Medizin<br />

Anatomie Physiologie Pathologie Mikrobiologie Klinik<br />

Herausgegeben von C.Thomas


5 Endokrines System<br />

Von<br />

G.Gebert und C.Thomas<br />

Unter Mitwirkung von<br />

A.Bittinger, K. Joseph, H.-D. Mennel,<br />

K. Neumann, J. Rüschoff und W.-B. Schwerk<br />

Mit 105 Abbildungen in 172 Einzeldarstellungen,<br />

davon 148 mehrfarbig<br />

<strong>Schattauer</strong> Stuttgart - New York 1992


Autoren:<br />

Prof. Dr. C.Thomas<br />

Geschäftsführender Direktor des Medizinischen Zentrums für Pathologie der Philipps-Universität Marburg,<br />

Klinikum Lahnberge, D-3550 Marburg<br />

Prof. Dr. G. Gebert<br />

Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen, Große Langgasse 8, D-6500 Mainz 1, apl. Prof.<br />

für Physiologie, Universität Ulm<br />

Dr. A. Bittinger und Doz. Dr. K. Neumann<br />

Medizinisches Zentrum für Pathologie der Philipps-Universität Marburg, Klinikum Lahnberge, D-3550 Marburg<br />

Prof. Dr. K. Joseph<br />

Leiter der Abteilung für Strahlendiagnostik am Medizinischen Zentrum für Radiologie der Philipps-Universität,<br />

D-3550 Marburg<br />

Prof. Dr. H.-D. Mennel<br />

Leiter der Abteilung Neuropathologie am Medizinischen Zentrum für Pathologie der Philipps-Universität,<br />

Klinikum Lahnberge, D-3550 Marburg<br />

Prof. Dr. J. Rüschoff<br />

Pathologisches Institut der Universität, Franz-Josef-Strauß-Allee,<br />

D-8400 Regensburg<br />

Prof.Dr.W.-B.Schwerk<br />

Medizinisches Zentrum für Innere Medizin der Philipps-Universität Marburg, Klinikum Lahnberge,<br />

D-3550 Marburg<br />

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme<br />

Grundlagen der klinischen Medi/.in : Anatomie, Physiologie,<br />

Pathologie, Mikrobiologie, Klinik / hrsg. von C. Thomas. -<br />

Stuttgart ; New York : <strong>Schattauer</strong>.<br />

NE: Thomas. Carlos [Hrsg.J<br />

Bd. 5. Endokrines System / von G. Gebert und C. Thomas.<br />

Unter Mitw. von A. Bittinger... - 1992<br />

ISBN 3-7945-1280-4<br />

NE: Gebert, Gerfried<br />

In diesem Buch sind die Stichw<strong>ö</strong>rter, die zugleich eingetragene Warenzeichen sind, als solche nicht besonders kenntlich<br />

gemacht. Es kann also aus der Bezeichnung der Ware mit dem für diese eingetragenen Warenzeichen nicht geschlossen<br />

werden, daß die Bezeichnung ein freier Warenname ist.<br />

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung in fremde Sprachen,<br />

vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne<br />

schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert werden.<br />

© 1992 by EK. <strong>Schattauer</strong> Verlagsgesellschaft mbH, I.enzhalde 3, D-7000 Stuttgart 1, Germany<br />

Printed in Germany<br />

Satz, Druck und Einband: Mayr Miesbach, Druckerei und Verlag GmbH, Am Windfeld 15, D-8160 Miesbach. Germany<br />

ISBN 3-7945-1280-4


V<br />

Vorwort zur Reihe<br />

»Grundlagen der klinischen Medizin«<br />

Das Faktenwissen in der Medizin macht eine rasante<br />

Entwicklung durch, die zu einer immer h<strong>ö</strong>heren Spe<br />

zialisierung zwingt. Dabei geht häufiger der Anschluß<br />

an andere Fächer verloren. Dies trifft für die überwie<br />

gend klinischen, aber auch für die klinisch-theoreti<br />

schen Fächer (Pathologie, Mikrobiologie u.a.) zu. Im<br />

Rahmen dieser Spezialisierung geraten auch die<br />

Grundlagen der Medizin (Anatomie und Physiologie)<br />

häufiger in Vergessenheit.<br />

Ziel der Reihe Grundlagen der klinischen Medizin ist<br />

es, ein »Grundwissen« in Anatomie, Physiologie,<br />

Pathologie, Mikrobiologie und Klinik zusammenzustel<br />

len, so daß der Arzt rasch einen Einblick in bestimmte<br />

Fächer der Medizin, die nicht zu seinem unmittelba<br />

ren Wissensgebiet geh<strong>ö</strong>ren, gewinnen kann. Will man<br />

Basiswissen darstellen, dann muß man eine bestimmte<br />

Auswahl des Stoffes vornehmen: Es sind nicht die<br />

neuesten oder modernsten Fakten abzuhandeln, son<br />

dern die, die sich in der Praxis als relevant erwiesen<br />

haben. In der Lehre der Pathologie gilt der Grundsatz,<br />

das Faktenwissen zu lehren, das mit gr<strong>ö</strong>ßter Wahr<br />

scheinlichkeit auch in den nächsten 5 Jahren noch<br />

seine Gültigkeit behalten wird. Diese Richtlinien sollen<br />

in dieser Reihe berücksichtigt werden. Wissenslücken<br />

werden sich nicht vermeiden lassen, denn Darstel<br />

lungsart und Ziel des Werkes (»Minimalwissen«) zwin<br />

gen zu einer knappen Abhandlung.<br />

Der Leser wird sich die Frage stellen, welche Ziel<br />

gruppe mit dieser Reihe angesprochen werden soll. Die<br />

Beantwortung ist im Zusammenhang mit den Untersu<br />

chungen, die wir Anfang der 70er Jahre unter der<br />

Leitung von W Sandritter in Freiburg durchführten, zu<br />

sehen. Damals prüften wir im Auftrag der Volkswagen-<br />

Stiftung die Effektivität verschiedener Lehr- und Lern<br />

methoden (Hauptvorlesung, Gruppenunterricht,<br />

audiovisueller Unterricht und Eigenstudium) in der<br />

Pathologie. Sie wurde am »Kurzzeitgedächtnis« (Über<br />

prüfung des Faktenwissens am Ende des Semesters)<br />

und am »Langzeitgedächtnis« (Überprüfung im Rah<br />

men des Staatsexamens nach der alten Approbations<br />

ordnung) kontrolliert.<br />

Studenten und sicher auch viele Dozenten sind der<br />

Meinung, daß der Gruppenunterricht die einzig rich<br />

tige Unterrichtsmethode in der Medizin sei. Dabei<br />

werden aber in der Regel die Begriffe verwechselt:<br />

Gemeint ist der Unterricht in der kleinen Gruppe (also<br />

der Frontalunterricht vor einer kleinen Studenten<br />

gruppe) und nicht der dynamische Gruppenunter<br />

richt. Dieser setzt voraus, daß sich der Student im<br />

Eigonstudium Faktenwissen aneignet und im Gespräch<br />

m der kleinen Gruppe, unter der Leitung eines erfahre<br />

nen Tutors, praktisch einsetzt. In dieser Form ist der<br />

dynamische Gruppenunterricht ohne Zweifel sehr lei<br />

stungsfähig. Die Praxis zeigt aber, daß sich die Studen<br />

ten nicht regelmäßig und intensiv vorbereiten. Obwohl<br />

es immer wieder bestritten wird, stellen die Kontrollen<br />

(Klausuren und Prüflingen) die wichtigste Lernmotivation<br />

dar. Leider führt aber die derzeitige Prüfungsform<br />

zu einer Vernachlässigung der praktischen Ausbildung<br />

(so z. B. in den Kursen in allgemeiner und spezieller<br />

Pathologie).<br />

Die Freiburger Untersuchungen haben gezeigt, daß es<br />

keine ideale Lehr-Lern-Methode gibt. Die alte, viel<br />

geschmähte Ilauptvorlesung wird immer noch von<br />

einem Drittel aller Studenten bevorzugt. Der Rest des<br />

Studentenkollektivs verteilt sich auf den Unterricht in<br />

der kleinen Gruppe oder auf das Eigensludium.<br />

Bemerkenswert ist, daß 80% der Studenten eine der<br />

oben genannten Lehr-Lern-Methoden durch den<br />

audiovisuellen Unterricht ergänzten. Er nimmt bei<br />

entsprechendem Angebot einen zentralen Stellenwert<br />

ein.<br />

Bei der Überprüfung des »Kurzzeitgedächtnisses«<br />

erzielten die Studenten, die die Hauplvorlesimg regel<br />

mäßig besucht hatten, die besten Ergebnisse, beim<br />

»Langzeitgedächtnis« waren es die Studenten, die das<br />

Eigenstudium bevorzugt hatten. Überraschend war die<br />

Feststellung, daß nur 15% des vermittelten Faktenwis<br />

sens letztlich »übriggeblieben« waren. Aber welcher<br />

Hochschullehrer kennt nicht die Schwierigkeiten, die<br />

die Studenten in den Pathologiekursen mit der norma<br />

len Anatomie und Histologie haben? (Wahrscheinlich<br />

stehen die Kliniker vor ähnlichen Problemen, wenn es<br />

um pathologisch-anatomisches Faktenwissen geht!)<br />

Diese Situation hat den Herausgeber und die Schat<br />

tauer Verlagsgesellschaft dazu bewogen, die Reihe<br />

Grundlagen der klinischen Medizin ins Leben zu<br />

rufen. Sie soll<br />

- den Studenten in der vorklinischen Ausbildung auf<br />

die Bedeutung der Fächer Anatomie, Histologie und<br />

Physiologie aufmerksam machen;<br />

- dem Studenten in den klinischen Studienabschnit<br />

ten (einschließlich praktischem Jahr) sowie dem<br />

approbierten Arzt ein Basiswissen über Anatomie,<br />

Physiologie, Pathologie und Klinik wieder ins<br />

Gedächtnis rufen. Dies trifft besonders für die für<br />

ihn Jachfremden medizinischen Disziplinen zu;<br />

- durch zahlreiche Abbildungen die einschlägigen<br />

Lehrbücher ergänzen, aber nicht ersetzen.


VI<br />

Vorwort<br />

- Ausdrücklich sei hier darauf hingewiesen, daß die<br />

einzelnen Beiträge nicht die jeweiligen Spezialisten<br />

ansprechen sollen. Aus diesem Grunde haben wir<br />

auch auf die Darstellung der Therapie und der<br />

hochspezialisierten, lächspezifischen Untersuchun<br />

gen verzichtet.<br />

In den Rezensionen bereits erschienener Bände aus<br />

dieser Reihe wird eine Kritik regelmäßig geäußert: Zu<br />

viel Pathologie, zu wenig Klinik. Es wird sogar der<br />

Wunsch ausgesprochen, zugunsten der Therapie auf<br />

weite Abschnitte der Anatomie zu verzichten. Der Ruf<br />

nach einer »praxisnahen Ausbildung« weckt in vielen<br />

Studenten den Glauben, auf »spezifisches Faktenwis<br />

sen« verzichten zu k<strong>ö</strong>nnen. So müssen wir heute<br />

feststellen, daß der Weg zum empirischen Lernen uns<br />

immer weiter von der Medizin als Wissenschaft ent<br />

fernt. Das Ziel dieser Reihe ist es aber, nicht diesem<br />

Trend mit einem »Bilderbuch der klinischen Medizin«<br />

zu folgen. Ganz im Gegenteil: Herausgeber und Auto<br />

ren bemühen sich, Faktenwissen zu vermitteln, um<br />

Defizite zu decken, die m<strong>ö</strong>glicherweise während des<br />

Studiums entstanden sind.<br />

So m<strong>ö</strong>chte ich an dieser Stelle erneut darauf hinwei<br />

sen, daß in dieser Reihe die Grundlagen - und nicht die<br />

Klinik - im Vordergrund stehen. Und wenn es heißt,<br />

daß man dem Leser das parallele Herumblättern in<br />

mehreren Büchern gleichzeitig ersparen m<strong>ö</strong>chte, so<br />

trifft dies natürlich nicht für die klinischen Bücher zu.<br />

Ebenso selbstverständlich sollte es sein, daß wir hier<br />

nur eine erste, orientierende Information vermitteln<br />

k<strong>ö</strong>nnen, vertiefen muß der Leser sein Wissen anhand<br />

von Fachbüchern!<br />

Die Gliederung dieser Reihe richtet sich nach der<br />

Organpathologie bzw. den entsprechenden klinischen<br />

Fachrichtungen: Kardiologie, Pulmologie, Neurologie.<br />

Hepatogastroenterologie, Urogenitalsystem u.a. Bei<br />

der Bearbeitung des Themas haben wir uns bevorzugt<br />

auf das Bild (Schema, Mikro-, Makrophotographie,<br />

R<strong>ö</strong>ntgenbild usw.) gestützt und dieses durch einen<br />

kurzen Text erklärt bzw. ergänzt. Für die Schemata<br />

haben wir Vorbilder gesucht oder besonders aussage<br />

kräftige Abbildungen aus eigenen bzw. Werken ande<br />

rer Autoren übernommen (siehe Quellennachweis der<br />

Abbildungen).<br />

Vorwort zum Band 5 (Endokrines System)<br />

An dieser Stelle m<strong>ö</strong>chte ich dem Autor und den Mitwir<br />

kenden für ihre Unterstützung danken. Mein besonde<br />

rer Dank gilt Herrn Prof. Gebert (Mainz) für die<br />

sorgfältige und kritische Darstellung dieses Bandes.<br />

Hervorheben m<strong>ö</strong>chte ich die Unterstützung von Herrn<br />

Prof. Arnold (Leiter der Abteilung für Gastroenterolo<br />

gie der Inneren Medizin der Philipps-Universität) und<br />

der Leiterin seines immunhistochemischen Labors,<br />

Frau Bonorden. Mein Dank gilt auch Herrn Geschäfts<br />

führer I). Bergemann und Herrn W. Krause von der<br />

<strong>Schattauer</strong> Verlagsgesellschaft sowie Herrn Haub von<br />

der Graphischen Kunstanstalt Brend'amour und dem<br />

Zeichner, Herrn IL Tsch<strong>ö</strong>rner.<br />

Marburg, im Herbst 1992<br />

Prof. Dr. C. Thomas


VII<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

A. Einleitung 1<br />

B. Anatomie 2<br />

1 H y p o p h y s e 2<br />

1 . 1 A n a t o m i e - H i s t o l o g i e 2<br />

1.2 Blutversorgung 4<br />

2 Z i r b e l d r ü s e 5<br />

3 S c h i l d d r ü s e 6<br />

4 E p i t h e l k <strong>ö</strong> r p e r c h e n 7<br />

5 N e b e n n i e r e n 8<br />

6 E n d o k r i n e s P a n k r e a s 9<br />

7 N e u r o e n d o k r i n e s S y s t e m 1 1<br />

7 . 1 A d r e n a l e s p a r a g a n g l i o n ä r e s S y s t e m 1 2<br />

7.2 Paraganglion 12<br />

8 G o n a d e n 1 4<br />

8.1 Männliche Gonaden 14<br />

8.2 Weibliche Gonaden 14<br />

C. Physiologie 15<br />

1 P r i n z i p i e n h o r m o n a l e r R e g u l a t i o n 1 5<br />

1 . 1 H o r m o n e a l s B o t e n s t o f f e 1 5<br />

1.2 Hormonelle Regelkreise 19<br />

2 H o r m o n e e n d o k r i n e r D r ü s e n 2 0<br />

2.1 Hypothalamisch-hypophysäre Funktionseinheit 20<br />

2.2 Schilddrüse und Epithelk<strong>ö</strong>rperchen 24<br />

2.3 Nebenniere 27<br />

2.4 Bauchspeicheldrüse 30<br />

2 . 5 S e x u a l h o r m o n e d e r F r a u 3 1<br />

2 . 6 S e x u a l h o r m o n e d e s M a n n e s 3 4<br />

3 E x t r a g l a n d u l ä r c H o r m o n e 3 6<br />

3.1 Fettsäurederivate 36<br />

3.2 Peptid-Enterohormone 37<br />

3 . 3 R e n i n - A n g i o l e n s i n - S y s t e m 3 7<br />

3 . 4 K i n i n s y s t e m 4 0<br />

3 . 5 A t r i a l e s n a t r i u r e t i s c h e s H o r m o n 4 0<br />

3.6 Wachstunisfaktoren 40<br />

3.7 Endogene Opiate 42<br />

3.8 Peptid-Abwehrhormone 42<br />

3.9 Biogene Amine 43<br />

4 L i p i d s t o f f w e c h s e l 4 4<br />

4 . 1 E i n t e i l u n g d e r L i p i d e 4 4<br />

4.2 Lipoproteine 44<br />

4 . 3 S t o f f w e c h s e l e x o g e n e r L i p i d e 4 5<br />

4 . 4 S t o f f w e c h s e l e n d o g e n e r L i p i d e 4 7<br />

D. Untersuchungsmethoden 49<br />

1 K l i n i s c h e U n t e r s u c h u n g 4 9<br />

2 L a b o r u n t e r s u c h u n g e n 4 9<br />

3 B i l d g e b e n d e V e r f a h r e n 4 9<br />

3.1 Sonographie 49<br />

3.2 Radiologische Verfahren 51<br />

3.3 Nuklearmedizinische Verfahren 52<br />

4 P a t h o l o g i s c h - a n a t o m i s c h e U n t e r s u c h u n g e n 5 4<br />

4.1 Fixierung 54<br />

4.2 Routinefärbungen 54<br />

4.3 Spezialfärbungen 54


VIII<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

4.4 Immunhistochemie 54<br />

4.5 Elektronenmikroskopie 55<br />

5 H i s t o l o g i s c h e D i a g n o s t i k 5 5<br />

5 . 1 F u n k t i o n s d i a g n o s t i k 5 5<br />

5 . 2 D i g n i t ä t e n d o k r i n e r T u m o r e n 5 5<br />

E . E r k r a n k u n g e n d e r H y p o p h y s e 5 8<br />

1 F e h l b i l d u n g e n 5 8<br />

2 K r e i s l a u f s t <strong>ö</strong> r u n g e n 5 8<br />

3 S t o f f w e c h s e l s t <strong>ö</strong> r u n g e n 5 8<br />

4 E n t z ü n d u n g e n 5 8<br />

5 T u m o r e n u n d t u m o r a r t i g e V e r ä n d e r u n g e n 5 8<br />

5.1 Hypophysenadenome 59<br />

5.2 Hypophysenkarzinome 60<br />

5 . 3 K r a n i o p h a r y n g e o m 6 1<br />

5 . 4 M e t a s t a s e n i n d e r H y p o p h y s e 6 1<br />

5.5 Tumorähnliche Ilypophysenveränderungen 61<br />

6 F u n k t i o n s s t <strong>ö</strong> r u n g e n 6 2<br />

6 . 1 H y p o p i l u i t a r i s m u s 6 2<br />

6 . 2 H y p e r p i t u i t a r i s m u s 6 4<br />

6.3 Funktionsst<strong>ö</strong>rungen des hypothalamisch-neurohypophysären Systems .... 65<br />

F . E r k r a n k u n g e n d e r Z i r b e l d r ü s e 6 7<br />

1 N i c h t t u m o r <strong>ö</strong> s e E r k r a n k u n g e n 6 7<br />

2 T u m o r e n 6 7<br />

2 . 1 G e r m i n o m 6 7<br />

2.2 Pinealzellentumoren 67<br />

2.3 Teratome 67<br />

G . E r k r a n k u n g e n d e r S c h i l d d r ü s e 6 8<br />

1 F e h l b i l d u n g e n 6 8<br />

2 K r e i s l a u f s t <strong>ö</strong> r u n g e n 6 8<br />

3 S t o f f w e c h s e l s t <strong>ö</strong> r u n g e n 6 8<br />

4 E n t z ü n d u n g e n 7 1<br />

4 . 1 Q u e r v a i n - T h y r e o i d i t i s 7 1<br />

4 . 2 C h r o n i s c h l y m p h o z y t ä r e T h y r e o i d i t i s 7 1<br />

4 . 3 I n v a s i v e s k l e r o s i e r e n d e R i e d e l - T h y r e o i d i t i s 7 2<br />

4.4 Spezifische Entzündungen 72<br />

5 T u m o r e n 7 3<br />

5.1 Gutartige Schilddrüsentumoren 77<br />

5 . 2 S c h i l d d r ü s e n k a r z i n o m 7 9<br />

5.3 Nichtepitheliale Neubildungen 83<br />

5.4 Maligne Lymphome 83<br />

5.5 Tumorähnliche Veränderungen 83<br />

6 F u n k t i o n s s t <strong>ö</strong> r u n g e n 8 4<br />

6.1 Hypothyreose 84<br />

6.2 Hyperthyreose 85<br />

7 Z y t o l o g i s c h e U n t e r s u c h u n g 8 8<br />

H . E r k r a n k u n g e n d e r E p i t h e l k <strong>ö</strong> r p e r c h e n 8 9<br />

1 F e h l b i l d u n g e n 8 9<br />

2 E n t z ü n d u n g e n 8 9<br />

3 S t o f f w e c h s e l s t <strong>ö</strong> r u n g e n 8 9<br />

4 T u m o r e n 8 9<br />

4 . 1 A d e n o m 8 9<br />

4 . 2 K a r z i n o m 9 0<br />

4.3 Verschiedene Tumoren 90<br />

4.4 Metastasen 90<br />

4.5 Nichtklassifizierte Tumoren 90


I n h a l t s v e r z e i c h n i s<br />

I X<br />

4.6 Tumorartige Veränderungen 91<br />

5 F u n k t i o n s s t <strong>ö</strong> r u n g e n ( R e g u l a t i o n d e s K a l z i u m h a u s h a l t s ) 9 1<br />

5 . 1 H y p o p a r a t h y r e o i d i s m u s 9 1<br />

5 . 2 I l y p e r p a r a t h y r e o i d i s m u s 9 3<br />

5 . 3 R a c h i t i s u n d O s t e o m a l a z i e 9 4<br />

5.4 Osteoporose 95<br />

6 D i e i n t r a o p e r a t i v e B e u r t e i l u n g d e r E p i t h e l k <strong>ö</strong> r p e r c h e n 9 6<br />

I . E r k r a n k u n g e n d e r N e b e n n i e r e 9 8<br />

1 F e h l b i l d u n g e n 9 8<br />

2 K r e i s l a u f s t <strong>ö</strong> r u n g e n 9 8<br />

3 E n t z ü n d u n g e n 9 9<br />

3.1 Unspezifische Adrenalitiden 99<br />

3 . 2 A u t o i m m u n a d r e n a l i t i s 9 9<br />

3 . 3 S p e z i fi s c h e A d r e n a l i t i s 9 9<br />

4 S t o f f w e c h s e l s t <strong>ö</strong> r u n g e n 9 9<br />

5 T u m o r e n 9 9<br />

5 . 1 T u m o r e n d e r N o b e n n i e r e n r i n d e 9 9<br />

5 . 2 T u m o r e n d e s N e b e n n i e r e n m a r k s 1 0 1<br />

6 F u n k t i o n s s t <strong>ö</strong> r u n g e n d e r N e b e n n i e r e 1 0 3<br />

6 . 1 N e b e n n i e r e n r i n d e n i n s u f fi z i e n z 1 0 3<br />

6.2 Nebennierenrindenüberlüiiktion 105<br />

6 . 3 F u n k t i o n s s t <strong>ö</strong> r u n g e n d e s N e b e n n i e r e n m a r k s 1 0 8<br />

J . E r k r a n k u n g e n d e s e n d o k r i n e n P a n k r e a s 1 0 9<br />

1 D i a b e t e s m e l l i t u s 1 0 9<br />

1 . 1 D i a b e t e s T y p I 1 0 9<br />

1 . 2 D i a b e t e s T y p I I 1 0 9<br />

1 . 3 S e k u n d ä r e r D i a b e t e s m e l l i t u s 1 1 0<br />

2 H y p o g l y k ä m i e — l l y p e r i n s u l i n i s m u s 1 1 4<br />

2.1 Hypoglykämie bei Diabetikern 114<br />

2.2 Hypoglykämie bei Nichtdiabetikern 115<br />

3 E n d o k r i n e P a n k r e a s t u m o r e n 1 1 6<br />

3 . 1 T u m o r e n d e s g a s t r o e n t e r o p a n k r c a t i s c h e n S y s t e m s 11 6<br />

3.2 Undifferenzierte endokrine Pankreastumoren 120<br />

3.3 Tumorähnliche Veränderungen 120<br />

K . E r k r a n k u n g e n d e r G o n a d e n 1 2 1<br />

1 Intersexualität, Hermaphroditismus und Gonadendysgenesie 121<br />

2 F u n k t i o n s s t <strong>ö</strong> r u n g e n d e r H o d e n 1 2 3<br />

2 . 1 K o n g e n i t a l e r p r i m ä r e r H y p o g o n a d i s m u s 1 2 3<br />

2 . 2 E r w o r b e n e r p r i m ä r e r H y p o g o n a d i s m u s 1 2 4<br />

2 . 3 S e k u n d ä r e r H y p o g o n a d i s m u s 1 2 4<br />

2 . 4 T e r t i ä r e r H y p o g o n a d i s m u s 1 2 4<br />

3 F u n k t i o n s s t <strong>ö</strong> r u n g e n d e r O v a r i e n 1 2 5<br />

3 . 1 P r i m ä r e r H y p o g o n a d i s m u s 1 2 5<br />

3 . 2 S e k u n d ä r e r H y p o g o n a d i s m u s 1 2 6<br />

3 . 3 T e r t i ä r e r H y p o g o n a d i s m u s 1 2 6<br />

L . E r k r a n k u n g e n d e s n e u r o e n d o k r i n e n S y s t e m s 1 2 8<br />

1 T u m o r e n d e r P a r a g a n g l i o n 1 2 8<br />

1.1 Neuroendokrine Tumoren 128<br />

1.2 Neurale Tumoren 131<br />

1.3 Gemischte neuroendokrine und neurale Tumoren 132<br />

2 T u m o r e n d e s d i f f u s e n n e u r o e n d o k r i n e n S y s t e m s 1 3 2<br />

2.1 Karzinoid 132<br />

2.2 Mukokarzinoid 135


X<br />

I n h a l t s v e r z e i c h n i s<br />

2 . 3 G e m i s c h t e s K a r z i n o i d u n d A d e n o k a r z i n o m 1 3 5<br />

2.4 Tumorähnliche Veränderungen 135<br />

3 M u l t i p l e e n d o k r i n e N e o p l a s i e n 1 3 6<br />

M. Paraneoplasien 138<br />

1 E n d o k r i n e P a r a n e o p l a s i e n 1 3 8<br />

1 . 1 E k t o p e s A C T H - S y n d r o m 1 3 9<br />

1.2 Extrapankreatische Hypoglykämie 139<br />

1 . 3 P a r a n e o p l a s t i s c h e s H y p e r k a l z ä m i e s y n d r o m 1 4 0<br />

1 . 4 E k t o p e s A D H - S y n d r o m 1 4 0<br />

1 . 5 P a r a n e o p l a s t i s c h e s K a r z i n o i d s y n d r o m 1 4 0<br />

1.6 Gonadotropinproduzierende Lungen- und Lebertumoren 141<br />

1.7 Erythropoetinbildende Tumoren 141<br />

1.8 Seltene endokrine Paraneoplasien 141<br />

1.9 Multiple paraneoplastische Endokrinopathien 142<br />

2 N i c h t e n d o k r i n e P a r a n e o p l a s i e n 1 4 2<br />

N. Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 143<br />

1 A d i p o s i t a s 1 4 3<br />

2 K a c h e x i e 1 4 5<br />

3 L i p i d s t o f f w e c h s e l s t <strong>ö</strong> r u n g e n 1 4 5<br />

3.1 Dyslipidämien 145<br />

3.2 Lipidspeicherkrankheiten 150<br />

3.3 Lipodystrophien 151<br />

4 K o h l e n h y d r a t s p e i c h e r k r a n k h e i t e n 1 5 2<br />

4.1 Mukopolysaccharidosen 152<br />

4.2 Glykogenosen 153<br />

5 G i c h t 1 5 4<br />

0 . S a c h v e r z e i c h n i s 1 5 7


A. Einleitung<br />

A. Einleitung<br />

Hirnanhangsdrüse<br />

Schilddrüse mit<br />

Beischilddrüsen<br />

Nebennieren<br />

Eierst<strong>ö</strong>cke<br />

Hoden<br />

Abb.A-1: Die wichtigsten endokrinen Drüsen und ihre topographische Lage<br />

Die Endokrinologie beschäftigt sich mit Botenst<strong>ö</strong>ffen,<br />

die von spezialisierten Zellen gebildet und über den<br />

Zellzwischenraum in die Blutbahn ausgeschüttet wer<br />

den. Die als Hormone bezeichneten Signalsubstanzen<br />

gelangen mit dem Blutkreislauf zu den vom Produk<br />

tionsort entfernten Zellen, an denen sie ihre Wirkung<br />

entfalten sollen. Hormonproduzierende Zellen, die<br />

gegen die Umgebung einen abgrenzbaren Gewebsverband<br />

bilden, werden als endokrine Drüsen bezeichnet.


Endokrines System<br />

B- Anatomie<br />

1 Hypophyse<br />

Zwischenhirn<br />

(Diencephalon)<br />

Endhirn<br />

(Telencephalon)<br />

Balken des Endhirns<br />

(Corpus callosum)<br />

Zirbeldrüse<br />

(Corpus pineale)<br />

Mittelhim<br />

(Mesencephalon)<br />

Kleinhirn<br />

(Cerebellum)<br />

Hirnanhangsdrüse<br />

(Hypophyse)<br />

Hinterhirn mit Brücke<br />

(Metencephalon mit Pons)<br />

Verlängertes Mark<br />

(Medulla oblongata)<br />

Abb.B-1: Topographie der Hypophyse und Hpiphyse auf einem Sagittalschnitt durch Groß- und Kleinhirn. (Modifiziert nach<br />

Rohen, 1985)<br />

1.1 Anatomie - Histologie<br />

Die Hypophyse (Hirnanhangsdrüse), die übergeord<br />

nete Drüse des gesamten endokrinen Systems, bildet<br />

das Verbindungsglied zwischen zwei inibrmationsübertragenden<br />

Systemen: dem Nervensystem und dem<br />

endokrinen System. Es handelt sich um ein beim Mann<br />

500 bis 600 mg bzw. bei der Frau 600 bis 800 mg<br />

schweres Organ, das in der »Türkensattel« (Sella<br />

turcica) genannten H<strong>ö</strong>hle des Keilbeins plaziert ist.<br />

Nach oben wird dieser Raum durch ein Durablatt<br />

(Diaphragma sellae) abgeschlossen. Hier findet sich<br />

der Durchlaß (Foramen diaphragmatis) für den Hypo<br />

physenstiel, der die Verbindung zwischen Hypophyse<br />

und Zwischenhirn (Hypothalamus) darstellt. Im Boden<br />

des III. Ventrikels liegt eine Einsenkung (Infundibulum),<br />

in der als Trichter der Hypophysenstiel<br />

beginnt. Ventrikelnahe liegen die Nuclei suprqventriculares<br />

und supraopticus, die die Hypophyse beein<br />

flussen.<br />

Die Hypophyse setzt sich aus folgenden Teilen zu<br />

sammen:<br />

- Die Adenohypophyse (Ilypophysenvorderlappen),<br />

die vom Entoderm (Rathke-Täsche) abgeleitet wird.<br />

Der Trichlerlappen (Pars infundibularis) umfaßt<br />

das supraselläre adenohypophysäre Gewebe.<br />

- Die Neurohypophyse, die sich aus dem Neuroektodcrm<br />

entwickelt<br />

- der Hypophysenstiel, der die Hypophyse mit dem<br />

ZNS verbindet<br />

- die Zwischenhypophyse (Intermediärzone).


B. Anatomie<br />

Histologie und Funktion der Zellen der Adenohypophyse*<br />

HE PAS-Orange Immunbistochemie Funktion - Erkrankung<br />

azidophil<br />

azidophil<br />

STH<br />

Prolaktin<br />

Akromegalie/Gigantismus<br />

Galaktorrh<strong>ö</strong> - Amenorrh<strong>ö</strong><br />

chromophob<br />

chromophob<br />

nicht granulierte<br />

kleine Zellen<br />

keine Funktion<br />

ACTII-MSH<br />

M. Cushing, Melanodermie<br />

basophil<br />

mukoid<br />

TSH<br />

Gonadotropin<br />

Thyreotoxikose<br />

Onkozyten Onkozyten Onkozyten keine Funktion<br />

Nach F. D. Williams: Histological typing of endocrine tumours. WHO (1980)<br />

A, * ^<br />

Abb.B-2: Hypophyse im Querschnitt. N = Neurohypophyse.<br />

Masson-Fbg.<br />

Abb.B-3: Drüsengewebe der Adenohypophyse. PAS-<br />

Orange-G-Fbg.<br />

1.1.1 Adenohypophyse<br />

Histologisch besteht die Adenohypophyse aus Strän<br />

gen und Ballen von Epithelzellen, die von Silberfasern<br />

umgeben sind und gemischt oder regional gehäuft<br />

vorkommen. Diese Zellen weisen unterschiedliche fär<br />

berische, immunhistochemische und ultrastrukturelle<br />

Eigenschaften auf, die eine Unterteilung und eine<br />

gewisse Zuordnung zu einer bestimmten Hormonsynthese<br />

erlauben. Man unterscheidet chromophile und<br />

chromophobe Zellen.<br />

Azidophile chromophile Zellen (eosinrote oder<br />

Orange-G-anfärbbare Zellen) stellen die STH- und<br />

die Prolaktinbildner dar. STH-Zellcn machen fast<br />

die Hälfte aller Epithelien der Adenohypophyse aus<br />

und bleiben während des gesamten Lebens zahlen<br />

mäßig weitgehend unverändert. Die inlrazytoplasmatischen<br />

Granula sind 550 nm groß. Die Prolaktin-Zellen<br />

sind diffus verteilt und stellen 3% bis 25%<br />

aller Epithelien dar. Während der Gravidität und<br />

der Stillzeil sind sie hyperplastisch und erh<strong>ö</strong>hen das


Endokrines System<br />

Abb. B-4: Prolaktinomzelle mit großen Sekretgranula im<br />

elektronenmikroskopischen Bild<br />

Abb. B-5: Onkozytomzelle mit vermehrten Mitochondrien<br />

Onset) im elektronenmikroskopischen Bild<br />

Hypophysengewicht um 25%. Die Granula sind bis<br />

900 nm groß.<br />

Mukoide chromophile Zellen sind PAS-positiv und<br />

entsprechen der früheren Bezeichnung »basophil«.<br />

Zu diesen Zellen geh<strong>ö</strong>ren die ACTII-, TSH- (Aldehydlüchsin-positiv)<br />

sowie die gonadotropen Zellen, die<br />

FSH und LH produzieren.<br />

Chromophobe Zellen zeigen keine färberisch dar<br />

stellbaren Granula, k<strong>ö</strong>nnen aber immunhistochemisch<br />

exprimieren (z. B. Prolaktin).<br />

Onkozyten sind mitochondrienreiche Zellen, die in<br />

der Hypophyse häufiger vorkommen und mit dem<br />

Alter mengenmäßig zunehmen. Sie zeichnen sich<br />

durch das eosinrote Zytoplasma und den chromatindichten<br />

Kern aus.<br />

1.1.2 Neurohypophyse<br />

Sie umläßt den intrasellären Hypopliysenhinterlappen<br />

und das supraselläre Infundibulum. Beide bestehen<br />

aus Nervenfasern des Tractus supraopticus hypophyseus<br />

und tuberohypophyseus. Hier sind auch die Pitui<br />

zyten zu finden, die eine modifizierte Glia darstellen.<br />

Normale Glia findet sich erst im Tuber cinereum.<br />

1.1.3 Zwischenhypophyse<br />

Die Zwischenhypophyse ist ein intrasellärer Anteil der<br />

Hypophyse, der zwischen Adeno- und Neurohypophyse<br />

liegt und beim Menschen keinen eigenständigen Lap<br />

pen darstellt. Hier finden sich kleine eosinrote Kolloid<br />

zysten.<br />

1.2 Blutversorgung<br />

Die oberen Hypophysenarterien stammen aus der<br />

Arteria carotis interna oder aus der Arteria communi<br />

cans posterior. In H<strong>ö</strong>he des Hypophysenstiels bilden<br />

sie den Plbrtaderkreislauf, der in das lange Portalvenensyslem<br />

übergeht. Die unteren Hypophysenarterien<br />

entspringen aus der A. carotis interna und versor<br />

gen den Hinterkippen und die Intermediärzone. Sie<br />

bilden in der Grenzzone das kurze Portalvenensy<br />

stem. Der Venenabfluß findet über den Sinus caverno<br />

sus statt.


B. Anatomie<br />

2 Zirbeldrüse<br />

Das Corpus pineale (Epiphyse) ist ein 10 x 5 mm<br />

großes und 160 mg schweres (Gewicht nimmt bis zum<br />

40. Lebensjahr zu, im 6. Dezennium ab und steigt<br />

später - besonders bei Erauen - wieder an), neuroendokrines<br />

Organ, das im Dach des III. Ventri<br />

kels lokalisiert ist. Es bildet den kaudalen Anteil des<br />

Epithalamus und ist mit diesem durch zwei Stiele aus<br />

weißer Substanz (Ilabenulae) verbunden. Die Drüse ist<br />

leicht zu finden, wenn man das Großhirn von hinten<br />

betrachtet und das Kleinhirn nach unten drückt. Das<br />

Corpus pineale zählt zusammen mit der Neurohypo<br />

physe zu den zirkumventrikulären Organen und stellt<br />

einen Abk<strong>ö</strong>mmling des lichtempfindlichen Pinealissystems<br />

der kaltblütigen Wirbeltiere dar. Die Blutver<br />

sorgung erfolgt über die A. cerebri posterior (Äste der<br />

Rr. choroidei posteriores); die Venen münden in die<br />

Vena cerebri magna ein.<br />

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Histologisch findet man Parenchym, Pigmenteellen,<br />

Gliafasern und Bindegewebe, das aus der Pia mater<br />

stammt. Das Parenchym besteht aus Pinealzellen<br />

(Pinealozyten) und Interstitialzellen, die in Strängen<br />

oder Ballen angeordnet sind. Die Pinealozyten sind<br />

große helle Zellen mit intrazytoplasmatischen, PASpositiven<br />

Granula (Lipo-Glykoproteid-Gemisch) und<br />

einem großen Kern, der sog. Kernkugeln (Zytoplasmaeinstülpungen)<br />

einschließt. Ferner besitzen sie argenlaffine<br />

Zytoplasmaausläufer, die bis zu den Blutgefäßen<br />

reichen. In jedem Alter findet man konzentrisch<br />

geschichtete Kalkablagerungen (Hirnsand, Acervuli<br />

cerebri, Corpora arenacea), die nicht als Altersphänomen<br />

zu deuten sind. Marklose Nervenfasern durchzie<br />

hen das Organ und k<strong>ö</strong>nnen Adrenalin oder Serotonin<br />

enthalten.<br />

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Das Hormon des Corpus pineale (Melatonin) ist ein<br />

Indolderivat, das dem Serotonin entspricht. Bei Kalt<br />

blütern stimuliert es die Melanophoren und ist somit<br />

ein Antagonist des hypophysären Melanotropins. Fer<br />

ner spielt es eine Rolle bei Mammalicrn, bei denen die<br />

Reproduktionsperiode lichtabhängig ist: Es stimuliert<br />

die Gonaden. Bei geblendeten Tieren kommt es zu<br />

einer Gonadenatrophie. So ist für das Melatonin eine<br />

antigonadotrope Wirkung postuliert worden, eine Deu<br />

tung, die allerdings nicht unwidersprochen geblieben<br />

ist. Für das Vorhandensein von Wechselbeziehungen<br />

zwischen Epiphyse und Sexualhormonen spricht der<br />

Nachweis von Östrogen-, Progesteron- und Androgenrezeptoren.<br />

W#V Je)<br />

Abb.B-6: Corpus pineale. a) Sagittalschnitt durch das Groß<br />

hirn. P = Corpus pineale. B = Balken, b) Histologischer Aufbau<br />

des Corpus pineale. HF-Fbg. c) Pinealisgewebe. GFAP.<br />

d) »Hirnsand« im Corpus pineale. HF-Fbg.


Endokrines System<br />

3 Schilddrüse<br />

Die Schilddrüse (Glandula thyreoidea) liegt im vorde<br />

ren und mittleren Ilalsbereich. Sie mißt 6 x 3 x 2 cm<br />

und ist 60 g schwer. Das Organ bestellt aus zwei<br />

Seitenlappen und einem verbindenden Isthmus. In<br />

30% der Fälle entspringt aus diesem ein nach oben<br />

gerichteter Fortsatz (Lobus pyramidalis Lalloutte), der<br />

den Rest des Ductus thyreoglossus (Evagination aus<br />

dem Foramen caecum der Zunge) darstellt.<br />

Die Drüse ist von einer äußeren Easerkapsel umge<br />

ben, die aus der Halsläszie stammt. Innen liegt die<br />

Organkapsel, die die Schilddrüse in kleinere Läppchen<br />

unterteilt. Die arterielle Blutversorgung erfolgt beid<br />

seitig über die A. thyreoidea superior, ein Ast aus der<br />

Carotis externa und über die A. thyreoidea inferior aus<br />

der A. subclavia. Die oberen Venen münden in die<br />

Vena jugularis interna, die unteren in die Vena brachiocephalica<br />

sinistra. Die Nerven stammen aus dem<br />

Nervus vagus. Wegen seiner engen topographischen<br />

Beziehungen zur Schilddrüse ist der Nervus laryngeus<br />

recurrens von besonderer chirurgischer Bedeutung.<br />

Histologisch zeigt die Schilddrüse einen läppchenf<strong>ö</strong>rmigen<br />

Aufbau. Sie besteht aus follikulären und parafollikulären<br />

Zellen sowie aus Stroma. Die 0,1 bis 1 mm<br />

großen Schilddrüsenlbllikel stellen geschlossene<br />

Hohlräume dar, die von einer Basalmembran, fenestrierten<br />

Kapillaren und adrenergen Nervenfasern<br />

umgeben sind. Sie bestehen aus thyroxin- und trijodthyroninproduzierenden<br />

Hauptzellen (Thyreozyten),<br />

die je nach Funktionszustand abgeflacht (Phase der<br />

Sekretanreicherung), kubisch oder hochzylindrisch<br />

(Phasen der Sekretbildung oder -ausschwemmung)<br />

sein k<strong>ö</strong>nnen. In der Eollikellichtung findet man ein<br />

weitgehend homogenes, eosinrotes Kolloid, das<br />

Thyreoglobulin enthält. Hier nachweisbare randstän<br />

dige Vakuolen sprechen für eine verstärkte Resorp<br />

tion.<br />

Parafollikuläre oder C-Zellen sind Abk<strong>ö</strong>mmlinge des<br />

Ultimobranchialk<strong>ö</strong>rpers und bilden Kalzitonin. Sie lie<br />

gen ballenf<strong>ö</strong>rmig angeordnet zwischen den Follikeln<br />

und lassen sich durch den imniunhistochemischen<br />

Nachweis von Kalzitonin-Antik<strong>ö</strong>rpern selektiv dar<br />

stellen.<br />

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Abb.B-7: Schilddrüse. Oben: Scbematische Darstellung der<br />

Schilddrüsentopographie. Mitte: Kolloidhaitiger Schilddrü<br />

senlbllikel. HF-Fbg. Unten: Ansammlungen von parafollikulä<br />

ren C-Zellen. Immunhistochenüscher Nachweis von Kalzi<br />

tonin.


B. Anatomie<br />

4 Epithelk<strong>ö</strong>rperchen<br />

Bei den Epithelk<strong>ö</strong>rperchen (Glandula parathyreoidea.<br />

Bei- oder Nebenschilddrüsen; EK) handelt es sich um<br />

vier Drüsen, die bei ca. 90% der Menschen paarig<br />

angeordnet sind. Das obere Paar liegt an der Dorsal<br />

seite des oberen Schilddrüsendrittels. Das untere Paar<br />

ist zwischen dem unteren Schilddrüsenpol und der<br />

Thymusdrüse lokalisiert. Die EK k<strong>ö</strong>nnen intrathyreoidal,<br />

in der Thymusdrüse sowie im vorderen Media<br />

stinum vorkommen. Die einzelnen Drüsen sind bohnenf<strong>ö</strong>rmig,<br />

von rehbrauner Farbe und jeweils 5 x 3 x<br />

1 mm groß. Das Einzelgewicht nimmt von der Neugeborenenperiode<br />

(5 bis 9 mg) bis zum Erwachsenenal<br />

ter (20 bis 40 mg) stetig zu und erreicht ein Gesamtge<br />

wicht von 100 bis 140 mg. Die Blutversorgung steht in<br />

enger Verbindung mit der der Schilddrüse (A. und<br />

V thyreoidea).<br />

Histologisch sind die EK von einer zarten bindegewe<br />

bigen Kapsel umgeben. Das Parenchym besteht in der<br />

frühen Kindheit aus vorwiegend dunklen Hauptzellen<br />

und vereinzelten hellen Zellen. Mit zunehmendem<br />

Alter kommen in geringer Menge (~5%) auch oxyphile<br />

Zellen vor. Die dunklen Hauptzellen zeigen reichlich<br />

sekretorische Granula, in denen sich Parathormon<br />

befindet. Helle Hauptzellen schließen Glykogen ein,<br />

das nach üblicher Einbettung herausgel<strong>ö</strong>st wird, so<br />

daß der Eindruck eines optisch leeren Zytoplasmas<br />

entsteht. Die oxyphilcn oder chromophilen Hauptzel<br />

len liegen in kleinen Gruppen und enthalten eosinrote,<br />

schollige Granula sowie reichlich Mitochondrien. Gele<br />

gentlich sind die Zellen follikelartig angeordnet und<br />

k<strong>ö</strong>nnen - in kleinen Mengen - ein schilddrüsenähnli<br />

ches, eosinrotes Kolloid enthalten. Im Schnellschnitt<br />

kann es in diesem Fall schwierig sein, Schilddrüsenvon<br />

Nebenschilddrüsengewebe abzugrenzen. Die Dif<br />

ferentialdiagnose gelingt mit immunhistochemischen<br />

Methoden. Die Drüse enthält ein gefäßtragendes<br />

Stroma sowie Fettzellen. Diese nehmen mit dem Alter<br />

mengenmäßig zu: Beim Erwachsenen stellt das Stromafett<br />

30 bis 50% der Drüse dar, im Senium bis 70%.<br />

Abb.B-8: Epithelk<strong>ö</strong>rperchen (EK). Oben: Schematische Dar<br />

stellung der FK-Topographie. Mitte: FK-Gewebe mit Haupt<br />

zellen. HF-Fbg. Unten: Chromogranin-Immunhistochemie.


8 Endokrines System<br />

5 Nebennieren<br />

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Abb.B-9: Nebenniere, a) Schematische Darstellung der Topographie der Nebennieren, b) Schnitt durch eine Nebenniere. In<br />

der Mitte die Zentralvene (Pfeil), innen das graue Mark, außen die gelbe Rinde, c) Nebennierenrinde mit den drei Schichten:<br />

oben Zona glomerulosa (G), in der Mitte die Zona lasciculata (!•') und unten die Zona reticularis CR), HF-Fbg.<br />

Die Nebennieren (Glandulae adrenales) sind retroperitoneale<br />

Organe, die kappenartig dem oberen Nierenpol<br />

aufsitzen. Die Drüsen sind jeweils 40 x 25 x 9 mm groß<br />

und zusammen ca. 12 g schwer. Das Gewichtsverhältnis<br />

zur Niere beträgt beim Erwachsenen 1:30, beim<br />

Neugeborenen 1:3. Auf der Schnittfläche erkennt man<br />

makroskopisch eine gelbe äußere Schicht (Zona lasci<br />

culata), eine dunkelbraune mittlere Schicht (Z. reticu<br />

laris) und in der Umgebung der Zentralvenen eines<br />

nicht autolytischen Organs das graue Nebcnnierenmark.<br />

Die Blutversorgung erfolgt über Arterien (A. su<br />

prarenales superior, media et inferior), die aus der<br />

A. phrenica inferior, der Aorta abdominalis bzw. aus<br />

der Nierenarterie entspringen.<br />

Histologisch besteht die Nebenniere aus den beiden<br />

embryologisch verschiedenen Anteilen Rinde und<br />

Mark. Die Nebennierenrinde setzt sich aus folgenden<br />

Schichten zusammen:<br />

■ Zona glomerulosa mit kleinen Gruppen von Zellen,<br />

die Aldosteron bilden.<br />

■ Die Zona lasciculata mit strangf<strong>ö</strong>rmig angeordne<br />

ten Zellen ist der Bildungsort der Glukokortikoide.<br />

Diese Zellen enthalten reichlich Lipide und Lipochrome.<br />

Sie werden daher als Spongiozyten<br />

bezeichnet und verleihen der äußeren Rinden<br />

schicht den gelben Farbton.<br />

■ Die Zona reticularis mit netzf<strong>ö</strong>rmiger Gestaltung<br />

bildet Cortison und Cortisol sowie geringe Mengen<br />

von Östrogenen und Androgenen.<br />

Das Nebennierenmark unterliegt nach dem Tode<br />

einem raschen Aulolyseprozcß. Die Zellen stammen<br />

von den Sympathikoblasten der Neuralleiste (sympa<br />

thisches Paraganglion) ab und weisen intrazytoplasmatische<br />

Granula auf, die nach Fixierung mit einem<br />

chromhaltigen Mittel einen braunen Farbton anneh<br />

men. Adrenalinhaltige Zellen zeigen eine positive<br />

Saure-Phosphatase-Reaktion, noradrenalinhaltige Zel<br />

len eine Eigenfluoreszenz.


B. Anatomie<br />

6 Endokrines Pankreas<br />

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Abb. B-10: Endokrines Pankreas, a) Langerhans-Insel nach Versilberung (Grimelius-Fbg.). In der Inselperipherie stellen sich<br />

die A-Zellen dar. b) Insulinproduzierende Inselzellen. Immunhistochemie. c) Chromograninexpression in einer Langerhans-<br />

Insel mit stärker gefärbten A-Zellen in der Peripherie. Immunhistochemie. d) Somatostatinzellen in einer Insel. Diffusion des<br />

Sekretionsprodukts auf benachbarte Zellen. Immunhistochemie.<br />

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Im exokrinen Gewebe des Pankreas eingebettet finden<br />

sich beim Erwachsenen bis 1,5 Millionen endokrin<br />

wirksame Langerhans-Inseln. Dabei handelt es sich<br />

um 50 bis 250 um im Durchmesser große Inseln, die -<br />

als Inselorgan - ein Gesamtgewicht von 1 g erreichen<br />

und ca. 1 bis 2% der gesamten Pankreasmasse ausma<br />

chen. Man unterscheidet Inseln vom kompakten Typ,<br />

die sich deutlich vom exokrinen Pankreasgewebe<br />

abheben und bevorzugt in den K<strong>ö</strong>rper- und Schwanz<br />

regionen vorkommen. Im Kopfbereich sind die Inseln<br />

bandf<strong>ö</strong>rmig angeordnet (Mäander-Typ) und bestehen<br />

überwiegend aus PP-Zellen. Gr<strong>ö</strong>ße, Zahl und Vertei<br />

lung der Inseln unterliegen großen Schwankungen.<br />

Hypertrophische bzw. hyperplastische Inseln sind über<br />

300 um groß, von Rieseninseln spricht man ab einem<br />

Durchmesser von 400 pm.<br />

Die Langerhans-Inseln sind reich an Sinusoiden. Eine<br />

bis drei Arteriolen versorgen jede Insel und enden als<br />

fcncstrierte Kapillaren. Die Transitstrecke zwischen<br />

der Inselzelle und dem Blut besteht aus den Basal<br />

membranen der Zelle und der Kapillare, die ein inter<br />

stitielles Gewebe mit kollagenen Fasern, elastischen<br />

Fasern und Fibroblasten einschließen.<br />

Bei der Differenzierung der verschiedenen Zelltypen<br />

haben immunhistochemische Methoden mit wenigen<br />

Ausnahmen (Grimclius-Färbung) die Spezialfärbungen<br />

(PTAH-Fbg., Aldehyd-Fuchsin-Fbg., Rhodocyan-Fbg.)<br />

und die aufwendige clektronenmikroskopische Unter<br />

suchung weitgehend abgel<strong>ö</strong>st. Man unterscheidet:<br />

■ Alpha-Zellen (A- oder glukagonproduzierende Zel<br />

len), die vorwiegend in der Inselperipherie zu finden<br />

sind und sich durch ihre Argyrophilie in der Grimelius-Färbung<br />

sowie immunhistochemisch selektiv<br />

darstellen lassen. Sie kommen nur in den kompak<br />

ten Inseln vor und machen ca. 20% aller Zellen aus.


10 Endokrines System<br />

■ Beta-Zellen (B- oder insulinproduzierende Zellen)<br />

stellen bis zu 80% der Inselzellen dar, liegen zentral<br />

und produzieren Insulin. In der Aldehyd-Fuchsin-<br />

Färbung stellen sie sich purpurrot dar.<br />

■ Delta-Zellen (D- oder somatostatinproduzierende<br />

Zellen) machen ca. 8% der Inselzellen aus, bilden<br />

Somatostatin und sind schwach argyrophil.<br />

■ Weitere pankreatische Zellen, die Gewebshormone<br />

produzieren, sind: Delta-l-Zellen (VIP = vasoaktives<br />

intestinales Peptid). Als P-Zelle bezeichnet man<br />

bombesinproduzierende Zellen, die nur im fetalen<br />

Pankreas nachgewiesen wurden. PP-Zellen (früher<br />

F-Zellen) bilden das pankreatische Polypeptid (PP).<br />

Sie sind schwach Grimelius-positiv, zeigen 170 nm<br />

große neurosekretorische Granula und sind vorwie<br />

gend im Pankreaskopf der Feten zu finden. Verein<br />

zelt kommen auch EC-Zellen vor.<br />

Die Zellerneuerung der Langerhans-Inseln findet<br />

über eine Replikation (Mitose funktionell differenzier<br />

ter Zellen) statt. Man rechnet mit ca. 10 Mitosen pro<br />

100 Inseln. Als Inselneolbrmation bezeichnet man die<br />

Neubildung einer Insel: Sie geht aus einer umschriebe<br />

nen Proliferation von sog. Stammzellen im Gangepithel<br />

hervor. Diese Zellen kommen m<strong>ö</strong>glicherweise auch in<br />

der Insel vor und sind durch spärliche sekretorische<br />

Granula gekennzeichnet. Bei einer entsprechenden<br />

Stimulierung (z. B. durch Ausfall von Pankreasparenchym)<br />

kommt es zunächst zu einer intrainsulären,<br />

später zu einer extrainsulären Hyperplasie und somit<br />

zur Inselneolbrmation. Unter pathologischen Bedin<br />

gungen entwickelt sich eine multifokale Proliferation<br />

endokrin differenzierter Gangzellen. Dieser Prozeß<br />

wird als Nesidioblastose bezeichnet und ist das mor<br />

phologische Korrelat der idiopathischen Hypoglyk<br />

ämie bei Kleinkindern. Der Inselhypertrophie, bei der<br />

die Inselvergr<strong>ö</strong>ßerung lediglich Folge der Vergr<strong>ö</strong>ße<br />

rung einzelner Inselzellen ist, kommt nur eine unter<br />

geordnete physiologische und physiopathologische<br />

Bedeutung zu.<br />

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Abb. B-ll: Neuroendokrine Zellen (*—) in einem exokrinen<br />

Pankreasgang (P). Grimelius-Vcrsilberung.<br />

*


B. Anatomie 1<br />

7 Neuroendokrines System<br />

Gastroenteropankreatisches Zellsystem (GEP)*<br />

Zelle Lokalisation Sekretion Gr<strong>ö</strong>ße und Form der Granula<br />

A Pankreas, Drüsenmagen Glukagon 200-450 nm, rund<br />

B Pankreas Insulin 200-450 nm. pleomorph<br />

D Pankreas, Magen,<br />

Somatostatin<br />

200-450 nm. rund<br />

Dünn-/Dickdarm<br />

I). Pankreas, Magen, Darm VIP1<br />

EC, Diinn-/Dickdarm Serotonin, Substanz P 350-400 nm, stark pleomorph<br />

EC2 Duodenum, oberes Ileum Motilin, Histamin?<br />

ECn DiinnVDickdarm 5-HT, Kallikrein?, Prostaglandine?<br />

ECL Drüsenmagen 5-HT, Histamin 300-500 nm, rund bis pleomorph<br />

G Magenantrum, Dünn Gastrin<br />

200-400 nm. rund<br />

darm, Pankreas<br />

IG Duodenum, Dünndarm Gastrin 200-400 nm, rund<br />

I Duodenum, Dünndarm CCK{, Pankreozymin 250-350 nm, unregelmäßig<br />

K Dünndarm GIP4 300-350 nm, rund<br />

L Dihin-/Dickdarm Glicentin (glukagonähnliches Peptid) 260 nm, rund<br />

Mo Dünndarm Motilin<br />

N Dünndarm Neurotensin 300 nm, rund<br />

P Magen, Dünndarm Bombesin<br />

100-400 nm, rund<br />

Pankreas2<br />

P Pankreas pankreatisches Polypeptid 150-170 nm, rund<br />

S Dünndarm Sekretin 200 nm, rund<br />

* In Anlehnung an Bloodworth (1988).' VIP = vasoactive intestinal peptide;l bei Feten;A CCK = Cholezystokinin;4 GIP = gastric<br />

inhibitory peptide<br />

Das neuroendokrine System umfaßt<br />

- Zellgruppen, die Organe (Hypophyse, Epithel<br />

k<strong>ö</strong>rperchen, Paraganglion) oder Teile von Organen<br />

(Nebennierenmark, C-Zellen der Schilddrüse, Pan<br />

kreas) bilden. Steroidproduzierende Zellen der<br />

Nebennierenrinde, des Hodens und des Ovars sowie<br />

die Follikelzellen der Schilddrüse werden nicht zu<br />

diesem System gezählt.<br />

- isoliert vorkommende Zellen (»helle, gelbe oder<br />

parakrine Zellen«, enterochromaffine Zellen, basis<br />

granulierte azidophile Zellen, chromaffine Zellen,<br />

argentaffin/argyrophile Zellen), die das diffuse neu<br />

roendokrine System (DNS, diffuses endokrines<br />

Organ [Feyrterl, APUD-System [PearseJ) darstellen.<br />

Sie kommen bevorzugt im Magen-Darm-Trakt und<br />

im Pankreas vor und bilden - zusammen mit dem<br />

endokrinen Pankreas - das gastroenteropankreatische<br />

(GEP) System, das als gr<strong>ö</strong>ßtes endokrines<br />

Organ des Organismus anzusehen ist. Außerdem<br />

lassen sie sich in den Gallenwegen, Atemwegen, in<br />

der Haut und in verschiedenen anderen Organen<br />

(Leber, Niere, Hoden, Ovar, Mamma, Kehlkopf u. a.)<br />

nachweisen. Ihre Bezeichnungen gehen auf ver<br />

schiedene Einteilungsprinzipien zurück: Alphabeti<br />

sche Reihenfolge der Entdeckung, Gr<strong>ö</strong>ße der Densecore-Granula<br />

[L-Zelle = large granulated cells;<br />

S-Zelle = small granulated cells) oder Funktion<br />

(G-Zelle = gastrinproduzierende Zelle im Magen).<br />

Diese Zellen k<strong>ö</strong>nnen Hormone, biologische aktive<br />

Amine oder Substanzen bilden, die als Neurotrans<br />

mitter bzw. parakrin wirksam sind.<br />

Die Zellen des neuroendokrinen Systems lassen sich<br />

durch bestimmte färberische Eigenschaften (Versilbe<br />

rung), immunhistochemische Marker oder elektronen<br />

mikroskopische Befunde erfassen und differenzieren.<br />

Am sichersten gelingt die Identifizierung durch den<br />

immunhistochemischen Nachweis von intrazellulären<br />

Hormonen. Allerdings zeigen einige Zellen mit neuro<br />

endokrinen Eigenschaften (z. B. eine positive NSEoder<br />

Chromograninreaktion) keine Hormonproduktion<br />

bzw. sie ist bis heute nicht identifiziert worden. An<br />

dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, daß die<br />

Annahme eines neuroektodermalcn Ursprungs wahr<br />

scheinlich nicht für alle Zellen zutrifft. Die gastrointestinalen,<br />

endokrin aktiven Zellen sind wahrscheinlich<br />

Abk<strong>ö</strong>mmlinge des Entoderms.


12 Endokrines System<br />

Eigenschaften der neuroendokrinen Zellen<br />

- Versilberung: Verschiedene Zelltypen sowie die aus<br />

ihnen hervorgehenden Tumoren sind Grimeliusbzw.<br />

Masson-Fontana-Färbung-positiv.<br />

- Immunhistochemische Marker: Die neuronspeziflsche<br />

Enolase (NSE, y-Enolase) ist hoch sensitiv, aber<br />

wenig spezifisch. Besonders das Chromogranin A ist<br />

von diagnostischer Bedeutung. Die Zelle.xpression in<br />

einem Tumor ist sehr unterschiedlich. So kann sie<br />

beim kleinzelligen Bronchialkarzinom nur sehr<br />

gering sein oder fehlen. Weitere Marker sind Synaptophysin<br />

und Bombesin.<br />

- Elektronenmikroskopisch lassen sich intrazytoplasmatische<br />

sekretorische Granula (Dense core)<br />

finden, die von einer Membran umgeben sind. Ihre<br />

Gr<strong>ö</strong>ße schwankt zwischen 50 und 400 nm. Form,<br />

Gr<strong>ö</strong>ße und osmiophile Anfärbbarkeit sind von differentialdiagnostischer<br />

Bedeutung.<br />

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Lokalisation: Die Zellen des DNS k<strong>ö</strong>nnen nur in einem<br />

bestimmten Organ bzw. Abschnitt eines Organs<br />

(A- und B-Zellen in der Langerhans-lnsel, S-Zelle im<br />

Dünndarm) oder weit verbreitet (z. B. die somatostalinproduzierende<br />

D-Zelle im Gastrointestinaltrakt, in<br />

Hypothalamus, Schilddrüse, Langerhans-Inseln und<br />

Hypophyse) vorkommen.<br />

7.1 Adrenales paraganglionäres System<br />

Das Nebennierenmark erreicht erst nach der Geburt<br />

die volle Heile. Es besteht aus chromaffinen Zellen<br />

(Phäochromozyten) und aus neural differenzierten Zel<br />

len (Neuroblasten), die sich zu Ganglienzellen differen<br />

zieren.<br />

7.1.1 Phäochromozyten<br />

Diese Zellen bilden solide oder alveoläre Strukturen. In<br />

ihrem eosinroten Zytoplasma schließen sie Granula<br />

ein, die nach Chromierung (z. B. nach Fixierung mit<br />

einer chromhaltigen Flüssigkeit) im ungefärbten<br />

Schnitt einen braunen Farbton annehmen (in der<br />

Giemsa-Eärbung nehmen sie einen grünen bis gelb<br />

grünen Farbton an). Diese Granula bestehen aus den<br />

Katecholaminen Adrenalin (90%) und Noradrenalin<br />

(10%).<br />

7.1.2 Ganglienzellen<br />

Ganglienzellen kommen - als rein neurale Zellen - nur<br />

vereinzelt zwischen den Phäochromozyten vor.<br />

Typisch sind der große Kern mit prominentem Nukleolus<br />

und das reichlich angelegte Zytoplasma.<br />

7.2 Paraganglien<br />

(Extraadrenales paraganglionäres System)<br />

Das paraganglionäre System geht von der Neuralleiste<br />

aus und ist in Form kleiner Zellgruppen in den Kopf-,<br />

Abb. B-12: Neuroendokrine Zellen in der Magenfundus<br />

schleimhaut, die sich in der immunhistochemischen Chromogranin-Heaktion<br />

dunkelbraun darstellen.<br />

Hals-, Mediastinal-, Peritoneal- und Retroperitonoalregionen<br />

vertreten. In den Extremitäten kommt es<br />

dagegen nicht vor.<br />

7.2.1 Parasympathische Paraganglien<br />

Die oberen Paraganglien (Kopf-, Hals- und Brustbe<br />

reich) werden als parasympathisch oder branchiomer<br />

bezeichnet. Da sie kaum Katecholamine bilden, wur<br />

den sie früher zum nichlchromafflnen System gezählt.<br />

Man nahm an, daß sie von der Gefäßwand oder von<br />

den Perizyten abstammten und nannte sie daher »Glo<br />

mus«. Diese Bezeichnung sollte heute durch »Paragan<br />

glion« ersetzt werden. Beim Paraganglion caroticum<br />

handelt es sich um einen Chemorezeptor, der einen<br />

Abfall des pH und des 02-Partialdrucks im arteriellen<br />

Blut anzeigt. Daher wurden die hier entstandenen<br />

Tumoren auch Chemodektome genannt. Zu den wichti<br />

gen Paraganglien zählen:<br />

■ Paraganglion caroticum, ein knapp 1 mm großes<br />

Kn<strong>ö</strong>tchen an der Aufteilungsstelle der A. carotis<br />

communis.


B. Anatomie 13<br />

■ Paraganglion aorticum an der Vorderseite des Aor<br />

tenbogens im Bereich afferenter Nervenfasern des<br />

N. vagus,<br />

■ ferner kommen regelmäßig kleinere Paraganglien<br />

als Paraganglion pulmonale, Paraganglion lympanicum<br />

et jugulare oder als Paraganglia supraclavia,<br />

supracardialia, laryngeum superior et inferior vor.<br />

7.2.2 Sympathische Paraganglien<br />

Die unteren Gruppen werden durch sympathische<br />

extraadrenale Paraganglien gebildet. Sie kommen im<br />

Bereich des Truncus sympathicus bzw. seiner Nerven<br />

vor. Die gr<strong>ö</strong>ßte Zellgruppe in der Umgebung des<br />

Abgangs der A. mesenterica inferior bis zur Biiürkation<br />

der Aorta wird als Zuckerkandl-Organ (Paragan<br />

glion aorticum abdominale) bezeichnet. Diese Para<br />

ganglien bilden sich bis zum zweiten Lebensjahr nach<br />

der Geburt - wenn das Nebennierenmark seine Reife<br />

erreicht hat - zurück, k<strong>ö</strong>nnen aber (selten) als Paragangliome<br />

wieder proliferieren. Da durch diese Neu<br />

bildungen nur kleine Mengen von Katecholaminen<br />

entstehen, entwickelt sich selten eine Hypertonie.<br />

Die extraadrenalen Paraganglien weisen zwei Zell<br />

typen auf:<br />

- Die Hauptzelle (Zelltyp I) mit den hell- und dunkel<br />

zelligen Varianten. Dabei handelt es sich um 15 um<br />

große Zellen, die chromaffine Granula einschließen.<br />

Sie enthalten vorwiegend Noradrenalin und Dopa<br />

min und sind Neuroenolase-positiv.<br />

- Die Sustentakularzelle (gliose Hüllzelle oder Zell<br />

typ II), ein Abk<strong>ö</strong>mmling der Schwann-Zelle, ist<br />

immunhistochemisch SlOO-positiv und isoliert die<br />

Hauptzelle von anderen Zellen und Gefäßen.<br />

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Abb. B-13: Paraganglion. Oben: Paraganglion caroticum. An<br />

der Aufteilungsstelle der A. carotis communis (unten) in<br />

A.c.interna et externa erkennt man ein knapp 2 mm großes<br />

Kn<strong>ö</strong>tchen (Pfeil). Mitte: Ballenl'<strong>ö</strong>rmig angeordnete Hauptzel<br />

len in der Umgebung kleinerer Blutgefäße. FvG-Fbg. Unten:<br />

Dunkelbraun gefärbte Sustentakularzellen in der Umgehung<br />

von Hauptzellen. SlOO-lmmunhistochemie.<br />

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14 Endokrines System<br />

8 Gonaden<br />

^ * V c ^ V i<br />

Abb. B-14: Männliche Gonaden. Oben: Insell<strong>ö</strong>rmig hyperpla- Abb.B-15: Weibliche Gonaden. Oben: Granulosazellen aus<br />

stische Leydig-Zellen (L) bei Hodenatrophie. HF-Fbg. Unten: einem Follikel. HF-Fbg. Unten: Zellen der Theca interna et<br />

llodenkanälchen bestehen nur noch aus Sertoli-Zellen (Ser- externa des Corpus luteum. HF-Fbg.<br />

toli-cells only syndrome). HF-Fbg.<br />

8.1 Männliche Gonaden<br />

Zu den endokrin gesteuerten Zellen in der männlichen<br />

Keimdrüse geh<strong>ö</strong>ren<br />

■ die Sertoli-Stützzellen. Sie liegen isoliert an der<br />

Innenwand der Samenkanälchen und besitzen<br />

Rezeptoren für das follikelstimulierende Hypophy<br />

senhormon (FSH).<br />

■ Die Leydig-Zwischenzellen sind für die Produktion<br />

der männlichen Sexualhormone (Androgene) ver<br />

antwortlich. Sie werden durch das luteinisierende<br />

Hypophysenhormon (ICSI! = interstitialzellenstimulierendes<br />

Hormon) gesteuert, das von den Androge<br />

nen gebremst wird.<br />

8.2 Weibliche Gonaden<br />

Zu den wichtigsten Hormonproduzenten im weiblichen<br />

Genitale zählen die Zellen des Ovarialfbllikcls bzw. der<br />

Thcka:<br />

■ In den Follikelepithelzellen (Granulosazellen) wer<br />

den Östrogene synthetisiert. Die Reifimg zum Graaf-<br />

Follikel findet unter der Hinwirkung des follikelsti<br />

mulierenden Hormons (FSH) statt.<br />

■ Nach der Ovulation wird der Follikel - unter Einfluß<br />

von luteinisierendem Hypophysenhormon (LH) - in<br />

den Gelbk<strong>ö</strong>rper umgewandelt. Die Granulosaluteinzellen<br />

sezernieren Progesteron und bilden sich<br />

zurück, wenn das durch Ovulation freigesetzte Ei<br />

nicht befruchtet und in die endometrial Schleim<br />

haut eingebettet wird.


C. Physiologie 15<br />

C. Physiologie<br />

1 Prinzipien hormonaler Regulation<br />

sie bei funktionellen Erkrankungen des Magen-<br />

Darm-Trakts vor: ■/.. IL bei der intestinalen Pseu<br />

doobstruktion, dem irritablen Kolon, der habituellen<br />

Obstipation.<br />

Die autokrine Sekretion stellt eine Sonderform der<br />

parakrinen Sekretion dar, bei der die hormonprodu<br />

zierende Zelle gleichzeitig Zielzelle ist.<br />

Bei einer amphikrinen Sekretion bestehen gleich<br />

zeitig eine endokrine und eine exokrine Punktion.<br />

Sie kann in einem Gewebe bzw. Organ (z. B. Pan<br />

kreas. Magen-Darm-Trakt) vorkommen. Auch in<br />

Tumoren kann ein endo-/exokriner Aufbau vorkom<br />

men. Diese Neubildungen werden als Misch- oder<br />

Kombinationstumoren bezeichnet.<br />

Abb. C-l: Auto-, para- und endokrine llormonsekretion<br />

1.1 Hormone als Botenstoffe<br />

1.1.1 Sekretion von Hormonen<br />

Hormone sind Signalsubstanzen, die von spezialisier<br />

ten Zellen gebildet und an die Umgebung abgegeben<br />

werden. Unter Berücksichtigung des Sekretionsmechanismus<br />

unterscheidet man:<br />

- Endokrine Sekretion: Wenn die Botenstoffe mit<br />

dem Blutkreislauf zu entfernten Zielzellen gelangen<br />

und diese beeinflussen, liegt eine endokrine Sekre<br />

tion vor. Sie trifft für Insulin. Gastrin. Sekretin,<br />

Neurotensin und zahlreiche andere! Hormone zu.<br />

- Parakrine Sekretion: Diffundieren die Hormone<br />

über den interstitiellen Raum zu im Gewebe benach<br />

barten Zielzellen, spricht man von parakriner<br />

Sekretion. Als Beispiel ist das Somatostatin zu nen<br />

nen. Ein ähnlicher Mechanismus gilt auch für das<br />

von Mastzellen freigesetzte Histamin sowie für<br />

einige Prostaglandine.<br />

- Eine neurokrine Sekretion kommt bei einigen<br />

Peptidhormonen (Bombesin, VIP, Substanz P und<br />

Enkephalinen) vor. Sie werden von Nervenzellen<br />

gebildet und im Bereich der Synapsen freigesetzt.<br />

Die klinische Bedeutung einer entsprechenden St<strong>ö</strong><br />

rung ist noch nicht geklärt. M<strong>ö</strong>glicherweise kommt<br />

Von den parakrin sezernierten Hormonen werden die<br />

von Ausläufern von Nervenzellen freigesetzten und<br />

lokal, z.T. über spezielle! Kontaktstellen (Synapsen) auf<br />

die Zielzellen wirkenden Neurotransmitter und Neuromodulatoren<br />

abgegrenzt. Der Übergang zwischen<br />

den beiden Klassen von Botenstoffen ist jedoch flie<br />

ßend, und zahlreiche Hormone k<strong>ö</strong>nnen auch Neuro<br />

transmitter- bzw. Ncuromodulalorfunklionen aus<br />

üben.<br />

Viele Hormone k<strong>ö</strong>nnen von den Drüsenzellen auf<br />

Vorrat synthetisiert und, z.T. in Form von Vorstufen,<br />

in intrazellulären Bläschen, den Granula, gespeichert<br />

werden. Auf Freisetzungssignale reagiert die Drüsen<br />

zelle mit einer Fusion der Granula mit der Zellmem<br />

bran und mit einer Ausschüttung des Inhalts der<br />

Granula (Exozytose). In gebundener Form bevorratete<br />

Hormone müssen vor der Freisetzung von ihrem Trä<br />

germolekül abgespalten werden (z. B. Insulin, Thyr<br />

oxin, Adiuretin). Die Steroidhormone und die aus<br />

Fettsäuren, vor allem Arachidoiisäure, gebildeten Hor<br />

mone werden unmittelbar nach der Synthese abgege<br />

ben, so daß die Sekretionsrate der Produktionsrate<br />

entspricht.<br />

Die Steroidhormone, die Schilddrüsenhormone T., und<br />

T3 und manche Wachstumsfaktoren (z. B. der epithe<br />

liale Wachstumsfaktor EGF und Somatomedin C) wer<br />

den im Plasma an Transportproteine gebunden.<br />

Neben dem global, aber mit niedriger Affinität binden<br />

den Albumin enthält das Plasma geringe Mengen<br />

hochaffiner Transportproteine für Schilddrüsenhor<br />

mone (Präalbumin; thyroxinbindendes Globulin, TBG),<br />

für Sexualhormone (sexualhormonbindendes Globulin,<br />

SHBG) und für Kortikosteroide (Transkortin). Durch<br />

die Proteinbindung wird die lokale Verfügbarkeit des<br />

Hormons erh<strong>ö</strong>ht (Nachlieferung bei lokalem Absinken


16 Endokrines System<br />

des niedrigen Spiegels an freiem Hormon) und die<br />

Halbwertszeit der Hormone verlängert (Schutz der<br />

zirkulierenden Hormone vor Inaktivierung). Außer<br />

dem kann das Bindungsprotein eine bevorzugte Anlie<br />

ferung der gebundenen Hormone an bestimmte<br />

Organe wie die Leber vermitteln.<br />

1.1.2 Stoffliche Natur von Hormonen<br />

Die Bildung der meisten Hormone geht von Aminosäu<br />

ren aus. Durch Modifikation der Aminosäure Tyrosin<br />

werden im Nebennierenmark Dopamin, Noradrenalin<br />

und Adrenalin, in der Schilddrüse Thyroxin (T4) und<br />

Trijodthyronin (TH) gebildet. Aus Histidin kann Hist<br />

amin und aus 5-tIydroxytryplophan k<strong>ö</strong>nnen Serotonin<br />

und Melatonin synthetisiert werden.<br />

Durch Kopplung von mehreren Aminosäuren entste<br />

hen die Peptid- und Proteohormone. Die kürzeste<br />

Kettenlänge weist das aus drei Aminosäuren beste<br />

hende Thyreotropin-Releasing-Hormon (TBH) auf,<br />

gefolgt von den aus fünf Aminosäuren gebildeten<br />

Enkephalinen aus der Gruppe der Opioiden Peptide.<br />

Zur Gruppe der Peptic/hormone mit S bis 12 Aminosäu<br />

ren geh<strong>ö</strong>ren Hormone, die in Nervenzellen des Hypo<br />

thalamus gebildet werden (Oxytocin, Adiuretin, Gonadotropin-Beleasing-Hormon),<br />

Enlero- bzw. Neuropep<br />

tide (Cholezystokinin-8, Substanz P), die Kinine, die<br />

Angiotensine und das Thymushormon Thymulin.<br />

Ebenso heterogen ist die Gruppe der Peptidhormone<br />

mit 17 bis 45 Aminosäuren, zu der die meisten Enterohormone<br />

(u. a. Gastrin, Sekretin, pankreatisches Poly<br />

peptid), das adrenokortikotrope Hormon ACTH, die<br />

hypothalamischen Releasing-Hormone für Somatotro<br />

pin (SRI!) und für ACTH bzw. Corticotropin (CRH), die<br />

Opioiden Peptide Dynorphin und ß-Endorphin, das<br />

atriale natriuretische Hormon (ANH) und das Kalzitonin<br />

der Schilddrüse zu rechnen sind. Peptide mit 50 bis<br />

70 Aminosäuren sind Insulin und die meisten VVachstumsfaktoren<br />

wie Somatomedin C oder der epitheliale<br />

Wachstumsfaktor (EGF). Den Übergang zu den großen<br />

Proteohormonen bildet das Parathormon der Bei<br />

schilddrüsen, dessen aktive Form aus 84 Aminosäuren<br />

besteht. Proteohormone mit 150 bis 200 Aminosäuren<br />

sind u.a. Wachstumshormon (Somatotropin), Prolaktin<br />

und Erythropoietin.<br />

Muttersubstanz der Steroidhormone ist das vom Orga<br />

nismus synthetisierte oder mit der Nahrung aufgenom<br />

mene Cholesterin. Aus ihm k<strong>ö</strong>nnen die Gluko- und<br />

Mineralkortikoide der Nebennierenrinde und die<br />

Sexualhormone gebildet werden. Die Bildung einer<br />

weiteren Gruppe von Botensloffen geht von mehrfach<br />

ungesättigten Fettsäuren mit 20 C-Atomen Ketten<br />

länge, insbesondere der Eikosatetraensäure (Arachidonsäure),<br />

aus. Die Eikosanoide lassen sich in die<br />

Gruppen der Prostaglandine, der Leukotriene und der<br />

Lipoxine unterteilen. In weiterem Sinne k<strong>ö</strong>nnen auch<br />

die als Botenstoffe dienenden Purine, wie Adenosin,<br />

ADP und ATP, zu den Hormonen gerechnet werden.<br />

1.1.3 Hormonrezeptoren<br />

Hormone werden durch für sie hochaffine Eiweißmole<br />

küle der Zielzelle, die als Rezeptoren bezeichnet wer<br />

den, gebunden. Die Rezeptoren der meisten Hormone<br />

sind in die Zellmembran eingebaute Glyko- oder Lipo<br />

proteine, die ständig abgebaut und erneuert werden.<br />

Für ein und dasselbe Hormon kann es unterschiedliche<br />

Membranrezeptoren geben (z. B. u- und ß-Rezeptoren<br />

für Adrenalin), und ein Rezeptor kann verschie<br />

dene strukturell verwandte Signalmoleküle binden<br />

(z.B. ein ß-Adrenozeptor neben Adrenalin auch Nor<br />

adrenalin, Dopamin und künstliche Botenstoffe wie<br />

Isoproterenol). Zum Teil kann die Bindung ohne<br />

gleichzeitige Aktivierung des Rezeptormoleküls erfol<br />

gen (Prinzip der kompelitiven Hemmung der Hormon<br />

wirkung, /.. B. ß-Rezeptoren-BIockade durch Propra<br />

nolol).<br />

Die Rezeptoren der lipophilen, gut membrangängigen<br />

Steroidhormone liegen im Zellinnern, ebenso die<br />

Rezeptoren für Trijodthyronin bzw. Thyroxin. Die Exi<br />

stenz von intrazellulären Rezeptoren schließt ande<br />

rerseits eine Membranwirkung dieser Hormone nicht<br />

aus. Steroidhormone z. B. k<strong>ö</strong>nnen an Nervenzellen und<br />

Leberzellen auch membranvermittelte Effekte aus<br />

l<strong>ö</strong>sen.<br />

1.1.4 Prinzip der Signaltransduktion<br />

Um an der Zielzelle die gewünschte Wirkung auszul<strong>ö</strong><br />

sen, muß (ausgehend vom Rezeptormolekül) eine<br />

Transduktion des hormonellen Signals, d.h. eine<br />

Umsetzung in eine den Zellstoffwechsel beeinflussende<br />

interne Reaktion erfolgen. Zur Vermittlung und nicht<br />

zuletzt auch zur Verstärkung der Botschaft dienen<br />

zelleigene Signalsysteme. Endziel ist eine Verände<br />

rung der Zellfunktion durch Beeinflussung intrazellu<br />

lärer Enzyme, kontraktiler Proteine oder Membran<br />

proteine (z. B. Transport- oder Kanalproteine). M<strong>ö</strong>glich<br />

ist eine solche Beeinflussung durch<br />

- Änderung der Proteinkonformation,<br />

- kovalenle Modifikation von Proteinmolekülen,<br />

- Stimulation von Synthese oder Abbau von Funk<br />

tionsproteinen.<br />

Am raschesten (ggf. innerhalb von Millisekunden)<br />

führt eine Beeinflussung der Proteinkonformation<br />

(z.B. Abdissoziation oder Inaktivierung einer hem<br />

menden Untereinheit eines komplexen Enzymmoleküls<br />

durch Bindung eines Ions oder eines anderen Proteins)<br />

zum Erfolg. Mehr Zeit (Sekunden bis Minuten) ben<strong>ö</strong>tigt<br />

die chemische, kovalente Modifikation von Funktions<br />

proteinen z. B. durch Anlagerung oder Abspaltung von<br />

Phosphatgruppeii durch Proteinkinasen bzw. Phos<br />

phatasen (Interkonversion). Noch länger dauert es, bis<br />

die intrazelluläre Konstellation der Funktionsproteine<br />

durch Produktionsanregung (Induktion) oder -hemmimg<br />

geändert ist.


C. Physiologie 17<br />

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H R<br />

— i —<br />

Kr)<br />

Zellkern<br />

Boten-RNA<br />

Induktion<br />

Millisekunden<br />

Änderung der Zellfunktion<br />

Sekunden bis Minuten<br />

Stunden bis Tage<br />

Abb.C-2: Intrazelluläre Mechanismen der Vermittlung von Hormonwirkung<br />

Zwischen den Initialprozeß der Rezeptoraktivierung<br />

und die Funktionsänderung der Zelle sind Signalsy<br />

steme eingeschaltet, in denen mit Hilfe von Botenstol<br />

len der zweiten Generation (»second messenger«) die<br />

Information weitergegeben und verstärkt werden<br />

kann. Die wichtigsten Second messenger sind Ca++-<br />

Ionen und die zyklischen Nukleotide 3',5'-Adenosinmonophosphat<br />

(cAMP) und 3',5'-Guanosinmonophosphat<br />

(cGMP).<br />

1.1.5 Kalziumsignalsystem<br />

Erster Schritt der Aktivierung des Kalziumsignalsy<br />

stems ist eine Anhebung der intrazellulären Konzen<br />

tration freier Ca++-lonen, die normalerweise niedriger<br />

als 10~' mmol/l ist. Der Anstieg des intrazellulären<br />

Ca++-Spiegels kann durch vermehrten Ca*'-Einstrom<br />

durch die Zellmembran oder durch Ca++-Freisetzung<br />

aus intrazellulären Speichern herbeigeführt werden.<br />

Ein Hormon kann eine Steigerung des Ca++-Einstroms<br />

durch die Zellmembran bewirken über<br />

- Öffnung von Ca++-Kanälen, deren Kanalprolein eine<br />

Hormonbindungsstclle besitzt (rezeptorgesteuerte<br />

Kanäle),<br />

- Aktivierung von GTP-bindenden Membranproteinen<br />

(sog. G-Proteine) durch den Hormonrezeptor mit<br />

anschließender Öffnung G-Protein-gesteuerter Ca++-<br />

Kanäle,<br />

- Depolarisation der Zellmembran durch Öffnung von<br />

rezeptorgesteuerten Na+-Kanälen oder Schließung<br />

von rezeptorgesteuerten K+-Kanälen mit anschlie<br />

ßender Öffnung membranpotentialsensitiver (span<br />

nungsgesteuerter) Ca++-Kanäle,<br />

- Aktivierung einer Proteinkinase durch den Hormon<br />

rezeptor und Öffnung des Ca++-Kanals durch Phos<br />

phorylierung des Kanalproteins.<br />

Hormone k<strong>ö</strong>nnen nach Bindung an ihren Rezeptor eine<br />

Freisetzung von Ca++ aus intrazellulären Speichern,<br />

insbesondere aus dem endoplasmatischen Retikulum,<br />

ausl<strong>ö</strong>sen, wenn sie in der Zellmembran die Freisetzung<br />

des intrazellulären Botenstoffs Inositoltrisphosphat<br />

(IP3) anregen. Die Bildung von IP3 erfolgt durch Spal<br />

tung des Membranphospholipids Phosphatidylinositol-<br />

4,5-bisphosphat durch eine Phospholipase C, bei deren<br />

Aktivierung durch Hormonrezeptoren wiederum GTPbindende<br />

Membranproteine (G-Proteine) mitwirken.


18 Endokrines System<br />

Der Anstieg der intrazellulären Ca++-Aktivität führt zur<br />

Anlagerung von Ca++ an kalziumbindendc Proteine, die<br />

dadurch ihre Konformation und Funktion ändern.<br />

Häufig sind die Rezeptorproteine für Ca** nicht selbst<br />

die Proteine, deren z. B. enzymatische Funktion beein<br />

flußt werden soll, sondern Steuerproteine, die sich<br />

nach Aufsättigung mit Ca++ an das Funktionsprotein<br />

heften und dessen Aktivität steigern oder hemmen.<br />

Wichtigstes intrazelluläres Vermittlerprolein ist das<br />

ubiquitäre Calmodulin, das nach Bindung von vier<br />

Kalziumionen die Fähigkeit zur Beeinflussung z. B. von<br />

Proteinkinasen gewinnt.<br />

Wirkungsweise von Hormonen<br />

Zellmembran<br />

Steroidhormon<br />

Das bei der Abspaltung von IP3 aus dem Phospholipid<br />

entstehende Diacylglycerol (DAG) wirkt ebenfalls als<br />

Botenstoff. Es lagert sich an ein phosphorylierendes<br />

Enzym, die Proteinkinase C an, die dadurch an der<br />

Zellmembran fixiert und gut Ca++-aktivierbar wird.<br />

Über den C-Kinase-Weg kann das Kalziumsignalsy<br />

stem den Phosphorylierungsgrad und damit die Funk<br />

tion von Enzymproteinen direkt beeinflussen.<br />

Funktions<br />

änderung<br />

Protein<br />

synthese<br />

Zwischen dem cAMP- und dem Ca+1-Signalsystem gibt<br />

es zahlreiche Querverbindungen. Beispielsweise kann<br />

eine Zunahme der intrazellulären cAMP-Konzentration<br />

über cAMP-induzierte Phosphorylierung von Ca++-<br />

Kanälen den transmembranären Ca++-Einslrom stei<br />

gern und dadurch den zytosolischen Ca1 '-Spiegel<br />

anheben (Mechanismus der kontraktionssteigernden<br />

Wirkung von Adrenalin über myokardiale ß-Adreno-<br />

Hormon-<br />

Rezeptor-Komplex<br />

DNA<br />

1.1.6 Zyklische Nukleotide als Second messenger<br />

Die aus den energiereichen Phosphaten ATP und GTP<br />

durch Zyklasen gebildeten zyklischen Nukleotide zykli<br />

sches Adenosinmonophosphat (cAMP) und zyklisches<br />

Guanosinmonophosphal (cGMP) sind Botenstoffe, die<br />

über die Aktivierung von phosphorylicrenden oder<br />

dephosphorylierenden Enzymen eine Reihe verschie<br />

dener Wirkungen auf Zellen ausl<strong>ö</strong>sen k<strong>ö</strong>nnen (z.B.<br />

Steigerung der Parathormonfreisetzung in den Drü<br />

senzellen der Beischilddrüsen, Zunahme der Wasserpermeabililät<br />

in den Wandzellen der distalen Nierenkanälchen,<br />

Erschlaffung glatter Muskelzellcn usw.).<br />

Die membranständigen Adenylat- und Guanylatzyklasen<br />

k<strong>ö</strong>nnen durch Hormonrezeptoren, die durch Hormonbindung<br />

aktiviert wurden, stimuliert oder<br />

gehemmt werden. Als Zwischenstufe sind wie beim<br />

C-Kinase-Weg Guaninnukleotid-bindende sog. G-Pro<br />

teine eingeschaltet, die nach Kontakt mit dem aktivier<br />

ten Hormonrezeptor und Bindung von GTP eine hem<br />

mende Untereinheit abstoßen und danach als Aktivato<br />

ren oder Inhibitoren z. B. der Adenylatzyklase wirksam<br />

werden. Bei der Guanylatzyklase gibt es neben der<br />

membranständigen auch eine in Zytosol gel<strong>ö</strong>ste Form,<br />

die durch ins Zellinnere gelangte Botenstoffe, wie<br />

Stickoxid, die Hauptkomponente des vom Gefäßendothcl<br />

sezornierten Erschlaffiingsläktors für die Gefäßmuskulatur,<br />

stimuliert werden kann.<br />

Zellkern<br />

Boten-RNA<br />

Abb.C-3: Zellulärer VVirkungsmechanisnius der Steroid<br />

hormone<br />

zeptoren). Andererseits kann cAMP über eine Stimulie<br />

rung des Ca++-Rücktransports in intrazelluläre Ca++-<br />

Speicher die Ca++-Konzentration absenken (Erschlaf<br />

fung der glatten Gefäßmuskulatur nach ß-Adrenozeplor-Stimulation).<br />

1.1.7 Tyrosinkinasen<br />

Die Rezeptorproteine mancher Hormone (Insulin und<br />

Wachstumsfaktoren, wie Somatomedin C und epithe<br />

lialer Wachstumsiäktor, EGF) entfalten nach Bindung<br />

ihres Hormons an dem ins Zellinnere reichenden<br />

Abschnitt des Rezeptormoleküls selbst Proteinkinaseaktivität.<br />

Sie phosphorylieren proteingebundene Tyrosinreste,<br />

auch solche, die am Rezeptorprotein selbst<br />

sitzen (Autophosphorylierung).<br />

1.1.8 Induktion von Proteinsynthese<br />

Die Steroidhormone und Schilddrüsenhormone (z. B.<br />

Tg) beeinflussen nach Bindung an intrazelluläre<br />

Rezeptoren über den aktivierten Hormon-Rezeptor-<br />

Komplex die Expression der Gene im Kern der Zelle.<br />

Sie k<strong>ö</strong>nnen über vermehrte Bildung entsprechender<br />

Messenger-RNA die Synthese von Funktionsproteinen<br />

stimulieren.


C. Physiologie 19<br />

Hierarchische<br />

Organisation hormoneller Regelkreise<br />

ZNS<br />

Hypothalamus<br />

RH<br />

0 ! l<br />

+ fc<br />

0<br />

Adenohypophyse<br />

I<br />

GH<br />

i<br />

Ell<br />

+<br />

Effektorische<br />

Hormondrüse<br />

Abb. C-4: Schematische Darstellung der Regelungen<br />

und Rückkopplungsschleifen im hypothalamisch-hypophysär-elTektorisehen<br />

System. III = hypothalamische<br />

Hemmiingsfaktoroti: RH = Freisetzungsfaktoren;<br />

GH = glandotrope Mormone; FII = effektorische Hor<br />

mone.<br />

1.1.9 Inaktivierung von Hormonen<br />

Manche in den Extrazellulärraum freigesetzte Hor<br />

mone k<strong>ö</strong>nnen wieder in die hormonbildenden Zellen<br />

aufgenommen und dadurch aus dem Verkehr gezogen<br />

werden. Diese Art der Inaktivierimg ist nur bei weni<br />

gen kleinen Hormonmolekülen (Serotonin. Noradrena<br />

lin) und normalerweise nur bei parakriner Sekretion<br />

m<strong>ö</strong>glich. Zirkulierende Hormone werden durch Spal<br />

tung (Proteolyse der Peptidhormone) oder durch che<br />

mischen Umbau (Oxydierung, Kopplung mit Sulfat<br />

oder Glucuronid) unwirksam gemacht.<br />

Die Halbwertszeit der Aminosäurederivate (Seroto<br />

nin, Histamin, Adrenalin) und der Eikosanoide liegt bei<br />

Sekunden bis Minuten. Eine Ausnahme bilden die<br />

Schilddrüsenhormone Thyroxin und Trijodthyronin,<br />

deren Halbwertszeit mehrere Tage beträgt. Die Halb<br />

wertszeit der Peptidhormone im Blut schwankt zwi<br />

schen Minuten (z.B. Kinine, Angiotensin II, Parathor<br />

mon) bis zu mehreren Stunden (follikelstimulierendes<br />

Hormon, FSH). Bei den Steroidhormonen dauert es 30<br />

bis 60 Minuten, bis der Plasmaspiegel auf die Hälfte<br />

des Ausgangswertes abgefallen ist. Die Steroidhor<br />

mone werden vor allem von der Leber inaktiviert, so<br />

daß ihre Halbwertszeit bei Lebererkrankungen anstei<br />

gen kann. Neben der Leber ist die Niere von besonde<br />

rer Bedeutung für die Inaktivierung und Elimination<br />

von Hormonen (z.B. Insulin).<br />

1.2 Hormonelle Regelkreise<br />

1.2.1 Aufbau von Regelkreisen<br />

Ein Regelkreis entstellt dadurch, daß ein Regler (z.B.<br />

eine endokrine Drüse) eine Information über den<br />

Zustand einer zu beeinflussenden Regelgr<strong>ö</strong>ße erhält,<br />

diese mit einem eingespeicherten oder eingegebenen<br />

Sollwert vergleicht und im Falle einer Abweichung<br />

Korrekturmaßnahmen mit Hilfe von Stellgr<strong>ö</strong>ßen (z.B.<br />

Hormonausschüttung) trifft. Als Beispiel eines hormo<br />

nellen Regelkreises kann die Blutzuckerregulation<br />

durch die insulinproduzierenden B-Zellen der Langerhans-Inseln<br />

der Bauchspeicheldrüse dienen. Ein Blut<br />

zuckeranstieg wird von den B-Zellen mit Hilfe von<br />

Glucoserezeptoren erkannt und mit vermehrter Insu<br />

linfreisetzung beantwortet. Insulin steigert die Auf<br />

nahme von Glucose aus dem Blut in die Muskulatur<br />

und das Fettgewebe und bremst die Neubildung von<br />

Glucose in der Leber. Die Glucosekonzentration im<br />

Blut sinkt wieder ab, und parallel zu ihrer Normalisie<br />

rung verringert sich der Reiz für die Insulinausschüt<br />

tung.<br />

Die Eigenschaft eines Regelkreises, auf eine Abwei<br />

chung der Regelgr<strong>ö</strong>ße vom Sollwert mit einer entge<br />

gengesetzt wirkenden Stellgr<strong>ö</strong>ße zu reagieren, wird als<br />

negative Rückkopplung bezeichnet. Durch negative<br />

Rückkopplung wird die Regelgr<strong>ö</strong>ße nahe dem Sollwert<br />

stabilisiert (Halteregelung).


20 Endokrines System<br />

1.2.2 Hierarchische und vernetzte Regelkreise<br />

Eine Besonderheit des Aufbaus hormoneller Regel<br />

kreise besteht darin, daß die Hormonausschüttung<br />

endokriner Drüsen häufig selbst Gegenstand der Rege<br />

lung durch andere Hormone ist. In der hierarchischen<br />

Organisation werden periphere effektorische Hor<br />

mondrüsen (Nebennierenrinde, Schilddrüse, Sexual<br />

organe) von den glandotropen Hormonen des Hypophysenvorderlappens<br />

gesteuert, deren Ausschüttung<br />

wiederum von neurosekretorisch im Hypothalamus<br />

gebildeten Freisetzungshormonen (»releasing hor<br />

mones«) und Hemmungshormonen (»inhibiting hor<br />

mones«) kontrolliert wird. Die effektorischen Hormone<br />

wirken über eine kurze Rückkopplungsschleife auf die<br />

Freisetzung glandotroper Hormone und über eine<br />

lange auf die hypothalamischen Releasing-Hormone<br />

zurück. Ein übergeordneter Einfluß auf das hierarchi<br />

sche System wird durch das Großhirn (insbesondere<br />

das Frontalhirn und das limbische System) ausgeübt,<br />

wobei der nerval beeinflußte Hypothalamus das Binde<br />

glied darstellt.<br />

Die meisten hormonellen Regelkreise sind nicht isoliert<br />

tätig, sondern besitzen Abschnitte, die auch Bestand<br />

teil anderer Regelkreise sind. Der gemeinsame<br />

Bestandteil kann die Regelgr<strong>ö</strong>ße sein. Der Blutzucker<br />

spiegel z. B. wird nicht nur über das Insulin der B-<br />

Zellen der Langerhans-Inseln, sondern auch über das<br />

Glukagon der A-Zellen, das Adrenalin des Nebennie<br />

renmarks und das Somatotropin der Adenohypophyse<br />

geregelt. Die Überschneidung der Regelkreise, die<br />

einem Blutzuckerabiall entgegenwirken, stellt die<br />

Regelung auch bei Ausfall eines Regelkreises (z. B. der<br />

Adrenalinwirkung bei Behandlung mit ß-Rezeptoren-<br />

Blockern) sicher. Andere Regelkreise besitzen gemein<br />

same Stellglieder. Somatostatin z. B. ist hemmendes<br />

Hormon für die Freisetzung sowohl von Somatotropin<br />

als auch von schilddrüsenstimulierendem Thyreotro<br />

pin im Hypophysenvorderlappen und daneben für<br />

Insulin und Glukagon in der Bauchspeicheldrüse.<br />

Durch diese Querverbindungen entstehen komplexe<br />

Regelsysteme, und ein pharmakologischer Eingriff in<br />

einen Bereich kann ungewollte Wirkungen in anderen<br />

Regelkreisen ausl<strong>ö</strong>sen.<br />

2 Hormone endokriner Drüsen<br />

2.1 Hypothalamisch-hypophysäre<br />

Funktionseinheit<br />

2.1.1 Glandotrope Hormone der Adenohypophyse<br />

Als glandotrope Hormone im engeren Sinne werden<br />

die vier Hormone ACTH (adrenokortikotropes Hormon<br />

bzw. Corticotropin), 'FSH (thyreotropes Hormon bzw.<br />

Thyreotropin), LH-ICSH (luteinisierendes und die<br />

interstitiellen Zellen des Hodens stimulierendes Hor<br />

mon, Lutropin) und FSH (follikelstimulierendes Hor<br />

mon, Follitropin) bezeichnet.<br />

Die Ausschüttung der glandotropen Hormone wird<br />

von Freisetzungs- und Hemmungsfaktoren (Releasingund<br />

Inhibiting-Hormone) kontrolliert. Diese werden<br />

von Nervenzellen in der hypophysiotropen Zone des<br />

Hypothalamus (u. a. Area praeoptica) synthetisiert und<br />

gelangen über die Ausläufer der Neurone in die Eminentia<br />

mediana des Hypothalamus, von der der Hypo<br />

physenstiel abgeht. Bei Erregung der neurosekretorischen<br />

Nervenzellen werden die Releasing-Hormone in<br />

der Eminentia mediana freigesetzt, diffundieren in die<br />

Kapillaren und werden mit dem Blut über zwischenge<br />

schaltete Venen in ein zweites Kapillarnetz transpor<br />

tiert, das den Hypophysenvorderlappen durchzieht<br />

(Pfortaderkreislauf der Hypophyse). Zur Aktivierung<br />

der speziellen, jeweils auf die Produktion eines glando<br />

tropen Hormons ausgerichteten Zellen der Adenohypo<br />

physe reichen minimale Mengen (Nanogramm) von<br />

Releasing-IIormonen aus.<br />

Releasing-Hormone für die Freisetzung von ACTH<br />

sind das CRH (Corticotropin-Releasing-Hormon) und<br />

das von denselben hypothalamischen Nervenzellen<br />

gebildete und zusammen mit CRH in den Pfortader<br />

kreislauf der Hypophyse ausgeschüttete ADH (Adiuretin,<br />

Arginiii-Vasopressin), das außerdem als effektori<br />

sches Hormon im Ilypophysenhinterlappen freigesetzt<br />

wird. Ein hypothalamisches Hemmungshormon für die<br />

ACTH-Freisetzung ist noch nicht nachgewiesen wor<br />

den. Die Ausschüttung von CRH und ADH erfolgt<br />

intermittierend (5 bis 8 Pulse pro Tag) und weist<br />

außerdem eine zirkadiane Periodik mit einem Maxi<br />

mum am frühen Vormittag auf. Durch einen Anstieg<br />

der ACTH-abhängig produzierten Glukokortikoide der<br />

Nebennierenrinde wird sowohl die CRH-Freisetzung<br />

als auch die Wirkung von CRH auf die ACTH-Produktion<br />

gehemmt (lange und kurze Schleife der negativen<br />

Rückkopplung im Regelkreis). Diese Hemmung kann<br />

auch durch synthetische Kortikosteroide, wie Dexamethason,<br />

bewirkt werden (Dexamethasonhemmungstest<br />

zur Funktionsprüfung der hypothalamisch-hypophysären<br />

Steuerung der Nebennierenrindenfunktion).


C. Physiologie 21<br />

Sehnervenkreuzung<br />

Arterie<br />

Neurohypophyse<br />

Wasser<br />

resorption<br />

^ «■<br />

Antidiuretisches<br />

Hormon<br />

Niere<br />

Uterus<br />

Oxytocin<br />

Jk<br />

Kontraktion<br />

Brustdrüse<br />

Sekretion<br />

ACTH<br />

V I _ _ ▶<br />

V<br />

TSH<br />

▶<br />

Nebennierenrinde<br />

Schilddrüse<br />

Follikelentwicklung -—r--»<br />

K F S H - ^ O v a r<br />

<<br />

Wachstum<br />

MM«' «.<br />

Prolaktin-<br />

Epiphysenplatte<br />

Wachstumshormon STH<br />

via Somatomedin<br />

><br />

Spermato<br />

genese<br />

LH<br />

Ovulation<br />

<<br />

Hoden<br />

Ovar<br />

Hoden<br />

Abb.C-5: Hypothalamisch-hypophysäre Funktionseinheit mit peripherer Wirkung der in der Hypophyse freigesetzten<br />

Hormone


22 Endokrines System<br />

ACTH liegt intrazellulär als Teil eines gr<strong>ö</strong>ßeren Vorläuferpeptids,<br />

des Proopiomelanocortins (POMC), vor,<br />

aus dem es vor der Sekretion abgespalten wird. Zu den<br />

weiteren Bruchstücken des POMC geh<strong>ö</strong>rt das ß-Endorphin,<br />

das als Opioides Peptid selbst ein Botenstoff ist.<br />

Das ß-Endorphin wirkt hemmend auf die CRH-induzierte<br />

ACTII-Freisetzung in der Hypophyse (ultrakurze<br />

Schleife der negativen Rückkopplung).<br />

Die Ausschüttung des schilddrüsenanregonden TSH<br />

wird durch das stimulierende Thyreotropin-Releasing-Hormon<br />

(TRII) und durch die inhibitorischen<br />

Hormone Dopamin und Somatostatin kontrolliert. Die<br />

effektorischen Schilddrüsenhormone Thyroxin und<br />

Trijodthyronin hemmen die Sekretion von TSH in der<br />

Adenohypophyse und (in geringem Ausmaß) auch die<br />

Produktion von TRII im Hypothalamus. Außerdem<br />

bestellen Querverbindungen zu anderen Ilormonsystemen.<br />

Östrogene f<strong>ö</strong>rdern und Somatotropin hemmt die<br />

TSH-Freisetzung. Im Plasma hat TSH eine Halbwerts<br />

zeit von etwa einer Stunde.<br />

Für die Sexual-Glandotropine LH-ICSII und FSH bil<br />

det der Hypothalamus einen gemeinsamen Freiset<br />

zungsfaktor, das Gonadotropin-Releasing-Hormon<br />

(GnRH). Wegen seiner überwiegenden Wirkung auf<br />

die LH-Sekretion wird GnRH auch als LII-RH bezeich<br />

net. GnRH wird (neben einer geringen basalen Sekre<br />

tion) stoßweise alle 30 bis 120 Minuten ausgeschüttet.<br />

Amplitude und Frequenz der GnRH-Pulse werden<br />

außer durch Rückwirkung der effektorischen Sexual<br />

hormone durch hypothalamische Neurotransmitter<br />

beeinllußt (Katecholamine wie Noradrenalin f<strong>ö</strong>rdern,<br />

Opioide Peptide hemmen).<br />

Der Gonadotropinspiegel im Plasma steigt nach Ein<br />

treffen des GnRH-Pulses in der Adenohypophyse rasch<br />

an und fällt dann langsam wieder ab (Halbwertszeit<br />

von LH 30 Minuten, von FSH 300 Minuten). Wenn die<br />

Frequenz der GnRH-Pulse unphysiologisch gesteigert<br />

wird, kommt es zu einer Wirkungsumkehr mit Hem<br />

mung der Gonadotropinbildung. Die effektorischen<br />

Sexualhormone k<strong>ö</strong>nnen auf die hypothalamisch-hypophysäre<br />

Steuerung ihrer Produktion sowohl im Sinne<br />

negativer als auch positiver Rückkopplung einwirken.<br />

Typisch für den letzteren Fall ist die präovulatorische<br />

Phase im Zyklus der erwachsenen Frau, in der ein<br />

Östrogenanstieg zu einer massiven Stimulation der LH-<br />

Freisetzung und damit zur Ausl<strong>ö</strong>sung der Ovulation<br />

führt. Im Rahmen der normalen negativen Rückkopp<br />

lung hemmen die effektorischen Sexualhormone die<br />

LH- und die FSH-Produktion. An der Rückwärtshem<br />

mung der FSH-Sekretion der Adenohypophyse ist ein<br />

weiteres Hormon beteiligt, das FSH-abhängig in Hoden<br />

und Ovar gebildete Inhibin, welches die Bildung von<br />

FSH in der Adenohypophyse bremst.<br />

2.1.2 Effektorische Hormone der Adenohypophyse<br />

In der Adenohypophyse werden das Wachstumshor<br />

mon Somatotropin [somatotropes Hormon (STH) bzw.<br />

»growth hormone« (GH)| und Prolaktin (PRL) syntheti<br />

siert.<br />

Die Ausschüttung von STH wird wie die der glandotro<br />

pen Hormone von hypothalamischen Freisetzungs<br />

und Hemmungshormonen, die über den Pfortader<br />

kreislauf der Flypophyse zum Vorderlappen gelangen,<br />

kontrolliert. Das Freisetzungshormon, als Somatotropin-Releasing-Hormon<br />

(SRH) oder »growth hormone<br />

releasing hormone« (GH-RH) bezeichnet, wird wie<br />

GnRH oder CRH intermittierend (in Schüben) produ<br />

ziert. Seine Ausschüttung kann durch Noradrenalin<br />

oder Adrenalin über u-Rezeptoren gef<strong>ö</strong>rdert und über<br />

ß-Rezeptoren gehemmt werden. Außerdem unterliegt<br />

sie metabolischen Einflüssen. Niedrige BIut-Glucosekonzentration<br />

(Hypoglykämie) und erh<strong>ö</strong>hter Blutspie<br />

gel an Aminosäuren, wie Arginin, regen die SRH-<br />

Freisetzung an, Hyperglykämie hemmt sie. Das Inhihiting-Hormon<br />

für STH, Somatostatin, wird nicht<br />

nur von speziellen hypothalamischen Nervenzellen,<br />

sondern auch von vielen sensorischen und vegetativen<br />

Neuronen und von ins Gewebe z. B. des Magen-Darm-<br />

Trakts eingestreuten Drüsenzellen produziert. Die<br />

Freisetzung von Somatostatin im Hypothalamus wird<br />

von STH und den unter STII-Einfluß gebildeten Somatomedinen<br />

(s.u.) stimuliert (negative Rückkopplung im<br />

hypolhalamisch-hypophysären Regelkreis). Außerdem<br />

steigt sie mit zunehmendem Plasmaspiegel der Schild<br />

drüsenhormone, denn Somatostatin ist als Hemmungshormon<br />

auch in die negative Rückkopplung von den<br />

effektorischen Schilddrüsenhormonen auf die TSH-<br />

Sekretion eingeschaltet (s. o.).<br />

Im Plasma liegt STH z.T. in freier Form, z.T. als<br />

Komplex mit Bindungsproleinen vor. Seine Halbwerts<br />

zeit beträgt 30 bis 60 Minuten. Die h<strong>ö</strong>chsten STH-<br />

Spiegel werden nachts während der ersten Tiefschlaf<br />

phasen beobachtet. Tagsüber ist ein Anstieg von STH<br />

außer bei Hypoglykämie bei schwerer k<strong>ö</strong>rperlicher<br />

Belastung zu registrieren.<br />

Ilauptlunktion des STH ist die Anregung des Wachs<br />

tums im Kindesalter. Diese Wirkung wird hauptsäch<br />

lich durch unter seinem Einfluß (vor allem in der<br />

Leber) gebildete Peptid-Wachstumsfaktoren, die<br />

Somatomedins vermittelt. Wichtigstes dieser Peptide<br />

ist das Somatomedin C, das identisch mit dem insulin<br />

ähnlichen Wachstumsfaktor I (IGF I) ist. Die Somatomedine<br />

regen das Zellwachstum an und stimulieren<br />

die Vermehrung von Chondrozyten und damit die<br />

encliondrale Knochenbildung. Die Stoffwechselwir<br />

kungen von STH (Steigerung der Lipolyse in den<br />

Fettzellen und Begünstigung der Glukoneogenese in<br />

der Leber) stellen wahrscheinlich direkte STH-Effekte<br />

dar.


C. Physiologie 23<br />

Die Sekretionsrate von Prolaktin, dem zweiten effektorischen<br />

Hormon der Adenohypophyse, steht im Gegen<br />

satz zu der anderer Hormone unter vorwiegend inhibitorischer<br />

Kontrolle durch den Hypothalamus. Ilaupthemmungshormon<br />

der Prolaktinbildung ist das (auch<br />

als TSII-IH wirkende) Dopamin. Hemmend wirkt<br />

daneben Somatostatin. Die Funktion des Freisetzungs<br />

hormons wird vom Thyreotropin-Releasing-Hormon<br />

(TRII) und von Neuropeptiden wie VIP, Cholezystokinin<br />

und Substanz P (s. Abschn. 3.2) übernommen. Außer<br />

dem kann die Prolaktinbildung durch Östrogene<br />

gesteigert werden.<br />

Prolaktin stimuliert (im Zusammenwirken mit ande<br />

ren Hormonen) das Wachstum der weiblichen Brust in<br />

Pubertät und Schwangerschaft. Spezifischer Effekt von<br />

Prolaktin ist die Anregung der Milchproduktion der<br />

laktierenden Mamma. Der Saugreiz an der Mamille<br />

führt reflektorisch zu vermehrter Prolaktinproduktion.<br />

2.1.3 Effektorische Hormone der Neurohypophyse<br />

In der Neurohypophyse werden antidiuretisches Hor<br />

mon (ADH) (Adiuretin, Arginin-Vasopressin) und Oxy<br />

tocin sezerniert. Beides sind Neurohormone (Neuro<br />

peptide), deren Vorläuferproteine von Nervenzellen im<br />

Hypothalamus (Nucleus supraopticus und Nucleus<br />

paraventricularis) synthetisiert werden. Die Ausgangs<br />

proteine gelangen unter stufenweiser Aufarbeitung<br />

über die Axone dieser Nervenzellen durch den Hypo<br />

physenstiel in den Hypophysenhintcrlappen. Dort wer<br />

den die Vorläuferproleine gespeichert, die aus dem<br />

Neurohormon und den als Neurophysine bezeichneten<br />

Peptiden bestehen. Bei Erregung der Nervenzelle wird<br />

die Bindung zwischen Neurophysin und Hormon<br />

gespalten, und die Bruchstücke werden freigesetzt. Die<br />

Axone von speziellen, neben ADH auch CRH bildenden<br />

Neuronen enden bereits in der Emincntia mediana des<br />

Hypothalamus, und die dort ausgeschütteten Mormone<br />

erreichen über den Plbrtaderkreislauf der Hypophyse<br />

den Hypophysenvorderlappen (s. Abschn. 2-. 1.1).<br />

ADH und Oxytocin sind auch in Nervenzellen außer<br />

halb des Hypothalamus, in endokrinen Zellen des<br />

Thymus und (vor allem Oxytocin) in den Ovarien<br />

nachgewiesen worden. Vermutlich k<strong>ö</strong>nnen diese Pep<br />

tide auch als Neurotransmitter bzw. Neuromodulatoren<br />

fungieren.<br />

Das antidiuretische Hormon wirkt auf seine Zielzellen<br />

nach Bindung an Vi- oder V2-Rezeptoren der Zellmem<br />

bran (V nach dem zweiten Namen von ADH, Vasopres<br />

sin) über unterschiedliche Mechanismen. Der Vr<br />

Rezeptor leitet die Aktivierung der Zelle über den C-<br />

Kinase-Weg und IP3 ein. Bindung von ADD an den V2-<br />

Rezeptor führt zur Aktivierung der Adenylatzyklase<br />

und Bildung des »second messenger« cAMP. Zum<br />

breiten Wirkungsspektrum von ADH (neben seiner<br />

Wirkung als.Releasing-Hormon) geh<strong>ö</strong>ren<br />

über VpRezeptoren:<br />

Konstriktion der glatten Gefäßmuskulatur, u.a. Ver<br />

minderung der Durchblutung des Splanchnikusgebiets<br />

und auch des Nierenmarks,<br />

Anregung der Reninsekrelion.<br />

■ über Vz-Rezeptoren:<br />

Erh<strong>ö</strong>hung der Wasserdurchlässigkeit der luminalen<br />

Membran von Zellen des distalen Tubulus und des<br />

Sammelrohrs in der Niere, dadurch Konzentrierung<br />

des Urins mit Verminderung der Wasserausschei<br />

dung,<br />

Erh<strong>ö</strong>hung der Permeabilität des Endabschnitts des<br />

Sammelrohrs für Harnstoff (Unterstützung der Urin<br />

konzentrierung durch Aufbau eines Harnstoffgegen<br />

stromsystems im Nierenmark),<br />

F<strong>ö</strong>rderung der Reabsorption von Elektrolyten im<br />

dicken 'Teil des aufsteigenden Schenkels der Henle-<br />

Schleife (bisher nur bei Ratte, Maus und Kaninchen<br />

nachgewiesen),<br />

Hemmung der Reninsekretion im juxtaglomerulärcn<br />

Apparat des Glomerulus,<br />

Stimulation der Synthese von Gerinnungsfaktor VIII<br />

und von-Willebrand-Protein (Thrombozytenadhäsionsprotein<br />

des Subendothels),<br />

Verbesserung der Merkfähigkeit und Gedächtnislei<br />

stung,<br />

Erweiterung der Widerstandsgefäße, Blutdrucksen<br />

kung.<br />

Die Vi-Rezeptoren-Wirkung dominiert im Gefäßsy<br />

stem, die V2-Rczeptoren-Wirkung bei der Beeinflus<br />

sung der Funktion der Nierentubuli (antidiuretische<br />

Hauptlünktion) und der Reninproduktion. Die Wirkung<br />

über die jeweils entgegengesetzte Effekte ausl<strong>ö</strong>senden<br />

Rezeptoren tritt erst bei selektiver Hemmung des<br />

dominanten Rezeptortyps oder bei Einsatz künstlich<br />

hergestellter, Vr oder V2-selektiver Agonisten in Er<br />

scheinung.<br />

Die ADH-Ausschüttung wird vor allem durch die<br />

extrazelluläre Osmolalität gesteuert. Ein Anstieg der<br />

Plasmaosmolalität führt über Erregung von hypothala<br />

mischen Neuronen zu ADII-Freisetzung. Die Schwelle<br />

liegt bei einer Plasmaosmolalität von 285 mosmol/kg.<br />

Bei der normalen Plasmaosmolalität von ca. 290 mosmol/1<br />

besteht demnach ein anhaltender Sekretionsreiz<br />

für ADH. Die Schwelle kann z. B. durch Ethylalkohol<br />

angehoben werden (diuretische Wirkung des Alko<br />

hols). Zur maximalen Aktivierung der ADH-Sekretion<br />

mit Anstieg der Plasmakonzentration von normal ca.<br />

l,5pmoI/I bzw. pg/ml auf ca. 5 pmol/l reicht bereits<br />

eine Zunahme der Osmolalität um 3% (auf ca.<br />

300 mosmol/1) aus. Die Halbwertszeit von ADH im<br />

Plasma liegt bei 25 Minuten.<br />

Die Freisetzung von ADH wird außer durch einen<br />

Osmolalitätsanstieg auch durch eine Abnahme des<br />

extrazellulären Volumens (Hypovolämie) angeregt. Die<br />

Schwelle für die hypovolämische Stimulation liegt rela-


24 Endokrines System<br />

tiv hoch (Abnahme des extrazellulären Volumens um<br />

5 bis 10%). Bei hypovolämisch oder orthostatisch<br />

bedingtem Abfall des arteriellen Drucks kommt es zu<br />

einer reflektorischen Stimulation der ADH-Sekretion,<br />

die von den Pressorezeptoren der A. carotis und der<br />

Aorta ausgeht. Wenn bei hypoosmolalem Plasma die<br />

osmotische Anregung fehlt, kann eine Steigerung der<br />

ADH-Sekretion nur durch Hypovolämie mit erhebli<br />

cher arterieller Hypotonie (Volumenmangelschock)<br />

erzwungen werden. Bei Blutdruckabfall kann die ADH-<br />

Sekretion über das bei Osmolalitätsstcigerung beob<br />

achtete Maß hinaus zunehmen. Bei entsprechend<br />

hoher Plasmakonzcntration kommt die vasokonstriktorische<br />

Wirkung von ADH, die im Rahmen der norma<br />

len Blutdruckregulation eine untergeordnete Rolle<br />

spielt, als wesentlicher Mechanismus für die Zentrali<br />

sation des Kreislaufs (starke Reduktion der Durchblu<br />

tung im Splanchnikusbereich bei geringer Auswirkung<br />

auf den Hirn- und Nierenkreislauf) zum Tragen.<br />

Eine Steigerung des zentralen Blutvolumens (Aufdeh<br />

nung der Lungenstrombahn und der Herzvorh<strong>ö</strong>fe) l<strong>ö</strong>st<br />

beim Hund eine reflektorische Hemmung der ADH-<br />

Ausschüttung aus (Gauer-Henry-Reflex). Beim Men<br />

schen scheinen die kardialen Niederdruckrezeptoren<br />

im Gegensatz zu den arteriellen Pressorezeptoren<br />

keine wesentliche Bedeutung für die Steuerung der<br />

ADH-Sekretion zu haben.<br />

Die Ausschüttung von ADH wird wie die anderer<br />

hypothalamischer Hormone durch Einflüsse des über<br />

geordneten Zentralnervensystems modifiziert. Emotio<br />

naler Streß und starker Schmerz wirken über eine<br />

Stimulation der ADH-Sekretion antidiuretisch. Im<br />

Schlaf ist die ADH-Sekretion erh<strong>ö</strong>ht und entsprechend<br />

die Harnllußrate vermindert. Nikotin und Barbiturate<br />

wirken ebenfalls sekretionsstimulierend. Eine quanti<br />

tativ noch nicht geklärte Bedeutung hat die Anregung<br />

der ADH-Sekretion durch Angiotensin II.<br />

Die einzige gesicherte periphere Wirkung des zweiten<br />

in der Neurohypophyse sezernierten Hormons, des<br />

Oxytocins, ist die Ausl<strong>ö</strong>sung der Milchejektion bei der<br />

laktierenden Mamma durch Konstriktion der myoepi<br />

thelial Zellen der Milchgänge. Oxytocin l<strong>ö</strong>st auch<br />

eine Kontraktion der glatten Muskulatur des graviden<br />

(nicht des nichtgraviden) Uterus aus und kann als<br />

wehenforderndes Mittel eingesetzt werden. Ob jedoch<br />

die maternale oder die letale Oxytocinproduktion eine<br />

wesentliche Rolle für die normale Induktion der<br />

Geburtswehen spielt, ist noch unklar.<br />

2.2 Schilddrüse und Epithelk<strong>ö</strong>rperchen<br />

2.2.1 Bildung und Sekretion von Jodthyroninen<br />

Die beiden Schilddrüscnhormone Thyroxin (Tetrajodthyronin,<br />

T4) und Irijodthyronin (T:1) entstehen in der<br />

Schilddrüse durch Jodierung von an das Protein Thy<br />

reoglobulin gebundenen Tyrosinresten. Zur Sicherstellung<br />

der Schilddrüsenhormonproduktion sollte die<br />

Nahrung täglich 100 bis 300 ug Jod enthalten. Die<br />

Schilddrüsenzellen nehmen Jod in Form von Jodid<br />

durch aktiven, von ATP-Spaltung mit Energie versorg<br />

ten Transport aus dem Blut auf. Der Jodid-Einwärtstransport<br />

kann durch Überangebot von anderen Anionen,<br />

wie von Perchlorat (HCIO4"), blockiert werden. In<br />

der Schilddrüsenzelle wird Jodid oxidiert, und das<br />

entstehende kurzlebige elementare Jod bzw. J3~ wird<br />

an das Schilddrüsenkolloid im Inneren der Schilddrüsenfollikel<br />

abgegeben. Im Kolloid befindet sich das von<br />

den Schilddrüsenzellen synthetisierte Thyreoglobulin,<br />

das auf seiner Oberfläche über 100 Tyrosylreste pro<br />

Molekül aufweist. Im Prozeß der Jodisation entsteht<br />

aus thyreoglobulingebundenem Tyrosin über 3-Monojodtyrosin<br />

3,5-Dijodtyrosin und durch Kopplung von<br />

zwei jodierten Tyrosinmolekülen proteingebundenes<br />

3,5,3',5'-Tetrajodthyronin (Thyroxin, T4). Bei ausrei<br />

chender Jodzufuhr enthält das Kolloid so viel thyreoglobulingebundenes<br />

Thyroxin, daß der Bedarf für etwa<br />

zwei Monate ohne Neusynthese gedeckt werden kann<br />

(Überbrückung von Phasen unzureichender Jodzufuhr).<br />

Eine Hemmung der Schilddrüsenhormonsynthese<br />

führt daher erst nach längerer Zeit zu einem<br />

Abfall des Plasma-T4-Spiegels.<br />

Die von TSH angeregte Freisetzung von Schilddrüsenhormon<br />

(ca. 100 pg/Tag) wird durch Wiederaufnahme<br />

von Thyreoglobulin aus dem Kolloid in die Zelle und<br />

Abspaltung der gebundenen Jodthyronine durch lyso<br />

somal Proteasen eingeleitet. Die ebenfalls freiwer<br />

denden Zwischenstufen (Mono- und Dijodtyrosin) wer<br />

den in der Schilddrüsenzelle dejodiert, und das Jodid<br />

wird zu weiterer Verwendung wieder oxidiert. Die<br />

ausgeschütteten Jodthyronine bestehen zu 70 bis 90%<br />

aus T4 und zu 10 bis 30% aus 3,5,3'-Trijodthyr()nin,<br />

das hauptsächlich sekundär aus T4 durch enzymatische<br />

Monodejodierung in den Schilddrüsenzellen ent<br />

stellt. Die TSH-stimulierle Freisetzung von Schilddrüsenhormon<br />

kann pharmakologisch durch hohe Jodidkonzentration<br />

im Extrazellulärraum gehemmt<br />

werden.<br />

Bildung und Sekretion der Jodthyronine werden auf<br />

allen Stufen (von der Jodidaufnahme in die Zelle über<br />

die Hormonsynthese bis zur Abgabe von Thyroxin) von<br />

dem Thyreotropin (TSH) der Adenohypophyse stimu<br />

liert. Die TSII-Abgabe wiederum wird durch negative<br />

Rückkopplung im hypothalamisch-hypophysär-thyreoidalen<br />

System kontrolliert. Die Rückkopplungshemmung<br />

geht dabei von 'TSH selbst und von den freien,<br />

nicht proteingebundenen Schilddrüsenhormonen (FT3<br />

bzw. FT4) aus. Erst bei erheblicher Abnahme der<br />

Schilddrüsenhormonkonzentration (Abfall um über<br />

30%) läßt die Rückkopplungshemmung mit dem<br />

Ergebnis von zunehmender TSH-Sekretion nach. Bei<br />

anormal hoher FT4- bzw. F'IVKonzentration wird die<br />

TSH-Produktion in der Adenohypophyse so intensiv<br />

gehemmt, daß auch exogen zugeführtes Thyreotropin-<br />

Releasing-Hormon (TRII) nicht zu einer TSH-Freisetzung<br />

führt.


C. Physiologie 25<br />

HOOC-CH-CH2--OH<br />

hJH2 —|<br />

Abb.C-6: Jodumsatz (Pfeile) und Weg der Schilddrüsenhormone im K<strong>ö</strong>rper<br />

2.2.2 Periphere Kinetik der Jodthyronine<br />

Im Plasma sind T4 (ca. 100 ug/l) zu ca. 99,97% und T3<br />

(ca. 1 ug/l) zu etwa 99,7% an Transportproteine [T4:<br />

vor allem an das thyroxinbindende Globulin (TBG) und<br />

Präalbumin, T3: insbesondere an Albumin] gebunden,<br />

und entsprechend liegt nur ein geringer Anteil der<br />

zirkulierenden Hormone in freier Form als FT4 bzw.<br />

FT3 vor. Die Gesamtkonzentration der Hormone hängt<br />

von der Konzentration der Transportproteine ab und<br />

steigt (bei annähernd gleichbleibender freier Konzen<br />

tration) an, wenn z. B. TBG von der Leber unter dem<br />

Einfluß von Östrogenen (kontrazeptive Medikamente,<br />

Schwangerschaft) vermehrt gebildet wird.<br />

T4 hat eine Halbwertszeit von etwa sieben Tagen und<br />

damit eine etwa zehnmal längere Verweildauer im<br />

Plasma als T3. T3 wird von den Zellen leichter und<br />

rascher aufgenommen als T4. Das im Plasma enthal<br />

tene T3 stammt überwiegend nicht aus der Schild<br />

drüse, sondern aus den peripheren Geweben, vor<br />

allem aus der Leber und den Nieren, deren Zellen das<br />

aufgenommene T4 monodejodieren. Dabei entsteht<br />

neben dem hochwirksamen Trijodthyronin in minde<br />

stens gleicher Menge das inaktive reverse 3,3\5'-<br />

Trijodthyronin (rT:{). Ein Teil des intrazellulär gebilde<br />

ten T3 wird an Hormonrezeptoren im Zellkern gebun<br />

den und l<strong>ö</strong>st Funktionsänderungen der Zelle aus, und<br />

das übrige T3 wird in den Blutkreislauf abgegeben. Da<br />

das T3 die wirksamste Form der natürlichen Schilddrü<br />

senhormone darstellt und erheblich besser in die<br />

Zellen eindringen kann als T4, hängt die Versorgung<br />

der Gewebe mit Schilddrüsenhormon außer von der<br />

Hormonfreisetzung der Schilddrüse von dem Verhält<br />

nis ab, in dem peripher T4 zu T3 und rT3 umgesetzt<br />

wird. Bei verminderter Intensität des Gesamtumsatzes<br />

im Stoffwechsel (z. B. bei Gewichtsreduktion durch<br />

entsprechende Diät) wird die periphere Konversion in<br />

Richtung des unwirksamen rT3 gelenkt, und im Plasma<br />

kommt es zu einer Abnahme von T3 bei gleichzeitigem<br />

Anstieg der r'T3-Konzentration. Bei geringer ^-Frei<br />

setzung und Schilddrüsenhormonproduktion domi<br />

niert die Umsetzung in Richtung T3. Dieser Mechanis<br />

mus erlaubt eine zusätzlich zur Regelung über die<br />

hypothalamisch-hypophysär-thyreoidale Achse wirk<br />

same Abstufimg der Schilddrüsenhormonversorgung<br />

der Gewebe.


26 Endokrines System<br />

©<br />

Parathormon<br />

0<br />

©<br />

e<br />

fp04<br />

© ©<br />

^4®<br />

D-Hormon<br />

0<br />

© ©<br />

©<br />

©<br />

©<br />

Ca++]<br />

0<br />

Kalzitonin<br />

©<br />

Abb. C-7: Parathornion - D-Hormon - Kalzitonin:<br />

Zusammenhang und Wechselwirkungen zwischen<br />

der Plasmakonzentration von Ca** und P04~ und<br />

den Steuerhormonen des Kalzium- und Phosphathaushalts<br />

2.2.3 Wirkungen der Jodthyronine<br />

Die Schilddrüsenhormone regen eine vermehrte Bil<br />

dung von cnergieverbrauchenden Funktionsproteinen,<br />

wie der Na7K+-ATPase (Natriumpumpe der Zellmem<br />

bran), an und steigern dadurch den Sauerstoffver<br />

brauch und die Wärmebildung des Organismus. Ent<br />

sprechend führt eine erh<strong>ö</strong>hte Freisetzung von Jodthyroninen<br />

zu einer Grundumsatzsteigerung. Nor<br />

male Schilddrüsenhormonkonzentrationen wirken -<br />

wahrscheinlich über eine Anregung des Einbaus von<br />

Rezeptoren für Wachstumslaktoren - anabol (wachs<br />

tumsf<strong>ö</strong>rdernd), während stark überh<strong>ö</strong>hte Hormonspie<br />

gel einen katabolen Effekt (vermehrter Gewebsabbau<br />

mit negativer Stickstoffbilanz) haben. Im frühen Kin<br />

desalter sind die Schilddrüsenhormone essentiell für<br />

normales Wachstum und normale Entwicklung, insbe<br />

sondere für die Ausreifung des Zentralnervensystems.<br />

Der auch beim Erwachsenen vorhandene Einfluß auf<br />

das Nervensystem zeigt sich u. a. an erh<strong>ö</strong>hter Erreg<br />

barkeit und einer Verkürzung der Reflexzeit von phasi<br />

schen Muskeldehnungsreflexen (z. B. Achillessehnenreflex)<br />

mit zunehmendem Schilddrüsenhormonspiegel.<br />

Die Jodthyronine erh<strong>ö</strong>hen die Empfindlichkeit der<br />

peripheren Gewebe gegenüber dem Einfluß des<br />

sympathischen Nervensystems bzw. des vom Neben<br />

nierenmark ausgeschütteten Adrenalins. Grundlage<br />

dafür ist u. a. eine Anregung der Bildung von ß-<br />

Adrenozeptor-Proteinen. Über eine Sensibilisierung<br />

gegenüber dem Sympathikus, z.T. aber auch direkt,<br />

steigert Schilddrüsenhormon die Herzfrequenz und<br />

das Herzzeitvolumen. Im Stoffwechsel wird u.a. die<br />

Glukoneogenese der Leber gef<strong>ö</strong>rdert.<br />

2.2.4 Kalzitonin und Parathormon<br />

Das von den C-Zellen der Schilddrüse und von endokri<br />

nen Zellen u. a. im Verdauungstrakt gebildete Kalzito<br />

nin und das Parathornion der Beischilddrüsen regeln<br />

zusammen mit dem aktivierten Vitamin D3 (1,25-Dihydroxycholecalcilerol,<br />

D-Hormon) den Kalzium- und<br />

Phosphathaushalt des Organismus.<br />

Die normalerweise geringe Sekretion von Kalzitonin<br />

wird angeregt, wenn der Ca++-Spiegel im Plasma<br />

ansteigt. Sekretionssteigernd (zumindest in pharmako<br />

logischen Dosen) wirken daneben Gastrin, Glukagon,<br />

Östrogene und Adrenalin. Hauptwirkung des Kalzitonins<br />

ist eine Hemmung des Knochenabbaus und damit<br />

eine Absenkung der Plasmakonzentrationen von Kal<br />

zium und Phosphat. In die gleiche Richtung wirkt eine<br />

Steigerung der renalen Kalzium- und Phosphatexkretion<br />

(Hemmung der Reabsorption dieser Ionen in den<br />

Nierentubuli), die aber erst bei sehr hohen Kalzitoninkonzentrationen<br />

zum Tragen kommt. Außerdem f<strong>ö</strong>r<br />

dert Kalzitonin in der Niere die Bildung von D-Hormon<br />

aus 25-Ilydroxycholccalciferol. Welche Bedeutung<br />

Kalzitonin für die physiologische Regulation des Kal<br />

zium- und Phosphatumsatz.es hat, ist noch unklar.<br />

Weder bei starker Abnahme der Kalzitoninproduktion<br />

infolge Thyreoidektomie noch bei Überproduktion<br />

durch einen C-Zellen-Tumor der Schilddrüse kommt es<br />

zu pathologischen Veränderungen des Plasma-Kal<br />

ziums oder der Knochenmasse. Außer auf den Mine<br />

ralhaushalt wirkt Kalzitonin auf die Drüsen im Ver<br />

dauungstrakt. Es hemmt die Sekretion von Magensaft<br />

und Bauchspeichel.


C. Physiologie 27<br />

Die Bildung von Parathornion (PTH) in don Beischilddrüsen<br />

(Epithelk<strong>ö</strong>rperchen) wird durch ein Absinken<br />

der Kalziumkonzentration und durch einen Anstieg<br />

des Phosphatspiegels im Blut angeregt. Zur maximalen<br />

Stimulation reicht bereits eine Verminderung der<br />

Plasma-Kalziumkonzentration um ca. 10%<br />

(0,25 mmol/1) aus. Sowohl die basale als auch die<br />

hypokalzämiebodingte PTH-Sekretion werden durch<br />

Katecholamine (Adrenalin, Dopamin) gef<strong>ö</strong>rdert.<br />

Parathornion steigert die Plasma-Kalziumkonzentra<br />

tion, indem es<br />

- Kalzium aus dem Knochen mobilisiert,<br />

- die renale Kalziumexkretion durch Stimulation der<br />

Reabsorption in den Nierentubuli reduziert,<br />

- die Resorptionsquote des Nahrungskalziums im Ver<br />

dauungstrakt erh<strong>ö</strong>ht.<br />

Bei der Beeinflussung von Knochen, Niere und Darm<br />

wirkt Parathornion mit 1,25-Dihydroxycholecalciferol<br />

(D-Hormon) zusammen bzw. über eine Anregung der<br />

Aktivierung von Vitamin D zum D-Hormon, die in der<br />

Niere durch lu-IIydroxylierung des in der Leber an<br />

Position 25 hydroxylierten Vitamin D3 erfolgt. D-Hor<br />

mon seinerseits bremst bei Konzentrationsanstieg<br />

seine eigene Bildung und die Freisetzung von Para<br />

thormon in den Beischilddrüsen.<br />

Parathormon hemmt die Reabsorption von Phosphat in<br />

der Niere und regelt dadurch den Phosphathaushalt,<br />

der eng mit dem Kalziumhaushalt verknüpft ist (ein<br />

Anstieg der Phosphatkonzentration im Plasma führt<br />

infolge Überschreitung des L<strong>ö</strong>slichkeitsprodukts für<br />

Kalziumphosphat zu einem Abfall des Kalziumspiegels).<br />

Darüber hinaus steigert es die renale Exkretion<br />

von Wasser, Ionen (Na+. K+, Cl~ usw.) und organischen<br />

Substanzen (Glucose, Aminosäuren). Die renale Aus<br />

scheidung von H* und NH4+ dagegen wird durch<br />

Parathormon reduziert.<br />

2.3 Nebenniere<br />

Die Nebenniere bestellt aus zwei funktionell und entwicklungsgeschichtlich<br />

unterschiedlichen Anteilen,<br />

dem die Katecholamine Adrenalin, Noradrenalin und<br />

Dopamin sezernierenden Nebennierenmark und der<br />

Nebennierenrinde. Die Nebennierenrinde produziert<br />

vier Klassen von Steroidhormonen: die Glukokorti<br />

koide mit dem Hauptvertreter Cortisol, die Mineralokortikoide<br />

(hauptsächlich Aldosteron), Androgene und<br />

geringe Mengen an Östrogenen.<br />

2.3.1 Hormone des Nebennierenmarks<br />

Die endokrinen Zellen des Nebennierenmarks sind<br />

ausläuferlose sympathische Ganglienzellen, die von<br />

präganglionären Fasern aus dem sympathischen Ple<br />

xus coeliacus über Synapsen erregt und zur llormonausschüttung<br />

angeregt werden k<strong>ö</strong>nnen. Daß das<br />

Nebennierenmark als eine Art sympathisches Ganglion<br />

im Inneren der ansonsten Steroidhormone produzie<br />

renden Nebenniere liegt, läßt sich teleologisch erklä<br />

ren. Eine ausreichende Bildung der zur Synthese von<br />

Adrenalin aus Noradrenalin notwendigen N-Methyltransferase<br />

bedarf der Induktion durch Glukokorti<br />

koide. Das Blut, das das in der Nebennierenrinde<br />

sezernierte Cortisol aufnimmt, gelangt über die ablei<br />

tenden Venen, die sich im Ncbennicrenmark erneut in<br />

ein Kapillarnetz verzweigen, direkt zu den dortigen<br />

hormonproduzierenden, nach der Anlärbbarkeit als<br />

chromaffin bezeichneten Zellen. Die sonstigen sympa<br />

thischen Ganglien k<strong>ö</strong>nnen (mit Ausnahme weniger<br />

Zellgruppen in retroperitoneal gelegenen Paragan<br />

glien) nur Noradrenalin als sympathischen Überträ<br />

gerstoff synthetisieren, weil ihnen die N-Methyltransferase<br />

fehlt.<br />

Die basale, im ruhigen Liegen gemessene Plasmakon<br />

zentration von Adrenalin beträgt 0,01 bis 0,8 nmol/I.<br />

Das Noradrenalin im Plasma (0,15 bis 3,5 nmol/1 unter<br />

Ruhebedingungen) stammt überwiegend aus der Frei<br />

setzung durch periphere postganglionäre sympathi<br />

sche Nervenendigungen. Das von den chromaffinen<br />

Zellen des Nebennierenmarks zusammen mit Adrena<br />

lin und Noradrenalin in geringer Menge freigesetzte<br />

Dopamin findet sich im Plasma nur in Spuren. Bei<br />

Aktivierung des Sympathikus durch Stroßläktoren<br />

(z.B. orthostatische Belastung beim Aufstehen aus<br />

dem Liegen) steigt im Plasma die bereits basal h<strong>ö</strong>here<br />

Noradrenalinkonzentration stärker an als die Adrena<br />

linkonzentration. Exogen zugeführtes Adrenalin hat<br />

im Blut eine Halbwertszeit von 3 bis 4 Minuten. Ein<br />

Teil des Adrenalins (und Noradrenalins) wird nach<br />

Aufnahme in Zellen durch die Catechol-O-Methyltransferase<br />

(COM'T) und Monoaminoxydase (MAO) zum<br />

Hauptmetabolit Vanillinmandelsäure umgesetzt. Die<br />

renale Ausscheidung dieses Metaboliten kann zur<br />

Beurteilung der Katecholaminproduktionsrate heran<br />

gezogen werden.<br />

Die Zielzellen besitzen für Adrenalin und Noradrenalin<br />

funktionell unterschiedliche Membranrezeptoren, die<br />

nach ihrer Affinität für sie blockierende oder erre<br />

gende Pharmaka in u- und ß-Rezeptoren mit den<br />

Unterklassen 04 bzw. ßi und u2 bzw. ß2 eingeteilt<br />

werden. Die ß-Rezeptoren l<strong>ö</strong>sen in den Zielzellen über<br />

stimulierende G-Proteine eine Aktivierung der membranständigen<br />

Adenylatzyklase und damit einen<br />

Anstieg der intrazellulären Konzentration des Boten<br />

stoffs cAMP aus. Bei Bindung von Adrenalin oder<br />

Noradrenalin an «2-Rezeptoren dagegen wird der<br />

cAMP-Spiegel über inhibitorische G-Proteine und eine<br />

Hemmung der Adenylatzyklase abgesenkt. Die ai-<br />

Rezeptoren wirken auf die Zelle über das Kalzium<br />

signalsystem, denn sie führen durch Aktivierung von<br />

Phospholipase C zur Bildung der Botenstoffe Inositoltrisphosphat<br />

(IP3) und Diacylglycerol (DAG. Starter des<br />

C-Kinase-Wegs). Die Nebennierenmarkhormone Adre<br />

nalin und Noradrenalin wirken auf beide Klassen von


28 Endokrines System<br />

a-Rezeptoren und auf die (vorwiegend kardialen) ß,-<br />

Rezeptoren vergleichbar gut. Dagegen reagieren die<br />

ß2-Rezeptoren z. B. der glatten Gefäßmuskulatur auf<br />

Adrenalin sehr viel empfindlicher als auf Noradrena<br />

lin. Ihre Erregungsschwelle für Adrenalin liegt niedri<br />

ger als die der (an der Gefäßmuskulatur funktionell<br />

dominanten) a-Rezeptoren, so daß es bei steigendem<br />

Adrenalinspiegel in Organstrombahnen wie der Ske<br />

lettmuskulatur zunächst zu einer ß2-rezeptorvermittelten<br />

Gefäßerweiterung und dann zu einer U]-rezeptorinduzierten<br />

Vasokonstriktion kommt (sog. Adrenalinumkehr).<br />

Die Aktivierung des sympathoadrenalen Systems<br />

bereitet den Organismus auf die Bewältigung von<br />

gr<strong>ö</strong>ßeren Anforderungen wie schweren k<strong>ö</strong>rperlichen<br />

Belastungen vor. Das Adrenalin der Nebennierenrinde<br />

gilt daher als Streßhormon. Am Herzen wirkt Adrena<br />

lin positiv chrono-, ino- und dromotrop, d. h., es erh<strong>ö</strong>ht<br />

die Herzfrequenz, die Kontraktionskraft und die Überleitungsgeschwindigkeit<br />

der Herzerregung. Dem unter<br />

Adrenalineiniluß gesteigerten Herzzeitvolumen steht<br />

ein (bei physiologischen Adrenalinkonzentrationen)<br />

erniedrigter peripherer Kreislaufwiderstand gegen<br />

über. Daß die Adrenalinausschüttung des Nebennie<br />

renmarks als Stellglied an der Blutdruckregulation<br />

beteiligt ist, ergibt sich aus ihrer Beeinflussung durch<br />

die Pressorezeptoren des Karotissinus. Bei Anstieg des<br />

arteriellen Drucks wird die Adrenalinausschüttung<br />

reflektorisch gehemmt.<br />

Adrenalin setzt den Atemwegswiderstand durch Rela<br />

xation der Bronchialmuskulatur herab, und es bewirkt<br />

eine Hemmung der Motorik von Magen-Darm-Trakt<br />

und Urogenitaltrakt (Harnblase und Uterus). Adrena<br />

lin mobilisiert die Energiereserven durch Stimulation<br />

der Lipolyse im Fettgewebe, der Glykogenolyse in<br />

Leber und Skelettmuskeln und der hepatischen Glukoneogenese.<br />

Zusammen mit dem in den Langerhans-<br />

Inseln der Bauchspeicheldrüse gebildeten Glukagon<br />

sorgt es dafür, daß einem Abfall des Blutzuckers durch<br />

vermehrte Glucoseabgabe der Leber an das Blut entge<br />

gengewirkt wird. Zudem hemmt Adrenalin die Sekre<br />

tion des blulzuckersenkenden Insulins. In den Wasserund<br />

Elektrolythaushalt greift Adrenalin indirekt durch<br />

eine Stimulation des Renin-Angiotensin-Systems<br />

(Anregung der Reninfreisetzung in der Niere) und<br />

direkt u.a. durch eine Steigerung der K+-Aufnahme in<br />

die Skelettmuskulatur ein. Dem Charakter als Streßhormon<br />

entsprechen die Wirkungen auf das Zentral<br />

nervensystem (Änderung der Stimmungslage in Rich<br />

tung Unruhe und Erwartungshaltung, Pupillenerweite<br />

rung durch Stimulation des M. dilatator pupillae). Da<br />

Adrenalin (wie auch Noradrenalin) über die verschie<br />

denen Rezeptorentypen häufig entgegengesetzte Wir<br />

kungen ausl<strong>ö</strong>st (z. B. wird die Insulinsekrelion über a2-<br />

Rezeptoren gehemmt und über ß2-Rezeptoren gef<strong>ö</strong>r<br />

dert), k<strong>ö</strong>nnen bei selektiver pharmakologischer Blokkade<br />

unerwünschte Nebeneffekte in anderen Berei<br />

chen auftreten. Wenn z. B. ß-Rezeptoren zur Senkung<br />

des Herzstoffwechsels blockiert werden, nimmt die<br />

Gefahr einer Entstehung von Hypoglykämie und<br />

Hyperkaliämie zu, denn über ß-Rezeptoren steigert<br />

Adrenalin auch die Glucoseabgabe aus der Leber und<br />

die Kaliumaufnahme in die Skelettmuskeln.<br />

2.3.2 Glukokortikoide<br />

Pro Tag werden normalerweise 10 bis 30 mg Cortisol<br />

sezerniert. Wie die anderen Steroidhormone kann<br />

Cortisol von der Nebennierenrinde nicht auf Vorrat<br />

gebildet und gespeichert werden, so daß die Sekre<br />

tionsrate der Produktionsrate entspricht. Die Sekretion<br />

von Cortisol wird über den hypothalamisch-hypophysären<br />

Regelkreis durch das adrenokortikotrope Hor<br />

mon des Hypophysenvorderlappens (ACTH) einge<br />

stellt. Der Plasmaspiegel zeigt eine ausgeprägte<br />

Tagesrhythmik mit einem morgendlichen Maximum.<br />

Unter der Einwirkung von Streß (k<strong>ö</strong>rperliche oder<br />

emotionale Belastung, Hypoglykämie) kommt es zu<br />

einem Anstieg der Cortisolproduktion. Im Plasma ist<br />

Cortisol zu über 90% an das Transportprotein Transkortin<br />

gebunden. Seine Halbwertszeit beträgt 60 bis<br />

90 Minuten.<br />

Cortisol als Steroidhormon wirkt nach Bindung an<br />

intrazelluläre Rezeptoren über eine Beeinflussung der<br />

Proteinsynthese der Zellen. Sein Effekt setzt daher erst<br />

nach längerer Latenz (Stunden) ein, überdauert dafür<br />

aber die Anwesenheit von Cortisol im Plasma. Das<br />

Wirkungsspektrum von Cortisol bzw. Glukokortikoiden<br />

umfaßt<br />

- Anhebung des Blutzuckerspiegels durch Stimulation<br />

der Glukoneogenese und Hemmung der Glucoseverwertung<br />

im Stoffwechsel<br />

- Anregung der Lipolyse im Fettgewebe (vor allem<br />

durch permissiven Effekt auf die lipolytische Wir<br />

kung von Adrenalin und ACTH) mit Anstieg der<br />

freien Fettsäuren im Plasma<br />

- Steigerung des extrahepatischen Proteinabbaus<br />

(katabole Wirkung), erkennbar u.a. an einer<br />

Zunahme des Plasmaspiegels der Aminosäuren und<br />

an vermehrter Harnstoffausscheidung (negative<br />

Stiekstoflbilanz)<br />

- Hemmung entzündlicher Reaktionen (Schwellung,<br />

R<strong>ö</strong>tung, Erwärmung, Kapillarproliferation) vor<br />

allem durch St<strong>ö</strong>rung der botenstoffvermittelten<br />

Kommunikation zwischen den Zellen der unspezilischen<br />

Abwehr<br />

- Unterdrückung von Immunreaktionen einschließlich<br />

allergischer Überreaktionen, wahrscheinlich durch<br />

ähnliche Mechanismen wie beim antiinflammatori<br />

schen Effekt<br />

- Anstieg der Neutrophilen bei Erniedrigung der Zahl<br />

der anderen weißen Blutzellen (Lymphozyten,<br />

Monozyten, eosinophile und basophile Granulo<br />

zyten)<br />

- Begünstigung der Erythropoese<br />

- Beeinflussung der Nierenfunktion mit Steigerung<br />

der glomcrulären Filtrationsrate und der Ammoniakproduktion<br />

im proximalen Tiibulus, Verminde<br />

rung der Wasserpermeabilität im distalen Tubulus,


C. Physiologie 29<br />

Cholesterin :<br />

CH-, i<br />

c=o<br />

CH,<br />

I<br />

c=o<br />

v-OH<br />

HO<br />

CH2OH<br />

c=o<br />

rOH<br />

Progesteron<br />

HO<br />

i<br />

<br />

CHjOH<br />

c=o<br />

O " - 5 ' v o<br />

17-a-Hydroxyprogesteron Androsten- 3.17- dion<br />

Cortisol Corticosteron Testosteron<br />

HO<br />

HC<br />

OH<br />

Ostradiol<br />

Abb. C-8: Synthesewege der<br />

Steroidhormone aus der Muttersubstanz<br />

Cholesterin<br />

außerdem geringe mineralokortikoide Wirkung<br />

(etwa 1/1000 der von Aldosteron)<br />

- Verstärkung der Sympathikuswirkung auf Kreislauf<br />

und Herz durch Sensibilisierung der Muskelzellen in<br />

den Widerstandsgefäßen und im Myokard gegen<br />

über den vasokonstriktorischen und positiv inotropen<br />

Wirkungen der Katecholamine (permissive Wir<br />

kung).<br />

Die Vielfalt und Bedeutung seiner Wirkungen kenn<br />

zeichnet Cortisol als lebensnotwendiges Hormon.<br />

2.3.3 Mineralokortikoide<br />

Das Mineralkortikoid Aldosteron wird von der<br />

Nebennierenrinde in wesentlich geringeren Mengen<br />

(40 bis 160 ug/Tag) gebildet als Cortisol. Seine Sekre<br />

tion unterliegt nicht der Kontrolle durch die glandotro<br />

pen Hormone der Hypophyse, wenn auch ACTII-Ausschüttung<br />

zu (vorübergehender) Sekretionssteigerung<br />

führt. Die Aldosteronproduktion wird durch das Renin-<br />

Angiotensin-System (vgl. Abschn. 3.3), das atriale<br />

natriuretische Hormon (vgl. Abschn. 3.4) und die Plas<br />

makonzentrationen von K+ und Na+ gesteuert. Anre<br />

gend wirken vor allem Angiotensin II und ein Anstieg<br />

der K+-Konzentration im Extrazellulärraum, während<br />

Änderungen der vom Adiuretin der Hypophyse in<br />

engen Grenzen geregelten Na'-Konzentration norma<br />

lerweise keine wesentliche Rolle für die Steuerung der<br />

Aldosteronproduktion spielen. Durch das bei Volumen<br />

anstieg im Kreislauf und entsprechender Dehnung der<br />

Herzvorh<strong>ö</strong>fe vermehrt gebildete atriale natriuretische<br />

Hormon (ANH) wird die Synthese von Aldosteron in der<br />

Nebennierenrinde u. a. durch Blockierung des stimu<br />

lierenden Effekts von Angiotensin II gehemmt.<br />

Im Plasma liegt ein h<strong>ö</strong>herer Anteil von Aldosteron (ca.<br />

40%) als von Cortisol in freier, nicht proteingebunde<br />

ner Form vor. Die Halbwertszeit von Aldosteron im<br />

Plasma beträgt etwa 30 Minuten. Aldosteron steigert<br />

die transepitheliale Natriumresorption und die Sekre<br />

tion von Kalium und Wasserstoffionen in den Nierentu<br />

buli und an den Epithelien des Verdauungstrakts, der<br />

Speichel- und der Schweißdrüsen. Es kontrolliert den<br />

Natriumhaushalt über die Steuerung der renalen Na+-<br />

Exkretion. Ohne Aldosteron kann die Niere h<strong>ö</strong>chstens<br />

98,5% statt der zum Ausgleich der Nalriumbilanz<br />

normalerweise erforderlichen 99,5% des mit dem Pri<br />

märharn abfiltrierten Na+ reabsorbieren. Ein Verlust<br />

von 1% der pro Tag glomerular filtrierten 25 mol Na+<br />

bedeutet eine Verringerung des Natriumbestands um<br />

mehr als 5% täglich, so daß bei Ausfall der Aldosteron<br />

produktion der Verlust von Kochsalz und Wasser über<br />

die Niere rasch ein lebensgefährliches Ausmaß<br />

erreicht. Aldosteron wirkt auch an der Regelung des<br />

Säure-Basen- und des Kaliumhaushalts mit. Es f<strong>ö</strong>rdert<br />

die renale Exkretion sowohl von K' als auch von H+.


30 Endokrines System<br />

2.3.4 Sexualhormone der Nebennierenrinde<br />

Als Androgene werden in der Nebennierenrinde (NNR)<br />

hauptsächlich die Zwischenstufen Dehydroepiandosteron<br />

und Androstendion sezerniert, die im Orga<br />

nismus in Testosteron und dessen Metabolit Dihydro<br />

testosteron umgewandelt werden. Die Androgenproduktion<br />

der NNR steht nicht unter Kontrolle der Gona<br />

dotropine, wird aber von ACTH gesteigert. Beim Mann<br />

liefert die Nebenniere weniger als 10% des Plasmatestosterons,<br />

bei der Frau dagegen über die Hälfte<br />

(Konversion der von der NNR sezernierten Vorstufen).<br />

Beim weiblichen Geschlecht steuert die in der Pubertät<br />

zunehmende Produktion adrenaler Androgene die<br />

Ausbildung der Achsel- und Schambehaarung (Adrenarche)<br />

und regt das Wachstum der großen Schamlip<br />

pen und der Klitoris an. Die Synthese von Östrogenen<br />

als weiblichen Geschlechtshormonen in der NNR ist<br />

normalerweise ohne funktionelle Bedeutung.<br />

2.4 Bauchspeicheldrüse<br />

Die in der Bauchspeicheldrüse regellos verstreuten<br />

(Langerhans-)Inseln endokrinen Gewebes bestehen<br />

hauptsächlich aus drei Zelltypen: den A-, B- und D-<br />

Zellcn. Die zahlenmäßig (ca. 80%) überwiegenden B-<br />

Zellen synthetisieren, speichern und sezernieren Insu<br />

lin. In den A-Zellen wird Glukagon und in den D-Zellen<br />

(wie in denen der Schleimhaut von Magen und Darm)<br />

Somatostatin gebildet. Neben diesen drei Haupttypen<br />

kommen Zellen vor, die pankreatisches Polypeptid<br />

(PP), vasoaktives intestinales Peptid (VIP), Serotonin<br />

oder Gastrin freisetzen.<br />

2.4.1 Insulin<br />

Insulin besteht aus zwei über Disulfidbrücken verbun<br />

denen Peptidkctten, der Kette A aus 21 und der Ket<br />

te B aus 30 Aminosäuren. Es ist speziesspezifisch,<br />

wenn auch speziesübergreifend wirksam. Bei der Syn<br />

these wird ein Vorläufermolekül gebildet, das die A-<br />

und B-Ketten und eine dazwischenliegende C-Kette<br />

enthält (Proinsulin). Bei der Konfektionierung des Hor<br />

monmoleküls wird die C-Kette herausgeschnitten und<br />

zusammen mit dem Insulin als C-Peptid in Speichervesikeln<br />

gelagert. Bei der Sekretion werden äquimolare<br />

Mengen an Insulin und C-Peptid freigesetzt. Die Halb<br />

wertszeit von Insulin im Plasma liegt bei 10 Minuten.<br />

Die Insulinkonzentration steigt nacli der Nahrungsauf<br />

nahme von einem Nüchternwert von 5 bis 25 uU/1 auf<br />

etwa das Zehnfache an. Wichtigster Stimulus für eine<br />

Freisetzung von Insulin aus den B-Zellen ist ein<br />

Anstieg der Glucosekonzentration im Plasma. Bei aku<br />

ter Hyperglykämie setzt die Insulinausschüttung<br />

bereits innerhalb einer Minute ein. Bei gleichem Blut<br />

spiegel l<strong>ö</strong>st die über den Verdauungstrakt aufgenom<br />

mene Glucose eine stärkere Sekretionssteigerung aus<br />

als in die Blulbahn infundierte Glucose. Dies läßt auf<br />

eine Beteiligung von im Magen-Darm-Trakt gebildeten<br />

Enterohormonen an der Regulation der Insulinaus<br />

schüttung schließen. Fun sekretionsf<strong>ö</strong>rdernder Effekt<br />

ist vor allem für das gastrische inhibitorische Polypep<br />

tid (GIP) nachgewiesen, aber auch Cholezyslokinin und<br />

Gastrin f<strong>ö</strong>rdern die Insulinsekretion. Der Plasma-Insulinspiegel<br />

steigt nicht nur nach kohlenhydratreicher,<br />

sondern auch nach proteinreicher Mahlzeit an. Ausl<strong>ö</strong><br />

ser dieses Effekts ist eine Zunahme der Aminosäure<br />

konzentration im Plasma, z. T. auch die Wirkung von<br />

im Verdauungstrakt durch Proteinspaltprodukte frei<br />

gesetzten Enterohormonen. Hemmend auf die Insulin<br />

sekretion wirken Somatostatin, das Sekretionsprodukt<br />

der den B-Zellen benachbarten D-Zellen (parakrine<br />

Hemmung) und der D-Zellen des Verdauungstrakts<br />

(endokrine Hemmung), außerdem Prostaglandin E<br />

(vgl. Abschn. 3.1.2). Von Seiten des vegetativen Ner<br />

vensystems wirkt eine Aktivierung des Parasympathi<br />

kus stimulierend auf die Insulinfreisetzung, während<br />

beim Sympathikus die a-Rezeptoren-vermittelte<br />

Ilcmmwirkung über die mittels ß-Rezeptoren wir<br />

kende F<strong>ö</strong>rderung dominiert.<br />

Das von der Bauchspeicheldrüse in den Pfortaderkreislauf<br />

ausgeschüttete Insulin wird, vor allem bei<br />

geringer Menge, zum überwiegenden 'Teil bei der<br />

Passage des Pfortaderbluts durch die Leber an die<br />

Leberzellen gebunden. In der Resorptionsphase des<br />

Nahrungszuckers übernimmt die Leber zusammen mit<br />

der Skelettmuskulatur unter dem kombinierten Ein<br />

fluß von Insulin und Hyperglykämie die Hauptlast der<br />

Eliminierung von Glucose zur Verhinderung eines<br />

übermäßigen Blutzuckeranstiegs.<br />

Insulin ist von entscheidender Bedeutung für die Regu<br />

lation des Betriebsstoffwechsels. Es<br />

- stimuliert die Glykogenbildung und hemmt den Gigkogenabbau<br />

und die Glukoneogenese in der Leber,<br />

- steigert die Aufnahme von Glucose in Muskel- und<br />

Fettzellen (nicht in Erythrozyten oder Nervenzellen),<br />

- regt die Glykogenbildung im Muskel an,<br />

- erh<strong>ö</strong>ht die Lipogenese aus Glucose im Fettgewebe,<br />

- hemmt die Lipolyse im Fettgewebe (Abnahme der<br />

freien Fettsäuren im Plasma).<br />

Neben den Wirkungen auf den Kohlenhydrat- und<br />

Fettstoffwechsel hat Insulin einen anabolen Effekt. Es<br />

f<strong>ö</strong>rdert die Proteinsynthese und hemmt den Proteinab<br />

bau. Es ist essentiell für Wachstum und Reifung des<br />

Organismus.<br />

2.4.2 Glukagon<br />

Die Sekretion des 29 Aminosäuren langen Polypeptids<br />

Glukagon durch die A-Zellen der Langerhans-Inseln<br />

wird durch Hypoglykämie, aber auch durch Aminoazidämie<br />

stimuliert. Schwere k<strong>ö</strong>rperliche Belastung,<br />

Aktivierung sowohl des Sympathikus als auch des<br />

Parasympathikus und Anstieg des Cortisols im Plasma<br />

steigern die Glukagonfreisetzung. Hemmend wirkt wie<br />

bei Insulin das D-Zcllen-Hormon Somatostatin, dane<br />

ben hemmen Insulin und Serotonin. Der Plasmaspiegel


C. Physiologie 31<br />

pmol/min<br />

600-,<br />

mg/dl<br />

150-,<br />

-8<br />

400-<br />

200-<br />

130-<br />

-7<br />

Insulinsekretion<br />

J I I I I I I I L<br />

Blutglucose<br />

Hormon hemmt para- und endokrin die Sekretion der<br />

endokrinen und der exokrinen Drüsenzellen sowie die<br />

Motorik im Verdauungstrakt. Somatostatin wird<br />

außerdem als Neurotransmitter von den Endverzwei<br />

gungen sympathischer Fasern (zusammen mit Nor<br />

adrenalin) und anderen Nervenfasern freigesetzt. Auf<br />

grund seiner kurzen Halbwertszeit im Plasma (2 bis<br />

3 min) wirkt Somatostatin vor allem lokal (parakrin).<br />

Die Somatostatinproduktion in den Langerhans-Inseln<br />

wird durch Glukagon, Hyperglykämie und Insulinman<br />

gel gesteigert.<br />

2.5 Sexualhormone der Frau<br />

110-_6<br />

90--5<br />

n<br />

6<br />

Mahlzeiten<br />

12 18 24<br />

1<br />

6 Uhr<br />

Abb.C-9: Durchschnittlicher Tagesverlauf von Insulinse<br />

kretion und Blutzuckerspiegel bei normalgewichtigen<br />

gesunden Probanden. Durch die Mittelung wird der sowohl im<br />

resorptiven als auch im postrosorptiven Stadium pulsatile<br />

Charakter der Insulinausschüttung verdeckt. (Nach Daten von<br />

K. S. Polonsky et al. .1 Clin Invest 1988; 81: 442)<br />

des normalerweise nur in geringen Mengen sezernierten<br />

Glukagons zeigt einen weitgehend gleichmäßigen<br />

Tagesverlauf.<br />

Glukagon wirkt auf den GlucosestolTwechsel der Leber<br />

als Gegenspieler von Insulin. Wenn im postrosorptiven<br />

Stadium der Glucosenachschiib aus dem Verdauungs<br />

trakt ausbleibt, sorgt es durch Stimulation der hepati<br />

schen Glucosefreisetzung (zusammen mit Adrenalin)<br />

für die Aufrechterhaltimg des Bliit-Glueosespiegels.<br />

Nach einer eiweißreichen Mahlzeit wird durch die<br />

gleichzeitige Stimulation der Insulin- und Glukagonsekretion<br />

bei Zunahme der Aminosäurekonzentration im<br />

Plasma die Entstehung einer Hypoglykämie vermie<br />

den. Da sich Glukagon die Aulgabe der Stabilisierung<br />

des Blut-Glucosespiegels auf ausreichend hohem<br />

Niveau mit mehreren anderen Hormonen (Adrenalin,<br />

Somatotropin) teilt und seine Funktion von diesen<br />

ersetzt werden kann, führt ein Ausfall der Glukagonproduktion<br />

normalerweise nicht zur Hypoglykämie.<br />

2.4.3 Somatostatin<br />

Das von den D-Zellen der Bauchspeicheldrüse und der<br />

Schleimhaut des Magen-Darm-Trakts produzierte<br />

2.5.1 Bildung und Wirkung von Sexualhormonen<br />

Die effektorischen Sexualhormone der Frau werden<br />

eingeteilt in<br />

- Östrogene feminisierende I lormone<br />

- Gestagene Schwangerschaftsschutzhormone<br />

- Androgene virilisierende Ilormone<br />

- Peptide Prolaktin, Oxytocin.<br />

Bei der Frau werden die Östrogene und Gestagene<br />

hauptsächlich in den Follikeln der Ovarien gebildet, die<br />

unter dem Einfluß des gonadotropen Hormons FSH<br />

ausreifen. Bei Stimulation durch das zweite Gonado<br />

tropin LH produzieren die Granulosazellen der Follikel<br />

Östrogene und die Thcca-interna-Zollen Androgene<br />

(als Vorstufe der Östrogene). Der nach der Ovulation<br />

aus dem Follikel entstehende Gelbk<strong>ö</strong>rper synthetisiert<br />

Gestagene (Progesteron) und Östrogene. In geringen<br />

Mengen bilden die Ovarien auch Oxytocin.<br />

Im Plasma sind die effektorischen Sexualhormone<br />

überwiegend an Proteine gebunden. Albumin bindet<br />

mit geringer Affinität und hoher Kapazität, ein speziel<br />

les sexualhormonbindendes Globulin (SHBG) mit hoher<br />

Affinität und geringer Kapazität. Die Halbwertszeit der<br />

Sexualhormone im Plasma beträgt 20 bis 70 Minuten.<br />

Der Abbau erfolgt vor allem in der Leber, und die<br />

inaktiven, mit Glucuronsäure oder Sulfat gekoppelten<br />

Metabolite werden über die Niere als 17-IIydroxysteroide<br />

ausgeschieden.<br />

Die Östrogene sind für die Ausbildung der geschlechts<br />

typischen K<strong>ö</strong>rperform den- Frau verantwortlich. Im<br />

Menstruationszyklus stimulieren sie die Proliferation<br />

des Endometriums in diu- follikulären Phase (s.u.). Am<br />

Vaginalepithel bewirken sie Zellvermehrung und Glykogeneiniagerung<br />

in die Epithelzellen. Zu den extra<br />

genitalen Ostrogenwirkungen zählen<br />

- Retention von Natrium und Wasser im Extrazellu<br />

larraum (Gewichtszunahme),<br />

- Senkung der K<strong>ö</strong>rperkerntemperatur.<br />

- Begünstigung der Mineralisierung des Knochens,<br />

- Erniedrigung des IIDIJI.Dl.-Quotienten bei den<br />

Plasma-Lipoproteinen.


32 Endokrines System<br />

— Steigerung der Produktion von Gerinnungsfaktoren,<br />

Angiotensinogen und plasmatischen Bindungspro<br />

teinen (Transkortin, SBIIG, TBG usw.) in der Leber.<br />

Progesteron induziert den sekretorischen Umbau des<br />

Endometriums in der zweiten Hälfte des Monatszyklus<br />

der Frau (s. u.) und verhindert die Ausreilüng weiterer<br />

Follikel in den Ovarien. Unter seinem Einlluß sinkt die<br />

Spontanaktivität der Uterusmuskulatur und ihre<br />

Beeinflußbarkeit durch kontraktionsf<strong>ö</strong>rdernde Sub<br />

stanzen. Systemische Wirkungen des Progesterons<br />

sind<br />

— Anhebung der K<strong>ö</strong>rperkerntemperatur<br />

— vorübergehende Zunahme der renalen Natrium- und<br />

Wasserausscheidung<br />

— Erh<strong>ö</strong>hung des zentralen Atemantriebs (Hyperventi<br />

lation).<br />

2.5.2 Weibliche Hormone in Kindheit und Pubertät<br />

Während der intrauterinen Entwicklung wird die<br />

Gonadotropinsekretion des Kindes durch den hohen,<br />

von der Plazenta erzeugten Östrogenspiegel (s. u.)<br />

gehemmt. Diese Hemmung fällt mit der Geburt schlag<br />

artig weg, und es kommt zu einem starken Anstieg der<br />

Gonadotropine mit Anregung der Produktion effektorischer<br />

Sexualhormone. Nach einem Maximum, das 4<br />

bis 6 Monate nach der Geburt erreicht wird, setzt beim<br />

weiblichen Säugling ein erneuter Abfall der Gonadotropinsynthcse<br />

ein, und der pulsatile Charakter der<br />

Hormonfreisetzung geht verloren. Im 2. bis 3. Lebens<br />

jahr wird ein sehr niedriges Niveau der Sexualhormon<br />

produktion erreicht und durch negative Rückkopplung<br />

im hypothalamisch-hypophysären Regelkreis (Hem<br />

mung der Gonadotropinsekretion der Hypophyse<br />

durch das von den Ovarien gebildete Östrogen) stabili<br />

siert.<br />

Mit Beginn der Pubertät setzt eine zunächst fluktu<br />

ierende und schließlich pulsatile hypothalamische<br />

GnRII-Sekretion mit entsprechender Anregung der<br />

Gonadotropinsekretion ein. Die Rückkopplimgshemmung<br />

durch die Östrogene wird geringer, und die<br />

ansteigende Östrogenkonzenlration im Organismus<br />

führt zur Verweiblichung der K<strong>ö</strong>rperformen, u.a. (im<br />

Zusammenwirken mit Prolaktin) zur Ausbildung der<br />

weiblichen Brust (Thelarche). Im weiteren Verlauf der<br />

Pubertät wird die hypophysäre LH-Produktion emp<br />

findlich gegenüber dem stimulierenden Östrogeneffekt<br />

(Entwicklung der positiven Rückkopplung). Der<br />

Monatszyklus bildet sich aus, und es kommt zur ersten<br />

Regelblutung (Menarche). Die Ausreilüng und Stabili<br />

sierung des Monatszyklus ist allerdings erst 2 bis<br />

6 Jahre nach der Menarche abgeschlossen.<br />

2.5.3 Monatszyklus der Frau<br />

Zu Beginn des Monatszyklus steigt die Östrogenproduktion<br />

langsam an. Der erh<strong>ö</strong>hte Östrogenspiegel<br />

induziert eine Proliferation des Endometriums. Etwa<br />

24 Stunden vor der Ovulation kommt es zu einem<br />

starken Anstieg der Östrogensekretion. Durch positive<br />

Rückkopplung im hypophysär-hypothalamischen<br />

Regelkreis wird eine massive Ausschüttung des luteini<br />

sierenden Hormons (LH) in der Hypophyse ausgel<strong>ö</strong>st,<br />

und unter der LII-Einwirkung kommt es zur Ovulation.<br />

Danach nimmt die Sekretion der gonadotropen Hor<br />

mone stark ab. Die verbleibende LH-Restsekretion<br />

reicht jedoch aus, um die Progesteron- und Östrogen<br />

produktion im aus dem Follikel entstehenden Gelbk<strong>ö</strong>r<br />

per zu stimulieren. Wenn eine Konzeption ausbleibt,<br />

wird der Gelbk<strong>ö</strong>rper atretisch. Die Konzentrationen<br />

von Progesteron und Östrogen sinken aufwerte ab, die<br />

zur Stabilisierung des sekretorisch umgebauten Endo<br />

metriums nicht mehr ausreichen. Die Uterusschleimhaut<br />

wird demarkiert und abgestoßen (Monatsblutung).<br />

Mit der Aufnahme der Östrogenproduktion<br />

durch den nächsten unter FSH-Einfluß zur Dominanz<br />

heranreifenden Follikel startet ein neuer Zyklus.<br />

Der mit der Ovulation verbundene Übergang von einer<br />

<strong>ö</strong>strogendominierten zu einer progesterondominierten<br />

Phase ist an einer Zunahme der K<strong>ö</strong>rpertemperatur zu<br />

erkennen. Die morgens vor dem Aufstehen gemessene<br />

Rektaltemperatur (Basaltemperatur) steigt bei ovulatorischen<br />

Zyklen in der Zyklusmitte um 0,2° C bis<br />

0,6° C an. Mit dem Abfall des Progesteronspiegels am<br />

Ende des Zyklus (Eintritt der Menses) geht die Tempe<br />

ratur wieder auf den Ausgangswert zurück. Kommt es<br />

nach einer Konzeption zu einem Wiederanstieg der<br />

Progesteronkonzentration, bleibt die Temperatur er<br />

h<strong>ö</strong>ht.<br />

2.5.4 Hormonproduktion in der Schwangerschaft<br />

Wenn das bei der Ovulation freigesetzte Ei befruchtet<br />

worden ist und die entstehende Blastozyste sich im<br />

Endometrium einnistet, persistiert der Gelbk<strong>ö</strong>rper und<br />

steigert seine Progesteron- und Östrogensekretion. Ab<br />

der 7. Schwangerschaftswoche macht sich eine zuneh<br />

mende Progesteron- und Östrogenproduktion der Pla<br />

zenta bemerkbar. Ab der 12. Schwangerschaftswoche<br />

liefert die Plazenta die Hauptmenge der Östrogene und<br />

Gestagene. Durch den Anstieg der Hormonproduktion<br />

der Plazenta wird die des Gelbk<strong>ö</strong>rpers ab dem 4. bis<br />

5. Schwangerschaftsmonat bedeutungslos. Gegen<br />

Ende der Schwangerschaft liegen die Östrogen- und<br />

Progesteronkonzentrationen im Plasma der Mutter bis<br />

1 OOmal h<strong>ö</strong>her als während des normalen Zyklus. Nach<br />

der Entbindung und Ausstoßung der Plazenta fallen<br />

die Hormonspiegel rasch auf die Normalwerte zurück.<br />

Neben den Steroidhormonen sezerniert die Plazenta<br />

mehrere schwangerschaftsspezifische Hormone. Am<br />

wichtigsten ist das humane Choriongonadotropin<br />

(IICG), das in seiner biologischen Wirkung dem LH der<br />

Adenohypophyse entspricht. Seine Bildung beginnt<br />

bereits eine Woche nach der Konzeption, und es sorgt<br />

für die zur Persistenz notwendige Stimulation des<br />

Gelbk<strong>ö</strong>rpers. Die renale Ausscheidung des im Blut der<br />

Mutter zirkulierenden IICG kann mit empfindlichen<br />

immunologischen Methoden (Radioimmunoassay, RIA)


C. Physiologie 33<br />

Menses<br />

T 1 1 1 r<br />

10 12 14 16 11<br />

Ovulation<br />

1 1 1 1 T<br />

20 22 24 26 28<br />

Menses<br />

Abb.C-10 Monats/.yklische Schwan<br />

kungen der Iiasmakon/.entration<br />

von LH, FSH, Östrogenen (Ö) und<br />

Gestagen (P = Progesteron) bei der<br />

geschlechtsreifen Frau. (Mod. nach<br />

H.-D. Taubert. In: II. Schmidt-<br />

Matthiesen: Gynäkologie und Ge<br />

burtshilfe, 8. Aufl. Stuttgart, New<br />

York: <strong>Schattauer</strong>, 1992)<br />

bereits etwa 7 Tage nach der Befruchtung nachgewie<br />

sen werden (Schwangerschaftstest). Als weiteres<br />

schwangerschaftsspezilisches Hormon bildet die Pla<br />

zenta humanes Chorion-Somatomammotropin (IICS),<br />

auch humanes plazentares Laktogen (HPL) genannt.<br />

IICS ist in der chemischen Struktur und in der biologi<br />

schen Wirkung mit dem Wachstumshormon (STH)<br />

verwandt.<br />

Die hormonellen Mechanismen, über die am Ende der<br />

Schwangerschaft die Wehentätigkeit des Uterus und<br />

die Geburt ausgel<strong>ö</strong>st werden, sind noch nicht eindeutig<br />

geklärt. Nach Befunden am Tier wird gegen Ende der<br />

Tragzeit die Geburtsbereitschaft des Uterus durch<br />

einen Anstieg der Glukokortikoidproduktion der feta<br />

len Nebennierenrindc herbeigeführt. Die Induktion<br />

von Wehen kommt wahrscheinlich über eine Freiset<br />

zung von Prostaglandinen und über eine Sensibilisie<br />

rung der Uterusmuskulatur gegenüber vom Feten,<br />

m<strong>ö</strong>glicherweise auch von der Mutter gebildetem Oxy<br />

tocin zustande.<br />

2.5.5 Pharmakologische Konzeptionsverhütung<br />

Durch exogen applizierte Sexualhormone kann der<br />

Ablauf des Monatszyklus beeinilußt werden. Durch<br />

Östrogenzufuhr mit Anstieg des Plasma-Östrogenspiegels<br />

wird die FSH-Sekretion und damit die Follikelreifung<br />

gehemmt. Östrogene und Gestagene bremsen die<br />

LH-Freisetzung und verhindern dadurch die Ovulation.<br />

Die regelmäßige Einnahme von Östrogen-Gestagen-<br />

Kombinationspräparaten, wobei Gestagene z.T. erst<br />

während der zweiten Zyklusphase zugesetzt werden,<br />

ist eine sichere und derzeit die am häufigsten ange<br />

wandte Methode der Empfängnisverhütung. Weniger<br />

sicher ist die alleinige Einnahme eines Gestagens zur<br />

Unterdrückung der Ovulation (»Minipille«). Wenn die<br />

Einnahme der Hormonpräparate nach Ablauf der nor<br />

malen Zykluszeit gestoppt wird, kommt es zu einer<br />

Hormonentzugsblutung ähnlich der normalen Men<br />

struation.<br />

Durch kurzzeitige, hochdosierte Gabe von Östrogen<br />

kann die Nidation der aus einer befruchteten Eizelle<br />

entstehenden Blastozyste verhindert werden. Bei die<br />

ser nach einer vermuteten Konzeption angewandten<br />

Verhütungsmethode (»Pille danach«) kommt es nach<br />

dem Abbruch der hochdosierten Zufuhr von Hormon<br />

(in der Regel eine Kombination von Östrogenen und<br />

Gestagenen) zur Abstoßung des Endometriums (Hor<br />

monentzugsblutung). Die erforderlichen hohen Hor<br />

monmengen führen zu erheblichen Nebenwirkungen.


34 Endokrines System<br />

Ovulation<br />

Gelbk<strong>ö</strong>rper<br />

f<strong>ö</strong>^^^V^<br />

Zyklustage<br />

28 42<br />

Menstruationszyklus<br />

Schwangerschaft<br />

Abb.C-11: FoIIikelreifung, Ovulation und Gelbk<strong>ö</strong>rperbildung (oben) sowie Proliferation, sekretorischer Umbau und<br />

Abstoßung der Gebärmutterschleinihaut (unten) hei Menstruationszyklen ohne (links) und mit Fintritt einer Schwangerschart<br />

(rechts). (Nach A. B. McNaught & R. Callander: Nurses' Illustrated Physiology. Edinburgh: Churchill Livingstone, 1983)<br />

Neuerdings kann auch mit Antigestagen die Schwan<br />

gerschaftsschutzwirkung des Progesterons aufgeho<br />

ben und ein Schwangerschaftsabbruch herbeigeführt<br />

werden.<br />

2.5.6 Produktion weiblicher Hormone im Alter<br />

Mit zunehmendem Lebensalter sinken die Zahl und die<br />

FSH-Sensitivität der Follikel in den Ovarien. Gegen<br />

Ende des fünften Lebensjahrzehnts ersch<strong>ö</strong>pft sich die<br />

Menge der stimulierbaren Follikel, die ovulatorischen<br />

Zyklen werden unregelmäßig und h<strong>ö</strong>ren schließlich<br />

auf. Die letzte reguläre Regelblutung wird als Meno<br />

pause (Menopause ist kein Zeitabschnitt!), die prä- und<br />

poslmenopausale Übergangsphase als Klimakterium<br />

bezeichnet.<br />

Mit dem Erl<strong>ö</strong>schen der ovulatorischen Zyklen sistiert<br />

die ovarielle Ilormonproduktion nahezu vollständig.<br />

Die Kontrolle der Gonadotropinsekretion wird von der<br />

kurzen Rückkopplungsschleife der Regelkreise (Rückwärtshemmung<br />

der GnRII-Freisetzung durch die<br />

Gonadotropine) übernommen, und die LH-Konzentration<br />

und insbesondere die FSH-Konzentration stellen<br />

sich für den Rest des Lebens auf ein deutlich h<strong>ö</strong>heres<br />

Niveau ein. Die verbleibende geringe Östrogenkonzentration<br />

im Plasma stammt zu über 95% aus der<br />

Konversion von in der Nebennierenrinde gebildeten<br />

Androgenen, insbesondere dem Androstendion.<br />

Mit dem Eintritt des Klimakteriums sind eine Reihe von<br />

psychischen und vegetativen Symptomen (u. a. »Hitzewalhmgen«)<br />

verbunden. Das Absinken der Östrogenkonzentration<br />

nach der Menopause führt zu einer<br />

Abnahme der Mineralisierung des Skeletts (Osteo<br />

porose).<br />

2.6 Sexualhormone des Mannes<br />

2.6.1 Bildung und Wirkung von Androgenen<br />

Die effektorischen Sexualhormone (Androgene) wer<br />

den beim Mann weit überwiegend von den Leydigschen<br />

Zwischenzellen des Hodens gebildet. Neben<br />

Testosteron wird in geringer Menge dessen aktiver<br />

Metabolit Dihydrotestosteron sezerniert. In einigen<br />

Geweben (Prostata, Samenblasen, Nebenhoden) wird<br />

Testosteron intrazellulär vor der Bindung an Rezepto<br />

ren zur Wirkform Dihydrotestosteron reduziert.<br />

Die Testosteronproduktion ist auf eine Stimulierung<br />

durch LH angewiesen. Testosteron beeinflußt seiner<br />

seits die LH-Sekretion bei niedriger Konzentration im<br />

Sinne positiver, und bei hoher Konzentration im Sinne<br />

negativer Rückkopplung. Das zweite Gonadotropin


C. Physiologie 35<br />

Hypothalamus<br />

GnRH<br />

Hypophyse<br />

Testosteron<br />

Abb. C-12: Hormonelle Hegelkreise<br />

der Androgenproduktion und der<br />

Spermatogenese. Melle und gestrichel<br />

te Pfeile: F<strong>ö</strong>rderung; dunkle Pfeile:<br />

Hemmung. (Nach 11. Wartenberg)<br />

F'SH hat beim Mann keine endokrin glandotrope Funk<br />

tion (abgesehen von der Anregung der Inhibinsckrction),<br />

wird aber für die Spermiogenese ben<strong>ö</strong>tigt. FSH<br />

(und auch Testosteron) f<strong>ö</strong>rdern in den Sertoli-Zellen<br />

des Hodens die Produktion eines androgenbindenden<br />

Proteins, das bei der Sicherstellung eines hohen Testosteronangebots<br />

an die Zellen der Samenkanälchen<br />

mitwirkt.<br />

Testosteron steuert außer der Spermiogenese und der<br />

Ausbildung der männlichen K<strong>ö</strong>rperbaumerkmale das<br />

Sexualverhalten (Libido). Zu den extragenitalen<br />

Effekten von Testosteron geh<strong>ö</strong>ren<br />

- Begünstigung der Mineralisierung des Skeletts,<br />

- Steigerung der Erythropoese,<br />

- anabole Wirkung mit Steigerung des Skelettmuskel<br />

wachstums.<br />

Der anabole Effekt von Testosteron oder chemisch<br />

ähnlichen, weniger virilisierenden Verbindungen<br />

(Anabolika) kann (verbotenerweise) zur Verbesserung<br />

des Effekts von Krafttraining eingesetzt werden. Die<br />

Anregung der Erythropoese durch Testosteron, die als<br />

Ursache des beim Mann im Vergleich zur Frau h<strong>ö</strong>he<br />

ren Hämatokrits gilt, kann zur Therapie bei Anämie<br />

genutzt werden.<br />

2.6.2 Altersentwicklung der Androgenproduktion<br />

Vom männlichen Feten wird Testosteron bereits ab<br />

dem dritten Schwangerschaftsmonat gebildet. Zusam-


36 Endokrines System<br />

men mit dem ebenfalls in den Hoden synthetisierten<br />

Anti-Müller-Hormon, das in der Fetalentwicklung die<br />

Rückbildung der Müllerschen Gänge erzwingt, sorgt<br />

Testosteron für die intrauterine Ausbildung der männ<br />

lichen Geschlechtsorgane. Wenn beim männlichen<br />

Feten die Testosteronsekretion ausbleibt oder Testo<br />

steron infolge angeborenen Fehlens von Testosteronrezeptoren<br />

nicht zur Wirkung kommen kann, ent<br />

wickelt sich ein weibliches Genitale.<br />

Nach der Geburt kommt es beim männlichen (wie<br />

beim weiblichen) Säugling zur Enthemmung der Gonadotropinproduktion<br />

der Hypophyse infolge Wegfalls<br />

der Wirkung der plazentaren Hormone und damit zu<br />

einer verstärkten Testosteronbildung. Nach Erreichen<br />

eines Maximums im 4. Lebensmonat sinkt die Gonado<br />

tropinsekretion wieder ab, weil sich die Rückkopp<br />

lungshemmung durch Testosteron im hypothalamischhypophysären<br />

Regelkreis verstärkt. Beim Kleinkind ist<br />

der Testosteronspiegel durch intensive negative Rück<br />

kopplung im Regelkreis auf sehr niedrigem Niveau<br />

stabilisiert.<br />

Mit dem Einsetzen der Pubertät wird die Empfindlich<br />

keit von Hypothalamus und Hypophyse für die Hem<br />

mung durch Testosteron schwächer. Die GnRH- und<br />

damit die Gonadotropinsekretion steigt an und wird<br />

pulsatil. Die zunehmenden Konzentrationen von Testo<br />

steron und FSH regen das Wachstum der Hoden an,<br />

deren Volumen von 2 auf 16 ml zunimmt, und bringen<br />

die Spermatogenese in Gang. Der K<strong>ö</strong>rperbau wird<br />

vermännlicht (u. a. Ausbildung des männlichen Behaa<br />

rungstyps). Die in der Pubertät ansteigende Testosteronkonzentration<br />

f<strong>ö</strong>rdert einerseits das Wachstum,<br />

andererseits beendigt eine hohe Testostoronkonzentration<br />

die Wachstumsperiode, indem sie einen Schluß<br />

der Epiphysenfugen ausl<strong>ö</strong>st.<br />

Im Verlauf des Lebens brechen beim Mann die Hor<br />

monproduktion und die reproduktive Funktion nicht so<br />

abrupt ab wie bei der Frau. Mit dem Alter kommt es zu<br />

einer individuell unterschiedlichen Abnahme der<br />

Testosteronsekretion, der Spermatogenese, der Potenz<br />

und der Libido.<br />

3 Extraglanduläre Hormone<br />

3.1 Fettsäurederivate<br />

3.1.1 Bildung von Eikosanoiden<br />

Unter dem Begriff Eikosanoide werden Botenstoffe<br />

zusammengefaßt, die durch Oxidation von mehrfach<br />

ungesättigten C20-Fettsäuren, insbesondere der Eico-<br />

satetraensäure (Arachidonsäure), gebildet werden.<br />

Die Arachidonsäure kann aus Membranphospholipiden<br />

durch Phospolipase A2 freigesetzt werden. Der<br />

erste Schritt der Synthese von Prostaglandinen und<br />

Thromboxanen aus Arachidonsäure ist in der Zell<br />

membran lokalisiert, in der unter dem Einfluß von<br />

Zyklooxygenase zunächst das instabile Zwischenpro<br />

dukt Prostaglandin G2 entsteht. Die Synthese von<br />

Leukotrienen erfolgt im Zytosol, in dem Arachidon<br />

säure durch 5-Lipoxygenase in das Zwischenprodukt<br />

5-IIydroxyperoxyeicosatetraensäure (5-HPETE) umge<br />

setzt wird, aus dem z.T. unter Einbau von Aminosäu<br />

ren die Leukotriene entstehen. Unter der Einwirkung<br />

von 15-Lipoxygenase wird 15-HPETE gebildet, die Aus<br />

gangssubstanz für Lipoxine. Sowohl Zyklo- als auch<br />

Lipoxygenasen k<strong>ö</strong>nnen nur auf freie Arachidonsäure<br />

wirken, so daß die (u.a. auch rezeptorgesteuerte)<br />

Aktivierung der Phospholipase A2 als wesentlicher<br />

Schritt in der Regulation der Eikosanoidsynthese anzu<br />

sehen ist.<br />

3.1.2 Wirkung von Eikosanoiden<br />

Prostaglandine haben eine Vielzahl von teilweise<br />

gegensätzlichen Wirkungen. Bei einer Halbwertszeit<br />

von Sekunden bis Minuten wirken sie hauptsächlich<br />

lokal. Außer als Hormone k<strong>ö</strong>nnen sie als intrazelluläre<br />

Botenstoffe (»second messenger«) tätig werden. Wenn<br />

Membranrezeptoren nach Bindung entsprechender<br />

Hormone die Spaltung von Membranphospholipid zur<br />

Bildung von IP3 und Diacylglycerol (C-Kinase-Weg)<br />

anregen, wird aus dem Diacylglycerol durch Diglyceridlipase<br />

auch Arachidonsäure freigesetzt und als Sub<br />

strat für die Zyklooxygenase zur Verfügung gestellt. Die<br />

entstehenden Prostaglandine k<strong>ö</strong>nnen nach außen oder<br />

ins Zellinnere abgegeben werden.<br />

Bekannteste Wirkung der Thromboxane ist die An<br />

regung der Thrombozytenaggregation durch TXA2.<br />

Daneben wirken Thromboxane konstriktorisch auf die<br />

glatte Muskulatur von Gefäßen, die Bronchien und den<br />

Verdauungstrakt.<br />

Die Hemmung der Zyklooxygenase und damit der<br />

Synthese von Prostaglandinen und Thromboxanen ist<br />

die Grundlage der analgetischen (schmerzlindernden)<br />

und antiphlogistischen (entzündungshemmenden)<br />

Wirkung zahlreicher Pharmaka, von denen die Azetyl<br />

salizylsäure (u.a. Aspirin®) am bekanntesten ist. Durch<br />

die blockierende Wirkung auf die Thromboxanbildung<br />

in den Blutplättchen kann Azetylsalizylsäure als<br />

Thrombozytenaggregationshemmer zur Prophylaxe<br />

intravasaler Gerinnselbildung (Herzinfarkt) eingesetzt<br />

werden. Wesentliche Nebenwirkung der unspezifi<br />

schen Hemmung der Prostaglandinsynthese ist die<br />

Verminderung der zytoprotektiv wirkenden Schleim<br />

und Bikarbonatsekretion der Magenmukosa mit dem<br />

Risiko der Säureschädigung und Geschwürsbildung.


C. Physiologie 37<br />

Leukotriene sind als Botenstoffe an Abwehrreaktionen<br />

beteiligt. Das von neutrophilen Granulozyten und<br />

Makrophagen sezernierte LTB4 lockt andere Neutrophile<br />

an (Chemotaxis). Die von Gewebsmastzellen und<br />

basophilen Granulozyten gebildeten Leukotriene<br />

LTC,, LTD4 und LTE4 rufen als »slow reacting sub<br />

stance of anaphylaxis« (SRS-A) Bronchokonstriktion<br />

und entzündliche Reaktionen bei allergischer Über<br />

reaktion des Immunsystems hervor. Die Leukotriene<br />

steigern den Atemwegswiderstand sowohl durch Bron<br />

chokonstriktion als auch Anregung der Schleimpro<br />

duktion der Bronchialdrüsen (Asthmainduktion).<br />

Außerdem wirken sie vasokonstriktorisch und erh<strong>ö</strong>hen<br />

die Gefäßpermeabilität (Ödembildung bei Entzündun<br />

gen). Durch Leukotriene kann die Freisetzung von<br />

Abwehrstoffen (z.B. Lysozym) aus Leukozyten stimu<br />

liert werden.<br />

Lipoxine wirken bronchokonstriktorisch und gefäß<br />

erweiternd. Im Rahmen der Abwehrreaktion k<strong>ö</strong>nnen<br />

sie die Aktivität von natürlichen Killerzellen hemmen.<br />

Prostaglandine und ihre Effekte<br />

PGD2: Vasodilatation. Bronchokonstriktion, Hemmung<br />

der Wasser- und Elektrolytresorption in der Darmmukosa,<br />

Steigerung der renalen Na*- und H^O-Ausscheidung<br />

P(jF2: Vasodilatation (bei Lungengefäßen Konstriktion),<br />

Bronchodilatation, Steigerung dor intestinalen Sekretion<br />

von Wässer und Flektrolyten, Steigerung der renalen \'a'-<br />

und Wasserausscheidung, Hemmung der Magensäureund<br />

Pankreassekretion, Steigerung der Schleim- und Bikarhonatbildung<br />

in der Magenniukosa (Zytoprolektion).<br />

Kontraktion der Uterusmuskulatur, Anregung der Freiset<br />

zung von STH, PHI. und ACTH in der Hypophyse, Hem<br />

mung der glucoseindii/ierten Insulinsekretion im Pan<br />

kreas, Anregung der Frythropoetinproduktion in der Nie<br />

re, Frzeugung von lieber im Hypothalamus, periphere<br />

Verstärkung der Sehnierzempfindung<br />

PGF&,: Väsokonstriktion, Bronchokonstriktion, Kontrak<br />

tion der Darm- und Uterusmuskulatur, Anregung der<br />

Freisetzung von STH, Pill, und ACTH in der Hypophyse<br />

PGI2 bzw. Prostazyklin: Vasodilatation, Hemmung der<br />

Magensäuresekretion, Hemmung der Wässer- und Elek<br />

trolytsekretion in Pankreas und Darm, Steigerung der<br />

renalen Na+- und Wasserausscheidung, Anregung der<br />

Heninfreiselzung in der Niere, Fieberinduktion im Hypo<br />

thalamus, Verstärkung der Schmerzempfindung<br />

Bei seiner Synthese wird aus Glycerophosphorylcholin<br />

zunächst die Fettsäure in Position 2 durch eine Phospholipase<br />

A2 abgespalten, wodurch der noch inaktive<br />

lyso-PAF entsteht. Die aktive Form wird durch eine<br />

Azetyltransferase gebildet, die einen Azetylrest auf die<br />

Position 2 des Glyzerins überträgt. Bei der Inaktivie<br />

rung wird dieser Azetylrest wieder abgespalten.<br />

Der PAF ist ein humoraler Mediator von Entzündung<br />

und Schock, der in Reaktion auf verschiedene Stimuli<br />

(Immunglobulin E bei Mastzellen und Makrophagen,<br />

Thrombin bei Blutplättchen) freigesetzt wird. Er l<strong>ö</strong>st<br />

Thrombozytenaggregation mit intravasaler Gerinnsel<br />

bildung aus. Durch Steigerung der Gefäßpermeabilität<br />

kommt es zum Austritt von Blutflüssigkeit mit Hypovolämie<br />

und Ilämokonzentration. Der PAF führt zu Väso<br />

konstriktion mit Anstieg des Drucks im Pulmonalkreislauf,<br />

während der systemarterielle Druck auf<br />

grund verschlechterter Herzleistung und reduziertem<br />

Herzzeitvolumen absinkt (Schock). Er steigert durch<br />

Bronchokonstriktion den Atemwegswiderstand und<br />

verstärkt direkt und indirekt (durch Ausl<strong>ö</strong>sung der<br />

Freisetzung von Leukotrienen und Intcrlcukin 1, s.u.)<br />

entzündliche Reaktionen. H<strong>ö</strong>here PAF-Konzentrationen<br />

k<strong>ö</strong>nnen zur Entstehung von Magen- und Darmulzera<br />

führen. Im Rahmen der spezifischen Abwehr<br />

wirkt der PAF an der Transplantatabstoßung mit.<br />

3.2 Peptid-Enterohormone<br />

Enterohormone sind Botenstoffe, die von den in die<br />

Schleimhaut des Verdauungstrakts eingestreuten,<br />

endokrin bzw. parakrin tätigen Zellen gebildet wer<br />

den. Als ihre Hauptaufgabe wird die Anpassung der<br />

Motorik des Magen-Darm-Trakts und der Sekretion<br />

der Verdauungsdrüsen an die Bedürfnisse der Nah<br />

rungsverwertung angesehen. Viele Enterohormone<br />

sind auch in Neuronen des Zentralnervensystems und<br />

peripheren Nervenzellen nachgewiesen worden. Der<br />

Cholezystokiningehalt des Gehirns z.B. ist in manchen<br />

Bereichen h<strong>ö</strong>her als der der Darmwand. Die als<br />

Neuropeptide bezeichneten Substanzen werden bei<br />

Nerverregung (z.T. zusammen mit klassischen Neuro<br />

transmittern, wie Noradrenalin oder Glutamat) freige<br />

setzt. Die physiologische Bedeutung der Neuropeptidfreisetzung<br />

ist bisher nur für wenige Mechanismen<br />

bekannt (z.B. Substanz P als Transmitter der periphe<br />

ren Nozizcplion oder Cholezystokinin als hypothalamischer<br />

Mediator der Appetithemmung).<br />

3.3 Renin-Angiotensin-System<br />

3.1.3 Plättchenaktivationsfaktor (PAF)<br />

Der Plättchenaktivationsfaktor ist ein parakrin und<br />

endokrin wirkender Botenstoff, der in der Membran<br />

verschiedener Zellen (Thrombozyten. Monozyten bzw.<br />

Makrophagen, Granulozyten, Gefäßendothelzellen,<br />

Gewebemastzellen) aus Phospholipiden gebildet wird.<br />

3.3.1 Aufbau<br />

Als Renin-Angiotensin-System (RAS) wird ein mehrstu<br />

figer, in sich rückgekoppelter hormoneller Regelme<br />

chanismus bezeichnet, der an der Kontrolle des arte<br />

riellen Blutdrucks und des Salz- und Wasserhaushalts<br />

beteiligt ist. Als RAS zusammengefaßt werden die


38 Endokrines System<br />

Peptid-Enterohormone<br />

und ihre Wirkungen<br />

Gastrin: Steigerung der Magensaftsekretion, Hemmung<br />

des Tonus des Magenfundiis bei F<strong>ö</strong>rderung der antraten<br />

Peristaltik<br />

ChoIezystokinin-Pankreo/yinin: Gallenhlasenkontraktion,<br />

aber Frschlafiung des Sphincter Oddi, Hemmung des<br />

Tonus des Magenfundus und des unteren Ösophagus-<br />

Sphinkters, Konstriktion des Pylorus, Anregung der FnzymsekretiOD<br />

des Pankreas, F<strong>ö</strong>rderung der glucoseinduzierten<br />

Insulinfreisetzung<br />

Sekretin: Steigerung der Wässer- und Bikarbonatsekre<br />

tion des Pankreas, Anregung der Gallensekretion der<br />

Leber, Hemmung der Magensaftsekretion, Hemmung von<br />

Tonus und Peristaltik des Magens<br />

Fnteroglukagon: Hemmung der Magen- und Darm<br />

motorik<br />

GIP (»gastric inhibitory polypeptide«): Hemmung der<br />

Magensaflsekretion, Anregung der Insulinsekretion<br />

VIP (»vasoactive releasing polypeptide«): Gefäß- und<br />

Bronchienerweiterung, Anregung der Abgabe von Wasser<br />

und Elektrolyten ins Darmlumen<br />

GRP (»gastrin releasing peptide«) weitgehend identisch<br />

mit Bombesin vom Frosch: Anregung der Sekretion von<br />

Gastrin (Gegenspieler des Somatostatins), Hemmung der<br />

Magenperistaltik, Kontraktion der Gallenblase<br />

Somatostatin: Hemmung (U'.r endokrinen und exokrinen<br />

Sekretion der Verdauungsdrüsen, Hemmung der Magen<br />

peristaltik<br />

Motilin: Anregung der Motorik von Magen und Darm<br />

PP (»pancreatic polypeptide«): Beschleunigung der<br />

Magenentleerung, Steigerung der Darmmotorik<br />

Substanz P: Über Histaniinfreisetzung Steigerung der<br />

Magensaftsekretion<br />

Neurotensin: Gefäßerweiterung, Blutdruckabfall, Hem<br />

mung der Magensäuresekretion<br />

Peptid YY: Yäsokonstriktion. Hemmung der Darmmotorik<br />

Substrate, Enzyme und Produkte einer Reaktionskas<br />

kade, in deren Verlauf der Hauptwirkstoff Angiotensin<br />

II gebildet und wieder zerst<strong>ö</strong>rt wird. Im einzelnen<br />

werden zum Renin-Angiotensin-System gerechnet:<br />

- Angiotensinogen (Reninsubstrat), ein vorwiegend in<br />

der Leber, aber auch in anderen Geweben wie dem<br />

Gehirn gebildetes Og-Globulin<br />

- Renin, eine nahezu ubiquitär (wenn auch weit über<br />

wiegend in der Niere) gebildete Protease, die aus<br />

Angiotensinogen das Dekapeptid Angiotensin I ab<br />

spaltet<br />

- Angiotensin I, im Plasma zirkulierendes und auch<br />

im Liquor cerebrospinalis vorhandenes Substrat des<br />

Konversionsenzyms<br />

- Konversionsenzym (»converting enzyme«), ein an<br />

der Innenseite des Gefäßendothels insbesondere der<br />

Lungenkapillaren, aber auch im Plasma und in den<br />

Zellen der proximalen Nierentubuli lokalisiertes<br />

Enzym, das aus Angiotensin I durch Abspaltung von<br />

zwei Aminosäuren das Oktapeptid Angiotensin II<br />

bildet. Das Konversionsenzym ist identisch mit der<br />

Kininase II, die das gefäßerweiternde Bradykinin<br />

durch Spaltung inaktiviert<br />

- Angiotensin II als Hauptwirkstoff des RAS (und das<br />

um eine Aminosäure kürzere Peptid Angiotensin III,<br />

das etwas weniger wirksam ist)<br />

- Angiotensinasen, Sammelbegriff für eine Reihe pro<br />

teolytischer Enzyme, die Angiotensin II durch Spal<br />

tung rasch inaktivieren (Halbwertszeit für Angioten<br />

sin II im Plasma 1 bis 2 min).<br />

Das RAS wird nach den Bildungsorten für Renin in<br />

einen renalen Anteil, der manchmal wegen der quan<br />

titativ überwiegenden Reninproduktion in der Niere<br />

allein als RAS bezeichnet wird, und einen extrarena<br />

len Teil gegliedert. Eine extrarenale Produktion von<br />

Renin bzw. von spezifisch Angiotensinogen spaltenden<br />

Enzymen ist in fast allen Geweben, vor allem in der<br />

Glandula submaxillaris, der Nebennierenrinde und<br />

den Blutgefäßwänden, nachgewiesen worden. Im<br />

Gehirn sind alle Komponenten des RAS vorhanden.<br />

Die reninproduzierenden Zellen der Niere sind<br />

besondere glatte Muskelzellen (myoepitheliale Zellen,<br />

auch Epitheloidzellen genannt) hauptsächlich des Vas<br />

ailerons der Nierenglomeruli, die zusammen mit<br />

einem speziellen Anteil des zum Nephron geh<strong>ö</strong>renden<br />

distalen Tubulus (Macula densa) den juxtaglomerulären<br />

Apparat bilden. Die reninproduzierenden Zellen<br />

weisen eine dichte sympathische Innervation auf.<br />

Noradrenalin stimuliert über ß-Rezeptoren die Reninsekretion.<br />

Unterschreitet der Mitteldruck in der A. re<br />

nalis einen kritischen Wert (ca. 85 mmHg), steigt die<br />

Reninfreisetzung unabhängig von der renalen Innerva<br />

tion drastisch an. Die diesen Effekt bewirkenden intra<br />

renalen Pressorezeptoren sind wahrscheinlich in der<br />

Wand des Vas afferens lokalisiert.<br />

Eine humorale Hemmung der Reninsekretion wird<br />

durch Angiotensin II bewirkt (negative Rückkopplung<br />

im RAS). Hemmend wirken auch das im Hypophysenhinterlappen<br />

freigesetzte Vasopressin (antidiureti<br />

sches Hormon, ADH) und das im Herzvorhof gebildete<br />

atriale natriuretische Hormon (ANH). Zu den humoral<br />

stimulierenden Faktoren des RAS geh<strong>ö</strong>ren Prosta<br />

glandine, Histamin und Dopamin.<br />

Die Aktivität des RAS hängt nicht nur von der renalen<br />

Reninsekretion bzw. dem Plasma-Reninspiegel, son-


C. Physiologie 39<br />

Renin-Angiotensin-System<br />

Sympathikus<br />

Niere<br />

äff.<br />

Arteriole<br />

Macula<br />

densa<br />

Konversionsenzym<br />

—nimiiun<br />

Kapillare<br />

Abb.C-13: Aulbau des renalen Uenin-Angiotensin-Systems. (RPZ = reninproduzierende Zelle; |5 = ß-Adrenozeptor)<br />

dem auch von dem Angebot an Reninsubstrat (Angio<br />

tensinogen) ab. Die normale Plasmakonzentration von<br />

Angiotensinogen liegt in der Nähe von KM (Michaelis-<br />

Konstante) für die Abspaltung von Angiotensin I, so<br />

daß die Reaktion mit etwa halbmaximaler Geschwin<br />

digkeit abläuft. Bei zunehmender Angiotensinogenkonzentration<br />

(vermehrte Bildung in der Leber z.B.<br />

unter dem Einfluß von Östrogenen) wird mehr Angio<br />

tensin I gebildet und zu Angiotensin II umgesetzt. Die<br />

Aktivität des RAS steigt, obwohl die Reninkonzentration<br />

eher abnimmt, denn das erh<strong>ö</strong>hte Angiotensin II<br />

bremst die Reninausschüttung in der Niere (negative<br />

Rückkopplung, s.o.). Auf eine RAS-Aktivierung durch<br />

vermehrte Angiotensinogenproduktion wird u.a. der<br />

Blutdruckanstieg zurückgeführt, der bei Einnahme<br />

synthetischer Östrogene (z. B. bei hormonaler Kontra<br />

zeption) beobachtet werden kann.<br />

Eine Verbindung zwischen dem renalen und dem<br />

extrarenalen RAS wird dadurch hergestellt, daß die<br />

Epitheloidzellen des juxtaglomerulären Apparats der<br />

Niere neben aktivem Renin auch inaktives Prorenin<br />

ausschütten. Dieses Prorenin, dessen Plasmakonzen<br />

tration die des aktiven Renins etwa um den Faktor 10<br />

übersteigt, kann z.B. von Gefäßendothelzellen auf-<br />

Wirkungen von Angiotensin II<br />

VViderstandsgefäße: Konstriktion der glatten Gefäßmus<br />

kulatur, Verstärkung der Wirkung endogen freigeset/en<br />

oder exogen zugeführten Noradrenalins, Wachstumsfak<br />

tor für die Proliferation glatter Geläßmuskelzellen<br />

Herz: Steigerung der Kontraktilitäl, Induktion von Hyper<br />

trophie<br />

Sympathisches Nervensystem: Verbesserung der ganglionären<br />

Transmission, Steigerung von Synthese und<br />

Freisetzung sowie Hemmung der Bückbindung von Nor<br />

adrenalin an den Endverzweigungen der postganglionä<br />

ren Sympathikusfasern<br />

Gehirn: Über zentralnerv<strong>ö</strong>se Angriffspunkte Aktivierung<br />

exzitatorischer Bereiche des bulbären Kreislaufzentrums,<br />

Ausl<strong>ö</strong>sung von Hurst im Hypothalamus<br />

Hypophyse: Stimulation der ACTH-Freisetzung im Hypo<br />

physenvorderlappen und der ADI (-Freisetzung im Hypophysenhinterlappen<br />

Nebennierenrinde: Anregung der Ausschüttung des<br />

Mineralkortikoids Aldosteron<br />

Niere: Stimulation der Natriumrückresorption in den<br />

Nierenkanälchen, Hemmung der Beninsekretion


40 Endokrines System<br />

genommen und in aktives Renin umgesetzt werden.<br />

Durch das lokale RAS kann z.B. der Tonus von Wider<br />

standsgefäßen parakrin und ggf. auch aulokrin beein<br />

flußt werden.<br />

3.3.2 Angiotensin II<br />

Der Haupteffektor des RAS, das Angiotensin II, hat im<br />

Rahmen der Regulation von Kreislauf, Wasser- und<br />

Elektrolythaushalt ein umfangreiches Wirkungsspek<br />

trum.<br />

3.4 Kininsystem<br />

Kinine werden aus Kininogenen (hochmolekulares<br />

HMW-Kininogen und niedermolekulares LMW-Kininogen)<br />

durch die Proteinase Kallikrein abgespalten. Kallikrein<br />

wird aus Präkallikrein über partielle Proteolyse<br />

z.B. durch Trypsin oder aktivierten Gerinnungsfaktor<br />

Xlla (Hageman-Faktor) gebildet.<br />

Im Plasma entsteht vor allem Bradykinin (9 Aminosäu<br />

ren-Kettenlänge), im Gewebe das eine Aminosäure<br />

mehr enthaltende Kall id in (Kinin-10) und Methionyl-<br />

Kallidin (Kinin-11). Die Kinine werden innerhalb<br />

weniger Sekunden durch Spaltung inaktiviert. Als<br />

Kininase wirkt u.a. das Angiqtensin-Konversionsenzym<br />

(s. u.), so daß die Kininwirkung bei Behandlung<br />

z.B. von Hochdruck-Patienten mit Konversionsenzym<br />

hemmern verlängert ist.<br />

Kinine kontrahieren die glatte Muskulatur der Bron<br />

chien und steigern die Darmmotilität. Die glatten<br />

Muskeln der Blutgefäße werden dagegen relaxiert, so<br />

daß es unter Kinineinfluß zu Gefäßerweiterung mit<br />

Blutdruckabläll kommt. Bradykinin ist Mediator bei<br />

der die Schweißsekretion begleitenden Mauthyper<br />

ämie. Es ist wahrscheinlich auch an der Ausl<strong>ö</strong>sung der<br />

Arbeitshyperämie des Skelettmuskcls beteiligt. Kinine<br />

erh<strong>ö</strong>hen die Kapillarwandpermeabilität und f<strong>ö</strong>rdern<br />

die Ödembildung. Sie reizen nozizeptive Nervenendi<br />

gungen (Schmerzausl<strong>ö</strong>sung). Diese Wirkungen kenn<br />

zeichnen sie (zusammen mit den Eikosanoiden, Kom<br />

plementfaktoren und Histamin) als Mediatoren ent<br />

zündlicher Vorgänge.<br />

Bei schweren Entzündungen (z. B. akute Pankreatitis)<br />

und Traumen scheint eine Übcraktivierung der Kininbildung<br />

zu erfolgen. Diese Annahme ist Grundlage des<br />

therapeutischen Einsatzes des Proteinascnhemmers<br />

Aprotinin (Trasylol®), der durch Hemmung der proteo<br />

lytischen Wirkung von Kallikrein und Trypsin die<br />

Kininsynthese bremst.<br />

3.5 Atriales natriuretisches Hormon (ANH)<br />

In spezialisierten, zahlreiche Granula enthaltenden<br />

Vorhofmyokardzellen wird aus einem Vorläuiermolekül,<br />

das aus 151 Aminosäuren besteht, die 126 Amino<br />

säuren lange Speicherform des ANH gebildet. Aus<br />

dieser Speicherform werden aktive Peptide mit 23 bis<br />

33 Aminosäuren, beim Menschen als ANH-28 mit 28<br />

Aminosäuren, abgespalten. Die Sekretion von ANH<br />

wird durch eine Volumenbelastung des Kreislaufs mit<br />

Aufdehnung der Vorhole ausgel<strong>ö</strong>st.<br />

Das ANH ist nach seiner Hauptwirkung, der Steigerung<br />

der Natriumausscheidung durch die Niere (die ver<br />

mehrte Wasserausscheidung zur Folge hat), benannt.<br />

Es wirkt entgegengesetzt zum Angiotensin II, das die<br />

Natriurese und damit die Wasserdiurese direkt und<br />

indirekt über Aldosteronfreisetzung vermindert. Das<br />

ANH wirkt auch auf anderen Ebenen als Gegenspieler<br />

des Renin-Angiotensin-Systems. Es hemmt die renale<br />

Reninfreisetzung und blockiert in der Nebennieren<br />

rinde die Steigerung der Aldosteronsekretion durch<br />

Angiotensin II. Am Gefäßbett hemmt ANH die vasokonstriktorische<br />

Wirkung von Angiotensin II und, wenn<br />

auch weniger, die von Noradrenalin. Darüber hinaus<br />

wirkt es direkt vasodilatatorisch. Die Infusion von ANH<br />

führt zumindest beim Gesunden zum Abfall des arte<br />

riellen Syslemdrucks.<br />

3.6 Wachstumsfaktoren<br />

Wachstum, Proliferation und Differenzierung von Zel<br />

len werden außer von den klassischen Hormonen, wie<br />

Somatotropin, Insulin, Thyroxin, und den anabolen<br />

Steroiden von Peptid-Signalsubstanzen beeinflußt, die<br />

im Gewebe gebildet werden und endo-, para- oder<br />

autokrin wirken. Diese Botenstoffe (»growth factors«,<br />

GF) sind nach dem Gewebe, in dem sie wirksam sind<br />

bzw. gefunden wurden, nach ihrer Funktion oder nach<br />

struktureller Verwandtschaft benannt.<br />

3.6.1 Insulinähnliche Wachstumsfaktoren<br />

Die insulinähnlichen Wachstumsfaktoren IGF I und<br />

IGF II entsprechen in der Aminosäuresequenz zu ca.<br />

40% dem Proinsulinmolekül. IGF I ist das vor allem von<br />

Leberzellen unter dem Einfluß von Somatotropin pro<br />

duzierte Somatomedin C. Somatomedin A, das früher<br />

als eigenständiges Peptidhormon gewertet wurde, ist<br />

eine deamidierte Form von Somatomedin C. Die Syn<br />

these von IGF I kann auch durch Insulin oder Thyroxin<br />

angeregt werden. Im Plasma ist es zu ca. 80% protein<br />

gebunden, und die Halbwertszeit von exogen zugeführteni<br />

IGF I liegt bei 20 Minuten. Wesentliche endo<br />

krine Wirkung der IGF ist eine Stimulation des Knor<br />

pel- und Knochenwachstums. Die Beeinflussung des<br />

Glucosestoffwechsels durch IGF I (Wirkungsstärke an<br />

Insulinrezeptoren ca. 6% von der des Insulins) ist im<br />

physiologischen Konzentrationsbereich ohne Bedeu<br />

tung. Welche Rolle dem IGF II in der physiologischen<br />

Steuerung des Zellwachstums zukommt, ist noch un<br />

klar.


C. Physiologie 41<br />

0<br />

0<br />

Natrium- und Wasser<br />

ausscheidung der Niere<br />

©<br />

Interstitium<br />

0.<br />

Blut<br />

volumen<br />

NNK<br />

Aldosteron<br />

e ®<br />

® ©<br />

Gefäß<br />

tonus<br />

Zentraler<br />

RAS<br />

'0<br />

0<br />

ANH<br />

©<br />

Abb. C-14: Regelung der Füllung des kapazitiven Geläßbetts über das vom Vorhofmyokard sezernierte atriale natriuretische<br />

Hormon (ANH). RAS = Itenin-Angiotensin-System; zentraler PV = Druck in den herznahen Venen bzw. im rechten Vorhofals<br />

Maß der Kreislauffüllung.<br />

3.6.2 Nervenwachstumsfaktoren<br />

Hauptvertreter der neurotropen Wachstumsfaktoren<br />

ist der Nervenwachstumsfaktor NGF. NGF wird von<br />

den Zielzellen sensorischer und sympathischer Neu<br />

rone des peripheren Nervensystems, aber auch von<br />

Neuronen des zentralen Nervensystems (Hippokam<br />

pus) gebildet. Er ist für die Proliferation der sensorischen<br />

und sympathischen Neurone während der Fetal<br />

phase und für die Herstellung der Axonverbindungen<br />

zu den Ziclzellen essentiell. Darüber hinaus stimuliert<br />

er die Proliferation von Gewebsmastzellen.<br />

3.6.3 Epitheliale und transformierende Faktoren<br />

Das Wachstum von Epithelzellen wird von dem epidermalen<br />

Wachstumsfaktor EGF kontrolliert. Der das<br />

Wachstum u.a. der Basalzellen der Haut stimulierende<br />

EGF ist zum Teil identisch aufgebaut wie der transfor<br />

mierende Wachstumsfaktor a (TGFa), der wahrschein<br />

lich die in der Fetalentwicklung gebildete Form des<br />

EGF darstellt und in der Zellkultur die maligne Entar<br />

tung von Zellen (Transformation) begünstigt. Der ähn<br />

lich wie TGFa wirkende TGFß ist ein strukturell und in<br />

den übrigen Funktionen vollständig andersartiges Pep<br />

tid, das aus Nieren-, Plazenta- und Knochengewebe<br />

isoliert werden kann. TGFß ist Mitglied einer Familie<br />

von Peptid-Botenstoffen, zu der das FSH-hemmendc<br />

Hormon Inhibin und das beim männlichen Feten<br />

zusammen mit Testosteron wirksame Anti-Müller-<br />

Hormon geh<strong>ö</strong>ren. Beide TGF wirken an der Regulation<br />

der Regeneration von Leber- und wahrscheinlich auch<br />

von Darmepithel mit.<br />

3.6.4 Wachstumsfaktor der Blutplättchen<br />

Der Thrombozyten-Wachstumsfaktor (»plateletderived<br />

growth factor«, PDGF) wird auch von glatten<br />

Muskelzellen, Fibroblasten, Endothelzellen und<br />

Makrophagen gebildet. Bei kurzer Halbwertszeit im<br />

Plasma (ca. 2 min) bleibt seine Wirkung weitgehend<br />

lokal beschränkt. PDGF stimuliert, das Wachstum von<br />

vom Mesenchym abgeleiteten Zellinien (Fibroblasten,<br />

glatte Muskelzellen, Gliazellen). Dieser Wachstumsfak<br />

tor ist vor allem für die Wundheilung wichtig.


42 Endokrines System<br />

3.6.5 Fibroblasten-Wachstumsfaktoren<br />

Die Gruppe der Fibroblasten-Wachstumsfaktoren<br />

(FGF) ist in zahlreichen Geweben (Gehirn, Niere, Pro<br />

stata, Knochen usw.) nachgewiesen worden. Die FGF<br />

sind für die Steuerung der Embryonalentwicklung des<br />

Mesoderms und beim ausdifferenzierten Organismus<br />

zusammen mit PDGF für die Wundheilung von Bedeu<br />

tung. Die besonders intensive Anregung von Wachs<br />

tum und Wanderung von Gefäßendothelzellen kenn<br />

zeichnen die FGF als Angiogeneseiäktoren.<br />

3.6.6 Wachstumsfaktoren für Blutzellen<br />

Regeneration und Ausdifferenzierung von Blutzellen<br />

werden von zahlreichen Wachstumsfaktoren reguliert,<br />

die meist nach ihrer Fälligkeit, in vitro das Kolonie<br />

wachstum teildifferenzierter Blutstammzellen anzu<br />

regen, als »colony stimulating factors« (CSF) klassifi<br />

ziert werden. Der Wachstumsfaktor, der die gemein<br />

same Stammzelle für Granulozyten, Erythrozyten,<br />

Monozyten bzw. Makrophagen und Megakaryozyten<br />

bzw. Thrombozyten stimuliert, heißt entsprechend<br />

CSF-GEMM, der für die weiterdifferenzierte gemein<br />

same Stammzelle von Granulozyten und Makrophagen<br />

CSF-GM. Diese Wachstumsfaktoren k<strong>ö</strong>nnen von Leu<br />

kozyten, Gefäßendothelzellen und Fibroblasten sezerniert<br />

werden. Der wichtigste Wachstumsfaktor für die<br />

rote Blutzellreihe ist Erythropoetin, ein hauptsächlich<br />

in der Niere gebildetes Glykoprotein.<br />

3.7 Endogene Opiate<br />

Nachdem verschiedene spezifische Rezeptoren für die<br />

seit Jahrhunderten angewandten Opiate (u.a. Morphin<br />

und Heroin) gefunden wurden, konnten auch endo<br />

gene Botenstoffe identifiziert werden, die ihre Wirkung<br />

über Bindung an die Opiatrezeptoren ausl<strong>ö</strong>sen. Die<br />

endogenen Opiate k<strong>ö</strong>nnen in drei Gruppen unterteilt<br />

werden: die Enkephaline (Methionin- und Leucinenkephaline<br />

als Pentapeptide), die Endorphine (Hauptvertreter<br />

ß-Endorphin aus 31 Aminosäuren) und die<br />

Dynorphine (Dynorphiniy mit 17 Aminosäuren). Die<br />

drei Gruppen werden aus unterschiedlichen Vorläufer<br />

molekülen gebildet (Proenkephalin, Proopiomelano<br />

cortin und Prodynorphin). Enkephalin wirkt vor allem<br />

auf Opioide Rezeptoren vom 6-Typ, Dynorphin auf<br />

solche vom ic-Typ. Die Endorphine sind wahrscheinlich<br />

die biologischen Liganden für die p-Opioid-Rezeptoren<br />

(Rezeptoren, auf die Morphin besonders gut wirkt). Die<br />

über diese Rezeptoren ausgel<strong>ö</strong>sten Wirkungen k<strong>ö</strong>nnen<br />

über den bekannten Opiatantagonisten, das Naloxon,<br />

blockiert werden.<br />

sischen Transmittern bzw. Hormonen freigesetzt<br />

(ß-Endorphin z. B. mit Glukagon oder Somatostatin,<br />

Enkephalin z. B. mit Azetylcholin). Die funktionelle<br />

Bedeutung der zentralen und peripheren Opioiden<br />

Systeme ist nur bruchstückhaft bekannt. Im hypothalamisch-hypophysären<br />

System scheint Endorphin eine<br />

tonisch-hemmende Wirkung auf die Freisetzung von<br />

Gonadotropinen auszuüben. Im Rückenmark k<strong>ö</strong>nnen<br />

(exogen zugcführte) Endorphine und Enkephaline die<br />

Informationsübertragung im nozizeptiven System und<br />

damit die Schmerzempfmdung unterdrücken. Ein<br />

Nachweis des Vorkommens bzw. der Freisetzung die<br />

ser endogenen Opiate im Rückenmark des Menschen<br />

steht allerdings noch aus. Die physiologische Bedeutung<br />

der vielfältigen Wirkungen von Opioiden am Verdau<br />

ungstrakt (Motorik und Sekretion) ist noch ungeklärt.<br />

3.8 Peptid-Abwehrhormone<br />

Abwehrhormone sind eine Gruppe von Peptid-Botenstoffen,<br />

die vor allem von weißen Blutzellen gebildet<br />

werden (Zytokine) und Einfluß auf allen Ebenen (Zel<br />

len, Gewebe und Organe, Organismus) der Abwehr<br />

reaktion nehmen k<strong>ö</strong>nnen. Manche Abwehrhormone<br />

k<strong>ö</strong>nnen auch als Wachstumsfaktoren wirksam werden.<br />

3.8.1 Interleukine<br />

Als Interleukine werden die Signalsubstanzen klassifi<br />

ziert, von denen nicht nur die Funktion, sondern auch<br />

die Aminosäurescquenz bekannt ist. Entsprechend hat<br />

die folgende Auflistung der anerkannten Interleukine<br />

nur vorläufigen Charakter.<br />

Interleukin 1, das hauptsächlich von Makrophagen<br />

freigesetzt wird, ist das zentrale Hormon der unspezifischen<br />

und Aktivationskomponente der spezifischen<br />

Abwehr. Diese Rolle teilt es allerdings mit dem eben<br />

falls von den Makrophagen gebildeten Tumornekrose<br />

faktor (= Kachektin), dessen Wirkungsspektruni weit<br />

gehend dem des Interleukin 1 entspricht.<br />

Interleukin 2 wird von aktivierten T-Helfer-Zellen<br />

sezerniert und aktiviert selbst alle Lymphozyten, die<br />

nach Antigenkontakt IL2-Rezeptoren exprimiert<br />

haben. Weil nur die antigenstimuliertcn Lymphozyten<br />

IL2-Rezeptoren exprimieren, kommt es unter Ein<br />

wirkung einer antigenen Determinante zu klonaler<br />

Expansion der Lymphozyten.<br />

Die endogenen Opiate sind in Nervenzellen (vor allem<br />

im Zentralnervensystem) und in vielen anderen Gewe<br />

ben (Niere, Lunge, Leber, Plazenta, Verdauungstrakt<br />

usw.) nachgewiesen worden. Von Nervenzellen und<br />

endokrinen Zellen werden sie zusammen mit den klas-


C. Physiologie 43<br />

Wirkungen von Interleukin I<br />

T-Lymphozyten: Aktivierung, Ausl<strong>ö</strong>sung der Produktion<br />

von Lymphokinen (z.B. Interleukin 2)<br />

B-I.ymphozyten: Aktivierung, Stimulation von Prolifera<br />

tion und Antik<strong>ö</strong>rperproduktion<br />

Knochenmark: Anregung der Granulozytopoese, ver<br />

mehrte Ausschüttung von neutrophilen Granulozyten,<br />

Hemmung der Rrythrozytopoese<br />

PNM-Phagozyten: Chemotaxis, Aktivierung<br />

Fibroblasten: Proliferation, vermehrte Kollagenbildung,<br />

Sekretion von Wachstumsfaktoren<br />

Gefäßendothel: Sekretion von Wachstumsfaktoren (CSF),<br />

Aufhebung der lokalen Gerinnungshemmung<br />

Leber: Vermehrte Bildung von »Akute-Phase-Proteinen«<br />

Skelettmuskulatur: Proteolyse, Freisetzung von Amino<br />

säuren<br />

Hypothalamus: Ausl<strong>ö</strong>sung von Temperatursteigerung<br />

(Fieber)<br />

Hypophyse: Freisetzung von ACTH<br />

Interleukin 3 ist der Wachstumsfaktor für die pluri<br />

potenten Stammzellen der Hämozytopoese (Multi-CSF<br />

bzw. CSF-GEMM). Daneben stimuliert es die Prolifera<br />

tion von Gewebsmastzellcn.<br />

Interleukin 4 regt die Vermehrung von B- und wahr<br />

scheinlich auch von T-Lymphozyten an. Nach seiner<br />

Funktion nennt man es B-Zellen-stimuIierenden Fak<br />

tor 1 bzw. BCSF1. Außerdem aktiviert es Makrophagen<br />

und l<strong>ö</strong>st an durch Interleukin 3 stimulierten Mastzel<br />

len weiteres Wachstum und Ausdifferenzierung aus.<br />

Interleukin 5 stimuliert die Proliferation von B-Lymphozyten<br />

sowie die Ausdifferenzierung von eosinophi<br />

len Granulozyten.<br />

Interleukin 6 ist der BCSF2, der B-Lymphozyten zur<br />

Umwandlung in antik<strong>ö</strong>rperproduzierende Plasmazel<br />

len veranlaßt. Es ist mit dem von Fibroblasten sezernierten<br />

ß2-Intcrferon identisch, das als hepatozytenstimulierender<br />

Faktor wie Interleukin 1 die Produktion<br />

von Akute-Phase-Proteinen in der Leber anregt.<br />

Interleukin 7, früher als Lymphopoietin I bezeichnet,<br />

stimuliert das Wachstum früher, noch wenig differen<br />

zierter Lymphozyten der T- und B-Zellen-Reihe.<br />

3.8.2 Interferone<br />

Die Interferone (INF) bilden eine Gruppe von effektori<br />

schen, speziesspezifischen Abwehrpeptiden (z. B.<br />

Gamma-Interferon mit 146 Aminosäuren), die von<br />

weißen Blutzellen und Bindegewebszellen sezernierl<br />

werden k<strong>ö</strong>nnen.<br />

Alpha-Interferon wird von neutrophilen Granulozyten<br />

im Rahmen der unspezifischen Abwehrreaktion abge<br />

geben. Der klassische Effekt von Alpha-Interferon ist<br />

die antivirale Wirkung, wobei die Penetration des<br />

Virus in die Zellen, die Translation des viralen Genoms<br />

und die Freisetzung von Viren aus den infizierten<br />

Zellen gehemmt werden kann.<br />

Beta-Interferon wird von Fibroblasten produziert. Es<br />

wird auch als Interleukin 6 eingestuft (s.o.).<br />

Gamma-Interferon ist ein Abwehrhormon von Lym<br />

phozyten. Es bindet an einen anderen Membranrezep<br />

tor als Alpha- oder Beta-Interferon. Der IFN-Rezeptor-<br />

Komplex l<strong>ö</strong>st eine noch unbekannte Reaktionskette<br />

aus, die zu einer Genaktivierung im Zellkern führt.<br />

Gamma-Interferon wirkt (wenn auch nicht so stark wie<br />

Alpha-Interferon) antiviral. INFy ist der wichtigste<br />

Botenstoff für die Aktivierung von Makrophagen durch<br />

T-Lymphozyten. Neben den Makrophagen aktiviert<br />

INFy natürliche Killerzellen und PMN-Phagozyten<br />

(neutrophile Granulozyten) und steigert deren Phagozytosefähigkeit<br />

und Zytotoxizität. Im Immunsystem<br />

hemmt INFy die Proliferation von T-Lymphozyten, regt<br />

aber die Ausschüttung von Interleukin 2 durch<br />

T-Helfer-Zellen an. Es stimuliert die Ausdifferenzie<br />

rung von B-Lymphozyten, hemmt aber die Antik<strong>ö</strong>rper<br />

produktion. Diese z.T. gegensätzlichen Effekte lassen<br />

eine Beurteilung der Rolle von INFy im Sinne autokriner<br />

und parakriner Aktivierung der spezifischen<br />

Abwehr noch nicht zu. Bei sehr hohen Dosen von IFNy<br />

wurde sogar eine Suppression der Immunantwort<br />

beobachtet.<br />

3.8.3 Thymushormone<br />

Der Thymus enthält epitheliale Zellen, die Peptidhor<br />

mone sezernieren. Die Zahl der hormonproduzieren<br />

den Zellen nimmt mit dem Alter stark ab. Bisher sind<br />

nur wenige der Thymuspeptide identifiziert und struk<br />

turell aufgeklärt. Dazu geh<strong>ö</strong>ren Thymosin c^ (28 Ami<br />

nosäuren), Thymosin ß4 (43 Aminosäuren), Thymopoi<br />

etin II (49 Aminosäuren) und Thymulin (Nonapeptid),<br />

auch »läcteur thymique serique« (FTS) genannt.<br />

Hauptfunktion der Peptidhormone des Thymus ist die<br />

Anregung der Ausdifferenzierung von T-Zell-V<strong>ö</strong>rgängen,<br />

wobei die einzelnen strukturell differenten Hor<br />

mone auf unterschiedlichen Stufen der Ausreilüng<br />

angreifen. Bei verschiedenen Immunmangelkrankheiten<br />

ist der Plasmaspiegel der Thymushormone ernied<br />

rigt, und die exogene Gabe dieser Faktoren ist erfolg<br />

reich therapeutisch eingesetzt worden.<br />

3.9 Biogene Amine<br />

3.9.1 Histamin<br />

Als Botenstoff wird Histamin, das biogene Amin des<br />

Histidins, vor allem von den basophilen Granulozyten<br />

und den Gewebsmastzellen im Rahmen der Steuerung<br />

von Abwehrreaktionen sezerniert. Außerdem kann es


44 Endokrines System<br />

von Haut- und Schleimhautzellen produziert werden.<br />

Seine Plasmakonzentration ist sehr niedrig, denn es<br />

wird rasch von den Geweben aufgenommen und abge<br />

baut. Die Histaminwirkungen werden über verschie<br />

dene Membranrezeptoren vermittelt (IIr und H2-<br />

Rezeptoren). Ins Blut gelangtes Histamin führt über<br />

beide Rezeptorentypen zu einer Weitstellung der<br />

Widerstandsgefäße mit Steigerung der Gewebsdurchblutung<br />

(Gesichtsr<strong>ö</strong>tung bei Histamini'rcisctzung im<br />

K<strong>ö</strong>rper). Die vasodilatierende Wirkung von Histamin<br />

wird wahrscheinlich über eine Freisetzung des endo<br />

thelialen Erschlaffungsläktors (EDRF) aus dem Gefäßendothel<br />

vermittelt. An isolierten Geläßen und an<br />

gr<strong>ö</strong>ßeren Arterien in situ wirkt Histamin vasokonstriktorisch.<br />

Zusammen mit den Eikosanoiden und den Kininen<br />

fungiert Histamin als Mediator entzündlicher Prozesse<br />

(Ödemerzeugung durch Steigerung der Gefäßpermeabilität,<br />

Schmerzausl<strong>ö</strong>sung). In der Lunge erh<strong>ö</strong>ht es<br />

durch Konstriktion der Bronchialmuskeln den Atem<br />

wegswiderstand (Asthma), denn die Aktivierung der<br />

glatten Bronchialmuskulatur über HrRezeptoren<br />

dominiert über die Relaxation durch H2-Rezeptor-<br />

Wirkung. Die wesentlich auf endogener Histaminfreisetzung<br />

beruhende allergische Reaktion (Überreaktion<br />

vom Soforttyp) kann durch Gabe von HrRezeptor-<br />

Antagonisten abgeschwächt werden. Die histaminerge<br />

Stimulation der Magensaftsekretion über H2-Rezeptoren<br />

ist Grundlage der Behandlung von Magenschleim<br />

hauterkrankungen und Duodenalulzera mit H2-Rezeptoren-Blockern.<br />

4 Lipidstoffwechsel<br />

4.1 Einteilung der Lipide<br />

Unter dem Sammelbegriff Lipide werden verschiedene<br />

Klassen wasserunl<strong>ö</strong>slicher Verbindungen subsu<br />

miert. Dazu geh<strong>ö</strong>ren<br />

- Triacylglycerine und die durch ihre Spaltung ent<br />

stehenden freien Fettsäuren<br />

- Phospholipids in denen Glyzerin mit zwei Fettsäu<br />

ren und einer Phosphorsäure verestert ist, wobei die<br />

Phosphorsäure an Cholin oder Ethanolamin gekop<br />

pelt ist (Lecithin und Cephalin). Phospholipide k<strong>ö</strong>n<br />

nen die mehrfach ungesättigte Arachidonsäure ent<br />

halten, aus der nach Abspaltung Prostaglandine,<br />

Leukotriene oder Lipoxine gebildet werden.<br />

- Sphingolipide, deren Grundbaustein ein langkettiger<br />

Aminoalkohol (Sphingosin oder Dihydrosphingosin)<br />

mit an die Aminogruppe gebundener Fettsäure<br />

ist (Ceramid). Durch Veresterung der OH-Gruppe<br />

von Ceramid mit Phosphatidylcholin oder Phosphatidylethanolamin<br />

entstehen Sphingomyeline,<br />

durch Verknüpfung des Ceramids mit Glucose oder<br />

Galaktose Cerebroside. Durch Anlagerung von<br />

Schwefelsäure an Galaktosylceramid wird Sulfatid,<br />

durch Kopplung mit mehreren z.T. modifizierten<br />

Zuckermolekülen werden Ceramidtrihexosid und<br />

Ganglioside gebildet.<br />

- Sterine mit dem Hauptvertreter Cholesterin, aus<br />

dem Steroidhormone und Gallensäuren syntheti<br />

siert werden.<br />

3.9.2 Serotonin<br />

Das biogene Amin des 5-IIydroxytryptophans wird wie<br />

Histamin von zerebralen Neuronen als Transmitter<br />

und von endokrinen Zellen des Verdauungstrakts,<br />

häufig zusammen mit anderen Enterohormonen, wie<br />

Motilin oder Substanz P, als Hormon sezerniert. Die<br />

komplexe Wirkung von Serotonin auf die glatte Musku<br />

latur und auf afferente Nervenendigungen ist in ihrer<br />

funktionellen Bedeutung bisher noch nicht ausrei<br />

chend bewertbar.<br />

Eine Wucherung von serotoninproduzierenden Zellen<br />

im Dünndarm führt über eine überschießende Serotoninfreisetzung<br />

zum sog. Karzinoidsyndrom.<br />

Die Sekretion von Serotonin durch aktivierte Thrombo<br />

zyten ist von (geringer) Bedeutung für die Blutstillung,<br />

denn Serotonin f<strong>ö</strong>rdert die Thrombozytenaggregation.<br />

Ob es den Verschluß verletzter Gefäße durch vasokonstringierende<br />

Wirkung unterstützt, ist fraglich, denn<br />

im Plasma enthaltenes Serotonin wirkt über Freiset<br />

zung von endothelialem Erschlaffungsläktor vasodilatatorisch.<br />

4.2 Lipoproteine<br />

Für den Transport im Plasma müssen die wenig<br />

wasserl<strong>ö</strong>slichen Lipide in Proteine verpackt werden.<br />

Als Trägerprotein für die freien Fettsäuren dient vor<br />

wiegend Albumin. Die anderen Lipide lagern sich mit<br />

verschiedenen Transporteiweißen (Apolipoproteine)<br />

zu Lipoproteinpartikeln zusammen, deren Kern aus<br />

apolaren Lipiden (Triacylglycerine, Cholesterinester)<br />

von einer proteinreichen, mit polareren Lipiden (Phos<br />

pholipide, freies Cholesterin) durchsetzten Hülle<br />

bedeckt wird. Diese Lipoproteine werden nach Dichte<br />

{very low density lipoproteins, VLDL; intermediate<br />

density lipoproteins, IDL; low density lipoproteins,<br />

LDL; high density lipoproteins, HDL), nach ihren<br />

Bestandteilen und nach der Wanderungsgeschwindigkeil<br />

bei der Elektrophorese in Gruppen zusammen<br />

gefaßt.<br />

Apolipoproteine dienen nicht nur als Vermittler für<br />

den Lipidtransport. In den Komplexen mit Lipiden<br />

fungieren sie auch als Liganden für Zellmembran<br />

rezeptoren und als Kofaktoren für lipidspaltende<br />

Enzyme (Lipoproteinlipase) und für die Cholesterin<br />

veresternde Lecithin-Cholesterin-Acyl-Transferase<br />

(LCAT).


C. Physiologie 45<br />

Lipoproteineigenschaften<br />

l.ipoprotein- Chylo- VLDL 11)1. 1.1)1. HDL<br />

k lasse mikroncn<br />

Gr<strong>ö</strong>ße (nm) 100-1000 30-70 25 20 7-10<br />

Anteil (g%)<br />

von:<br />

Triacylglycerin<br />

89 73 12 10 5<br />

Cholesterin 6 12 35 45 20<br />

Phospho<br />

lipid 4 15 24 20 25<br />

Protein 1 10 19 25 50<br />

Elektro<br />

phorese Start prä-ß Start l> «l<br />

Die Lipoproteine k<strong>ö</strong>nnen nach ihren Apoproteinen in<br />

die Familien mit Apo-A-I (Lipoproteine mit A-I oder<br />

A-I: A-II) und die Familien mit Apo-B (eholesterinreiche<br />

Lipoproteine mit nur Apo-B, triacylglycerinreiche<br />

mit B:C, B:E, B:C:E, A-ILB oder A-II:B:C:D:E) ein<br />

geteilt werden.<br />

Die zur ApoA-I-Familie geh<strong>ö</strong>renden Lipoproteine<br />

hoher Dichte (HDL) lassen sich nach zunehmender<br />

Dichte (und abnehmender Gr<strong>ö</strong>ße) in die Klassen HDL]<br />

bis HDL4 unterteilen, von denen HDL2 und HDL3<br />

quantitativ überwiegen. IIDL| enthält besonders viel<br />

ApoE. HDL2 transportiert pro Partikel wesentlich mehr<br />

Lipide als HDL3 und enthält häufiger nur ApoA-I (statt<br />

ApoA-I und ApoA-II).<br />

Ein wegen seiner m<strong>ö</strong>glichen Beteiligung an der Athorogenese<br />

interessantes Lipoprotein, das in unter<br />

schiedlicher Konzentration (1 bis 200 mg/dl. Median<br />

ca. 10 mg/dl) vorkommt und in der Dichte zwischen<br />

LDL und HDL2 Hegt, ist das Lipoprotein (a). Lp (a)<br />

entsteht durch Ausbildung einer Disulfidbrücke zwi<br />

schen ApoB10„ und einem strukturell dem Plasminogen<br />

verwandten Apo(a), dessen Isoformen eine Molmasse<br />

zwischen 240000 und 800000 haben. Die physiologi<br />

sche Funktion dieses hochmolekularen Lipoproteins ist<br />

noch nicht geklärt.<br />

4.3 Stoffwechsel exogener Lipide<br />

Aufnahme und Resorption: Ein erwachsener Mittel<br />

europäer nimmt im Mittel täglich mit der Nahrung auf:<br />

- 100 bis 150 g Triacylglycerine (»Neutralfette«)<br />

- 4 bis 8 g Phospholipide (überwiegend Lecithin)<br />

- 0,5 bis 1,0 g Cholesterin.<br />

Die Triacylglycerine werden im Darm durch Aufspal<br />

tung in ß-Monoacylglycerine und Fettsäuren resorbier<br />

bar. Nach Aufnahme in die Enterozyten des Dünn<br />

darms werden längerkettige Fettsäuren und Monoacylglycerine<br />

wieder zu Triacylglycerinen aufgebaut.<br />

Zusammen mit dem schlechter resorbierbaren Chole<br />

sterin (Resorptionsquote 20 bis 80%) und den ebenfalls<br />

als Bruchstücke resorbierten und danach resyntheti<br />

sierten Phospholipiden werden die Triacylglycerine in<br />

Apoproteine verpackt und als Chylomikronen in die<br />

Lymphe sezerniert. Die kurz- bis mittelkettigen Fett<br />

säuren werden von den Enterozyten direkt ans Blut<br />

abgegeben und in Bindung an Albumin abtranspor<br />

tiert. Strukturapoprotein der Chylomikronen ist vor<br />

allem eine spezielle Form des Apo-B, die ein Bruch<br />

stück des vorwiegend in der Leber synthetisierten<br />

ApoBIO„ mit nur 48% von dessen Aminosäurekette<br />

(ApoB4S) darstellt. Diese verkürzte Form entsteht<br />

dadurch, daß die Synthese von ApoB in der Darmmukosa<br />

durch Einbau eines Stopcodons in die mRNA vor<br />

Erreichen der vollen genetisch programmierten Länge<br />

abgebrochen wird. Als Hüllproteine erhalten die Chy<br />

lomikronen von den Enterozyten ApoA-I und ApoA-IV.<br />

Lymphe: In der Lymphe lagern sich von der Oberlläche<br />

der Chylomikronen abschilfernde und wahrscheinlich<br />

auch direkt sezernierte ApoA, Phospholipide und in<br />

geringer Menge freies Cholesterin zu noch unreifen,<br />

häufig scheibchenf<strong>ö</strong>rmigeii (diskoidalen) Lipopro<br />

teinen hoher Dichte (HDL) zusammen. Außerdem k<strong>ö</strong>n<br />

nen reife HDL-Partikel aus dem Plasma ins Interstitium<br />

und von dort in die Lymphe übertreten.<br />

Blut: Mit der Lymphe gelangen die Chylomikronen und<br />

die HDL ins Blut. Im Plasma kommt es zu einem<br />

raschen ApoC-II-Transfer von dort vorhandenen reifen<br />

HDL auf die Chylomikronen. Das Apoprotein C-II akti<br />

viert als Kofaktor die an den Kapillarendothelien ins<br />

besondere der Muskulatur und des Fettgewebes veran<br />

kerte Lipoproteinlipase, deren Aktivität außerdem<br />

durch Heparin gesteigert wird (Heparin als »Klärfak<br />

tor« von durch Chylomikronen getrübtem Plasma).<br />

Durch den Angriff dieses Enzyms werden Triacylglyce<br />

rine der Chylomikronen zu freien Fettsäuren und<br />

Monoacylglycerinen hydrolysiert. Mit niedrigerer<br />

Geschwindigkeit werden auch Monoacylglycerine und<br />

Phospholipide gespalten. Die aus den Chylomikronen<br />

freigesetzten Fettsäuren und Monoacylglycerine wer<br />

den von den Geweben als Substrat aufgenommen, und<br />

das entstellende Glycerin wird von der Leber eliminiert<br />

und weiterverwertet. Die Halbwertszeit der aus der<br />

Nahrung stammenden Lipide im Blut liegt zwischen<br />

2 bis 4 Minuten (albumingehundene Fettsäuren) und<br />

5 bis 10 Minuten (Chylomikronen). Der Hauptanteil<br />

(ca. 90%) der langkettigen Nahrungsfettsäuren wird<br />

aus dem Blut durch extrahepatische Gewebe elimi<br />

niert.<br />

Die bei der Hydrolyse der Chylomikronen übrigblei<br />

benden Chylomikronen-Remiiants verlieren ihre<br />

ApoA-Hüllproteine und erhalten von den HDL-Lipoproteinen<br />

und aus der Produktion verschiedener Zel<br />

len (Gefäßendothelzellen, Makrophagen usw.) Apo<br />

proteine des Typs E, die sie an der Oberfläche voran-


46 Endokrines System<br />

Vorkommen, Eigenschaften und Funktion von Apolipoproteinen<br />

Klasse Vorkommen Plasma<br />

konzentration<br />

(mg/dl)<br />

relatives<br />

Molekular<br />

gewicht<br />

Funktion<br />

A-I Chylomikron, 111)1. 120 228300 LCAT-Aktivierung<br />

A-II Chylomikron. 111)1. 35 17400<br />

Ligand Tür IIDI.-He/.eptoren<br />

HDL-Stukturproteln. Aktivierung der Leberlipase.<br />

LCAT-Aktivierung.<br />

A-IV Chylomikron, 111)1, 000 Strukturprotein der Chylomikronen<br />

"100 VLD, IDL, LDL 70 550000 Stukturprotein für Lipoproteine<br />

Ligand für I.DI.-He/eptoren<br />

C-I VLDL, HDL 6 6500 LCAT-Aktivierung<br />

C-II Chylomikron, VLDL, MDL 4 8500 Aktivierung der Lipoproteinlipa.se<br />

C-III VLDL, HDL 15 S240 Hemmung der Lipoproteinlipa.se<br />

Hemmung der ApoF-vermitlelten<br />

Upoproteuiaufnahme in der Leber<br />

D HDL 15 20000 LCAT-Aktivierung<br />

E2-E4 Chylomikron, IDL, HDL2 6 34200 Ligand für l.ipoproteinre/eptoren<br />

LCAT-Aktivierung<br />

kern. Die ApoE dienen als Liganden, mit denen sich die<br />

Chylomikronenüberbleibsel an Hemnant-Bezeptoren<br />

der Leberzellen heften k<strong>ö</strong>nnen. Es gibt zwei Klassen<br />

solcher Rezeptoren, die LDL-Hezeptorcn, die ApoE und<br />

ApoB1()o binden und damit die Aufnahme sowohl der<br />

aus VLDL entstehenden LDL (s.u.) als auch der Chylomikronen-Remnants<br />

in die Leberzellen erm<strong>ö</strong>glichen,<br />

und die eigentlichen Bemnant-Bezeptoren, die nur<br />

ApoE als Ligand akzeptieren. Dem von der Darmmukosa<br />

synthetisierten Strukturprotein der Chylomikro<br />

nen, ApoB48, fehlt die in ApoB|„0 enthaltene Bindungs<br />

sequenz für den LDL-Bezeptor. Für die Endozytose und<br />

intrazelluläre lysosomale Verarbeitung von Chylomikronen-Bemnants<br />

durch die Hepato/.yten ist daher der<br />

ApoE-Transfer auf die Chylomikronen essentiell. Vom<br />

ApoE-Gen gibt es drei Hauptallele (E2-E4). und damit je<br />

drei homozygote und heterozygote ApoE-Isolbrmen,<br />

von denen das homozygote ApoE;i die häufigste Form<br />

(ca. % der Bev<strong>ö</strong>lkerung) darstellt. ApoE2 ist als Rezeplorenligand<br />

schlechter wirksam als ApoE;{, ApoF.4 bes<br />

ser. Die Geschwindigkeit der Klärung des postprandial<br />

durch Chylomikronenbcladung trüben Plasmas hängt<br />

somit von der genetisch determinierten Isoform des<br />

ApoE ab. In der Regel erfolgt die Eliminierimg der<br />

Chylomikronen-Renmants durch die Leber so rasch,<br />

daß ihre Halbwertszeit nur etwa 15 Minuten beträgt.<br />

Daher sind Chylomikronen bzw. ihre Remnants im<br />

Plasma normalerweise nur in Spuren nachweisbar.<br />

Die Exprimierung der ApoE-Rezeptoren der Leberzel<br />

len wird im Gegensatz zu der der LDL-Rezeptoren<br />

(s.u.) durch erh<strong>ö</strong>hte Cholesterinaufnahme in die Hepatozyten<br />

nicht gehemmt.<br />

Die in der Lymphe enthaltenen und durch Abschilferung<br />

von ApoA beim hydrolytischen Abbau der Chylo<br />

mikronen im Plasma entstandenen naszenten HDL<br />

sind zunächst relativ lipidarm. Sie k<strong>ö</strong>nnen sich an die<br />

Membran von Zellen, die Cholesterin im Überschuß<br />

besitzen und ApoA-I-Rezeptoren (und wahrscheinlich<br />

auch ApoA-lV, aber nicht ApoA-11-Rezeptoren) cxprimieren,<br />

anheften und von der Membran freigesetztes<br />

Cholesterin aufnehmen. Insbesondere Gefäßendothel<br />

zellen k<strong>ö</strong>nnen ihren Cholesterinüberschuß an die HDL<br />

transferieren. Als weitere Quelle der Cholester'manreichenmg<br />

im Verlauf der HDL-Reifung dienen die<br />

ApoB-haltigen Lipoproteine (Chylomikronen, VLDL,<br />

LDL), von denen das freie, relativ polare Cholesterin<br />

durch Diffusion zu den HDL gelangt. Das auf der HDL-<br />

Oberfläche konzentrierte Cholesterin wird durch die<br />

von ApoA-IV aktivierte Lecilhin-Cholesterin-Acyl-<br />

Transferase (LCAT) mit Fettsäuren (z. B. Arachidon<br />

säure), die vom Glycerin-C2 von Phospholipiden abge<br />

spalten werden, verestert und dadurch unpolar. Die<br />

von der Oberfläche ins Zentrum wandernden Cholestcrinester<br />

bilden den Hauptbestandteil des hydrophoben<br />

Kerns der reifen HDL. Die HDL-Oberlläche wird rasch<br />

wieder durch von anderen Lipoproteinen herüberdiffimdierendes<br />

freies Cholesterin besetzt. Insgesamt ver<br />

estert die LCAT pro Tag 5- bis lOmal so viel freies<br />

Cholesterin, wie in der HDL-Fraktion zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt enthalten ist. Mit Hilfe von<br />

Cholesterinesler-Transferproteinen (CETP) k<strong>ö</strong>nnen<br />

auch unl<strong>ö</strong>sliche Cholesterinester zwischen Lipopro<br />

teinen verschiedener Klassen ausgetauscht werden,<br />

z.B. zwischen HDL und triacylglycerinreichen Lipo<br />

proteinen (Chylomikronen und VLDL) oder LDL. CETP<br />

vermitteln daneben die Abgabe von apolaren Triacylglycerinen<br />

aus den zu Remnants schrumpfenden Chy<br />

lomikronen an die Lipoproteine der LDL- und HDL-<br />

Fraktionen.


C. Physiologie 47<br />

4.4 Stoffwechsel endogener Lipide<br />

Die Synthese von zum Export ins Blut bestimmten<br />

Lipiden (Triacylglycerine, Phospholipide, Cholesterin)<br />

findet überwiegend in der Leber, aber auch in der<br />

Darmmukosa z.T. unter Verwendung bereits vorhan<br />

dener »Halbfabrikate« (Fettsäuren, Glycerin) statt. Die<br />

Leber sezerniert Triacylglycerine, Phospholipide und<br />

Cholesterin zusammen mit ApoB1(,„, inaktivem (noch<br />

nicht als Ligand funktionsfähigem) ApoE, ApoC und<br />

etwas ApoA-I als Lipoproteinpartikel sehr geringer<br />

Dichte (VLDL). Unter der Einwirkung der an der<br />

Gefäßwand angehefteten Lipoproteinlipase werden die<br />

Triacylglycerine der VLDL hydrolysiert und abgege<br />

ben, und über Cholesterinester-Translerproteine<br />

(CE'I'P) werden Cholesterinester aus HDL übernom<br />

men. Aus den VLDL werden in weniger als einer<br />

Stunde dichtere triaeylglycerinverarmte VLDL-Remnants<br />

und IDL, an deren Oberfläche neben ApoB,„„<br />

ApoF. als Ligand aktiviert wird. Ein großer Teil (wahr<br />

scheinlich mehr als die Hälfte) der VLDL-Remnants<br />

und IDL wird über ApoB/ApoE-Rezeptoren (sog. LDL-<br />

Rezeptoren) und über die ApoE-Rezeptoren (Remnant-<br />

Rezeptoren) an die Zellmembran vor allem von Leber<br />

zellen gebunden und durch Endozytose aus dem Interstitium<br />

eliminiert. Aus einem Teil der VLDL entstehen<br />

durch weitere Reduktion der Triacylglycerine (kataly<br />

siert vor allem durch die hepatische Lipase), Anreiche<br />

rung mit Cholesterinestern und Abgabe der Apoproteinc<br />

mit Ausnahme von ApoB10(, LDL. Die LDL sind<br />

relativ stabil und zirkulieren länger (ca. 3 Tage) im<br />

Plasma.<br />

Bei niedriger HDL-Konzentration k<strong>ö</strong>nnen sich VLDL<br />

und LDL zu Komplexen zusammenlagern. Die Hem<br />

mung der LDl/VLDL-Komplexbildung durch HDL<br />

beruht wahrscheinlich auf einem Transfer von ApoA-<br />

Hüllproteinen von HDL auf VLDL.<br />

Die mit Cholesterinestern, freiem Cholesterin und<br />

Phospholipiden angereicherten LDL werden über LDL-<br />

Rezeptoren (ApoB10o als Ligand) außer von Hepatozyten<br />

auch in extrahepatische Zellen als Material zur<br />

Zellmembransynthese aufgenommen. Die LDL sind<br />

somit die für die Versorgung extrahepatischer Gewebe<br />

mit Cholesterin wichtigsten Lipoproteine. Die Freiset<br />

zung von Cholesterin aus endozytiertem LDL supprimiert<br />

die endogene Cholesterinsynthese.<br />

Der LDL-Spiegel wird durch die Leber kontrolliert, die<br />

mittels LDL-Rezeptoren (ApoB10o als Ligand) LDL aus<br />

dem Plasma entfernt und lysosomal abbaut. Die Leber<br />

ist das einzige Organ, das das von nahezu allen<br />

Geweben synthetisierte Cholesterin in gr<strong>ö</strong>ßerer Menge<br />

aus dem Organismus eliminieren kann, indem sie es in<br />

Gallensäuren umwandelt und die Gallensäuren in den<br />

Darm abgibt. Die durch LDL-Rezeptoren vermittelte<br />

LDL-Aufnahme zeigt Sättigungskinetik, denn das in<br />

den Hepatozyten freiwerdende Cholesterin hemmt den<br />

Einbau der LDL-Rezeptoren in die Membran. Außer<br />

dem kann die Rezeptordichte hormonell beeinflußt<br />

werden. Östrogene und Thyroxin, m<strong>ö</strong>glicherweise<br />

auch Insulin, induzieren die LDL-Rezeptorsynthese.<br />

Zirkulierende LDL und kleine VLDL-Remnants (elektrophoretisch<br />

in der ß-Fraktion akkumulierende sog.<br />

ß-VLDL) k<strong>ö</strong>nnen durch Einwirkung von Enzymen der<br />

Makrophagen, Endothelzellen oder glatten Muskelzel<br />

len acetyliert oder oxidiert werden. Selen im Plasma<br />

als Koläktor von 02-Radikalonfängern hemmt die<br />

Peroxidation der Lipoproteine, Kupfer dagegen f<strong>ö</strong>rdert<br />

sie. Die chemisch modifizierten Lipoproteine mit teil<br />

weise fragmentiertem ApoB1(„, haben nur noch geringe<br />

Affinität für den LDL-Rezeptor, werden aber über sog.<br />

Scavenger-Rezeptoren intensiv von Makrophagen und<br />

glatten Muskelzellen aufgenommen. Eine Akku<br />

mulation oxidierter LDL wird als Mechanismus der<br />

Entstehung von Schaumzellen aus in die Gefäßwand<br />

eingewanderten Monozyten angesehen. Die oxidierten<br />

LDL, deren Phospholipide z.T. zu Lysolccithin umge<br />

wandelt sind, locken außerdem Monozyten an (Chemo<br />

taxis) und wirken auf Endothelzellen zytotoxisch. Die<br />

schädigende Wirkung oxidativ modifizierter LDL, die<br />

bei hohen Konzentrationen nativer LDL und vermin<br />

dertem Oxidationsschutz (niedrige Selen- und erh<strong>ö</strong>hte<br />

Kliplerkonzentration) vermehrt gebildet werden,<br />

k<strong>ö</strong>nnte das pathogenetische Prinzip der alherosklerosef<strong>ö</strong>rdernden<br />

Wirkung der Lipoproteine gerin<br />

ger Dichte sein.<br />

Als proteinreiche Lipoproteinpartikel werden von den<br />

Hepatozyten HDL:{ produziert, die elektronenoptisch<br />

als diskoid erscheinen und aus Schichten von ApoA-I<br />

und z.T. A-II, C-Apoproteinen, ApoD, inaktivem ApoE<br />

sowie freiem Cholesterin und Phospholipiden beste<br />

hen. Weitere Apoproteine, freies Cholesterin und Phos<br />

pholipids für die HDL-Generierung werden dadurch<br />

bereitgestellt, daß die VLDL und die Chylomikronen<br />

beim hydrolytischen Abbau ihre Hüllstrukturen verlie<br />

ren. Im Plasma reifen die von der Leber synthetisierten<br />

wie die aus der Darmmukosa stammenden HDL zu<br />

sphärischen Partikeln aus (s.o.). Im Verlauf der<br />

Anreicherung mit Lipiden entstehen aus den kleineren,<br />

dichteren HDL3 die gr<strong>ö</strong>ßeren, weniger dichten HDI2<br />

und unter Anlagerung insbesondere von Apoprotein E,<br />

das von VLDL stammt, bei gleichzeitiger Abgabe von<br />

ApoA die gr<strong>ö</strong>ßten und am wenigsten dichten HDLi.<br />

Cholesterin wird nach Veresterung durch LCAT in<br />

gr<strong>ö</strong>ßerem Ausmaß über Transferproteine (CETP) ins<br />

besondere an die LDL weitergegeben, und die CETP<br />

k<strong>ö</strong>nnen im Gegenzug Triacylglycerine von VLDL und<br />

LDL an HDL transferieren. Ein Teil der HDL-Triacylglycerine<br />

wird von Lipasen, insbesondere der hepa<br />

tischen Lipase, gespalten. Zwischen den HDL-Unterfraktionen<br />

stellt sich ein dynamisches Gleichgewicht<br />

ein, das bei hohem Angebot triacylglycerinreicher<br />

Lipoproteine (VLDL) und hoher Lipoproteinlipascaktivität<br />

in Richtung lipidreicherer HDL2 oder sogar HDL,<br />

verschoben wird. Wenn HDL2-Partikel CETP-vermittelt<br />

Cholesterinester mit VLDL und LDL gegen Triacylglycerin<br />

austauschen und ihr Kern triaeylglycerinreich<br />

wird, k<strong>ö</strong>nnen aus HDL2 unter dem Einfluß der hepati-


48 Endokrines System<br />

sehen Lipase wieder HDL;!-Partikel gebildet werden.<br />

Der Übergang zwischen den HDL-Unterfraktionen ist<br />

somit reversibel.<br />

Die Elimination der HDL erfolgt durch Bindung über<br />

ApoA-Rezeptoren an Zellen vor allem der Leber mit<br />

Endozytose und anschließender lysosomaler Zerst<strong>ö</strong><br />

rung. Pro Tag werden beim Gesunden 14% bis 18% des<br />

ApoA-I-Pool abgebaut. Der Umschlag von Cholesterin<br />

erfolgt schneller als der Umsatz der HDL-Apoproteine,<br />

weil die Leberzellen sowie die Zellen der Nebennie<br />

renrinde und des Ovars Cholesterinester aus den HDL<br />

auch ohne Endozytose des ganzen Lipoproteins über<br />

nehmen k<strong>ö</strong>nnen. Nach neueren Befunden kann<br />

überschüssiges Cholesterin außer von HDL auch von<br />

den Lipoproteinen der ApoB-Familie von Zellmembra<br />

nen aufgenommen, zur Leber transportiert und ohne<br />

Endozytose an die Hepatozyten abgegeben werden.<br />

Der reverse Cholesterintransport aus den Geweben in<br />

die Leber scheint somit nicht allein von HDL getragen<br />

zu werden.


D. Untersuchungsmethoden 49<br />

D. Untersuchungsmethoden<br />

1 Klinische Untersuchung<br />

Anamnestisch ist bei Verdacht auf das Vorliegen einer<br />

endokrinen St<strong>ö</strong>rung wichtig, eine eventuelle erbliche<br />

Belastung zu eruieren (familiäre Häufung bei Diabetes<br />

mellitus, Immunthyreopathien usw.). Bei der Eigen<br />

anamnese sollte gezielt nach Frühsymptomen endokri<br />

ner Erkrankungen, wie Beeinträchtigung von Antrieb<br />

und Gedächtnisleistung, Sehst<strong>ö</strong>rungen, Gewichtsver<br />

änderungen und Änderungen des äußeren Erschei<br />

nungsbildes (z.B. Abnahme der K<strong>ö</strong>rpergr<strong>ö</strong>ße bei<br />

Osteoporose, Vergr<strong>ö</strong>berung der Gesichtszüge bei Akromegalie),<br />

gefragt werden. Hilfreich zur Beurteilung<br />

von psychischen St<strong>ö</strong>rungen (Bruch in der Pers<strong>ö</strong>nlich<br />

keitsentwicklung) ist die zusätzliche Befragung von<br />

Angeh<strong>ö</strong>rigen.<br />

Bei der Untersuchung sollte zunächst ein Gesamtein<br />

druck gewonnen werden. Hautfarbe und Hautturgor,<br />

Mimik und Bewegungen, Behaarungstyp, K<strong>ö</strong>rperfett<br />

verteilung usw. k<strong>ö</strong>nnen wertvolle Hinweise auf endo<br />

krine Erkrankungen geben. Es folgt die Fahndung<br />

nach Symptomen von Organen und Organsystemen,<br />

die für die einzelnen endokrinen St<strong>ö</strong>rungen in den<br />

folgenden Abschnitten beschrieben sind. Gegebenen<br />

falls müssen weitergehende Untersuchungsmethoden<br />

eingesetzt werden (ophthalmologische Untersu<br />

chungen einschließlich Perimetrie bei Verdacht auf<br />

Hypophysentumoren, Reflexprüfungen bei Verdacht<br />

auf Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenerkrankun<br />

gen, Blutdruckmessung und EKG bei Verdacht auf<br />

Schilddrüsen- und Nebenniereniunktionsst<strong>ö</strong>rungen).<br />

Unverzichtbar für eine Untersuchung unter endokrinologischen<br />

Gesichtspunkten ist eine sorgfältige Beurtei<br />

lung des Genitale, beim Mann die Erfassung der Gr<strong>ö</strong>ße<br />

von Hoden, Penis und Prostata, bei der Fran eine<br />

gynäkologische Untersuchung.<br />

2 Laboruntersuchungen<br />

Hinweise auf das Vorliegen bzw. die Art endokriner<br />

St<strong>ö</strong>rungen k<strong>ö</strong>nnen erhalten werden durch<br />

- Messung der basalen Hormonspiegel im Plasma<br />

- Messung der Konzentration von hormonbindenden<br />

Proteinen<br />

- Untersuchung auf Antik<strong>ö</strong>rper gegen Hormondrüsen<br />

- Funktionsprüfungen endokriner Drüsen: Änderun<br />

gen der Hormonkonzentration nach Stimulation<br />

oder Hemmung der Aktivität endokriner Drüsen,<br />

Messung von Sekretionsindikatoren, wie C-Peptid<br />

bei Insulin<br />

Erfassung hormonabhängiger Parameter im Blut:<br />

rotes und weißes Blutbild, Konzentration von Glu<br />

cose und Glykosylierungsgrad von Bluteiweißen,<br />

Plasmaosmolalität und Elektrolyte, Säure-ßasen-<br />

Haushalt<br />

Untersuchung der renalen Exkretionsfunktion: Elek<br />

trolyt- und Stickstoffbilanz, Ausscheidung von Hor<br />

monen und ihrer Metaboliten oder von hormonbeeinllußten<br />

Substraten, wie Glucose und Ketonk<strong>ö</strong>rper,<br />

Ausscheidung von intermediären Botenstoffen,<br />

wie cAMP<br />

Untersuchung der Schweißdrüsenfunktion: Na+/K+-<br />

Quotient.<br />

Die Fortschritte in der Meßmethodik, insbesondere die<br />

Einführung und Weiterentwicklung radioimmunologi<br />

scher Verfahren, haben den Stellenwert der Labordia<br />

gnostik stark gesteigert. Mit Ausnahme einzelner<br />

schlecht erläßbarer (z.B. ACTH) oder rasch zerfallen<br />

der Hormone (Angiotensin II, Prostaglandine) lassen<br />

sich heute die basalen Flormonkonzentrationen routi<br />

nemäßig bestimmen. Andererseits ist die differenzierte<br />

endokrinologische Labordiagnostik meist kostenauf<br />

wendig, so daß sie nur gezielt und mit Sachverstand im<br />

Rahmen eines Stufenplans eingesetzt werden sollte.<br />

3 Bildgebende Verfahren<br />

3.1 Sonographie<br />

Sonographisch k<strong>ö</strong>nnen nicht nur Gr<strong>ö</strong>ße und Form<br />

endokriner Drüsen, sondern auch der Zustand des<br />

Parenchyms (Homogenität, Knoten, Zysten) beurteilt<br />

werden.<br />

Die sonographische Bestimmung von Volumen und<br />

Struktur der Schilddrüse steht heute im Vordergrund<br />

der morphologischen Diagnostik von Schilddrüsenver<br />

änderungen. Lokale Knotenbildungen k<strong>ö</strong>nnen besser<br />

sonographisch als durch Palpation erfaßt werden. Das<br />

normale Schilddrüsenparenchym hat im Sonogramm<br />

ein dichtes, regelmäßiges Echomuster. Ein verminder<br />

ter Kolloidgehalt der SchilddrüsenfoIIikel beim Morbus<br />

Basedow sowie entzündliche Infiltrate führen zu einer<br />

Abnahme der schallreflektierenden Grenzflächen.<br />

Schilddrüsenmalignome sind ebenfalls häufig echo-


50 Endokrines System<br />

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Abb.D-1: MakrofoIIikuläres Schilddrüsenadenoin. Ovalärer<br />

solider Tumor (Tu) mit hyporellektorischem Handsaum im<br />

sonographischen Längsschnitt dos rechten Schilddrüsenlap<br />

pens (SD). AT = A. thyreoidea inferior.<br />

Abb.D-2: Schilddrüsenzyste. Sonogramm der 5 x 3,5 cm<br />

großen liquiden Raumforderung (CY) mit schwach reflexogenem<br />

Sediment (S) am kaudalen Schilddrüsenpol (SD).<br />

Abb.D-3: Morbus Basedow. Sonographischer Längsschnitt<br />

des akzentuiert hyporeflexiven, inhomogenen linken Schilddrüsenlappcns.<br />

Abb. D-4: Papilläres Schilddrüsenkarzinom. 15 mm im<br />

Durchmesser großer, unregelmäßig begrenzter, echoarmer,<br />

solider Tumor (Tu) im rechten Schilddrüsenlappen (SD).<br />

ACC = A. carotis communis.<br />

Abb.D-5: Primärer Hyperparatliyreoidismus. 17x9 mm<br />

ovalärer, hyporeflektiver Tumor (LA) am kaudalen Pol des<br />

rechten Schilddrüsenlappens (SD).<br />

Abb.D-6: Sekundärer Hyperparatliyreoidismus bei chroni<br />

scher Niereninsuffizienz. Zwei echoarme, hyperplastische<br />

Epithelk<strong>ö</strong>rperchen OB) am kaudalen Pol des rechten Schilddrüsenlappens<br />

(SD).


D. Untersuchungsmethoden 51<br />

Bei der Struma nodosa wechseln echoarme mit echoreichen<br />

Bezirken ab. Das Innere von Zysten ist meist<br />

echoleer. Herdf<strong>ö</strong>rmige Veränderungen k<strong>ö</strong>nnen ab ca.<br />

5 mm Gr<strong>ö</strong>ße erkannt werden. Zum Nachweis von<br />

dystopem, insbesondere von retrosternal lokalisiertem<br />

Schilddrüsengewebe ist die Sonographie nicht ge<br />

eignet.<br />

Normal große Epithelk<strong>ö</strong>rperchen liegen an der<br />

Grenze des Aufl<strong>ö</strong>sungsverm<strong>ö</strong>gens der Sonographie.<br />

Vergr<strong>ö</strong>ßerte Epithelk<strong>ö</strong>rperchen (Adenome, Karzi<br />

nome) ab etwa 5 mm Durchmesser lassen sich als<br />

meist homogen echoarme Bezirke erkennen. Bei ektop<br />

gelegenen Nebenschilddrüsen führt die sonographi<br />

sche Untersuchung nicht weiter.<br />

Für die Nebennieren gilt im Prinzip gleiches wie für<br />

die Nebenschilddrüsen, d.h., zur Beurteilung normal<br />

großer oder verkleinerter Drüsen ist die Sonographie<br />

nicht geeignet. Tumoren der Nebenniere ab ca. 1 cm<br />

Durchmesser lassen sich bei Untersuchung mit hoch<br />

aufl<strong>ö</strong>senden Schallk<strong>ö</strong>pfen nachweisen.<br />

Abb.D-7: Solider Nebennierentumor (Tu) im Querschnitt<br />

durch den rechten Leberlappen (L). VC = Vena cava inferior.<br />

Die sonographische Untersuchung dos Hodens ist der<br />

Palpation überlegen, denn Tumoren lassen sich an der<br />

lokalen Veränderung des Echomusters erkennen,<br />

bevor sie zu Gr<strong>ö</strong>ßenzunahme oder Oberflächcnvorbukkelung<br />

des Hodens führen. Die Indikation zur Ilodensonographie<br />

ist z.B. bei Gynäkomastie, bei der ein<br />

endokrin aktiver Hodentumor als Ursache in Frage<br />

kommt, gegeben. Gut geeignet ist die Sonographie<br />

auch für die Unterscheidung von Hydrozelen und<br />

soliden Tumoren.<br />

Bei endokrin aktiven Tumoren des Pankreas kann die<br />

Sonographie zur präoperativen und auch intraoperati<br />

ven Lokalisation eingesetzt werden. Etwa % der<br />

symptomatisch gewordenen Insulinome k<strong>ö</strong>nnen sono<br />

graphisch lokalisiert werden.<br />

3.2 Radiologische Verfahren<br />

Konventionelle R<strong>ö</strong>ntgenaufnahmen werden in der<br />

endokrinologischen Diagnostik zur Beurteilung von<br />

Skelettreife und Skelettveränderungen bei Dysfunk<br />

tion der Hypophyse, der Schilddrüse, der Nebenschild<br />

drüsen, der Nebennierenrinde und der Gonaden her<br />

angezogen. Daneben dienen Ubersichtsaufnahmen<br />

des Schädels und Sella-Zielaufnahmen zum Nachweis<br />

der Veränderungen der Sellaform bei Hypophysentumoren.<br />

Abb.D-8: Hodentumor. Hyporellektiver, solider Hodentumor<br />

(Tu) im sonographischen Längsschnitt des Hodens (Hd).<br />

1 ■ i<br />

> CO<br />

m<br />

- VCT<br />

Abb.D-9: Insulinom des Pankreas. 11 x 6 mm hyporeflektiver,<br />

solider Tumor (Tu) im Pankreaskopf (P). VCI = Vena cava<br />

inferior; CO = Koniluenz der Vena portae; VL = Vena lienalis.


52 Endokrines System<br />

Abb.D-10. Links: Adenom (linker Pfeil) der rechten Nebenniere im computertomograpliischen Bild. Der rechte Pfeil zeigt<br />

auf die unauffällige linke Nebenniere. Status nach i.v. Kontrastmittelinjektion. Rechts: Adenom in der linken Nebenniere. Die<br />

hohe Signalintensität im T2-gewichteten Bild weist auf ein Phäochromozytom hin. Gallenblasenkonkrement (G) als Nebenbefund.<br />

Kernspintomographisches Bild. Die Bilder wurden dankenswerterweise von Herrn Prof. Schumacher (Ulm) zur<br />

Verfügung gestellt.<br />

Detailliertere Informationen über Gr<strong>ö</strong>ße und Struktur<br />

endokriner Drüsen werden mit Hilfe der Computer<br />

tomographie (CT) und der Kernspintomographie<br />

(NMR) gewonnen. Tumoren der Hypophyse lassen sich<br />

mit diesen Verfahren direkt darstellen, bevor sie zu<br />

einer Ausweitung der Sella geführt haben. Bei der<br />

Untersuchung der Nebennieren liefern CT und NMR<br />

aussagekräftigere Informationen als die Sonographie<br />

und erm<strong>ö</strong>glichen sogar die Erkennung einer gering<br />

gradigen Hyperplasie der Nebennierenrinde. Auch in<br />

der Beurteilung von Nebenschilddrüsenadenomen sind<br />

CT und NMR der Sonographie überlegen. Mit diesen<br />

bildgebenden Verfahren k<strong>ö</strong>nnen auch über 5 mm<br />

große, ektope Adenome gefunden werden. Bei der<br />

Schilddrüse dagegen werden CT und NMR nur einge<br />

setzt, wenn durch die Sonographie keine Angaben<br />

über die Lagebeziehungen zu benachbarten Struktu<br />

ren zu erhalten sind (z.B. bei retrosternaler Struma).<br />

Ein weiteres Anwendungsgebiet in der endokrinologischen<br />

Diagnostik ist die Messung der Knochendichte<br />

zur Früherkennimg einer Osteoporose.<br />

Die Arteriographie wird als ergänzendes Verfahren<br />

zur Lokalisation anderweitig nicht auffindbarer<br />

Nebenschilddrüsenadenome nur noch selten einge<br />

setzt. Auch in der Diagnostik der Nebennieren hat ihre<br />

Bedeutung durch die Fortschritte der tomographi<br />

schen Verfahren abgenommen. Die Phlebographie in<br />

Kombination mit selektiver Blutentnahme zur Hormonbestimmung<br />

erm<strong>ö</strong>glicht die Lokalisation von anor<br />

mal gelegenen, endokrin aktiven Tumoren (z. B. ektope<br />

Nebenschilddrüsenadenome oder Phäochromozy<br />

tome), die mit anderen bildgebenden Verfahren nicht<br />

geortet werden k<strong>ö</strong>nnen. Angiographie oder digitale<br />

Subtraktionsangiographie werden zur präoperativen<br />

Klärung der Gefäßversorgung von Hypophysentumoren<br />

eingesetzt.<br />

3.3 Nuklearmedizinische Verfahren<br />

3.3.1 Schilddrüsenszintigraphie<br />

Das Schilddrüsenszintigramm stellt als Funktionstopogramm<br />

die Jodstoffwechselaktivität dar. Es hilft bei<br />

der Indikationsstellung zur Feinnadelbiopsie: Szintigraphiscli<br />

funktionell inaktive (»kalte«) Knoten müssen<br />

wegen der erh<strong>ö</strong>hten Malignomprävalenz - im Gegen<br />

satz zu den »heißen« Knoten - histologisch bzw.<br />

zytologisch geklärt werden. Verwendet wird in der<br />

Regel das Jodidanalogon Technetium-99-Perteclmetat.<br />

Mit dem qualitativen Szintigramm werden das<br />

dyslope Schilddrüsengewebe (Zungengrundstruma,<br />

Struma ovarii), die retrosternale Struma sowie jodspei<br />

chernde Metastasen eines Schilddrüsenkarzinoms<br />

erläßt. Die quantitative Szintigraphie erlaubt eine<br />

Aussage über das pro Zeiteinheit global oder regional<br />

aufgenommene und verstoffwechselte Jodid. Durch die<br />

Suppressionszintigraphie (endogene oder exogene<br />

Suppression der TSH-Sekretion mit l-Thyroxin) erhält<br />

man Auskunft über die Regulation der Jodidraffung.<br />

Sie ist Voraussetzung zum Nachweis der funktionellen<br />

Autonomie, die in Endemiegebieten in Knotenstrumen<br />

sehr häufig ist und als potentielle Hyperthyreose auf<br />

gefaßt werden kann. Außerdem dient sie der Abschät<br />

zung der funktionellen Masse an autonomem Gewebe,


D. Untersuchungsmethoden 53<br />

die für die Behandlung und danach für die Erfolgskon<br />

trolle (Risiko einer »Rezidivhyperthyrcose«) von<br />

Bedeutung ist.<br />

3.3.2 Nebenschilddrüsenszintigraphie<br />

Wenn der Nachweis eines Adenoms oder eines hyperplastischen<br />

Epithelk<strong>ö</strong>rperchens durch bildgebende<br />

Verfahren (Sonographie, CT und NMR) nicht m<strong>ö</strong>glich<br />

ist, kann die Szintigraphie hilfreich sein. Thallium-<br />

201-Chlorid wird in Epithelk<strong>ö</strong>rperchenadcnomon<br />

angereichert, allerdings auch in der Schilddrüse. Die<br />

sen Fehler versucht man durch Subtraktion eines<br />

Technetiumszintigramms zu eliminieren.<br />

3.3.3 Nebennierenrindenszintigraphie<br />

Präparate wie Norcholesterol, die mit Jod-131 (in.I)<br />

oder Selen-75 (7SSe) markiert sind, werden vermehrt in<br />

Cortisol- oder in aklosteronproduzierenden Tumoren<br />

gespeichert. Bei endogen oder exogen supprimiorter<br />

ACTII-Ausschüttung wird szintigraphisch die funktio<br />

nelle Autonomie bewiesen.<br />

3.3.4 Nebennierenmarkszintigraphie<br />

Adrenerge Zellen im Nebennierenmark se/.ernieren<br />

nicht nur, sondern nehmen auch bereits sezerniertes<br />

Noradrenalin wieder auf. Mit ,31J oder l23J markiertes<br />

MIGB, das in seiner molekularen Struktur dem Nor<br />

adrenalin sehr ähnlich ist, unterliegt dem gleichen<br />

Aufiiahmeniechanismus. Auf diese Weise gelingt mit<br />

dem MIBG-Szintigramm die funktionelle Differenzie<br />

rung eines Tumors des chromaffinen Gewebes (z.B.<br />

eines Phäochromozytoms).<br />

Abb.D-11: Intrathorakale Struma, die vom linken Schild<br />

drüsenlappen ausgeht. Szintigramm 20 Minuten nach i.V.<br />

Injektion von I mC "''""Tc-Pertechnetat. 68 Jahre alte Frau<br />

mit heißem mediastinalen Knoten (gelb bis rot).<br />

3.3.5 Szintigraphie neuroendokriner Tumoren<br />

Somatostatinanaloge Substanzen (z.B. Octreolid) wer<br />

den von Tumoren mit Somatostalinrezeptoren aufge<br />

nommen. Mit radioaktiv markiertem Octreolid (12iJ<br />

oder Inln) lassen sich kleine Hypophysenadenome<br />

oder Paragangliome szintigraphisch darstellen. Das<br />

gleiche gilt für verschiedene endokrin aktive Tumoren<br />

des gastroenteropankreatischen (GEP-)Systems. die<br />

Rezeptoren für Somatostatin besitzen.<br />

m<br />

Abb. D-12: Gastrinom. Nachweis eines primären Gastrinoms<br />

(50 Jahre alte Patientin mit Zollinger-Fllison-Syndrom) im<br />

Kezeptorszintigramm 4 Stunden nach i.V. Injektion von<br />

244 MBq " Mn-Penletreotid (Somalostatinanalogon). Physio<br />

logische Anreicherung von Leber, Milz, Nieren, großen Ge<br />

läßen und Blase.


54 Endokrines System<br />

4 Pathologisch-anatomische<br />

Untersuchungen<br />

4.1 Fixierung<br />

Für die Routineuntersuchungen erfolgt die Fixierung<br />

in 4-%-Fornialin (1:10-Verdüniiung von 40%igem For<br />

malin). Zu Darstellung von Sekretgranula in einem<br />

Phäochromozytom erfolgt die Fixierung in einer Chromatl<strong>ö</strong>sung<br />

(Kaliumdichromal-Formalinl<strong>ö</strong>sung). Gute<br />

Ergebnisse lassen sich auch mit dem Bouin-Gemisch<br />

erzielen. Für elektronenmikroskopische Untersuchun<br />

gen ist eine gepufferte Glutaraldehydl<strong>ö</strong>simg zu emp<br />

fehlen.<br />

4.2 Routinefärbungen<br />

Eingeleitet wird die histopatliologische Untersuchung<br />

mit einer ME-Färbung. Zu den Sonderfärbungen zäh<br />

len PAS-Fbg., Elastica-van-Gieson-Fbg., Gitterfaser<br />

darstellung nach Gomori oder Foote, Bindegewebsfärbung<br />

(Azan, Masson, Goldner), Giemsa-Fbg., Sudan-<br />

Fbg. und Eisen-Reaktion.<br />

4.3 Spezialfärbungen<br />

4.3.1 PAS-Orange-G-Färbung<br />

Hypophyse: Mukoide Zellen sind PAS-positiv (färben<br />

sich purpurrot an) und die azidophilen Zellen orange.<br />

Die chromophobe!! Zellen bleiben ungefärbt.<br />

4.3.2 Aldehyd-Fuchsin-Färbung<br />

Hypophyse: TSH-Zellen färben sich orange an.<br />

Pankreasinsel: B-Zellen stellen sich purpur bis violett<br />

dar.<br />

4.3.3 Versilberungen<br />

4.3.3.1 Versilberung nach Grimelius: Die Methode<br />

dient dem Nachweis einer argyropliilen Reaktion im<br />

Gewebe. Zu den darstellbaren Zellen zählen die A-<br />

Zellen der Langerhans-Inseln, die C-Zellen der Schild<br />

drüse, ACTIl-Zellen der Hypophyse, die Hauptzellen<br />

der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen, das Ncbenniereninark und<br />

Paraganglion. Eine besonders starke Reaktion ist bei<br />

ca. 60% der Karzinoide zu beobachten.<br />

4.3.3.2 Versilberung nach Masson-Hamperl: Diese<br />

Färbung erläßt argentalTine Granula des enterochromaffinen<br />

Systems. Selektiv lassen sich Melanin<br />

granula nachweisen.<br />

Bei einer argentaffinen Reaktion (Masson-Fontana-<br />

Versilberung) findet die Silberablagerung ohne Zusatz<br />

von Oxidantien statt.<br />

4.3.4 Chromierung<br />

Durch Chromierung des frischen Gewebes mit einer<br />

dichromhalligen Fixierl<strong>ö</strong>sung (nach Orth, Müller oder<br />

Zenker) gelingt der Nachweis von braunen intrazytoplasmatischen<br />

Granula, die sich in der Giemsa-Färbung<br />

grün-gelb darstellen lassen. Die Reaktion geht auf die<br />

oxidative Wirkung der Chromsalze zurück, die Kate<br />

cholamine (Adrenalin und Noradrenalin) in braunes<br />

Adrenochrom bzw. hellgelbes Noradrenochrom<br />

umwandelt. Beide Pigmente diffundieren rasch aus<br />

dem Gewebe, so daß die Fixierflüssigkeit einen dunkel<br />

braunen Farbton annimmt: Die Reaktion kann dann<br />

makroskopisch »positiv«, im histologischen Schnitt<br />

aber »negativ« sein.<br />

4.3.5 Fluoreszenzmethode<br />

Enlerochromaffine Zellen weisen in einem mit Forma<br />

lin bedampften Kryostatschnitt oder gefriergetrockne<br />

ten Schnitt im UV-Licht (Wellenlänge 430 nm) eine<br />

gelbe Eigenfluoreszenz auf. Mit dieser Methode lassen<br />

sich bei einer Wellenlänge von 470 nm auch Katechol<br />

amine (z. B. In einem Phäochromozytom) darstellen.<br />

4.4 Immunhistochemie<br />

Immunhistochemisch lassen sich zahlreiche Hormone<br />

im Gewebe nachweisen. Auf ihre Darstellung und<br />

Interpretation wird in den einzelnen Organkapiteln<br />

eingegangen. Immunliistoehemisch lassen sich<br />

bestimmte Zellen bzw. Gewebe differenzieren, die von<br />

diagnostischer Bedeutung sind:<br />

- neuroendokrine Zellen durch Chromogranin, neuronspezillsehe<br />

Enolase (y-Enolase)<br />

- neurale Zellen (Ganglienzellen, Melanozyten, Ner<br />

ven, Susteiitakularzellen): S100<br />

- epitheliale Zellen in einem entdifferenzierten Kar<br />

zinom: Zytokeratine, TPA, EMA u.a.<br />

- mesenchymale Zellen: Vimentin<br />

- glatte Muskelfasern: Desmin, Aktin<br />

- Endothelien: von-Willebrand-Protein, Ulex europ.<br />

- Lymphome (Diffcrcntialdiagnose gegenüber klein<br />

zelligen neuroendokrinen Karzinomen): LCA, B- und<br />

T-Zellen-Marker.<br />

Als argyrophile Reaktion bezeichnet man eine Versil<br />

berung nach Einwirkung von zusätzlichen Oxidantien.


D. Untersuchungsmethoden 55<br />

4.5 Elektronenmikroskopie<br />

Wichtigste Indikation einer elektronenmikroskopi<br />

schen Untersuchung ist der Nachweis von Sekretgra<br />

nula in den Zellen. Besonders bei den sog. ausgebrann<br />

ten Tumoren (z.B. Phäochromozytom) läßt sich elek<br />

tronenmikroskopisch die endokrine Natur eines Tu<br />

mors noch sichern. Ferner dient diese Untersuchungs<br />

methode zur Abgrenzung epithelialer und mesen<br />

chymaler Neubildungen (z. B. bei verwilderten<br />

Schilddrüsentumoren). Unter Berücksichtigung Ihrer<br />

Morphologie lassen sie sich in drei Gruppen unter<br />

teilen:<br />

Gruppe I: Es handelt sich um typische elektronendichte<br />

(dense core), inkretorische Granula, die - mit<br />

einer Membran versehen - in den Golgi-Feldern der<br />

Zelle vorkommen und bis zum weiteren Transport als<br />

Endprodukt abgelagert werden. Diese Granula weisen<br />

je nach Tumorart eine unterschiedliche Form (rund,<br />

oval, bananen- oder tafelf<strong>ö</strong>rmig) und Gr<strong>ö</strong>ße (125 bis<br />

300 nm) auf. Als Beispiele sind Zellen neuroendokriner<br />

Organe bzw. ihrer Tumoren (Insiiliiiom, Phäochromo<br />

zytom u.a.) zu nennen.<br />

Gruppe II: Hier sind nicht membrangebundene Gra<br />

nula (z.B. Cholesterol in den Nebeiinierenrindenzellen)<br />

als Vorstufen von Hormonen zu erwähnen. Elektro<br />

nendichte Granula fehlen, Endprodukte (Hormone)<br />

werden nicht intrazellulär gespeichert.<br />

Die Gruppe III bestellt aus den in synaptischen Vcsikeln<br />

der Axone gespeicherten Neurotransmittern<br />

(Acetylcholine die membrangebunden und elektronen<br />

dicht sind.<br />

Sekretorische Granula in<br />

neuroendokrinen Tumoren<br />

mForm Gr<strong>ö</strong>ße Tumor<br />

300 nm<br />

C-Zellen-Karzinom<br />

125 nm Paraganglion!<br />

<br />

m<br />

250 nm<br />

<strong>ö</strong><br />

300 nm<br />

250 nm Nebenschilddrüsenkarzinom<br />

Phäochromozytom<br />

Adrenalin<br />

Noradrenalin<br />

250-300 nm<br />

@<br />

Insulinom1<br />

200-250 nm<br />

Glukagonom2<br />

125-200 nm<br />

Gastrinom3<br />

140 nm<br />

VIPom<br />

220-230 nm Somatostatinom<br />

m 185 nm<br />

Bronchuskarzinoid<br />

m 230 nm<br />

Appendixkarzinoid<br />

Abb.D-13: Granula in Zellen endokriner Tumoren. ' In<br />

Insulinomen kommen auch rundliche, bis 300 nm große<br />

Granula vor. 2 Glukagonom: Neben typischen rundlichen<br />

Granula kommen auch ovale und exzentrische Formen vor.<br />

:! In Gastrinomzellen kommen charakteristische Granula vor.<br />

5 Histologische Diagnostik<br />

5.1 Funktionsdiagnostik<br />

Bei mehreren endokrinen Organen lassen sich histolo<br />

gische Veränderungen nachweisen, die auf eine gestei<br />

gerte inkretorische Aktivität hinweisen. Zu diesen<br />

zählen deutlich vergr<strong>ö</strong>ßerte und hyperchromatische<br />

Zellkerne (z.B. in den Thyreozyten bei M. Basedow).<br />

Mitosen k<strong>ö</strong>nnen vorkommen. Auch in sog. ausgebrann<br />

ten endokrinen Tumoren, die jetzt keine endokrine<br />

Aktivität mehr zeigen (z.B. in stummen Phäochromo<br />

zytomen) kann eine derartige Kernpolymorphie zu<br />

rückbleiben.<br />

Durch den Einsatz immunhistochemischer Methoden<br />

gelingt der Nachweis von Hormonen und hormonähnli<br />

chen Verbindungen in Zellen, die früher mit den<br />

konventionellen färberischen Methoden nicht nachzu<br />

weisen waren. So lassen sich heute auch in chromophoben<br />

Hypophysenadenomen derartige Verbindun<br />

gen rinden. Der histologische Nachweis einer inkretorischen<br />

Aktivität oder Hyperaktivität (z.B. in der Schild<br />

drüse) muß aber nicht mit klinischen Symptomen<br />

korrelieren, da die produzierte Ilormonmenge zu<br />

gering sein kann oder die in der Zelle nachgewiesenen<br />

Hormone nicht freigesetzt werden.<br />

5.2 Dignität endokriner Tumoren<br />

Endokrine Tumoren k<strong>ö</strong>nnen in einem Organ multifokal<br />

oder gleichzeitig in mehreren Drüsen auftreten. Die<br />

histologische Bestimmung des biologischen Verhaltens<br />

einer endokrinen Neubildung kann in der Routinedia<br />

gnostik (besonders im Rahmen einer Schnellschnittuntersuchung)<br />

erhebliche Schwierigkeiten bereiten.<br />

Hochdifferenzierte, endokrin aktive Tumoren (Schild<br />

drüse, Nebenniere) weisen eine erhebliche Kernpoly<br />

morphie auf, die einen b<strong>ö</strong>sartigen Tumor vortäuscht.


56 Endokrines System<br />

Üffi^T»^<br />

,:-#iiiMMÄ<br />

A % - • , ^ ^<br />

..•■ ....<br />

C) =■: ---<br />

Abb. l)-14a-d: Flektronenmikroskopische Darstellung der sekretorischen Granula, a) Phäochromozytom mit Noradrenalingranula<br />

mit einem exzentrischen »dense core«. Vergr. 2400x. h) lnsulinom/.elle mit kristallinen HinschluUk<strong>ö</strong>rpern. Vergr.<br />

5600x. c) Gastrinom/elle mit typischen (*) und atypischen (—) Granula. Vergr. 3500x. d) Dünndarmkarzinoid mit pleomorphen<br />

endokrinen Granula. Vergr. 24()()x.<br />

Auch der Nachweis von Mitosen erlaubt keine sichere<br />

Diagnose. Auf der anderen Seite k<strong>ö</strong>nnen hochdifferen<br />

zierte Neubildungen, die morphologisch einem Ade<br />

nom entsprechen, Metastasen setzen (daher die frü<br />

here Bezeichnung »metastasierendes Adenom«). Dies<br />

trifft besonders für die follikulären Neoplasien der<br />

Schilddrüse zu. Als sicheres Zeichen der Malignität<br />

gilt in diesen Fällen nur der Nachweis von Metastasen.<br />

Am Primärtumor wird die Diagnose »Karzinom« nur<br />

dann gestellt, wenn sich Gefaßeinbrüche und/oder ein<br />

Tumordurchbruch durch die Tumorkapsel nachweisen<br />

lassen. Ein Kapseleinbruch ist kein ausreichendes<br />

Malignitätskriterium. Das Auffinden von vermehrten<br />

Mitosen ist ein Zeichen der gesteigerten Proliferation<br />

und lediglich als malignitälsverdächtig zu werten.<br />

Eine bessere Abgrenzung zwischen Hyperplasie, Prä<br />

neoplasie und einem b<strong>ö</strong>sartigen Tumor dürfte durch<br />

die Ag-NOR-Bestimmimg erreicht werden.


D. Untersuchungsmethoden 57<br />

Eine Graduierung (Tumor-Grading) wird nicht nach<br />

den üblichen zytologischen Kriterien, sondern nach<br />

dem histologischen Bild vorgenommen. Dabei sind<br />

niedrigmaligne (z.B. das papilläre Schilddrüscnkarzinom)<br />

von hochmalignen Karzinomen (z. B. das anapla<br />

stische Schilddrüsenkarzinom) abzugrenzen.<br />

Mit Hilfe der Silberfärbung nukleolusorganisierender Hegio<br />

nen (Ag-NOR) läßt sich die Proliferationsaktivität eines Tu<br />

mors am routinemäßig mit Formalin fixierten histologischen<br />

Schnitt oder zytologischen Material bestimmen. Zahl, Mäche,<br />

Verteilung und Intensität der mit Silber gefärbten inlranukleären<br />

Partikel korrelieren mit der Proliferationsaktivität<br />

einer Zelle. Aus diesem Grund hat sich die Ag-NOR-lJntersuchung<br />

zur Dignitätsbestimmung, Abgrenzung präneoplaslischer<br />

Veränderungen und zur Prognoseabschätzung als rele<br />

vant herausgestellt. Als diagnostisches Kriterium wird in der<br />

Regel die mittlere Ag-NOR-Zahl pro Zelle bestimmt. Die<br />

diagnostische Treffsicherheit ist deutlich erh<strong>ö</strong>ht, wenn gleich<br />

zeitig die mittlere Gr<strong>ö</strong>ße eines Ag-NOR-Partikels berücksich<br />

tigt wird. Der Quotient aus beiden Parametern spiegelt dabei<br />

den Zusammenhang von wenigen großen Ag-NOR-Partikel in<br />

gutartigen oder niedrigmalignen Tumoren und vielen kleinen<br />

Ag-NOR-I'artikel in hochmalignen Neubildungen besonders<br />

gut wider.<br />

Nukleolusorganisierende Hegionen sind ribosomale Gene<br />

(rl)NA), die für ribosomale HNA (rHNA) kodieren und wäh<br />

rend der Metaphase auf den akrozentrischen Chromosomen<br />

(Gruppe D: 13-15, Gruppe G: 21 und 22), während der<br />

Interphase in den Nukleolen gelegen sind. Unter Kontrolle<br />

von Polymerase I wird rHNA synthetisiert, die den Hauptbe<br />

standteil der Ribosomen bildet. NOR (rl)NA) werden deshalb<br />

auch als Rihosomenfabrik der Zelle hezeichnet und sind<br />

zentrale Schaltstellen für die gesamte zelluläre Proteinbiosynthese.<br />

Die Genaktivität selbst wird durch spezifische Non-<br />

Histon-Proteine gesteuert, von denen Nukleolin (C23) und<br />

Nukleophosmin (B23) neben der Polymerase I als Hauptregulatorprotelne<br />

gelten. Aktivierte Gene sind mit hochphosphorylierten<br />

NOH-Proteinen assoziiert. Diese phosphorylicrten Pro<br />

teine binden selektiv Silber. Die Ag-NOR stellt somit akti<br />

vierte, d.h. entspiralisierte, zur Transkription vorbereitete<br />

und/oder aktiv transkribierende Gene dar.<br />

Methodik: Histologische Schnitte werden nach Entparalfinierung<br />

und Rehydrierung (zytologische Präpa<br />

rate nach Fixation in Formalin oder Alkohol) mit einer<br />

50%igen Silbernitratl<strong>ö</strong>sung (stabilisiert in Gelatine und<br />

l%iger Ameisensäure) inkubiert. Die Inkubationsclauer<br />

beträgt etwa 30 Minuten und ist in Abhängigkeit<br />

von Fixierungsart und Erhaltungszustand dem jeweili<br />

gen Gewebe anzupassen. Färbeziel ist die Darstellung<br />

von distinkten silberschwarzen Partikeln als Substrukturen<br />

in den Nukleolen. Bei unzureichender Fixation<br />

und schlechtem Erhaltungszustand (insbesondere Sek<br />

tionsmaterial) ergibt sich meist nur eine diffuse,<br />

unspezifische Ockerfarbe der Nukleolen. Bei zu langer<br />

Inkubation färbt das Silber den gesamten Nukleoliis.<br />

Diese Färbeergebnissc dürfen nicht mit einer Darstel<br />

lung der Ag-NOR gleichgesetzt werden. Die besten Ag-<br />

NOR-Färbungen werden an zytologischem Material<br />

und an sofort nach Entnahme fixierten Biopsien er<br />

zielt.<br />

a<br />

( z<br />

^"^<br />

m<br />

b<br />

f *<br />

d<br />

&<br />

Schilddrüsenkarzinom<br />

Ag-NOR<br />

NZ (n) NQ<br />

14 140<br />

12<br />

10<br />

6<br />

2<br />

Struma Adenom foil. Ca pap. Ca anapl. Ca<br />

C D N O R ( n ) ^ — N O R Q u o t i e n t<br />

Abb.D-15: Ag-NOR-Bestimmung an gut- und b<strong>ö</strong>sartigen<br />

Schilddrüsenveränderungen. Oben: a = Vereinzelte versil<br />

berbare Kernstrukturen bei Struma, b = Mehrere große NOH-<br />

Partikel hei follikulärem Adenom, c = Mehrere kleine NOR-<br />

Partikel heim papillären Karzinom, d = Multiple, überwie<br />

gend kleinere NOH-I'artikel beim anaplastischen Karzinom.<br />

Unten: NZ (n) = Zahl der versilberbaren Partikel pro Zellkern.<br />

NQ = Ag-NOR-Quotienl (Zahl/Fläche). Die ermittelten Werte<br />

sind hochsignifikant (mit Ausnahme der Gruppen »follikulä<br />

res« und »papilläres Karzinom« untereinander).<br />

120<br />

100<br />

80<br />

20


58 Endokrines System<br />

E. Erkrankungen der Hypophyse<br />

1 Fehlbildungen 3 Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen<br />

Häufiger liegen nur Varianten der Norm vor, die nicht<br />

von klinischer Relevanz sind. Eine Hypophysenaplasie<br />

findet man beim Anenzephalus. Beim Empty-sella-<br />

Syndrom kommt es infolge einer insuffizienten Ent<br />

wicklung des Diaphragma sellae zu einer Teilverlage<br />

rung des Subarachnoidalraums in die Sella, die eine<br />

schalenf<strong>ö</strong>rmige Verformung der Hypophyse mit latera<br />

ler und basaler Verlagerung zur Folge hat. Zeichen<br />

einer Hypophysenvorderlappen(MVL)-Insuflizienz be<br />

stehen in der Regel nicht. Diese Veränderung wird mit<br />

bildgebenden Verfahren nachgewiesen oder zufällig<br />

im Rahmen einer Obduktion diagnostiziert.<br />

2 Kreislaufst<strong>ö</strong>rungen<br />

Der wichtigste Befund ist die Vorderlappennekrose,<br />

die vorwiegend bei Schockzuständen vorkommt und zu<br />

einer HVL-Insuffizienz (s. a. Simmonds-Kachexie und<br />

Sheehan-Syndrom) führen kann. Makroskopisch sieht<br />

man eine keilf<strong>ö</strong>rmige Abblassung, histologisch eine<br />

Koagulationsnekrose. In den Sinusoiden lassen sich<br />

kleine Fibrinthromben nachweisen. Selektive Nekro<br />

sen in der Neurohypophyse sind selten und k<strong>ö</strong>nnen<br />

kausalpathogenetisch mit einem Schock zusammen<br />

hängen.<br />

Auch die Hypophyse kann bei verschiedenen systemi<br />

schen Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen (Amyloidose, Speicher<br />

krankheiten, Ilämochromatose) beteiligt sein. Insuffi<br />

zienzen hängen vom Grad der Speicherung ab.<br />

4 Entzündungen<br />

Selten kommen in diesem Organ primäre, spezifische<br />

oder unspezifische Entzündungen {Hypophysitis) vor,<br />

die mit klinischer Manifestation einhergehen. Eine<br />

Sonderform stellt die lymphozytäre Hypophysitis dar,<br />

die mit anderen Autoimmunerkrankungen (Hashimoto-Thyreoiditis)<br />

vergesellschaftet sein kann.<br />

5 Tumoren und tumorartige<br />

Veränderungen<br />

Die Systematik der Hypophysentumorcn erfolgt nach<br />

den Richtlinien der WHO, die Kodierung nach dem<br />

Internationalen Kode für onkologische Erkrankungen<br />

(ICD-0). Die tumorartigen Hypophysenveränderungen<br />

werden nach dem Internationalen Kode für Erkran<br />

kungen (ICD: in der Tabelle kursiv) aufgezählt.<br />

WHO-Systematik und Kodierung (Topographie: C75.1]<br />

1 Epitheliale Tumoren<br />

1.1 Adenome 8149/0<br />

1.1.1 Azidophile Adenome 8280/0<br />

1.1.2 Mukoide Adenome 8300/0<br />

1.1.3 Chromophobe Adenome 8270/0<br />

1.1.4 Onkozytäre Adenome 8290/0<br />

1.2 Karzinome 8140/3<br />

1.2.1 Chromophobes Karzinom 8270/3<br />

2 Mesenchymale Tumoren<br />

3 Kraniopharyngeom 9350/1<br />

4 Metastasen /6<br />

5 Tumoren und tumorähnliche Veränderungen<br />

5.1 Zysten (drüsige und epidermale Zysten) 33400<br />

5.2 Hcterotopien 26000<br />

5.3 Ektopien 26170<br />

5.4 Hyperplasien 72000<br />

6 Nichtklassifizierbare Tumoren


E. Erkrankungen der Hypophyse 59<br />

Abb.F-l: Hypophysenadenom. Oben: Aus der Sella turcica<br />

hcrausragendes chromophobes Hypophysenadenom, l'nlen:<br />

Im r<strong>ö</strong>ntgenologischen Bild deutlich ausgeweitete Sella tur<br />

cica.<br />

Abb.F-2: Hypophysenadenom. Oben: In Bildmitte ein Hypo<br />

physenadenom auf einem Flachschnitt durch Groß- und<br />

Kleinhirn. Unten: Regelmäßige Zellen eines Hypophysenade<br />

noms in der l'unktions/ytologie. Giemsa-Fbg.<br />

5.1 Hypophysenadenome<br />

Hypophysenadenome kommen in einem unausgewählten<br />

Obduktionsgut gelegentlich vor (10% in einigen<br />

Sammelslalistiken), gehen aber zu Lebzeiten nur sel<br />

ten mit klinischen Symptomen einher. Sie machen ca.<br />

10% der intrakraniellen Tumoren aus, bevorzugt im<br />

4. bis 5. Dezennium.<br />

Pathologie: Adenome k<strong>ö</strong>nnen als Mikroadenome nur<br />

histologisch nachweisbar oder als Makroadenome mit<br />

bloßem Auge erkennbar sein. Sie bilden einen Knoten,<br />

der durch expansives Wachstum zu einer Druckatrophie<br />

des Hypophysenparenchyms führt. Die Neubil<br />

dung kann intra-, suprasellar oder in beiden Hegionen<br />

gleichzeitig vorkommen. Die Gr<strong>ö</strong>ßenzunahme eines<br />

intrasellären Adenoms weitet die Sella aus und atrophicrt<br />

die kn<strong>ö</strong>cherne Wand. Die histologische Systema<br />

tik stützt sich auf die färberischen, immunhistochemischen<br />

und elektronenmikroskopisclien Eigenschaften<br />

der Adenomzellen:<br />

- STH-produzierende Adenome<br />

- Prolaktinprodii/.ierende Adenome<br />

- ACTH-produzierende Adenome<br />

- TSH-produzierende Adenome<br />

- Gonadotropinproduzierende Adenome<br />

- Chromophobe Adenome (k<strong>ö</strong>nnen immunliistochemisch<br />

Prolaktin, seltener STH exprimieren)<br />

- Onkozytäre Adenome (immunliistochemisch nega<br />

tiv, seltener ACTH-, STH- oder Prolaktin-positiv).


60 Endokrines System<br />

i4»- ~*><br />

t *<br />

!<br />

■ ■ ■<br />

„"<br />

Abb. E-3: Oben: Chromophobes Hypophysenadenom. Masson-Fbg.<br />

Unten: Im Handbereich verdrängtes Hypophysengewebe<br />

mit ACTII-positiven Zellen. ACTH in der PAP-Methode.<br />

Abb. F-4: Oben: STH-produzierendes Adenom mit reichlich<br />

azidophilen /eilen. HF-Fbg. Unten: Prolaktinom. Immunhi-<br />

Stochemischer Nachweis von Prolaktin in der PAP-Methode.<br />

Klinik: Man unterscheidet hormonell aktive und<br />

stumme IIVI.-Adenome. Ferner sind Gr<strong>ö</strong>ße und Lokali<br />

sation der Neubildung zu berücksichtigen, die für die<br />

ophthalmologischen Befunde von Bedeutung sind.<br />

■ Mikroadenome sind nur histologische Zufallsbefunde,<br />

die keine Symptome hervorrufen und mit<br />

bildgebenden Verfahren nicht zu erfassen sind.<br />

■ Intraselläre Hypophysenadenome k<strong>ö</strong>nnen die Sella<br />

ausfüllen und über eine Druckatrophie für HVL-<br />

Insuffizienz-Zeichen verantwortlich sein. Gesichts<br />

felder bleiben unverändert. Der Tumor ist r<strong>ö</strong>ntgeno<br />

logisch und im CT nachweisbar.<br />

■ HVL-Adenome mit suprasellärer Ausbreitung k<strong>ö</strong>n<br />

nen - durch Chiasma-Komprcssion - zu einem<br />

Gesichtsfeldausläll (bitemporale Hemianopsie) füh<br />

ren. Bei rein suprasellar lokalisierten Adenomen<br />

fehlen in der Hegel die Zeichen der hormonellen<br />

Insuffizienz, während die ophthalmologischen<br />

Befunde im Vordergrund stehen.<br />

Die Diagnostik stützt sich auf<br />

- endokrine Befunde im Rahmen einer hormonellen<br />

Überfunktion (Giganlismus/Akromegalie, M. dish<br />

ing, Galaktorrh<strong>ö</strong>-Amcnorrh<strong>ö</strong>-Syndrom) bzw. 1IVI.-<br />

Insuffizienz,<br />

- ophthalmologische Befunde, die bei Chiasma-opticum-Kompression<br />

auftreten (s.o.)<br />

- radiologische Befunde: Ausweitung der Sella, doppeltkonturierter<br />

Seilaboden, Atrophie des kn<strong>ö</strong>cher<br />

nen Sellagerüsts. Gr<strong>ö</strong>ßere Adenome (besonders bei<br />

suprasellärer Lokalisation) lassen sich im CT be<br />

urteilen.<br />

5.2 Hypophysenkarzinome<br />

Maligne Hypophysentumoren sind extrem selten und<br />

sollten nur dann diagnostiziert werden, wenn Metasta<br />

sen vorliegen. Bei den meisten publizierten Fällen lag<br />

keine hormonelle Überfunktion vor.


E. Erkrankungen der Hypophyse 61<br />

5.3 Kraniopharyngeom<br />

Diese langsam wachsende Tumorart wird von Resten<br />

(Erdheim-PIattenepithelien) der Rathke-Täsche abge<br />

leitet und macht etwa 3% der intrakraniellen Tumoren<br />

aus. 70% der Geschwülste manifestieren sich vor dem<br />

30., 45% vor dem 20. Lebensjahr.<br />

Makroskopisch handelt es sich um harte rumoren, die<br />

bevorzugt suprasellar lokalisiert sind und auf der<br />

Schnittfläche keine Hohlräume einschließen. Histolo<br />

gisch zeigen sie einen teils zystischen, teils soliden<br />

Aufbau. Die Zysten sind von Plattenepithcl ausgeklei<br />

det und weisen in der stromaanlicgenden Peripherie<br />

eine typische zylindrische Zellreihe (Palisadenstellung)<br />

auf. Die soliden Anteile k<strong>ö</strong>nnen Stachel- oder basalzellartig<br />

aufgebaut sein. Letztere bilden drüsige, zylindri<br />

sche oder ameloblastische Strukturen.<br />

Klinik: Das Kraniopharyngeom ist ein <strong>ö</strong>rtlich maligner<br />

Tumor, der keine Metastasen setzt. Da die Neubildung<br />

über längere Zeit stumm bleibt, wird sie erst in einem<br />

fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Der opera<br />

tive Zugang wird durch die Mittellinienlage erschwert.<br />

Klinisch k<strong>ö</strong>nnen Zeichen der HVL-Insiiffi/.ieiiz oder<br />

hypothalamische Befunde (Hypo-/llyperlhermie,<br />

Anorexia/Fr<strong>ö</strong>lilich-Syndrom, Schlafst<strong>ö</strong>rungen, Poly<br />

dipsie) vorkommen. Von diagnostischer Bedeutung ist<br />

der Nachweis von Verkalkungen im Tumor, besonders<br />

in der Peripherie der Neubildung.<br />

5.4 Metastasen in der Hypophyse<br />

Beschrieben wurden u.a. Absiedelungen von Lungen-,<br />

Nieren- und Mammakarzinomen.<br />

5.5 Tumorähnliche<br />

Hypophysenveränderungen<br />

Zu diesen zählen drüsige oder epidermale Zysten.<br />

Ferner kommen Heterotopien in der Hypophyse vor.<br />

Hypophysengewebe kann auch ektop in benachbarten<br />

Organen (Pharynx) auftreten. Die Übergänge zwischen<br />

Hyperplasien und Adenom sind fließend.<br />

Abb.E-5: Kraniopharyngeom. Oben: Zystischer Tumor im<br />

Frontalschnitt durch das Großhirn. Mitte: Großer zystischer<br />

Tumor in der Hirnmiltelregion im CT. Unten: Überwiegend<br />

solider Tumor mit Plattenepithel- und Zylinderzelldifferenzie<br />

rung. HF-Fbg.


62 Endokrines System<br />

6 Funktionsst<strong>ö</strong>rungen<br />

|!lll|llll|llll|llll|<br />

Abb.E-6: Hypophyseiiatrophie. Fast leere Sella turcica. Linker Pfeil<br />

zeigt auf den liest der Hypophyse. 1 = Nervus opticus, x = Mittlere<br />

Schädelgrube.<br />

Abb. F-7: Hypophysennokrosen (—»1) bei<br />

Schock. Unten (—» 2) Neurohypophyse. Flach<br />

schnitt.<br />

6.1 Hypopituitarismus<br />

6.1.1 Panhypopituitarismus<br />

Begriffsbestimmung: Als Panhypopituitarismus oder<br />

Simmonds-Krankheit bezeiclinet man die generelle<br />

Unterfunktion der Adenohypophyse. Wird diese durch<br />

eine postpartale Infarzierung des HVL hervorgerufen,<br />

dann spricht man von einem Sheehan-Syndrom. Mit<br />

Ausnahme der durch den Ausfall von Wachstumshor<br />

mon und Prolaktin verursachten Symptome entspricht<br />

das klinische Bild einer Insuffizienz der von den glan<br />

dotropen Hormonen der Hypophyse gesteuerten<br />

effektorischen Hormondrüsen (Schilddrüse, Gonaden,<br />

Nebennierenrinde).<br />

Pathogenese: Bei einem kompletten Ausfall des HVL<br />

macht sich zunächst das Fehlen von Wachstumshor<br />

mon bemerkbar, zeitlich gefolgt von den Auslällssymptomcn<br />

der Gonadotropine (LH, FSH), des Thyreotro<br />

pins (TSH), des Corticotropins (ACTH) und des Prolak<br />

tins. Beim Sheehan-Syndrom versiegt aufgrund des<br />

Prolaktinauslälls die Laktation. Der sich bei Panhypo<br />

pituitarismus entwickelnde Mangel an STH und Corti<br />

sol (Ausfall des ACTH) führt zu St<strong>ö</strong>rungen in der<br />

Begulation des Glucosestoffweehsels (Ilypoglykämieneigung).<br />

Klinik: Erstes Symptom bei der erwachsenen Frau ist<br />

häufig eine Regelst<strong>ö</strong>rung (arrhythmische Blutungen,<br />

Amenorrh<strong>ö</strong>). Bei regelmäßigen ovariellen Zyklen kann<br />

eine HVL-Insuffizienz ausgeschlossen werden. Länger<br />

fristig treten die psychischen und somatischen Sym<br />

ptome der Hypothyreose in den Vordergrund. Patien<br />

ten mit Panhypopituitarismus fallen durch blasse,<br />

marmorierte, dünne bis durchscheinende und trokkene<br />

Haut auf. Im Achsel- und Schamhereich fehlt die<br />

Behaarung, und ansonsten sind die Ilaare dünn. Das<br />

ausdruckslose Gesicht weist auf Antriebs- und Interes<br />

selosigkeit sowie auf intellektuelle und psychische<br />

Retardation hin. Als Zeichen der Nebennierenrindeninsuffizienz<br />

ist die Widerstandsfähigkeit<br />

gegenüber Streß und Infektionen reduziert. In schwe<br />

ren Fällen führt die Kombination von Hypothyreose<br />

(reduzierter Stoffwechsel, verminderter Atomantrieb<br />

mit Hyperkapnie) und llypokortisolismus (Hypovolämie,<br />

arterielle Hypotonie) zum Versagen von Vitalfiinklionen<br />

(Koma). Obwohl ein Ausfall des HVL nicht<br />

unmittelbar lebensgefährdend ist, beträgt die Lebens<br />

erwartung unbehandelter Patienten nur 10 bis<br />

15 Jahre.<br />

Diagnose: Wenn der klinische Verdacht auf eine allge<br />

meine Unterfunktion der Adenohypophyse besteht, ist<br />

ein Nachweis bzw. Ausschluß der HVL-Insuffizienz<br />

durch Messung der Vorderlappenhormonspiegel nach<br />

Stimulation angezeigt. Zu kombinierter Stimulation<br />

werden TRII, GnRH bzw. LII-RH und Insulin i.v.<br />

injiziert. TRII l<strong>ö</strong>st neben der Sekretion von TSH auch<br />

die von Prolaktin aus, und die insulininduzierte Hypo<br />

glykämie stimuliert die Ausschüttung von STH und<br />

ACTH. Der bei IIVL-Insuffizienz trotz Stimulation nied<br />

rige Spiegel der glandotropen Hormone erm<strong>ö</strong>glicht<br />

eine Abgrenzung des Panhypopituitarismus gegenüber<br />

primär in der Schilddrüse, der Nebenniere oder den<br />

Gonaden lokalisierten St<strong>ö</strong>rungen.


E. Erkrankungen der Hypophyse 63<br />

6.1.2 Partieller Hypopituitarismus<br />

Begriffsbestimmung: Bei partieller St<strong>ö</strong>rung der Hor<br />

monproduktion ist häufig nicht die Adenohypophyse,<br />

sondern die hypophysiotrope Zone des Hypothalamus<br />

geschädigt. Eine Partialiiisuffizienz wird allerdings<br />

auch bei Adenomen der Hypophyse und nach operati<br />

ver Ausräumung der Sella beobachtet.<br />

Pathogenese: Ein isolierter Wachstumshormonmangel<br />

als Form der partiellen Insuffizienz des hypothalamisch-hypophysären<br />

Systems (überwiegend auf Hypothalamus-Niveau)<br />

wird klinisch nur im Kindesalter<br />

manifest. Im Unterschied zur Hypothyreose tritt eine<br />

Wachstumsverz<strong>ö</strong>gerung erst ab dem 2. Lebensjahr auf.<br />

Der Verdacht auf eine unzureichende STII-Produktion<br />

ist bei vermindertem Wachstum bei normalen K<strong>ö</strong>rper<br />

proportionen (Gr<strong>ö</strong>ße unter der 3. Perzentile) gegeben.<br />

Als Ursache kommen in Frage:<br />

- eine angeborene STTI-Sekretionsunfähigkeil (abso<br />

luter STII-Mangel, selten),<br />

- eine unzureichende Stimulation der STII-Produktion<br />

der Adenohypophyse (relativer STII-Mangel z. B. bei<br />

konstitutioneller Entwicklungsverz<strong>ö</strong>gerung) und<br />

- eine STII-Refraktärität der Zielorgane, insbeson<br />

dere der Zellen, die IGF I bzw. Somatomedin als<br />

Botenstoff zur Vermittlung der Wachstumswirkun<br />

gen von STH produzieren.<br />

Als sekundäres, z.T. reversibles Phänomen wird par<br />

tieller Hypopituitarismus mit proportioniertem Min<br />

derwuchs bei Mangelernährung, bei chronischen Allgemeinerkrankungen<br />

und bei endokrinen St<strong>ö</strong>rungen<br />

(z.B. Hyperkortisolismus bzw. Cushing-Syndrom),<br />

aber auch bei psychischen Streßsituationen (psychoso<br />

zialer Minderwuchs) beobachtet. Auch hier kann die<br />

St<strong>ö</strong>rung zentral (hypothalamisch) lokalisiert sein oder<br />

(z. B. bei Mangelernährung) auf der Ebene der Somatomedinbildung<br />

liegen (niedrige IGF-I-Spiegel bei erh<strong>ö</strong>h<br />

ter STH-PIasmakonzentration). Eine genetisch veran<br />

kerte St<strong>ö</strong>rung der IGF-I-Sekretion (STII-Rezeptor-<br />

Defekt) ist Ursache des Minderwuchses bei den sog.<br />

Laron-Zwergen und den afrikanischen Pygmäen.<br />

Klinik und Diagnostik: Die Symptomatik des (selte<br />

nen) Ausfalls von glandotropen Partialfunktionen wird<br />

bei den entsprechenden effektorischen Drüsen abge<br />

handelt. Bei adäquater Behandlung entspricht die<br />

Lebenserwartung von Patienten mit HVL-Insuffizienz<br />

der von Kontrollpersonen. Bei Verdacht auf einen<br />

STH-Mangel stehen eine Reihe von Tests zur Untersu<br />

chung der hypophysären Sekretionskapazität unter<br />

Stimulationsbedingungen zur Verfügung. Eine Steige<br />

rung der STH-Ausschüttung beim Kind kann ausge<br />

l<strong>ö</strong>st werden durch<br />

- k<strong>ö</strong>rperliche Belastung 1,5-2 W/kg KG für 10 min<br />

- insulininduzierte 0,1 E/kg KG Altinsulin<br />

Hypoglykämie<br />

- Aminoazidämie 0,5 g/kg KG Arginin-HCI<br />

als Infusion über 30 min<br />

- G l u k a g o n 0 , 5 m g G l u k a g o n i . m .<br />

- Clonidin 0,15 mg/kg KG Clonidin p.o.<br />

- L e v o d o p a 0 , 1 - 0 , 5 g L - D o p a p . o .<br />

- S R H ( G H - R I I ) 1 p g / k g K G S R H i . v.<br />

Als Indikator für eine ausreichende STII-Sekretionsfähigkeit<br />

der Adenohypophyse gilt ein Anstieg des STH-<br />

Plasmaspiegels auf über 15 ug/l (ng/ml). Bleibt die<br />

STH-Konzentration unter 5 ug/l, ist ein absoluter STH-<br />

Mangel wahrscheinlich. Da die oben genannten Stan<br />

dardtests relativ häufig (ca. 15%) falsch positive Ergeb<br />

nisse (unzureichender Anstieg von STH trotz normaler<br />

Sekretionskapazität) bringen, müssen mindestens zwei<br />

dieser Tests pathologisch ausfallen, bevor die Indika<br />

tion für eine therapeutische STH-Substilution gestellt<br />

werden kann. Zur ergänzenden Information kann die<br />

Messung des IGF-I-Spiegels (präpubertär normaler<br />

weise 0,6 E/ml) dienen, ggf. mit Wiederholung der<br />

Messung nach einw<strong>ö</strong>chiger STII-Substitution. Um trotz<br />

normalen Ausfalls der Stimulationstests die Diagnose<br />

eines relativen STII-Mangels (z. B. bei konstitutioneller<br />

Entwicklungsverz<strong>ö</strong>geruiig) zu sichern, muß die STH-<br />

Sekretion im Schlaf (h<strong>ö</strong>chste Werte im Tiefschlaf)<br />

gemessen werden. In der Regel wird den Kindern<br />

nachts über einen Verweilkatheter 5 bis 6 Stunden<br />

lang alle 20 Minuten ven<strong>ö</strong>ses Blut zur Hormonbestimmung<br />

entnommen. Bei konstitutioneller Entwicklungs<br />

verz<strong>ö</strong>gerung sind sowohl die Spitzenwerte (normal<br />

über 15 pg/l) als auch die kumulierte Gesamtsekretion<br />

der Meßphase erniedrigt.


64 Endokrines System<br />

p . ' * " j<br />

Abb.F-8: Hypophysenadenom. Links: Schnittfläche des chromophohen Adenoms. Rechts: Mikrofollikulär<br />

aufgebautes Adenom. Dunkelrote STH-Zellen (-).<br />

6.2 Hyperpituitarismus<br />

6.2.1 Gigantismus/Akromegalie<br />

Begriffsbestimmung - Pathogenese: Die seltene zu<br />

hohe Sekretion von STH bzw. GH (»growth hormone«)<br />

ist Ergebnis einer Wucherung von STII-produzierenden<br />

Zellen der Adenohypophyse, wobei noch nicht<br />

feststeht, ob eine pathologische primäre Zellproliferation<br />

oder eine Überstimulation durch SRI! bzw.<br />

GH-RH, dem hypothalamischen Releasing-Hormon, als<br />

primäre Ursache anzusehen ist. In der Regel wird eine<br />

Ilypersomatotropinämie erst klinisch relevant, wenn<br />

das STH-produ/.ierende Gewebe erhebliches Volumen<br />

erreicht hat (Adenome über 1 cm Durchmesser). Die<br />

STH-sezernierenden Adenome stellen nach den Prolaktinomen<br />

die zweithäufigsten hormonproduzieren<br />

den Tumoren der Adenohypophyse. Ein Teil der Ade<br />

nome produziert neben STH auch das strukturell eng<br />

verwandte Prolaktin.<br />

Klinik: Die klinische Manifestation der STH-Überproduktion<br />

beginnt meist mit der Pubertät, die Diagnose<br />

wird aber häufig erst im 3. und 4. Lebcnsjahrzehnt<br />

gestellt. Da der Beginn der STII-Überproduktion in der<br />

Regel nach dem Abschluß der eigentlichen Wachstumsperiode<br />

liegt, resultiert (von Ausnahmen abgese<br />

hen) kein proportionierter Riesenwuchs (Gigantismus),<br />

sondern eine selektive Vergr<strong>ö</strong>ßerung der K<strong>ö</strong>rperberei<br />

che, in denen das Wachstum noch nicht durch den<br />

Schluß der Epiphysenfugen abgestoppt ist. Bei solchem<br />

als Akromegalie bezeichneten irregulären Wachstum<br />

kommt es zu anormaler Verlängerung des Unterkie<br />

fers, so daß die unteren Schneidezähne vor den oberen<br />

liegen (Supraklusion). Der Schädelknochen, die Nase,<br />

die Augenbrauen- und die Jochbogenregion sind ver<br />

dickt, die Nasennebenh<strong>ö</strong>hlen vergr<strong>ö</strong>ßert. Dadurch<br />

erhält das Gesicht ein stark vergr<strong>ö</strong>bertes Aussehen.<br />

Infolge der Gr<strong>ö</strong>ße der STH-produzierenden Adenome<br />

sind Verdrängungserscheinungen häufig (Kompres<br />

sion der Sehnervenkreuzung mit Gesichtsfeldausfällen<br />

insbesondere in Form bitemporaler Hemianopsie,<br />

Insuffizienz der Produktion anderer HVL-Hormone).<br />

Unabhängig von der eventuellen Kompression basaler<br />

Hirnbereiche klagen die Patienten über Kopfschmer<br />

zen. Hände und Füße vergr<strong>ö</strong>ßern sich vor allem auf<br />

grund einer Weichteilverdickung (Wurstfinger). Die<br />

Gewebszunahmen führen auch zur Kompression des<br />

Karpaltunnelinhalts (Karpaltunnelsyndrom mit St<strong>ö</strong><br />

rungen im Bereich des N. medianiis). Der Brustkorb ist<br />

infolge Rippenverlängerung iäßl<strong>ö</strong>rmig. Die Wirbel<br />

säule zeigt im thorakalen Bereich eine Kyphose bei<br />

einer Lordose im Lendenbereich. Die Knochen-Knor<br />

pel-Veränderungen führen zu Rückenschmerzen und<br />

arthrotischen Beschwerden (vor allem im Kniegelenk),<br />

die vom Patienten häufig als erste bzw. Hauptsymptome<br />

wahrgenommen werden. Die inneren Organe<br />

(Leber, Nieren, Milz, Herz) sind ebenfalls vergr<strong>ö</strong>ßert<br />

(Splanchnomegalie). Die unter STII-Einfluß gesteigerte<br />

Glukoneogenese führt zu verminderter Glucosetoleranz<br />

und in einem Teil der Fälle nach Ersch<strong>ö</strong>pfung der<br />

Gegenregulationsreserve zu Diabetes mellitus, der<br />

Einfluß auf den Fettstofrwech.se] zu Hyperlipidämie.<br />

Bei einem Teil der Patienten fällt vermehrtes Schwit<br />

zen (Hyperhidrosis) auf. Häufig finden sich Symptome<br />

einer Hyperprolaktinäniie (Hypogonadismus), denn die<br />

STH-produzierenden Adenome sezernieren z.T. auch<br />

Prolaktin. Darüber hinaus kann das dem Prolaktin<br />

strukturell sehr ähnliche Somatotropin in hoher Kon<br />

zentration auch Prolaktinrezcptoren aktivieren.<br />

Diagnostik: Wenn das Erscheinungsbild oder die<br />

Beschwerden des Patienten Hinweise auf eine m<strong>ö</strong>gli<br />

che STH-Überproduktion liefern, ist zur Diagnosestel<br />

lung eine STH-PIasmaspiegelbeslimmung indiziert.<br />

Werte unter 1 mg/I (ng/ml) schließen eine Akromegalie


E. Erkrankungen der Hypophyse 65<br />

aus, Werte über 20 mg/1 sprechen für sie. Im Zweifelsfäll<br />

sollte die Bestimmung nach Suppression der STII-<br />

Produktion durch Hyperglykämie (100 g Glukose per<br />

os) wiederholt werden. Wenn eine STH-Hypersekretion<br />

vorliegt, ist durch R<strong>ö</strong>ntgenaufnahmen und ein CT<br />

bzw. besser eine NMR-Darstellung zu klären, ob und<br />

ggf. in welcher Gr<strong>ö</strong>ße raumfordernde Adenome der<br />

Hypophyse vorhanden sind. Ergänzend ist eine neuro<br />

logische Untersuchung insbesondere auf Hirnnervenschädigung<br />

durchzuführen. Bei gesicherten Adenomen<br />

sollte die Beeinträchtigung der sonstigen Funktionen<br />

der Adenohypophyse (glandotrope Hormone) durch<br />

Stimulationstests geprüft werden.<br />

sie dringen in präformierte Gewebsspalten ein. Sie<br />

deformieren den angrenzenden Knochen und verur<br />

sachen Verdrängungserscheinungen (Gesichtsfeldaus<br />

fälle durch Kompression der Sehnervenkreuzung, z. B.<br />

als bitemporale Hemianopsie, Lähmung von äußeren<br />

Augenmuskeln). Zur Sicherung der Diagnose Hyperprolaktinämie<br />

dient die Messung des Plasma-Prolaktinspiegels.<br />

Bei Werten über 100 ug/l bzw. ng/ml ist<br />

das Vorhandensein eines Prolaktinoms wahrschein<br />

lich, bei Werten über 250 ug/l praktisch sicher. Durch<br />

hochaufl<strong>ö</strong>sende bildgebende Verfahren (CT oder NMR)<br />

kann die Existenz und Gr<strong>ö</strong>ße der Adenome festgestellt<br />

werden.<br />

6.2.2 Hyperprolaktinämie<br />

Begriffsbestimmung - Pathogenese: Eine zu hohe<br />

Sekretion von Prolaktin geht meist von prolaktinbildenden<br />

Adenomen aus. Die Prolaktinome stellen den<br />

gr<strong>ö</strong>ßten Anteil der HVL-Adenome. K<strong>ö</strong>nnen keine Ade<br />

nome nachgewiesen werden (»idiopathische Hyper<br />

prolaktinämie«), ist eine Enthemmung der Hormon<br />

produktion durch zu geringe Bildung oder Wirkung<br />

des hypothalamischen Hemmungshormons Dopamin<br />

anzunehmen. Als Ursache für eine Hyperprolaktin<br />

ämie kommen entsprechend auch Medikamente in<br />

Betracht, die die neuronale Synthese von Dopamin<br />

hemmen (z. B. Alphamethyldopa), die Dopaminspeicher<br />

der Nervenzelle entleeren (z. B. Reserpin) oder<br />

die postsynaptische Wirkung von Dopamin reduzieren<br />

(z. B. Sedativa und Neuroleptika wie Chlorpromazin<br />

und Haloperidol, Antidepressiva wie Amitryptilin,<br />

Antiemetika wie Metoclopramid). Eine Stimulation der<br />

Prolaktinsekretion ist auch für weitere Gruppen von<br />

Medikamenten (IIr und H2-Antihistaminika, Opioide,<br />

Östrogene, Androgenantagonisten wie Cyproteronace<br />

tat) nachgewiesen worden. Einen Spezialfall stellt die<br />

Hyperprolaktinämie bei Hypothyreose dar, die durch<br />

die bei Schilddrüsenhormonmangel erfolgende Ent<br />

hemmung der TRII-Sekretion ausgel<strong>ö</strong>st wird (TRII ist<br />

auch Releasing-Hormon für Prolaktin).<br />

Klinisch führt eine Hyperprolaktinämie vor allem zu<br />

Hypogonadismus (trotz meist normaler Gonadotropinspiegel).<br />

Wenn die Prolaktinkonzcntration im Plasma<br />

(normal ca. 15 ug/l bzw. ng/ml) auf über das Dreifache<br />

steigt, wird der ovarielle Zyklus der erwachsenen Frau<br />

gest<strong>ö</strong>rt (Arrhythmie der Blutungen, schließlich Amenorrli<strong>ö</strong>).<br />

Die Gonadenfunktion des Mannes wird erst bei<br />

h<strong>ö</strong>heren Prolaktinspiegeln (über 100 ug/l) stärker<br />

beeinträchtigt (Verlust der Libido, Infertilität). Bei<br />

etwa zwei Drittel der Frauen (und einem geringeren<br />

Prozentsatz der Männer) mit Hyperprolaktinämie setzt<br />

eine irreguläre Milchproduktion der Brustdrüse ein<br />

(Galaktorrh<strong>ö</strong>). Bei Männern kann es daneben zu Gynäkomastie<br />

kommen. Prolaktinproduzierende Mikroadenome<br />

(Durchmesser unter 1 cm) wachsen langsam und<br />

bilden sich z.T. sogar spontan zurück. Ein geringer<br />

Prozentsatz (ca. 10%) der Adenome vergr<strong>ö</strong>ßert sich<br />

stärker bis zum Makroadenom (Durchmesser über<br />

1 cm). Diese Adenome wachsen z.T. »invasiv«, d.h..<br />

6.2.3 Überproduktion glandotroper Hormone<br />

Begriffsbestimmung - Pathogenese: Bei der generell<br />

sehr seltenen Hypersekretion glandotroper Hormone<br />

ist die von Corticotropin (ACTH) noch am häufigsten.<br />

Basis des ACTH-Exzesses sind meist multiple Mikroadenome,<br />

die sich weitgehend der Rückkopplungshemmung<br />

durch die effektorischen Glukokortikoide<br />

entziehen, aber durch das hypothalamische Releasing-<br />

Hormon (CRH) beeinflußbar bleiben. Charakteristisch<br />

für die hypophysär bedingte Nebennierenrindenüberfunktion<br />

(zentrales Cushing-Syndrom) ist eine stark<br />

gesteigerte, nicht mehr im Tagesrhythmus schwan<br />

kende Cortisolkonzentration bei gronzwertig erh<strong>ö</strong>htem<br />

ACTH- und erniedrigtem CRH-Plasmaspiegel.<br />

Klinik: Das durch die ACTII-produzierenden Adenome<br />

ausgel<strong>ö</strong>ste Krankheitsbild entspricht dem adrenal<br />

bedingten Cushing-Syndrom. Wenn durch bilaterale<br />

Adrenalektomie nur die Glukokortikoidüberproduktion<br />

beseitigt wird, kann es zur Vergr<strong>ö</strong>ßerung des jetzt<br />

vollständig enthemmten HVL-Adcnoms mit exzessiver<br />

ACTH-Sekrction (Nelson-Tumor) kommen. Charakte<br />

ristisch für diesen Verlauf ist eine Hyperpigmentierung<br />

der Haut, denn aus dem Voiiäufermolekül von ACTH<br />

(Proopiomelanocortin) wird bei der ACTH-Sekrelion<br />

auch MSH (melanozytenstimulierendes Hormon) frei<br />

gesetzt. Als extreme Raritäten kommen HVL-Adenome<br />

vor, die FSH (nicht LH) oder TSH sezernieren. Bei FSH-<br />

Überproduktion kommt es zu sekundärem Hypogona<br />

dismus, bei TSH-Überproduktion zu Hyperthyreose.<br />

6.3 Funktionsst<strong>ö</strong>rungen des<br />

hypothalamisch-neurohypophysären<br />

Systems<br />

Begriffsbestimmung: Antidiuretisches Hormon (ADH)<br />

und Oxytocin werden von hypothalamischen Neuronen<br />

synthetisiert und in der Neurohypophyse nur freige<br />

setzt, so daß St<strong>ö</strong>rungen vor allem bei pathologischen<br />

Prozessen im Hypothalamus zu erwarten sind. Sym<br />

ptome von Krankheitswert treten nur bei St<strong>ö</strong>rungen<br />

der ADH-, nicht aber bei solchen der Oxytocinsekretion<br />

auf.


66 Endokrines System<br />

6.3.1 Diabetes insipidus<br />

Begriffsbestimmung: Bei Diabetes insipidus besteht<br />

eine extrem hohe renale Wasserausscheidung bei ver<br />

minderter Konzentrationsfähigkeit des distalen Tubulussystems<br />

der Niere. Zum zentralen Diabetes insipi<br />

dus kommt es, wenn die entsprechenden hypothalami<br />

schen Neurone nicht genügend ADH (Arginin-Vasopressin)<br />

produzieren bzw. freisetzen.<br />

Pathogenese: Am häufigsten ist die sog. idiopathische<br />

Form ohne nachweisbare Ursache. An zweiter Stelle<br />

kommt der durch Hirngeschwülste (Kompression der<br />

hypothalamischen Kerngebiete) verursachte Diabetes<br />

insipidus. Nach Ilypophysektomie wird eine milde<br />

Form des zentralen Diabetes insipidus beobachtet,<br />

denn auch nach Durchtrennung des Hypophysenstiels<br />

bleibt ein Teil der hypothalamischen, ADH-produzierenden<br />

Neurone funktionsfähig. Ein Diabetes insipidus<br />

auf der Basis anderer Ursachen (Infektionen, Arterio<br />

sklerose usw.) ist eine Rarität. Bei der peripheren,<br />

renalen Form des Diabetes insipidus wird der distale<br />

Abschnitt des Harnkanälchensystems unempfindlich<br />

gegenüber der wasserpermeabilitätssteigernden Wir<br />

kung von ADH. Neben einer kongenitalen gibt es<br />

erworbene Formen der ADII-Resistenz, die u.a. durch<br />

Hypokaliämie, Hyperkalzämie und (reversibel) durch<br />

Litliiumsalze hervorgerufen werden.<br />

Klinik und Diagnostik: Der Verdacht auf das Vorlie<br />

gen eines Diabetes insipidus ist gegeben, wenn die<br />

tägliche Trink- und Urinmenge 3 I übersteigt. Typisch<br />

ist, daß die Patienten nicht durchschlafen k<strong>ö</strong>nnen,<br />

sondern nachts zum Trinken und Wasserlassen aufste<br />

hen müssen. Wenn nach einer Nacht Flüssigkeitska<br />

renz die Osmolalität des Morgenurins über 800 mosmol/kg<br />

oder die des Plasmas unter 295 mosmol/kg<br />

liegt, kann ein Diabetes insipidus ausgeschlossen wer<br />

den. Bei Patienten mit Diabetes insipidus bleibt die<br />

Urinosmolalität im Durstversuch unter 400 mosmol/<br />

kg. Wenn die Urinosmolalität auch nach zusätzlicher<br />

Gabe des selektiven V2-Rezeptor-Agonisten DDAVP (1-<br />

Desamino-8-D-arginin-Vasopressin bzw. Desmopres<br />

sin) niedrig bleibt, liegt eine renale Form des Diabetes<br />

insipidus vor, bei Osmolalitätsanstieg eine zentrale<br />

Form.<br />

6.3.2 Inadäquat hohe ADH-Sekretion<br />

Begriffsbestimmung - Pathogenese: Ein zu hoher<br />

Blutspiegel von Adiuretin (»syndrome of inappropriate<br />

secretion of antidiuretic hormone«, SIAD1I; Schwartz-<br />

Bartter-Syndrom) beruht meist auf einer ektopen<br />

ADH-Produktion durch Malignome, insbesondere<br />

kleinzellige Bronchialkarzinome (paraneoplastisches<br />

Syndrom). Bei den zentralen, hypothalamischen For<br />

men k<strong>ö</strong>nnen die die ADH-Sekretion ausl<strong>ö</strong>senden<br />

Osmorezeptoren überempfindlich sein. Es kann aber<br />

auch ein selektiver Verlust der Sekretionshemmung<br />

durch extrazelluläre Hypoosmolalität oder ein generel<br />

ler Verlust der Osmosensibilität der ADH-produzierenden<br />

Zellen vorliegen.<br />

Klinik: Charakteristisch für das SIADII ist die Kombi<br />

nation von Hyponatriämie und Hypoosmolalität des<br />

Plasmas mit hoher Urinosmolalität und fortbestehen<br />

der Natriurcse. Die Symptome Dehydratation und<br />

Hypovolämio, die bei anderen zu Hyponatriämie füh<br />

renden endokrinen St<strong>ö</strong>rungen (z. B. Hypoaldosteronismus)<br />

auftreten, fehlen. Eine Messung des ADH-Plasmaspiegels<br />

(in Relation zur Plasmaosmolalität zu hohe<br />

Werte) sichert die Diagnose. Bei den paraneoplastisch<br />

induzierten Formen des SIADII wird die Prognose<br />

durch das Grundleiden bestimmt.


67<br />

F. Erkrankungen der Zirbeldrüse<br />

1 Nichttumor<strong>ö</strong>se Erkrankungen<br />

Zu den angeborenen Fehlbildungen geh<strong>ö</strong>rt die Pinealisaplasie,<br />

die im Rahmen komplexer Hirnmißbildun<br />

gen beobachtet wird.<br />

Zu den Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen zählen die in sonst<br />

normalen Zirbeldrüsen vorkommenden verkalkten<br />

Proteoglykanablagerungen, die als Hirnsand bezeich<br />

net werden und deren Bedeutung noch unklar ist.<br />

Ferner wird eine Beteiligung dieses Organs bei ver<br />

schiedenen Systemerkrankungen (Hämochromatose,<br />

Amyloidose) nachgewiesen.<br />

Entzündungen (Epiphysitis) kommen als lokale<br />

Begleitveränderung im Rahmen einer Tuberkulose<br />

oder einer eitrigen Leptomeningitis vor.<br />

2 Tumoren<br />

Zu den wichtigsten, aber seltenen Neubildungen der<br />

Zirbeldrüse (Topographie C75.3) zählen folgende<br />

Tumoren:<br />

2.1 Germinom<br />

Etwa % aller Pinealistumoren geh<strong>ö</strong>ren in diesen For<br />

menkreis. Es handelt sich um Neubildungen, die mor<br />

phologisch an Hodenseminome erinnern: Sie bestehen<br />

aus gr<strong>ö</strong>ßeren hellen Zellen, die kleine Gruppen von<br />

Lymphozyten einschließen. Betroffen sind vorwiegend<br />

Patienten im 10. bis 30. Lebensjahr. Die Neubildungen<br />

weisen ein lokal destruktives Wachstum auf.<br />

2.2 Pinealzellentumoren<br />

Die Tumoren, die von der Hauptzelle des Corpus<br />

pineale abgeleitet werden, bezeichnet man unter<br />

Berücksichtigung des Differenzierungsgrades als<br />

Pineozytome bzw. Pineoblastome. Sie kommen in jeder<br />

Altersklasse vor.<br />

■ Pineozytome entsprechen morphologisch den<br />

Hauptzellen. Die eosinophilen Zellen k<strong>ö</strong>nnen Roset<br />

ten mit zentralen, versilberbaren Fasern bilden.<br />

Pineoblastome sind<br />

Medulloblastome.<br />

unreifer und erinnern an<br />

Abb.F-l: Oben: Pineoblastom. Dicht/eiliger entdificrenzierter<br />

Tumor. Hechts im Bild Anteile des Kleinhirns. HE-Fbg.<br />

Unten: Germinom. Punktionsausstrich mit großen Tumor<br />

zellen (T) und kleinen Lymphozyten (L). Methylenblau-Fbg.<br />

2.3 Teratome<br />

Diese Neubildungen bestehen aus reifen und unreifen<br />

Gewebspartien und entsprechen den Neubildungen<br />

der Keimdrüsen. Zu den einseitig differenzierten Tera<br />

tomen zählt das Chorionkarzinom.<br />

Klinik der Tumoren: Die primären Neubildungen des<br />

Corpus pineale weisen Zeichen einer lokalen Malignität<br />

auf. Eine Ausbreitung erfolgt über das Liquorsystem.<br />

Typisches klinisches Zeichen ist das Parinaud-<br />

Symptom (konjugierte vertikale Blicklähmung mit<br />

Konvergenzparesc der Bulbi oculi). Durch Bildung von<br />

gonadotropinähnlichen Hormonen kann sich das klini<br />

sche Bild einer Pubertas praecox entwickeln. In ande<br />

ren Fällen kommt es zu einer Retardierung der Sexual<br />

entwicklung (Melatonineinwirkung?).


68 Endokrines System<br />

G- Erkrankungen der Schilddrüse<br />

Abb. G-l: Angeborene Schilddrüsenveränderungen. Links: Struma neonati (neben der normalen Schilddrüse eines<br />

Neugeborenen). Rechts: Struma vasculosa neonatorum. Fetale (kolloidarme) Schilddrüse mit den Zeichen einer ausgeprägten<br />

Hyperämie. HF-Fbg.<br />

1 Fehlbildungen 2 Kreislaufst<strong>ö</strong>rungen<br />

Zu den wichtigsten Fehlbildungen zählt die Aplasie,<br />

die mit den klinischen Zeichen einer Hypothyreose<br />

einhergeht. Als Ektopie bezeichnet man die Verlage<br />

rung von Schilddrüsengewebe, das in der mittleren<br />

Halsregion - vom Zungengrund (Zungengrundstruma)<br />

bis zum Schilddrüsenisthmus - vorkommen kann. Von<br />

diagnostischer Bedeutung ist das ektope Schilddrüsengewebe<br />

in Halslymphknoten, da es eine Metastase<br />

vortäuschen kann. Schilddrüsengewebe ist - als<br />

Struma ovarii - auch im Ovar nachzuweisen und als<br />

Anteil eines reifen Teratoms zu deuten. Aus Resten des<br />

Ductus thyreoglossus kann sich eine mediane Halszyste<br />

entwickeln, die von Zylinderepithel ausgekleidet<br />

ist. Bei der Struma neonati liegt zum Zeitpunkt der<br />

Geburt eine vergr<strong>ö</strong>ßerte Schilddrüse (Gewicht 10 bis<br />

30 g) vor und ist meist auIModmangel, seltener auf die<br />

Einwirkung strumigener Substanzen seitens der Mut<br />

ter während der Schwangerschaft zurückzuführen.<br />

Kreislaufst<strong>ö</strong>rungen spielen in der Schilddrüse eine<br />

untergeordnete Rolle. Hervorzuheben ist die Struma<br />

vasculosa neonatorum, bei der es während der Geburt<br />

zu einer Einklemiiiiingsstauung des Organs kommt.<br />

3 Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen<br />

Die Schilddrüse kann im Rahmen verschiedener gene<br />

ralisierter Stoffwechselerkrankungen (z. B. Ilämochromatose)<br />

beteiligt sein. Amyloidablagerungen wer<br />

den bei einer primären Amyloidose sowie als Stromaablagcrungen<br />

beim medullären C-Zellen-Karzinom<br />

beobachtet. Von gr<strong>ö</strong>ßerer Bedeutung ist die Struma im<br />

engeren Sinne, die als nicht maligne und nicht ent<br />

zündlich bedingte! Schilddrüsenvergr<strong>ö</strong>ßerung (Organ<br />

gewicht über 60 g) definiert wird. Sic kann bei Patien<br />

ten mit euthyreoter, hypothyreoter oder hyperthyreo<br />

ter Stoffwechsellage auftreten.


G. Erkrankungen der Schilddrüse 69<br />

Abb.G-2: Struma. Links: Struma nodosa. Deutlich vergr<strong>ö</strong>ßerte und knotig umgewandelte Schilddrüse. Hechts oben:<br />

Schnittfläche einer Struma diffusa colloides mit einer kleinen knotigen Hyperplasie. Rechts unten: Struma nodosa colloides.<br />

Der Kropf mit normaler Funktion (Struma mit euthyreoter<br />

Stoffwechsellage) wird auch als blande Struma<br />

bezeichnet. Die Veränderung kann sporadisch oder<br />

endemisch (mehr als 10% der Bev<strong>ö</strong>lkerung ist betrof<br />

fen) - besonders in Gebirgsgegenden - vorkommen.<br />

Formalpathogenetisch spielt der Jodmangel (Auf<br />

nahme unter 150 ug Jod/Tag) eine wichtige Rolle.<br />

Frauen sind bis zu 5mal häufiger betroffen als Männer.<br />

Eine strumigene Wirkung weisen verschiedene Verbin<br />

dungen auf, die z.T. als Nahrungsmittel (Wirsingkohl,<br />

Weißklee, Grünkohl, Samen von Raps, Sojabohnen)<br />

oder in Medikamenten aufgenommen werden und die<br />

Bildung bzw. Freisetzung des Schilddrüseniiormons<br />

blockieren. Auf diese Weise kommt es zu einer gestei<br />

gerten TSH-Produklion, die zu einer Follikelepithel<br />

hyperplasie führt. Zu diesen Verbindungen zählen:<br />

Thiozyanat, Perchlorat, Nitrat, .Jodat, zyanogene Gly<br />

koside. Thioharnstoff, Thiouracil, Phenylbutazon u.a.<br />

■ Struma diffusa: Die vergr<strong>ö</strong>ßerte Schilddrüse behält<br />

zunächst ihre Form bei. Man unterscheidet eine<br />

kolloidarme (Struma parenehymatosa) und eine kolloidreiche<br />

Form (Struma colloides). Struma paren<br />

ehymatosa: Die Follikel sind kolloidarm, die Follikelepithelien<br />

kubisch bis zylindrisch. Bei der Adoleszentenstruma<br />

fehlen die Zeichen einer inkretorischen<br />

Hyperfunktion. Diese Form kommt bevorzugt<br />

bei jungen Menschen - als Folge eines Jodmangels<br />

oder eines erh<strong>ö</strong>hten Jodbedarfs (z. B. während der<br />

Schwangerschaft) - vor. Beim Morbus Basedow<br />

liegen histologische Veränderungen entsprechend<br />

einer gesteigerten endokrinen Aktivität vor. Struma<br />

diffusa colloides: Makroskopisch liegt eine weitge<br />

hend gleichmäßige, honigartig glänzende Schnittflä<br />

che vor. Histologisch findet man große Follikel, die<br />

von abgeflachten Thyreozyten ausgekleidet werden<br />

und ein homogen eosinrotes Kolloid einschließen.<br />

Struma nodosa: Diese Kropfform des Erwachsenen<br />

kann aus einer Kolloidstruma hervorgehen und ist<br />

durch einen knotigen Umbau gekennzeichnet. In<br />

den meisten Fällen handelt es sich um Pseudoknoten<br />

(knotige Hyperplasie), die aus kolloidreichen<br />

Follikeln bestehen. Durch Kompression des benach<br />

barten Gewebes kommt es zu regressiven Verände<br />

rungen wie Nekrosen, Blutungen. Ablagerung von


70 Endokrines System<br />

Cholesterinkristallen und Hyalin sowie zur Bildung<br />

von Narben. Durch wechselnde Stimulierung k<strong>ö</strong>n<br />

nen kleine Knoten mit einem trabekulären oder<br />

mikrofollikulären Aufbau entstehen. Die häufiger<br />

von einer (unvollständigen) Kapsel umgebene<br />

Struma adenomat<strong>ö</strong>s;! ist nur schwer von einem<br />

echten follikulären Adenom abzugrenzen. Der<br />

Nachweis von multiplen Knoten mit unterschiedli<br />

chem histologischem Bild führt zur Diagnose<br />

»Struma adenomatosa«.<br />

Klinik: Die durch eine euthyreote Struma hervorgeru<br />

fenen Beschwerden hängen von der Gr<strong>ö</strong>ße (siehe<br />

WHO-Einteilung) und Lokalisation der Schilddrüse ab.<br />

Häufiger stellt sie nur ein kosmetisches Problem<br />

(Kropfträger) dar, in anderen Fällen ruft sie Beschwer<br />

den durch Kompression benachbarter Organe (Kropfkranker)<br />

hervor. Zu diesen St<strong>ö</strong>rungen geh<strong>ö</strong>ren der<br />

inspiratorische Stridor (Dyspnoe) oder Heiserkeit<br />

(Rekurrensparese bei Rezidivstrumen oder retroster<br />

naler Lokalisation). Eine pl<strong>ö</strong>tzliche Vergr<strong>ö</strong>ßerung der<br />

Struma kann Folge einer intrathyreoidalen Blutung<br />

sein und ist von einer malignen Entartung abzugren<br />

zen. Die klinische Untersuchung muß durch bildge<br />

bende Verfahren (einfache Thorax-R<strong>ö</strong>ntgenaufnahme,<br />

Sonographie mit Volumenbestimmung oder Szintigra<br />

phie mit 99mTc) und durch Hormonbestimmungen im<br />

Serum (TSH, FT:{ und FT4) ergänzt werden. Verdäch<br />

tige Knotenbildungen sind durch Punktionszytologie<br />

oder histologische Untersuchung abzuklären.<br />

;;«v-<br />

• >■>.•'<br />

Stadien der Struma (WHO-Einteiiung)<br />

Stadium 0<br />

Stadium I<br />

Stadium Ia<br />

Stadium Ib<br />

Stadium II<br />

Stadium III<br />

keine Struma nachweisbar<br />

Struma nur tastbar<br />

Bei normaler Kopfhaltung ist die Struma<br />

nicht erkennbar, oder es liegt ein kleiner<br />

Knoten in einer sonst normalen Schild<br />

drüse vor.<br />

Struma nur bei nach hinten gestrecktem<br />

Kopf erkennbar<br />

bei normaler Kopfhaltung erkennbare<br />

Struma<br />

Stark vergr<strong>ö</strong>ßerte Schilddrüse, die schon<br />

aus gr<strong>ö</strong>ßerer Fntfernung erkennbar ist.<br />

Sichtbare Finflußstauung.<br />

Komplikationen: Eine besonders große Struma kom<br />

primiert die Trachea, die seitlich abgeflacht wird<br />

(Säbelscheidentrachea). Ein lang andauernder Druck<br />

auf die Knorpelspangen der Luftr<strong>ö</strong>hre führt zu einer<br />

Nekrose (Tracheomalazie -* Kollaps der Trachealwand<br />

nach Strumektomie). Gr<strong>ö</strong>ßere Strumen weisen<br />

Abb.G-3: Struma. Oben: Übersichtsbild einer Struma diffusa<br />

colloides mit abgeflachten Follikelepithelien. Homogenes<br />

eosinrotes Kolloid. Unten: Cholesterinkristallücken als Zei<br />

chen regressiver Veränderungen. HF-Fbg.<br />

ausgedehnte regressive Veränderungen auf, die von<br />

der frischeren Blutung über eine Vernarbung bis zur<br />

Verkalkung und Verkn<strong>ö</strong>cherung reichen. Eine Vergr<strong>ö</strong><br />

ßerung der Schilddrüse kann kaudalwärts in das obere<br />

Mediastinum erfolgen (Struma retrosternal) und hier<br />

zu einer Kompression der Organe führen (Einflußstauung,<br />

Dyspnoe, Rekurrensparese). Der Übergang einer<br />

euthyreoten in eine hyperthyreote Stoffwechsellage<br />

durch Verabreichung von Jod (z. B. durch Kontrastmit<br />

tel) bei vorhandener funktioneller Autonomie von<br />

Gruppen von Thyreozyten wird als Struma basedowiflcata<br />

bezeichnet. In diesen Fällen liegt szintigraphisch<br />

eine fleckige Anreicherung vor, die beim M. Basedow<br />

homogen erscheint.<br />

Ein kausalpathogenetischcr Zusammenhang zwischen<br />

Struma und Schilddrüsenkarzinom ist umstritten.<br />

Gesichert ist, daß in Strumen die maligneren Formen<br />

eines Karzinoms (follikuläres oder anaplastisches Kar<br />

zinom) häufiger vorkommen und daß dies später dia-


G. Erkrankungen der Schilddrüse 71<br />

gnostiziert wird als der Befund eines Karzinoms in<br />

einer sonst normalen Schilddrüse. Eine Rezidivstruma<br />

kommt bei ca. 20% der strumektomierten Patienten<br />

vor, wenn postoperativ keine Rezidivprophylaxe<br />

durchgeführt wurde. Bei jungen Frauen k<strong>ö</strong>nnen diese<br />

Werte auf 50% ansteigen. Die histologische Diagnostik<br />

einer operativ entfernten Rezidivstruma kann Schwie<br />

rigkeiten bereiten, da der Nachweis von Schilddrüscngewebe<br />

im benachbarten Binde- und Muskelgewebe<br />

eine karzinomat<strong>ö</strong>se Invasion vortäuscht.<br />

4 Entzündungen<br />

Entzündungen der Schilddrüse k<strong>ö</strong>nnen sich in einer<br />

normalen Drüse (Thyreoiditis) oder auf dem Boden<br />

einer Struma (Strumitis) entwickeln. Sie k<strong>ö</strong>nnen un<br />

spezifisch (eitrige Thyreoiditis bei Sepsis) sein oder -<br />

als spezifische Entzündungen - besondere Gewebsreaktionen<br />

hervorrufen.<br />

Abb. G-4: Quervain-Thyreoiditis. Fremdk<strong>ö</strong>rperriesenzellen<br />

um Kolloid. Fntzündliche Stromainfiltration. HF-Fbg.<br />

4.1 Quervain-Thyreoiditis<br />

Bei der subakuten, nichteitrigen Quervain-Thyreo<br />

iditis liegt eine schmerzhafte Vergr<strong>ö</strong>ßerung der Schild<br />

drüse vor. Besonders betroffen sind Frauen im 2. bis<br />

5. Dezennium. Als Ursache wird eine Virusinfektion<br />

(besonders Mumps-, Coxsackie-, Adenoviren) disku<br />

tiert. Histologisch findet man Kolloidfollikel, die von<br />

mehrkernigen Riesenzellen vom Fremdk<strong>ö</strong>rpertypus<br />

umgeben sind. Ferner liegt ein entzündliches Infiltrat<br />

vor.<br />

4.2 Chronisch lymphozytäre Thyreoiditis<br />

Die chronisch lymphozytäre Hashimoto-Thyreoiditis<br />

ist mit 80% die häufigste Form einer Schilddrüsenentzündung.<br />

Sie kommt vorwiegend bei Frauen im 4. bis<br />

5. Dezennium vor. Formalpathogenetisch geh<strong>ö</strong>rt sie zu<br />

den Autoimmunerkrankungcn (Antik<strong>ö</strong>rper gegen Thy<br />

reoglobulin, mikrosomale Antigene und gegen antinukleäre<br />

Antigene) und kann folgende Varianten zeigen:<br />

■ Lymphozytär hyperplastische Thyreoiditis: Die<br />

Schilddrüse ist unregelmäßig vergr<strong>ö</strong>ßert und von<br />

fester, elastischer Beschaffenheit. Histologisch ste<br />

hen große knotige Infiltrate aus Lymphozyten und<br />

Plasmazellen im Vordergrund. Charakteristisch ist<br />

die Bildung von Keimzentren. Die Follikel sind weit<br />

gehend zerst<strong>ö</strong>rt, die Thyreozyten z.T. onkozytär<br />

umgewandelt.<br />

Abb. G-5: Chronisch lymphozytäre Hashimoto-Thyreoiditis.<br />

Dichte knotige lymphozytäre Infiltration mit Ausbildung von<br />

Keimzentren. HF-Fbg.


72 Endokrines System<br />

■ Lymphozytär atrophische Thyreoiditis: Histolo<br />

gisch erkennt man eine stark vernarbte Schilddrüse<br />

mit dichter lympho-plasmazellulärer Infiltration.<br />

■ Die lymphozytische Thyreoiditis ist gekennzeichnet<br />

durch das frühe Manifestationsalter (30 Jahre), die<br />

etwas geringere lymphozytäre Infiltration und das<br />

Fehlen einer onkozytären Umwandlung der Thyreozyten.<br />

■ Die fokale lymphozytäre Thyreoiditis tritt in einer<br />

vorgeschädigten Schilddrüse auf und kommt in 30%<br />

der Knotenstrumen vor.<br />

Klinisch steht bei der lymphozytären Thyreoiditis die<br />

Organvergr<strong>ö</strong>ßerung im Vordergrund. Die Diagnose<br />

wird histologisch im Rahmen einer Strumektomie bzw.<br />

durch don Nachweis von Antik<strong>ö</strong>rpern gesichert. Zu den<br />

Komplikationen zählt die Hypothyreose. Bei lange<br />

andauernden Verlaufsformen muß mit einem h<strong>ö</strong>heren<br />

Risiko, an einem malignen Non-Hodgkin-I.ymphom zu<br />

erkranken, gerechnet werden.<br />

4.3 Invasive sklerosierende<br />

Riedel-Thyreoiditis<br />

Die eisenharte Struma wird bevorzugt bei 40 Jahre<br />

alten Frauen diagnostiziert. Die Pathogenese ist noch<br />

ungeklärt. Diagnostische Merkmale sind eine brett<br />

harte sklerosierende Entzündung, die die Organkapsel<br />

durchbricht und das <strong>ö</strong>rtliche Parenchym zerst<strong>ö</strong>rt.<br />

Klinisch steht zunächst ein über 2 bis 6 Monate verlau<br />

fender progredienter Vernarbungsprozeß im Vorder<br />

grund. Die Schilddrüse ist von sehr fester Beschaffen<br />

heit und täuscht ein Karzinom vor. Die Diagnose ist mit<br />

genügender Sicherheit nur durch Probeexzision zu<br />

stellen. Die meisten Fälle gehen in eine spontane<br />

Remission über, Funktionsst<strong>ö</strong>rungen bleiben nicht zu<br />

rück.<br />

4.4 Spezifische Entzündungen<br />

Die Schilddrüse kann bei verschiedenen disseminier<br />

ten Infektionskrankheiten (z. B. Tuberkulose oder Sar<br />

koidose) beteiligt sein.<br />

Abb.G-6: Riedel-Struma. Oben: Ausgeprägte narbige Durch<br />

setzung des Schilddrüsengewebes. Unten: Diffuse narbige<br />

Kollagenf'aservermehrung mit eingeschlossenen Schilddrüsenibllikeln.<br />

HF-Fbg.


G. Erkrankungen der Schilddrüse 73<br />

5 Tumoren<br />

Vorbemerkungen: In der Schilddrüse kommen zahl<br />

reiche Tumorvarianten vor, die in der Vergangenheit<br />

mit z.T. verwirrenden Namen versehen wurden. Die<br />

WHO hat sich bemüht, die Zahl dieser Neubildungen zu<br />

reduzieren, um auf diese Weise die Systematik der<br />

primären Schilddrüsenneubildiingen übersichtlicher<br />

zu gestalten. Bezeichnungen wie trabekuläres Karzi<br />

nom Marchand, Struma Getzowa, »melastasierendcs<br />

Adenom«, IIürtlile-Zell-Tumor, wuchernde Struma<br />

Langhaus u. a. finden heute keine Anwendung mehr.<br />

Die primären Neubildungen der Schilddrüse werden<br />

nach histogenetischen Prinzipien unterteilt:<br />

■ Epitheliale Neubildungen k<strong>ö</strong>nnen vom Follikelepi<br />

thel (Thyreozyten), aus den parafollikulären C-Zel<br />

len oder aus Resten des Ductus thyreoglossus her<br />

vorgehen. Neubildungen des Follikelopilhels wer<br />

den unter Berücksichtigung ihres feingeweblichen<br />

Aufbaus und des Zelltyps in follikuläre, papilläre<br />

und anaplastische Tumoren differenziert.<br />

■ Mesenchymale Tumoren entstehen aus dem <strong>ö</strong>rt<br />

lichen Stroma (z. B. als Fibro-, Osten- oder Angiosarkome)<br />

oder sind die lokale Manifestation einer<br />

malignen Systemerkrankung (Hodgkin- und Non-<br />

I -lodgkin-Lymphome).<br />

WHO-Systematik und Kodierung<br />

1 Epitheliale Tumoren<br />

1.1 Gutartige Tumoren<br />

1.1.1 Follikuläres Adenom<br />

- normofollikulär (simplex)<br />

8330/0<br />

- makrofollikulär (kolloid)<br />

- mikrofollikulär (fetal)<br />

- trabekulär-solid (embryonal)<br />

1.1.2 Andere Adenome<br />

1.2 B<strong>ö</strong>sartige Tumoren<br />

1.2.1 Follikuläres Karzinom 8330/3<br />

I lochdifferenzierte Variante 8331/3<br />

Trabekuläre Variante 8332/3<br />

Klarzelliges Karzinom<br />

Onkozytäre Variante<br />

1.2.2 Papilläres Karzinom<br />

8260/3<br />

Papilläres Mikrokarzinom<br />

Abgekapselte Variante<br />

Follikuläre Variante<br />

Diffus sklerosierende Variante<br />

Onkozytäre Variante<br />

1.2.3 Plattenepithelkarzinom 8070/3<br />

1.2.4 Undifferenziertes Karzinom 8020/3<br />

Anaplastisches Karzinom 8021/3<br />

Spindelzelliger'Typ 8032/3<br />

Riesenzelliger Typ 8031/3<br />

Kleinzelliger Typ 8510/3<br />

1.3 Medulläres C-Zellen-Karzinom 8510/3<br />

- mit Amyloid im Stroma 8511/3<br />

Genetisch verankerte Varianten<br />

Medullär-follikuläre Variante<br />

2 Nichtepitheliale Tumoren<br />

2.1 Gutartige Tumoren<br />

2.2 Maligne Tumoren<br />

2.2.1 Fihrosarkom 8810/3<br />

2.2.2 Andere Tumoren<br />

3 Verschiedene Tumoren<br />

3 . 1 K a r z i n o s a r k o m 8 9 8 0 / 3<br />

3.2 Malignes Hämangioendotheliom 9130/3<br />

3.3 Maligne Lymphome —/3<br />

3.4 Teratome 9080/.<br />

4 M e t a s t a s e n — / 6<br />

5 N i c h t k l a s s i fi z i e r t e Tu m o r e n 8 0 0 0 / .<br />

6 Tumorähnliche Veränderungen<br />

Diffuse und noduläre Struma 71600<br />

Schilddrüsenzysten 26 500<br />

Solide Zellnester<br />

Ektopes Schilddrüsengewebe 26000<br />

T h y r e o i d i t i s 4 0 0 0 0<br />

C 73.92<br />

C 73.92<br />

C73.90 Schilddrüse<br />

C73.91 Seitenlappen<br />

C73.92 Isthmus<br />

C73.93<br />

C73.94<br />

C73.95<br />

L pyramidalis<br />

D. thyreoglossus<br />

dystope Schilddrüse<br />

kiirsiv = SN()MFI)<br />

Abb.G-7: l.okalisalionsschlüssel für die Schilddrüsentumoren.<br />

(Nach G. Wagner; Hrsg. Tumorlokalisationsschlüssel.<br />

4.Aufl. Berlin. Heidelberg. New York: Springer. 1991)


74 Endokrines System<br />

Pathogenese der Schilddrüsentumoren: Fin Zusam<br />

menhang zwischen Struma und Schilddrüsenkarzinom<br />

ist immer wieder diskutiert, aber nicht statistisch<br />

gesichert worden. Karzinome in einer Struma werden<br />

in den meisten Fällen erst spät diagnostiziert (mit<br />

Ausnahme des zufällig entdeckten papillären Mikrokarzinoms)<br />

und sind dementsprechend einem h<strong>ö</strong>heren<br />

T-Stadium zuzuordnen.<br />

Aufgrund humanmedizinischer Beobachtungen gilt die<br />

kanzerogene Wirkung ionisierender Strahlen auf die<br />

Schilddrüse als gesichert. So sind Schilddrüsenkarzi<br />

nome bei Patienten beschrieben worden, die in ihrer<br />

Jugend wegen einer I-Ialslymphknotentuberkulose<br />

oder einer Thymushyperplasie lokal bestrahlt wurden.<br />

Die verabreichten Strahlendosen schwankten zwi<br />

schen 0,2 und 20 Gy. Später stellte man auch bei den<br />

Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki eine<br />

h<strong>ö</strong>here Rate an Schilddrüsenkarzinomen fest. Eine<br />

krebserzeugende Wirkung der im Rahmen einer Szin<br />

tigraphie oder Behandlung applizierten Isotope (131J)<br />

ist dagegen nicht gesichert.<br />

70 Y<br />

Schilddrüsenkarzinom<br />

mit und ohne Struma<br />

Papill. Ca Follik. Ca Medull. Ca Anapl. Ca<br />

Aus dem Tierversuch ist bekannt, daß eine TSHaktivierte<br />

Schilddrüse {/,. B. durch eine Thiouracilinduzierte<br />

Suppression der Schilddrüsenhormone)<br />

besonders empfindlich gegenüber chemischen Kanze<br />

rogenen ist. So lassen sich bei TSII-stimulierten Ratten<br />

mit Nitrosoverbindungen (Nitrosomcthylharnstoff)<br />

selektiv Schilddrüsentumoren erzeugen. Diese Noxe<br />

weist eine breite organotrope Wirkung auf, erzeugt<br />

aber bei nichtstimulierten Ratten keine endokrinen<br />

Tumoren.<br />

Genetisch verankerte Schilddrüsenkarzinome sind in<br />

Kombination mit anderen endokrinen Neoplasien<br />

beobachtet worden, so z. B. das C-Zellen-Karzinom im<br />

Rahmen eines MEN-II- und MF.N-IIb-Syndroms.<br />

Altersverteilung: Die verschiedenen histologischen<br />

Karzinomformen weisen eine typische Altersverteilung<br />

auf. Das Durchschnittsalter der Patienten bei allen<br />

Karzinomen beträgt 55 Jahre, bei den papillären Kar<br />

zinomen 47 Jahre, bei den follikulären Karzinomen<br />

60 Jahre und bei den anaplastischen Karzinomen<br />

72 Jahre. Bemerkenswert ist das mit 40 Jahren frühe<br />

Alter der Patienten mit einem medullären Karzinom.<br />

Das voll ausgebildete papilläre Karzinom kommt<br />

bevorzugt bei Frauen im jugendlichen Alter vor, wäh<br />

rend die okkult sklerosierenden, papillären Tumoren<br />

in jeder Altersklasse nachgewiesen werden.<br />

Geschlechtsverteilung: B<strong>ö</strong>sartige Neubildungen der<br />

Schilddrüsen kommen bevorzugt bei Frauen (im Ver<br />

hältnis 2 bis 4 zu 1) vor. Das medulläre Karzinom ist<br />

bei Mann und Frau gleich häufig vertreten.<br />

ohne Struma Li^lmit Struma<br />

Abb. G-8: Schilddrüsenkarzinom. Korrelation zwischen Kar<br />

zinom und Struma unter Berücksichtigung des histologischen<br />

Tumortyps.<br />

Schilddrüsenkarzinom<br />

Altersverteilung - histologischer Typ<br />

Prozent<br />

35<br />

0U_t-_! ^<br />

j i i<br />

b i s 2 0 3 0 4 0 5 0 6 0 7 0 8 0 > 8 0<br />

papilläres Ca<br />

I : I alle Karzinome<br />

anaplastisches Ca<br />

Abb.G-9: Schilddrüsenkarzinom. Altersverteilung unter<br />

Berücksichtigung des histologischen Typs.


G. Erkrankungen der Schilddrüse 75<br />

Ausbreitung des Schilddrüsenkarzinoms rrNM-System, 1990)<br />

Primärtumor (T = pT)<br />

TO: Kein Nachweis eines Primärtumors<br />

Tl: Tumordurchmesser 1 cm und 4 cm. Kapsel intakt<br />

T4: Jede Tumorgr<strong>ö</strong>ße mit Kapseldurchbruch<br />

TX: Ausbreitung des Primärtumors kann nicht be<br />

stimmt werden.<br />

Alle Kategorien k<strong>ö</strong>nnen unterteilt werden:<br />

a) solitärer Tumor und b) multifokaler Tumor. Bei multifo<br />

kalen Neoplasien wird die Ausbreitung am gr<strong>ö</strong>ßten Tumor<br />

bestimmt.<br />

Lymphknoten (N = pN)<br />

NO: Keine regionalen l.ymphknotenmetastasen<br />

Nl: Regionale Lymphknotenmetastasen<br />

Nla: Metastasen in ipsilateralen Halslymphknoten<br />

Nlb: Bilaterale, Mittellinien-, zervikal-kontralaterale<br />

oder mediastinale l.ymphknotenmetastasen<br />

NX: Die regionalen Lymphknoten k<strong>ö</strong>nnen nicht beur<br />

teilt werden.<br />

Fernmetastasen (M = pM)<br />

MO: Keine Fernmetastasen nachweisbar<br />

MI: Fernmetastasen<br />

MX: Vorhandensein von Fernmetastasen kann nicht<br />

beurteilt werden.<br />

Residualtumor<br />

RO: Kein Residualtumor<br />

Rl: Histologisch nachweisbarer Residualtumor<br />

R2: Makroskopisch nachweisbarer Residualtumor<br />

RX: Vorhandensein eines Besidualtumors kann nicht<br />

bestimmt werden.<br />

Stadieneinteilung<br />

1. Papilläre oder follikuläre Karzinome<br />

(Alter 45 Jahre)<br />

Stadium I: Tl NO MO<br />

Stadium 11: T2 NO MO<br />

T3 NO MO<br />

Stadium III: T4 NO MO<br />

Stadium IV: jedes T Nl MO<br />

jedes T jedes N Ml<br />

3. Medulläre Karzinome<br />

Stadium I: Tl NO MO<br />

Stadium IL T2 NO MO<br />

T3 NO MO<br />

T4 NO MO<br />

Stadium III: jedes T Nl MO<br />

Stadium IV: jedes pT jedes N Ml<br />

4. Anaplastische Schilddrüsenkarzinome<br />

Alle Fälle werden als Stadium IV klassifiziert.<br />

(Stadium IV = jedes T jedes N jedes M)<br />

Histologische Unterteilung der Schilddrüsenkarzi<br />

nome: Man unterscheidet papilläre, follikuläre,<br />

anaplastische (undifferenzierte) und medulläre Karzi<br />

nome als klinisch relevante Sonderformen. Das Platten<br />

epithelkarzinom ist extrem selten, andere Neubildun<br />

gen (wie z.B. das onkozytäre oder das hellzellige<br />

Karzinom) sind zytologische Varianten der oben<br />

erwähnten Tumoren.<br />

Die Häufigkeit der einzelnen Tumortypen unterliegt<br />

großen Schwankungen, die auf die Zusammensetzung<br />

des ausgewählten Untersuchungskollektivs zurückzu<br />

führen sind. So sind in einem Obduktionsgut die papil<br />

lären Karzinome (wegen ihrer guten Prognose) kaum<br />

vertreten. Von Bedeutung ist auch, ob das Untersu<br />

chungsgut aus einer Region mit sporadischer oder<br />

endemischer Struma stammt. Lediglich beim medullä<br />

ren Karzinom bleibt die relative Häufigkeit mit 3 bis<br />

5% gleich.<br />

Klinik der Schilddrüsenkarzinome: Diese Tumoren<br />

sind insgesamt selten und machen weniger als 1% aller<br />

malignen Geschwülste aus. Das Karzinom kann sich in<br />

einer sonst normalen Schilddrüse oder in einer prä<br />

existenten Struma entwickeln. Zu den wichtigsten<br />

diagnostischen Befunden zählen:<br />

- Gr<strong>ö</strong>ßenzunahme der Schilddrüse oder eines Stru<br />

maknotens<br />

- Organ bzw. Knoten von fester bis derber Konsistenz<br />

- Lymphknotenschwellung: Nicht selten ist der Nach<br />

weis einer Metastase in einem Halslymphknoten die<br />

erste Manifestation eines Schilddrüsenkarzinoms.<br />

Dies trifft besonders für die okkulten papillären<br />

Karzinome bei jungen Menschen zu.<br />

- Spätsymptome: Rekurrensparese, Schluckbe<br />

schwerden, obere Hinflußstauung und Spontanfrak<br />

turen bei osteolytischen Knochenmetastasen.


76 Endokrines System<br />

Diagnose: Die klinische Verdachtsdiagnose geht aus<br />

der Anamnese und Palpation hervor und wird durch<br />

folgende Untersuchungen ergänzt:<br />

- Sonographie: unregelmäßige, verminderte Echogenität<br />

- R<strong>ö</strong>ntgenuntersuchung des Skeletts (Nachweis von<br />

osteolytischen Knochenmetastasen) und der Lungen<br />

(Bestimmung der intrathorakalen Ausdehnung des<br />

Tumors, Nachweis von metasiatischen Rundherden)<br />

- Szintigraphie der Schilddrüse (Nachweis von kalten<br />

Knoten) und Ganzk<strong>ö</strong>rperszinligraphic (Erfassung<br />

von Metastasen eines follikulären Karzinoms)<br />

- Bestimmung von Tumormarkern im Serum (Kalzi<br />

tonin, CEA, ACTH).<br />

Die Prognose des Schilddrüsenkarzinoms wird durch<br />

die 10-Jahres-Überlcbensrate quantifiziert. Sie hängt<br />

von mehreren Faktoren ab:<br />

- Alter. Beim follikulären Karzinom ist die Prognose<br />

besser für unter 45 Jahre alle Patienten. Die gutarti<br />

geren Formen (papilläres Karzinom) kommen bei<br />

jungen Menschen vor, die besonders b<strong>ö</strong>sartigen<br />

Neubildungen (anaplastisches Karzinom) bei alten<br />

Menschen.<br />

- Histologischer Typ (siehe Abbildung). Die papillä<br />

ren Karzinome weisen die beste Prognose auf. Auch<br />

der Nachweis von Lymphknotenmetastasen ver<br />

schlechtert nicht wesentlich die 10-Jahres-Überlebensrate.<br />

Die schlechteste Prognose zeigt das<br />

anaplastische Karzinom. Eine Mittelstellung neh<br />

men das follikuläre und das medulläre Karzinom<br />

ein. Beim follikulären Karzinom ist die Abgrenzung<br />

gegenüber dem Adenom schwierig (Adenome als<br />

Karzinome fehlgedeutet?). Unter den medullären<br />

Karzinomen ist bei den sporadischen Fällen die<br />

Überlebensrate niedriger als bei den familiären<br />

Formen.<br />

- Zytologie. Die onkozytären Tumoren werden als<br />

b<strong>ö</strong>sartiger angesehen.<br />

- Ausbreitung. Von entscheidender prognostischer<br />

Bedeutung ist die Erfassung der lokalen, regionalen<br />

und generalisierten Ausbreitung des Karzinoms. Mit<br />

zunehmender T-Kategorie (besonders pT3 und pT4)<br />

und mit dem Nachweis von Lymphknoten- oder<br />

Fernmetastasen reduzieren sich die Überlebensraten.<br />

- Karzinom in Struma. Es ist festgestellt worden, daß<br />

Karzinome in einer Struma eine schlechtere Pro<br />

gnose aufweisen. In diesen Fällen sind die progno<br />

stisch ungünstigen follikulären und anaplastischen<br />

Karzinome häufiger vertreten. Außerdem werden<br />

sie vielfach erst in einem Spätstadium (p'T3 oder<br />

pT4) diagnostiziert (Karzinom wird durch Struma<br />

knoten maskiert).<br />

■<br />

Abb.G-10: Ganzk<strong>ö</strong>rperszintigraphie bei metastasiertem<br />

follikulärem Schilddrüsenkarzinom. Metastasen in der Pro<br />

jektion des Hüftgelenks, des Sitzbeins, des 12.BWK sowie<br />

mehrere Lungenmetastasen. Isotopennachweis im Restschilddrüsengewebe,<br />

im Magen-Darm-Bereich und in der<br />

Harnblase.<br />

Schilddrüsenkarzinom<br />

10- Jahres-Überlebensrate<br />

loa<br />

80 ^ ^ ^ —<br />

y \<br />

60<br />

- v__<br />

40<br />

20<br />

2 J 4 J 6 J 8 J 1 0 J<br />

- Papilläres Ca ■+- Follikuläres Ca<br />

I<br />

* M e d u l l ä r e s C a * A n a p l a s t i s c h e s C a<br />

Abb.G-11: Prognose des Schilddrüsenkarzinoms<br />

Berücksichtigung des histologischen Bildes<br />

unter


G. Erkrankungen der Schilddrüse 77<br />

5.1 Gutartige Schilddrüsentumoren<br />

Von klinischer Bedeutung sind nur die epithelialen<br />

Neubildungen (Adenome). Benigne mesenchymale und<br />

neurogene Tumoren (Angiome, Fibrome, Neurinome<br />

u. a.) sind selten und entsprechen den Weichteiltumoren.<br />

Unter den Adenomen ist lediglich das follikuläre<br />

Adenom zu erwähnen. Die papillären Tumoren sowie<br />

die Abk<strong>ö</strong>mmlinge der C-Zellen werden immer als<br />

Karzinome eingestuft. Dies trifft besonders für die<br />

papilläre Neoplasie zu, die trotz hoher Differenzierung<br />

und vollständiger Kapsel Metastasen setzen kann und<br />

somit nicht von einem Karzinom abzugrenzen ist.<br />

5.1.1 Follikuläres Schilddrüsenadenom<br />

Es handelt sich um einen gutartigen, in der Regel<br />

solitären, abgekapselten Schilddrüsentumor mit folli<br />

kulärer Differenzierung, der sich histologisch vom<br />

umgebenden Gewebe abhebt. Eine Abgrenzung gegen<br />

über einem Slrumaknoten (insbesondere bei Struma<br />

adenomatosa) kann schwierig sein. Sehr charakteri<br />

stisch ist das Struma<strong>ö</strong>dem, das dem Adenomknoten<br />

einen feuchten Glanz verleiht. Ferner kommen regres<br />

sive Veränderungen, wie Blutungen, pseudozystische<br />

Umwandlung, Verkalkungen und Verkn<strong>ö</strong>cherungen,<br />

vor. Zu den histologischen Varianten zählen:<br />

Abb.G-12: Schilddrüsenadenom. Schnittfläche eines abge<br />

kapselten Adenoms mit regressiven Veränderungen.<br />

■ Das einlache follikuläre Adenom (Adenoma folli<br />

cularis simplex) besteht aus normal großen, kolloidhaltigen<br />

Follikeln.<br />

■ Beim makrofollikulären Adenom sind die Follikel<br />

besonders groß und kolloid reich.<br />

■ Das embryonale Adenom zeigt solid oder trabeku<br />

lär angeordnete Adenomzellen, die wenig oder kein<br />

Kolloid einschließen.<br />

■ Das fetale Adenom weist einen niikrofollikulären<br />

Aufbau auf.<br />

Zytologisch unterscheidet man:<br />

■ Das onkozytäre Adenom (früher fälschlicherweise<br />

als Hürthle-Zell-Adenom bezeichnet) zeigt makro<br />

skopisch eine rehbraune Schnittfläche und bestellt<br />

aus großen Zellen mit einem feingranulierten Zyto<br />

plasma. Die Kerne k<strong>ö</strong>nnen etwas polymorph sein<br />

und einen deutlichen Nukleolus besitzen. Die Luxolfast-blue-Färbung<br />

ist positiv. Elektronenmikrosko<br />

pisch finden sich vergr<strong>ö</strong>ßerte und vermehrte Mito<br />

chondrien.<br />

■ Zu den weiteren zytologischen Sonderformen geh<strong>ö</strong><br />

ren das lipidhaltige Siegelringzelladenom, das ver<br />

schleimte und das hellzellige Adenom, das sich<br />

immunhistochemisch durch den Nachweis von 'Thy<br />

reoglobulin von einem Epithelk<strong>ö</strong>rperchenadenom<br />

oder von der Metastase eines hellzelligen Nieren<br />

karzinoms abgrenzen läßt.<br />

Abb.G-13: Schilddrüsenadenom. Oben: Normo- bis makro<br />

follikulär aufgebautes Adenom mit ausgeprägtem Stroma<strong>ö</strong>dem.<br />

Unten: »Embryonales Adenom« mit nur vereinzelten<br />

kolloidhaltigen Follikeln. HF-Fbg.


78 Endokrines System<br />

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11 V5«liV "' .'*. 7.4* "••■'-' •»'.<br />

Abb.G-14: Onkozytom. Oben: Schnittlläche eines abgekap- Abb.G-15: Atypisches Schilddrüsenadenom. Oben: Über<br />

selten Onkozytoms mit typischer »rehbrauner Farbe«. Unten: sichtsbild eines nicht begrenzten normofollikulären Schild-<br />

Große Onkozytomzellen mit deutlich granuliertem Zyto- drüsenadenoms. Rechts im Bild erhaltene Schilddrüsenfollip<br />

l a s m a . H F - F b g . k e l . U n t e n : S o l i d e A r e a l e m i t e i n e r l e i c h t e n Z e l l - u n d K e r n -<br />

polymorphie. HF-Fbg.<br />

Funktionell unterscheidet man<br />

■ das kalte Adenom (kalter Solitärknoten): Szintigra<br />

phisch wird in einer normalen Schilddrüse oder in<br />

einer Struma nodosa ein nichtnuklidspeichernder<br />

Bezirk nachgewiesen. Da es sich in ca. 5% der Fälle<br />

um ein Karzinom handelt, ist eine diagnostische<br />

Abklärung durch Punktion oder Resektion ange<br />

zeigt.<br />

■ das warme oder kompensierte Adenom bei euthyreoter<br />

Stoffwechsellage, das in einer nuklidspeichernden<br />

Schilddrüse eingebettet ist;<br />

■ das heiße, nichtkompensierte Adenom, das die<br />

Zeichen einer inkretorischen Hyperaktivität auf<br />

weist und bevorzugt bei über 40 Jahre alten Frauen<br />

vorkommt.<br />

'<br />

Die Diagnose wird durch ein Kontrollszintigramm<br />

unter Suppressionsbedingungen gesichert. Das auto<br />

nome Adenom läßt sich - im Gegensatz zum umgeben<br />

den Schilddrüsengewebe — nicht supprimieren. Die<br />

Häufigkeit autonomer Bezirke nimmt mit dem Lebens<br />

alter zu. Zur Hyperthyreose (»heißes Adenom bei<br />

hyperthyreoter Stoffwechsellage«) kommt es, wenn die<br />

Hormonproduktion im autonomen Knoten den Bedarf<br />

übersteigt. Zwischen warmen und heißen Knoten<br />

bestellen fließende Übergänge.<br />

5.1.2 Atypisches follikuläres Adenom<br />

Diese Neubildungen weisen einen follikulären Aufbau<br />

sowie die Zeichen einer gesteigerten Proliferation<br />

(Mitosen), Zell- und Kernunregelmäßigkeiten auf. Von<br />

Bedeutung ist der Ausschluß eines Gefäßeinbruchs<br />

oder eines Kapseldurchbruchs, um diese Veränderung<br />

von einem follikulären Karzinom mit minimaler Inva<br />

sion differentialdiagnostisch abzugrenzen. In ihrem<br />

biologischen Verhalten steht diese Neubildung zwi<br />

schen einem follikulären Adenom und einem differen<br />

zierten Karzinom.


G. Erkrankungen der Schilddrüse 79<br />

5.2 Schilddrüsenkarzinom<br />

5.2.1 Follikuläres Schilddrüsenkarzinom<br />

Das follikuläre Karzinom wird von den Thyreozyten<br />

abgeleitet. Das histologische Bild reicht von dem hoch<br />

differenzierten, follikulär aufgebauten Karzinom (nur<br />

schwer von einem Adenom abzugrenzen) bis zur soli<br />

den oder trabekulär gestalteten Neubildung. Diagno<br />

stische Kriterien sind:<br />

- immunhistochemischer Nachweis von Thyreoglobu<br />

lin in den Tümorzellen<br />

- Fehlen von papillären Strukturen<br />

- Durchbruch durch die Organkapsel mit Infiltration<br />

der umgebenden Weichteile<br />

- Einbruch in Gefäße.<br />

Die beiden letztgenannten Malignitätskriterien sind<br />

wichtig für die Abgrenzung gegenüber einem Adenom<br />

oder einem Knoten in einer Struma adenomatosa.<br />

Dabei ist zu beachten, daß eine Kapselinfiltration ohne<br />

Invasion benachbarter Strukturen dieses Kriterium<br />

nicht erfüllt. Auch der Nachweis einer Gelaßinfiltra<br />

tion muß einwandfrei sein. Endothelialisierte Hohl<br />

räume nach Blutungen k<strong>ö</strong>nnen eine Gefäßlichtung<br />

vortäuschen. Wenn papilläre Strukturen nachweisbar<br />

sind, dann ist die Neubildung als papilläres Karzinom<br />

einzuordnen.<br />

Histologisch und zytologisch unterscheidet man fol<br />

gende Varianten:<br />

■ Abgekapselte follikuläre Schilddrüsenkarzinome<br />

mit minimaler Kapselinvasion (sehr gute Prognose)<br />

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■ Invasive Karzinome mit geringer oder unvollständi<br />

ger Kapselbildung, ausgedehnter Weichteilinfiltration<br />

und Gefäßeinbrüchen<br />

■ Onkozytäre, follikuläre Karzinome mit Zellen,<br />

die ein eosinrotes, feingranuliertes Zytoplasma<br />

und hyperchromatische Kerne mit prominentem<br />

Nukleolus aufweisen. Elektronenmikroskopisch<br />

zeigen diese Zellen ein mitochondrienreiches Zyto<br />

plasma.<br />

■ Hellzellige Karzinome, die von einem Epithelk<strong>ö</strong>r<br />

perchentumor oder von der Metastase eines hypernephroiden<br />

Karzinoms durch den immunhistochemischen<br />

Nachweis von Thyreoglobulin abzugrenzen<br />

sind.<br />

Iumorausbreitung: Follikuläre Karzinome metastasieren<br />

nur selten lymphogen. Ihre Ausbreitung erfolgt<br />

vorwiegend auf hämatogenem Weg in Lunge und<br />

Knochen. Hier bilden sie osteolytische Metastasen, die<br />

zu einer pathologischen Fraktur führen k<strong>ö</strong>nnen.<br />

l<br />

TV<br />

**v<br />

Abb.G-16: Follikuläres Schilddrüsenkarzinom. Oben: Hoch<br />

differenziertes follikuläres Karzinom mit großen Follikeln.<br />

Das Präparat stammt aus einer Knochenmetastase mit ver<br />

einzelten noch erhaltenen Knochenbälkchen (-). HF-Fbg.<br />

Mitte: Solides follikuläres Karzinom mit thyreoglobulinproduzierenden<br />

Zellen. Immunhistochemie. Unten: Hellzelliges<br />

follikuläres Karzinom. HF-Fbg.


80 Endokrines System<br />

5.2.2 Papilläres Schilddrüsenkarzinom<br />

Diese Karzinomform kommt häufiger bei jungen Men<br />

schen vor, breitet sich bevorzugt lymphogen in die<br />

regionären Lymphknoten aus und weist in den meisten<br />

Fällen eine gute Prognose auf. Histologische Merkmale<br />

sind:<br />

- Nachweis von echten Tumorpapillen, d.h. Struktu<br />

ren mit einem gefäßtragenden Stroma.<br />

- Die Kerne sind hell und dachziegelartig angeordnet.<br />

- In den Kernen finden sich homogene, eosinrote<br />

Zytoplasmainvaginationen (Milchglaskern), die eine<br />

Kernvakuole vortäuschen.<br />

- Mitosen kommen eher selten vor.<br />

- Bei den meisten papillären Karzinomen liegt keine<br />

Tumorkapsel vor.<br />

Auch bei intakter Kapsel wird der Tumor als Karzi<br />

nom und nicht als Adenom bezeichnet, da er metastasieren<br />

kann und somit die Dignität nicht sicher<br />

histologisch zu bestimmen ist. Auf der anderen Seite<br />

geht aber das abgekapselte, nichtmetastasierende<br />

papilläre Schilddrüsenkarzinom mit einer fast<br />

100%igen 10-Jahres-Überlebensrate einher, so daß<br />

diese Neubildung eher einem gutartigen Tumor<br />

entspricht.<br />

- Kolloid und/oder follikuläre Strukturen k<strong>ö</strong>nnen vor<br />

kommen; trotzdem werden diese Neubildungen als<br />

»papilläre Karzinome« diagnostiziert.<br />

- Im Stroma der Papillen findet man häufiger klei<br />

nere, konzentrisch geschichtete Kalkablagerungen<br />

(Psammomk<strong>ö</strong>rper).<br />

- Plattenepitheldifferenzierungen sowie Onkozyten<br />

werden gelegentlich beobachtet.<br />

Zu den Varianten des papillären Schilddrüsenkarzi<br />

noms zählen:<br />

■ Das papilläre Mikrokarzinom (okkultes, sklerosie<br />

rendes, papilläres Karzinom Graham) ist in der<br />

Regel unter 1 cm im Durchmesser groß und wird<br />

zufällig im Rahmen einer Obduktion oder einer<br />

sorgfältigen Untersuchung einer resezierten Struma<br />

nachgewiesen. Der Tumor imponiert makrosko<br />

pisch als strahlenf<strong>ö</strong>rmige Narbe, die das umgebende<br />

Schilddrüsengewebe retrahiert. Der Tumor ist kollagenfaserreich,<br />

nicht abgekapselt und zeigt drüsige<br />

und papilläre Formationen.<br />

■ Follikuläre Form des papillären Karzinoms s. o.<br />

■ Das diffus sklerosierende papilläre Karzinom zeigt<br />

eine ausgedehnte Infiltration beider Schilddrüsenlappen<br />

mit starker Stromabildung. Der Tumor kann<br />

eine plattenepithelartige Differenzierung sowie<br />

dichte lymphozytäre Infiltrate zeigen.<br />

■ Onkozytäres, papilläres Karzinom s. o.<br />

Abb.G-17: Papilläres Schilddrüsenkarzinom. Oben: Schnitt<br />

fläche eines umschriebenen, aber nicht abgekapselten papil<br />

lären Karzinoms. Mitte: Sog. okkultes Karzinom (


G. Erkrankungen der Schilddrüse 81<br />

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Abb.G-18: Medulläres C-Zellen-Karzinom. a) Schilddrüsenschnittfläche mit einem unscharf begrenzten, weißen Tumor.<br />

b) Medulläres Schilddrüsenkarzinom mit inself<strong>ö</strong>rmiger Anordnung. Oben im Bild erhaltene Schilddrüsenfollikel. HF-Fbg.<br />

c) Kalzitoninpositives C-Zellen-Karzinom (links im Rild) mit solidem Aufbau. Immunhistochemie. d) Amyloidahlagerungen im<br />

Stroma eines C-Zellen-Kar/.inoms. Kongorot-Fbg. im polarisierten Licht.<br />

5.2.3 Medulläres Schilddrüsenkarzinom<br />

Der Tumor wird von den parafollikulären C-Zellen<br />

abgeleitet und ist durch die Produktion von Kalzitonin<br />

gekennzeichnet. Die C-Zellen k<strong>ö</strong>nnen inself<strong>ö</strong>rmig<br />

hyperplastisch sein oder ein Karzinom bilden. Gut<br />

artige Formen (C-Zellen-Adenome) werden in der<br />

WHO-Systemalik nicht aufgeführt.<br />

Morphologisch handelt es sich beim C-Zellen-Karzi<br />

nom um eine nicht abgekapselte Neubildung mit einem<br />

soliden, trabekulären, drüsigen, medullären, papillä<br />

ren, karzinoidähnlichen, kleinzelligen, anaplastischen<br />

oder spindelzelligen (neurinomartigen) Aufbau. Das<br />

Stroma ist faserreich, häufiger verkalkt (CT-Befund)<br />

und kann Amyloidablagerungon einschließen. Die Dia<br />

gnose wird durch den immiinliistochemischen Nach<br />

weis von Kalzitonin in den Tumorzellen gesichert.<br />

Ferner k<strong>ö</strong>nnen auch andere Sekretionsprodukte<br />

(Schleim, ACTH, CEA, Histaminase, Melanin) vorkom<br />

men. Eine besondere Mischform besieht aus thyreoglo<br />

bulin- und kalzitoninproduzierenden Tumorzellen, die<br />

sich immunhistocheniisch unterscheiden lassen. Ein<br />

geschlossenes Schilddrüsengewebe im Tumor ist in<br />

diesen Fällen zu berücksichtigen. C-Zellen-Karzinome<br />

metastasieren lymphogen und hämatogen.<br />

C-Zellen-Karzinome k<strong>ö</strong>nnen isoliert (spontan) oder -<br />

im Rahmen eines MEN-II-Syndroms - kombiniert mit<br />

anderen endokrinen Neoplasien vorkommen.


82 Endokrines System<br />

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Abb.G-19: Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom. a) Diffus wachsendes Karzinom von grauweißer Schnittfläche, b) Über<br />

wiegend rundzellig aufgebautes, anaplastisches Karzinom. HF-Fbg. c) Angedeutet spindelzellig gestaltetes Karzinom mit<br />

zahlreichen Mitosen. HF-Fbg. d) Mit epithelialem Marker (TPA) dargestellte Zellen eines anaplastischen Karzinoms.<br />

Immunhistochemie.<br />

5.2.4 Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom<br />

Es handelt sich um eine vollständig entdifferenzierte<br />

Neoplasie, die aus polygonalen oder spindeligen, sarkomähnlichen<br />

Zellen bestellt. Der epitheliale Ursprung<br />

wird anhand von epithelialen Markern (TPA, EMA,<br />

Zytokeratin) gesichert. Die Thyreoglobulinmarker sind<br />

meist negativ. Die kleinzellige Variante ist von der<br />

Metastase eines Oat-cell-Karzinoms oder von einem<br />

malignen Lymphom zu unterscheiden. Im Tumor<br />

stroma treten Verkalkungen, Verkn<strong>ö</strong>cherungen, Rie<br />

senzellen, chondroide Strukturen sowie plattenepithelähnliche<br />

Formationen auf.<br />

Obwohl sich gelegentlich noch differenzierte folliku<br />

läre oder papilläre Strukturen finden lassen, ist die<br />

Neubildung als anaplastisches Karzinom zu diagnosti<br />

zieren. Kommen nur kleine undifferenzierte Areale in<br />

einem sonst hochdifferenzierten Karzinom vor, dann<br />

ist auch diese Geschwulst als anaplastisches Karzinom<br />

zu werten; allerdings ist dann die Prognose etwas<br />

besser.<br />

5.2.5 Plattenepithelkarzinom<br />

Das primäre Plattenepithelkarzinom macht weniger<br />

als 1% aller primären Schilddrüsenkarzinome aus und<br />

wird von Resten des Ductus thyreoglossus abgeleitet.<br />

Die histologische Diagnose gilt als gesichert, wenn sich<br />

Interzcllularbrücken zwischen den Tumorzellen und/<br />

oder Zeichen der Verhornung nachweisen lassen. Die<br />

Geschwulst kann als Adenoakant/iom (Adeno-Ca mit<br />

Plattenepithelmetaplasien) oder als Adenokankroid<br />

(Adeno-Ca und Plattenepithel-Ca) vorkommen.


G. Erkrankungen der Schilddrüse 83<br />

5.3 Nichtepitheliale Neubildungen<br />

Schilddrüsensarkome sind selten. In der Vergangen<br />

heit sind häufiger spindelzellig-anaplastische Karzi<br />

nome als mesenchymale Neubildungen fehlgedeutet<br />

worden. Die histologische Diagnose »Sarkom« stützt<br />

sich auf immunhistochemische und/oder elektronenmikroskopische<br />

Untersuchungen. Zu den histologi<br />

schen Sonderformen zählen das Fibrosarkom (Ausbil<br />

dung von einem kollagenfaserreichen interzellulären<br />

Stroma), das seltene maligne Ilämangioendollieliom<br />

(blutreicher Tumor mit einer Erythrozytophagozytose<br />

durch die Geschwulst/eilen), das knochenbildende<br />

Osteosarkom und das osteoklastomähnliche Riesenzel<br />

lensarkom.<br />

5.4 Maligne Lymphome<br />

Maligne Lymphome kommen in der Schilddrüse iso<br />

liert oder im Rahmen einer Systemerkrankung vor. In<br />

den meisten Fällen handelt es sich um Iiochmaligne<br />

Non-Hodgkin-Lymphome (z. B. um das zenlroblastische<br />

B-Zellen-Lymphom). Ferner werden auch Plas<br />

mozytome und Hodgkin-Lymphome beobachtet. Differentialdiagnostisch<br />

sind sie von einer Hashimoto-Thy<br />

reoiditis oder von der Metastase eines kleinzelligen<br />

Bronchialkarzinoms abzugrenzen.<br />

5.5 Tumorähnliche Veränderungen<br />

In diesen Formenkreis geh<strong>ö</strong>ren die Struma nodosa und<br />

die Struma adenomatosa: Sie bilden kleine, häufiger<br />

abgekapselte Knoten und sind differentialdiagnostisch<br />

von einem hochdifferenzierten follikulären Adenom<br />

oder Karzinom abzugrenzen. Schilddrüsenzysten sind<br />

häufiger pseudozystisch degenerierte Strumaknoten<br />

oder Adenome infolge einer Blutung. Die sog. soliden<br />

Zellnester zeigen einen plattenepithelähnlichen Auf<br />

bau (gelegentlich mit zentraler Verhornung) und<br />

schließen C-Zellen ein. Sie werden als Abk<strong>ö</strong>mmlinge<br />

des Ultimobranchialk<strong>ö</strong>rpers angesehen. Amyloidablagerungen<br />

kommen bei primärer und sekundärer Amy<br />

loidose sowie gelegentlich auch beim C-Zellen-Karzi<br />

nom vor.<br />

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Abb. G-20: Nichtepitheliale Schilddrüsentumoren. a)-b)<br />

Fibrosarkom. Tumorschnittfläche mit fischfleischähnlicher<br />

Beschaffenheit. Im elektronenmikroskopischen Bild erkennt<br />

man ein zystisch dilatiertes rauhes endoplasmatisches Betikulum,<br />

intrazytoplasmatische Kollagenvorstufen und reich<br />

lich extrazelluläre Kollagenläsern. Vergr. 44()()x. c) Ilämangioendotheliom<br />

mit reichlichen Spaltbildungen, die von poly<br />

morphen Tumorzellen begrenzt werden und Blutzellen ein<br />

schließen. HE-Fbg.<br />

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84 Endokrines System<br />

6 Funktionsst<strong>ö</strong>rungen<br />

6.1 Hypothyreose<br />

Bei der Hypothyreose ist das Schilddrüsenhormonangebot<br />

an den Zielorganen unzureichend. Ein ver<br />

minderter Plasmaspiegel des FT4 stellt zusammen mit<br />

einem erh<strong>ö</strong>hten basalen TSII-Spiegel den Beweis einer<br />

Hypothyreose dar.<br />

6.1.1 Kongenitale Hypothyreose<br />

Der angeborene Schilddrüsenhormonmangel ist mit<br />

einer Inzidenz von ca. 1 zu 4000 Neugeborenen die<br />

häufigste kongenitale Stoffwechselst<strong>ö</strong>rung. Als Ursa<br />

che einer angeborenen irreversiblen Hypothyreose<br />

kommen in Frage:<br />

- Dysgenesie (Agenesie, Hypoplasie, Ektopie) der<br />

Schilddrüse<br />

- St<strong>ö</strong>rungen der Hormonsynthese oder der TSH-Bildung<br />

- St<strong>ö</strong>rungen der Schilddrüsenhormonrezeptoren<br />

- intrauterine Schädigung der Schilddrüse durch<br />

Radiojodbehandlung der Mutter oder durch maternale<br />

Antik<strong>ö</strong>rper (Autoimmunthyreoiditis der<br />

Mutter).<br />

Neben der irreversiblen kongenitalen Hypothyreose<br />

gibt es passagere Schilddrüsenmangelzustände des<br />

Neugeborenen, die auf thyreostatische Behandlung<br />

der Mutter (Jodüberschuß, Thioharnstoffe) zurückge<br />

hen k<strong>ö</strong>nnen.<br />

6.1.2 Postnatal erworbene Hypothyreose<br />

Die häufigste Form der erworbenen Hypothyreose geht<br />

auf eine chronische Entzündung der Schilddrüse<br />

zurück, wobei der Autoimmuncharakter im Vorder<br />

grund steht. Das sog. idiopathische Myx<strong>ö</strong>dem beruht<br />

auf der atrophischen Verlaufsform einer chronischen<br />

Autoimmunthyreoiditis. Eine Sonderform ist die Hypo<br />

thyreose des Erwachsenen durch eine blockierende<br />

Wirkung von Antik<strong>ö</strong>rpern auf TSH-Rezeptoren. Zur<br />

Hypothyreose kommt es auch bei iatrogenem Verlust<br />

an Schilddrüsengewebe (Thyreoidektomie, Radiojod<br />

behandlung oder Strahlentherapie) und bei hochdo<br />

sierter thyreostatischer Behandlung. Die Schilddrüsenhormonsekretion<br />

wird zudem sowohl bei extremem<br />

Jodmangel als auch bei exzessiver Jodzufuhr insuffizient.<br />

Als weitere, seltene Ursache einer Hypothyreose<br />

kommen St<strong>ö</strong>rungen im hypothalamisch-hypophysärthyreoidalen<br />

Regelkreis (Ausfall der Adenohypophyse<br />

oder Schädigung der hypophysiotropen Zone des<br />

Hypothalamus) in Betracht.<br />

Pathologie: Infolge eines Defizits an peripherem<br />

Schilddrüsenhormon kommt es zu einer verstärkten<br />

TSH-Ausschüttung und somit zu einer Schilddrüsenhyperplasie<br />

mit kolloidarmen Follikeln. Histologisch<br />

sind hypo- und euthyreote Strumen nicht zu unter<br />

scheiden.<br />

Klinik: Die Schilddrüsenhormone sind essentiell für<br />

das Wachstum und die Ausreifung des Nervensystems.<br />

Bei angeborener Hypothyreose kann bereits das<br />

intrauterine Wachstum trotz der transplazentaren<br />

Hormonversorgung durch die Mutter verlangsamt<br />

sein, erkennbar an einer unzureichenden Ausbildung<br />

der Knochenkerne der unteren Extremität beim Neu<br />

geborenen. Wenn der Hormonmangel postnatal nicht<br />

baldm<strong>ö</strong>glichst durch exogene Zufuhr ausgeglichen<br />

wird, kommt es bereits innerhalb der ersten Lebens<br />

monate zur irreversiblen St<strong>ö</strong>rung der geistigen und<br />

k<strong>ö</strong>rperlichen Entwicklung bis zum Vollbild des Kreti<br />

nismus.<br />

Beim Erwachsenen äußert sich die unzureichende<br />

Versorgung des Organismus mit Schilddrüsenhormon<br />

in einer allgemeinen Reduktion der Stoffwechselaktivi<br />

tät und der Leistungsfähigkeit des Nervensystems. Die<br />

Patienten klagen über Appetitlosigkeit und Obstipa<br />

tion. Infolge des erniedrigten Energieumsatzes kommt<br />

es zum Absinken der K<strong>ö</strong>rperkerntemperatur (bis<br />

35° C), zu Kälteintoleranz und zu verminderter<br />

Schweißneigung. Die Patienten sind k<strong>ö</strong>rperlich und<br />

geistig leicht ermüdbar, und in fortgeschrittenen Sta<br />

dien ist die Merk- und Kritikfähigkeit gest<strong>ö</strong>rt. Die<br />

St<strong>ö</strong>rungen des peripheren Nervensystems zeigen sich<br />

u.a. an einer Verlangsamung der Nervleitung mit<br />

Verlängerung der Reflexzeit der phasischen Muskeldehnungsreflexe<br />

und an Parästhesien. Die Bewegun<br />

gen sind träge und im fortgeschrittenen Stadium ataktisch.<br />

Die Mimik ist reduziert, aber im Gegensatz zum<br />

Morbus Parkinson nicht erloschen. Charakteristisch<br />

sind eine heisere, näselnde Stimme, eine infolge<br />

Makroglossie kloßige Sprache und ein verlangsamter<br />

Sprachrhythmus bei gest<strong>ö</strong>rter Artikulation.<br />

Die Haut ist trocken, schuppig und blaß, z.T. durch<br />

Einlagerung von wasserbindenden Glykosaminoglykanen<br />

wachsartig verdickt (Myx<strong>ö</strong>dem). Das Haar ist<br />

glanzlos und stumpf, und es besteht Neigung zum<br />

Haarausfall vor allem im Schläfenbereich.<br />

Von Seiten des Herz-Kreislauf-Systems ist eine Brady<br />

kardie mit verringertem Schlag- und Herzzeitvolumen<br />

bei vergr<strong>ö</strong>ßertem, erweitertem Herz typisch. Trotz der<br />

Abnahme des Herzzeitvolumens ist der systemartericlle<br />

Blutdruck häufig erh<strong>ö</strong>ht. Es besteht eine Prädis<br />

position zur Entwicklung von Arteriosklerose (koro<br />

nare Herzkrankheit), die z. T. auf einer Hyperlipidämie<br />

beruht. Der Atemantrieb ist vermindert (Hypoventila<br />

tion mit Hyperkapnie).<br />

Die unzureichende Rückkopplungshemmung im hypothalamisch-hypophysären<br />

Regelkreis (Enthemmung<br />

der TRII-Bildung) führt zu Hyperprolaktinämie, denn<br />

TRII ist auch Releasing-Hormon für Prolaktin (vgl.<br />

Abschn. 2.1.2, S. 22). Entsprechend kommt es zu


G. Erkrankungen der Schilddrüse 85<br />

Libido- und Potenzst<strong>ö</strong>rungen, bei Frauen zu Menstrua<br />

tionsst<strong>ö</strong>rungen (Amenorrh<strong>ö</strong>).<br />

Beim Erwachsenen, vor allem beim älteren Menschen<br />

(Prävalenz der Hypothyreose bei über 60jährigen: ca.<br />

1%), setzen der Schilddrüsenhormonmangel und damit<br />

die klinischen Erscheinungen meist schleichend ein, so<br />

daß die Veränderungen von der Familie und ggf. auch<br />

vom Hausarzt nicht als Krankheitssymptome erkannt<br />

werden. Unbehandelt kommt es vor allem zu menta<br />

lem Verfall bis zur Extremform des hypothyreoten<br />

Deliriums mit Stupor und Koma. Durch Abnahme des<br />

Herzzeitvolumens (extreme Bradykardie) und der Ven<br />

tilation (Hyperkapnie bis zur C02-Narkose) kann es<br />

zum Versagen der Vitalfunktionen kommen.<br />

Diagnostik der Hypothyreose: Zum Ausschluß einer<br />

kongenitalen Hypothyreose wird im Rahmen der Neugeborenenvorsorgeuntersuchung<br />

U2 in der Regel am<br />

5. Tag nach der Geburt der TSH-Blutspiegel bestimmt.<br />

Ein zu hoher Wert für TSH ist ein sichererer Indikator<br />

für die Hypothyreose als ein zu niedriger für Thyroxin.<br />

Wenn ein TSH-Spiegel über 20 mU/ml gefunden wird,<br />

ist neben der Messung der Thyroxinkonzentration die<br />

Untersuchung auf eine intrauterine Wachstumsverz<strong>ö</strong><br />

gerung durch R<strong>ö</strong>ntgenaufnahmen der Knochenkerne<br />

der Kniegelenke angezeigt.<br />

Bei Verdacht auf eine Hypothyreose des Erwachsenen<br />

(Anamnese und klinischer Befund stehen im Vorder<br />

grund der Diagnostik) sollten zunächst der basale TSH-<br />

Spiegel und die Schilddrüsenhormonkonzentration (T4,<br />

insbesondere freies T4) bestimmt werden. Für die<br />

Diagnose einer beginnenden Hypothyreose ist der<br />

TRII-Test wertvoll, der selbst bei normalem basalem<br />

TSH-Wert über einen überh<strong>ö</strong>hten TSH-Anstieg nach<br />

Injektion von TRII den latenten Schilddrüsenhormon<br />

mangel (Enthemmung der TSH-Sckretion der Adeno<br />

hypophyse) erkennen läßt. Zur Sicherung (oder zum<br />

Ausschluß) einer Autoimmunerkrankung als Ursache<br />

einer diagnostizierten Hypothyreose k<strong>ö</strong>nnen die Plasmatiter<br />

der Antik<strong>ö</strong>rper gegen mikrosomales Schilddrüsenantigen<br />

(MAK) und Thyreoglobulin (TAK) bestimmt<br />

werden. Bei unklarer Genese der Hypothyreose kommt<br />

als weiterer diagnostischer Schritt die Feinnadelbiop<br />

sie zur histologischen Untersuchung u.a. auf das Vor<br />

liegen einer lymphozytären Thyreoiditis in Frage.<br />

6.2 Hyperthyreose<br />

Die Hyperthyreose ist durch ein pathologisch erh<strong>ö</strong>htes<br />

Schilddrüsenhormonangebot definiert. Erh<strong>ö</strong>hte Plas<br />

mawerte von freiem Thyroxin und/oder Trijodthyronin<br />

bei nicht meßbarem oder stark erniedrigtem TSH-<br />

Spiegel beweisen eine Hyperthyreose. Frauen sind<br />

häufiger als Männer betroffen (5:1).<br />

Pathogenese: Als Ursache für einen Schilddrüsenhormonüberschuß<br />

kommen in Betracht:<br />

- Immunthyreopathien (M. Basedow, Hashimoto-Thy<br />

reoiditis) und andere Entzündungen der Schilddrüse<br />

- Ausschalten der hypothalamisch-hypophysären<br />

Kontrolle der Hormonproduktion (disseminierte<br />

oder lokale Autonomie des Schilddrüsengewebes,<br />

pathologische Enthemmung der TSH-Produktion<br />

der Hypophyse oder Produktion TSH-ähnlicher<br />

ßotenstoffe durch eine hydatiforme Mole)<br />

- exzessive Jodzufuhr (Jod-Basedow: nach mehr<br />

w<strong>ö</strong>chiger Gabe von 500 pg Jod/Tag oder nach Ver<br />

abreichung von jodhaltigen Kontrastmitteln)<br />

- exogene Thyroxinzufuhr (Hyperthyreosis factitia<br />

durch Schilddrüsenhormonüberdosierung)<br />

- sehr selten Schilddrüsenkarzinom.<br />

Bei der Basedow-Erkrankung (toxische diffuse<br />

Struma, Struma basedowiana, M. Graves) wird die<br />

Schilddrüscnüberfunktion durch Autoantik<strong>ö</strong>rper aus<br />

gel<strong>ö</strong>st, die an den TSH-Rezeptor binden und diesen wie<br />

TSH aktivieren. Der M. Basedow ist häufig mit einer<br />

endokrinen Orbitopathie vergesellschaftet. Die endo<br />

krine Orbitopathie kann auch isoliert oder in Verbin<br />

dung mit einer Hashimoto-Thyreoiditis auftreten.<br />

Bei langdauerndem Jodmangel und durch den ent<br />

sprechend niedrigen Schilddrüsenspiegel enthemmter<br />

TSH-Produktion k<strong>ö</strong>nnen sich in der Schilddrüse disse<br />

miniert autonome, sich der TSH-Kontrolle entziehende<br />

Follikel bilden (multinoduläre Struma adenomatosa<br />

bei gleichzeitiger Vergr<strong>ö</strong>ßerung der gesamten Schild<br />

drüse oder solitäres autonomes Adenom). Wenn die<br />

Jodzufuhr ansteigt, kann es infolge unkontrolliert<br />

zunehmender Thyroxinausschüttung aus den autono<br />

men Bezirken zu einer Hyperthyreose kommen (exzes<br />

siv als sog. Jod-Basedow). Bei kleinem Volumen des<br />

adenomat<strong>ö</strong>s-autonomen Gewebes kann trotz lokaler<br />

Hormonüberproduktion der Schilddrüsenhormonspie<br />

gel normal sein (Euthyreose), denn die lokale Überpro<br />

duktion kann durch Suppression der Thyroxinsekretion<br />

in den TSH-abhängigen Bereichen der Schilddrüse<br />

kompensiert werden.<br />

Pathologie: Morphologisch lassen sich bei einer<br />

Hyperthyreose folgende Schilddrüsenveränderungen<br />

nachweisen:<br />

- eine diffuse Hyperplasie (M. Basedow)<br />

- eine Knotenstruma<br />

- ein solitäres (selten multiples) Adenom<br />

- im Ausnahmefall ein Schilddrüsenkarzinom.


86 Endokrines System<br />

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Abb.G-21: Morbus Basedow<br />

mit diffus vergr<strong>ö</strong>ßerter Schild<br />

drüse<br />

Abb.G-22: Histologische Zei<br />

chen der inkretorischen Hy<br />

peraktivität. Überh<strong>ö</strong>hte Thyreozyten,<br />

verminderter Kol<br />

loidgehalt, Resorplionsvakuolen<br />

(V), Kernpolymorphie (K).<br />

HF-Fbg.<br />

Beim Morbus Basedow (Struma basedowiana, pri<br />

märe Hyperthyreose) ist die Schilddrüse diffus bis auf<br />

das 4fache der Norm vergr<strong>ö</strong>ßert. Die Schnittfläche<br />

zeigt eine Läppchenzeichnung ohne Kolloidglanz und<br />

erinnert an eine Pankroasschnittfläche. Histologisch<br />

finden sich als Zeichen der gesteigerten inkretori<br />

schen Hyperaktivität folgende Veränderungen: Das<br />

Follikelkolloid ist deutlich vermindert, eingedickt und<br />

weist randständige Resorptionsvakuolen auf. Die Follikelepithelien<br />

sind zylindrisch. Als Ausdruck der gestei<br />

gerten Funktion findet man große hyperchromatische<br />

Kerne, aber keine Mitosen. Im Zytoplasma läßt sich<br />

immunhistochemisch reichlich Thyreoglobulin nach<br />

weisen. 'Typisch für einen M. Basedow ist der Nachweis<br />

herdf<strong>ö</strong>rmiger Ansammlungen von Lymphozyten.<br />

Durch eine präoperative Behandlung kann sich das<br />

histologische Bild verändern: Nach einer Jodidtherapie<br />

werden die Thyreozyten kleiner, der Gehalt an<br />

Kolloid nimmt zu. Durch (iahe von Thyreostatika wird -<br />

unter dem Einfluß von TSH - die Epithelproliferation<br />

aktiviert, so daß papilläre Strukturen entstehen. Die<br />

deutliche Kernpolymorphie kann zu Schwierigkeiten<br />

bei der Abgrenzung gegenüber einem Karzinom füh<br />

ren. Nach Verabreichung von Radiojod kommt es zu


G. Erkrankungen der Schilddrüse 87<br />

Nekrosen, Endothelschwellungen, Kernanomalien und<br />

später zu Vernarbungen.<br />

Bei der hyperthyreoten Knotenstruma (Struma basedowiflcata)<br />

liegt eine jodinduzierte Hyperthyreose vor,<br />

die sich bei einer zunächst euthyreoten Stoffwechsellage<br />

entwickelt. Die ursprünglich knotige Kolloid<br />

struma ist in der Itcgel noch deutlich zu erkennen. Sie<br />

schließt kleinere Areale mit den histologischen Zei<br />

chen einer inkretorischen Hyperaktivität ein.<br />

Das endokrin aktive, autonome Adenom stellt eine<br />

weitere morphologische Manifestation einer Hyperthy<br />

reose dar. In 75% der Fälle liegt ein solitärer Knoten<br />

vor. Klinische Symptome treten erst bei einer Gr<strong>ö</strong>ße<br />

von 2 cm Adenomdurchmesser auf. Zu den morpho<br />

logischen Merkmalen zählen:<br />

- mikrofollikulärer Aufbau<br />

- zelldichter Knoten mit kubischen Thyroozyten mit<br />

Kernpolymorphie und vereinzelten Mitosen<br />

- eingedicktes Kolloid mit zahlreichen kleinen Vakuo<br />

len (schaumiger Inhalt)<br />

- immunhistochemisch nachweisbarer hoher Thyrcoglobulingehalt<br />

und eine<br />

- zarte bindegewebige Kapsel.<br />

Ein Adenokarzinom der Schilddrüse geht nur selten<br />

(weniger als 1% aller Hyperthyreosen) mit den klini<br />

schen Zeichen einer endokrinen HypeiTiinktion einher.<br />

Klinik: Bei überh<strong>ö</strong>hter Schilddrüsenhormonwirkung<br />

steigt der Energieumsatz u.a. infolge vermehrten Ein<br />

baus von Na+/K+-ATPase-Molekülen (Natriumpumpe)<br />

in die Zellmembran an. Die K<strong>ö</strong>rpertemperatur nimmt<br />

zu (bis 38,5° C). Die vermehrte Wärmeabgabe ist<br />

mit warmer, ger<strong>ö</strong>teter, feuchter Haut, vermehrter<br />

Schweißneigung und reduzierter Hitzetoleranz ver<br />

bunden. Bei vermehrtem Umsatz kommt es trotz reich<br />

licher Nahrungsaufnahme eher zu Gewichtsabnahme<br />

(katabole Wirkung hohen Schilddrüsenhormonüber<br />

schusses). Die Magen-Darm-Passage der Nahrung ist<br />

beschleunigt (Durchfallneigung).<br />

Der Einfluß einer Hyperthyreose auf das Zentralner<br />

vensystem zeigt sich an Unruhe, Rastlosigkeit, Unkon<br />

zentriertheit und Reizbarkeit. Die Muskeldehnungsreflexe<br />

sind bei verkürzter Reflexzeit gesteigert, und<br />

häufig wird spontanes Muskelzittern (Tremor) beob<br />

achtet. Die Patienten sind leicht ermüdbar und leiden<br />

unter Muskelschwäche (Adynamic). Es kann zu Muskelatrophie<br />

insbesondere im Bereich der Schulter- und<br />

Hüftmuskulatur kommen.<br />

Die Herzfrequenz steigt u.a. durch die Potenzierung<br />

der Wirkung des Sympathikus an, und es treten Rhyth<br />

musst<strong>ö</strong>rungen (z. B. Vorhofflimmern) auf. 'Trotz erh<strong>ö</strong>h<br />

ten Herzschlag- und Herzzeitvolumens ist nur die<br />

Blutdruckamplitude und nicht der arterielle Mittel<br />

druck erh<strong>ö</strong>ht, denn gleichzeitig erfolgt eine periphere<br />

Vasodilatation mit Abnahme des Kreislaufwider<br />

stands. Die hohe Belastung des Herzens kann zu<br />

Herzvergr<strong>ö</strong>ßerung und schließlich zu Herzinsuffizienz<br />

führen.<br />

Bei Hyperthyreose auf dem Boden eines M. Basedow ist<br />

in einem Großteil der Fälle eine endokrine Orbitopa<br />

thie mit Lid<strong>ö</strong>dem, Protrusio bulbi und Augenmuskelparesen<br />

nachzuweisen. Charakteristisch ist daneben eine<br />

Schwellung und R<strong>ö</strong>tung der Haut der Unterschenkel-<br />

Vorderseite (prätibiales Myx<strong>ö</strong>dem), die wie das Myx<br />

<strong>ö</strong>dem bei Hypothyreose auf vermehrter Glykosaminoglykaneinlagerung<br />

beruht.<br />

Stadien der endokrinen Orbitopathie<br />

in Anlehnung an die Einteilung der Deutschen<br />

Gesellschaft für Endokrinologie<br />

I Retrahierte, bei Rlickscnkung zurückbleibende Ober<br />

lider, seltener Lidschlag<br />

II Lid<strong>ö</strong>dem, Konjunktival<strong>ö</strong>dem (Chemosis). Conjunctivi<br />

tis sicca<br />

III Protrusio bulbi<br />

IV Paresen der äußeren Augenmuskeln (Doppelbilder)<br />

V Lagophthalnuis mit Hornhautschädigung (Trübung,<br />

Ul/.eration)<br />

VI Sehschwäche his hin zur Erblindung (Kompression<br />

des N. opticus)<br />

Bei extremer Hyperthyreose kann es zu schwerer<br />

Tachykardie (über 140/min) und starkem Flüssigkeits<br />

verlust durch Schwitzen und Diarrh<strong>ö</strong> mit resultieren<br />

dem exzessivem Kerntemperaturanstieg und hypovolämisch<br />

bedingtem Kreislaufzusaninienbruch kommen<br />

(thyreotoxische Krise). Eine anfängliche Unruhe und<br />

Verwirrtheit geht in Somnolenz und schließlich ins<br />

Koma über. Ausl<strong>ö</strong>ser dieser kritischen Situation ist<br />

meist eine Zufuhr von Jod, z. B. in Form von R<strong>ö</strong>ntgen<br />

kontrastmittel, bei vorbestehender Schilddrüsenautonomie.<br />

Diagnose einer Hyperthyreose: Ausschlaggebend für<br />

die Verdachtsdiagnose sind Anamnese und klinischer<br />

Befund, ggf. ergänzt durch ein Sonogramm der Schild<br />

drüse. Wenn nur ein schwacher klinischer Verdacht<br />

z. B. auf der Basis einer unklaren Tachyarrhythmie des<br />

Herzens vorliegt, ist die Bestimmung des Blutspiegels<br />

des b'TSII indiziert und bei Normalwerten zum Ver<br />

werfen der Verdachtsdiagnose Hyperthyreose ausrei<br />

chend. Ist die b'l'SH-Konzentration erniedrigt, dann<br />

bestätigen erh<strong>ö</strong>hte FT4- und FT:i-Werte den Hypermetabolismus.<br />

Der TRH-Test (Messung des TSH-Anstiegs<br />

nach TRH-Injektion) bringt weder bei normalem noch<br />

bei supprimiertem Basalwert für TSH eine wesentliche<br />

Zusatzinformation (es sei denn in Richtung Hypothy-


88 Endokrines System<br />

reose, vgl. Abschn. 6.1). Ist eine Hyperthyreose gesi<br />

chert, kommt der endokrinen Orbitopathie in der<br />

Differentialdiagnose der Ursachen eine Schlüsselrolle<br />

zu. Sind entsprechende Symptome vorhanden, ist von<br />

einem M. Basedow auszugehen. Fehlen sie, k<strong>ö</strong>nnen<br />

zusätzlich als Hinweis für eine Basedow-Erkrankung<br />

die Titer der mikrosomalen Antik<strong>ö</strong>rper und ggf. der<br />

Antik<strong>ö</strong>rper, die an TSH-Rezeptoren binden, bestimmt<br />

werden.<br />

Wichtigstes diagnostisches Verfahren zur Beurteilung<br />

des Vorliegens von autonom hormonsezernierendem<br />

Schilddrüsengewebe ist die Szintigraphie mit l2:{J oder<br />

99mTc ohne und mit zusätzlicher Gabe von Schilddrü<br />

senhormon zur Suppression der TSH-Sekretion. Das<br />

autonome Gewebe, das in seiner Jodaufnahme nicht<br />

supprimierbar ist, hebt sich dann mit erh<strong>ö</strong>htem Aktivi<br />

tätsgehalt als »heißer Bezirk« gegenüber dem regelba<br />

ren Gewebe ab, dessen Jodaufnahme unterdrückt ist.<br />

7 Zytologische Untersuchung<br />

Die Schilddrüse ist ein für eine diagnostische Punktion<br />

gut zugängliches Organ. Komplikationen (besonders<br />

Blutungen) treten nur selten auf. Mit dieser Methode<br />

lassen sich<br />

- die Kolloidstruma (reichlich Kolloid, kleine Zell<br />

gruppen von Thyreozyten),<br />

- Entzündungen (riesenzellige Quervain-Thyreoiditis,<br />

lymphozytenreiche 'Thyreoiditis),<br />

- das papilläre Karzinom (papilläre Anordnung von<br />

Thyreozyten, Nachweis von Milchglaskernen),<br />

- das medulläre Karzinom (feingranuliertes Zyto<br />

plasma mit azurophilen Granula, immunhistochemischer<br />

Nachweis von Kalzitonin in der Zelle) und<br />

- das anaplastische Karzinom (Nachweis von deutlich<br />

atypischen Zellen und Mitosen) abgrenzen.<br />

Hochdifferenzierte Follikelzellen k<strong>ö</strong>nnen im Ausstrich<br />

in angedeuteter follikulärer Gestaltung vorliegen. In<br />

diesen Fällen ist eine Abgrenzung zwischen einem<br />

follikulären Adenom und einem hochdifferenzierten<br />

follikulären Karzinom nicht m<strong>ö</strong>glich: Sie werden als<br />

follikuläre Neoplasie bezeichnet und müssen durch<br />

eine histologische Untersuchung abgeklärt werden<br />

(Ag-NOR-Bestimmung).<br />

Abb.G-23: Schilddrüsenzytologie. Oben: Ausstrich eines<br />

Schllddrüsenpunktats bei Struma colloides. Angedeutete fol<br />

likuläre Anordnung der Thyreozyten. Kolloidmassen (K).<br />

Thyreo/.ytenkern mit deutlichem Nukleolus (N). Unten:<br />

Milchglaskern (-). Intranukleäre Zyloplasmaeinstülpung bei<br />

einem papillären Schilddrüsenkarzinom. Giemsa-Fbg.


90 Endokrines System<br />

4.2 Karzinom<br />

EK-Karzinome sind selten. Sie sind durchschnittlich<br />

3 cm groß, über 12 g schwer und von eher fester<br />

Konsistenz. Durch Infiltration der Umgebung (z. B. der<br />

Schilddrüse) entstehen lokale Verwachsungen. Mito<br />

sen, Infiltration des umgebenden Gewebes mit Pseudogefäßeinbrüchen<br />

(besonders bei lokal voroperierten<br />

Patienten) sind nur als Malignitätshinweis zu werten.<br />

Letztlich kann die sichere Diagnose nur durch den<br />

Nachweis von Metastasen gestellt werden. Hilfreich<br />

hat sich die Ag-NOR-Untersuchung gezeigt: Bei den<br />

malignen Tumoren sind die versilberbaren Partikel<br />

zahlen- und flächenmäßig deutlich vermehrt.<br />

In 90% der Fälle gehen die Karzinome mit einer<br />

Hyperfunktion einher. Leitsymptom ist daher die<br />

»Hyperkalzämie«. Die korrekte Diagnose wird aber<br />

meist erst spät, also in einem fortgeschrittenen Tumor<br />

stadium gestellt. EK-Karzinome sind niedrigmaligne,<br />

da sie langsam wachsen und nur selten oder erst spät<br />

fernmetastasieren. Etwa 50% der Karzinome metastasieren<br />

in die regionären Lymphknoten. Die Neubildung<br />

neigt zum Rezidiv. Die 10-Jahres-Überlebensrate<br />

beträgt —10%. Der Verlauf kann sich protrahiert über<br />

20 Jahre erstrecken, es gibt aber auch rasante Krankheitsformen,<br />

die innerhalb von 6 Monaten zum Tode<br />

führen.<br />

4.3 Verschiedene Tumoren<br />

Als Sonderform ist das gutartige Adenolipom zu nen<br />

nen. Es handelt sich um ein Adenom, das reichlich<br />

reife Fettzellen einschließt.<br />

4.4 Metastasen<br />

In Epithelk<strong>ö</strong>rperchen sind Metastasen verschiedener<br />

Primärtumoren (z. B. von Bronchialkarzinomen) be<br />

schrieben worden.<br />

m k m m ■ -:-<br />

* &<br />

4.5 Nichtklassifizierte Tumoren<br />

Es handelt sich um Neubildungen, die sich histologisch<br />

nicht einordnen lassen.<br />

Abb.IM: Fpithelk<strong>ö</strong>rperehenadenom. Oben: Aufgeschnitte<br />

nes Fpithelk<strong>ö</strong>rperchenadenom mit regressiven, pseudozysti<br />

schen Veränderungen. Mitte: Hauptzellenadenom mit folli<br />

kulärer Differenzierung und kolloidartigem Inhalt. HK-Fbg.<br />

Unten: Klarzellenadenom. HF-Fbg.


H. Erkrankungen der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen 89<br />

H. Erkrankungen der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen<br />

1 Fehlbildungen<br />

Zu den wichtigsten Fehlbildungen zählen die Aplasie,<br />

die mit einem angeborenen Hypoparathyreoidismus<br />

einhergeht, und die Dystopie. Atypische Lokalisatio<br />

nen (intrathyreoidal, retroesophageal, im vorderen<br />

Mediastinum, Perikard, Thymus, in der Bifurkation<br />

der Trachea) sind von chirurgischer Bedeutung. Die<br />

Zahl der vorhandenen Drüsen kann vermindert (drei<br />

Drüsen) oder vermehrt (fünf Drüsen) sein.<br />

2 Entzündungen<br />

Als Parathyreoiditis bezeichnet man die Entzündun<br />

gen der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen (EK). Sie k<strong>ö</strong>nnen im Rah<br />

men einer Sepsis auftreten. Vereinzelte interstitielle<br />

Ansammlungen von Lymphozyten haben keinen<br />

krankmachenden Wert. Eine stärkere Infiltration<br />

kommt bei einer Autoimmun-Parathyreoiditis vor.<br />

3 Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen<br />

Die Epithelk<strong>ö</strong>rperchen k<strong>ö</strong>nnen Veränderungen im<br />

Rahmen einer allgemeinen Stoffwechselst<strong>ö</strong>rung (z. B.<br />

einer Hämochromatose) zeigen. Amyloidablagerungen<br />

werden in seltenen Fällen in einer normalen<br />

Drüse, in einer hyperplastischen Drüse oder in einem<br />

Adenom beobachtet.<br />

4 Tumoren<br />

4.1 Adenom<br />

WHO-Systematik und Kodierung<br />

(Topographie: C75.0)<br />

1 Epitheliale Tumoren<br />

1.1<br />

1.1.1<br />

Gutartige Tumoren<br />

Adenom 8140/0<br />

Hauptzellenadenom 8321/0<br />

Klarzellenadenom 8322/0<br />

Onkozytäres Adenom 8290/0<br />

Gemischtes Adenom 8140/0<br />

1.2<br />

1.2.1<br />

B<strong>ö</strong>sartige Tumoren<br />

Karzinom (Adenokarzinom) 8140/3<br />

2 Andere Tumoren<br />

2.1 Lipoadenom 8324/0<br />

3 Metastasen ..../6<br />

4 Nichtklassifizierte Tumoren 8000/-<br />

5<br />

5.1<br />

Tumorartige Veränderungen<br />

Primäre Ilauptzellenhyperplasie 72030<br />

5.2 Primäre Klarzellenhypcrplasie 72010<br />

5.3 Andere Hyperplasien 72000<br />

5.4 Zysten 33400<br />

Als Adenom bezeichnet man eine umschriebene, gut<br />

artige Proliferation von Epithelzellen in einer Drüse.<br />

Besonders betroffen sind die unteren Epithelk<strong>ö</strong>rper<br />

chen; ektope Lokalisationen kommen in abnehmender<br />

Häufigkeit in der Thymusdrüse, in der Schilddrüse, im<br />

Perikard oder im Ösophagus vor. Adenome treten<br />

sporadisch oder familiär im Rahmen eines MEN-<br />

Syndroms auf. Die sporadischen Formen kommen fast<br />

immer solitär vor und entwickeln sich primär (beim<br />

primären Hyperparatliyreoidismus; HPT) oder sekun<br />

där auf dem Boden einer Hyperplasie (beim tertiären<br />

HPT). Die Tumoren werden bis 6 g schwer (Maximal<br />

gewicht 300 g) und weisen eine samtartige, rehbraunfarbene<br />

Schnittfläche auf. Die Konsistenz schwankt<br />

zwischen der eines Lymphknotens und der des Fettge<br />

webes. Histologisch ist der epitheliale Drüsenanteil<br />

vermehrt, das interstitielle Fettgewebe deutlich ver<br />

mindert. In der Peripherie erkennt man eine zarte<br />

bindegewebige Kapsel. Das ortsständige Epithelk<strong>ö</strong>r<br />

perchengewebe ist - soweit noch nachweisbar — atro<br />

phisch. Die Neubildung kann einen soliden, trabekulä<br />

ren oder einen tubulären Aufbau zeigen. Ferner kom<br />

men kolloidhaltige follikuläre Strukturen vor, die nicht<br />

mit Schilddrüsengewebe zu verwechseln sind. Meist<br />

besteht der Tumor aus Hauptzellen, wesentlich selte<br />

ner aus hellen oder oxyphilen (mitochondrienreichen<br />

onkozytären) Zellen. Gemischtzellige Formen lassen<br />

sich häufiger finden. In gr<strong>ö</strong>ßeren Adenomen kommen<br />

regressive Veränderungen (Blutungen, Cholesterinablagerungen<br />

und Fibroseherde) vor. Polymorphe Kerne<br />

sind als Zeichen der endokrinen Funktion und nicht<br />

der Malignität zu werten.


H. Erkrankungen der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen 91<br />

4.6 Tumorartige Veränderungen<br />

Zu den wichtigsten Veränderungen zählt die Hyper<br />

plasie der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen, die das morphologische<br />

Substrat des sekundären HPT darstellt und sporadisch<br />

oder familiär im Rahmen eines MEN-Syndroms auftre<br />

ten kann. Bei einer Hyperplasie sind alle Drüsen -<br />

allerdings in sehr unterschiedlicher Ausprägung -<br />

vergr<strong>ö</strong>ßert. Das Gesamtgewicht unterliegt erheblichen<br />

Schwankungen (0,15 bis 10 g). Histologisch findet man<br />

eine diffuse oder knotige (pseudoadenomat<strong>ö</strong>se) Ver<br />

mehrung von dunklen und/oder wasserklaren, funktio<br />

nell aktiven Zellen. Ferner erkennt man fokal ver<br />

mehrte inaktive oxyphile Zellen. Das Fettgewebe ist<br />

vermindert (unter 10% im Schnitt).<br />

5 Funktionsst<strong>ö</strong>rungen<br />

Regulation des Kalziumhaushalts<br />

5.1 Hypoparathyreoidismus<br />

Pathogenese: Die häufigste Ursache einer unzurei<br />

chenden Produktion von Parathormon (PTH) ist die<br />

Zerst<strong>ö</strong>rung der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen bei Thyreoidektomie<br />

(parathyreopriver Hypoparathyreoidismus:<br />

Komplikation bei 1 bis 4% der Operationen). Nach<br />

Beseitigung einer PTH-Überproduktion durch opera<br />

tive Entfernung eines Adenoms kommt es in einem Teil<br />

der Fälle zu passagerem Hypoparathyreoidismus,<br />

denn das gesunde, durch die Hyperkalzämie supprimierte<br />

Epithelk<strong>ö</strong>rperchengewcbe nimmt seine nor<br />

male Funktion erst allmählich wieder auf. Bei einzel<br />

nen Patienten persistiert der Hypoparathyreoidismus<br />

(ca. 1% der Adenomektomien). Eine Epithelk<strong>ö</strong>rperchenunterfunktion<br />

infolge einer Drüsenzerst<strong>ö</strong>rung<br />

durch Entzündungen, Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen (Sidcrosen),<br />

ionisierende Strahlen oder durch einwachsende<br />

maligne Tumoren ist selten, ebenso wie eine angebo<br />

rene, sog. idiopathische Unterfunktion bzw. eine Apla<br />

sie oder Hypoplasie.<br />

JX9<br />

■<br />

-<br />

Die Epithelk<strong>ö</strong>rperchenaplasie mit Thymushypoplasie<br />

oder -aplasie wird als DiGeorge-Syndrom bezeichnet.<br />

Kommen zusätzlich kardiovaskuläre Fehlbildungen<br />

vor, dann spricht man vom Syndrom der III. und<br />

rV. Schlundtasche.<br />

Wenn die Stimulierbarkeit der Hormonsekretion der<br />

Epithelk<strong>ö</strong>rperchen durch Hypomagnesiämie oder D-<br />

Hormon-Mangel vermindert ist, kommt es zu sym<br />

ptomatischem Hypoparathyreoidismus. In beiden<br />

Fällen sprechen auch die PTH-Zielorgane (Knochen,<br />

Darm, Niere) unzureichend auf das PTH an (Endorgan<br />

resistenz). Ausgeprägt ist die PTH-Unempfindliehkeit<br />

der Endorgane beim hereditären Pseudohypopara-<br />

Abb. H-2: Fpithelk<strong>ö</strong>rperchenhyperplasie. Oben: Makrosko<br />

pisch erkennt man vier deutlich vergr<strong>ö</strong>ßerte Epithelk<strong>ö</strong>rper<br />

chen. Mitte: Vier vergr<strong>ö</strong>ßerte Epithelk<strong>ö</strong>rperchen von reh<br />

brauner Farbe. Unten: Immunhistochemischer Nachweis von<br />

Chromogranin in einem Epithelk<strong>ö</strong>rperchen.


92 Endokrines System<br />

thyreoidismus, bei dem trotz normaler bis erh<strong>ö</strong>hter<br />

PTH-Spiegel die Wirkung des PTH ausbleibt.<br />

Klinik: Nach akutem Hypoparathyreoidismus sinkt<br />

die Konzentration des Kalziums im Plasma rasch ab<br />

infolge<br />

- pathologisch erh<strong>ö</strong>hter renaler Ca++-Ausscheidung<br />

- verminderter enteraler Ca' '-Resorption<br />

- unzureichender Kalziummobilisation aus den Kno<br />

chen.<br />

Die Symptome der Hypokalzämie treten meist inner<br />

halb des ersten Tages nach Beginn des Hypoparathy<br />

reoidismus auf. Im Vordergrund steht eine Enthem<br />

mung der neuromuskulären Erregungsübertragung.<br />

Spontan, insbesondere aber nach mechanischer Rei<br />

zung der Nerven, kommt es zu Krämpfen, die von<br />

Angst und Muskelschmerzen begleitet sind. Charakte<br />

ristisch ist die Verkrampfung der Armmuskulatur<br />

(Pf<strong>ö</strong>tchenstellung der Hand, bei intensiveren Krämp<br />

fen Beugung im Ellbogengelenk und Adduktion des<br />

Armes). Auch die mimische Muskulatur (Verzerrung<br />

des Mundes zur Fischmaulform) und die Muskulatur<br />

der unteren Extremität k<strong>ö</strong>nnen von den Krämpfen<br />

betroffen sein. In schweren Fällen führt (insbesondere<br />

bei Kindern) ein Laryngospasmus zur Verlegung der<br />

Atemwege mit Erstickungsgefahr, und die Krämpfe<br />

k<strong>ö</strong>nnen generalisieren (Verwechslungsm<strong>ö</strong>glichkeit mit<br />

einem epileptischen Anfall).<br />

Bei chronischem Hypoparathyreoidismus führt die<br />

Hypokalzämie ebenfalls zur Krampfneigung, von der<br />

auch die glatte Muskulatur betroffen ist (Bauch<br />

schmerzen, Harndrang). Infolge der durch den PTH-<br />

Mangel verminderten Osteolyse entwickelt sich eine<br />

Osteosklerose. Beim Kind sind aufgrund der vermin<br />

derten Kalziumverfügbarkeit Wachstumsst<strong>ö</strong>rungen<br />

und Zahnschmelzdefekte zu beobachten. Wenn bei<br />

sinkendem Parathormonspiegel die durch Parathor<br />

nion bewirkte Hemmung der renalen Phosphatreabsorption<br />

nachläßt, resultiert eine renale Phosphatretention<br />

mit llyperphosphatämie. Bei Überschreitung<br />

des L<strong>ö</strong>slichkeitsprodukts für Kalziumphosphat (der<br />

Anstieg der Phosphatkonzentration ist stärker als der<br />

Abfall der Kalziumkonzentration) kommt es zu para<br />

doxen Kalziumausfällungen z. B. in der Augenlinse<br />

(Katarakt) und in den Basalganglien. Trophische St<strong>ö</strong><br />

rungen als Hypokalzämielblge finden sich in Form von<br />

Haarausfall und Ilauttrockenheit. Zentralnerv<strong>ö</strong>se St<strong>ö</strong><br />

rungen k<strong>ö</strong>nnen sich als Angst, Psychosen oder Depres<br />

sion bemerkbar machen.<br />

Albright-Osteodystrophie: Bei Patienten mit Pseudohypoparathyreoidismus<br />

sind Kleinwuchs, verkürzte<br />

Mittelhand- und Mittclfußknochen (4. Strahl) und Adipositas<br />

charakteristisch.<br />

Diagnose des Hypoparathyreoidismus: Leitsymptom<br />

des PTH-Mangels sind die hypokalzämiebedingten<br />

Krämpfe (Tetanie). Neben den typischen, von Mißemp<br />

findungen (Parästhesien) eingeleiteten Verkrampfun<br />

gen insbesondere der Extremitäten und der mimischen<br />

Muskulatur (akuter tetanischer Anfall) k<strong>ö</strong>nnen<br />

krampfartige Bauchschmerzen (viszerale Tetanie) und<br />

unklare epilcptiforme Anfälle vorkommen. Bei latenter<br />

Tetanie lassen sich die Krämpfe häufig durch Hyper<br />

ventilation (Erniedrigung des ionisierten Anteils des<br />

Plasmakalziums durch respiratorische Alkalose) pro<br />

vozieren. Spasmen der mimischen Muskulatur k<strong>ö</strong>nnen<br />

durch Beklopfen des Stammes des N. facialis im<br />

Bereich vor der Ohrmuschel ausgel<strong>ö</strong>st werden (Chvostek-Zeichen).<br />

Die typischen, zur Pf<strong>ö</strong>tchenstellung füh<br />

renden Krämpfe der Unterarmmuskulatur k<strong>ö</strong>nnen<br />

durch mehrminütige Einwirkung einer übersystolisch<br />

aufgepumpten Staumanschette auf den Oberarm indu<br />

ziert werden (Trousseau-Zeichen). Die differentialdiagnostische<br />

Abgrenzung gegen die psychogene Hyperventilationstetanie,<br />

die die weit überwiegende Ursache<br />

tetaniformer Anfälle darstellt, ist u.a. durch Messung<br />

des Gesamtkalziums im Plasma m<strong>ö</strong>glich.<br />

An einen chronisch verlaufenden Hypoparathyreo<br />

idismus sollte außer bei rezidivierenden Krämpfen<br />

(auch der Eingeweide) bei unerklärlichen psychischen<br />

St<strong>ö</strong>rungen, bei Degenerationserscheinungen der Haut<br />

(Haarausfall) und Trübungen der Augenlinse gedacht<br />

werden. In einem großen Teil der Fälle wird der<br />

Hinweis auf einen Hypoparathyreoidismus durch die<br />

zufällig bei einer routinemäßigen Bestimmung des<br />

Blut-Kalziumspiegels entdeckte Hypokalzämie gelie<br />

fert. Eine Hypokalzämie kann beim chronischen Hypo<br />

parathyreoidismus aber auch phasenweise fehlen,<br />

denn der Plasma-Kalziumspiegel kann sich vorüberge<br />

hend normalisieren, wenn ausreichend D-Hormon zur<br />

Verfügung steht.<br />

Laborchemisch ist der Hypoparathyreoidismus durch<br />

Hypokalzämie bei llyperphosphatämie gekennzeich<br />

net. Erniedrigt sind sowohl das Gesamtkalzium (unter<br />

2,0 mmol/1) als auch das ionisierte Ca++ (unter<br />

1,0 mmol/1). Bei der ebenfalls zur Hypokalzämiesymptomalik<br />

führenden Alkalose (respiratorisch bei<br />

Hyperventilation, metabolisch bei protrahiertem<br />

Erbrechen und renal bei Hyperaldosteronismus) ist<br />

nur der Plasmaspiegel des ionisierten, nicht aber der<br />

des Gesamtkalziums erniedrigt (erh<strong>ö</strong>hte Kalziumbindung<br />

durch bei Alkalose verstärkt dissoziierte Plasmaprotoine).<br />

Bei Hypokalzämie auf dem Boden eines D-<br />

Hormon-Mangels (Rachitis, s. u.) ist die Phosphatkon<br />

zentration nicht erh<strong>ö</strong>ht, sondern erniedrigt. Auch bei<br />

Hypokalzämie mit llyperphosphatämie ist die Dia<br />

gnose Hypoparathyreoidismus noch nicht gesichert. Es<br />

ist dann notwendig, als Ursache der St<strong>ö</strong>rungen eine<br />

Niereninsuffizienz (durch Bestimmung der Kreatinin-<br />

Clearance) und eine Hypomagnesiämie (durch Mes<br />

sung des Plasma-Magnesiumspiegels) auszuschließen.<br />

Bei Hypokalzämie auf dem Boden einer Niereninsuffi<br />

zienz fehlen außerdem in der Regel tetanische Anfälle,<br />

weil der Anteil des ionisierten Kalziums im Plasma<br />

aufgrund der gleichzeitig bestehenden Azidose gestei<br />

gert ist. Entscheidend für die Stellung der endgültigen


H. Erkrankungen der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen 93<br />

Diagnose ist die Messung des Plasmaspiegels des<br />

intakten Parathormons (PTH-84).<br />

Eine Differenzierung zwischen echtem und Pseudohypoparathyreoidismus<br />

kann über eine Messung des<br />

PTH-Spiegels im Plasma (beim letzteren normal) und<br />

über eine Kontrolle der renalen Ausscheidung von<br />

cAMP (Second messenger von PTH) nach exogener<br />

PTH-Zufuhr erfolgen. Die bei echtem PTH-Mangel<br />

nach PTH-Injektion zu beobachtende starke Zunahme<br />

der cAMP-Ausscheidung mit dem Urin bleibt bei dem<br />

auf Endorganresistenz beruhenden Pseudohypoparathyreoidismus<br />

aus. Hinweise auf das Vorliegen eines<br />

Pseudohypoparathyreoidismus kann die Familien<br />

anamnese geben (familiär gehäuftes Auftreten).<br />

5.2 Hyperparathyreoidismus (HPT)<br />

Pathogenese: Beim relativ häufigen (jährliche Inzidenz<br />

etwa 25 pro 100000, vorwiegend Frauen) primä<br />

ren Hyperparathyreoidismus (pHPT), bei dem die<br />

Ursache der PTH-Überproduktion in den Epithelk<strong>ö</strong>r<br />

perchen selbst liegt, unterscheidet man eine heredi<br />

täre (seltene) Form mit diffuser Hyperplasie eines oder<br />

mehrerer Epithelk<strong>ö</strong>rperchen von der häufigeren,<br />

durch Spontanmutation von hormonbildcnden Zellen<br />

induzierten Adenombildung (monoklonale Tumoren).<br />

Die PTH-Produktion der Adenomzellen ist nicht voll<br />

ständig von dem Einfluß der extrazellulären Ca++- und<br />

Phosphatkonzentration abgekoppelt (autonom), aber<br />

die Schwelle für eine PTH-Sekretionshemmung bei<br />

steigender Ca++-Konzentration liegt bei den Adenom<br />

zellen anormal hoch. Die abgeschwächte Kalzium<br />

empfindlichkeit der hormonbildenden Zellen wird auf<br />

einen gest<strong>ö</strong>rten Ca++-Transport durch die Zellmem<br />

bran zurückgeführt.<br />

Ein sekundärer Hyperparathyreoidismus (sIIPT) ent<br />

wickelt sich bei chronischer Überstimulation der Epi<br />

thelk<strong>ö</strong>rperchen durch eine Hypokalzämie und Hyperphosphatämie<br />

infolge renaler Insuffizienz oder (selte<br />

ner) eine Hypokalzämie bei unzureichender intestina<br />

ler Ca++-Aufnahme aus der Nahrung. Der anhaltende<br />

Sekretionsreiz wirkt mitogen (diffuse Hyperplasie der<br />

Epithelk<strong>ö</strong>rperchen). An der Genese des durch Nieren<br />

insuffizienz bedingten sIIPT müssen weitere, noch<br />

nicht sicher identifizierte Faktoren (z. B. eine Vermin<br />

derung der Ca++-Empfindlichkeit der Beischilddrüsen<br />

wie beim pHPT) beteiligt sein, denn die PTH-Überpro<br />

duktion setzt beim chronischen Nierenversagen schon<br />

ein, bevor es zum Abfall der Plasma-Kalziumkonzen<br />

tration bzw. zum Anstieg der Phosphatkonzentration<br />

kommt.<br />

Der tertiäre Hyperparathyreoidismus (ÜIPT) stellt<br />

eine Verselbständigung der Überfunktion der z. B. bei<br />

chronischer Niereninsuffizienz anhaltend überstimu<br />

lierten Epithelk<strong>ö</strong>rperchen dar. Die vermehrte Parathormonausschüttung<br />

bleibt nach Wegfall des Sekre<br />

tionsreizes (Behebung der Hypokalzämie bzw. Nieren<br />

insuffizienz) erhalten.<br />

In der Mehrzahl der Fälle von Hyperkalzämiesyndrom<br />

(ca. 70%) liegt nicht eine Erkrankung der Epithelk<strong>ö</strong>r<br />

perchen, sondern eine Ausschüttung von parathormonähnlichen<br />

Peptiden oder von osteolytischen Fakto<br />

ren durch b<strong>ö</strong>sartige Tumoren vor (s. a. S. 140). Bei<br />

dieser auch als Pseudohyperparathyreoidismus<br />

bezeichneten Tumorhyperkalzämie ist die Parathor<br />

monproduktion der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen meist supprimiert.<br />

Pathologie: Die Ursache eines pHPT ist in 80% der<br />

Fälle in einem solitären Adenom zu suchen. In 2%<br />

liegen multiple Adenome (Doppeladenome) vor, in 3%<br />

ein Karzinom und in 15% eine diffuse Hyperplasie aller<br />

Drüsen.<br />

Klinik: Bei Parathormonüberschuß stehen Hyperkalzämiefolgen<br />

im Vordergrund. Es kommt zur St<strong>ö</strong>rung<br />

der Nierenfunktion mit Beeinträchtigung der Konzen<br />

trationsleistung (Polyurie mit Hyposthenurie, renale<br />

Na+- und K+-Verluste). Die erh<strong>ö</strong>hte Kalziumbeladung<br />

des in der Niere abgefilterten Primärharns führt trotz<br />

der Stimulation der tubulären Ca++-Reabsorption<br />

durch das Parathormon zu Hyperkalzurie, Nephrokal<br />

zinose und Nephrolithiasis. Die Überstimulation der<br />

Verdauungsdrüsen führt zu rezidivierendem Auftreten<br />

von Magen- und Duodenalulzera und prädisponiert zu<br />

akuter Pankreatitis, Pankreatikolithiasis und Chole<br />

lithiasis. Außerdem sind das Herz-Kreislauf-System<br />

(u. a. Digitalisüberempfindlichkeit und Tachykardie),<br />

die Muskulatur und das Nervensystem betroffen (Ady<br />

namic depressive Verstimmungen, Gedächtnisst<strong>ö</strong>run<br />

gen). Die vermehrte Mobilisierung des Knochenkal<br />

ziums durch Parathormon führt zur Demineralisierung<br />

des Skeletts mit der Gefahr von Spontanfrakturen.<br />

Eine Dekompensation der Hyperkalzämie, z. B. infolge<br />

zu geringer Flüssigkeitszufuhr, ist lebensgefährlich<br />

(hyperkalzämische Krise). In der hyperkalzämischen<br />

Krise schlägt die Polyurie infolge verstärkter Nierenschädigung<br />

in Oligurie bis Anurie um. Zur Niereninsuf<br />

fizienz tritt eine Intensivierung der zentralnerv<strong>ö</strong>sen<br />

Symptomatik (Desorientiertheit, Abgleiten ins Koma).<br />

HPT in der Schwangerschaft: Beim Hyperparathy<br />

reoidismus ist der Schwangerschaftsverlauf schwer<br />

gest<strong>ö</strong>rt. Bei rechtzeitiger und adäquater Therapie der<br />

Mutter bleiben die Komplikationen in 80% der Fälle<br />

aus. Bei Schwangeren mit unbehandeltem HPT sind<br />

die Abort- und Totgeburtrate (15 bis 20%) und die<br />

perinatale Sterblichkeit des Kindes erh<strong>ö</strong>ht.<br />

Primärer HPT bei Jugendlichen: Vor dem 30. Lebens<br />

jahr wird ein Hyperparathyreoidismus nur selten (1%)<br />

diagnostiziert. In diesen Fällen, die mit schweren<br />

Wachstunisst<strong>ö</strong>rungen des Skeletts einhergehen, sollte<br />

an eine familiäre Form (MEN-Syndrom) gedacht<br />

werden.


94 Endokrines System<br />

Familiärer HPT: Die Erkrankung kommt bevorzugt<br />

kombiniert mit anderen endokrinen St<strong>ö</strong>rungen beim<br />

MEN-Syndrom (s. S. 136) vor. Es sind aber auch iso<br />

lierte Fälle - also MEN-unabhängige Formen -<br />

beschrieben worden.<br />

Familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie: Es han<br />

delt sich um eine familiäre Erkrankung, die bei gerin<br />

ger Hyperkalzämie mit einer verminderten renalen<br />

Kalziumausscheidung einhergeht. Differcntialdiagnostisch<br />

ist ein MEN-Syndrom auszuschließen.<br />

Diagnose des HPT: Verdacht auf primäre Nebenschilddrüsenüherfunktion<br />

besteht vor allem bei Stein<br />

bildung in den Harnwegen (wenn auch nur ca. 1% der<br />

Patienten mit Nephrolithiasis einen pHPT haben) und<br />

bei chronischen Einschränkungen der Nierenleistung<br />

mit Polyurie und entsprechendem Durst (nach Aus<br />

schluß von Diabetes mellitus und Diabetes insipidus).<br />

Auch bei Knochenschmerzen und Frakturen ohne<br />

entsprechende Traumatisierung, bei St<strong>ö</strong>rungen von<br />

Seiten des Verdauungstrakts (Appetitlosigkeit, V<strong>ö</strong>lle<br />

gefühl, Obstipation, Erbrechen, peptische Ulzera, Pankreatikolithiasis<br />

und Pankreatitis) und bei unklarer<br />

psychischer Symptomatik sollte ein HPT als Grund<br />

krankheit in Erwägung gezogen werden. Ausgangs<br />

punkt der weiterführenden Diagnostik ist die Bestim<br />

mung des Blut-Kalziumspiegels. Ergänzend kann r<strong>ö</strong>nt<br />

genologisch nach plIPT-bedingten Knochenveränderungen<br />

(z. B. subperiostale Usuren an den Fingerpha<br />

langen) gesucht werden. Bei Hyperkalzämie kann die<br />

Diagnose eines pHPT durch radioimmunologische<br />

Bestimmung des nativen Parathormons im Plasma<br />

gesichert werden. Weiteres Zeichen eines pHPT ist<br />

eine erh<strong>ö</strong>hte renale Ausscheidung des Second messen<br />

ger der Beischilddrüsenzellen (cAMP). Ist der PTH-<br />

Spiegel erh<strong>ö</strong>ht, folgt die Suche nach einem Adenom mit<br />

Hilfe der Sonographie und eventuell der Computerto<br />

mographie, in problematischen Fällen mit aberranter<br />

Lokalisation, z. B. hinter dem Sterntim, auch mit Halsvenenkatheterisierung<br />

und Messung der lokalen PTH-<br />

Konzentration im Venenblut.<br />

Ein Verdacht auf sekundären HPT ist gegeben, wenn<br />

sich bei chronischer Niereninsuffizienz eine Hypokalz<br />

ämie bei llyperphosphatämie entwickelt. Entspre<br />

chende Hinweise liefert das Auftreten von Gelenk- und<br />

Knochenschmerzen als Symptom der renalen Osteo<br />

pathie. Die Diagnose kann durch radioimmunologi<br />

schen Nachweis eines erh<strong>ö</strong>hten nativen PTH und ver<br />

mehrter renaler cAMP-Ausscheidung gesichert wer<br />

den. Beim seltenen, intestinal bedingten sIIPT (zu<br />

geringe Zufuhr oder Malabsorption von Kalzium) ist<br />

die Phosphatkonzentration im Plasma nicht erh<strong>ö</strong>ht,<br />

sondern erniedrigt.<br />

Wenn es bei Niereninsuffizienz mit chronischer Über<br />

lastung der Nebenschilddrüsen zu einem Wieder<br />

anstieg des Plasmakalziums auf oder über die Norm<br />

kommt, ist ein tertiärer IIPT mit Verselbständigung der<br />

zunächst bedarfsgemäß erh<strong>ö</strong>hten PTH-Produktion<br />

anzunehmen. Als diagnostischer Hinweis auf eine der<br />

artige Entwicklung ist das Auftreten von Hyperkalzämiesymptomen,<br />

insbesondere von Seiten des Verdauungstrakts<br />

und des Zentralnervensystems, zu wer<br />

ten. Die bei erh<strong>ö</strong>htem Kalziumspiegel normalerweise<br />

vorhandene Polyurie kann sich dagegen wegen der als<br />

Grundkrankheit vorhandenen chronischen Nieren<br />

insuffizienz nicht ausbilden. Als passageres Phänomen<br />

tritt tertiärer HPT nach schlagartiger Beseitigung der<br />

den Phosphatrückstau und den Kalziumverlust verur<br />

sachenden Niereninsuffizienz durch Nierentransplan<br />

tation auf, denn die erh<strong>ö</strong>hte PTH-Produktion der durch<br />

Überforderung hyperplastischen Epithelk<strong>ö</strong>rperchen<br />

bildet sich nur allmählich auf ein an den gesunkenen<br />

Bedarf angepaßtes Maß zurück.<br />

Wenn bei Hyperkalzämie mit entsprechender klini<br />

scher Symptomatik der PTH-Spiegel nicht erh<strong>ö</strong>ht, son<br />

dern supprimiert ist, kommen ursächlich Pseudohyperparathyreoidismus<br />

als paraneoplastisches Syn<br />

drom (Produktion PTII-ähnlicher Peptide durch Zellen<br />

eines malignen Tumors), eine vermehrte Osteolyse,<br />

z.B. infolge Immobilisation oder Tumorinfiltration des<br />

Skeletts, oder eine entcrale Kalziumüberladung (zu<br />

hohe Zufuhr oder Resorption von Kalzium, z. B. bei<br />

Vitamin-D-Inloxikation) in Frage.<br />

5.3 Rachitis und Osteomalazie*<br />

Pathogenese: Bei unzureichender Versorgung des Orga<br />

nismus mit der Wirkl<strong>ö</strong>rm des Vitamin D (1,25-Dihydroxycholecalciferol,<br />

D-Hormon) ist die Synthese von kalzium<br />

bindendem Protein in der Darmmukosa vermindert, und<br />

mit der Nahrung zugeführtes Kalzium kann nicht ausrei<br />

chend resorbiert werden. Außerdem ist auch die enterale<br />

Phosphatabsorption gest<strong>ö</strong>rt, so daß eine kombinierte<br />

Hypokalzämie und -phosphatäniie resultiert. Die Auswir<br />

kungen des Mineralmangels auf das Skelett werden<br />

durch den Ausfall der direkten Wirkungen von D-Hor<br />

mon auf den Knochen (Stimulation der Matrixbildung<br />

und der Knochenreifung, aber auch der osteoklastischen<br />

Aktivität) verstärkt. Die PTH-Konzentration kann reaktiv<br />

(hypokalzämiebedingt) erh<strong>ö</strong>ht sein und durch Osteoklastenstimulation<br />

die Osteolyse intensivieren. Andererseits<br />

sprechen bei D-I Iormon-Mangel die Epithelk<strong>ö</strong>rperchen<br />

weniger auf Hypokalzämie an, so daß es statt zu einer<br />

reaktiven PTH-Überproduklion auch zu Hypoparathyreo<br />

idismus kommen kann (s.o.).<br />

Eine Erniedrigung des Produkts von Kalzium- und Phos<br />

phatkonzentration führt beim Kind zu Rachitis, wobei die<br />

Hypokalzämie (kalzipenische Rachitis) oder die Hypophosphatämie<br />

(phosphopenische Rachitis) im Vorder<br />

grund stellen kann. Die kalzipenische Rachitis beruht in<br />

der Regel auf unzureichender Zufuhr bzw. Bildung von<br />

Ausführliche Beschreibung der Knochenveränderungen<br />

im Band 8 dieser Reihe (Knochen und Gelenke)


H. Erkrankungen der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen 95<br />

Vitamin D. In seltenen Fällen liegt eine angeborene<br />

Unfähigkeit zur Umwandlung von Vitamin D in D-Hor<br />

mon (Typ I der Vitamin-D-abhängigen Rachitis) oder eine<br />

periphere D-Hormon-Resistenz (Typ II) vor. Die hypophosphatämische<br />

Rachitis ist in der Regel Folge einer zu<br />

hohen renalen Phosphatausscheidung {/.. B. familiärer<br />

»Phosphatdiabetes« als meist X-chromosomal dominant<br />

vererbte St<strong>ö</strong>rung der Phosphatrcabsorption im proxima<br />

len Nierentubulus, bei Kombination mit Aminoazidurie<br />

und Glukosurie als Debre-deToni-Fanconi-Syndrom).<br />

Wenn die St<strong>ö</strong>rungen im Kalzium- und/oder Phos<br />

phathaushalt erst nach Abschluß des Wachstums mani<br />

fest werden, kommt es zum Bild der Osteomalazie!.<br />

Klinik: Im Kleinkindesalter führt die unzureichende<br />

Mineralisierung des Skeletts zum Erscheinungsbild der<br />

Rachitis mit Verlegungen und Verformungen der langen<br />

R<strong>ö</strong>hrenknochen (Coxa vara), des Brustkorb- und des<br />

Beckenskeletts (Glockenthorax und Kartenherzbecken).<br />

Die Schädelknochen sind weich und eindrückbar (Kraniotabes).<br />

Die Wachstumsregionen der Knochen sind<br />

aufgetrieben (rachitischer Rosenkranz durch Verdickung<br />

der Knorpel-Knochen-Grenze der Rippen, Caput quadratum<br />

durch Stirnbeinverdickung). Die Zahnentwick<br />

lung ist gest<strong>ö</strong>rt (Schmelzdefekte). Bei ausgeprägter I lypokalzämie<br />

kommen entsprechende funktionelle St<strong>ö</strong>rungen<br />

(Krampfneigung, Muskelhypotonie) hinzu. Wenn ein<br />

D-Hormon-Mangel nach Abschluß des Skelettwachstums<br />

auftritt, verläuft die als Osteomalazie bezeichnete Skelettdestabilisierung<br />

schleichend. Die Osteolyse kann durch<br />

eine reaktive Überproduktion an PTH mit gesteigerter<br />

Osteoklastenaktivierung verstärkt werden (erkennbar an<br />

der erh<strong>ö</strong>hten alkalischen Phosphatase im Plasma). Der<br />

Knochenabbau und -umbau ist r<strong>ö</strong>ntgenologisch vor<br />

allem im Beckenbereich und am Femurhals nachzuwei<br />

sen (Looser-Umbauzonen). Durch den Ersatz von Kno<br />

chen durch nichtmineralisiert.es Osteoid wird der Kno<br />

chen verbiegbar, und es kommt zu Pseudofrakturen.<br />

Klinisch ist neben dem Auftreten von rheumaähnlichen<br />

Schmerzen die Behinderung des Gangs (»Watschelgang«<br />

bei fortgeschrittener Osteomalazie) auffällig.<br />

Die Symptomatik der phosphopenischen Formen von<br />

Rachitis und Osteomalazie entspricht weitgehend der<br />

der kalzipenischen Formen; zusätzlich entwickelt sich<br />

häufig eine Niereninsuffizienz.<br />

5.4 Osteoporose*<br />

Begriffsbestimmung: Bei Osteoporose liegt eine Ver<br />

minderung der Mineralisation und der Stabilität des<br />

Skeletts vor, die letztlich zu Frakturen insbesondere<br />

der Wirbelk<strong>ö</strong>rper, des proximalen Femur und des<br />

distalen Radius führt. Problematisch für die Definition<br />

des Krankheitsbildes ist, daß eine z. B. densitometrisch<br />

* Ausführliche Beschreibung der Knochenveränderungen<br />

im Band 8 dieser Reihe (Knochen und Gelenke)<br />

feststellbare Abnahme der Knochendichte oder der<br />

Knochenmasse allein nicht zur Diagnose Osteoporose<br />

berechtigt, sondern daß diese Diagnose erst gestellt<br />

werden kann, wenn es als Folge der Skelettverände<br />

rungen zu Brüchen ohne adäquates Trauma gekom<br />

men ist. Die vor allem an den Wirbelk<strong>ö</strong>rpern zu<br />

beobachtenden osteoporotischen Deformierungen der<br />

Knochen k<strong>ö</strong>nnen bei Knochendichten auftreten, die<br />

noch im Normalbereich liegen, und umgekehrt kann<br />

die Knochendichte erheblich absinken (altersbedingter<br />

Verlust der Spongiosa 0,5 bis 2% pro Jahr nach dem<br />

50. Lebensjahr), ohne daß Spontanbrüchc auftreten.<br />

Eine auf Knochendichtemessungen gestützte Verdachtsdiagnose<br />

»präklinische Osteoporose« sollte<br />

daher durch die deskriptive Diagnose Osteopenie<br />

ersetzt werden. Entscheidend für die Diagnose Osteo<br />

porose ist bei durch Schmerzen und Bewegungsein<br />

schränkung gegebenem Verdacht der r<strong>ö</strong>ntgenologi<br />

sche Frakturnachweis (z.B. Deckplatteneinbrüche der<br />

Wirbelk<strong>ö</strong>rper).<br />

Pathogenese: Die als Osteoporose bezeichnete Destabilisierung<br />

von Knochen durch Substanzverlust ist als<br />

multifaktorielles Geschehen aufzufassen. Eine Vermin<br />

derung der Spongiosa kann bereits durch Ausbleiben<br />

von Belastungsreizen erreicht werden (Immobilisationsosteopenie).<br />

Nach drei Monaten Bettruhe ist bei<br />

gesunden Probanden die Spongiosamasse um 15%<br />

reduziert. Als weitere unspezifische Ursachen einer<br />

Abnahme der Knochendichte sind Kalziummangel auf<br />

grund unzureichender Zufuhr oder zu hoher renaler<br />

Ausscheidung, Alkoholabusus und Lebererkrankun<br />

gen bekannt. Osteoporose aufgrund hormoneller St<strong>ö</strong><br />

rungen wird bei Glukokortikoidüberschuß, bei Hyper<br />

thyreose und vor allem bei der postmenopausalen<br />

Abnahme des Östrogenspiegels der Frau und bei Abfall<br />

des Androgenspiegels beim Hypogonadismus des<br />

Mannes beobachtet. In welchem Ausmaß die eigent<br />

lichen hormonellen Regulatoren des Kalziumhaushalts<br />

(PTH, Kalzitonin, D-Hormon) an der Genese der klassi<br />

schen Osteoporose beteiligt sind, ist noch unklar. Für<br />

eine gewisse Mitwirkung dieser hormonellen Systeme<br />

spricht, daß bei älteren Frauen mit Osteoporose (im<br />

Gegensatz zu gesunden Frauen) die Plasmakonzentration<br />

von D-Hormon erniedrigt ist und daß der mit<br />

zunehmendem Alter eintretende Anstieg des Plasma<br />

spiegels von PTH bei Ostooporose-Patientinnen gerin<br />

ger ausfällt. Differentialdiagnostisch ist zu berücksich<br />

tigen, daß bei HPT die Knochenentkalkung zu einem<br />

OSteoporoseähnliehen Krankheitsbild führen kann.<br />

Die Einteilung in primäre Osteoporose auf der Grund<br />

lage einer knocheneigenen Stoftwechselst<strong>ö</strong>rung und In<br />

sekundäre Osteoporose infolge externer Einflüsse hat<br />

sich als unzureichend erwiesen. Sinnvoller ist die<br />

deskriptive Gliederung nach<br />

- Osteoporose Iyp I, bei der die Reduktion der<br />

Knochenmasse vorwiegend die Trabekeln betrifft<br />

und zu Wirbelk<strong>ö</strong>rpereinbrüchen führt, und<br />

- Osteoporose Typ II mit Verlust sowohl trabekulären<br />

als auch kompakten Knochens.


96 Endokrines System<br />

Während der Typ I charakteristischerweise bei Frauen<br />

10 bis 20 Jahre nach der Menopause auftritt, sind<br />

Männer jenseits des 70. Lebensjahres für Typ II prä<br />

disponiert.<br />

Eine kausal schlüssige Theorie des zur Fraktur führen<br />

den Stabilitätsverlusts der Knochen, an dem auch<br />

extraossäre Veränderungen beteiligt sein k<strong>ö</strong>nnen, gibt<br />

es noch nicht. Die Kenntnisse der Steuerung und<br />

Ausbalancierung des ständigen Ab- und Aufbaus des<br />

Knochens durch Wachstumsfaktoren, wie Somatome<br />

din C, »platelet-derived growth factor« (PDGF), »epi<br />

thelial growth factor« (EGF) und »transforming growth<br />

factor ß« (TGFß), durch Eikosanoide (z.B. Prosta<br />

glandin E2) und durch Abwehrhormone (Interleukine,<br />

Interferon u), reichen dazu bisher nicht aus. Darüber<br />

hinaus ist noch nicht klar, welche Bedeutung die<br />

nichtkollagenen kalziumbindenden Knochenmatrix<br />

proteine, wie Osteokalzin oder das Phosphoprotein<br />

Osteonektin, für die Regulation der Mineralisation<br />

haben. M<strong>ö</strong>glicherweise ist auch das von Mastzellen<br />

und basophilen Granulozyten synthetisierte Heparin<br />

als Stimulator der Knochenresorption an der Pathoge<br />

nese der Osteoporose beteiligt. Eine weitere Komplika<br />

tion für die Erfassung der zu Osteoporose führenden<br />

Fehlregulalion ergibt sich daraus, daß die Basisaktivi<br />

tät des Umschlags der Knochensubstanz bei Osteopo<br />

rose sowohl hoch (»high turnovcr«-Osteoporose, ins<br />

besondere Typ I) als auch niedrig (senile Osteoporose<br />

vom Typ II) sein kann.<br />

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6 Die intraoperative<br />

Beurteilung der<br />

Epithelk<strong>ö</strong>rperchen<br />

Eine intraoperative Schnellschnittuntersuchung er<br />

folgt aus folgenden klinischen Indikationen:<br />

- Identifizierung eines Epithelk<strong>ö</strong>rperchens: Handelt es<br />

sich bei dem operativ entfernten Gewebe um ein<br />

Epithelk<strong>ö</strong>rperchen? Makroskopisch kann die<br />

Abgrenzung von Lymphknoten oder versprengtem<br />

Schilddrüsengewebe (z.B. nach vorausgegangener<br />

Strumektomie) nicht leicht sein. Auch im Schnellschnitt<br />

kann die Differentialdiagnose Schwierig<br />

keiten bereiten, wenn im Epithelk<strong>ö</strong>rperchen kolloidhaltige<br />

Follikel vorkommen. In diesen Fällen ist die<br />

immunhistochemische Untersuchung von Nutzen:<br />

Thyreozyten sind Thyreoglobulin-positiv, während<br />

Epithelk<strong>ö</strong>rperchenzellen Chromogranin-positiv<br />

sind.<br />

- Handelt es sich um eine Hyperplasie, um ein Ade<br />

nom oder um ein Karzinom?<br />

Abb.H-3: Intraoperative Beurteilung von Fpithelk<strong>ö</strong>rperchen.<br />

Oben: Normaler F'ettzellgehalt eines Epithelk<strong>ö</strong>rper<br />

chens. Mitte: Zellen mit reichlich intra/ytoplasmatischein Fett<br />

in einem supprimierten Epithelk<strong>ö</strong>rperchen. Unten: Keine<br />

intrazytoplasmatischen Fetttropfen in einem aktivierten Epi<br />

thelk<strong>ö</strong>rperchen. Sudan-Fbg.<br />

Differentialdiagnose »Hyperplasie - Adenom«: Wenn<br />

nur ein Epithelk<strong>ö</strong>rperchen zur histologischen Beurtei<br />

lung vorliegt, ist eine Differentialdiagnose häufig nicht<br />

m<strong>ö</strong>glich. Empfohlen wird die Freilegung aller Drüsen


H. Erkrankungen der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen 97<br />

und die anschließende histologische Untersuchung des<br />

gr<strong>ö</strong>ßten und eines kleineren oder normal erscheinen<br />

den Epithelk<strong>ö</strong>rperchens. Für ein Adenom (besser<br />

»dominante Drüse«) spricht der Nachweis von knoten<br />

f<strong>ö</strong>rmig vermehrten Drüsen, die in der Peripherie von<br />

normalem oder atrophischem Gewebe umgeben wer<br />

den. Dieser Befund ist jedoch die Ausnahme. Hilfreich<br />

ist in diesen Fällen die Beurteilung der Gr<strong>ö</strong>ße der<br />

einzelnen Epithelk<strong>ö</strong>rperchen, der Stromafcttmenge<br />

und des Zellfunktionszustands (aktivierte oder supprimierte<br />

Zellen) anhand einer Sudanlarbung.<br />

Gr<strong>ö</strong>ße der Drüsen: Beim Adenom ist nur eine Drüse<br />

vergr<strong>ö</strong>ßert, die restlichen drei sind normal groß<br />

oder atrophisch. Beim sekundären HPT sind alle<br />

Drüsen vergr<strong>ö</strong>ßert.<br />

Fettgehalt der Drüsen: Normale fetthaltige Epithel<br />

k<strong>ö</strong>rperchen (Fettgewebe macht über 30% der<br />

Gewebsschniltfläche aus) schwimmen in einer<br />

25%igen Mannitoll<strong>ö</strong>sung. Bei einem Adenom oder<br />

einer Hyperplasie verschiebt sich das Verhältnis<br />

Fettgewebe/Parenchym zugunsten des drüsigen<br />

Anteils. Man bezeichnet diese Epithelk<strong>ö</strong>rperchen als<br />

proliferiert. Weist nur eine der vier Drüsen die<br />

Zeichen der Proliferation auf, dann spricht der<br />

Befund für ein Adenom. Sind alle Epithelk<strong>ö</strong>rperchen<br />

proliferiert, dann liegt wahrscheinlich eine Hyper<br />

plasie vor.<br />

Fettgehalt der Epithelk<strong>ö</strong>rperchenzellen: Eine<br />

Sudanlarbung im Rahmen der Schnellschnittunter-<br />

suchung kann Hinweise zum Funktionszustand der<br />

Zellen liefern. Aktivierte Zellen weisen keine oder<br />

nur vereinzelte kleine Fetttr<strong>ö</strong>pfchen im Zytoplasma<br />

auf. Sie kommen im Adenom oder in den hyperplastischen<br />

Drüsen vor. Supprimierte Zellen zeigen<br />

mehrere große, Sudan-positive Zytoplasmaeinschlüsse.<br />

Supprimierte Epithelk<strong>ö</strong>rperchcnzellen<br />

kommen in den nicht vom Adenom befallenen Drü<br />

sen vor. Eine Gegenüberstellung dieser Befunde<br />

geht aus der Tabelle hervor.<br />

Befund Gr<strong>ö</strong>ßtes EK Weitere EK<br />

Normale Fpithelk<strong>ö</strong>rperchen<br />

Makro normal normal<br />

HE-Fbg. >30% Fettzellen >30% Fettzellen<br />

Sudan-Fbg. unterschiedlich unterschiedlich<br />

Adenom<br />

Makro vergr<strong>ö</strong>ßert normal oder kloin<br />

HE-Fbg. 30% Fettzellen<br />

proliferiert<br />

Sudan-Fbg. keine Fetttropfen vermehrt Fett<br />

aktiviert<br />

tropfen<br />

supprimiert<br />

Hyperplasie<br />

Makro vergr<strong>ö</strong>ßert vergr<strong>ö</strong>ßert<br />

HE-Fbg.


98 Endokrines System<br />

I. Erkrankungen der Nebenniere<br />

1 Fehlbildungen<br />

Die ein- oder beidseitige Nehennierenaplasie ist sehr<br />

selten. Häufiger kommt eine Hypoplasie vor, die als<br />

sekundäre Form auf einen Mangel an ACTH bei hypothalamisch-hypophysäror<br />

Entwicklungsst<strong>ö</strong>rung (z. B.<br />

bei Anenzephalie, bei isolierten Hypophysenmißbil<br />

dungen sowie funktionell bei Endorganresistenz gegen<br />

ACTH) zurückzuführen ist. In diesen Fällen beträgt<br />

das Gesamtgewicht der Nebennieren etwa 10% der<br />

Norm. Besonders betroffen ist die innere Nebennieren<br />

rinde (NNR) mit einer Verschmälerung der Zona fasciculata,<br />

während das Mark normal entwickelt ist. Bei<br />

der primären Nebennierenhypoplasie handelt es sich<br />

um ein X-chromosomal vererbtes Leiden. Bei einer<br />

Nierenagenesie ist die Nebenniere regelrecht angelegt,<br />

aber scheibenf<strong>ö</strong>rmig gestaltet. Nebennierenektopien<br />

werden vorwiegend im Mesosalpinx, im Mesovar oder<br />

im Bereich des Nebenhodens (intratestikuläre Ektopien<br />

sind schwer von Hyperplasien der Zwischenzellen<br />

abzugrenzen) beobachtet. Als Dystopien bezeichnet<br />

man die Verlagerung der gesamten Nebenniere, z.B.<br />

als subkapsuläre Nebenniere unter der Nieren- oder<br />

Leberkapsel.<br />

2 Kreislaufst<strong>ö</strong>rungen<br />

Abb. 1-1: Nebennierenhypoplasie bei Anenzephalie, a) Deut<br />

lich hypoplastische Nebennieren, b) Oben: Kleine, schmale<br />

Nebenniere ohne Gyrierung der Oberfläche. Unten: Normal<br />

große Nebenniere. HE-Fbg.<br />

Schwere apoplektische Blutungen kommen einseitig<br />

als Geburtstrauma und beidseitig beim Waterhouse-<br />

Friderichsen-Syndrom vor. Dabei handelt es sich in<br />

den meisten Fällen um eine Komplikation im Rahmen<br />

einer Meningokokkensepsis bei Kindern unter<br />

2 Jahren.<br />

Klinik: Die Erkrankung entwickelt sich pl<strong>ö</strong>tzlich aus<br />

vollem Wohlbefinden und manifestiert sich als schwe<br />

rer Schockzustand. In der Haut treten punktf<strong>ö</strong>rmige,<br />

zusammenfließende Blutungen auf. Im Liquor ist die<br />

Zellzahl nicht wesentlich erh<strong>ö</strong>ht.<br />

Beim Erwachsenen kommen Nebennierenblutungen<br />

posttraumatisch, nach chirurgischen Eingriffen, beim<br />

septischen Abort (Verbrauchskoagiilopathie) und im<br />

Rahmen einer Antikoagulanzientherapie vor. Arte<br />

rielle Verschlüsse kleinerer Äste mit konsekutivem<br />

anämischem Infarkt treten bei der Panarteriitis<br />

nodosa auf.<br />

Abb. 1-2: Beidseitige Nebennierenblutungen bei Water<br />

house-Friderichsen-Syndrom. Blutig imbibierte Nebennie<br />

ren. Flach angeschnittene rechte Nebenniere.


I. Erkrankungen der Nebenniere 99<br />

3 Entzündungen<br />

3.1 Unspezifische Adrenalitiden<br />

Rundzellige Infiltrate im Nebennierengewebe kommen<br />

häufiger vor und weiserf kein klinisches Korrelat auf.<br />

3.2 Autoimmunadrenalitis<br />

Diese Entzündungsform Ist heute die häufigste Ursa<br />

che einer schweren Zerst<strong>ö</strong>rung von Nebennierenge<br />

webe, die mit einem Morbus Addison einhergehen<br />

kann.<br />

3.3 Spezifische Adrenalitis<br />

Früher war die Tuberkulose die wichtigste Ursache<br />

einer beidseitigen Nebennierenzerst<strong>ö</strong>rung und somit<br />

verantwortlich für die Entstehung eines Morbus .Addi<br />

son. Eine Nebennierenbeteiligung wird im Rahmen<br />

einer hämatogenen miliaren Aussaat beobachtet.<br />

Ferner sind Listeriosen und verschiedene Mykosen als<br />

spezifische Entzündungen zu nennen.<br />

4 Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen<br />

Im Rahmen von Systemerkrankuiigen (z. B. llämochromatose,<br />

Amyloidose) kann auch die Nebenniere mit<br />

entsprechenden Ablagerungen beteiligt sein. Nur<br />

selten führen sie zu einer NNR-Insiiffizionz.<br />

5 Tumoren<br />

5.1 Tumoren der Nebennierenrinde<br />

5.1.1 Nebennierenrindenadenom<br />

Makroskopisch handelt es sich um eine gut abge<br />

grenzte Neubildung von hellbrauner bis leuchtend<br />

gelber Farbe. Sie weist ein expansives Wachstum auf<br />

und komprimiert benachbarte Organe. Die meisten<br />

Adenome werden zufällig im Rahmen einer Obduktion<br />

entdeckt und sind klinisch stimuli. Iläufiger kommen<br />

deutliche Kernatypien vor, die aber nicht als Malignitätskriterium<br />

anzusehen sind. Unter Berücksichtigung<br />

des zytologischen Bildes unterscheidet man:<br />

5.1.1.1 Adenome aus Spongiozyten. Diese Neubildun<br />

gen bestehen aus Zellen mit einem fein vakuolisierten<br />

Zytoplasma. Der runde Kern liegt zentral und ist<br />

hyperchromatisch.<br />

Abb. 1-3: Chronische unspezifisehe Adrenalitis. Dichte Iymphoplasmazelluläre<br />

Inllltration des Nebennierengevvebes.<br />

WHO-Systematik und Kodierung<br />

(Topographie: C74)<br />

1 Nebennierenrinde C74.0<br />

1.1 Gutartige Tumoren 8370/0<br />

1.1.1 Adenom aus Spongiozyten 8373/0<br />

1.1.2 Adenom aus kompakten Zellen 8371/0<br />

1.1.3 Adenom aus Glomerulosazellcn 8374/0<br />

1.1.4 Gemischtzollige Adenome 8375/0<br />

1.2 B<strong>ö</strong>sartige Tumoren<br />

Adenokarzinome 8370/3<br />

1.3 Epitheliale tumorähnliche Ver<br />

änderungen<br />

1.3.1 Noduläre I Iypcrplasie 72030<br />

Solitäre Hyperplasie 72031<br />

Multiple noduläre Hyperplasie 72032<br />

1.3.2 Kapseldu rchbruch 31400<br />

1.3.3 Akzessorische Nebennierenrinde 22300<br />

1.4 Mesenchymale Tumoren und tuiiiorähnliche<br />

Veränderungen<br />

1.4.1 Myelolipom 8870/0<br />

1.4.2 Lipom 8850/0<br />

1.4.3 Zyste 33400<br />

1.5 Metastasen ..../6<br />

2 Nebennierenmark C74.1<br />

2.1 Neuroendokrine Tumoren<br />

2.1.1 Gutartiges Phäochromozytom 8700/0<br />

2.1.2 Malignes Phäochromozytom 8700/3<br />

2.2 Neurale Tumoren<br />

2.2.1 Ganglioneurom 9490/0<br />

2.2.2 Ganglioneuroblastom 9490/3<br />

2.2.3 Neuroblastom 9500/3<br />

2.3 Gemischte Tumoren<br />

2.4 Tumorähnliche Veränderungen


100 Endokrines System<br />

5.1.1.2 Adenome aus kompakten Zellen zeigen ein<br />

eosinophiles, nichtvakuolisiert.es Zytoplasma. Eine<br />

Variante ist das lipofuszinreiche »schwarze NNR-Adenom«,<br />

das an ein Melanom erinnert.<br />

5.1.1.3 Adenome mit Glomerulosazellen sind alveo<br />

lär angeordnet und kommen vorwiegend beim Conn-<br />

Syndrom vor.<br />

5.1.2 Nebennieren rinden karzinome<br />

Die Altersverteilung bei NNR-Karzinomen zeigt zwei<br />

Gipfel: Der erste liegt im 4. Dezennium und umfaßt<br />

vorwiegend endokrin aktive Tumoren. Sie manifestie<br />

ren sich klinisch als gemischter Hyperkortizismus,<br />

seltener als reiner Morbus Gushing, Hyperaldosteronismus<br />

oder fcminisierende Neubildung. Der zweite<br />

Gipfel kommt im 7. Dezennium vor und besteht in den<br />

meisten Fällen aus stummen Karzinomen. Makrosko<br />

pisch handelt es sich um große Neubildungen, die die<br />

Organkapsel durchbrechen und benachbarte Organe<br />

infiltrieren. Nekrosen und Blutungen kommen häufi<br />

ger vor. Histologisch erkennt man solide, trabekuläre<br />

oder alveoläre Strukturen mit vakuolisierten oder<br />

kompakten Zellen. Mitosen und Atypien kommen häu<br />

figer vor. NNR-Karzinome sind hochmaligne Neubil<br />

dungen. Zum Zeitpunkt der Diagnose haben 60% der<br />

Karzinome bereits Metastasen in den regionalen<br />

Lymphknoten, in Leber oder Lungen gesetzt. Auch die<br />

Absiedelungen k<strong>ö</strong>nnen endokrin aktiv sein.<br />

Probleme in der Diagnostik der Tumoren der NNR<br />

ergeben sich bei der Bestimmung des Muttergewebes<br />

und der Dignität. Häufig ist es schwer, den Tumor der<br />

Nebenniere oder einer infiltrierten Niere zuzuordnen.<br />

Zur Zeit gibt es noch keine zuverlässigen immunhistochemischen<br />

Antik<strong>ö</strong>rper, um ein Nierenkarzinom von<br />

einem NNR-Tumor abzugrenzen. Die epithelialen<br />

(Zytokeratine, TPA, EMA) und die neuroendokrinen<br />

Marker (y-Enolase, Chromogranin, S100 u.a.) sind<br />

beim NNR-Karzinom negativ. Bei der Bestimmung der<br />

Dignität dieser Geschwülste ist zu beachten, daß bei<br />

Kindern das NNR-Karzinom — gegenüber dem Ade<br />

nom - dreimal häufiger vorkommt. Die Anamnese ist<br />

bei den malignen Neubildungen kurz. Feminisierende<br />

NNR-Tumoren beim Mann sind praktisch immer b<strong>ö</strong>s<br />

artig. Bei der Bestimmung der Dignität hat sich die<br />

NOR-Methode (s. S. 57) als hilfreich erwiesen.<br />

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Abb. 1-4: Nebennierenrindenkar/.inom. Oben: Schnittfläche<br />

eines Adenokarzinoms. Oben rechts im Bild Reste der Neben<br />

niere. Unten: Drüsig-trabekulär aufgebautes Karzinom.<br />

HE-Fbg.<br />

Abb. 1-5: Knotige Nebennierenrindenhyperplasie. HK-Fbg.


I. Erkrankungen der Nebenniere 101<br />

5.1.3 Epitheliale tumorähnliche Veränderungen<br />

Hyperplasien der NNR k<strong>ö</strong>nnen diffus oder knotig sein.<br />

Beim Erwachsenen spricht man von einer diffusen<br />

Hyperplasie, wenn beide Nebennieren zusammen<br />

über 15 g schwer sind und die Rindenbreite minde<br />

stens 2 mm beträgt. Die noduläre Hyperplasie kommt<br />

als solitärer, unvollständig abgekapselter Rindenkno<br />

ten häufiger vor. Die Übergänge zum Adenom sind<br />

fließend. Die multiple noduläre Hyperplasie kommt<br />

besonders häufig beim Hypertoniis vor. Multiple Rin<br />

denknoten treten als mikronoduläre kortikale Adeno<br />

mat<strong>ö</strong>se beim M. Gushing und beim paraneoplastischen<br />

Ilyperkortizismus auf. Ein Kapseldurchbruch von Rin<br />

dengewebe wird bei hyperplastisclien Drüsen beob<br />

achtet. Ektopes NNR-Gewebe läßt sich im Retroperitoiieum<br />

sowie im männlichen und weiblichen Genitale<br />

nachweisen. Die Nehennierenzytomegalie kommt bei<br />

Neugeborenen vor und zeigt Zellen mit besonders<br />

großen, hyperchromatischen Kernen. Sie steht mit der<br />

gleichnamigen Virusinfektion in keinem kausalpatliogenetischen<br />

Zusammenhang.<br />

5.1.4 Mesenchymale Neubildungen und tumorartige<br />

Veränderungen<br />

Das Myelolipom stellt einen solitären, gutartigen<br />

Tumor dar, der bei älteren Menschen vorkommt und<br />

aus Fettzellen mit eingeschlossenen blutbildenden<br />

Herden bestellt. Die Nebennierenzysten bestehen aus<br />

einer faserreichen Kapsel, die vereinzelte erhaltene<br />

Rindenepithelien einschließt. Blutungen kommen häu<br />

figer vor. In Endemiegebieten ist auch mit Eehinokokkuszysten<br />

zu rechnen.<br />

Abb. 1-6: Überwiegend diffuse Nebennierenrindenhyperplasie<br />

bei paraneoplastischem ACTH-Syndrom (Primärtumor:<br />

kleinzelliges BronchialkarzinomI<br />

5.1.5 Metastasen<br />

Nebennierenmetastasen werden häufiger beim klein<br />

zelligen Bronchialkarzinom beobachtet. Durch konti<br />

nuierliches Wachstum kann ein Nierenkarzinom in die<br />

Nebenniere einbrechen.<br />

5.2 Tumoren des Nebennierenmarks<br />

Abb. 1-7: Nebennierenmetastase eines Lungenkarzinoms<br />

5.2.1 Neuroendokrine Tumoren<br />

5.2.1.] Phäochromozytom: 99% der Phäochromozy<br />

tome sind in der Nebenniere lokalisiert. Jeweils 10%<br />

dieser Neubildungen kommen beidseitig, extraadrenal<br />

oder multipel vor, 10% bei Kindern. Phäochromozy<br />

tome k<strong>ö</strong>nnen sehr groß werden und weisen eine bunte<br />

Schnittfläche auf, die aus soliden grauweißen Anteilen<br />

sowie aus zystischen Arealen mit Blutungen besteht.<br />

Histologisch handelt es sich um eine zellreiche, stark<br />

vaskularisierte Neubildung mit unterschiedlich großen<br />

Zellen. Sie zeigen reichlich eosinrotes Zytoplasma und<br />

einen polymorphen Kern. Diese sind groß, häufiger<br />

chromatindicht, und schließen eosinrote Vakuolen<br />

(Kerneinstülpungen) ein. Nach Fixierung in einer chromathaltigen<br />

Flüssigkeit lassen sich intrazytoplasmatische<br />

bräunliche Katocholamingranula nachweisen, die<br />

sich in der Giemsa-Färbung grün-gelb darstellen.<br />

Immunhistochemisch reagiert der Tumor mit neuroen<br />

dokrinen (y-EnoIase. Chromogranin) und epithelialen<br />

(TPA) Markern. Mit der SlOO-Reaklion findet man<br />

häufiger neurale Anteile (Ganglienzellen), die bei den<br />

gemischten Formen reichlich vorhanden sind. Elektro<br />

nenmikroskopisch kann man - auch bei ausgebrann-


102 Endokrines System<br />

Abb. 1-8: Phäochromozytom, a) Bunte Schnittfläche eines Phäochromozytoms, b) Ausgeprägte Zell- und Kernpolymorphie<br />

eines gutartigen Phäochromozytoms. Sog. Kernvakuolen (V). HE-Fbg. c) Darstellung von grünen Katecholamingranula in der<br />

Giemsa-Fbg. Chromatflxlerter Schnitt, d) Chromograninpositive Phäochromozytomzellen.<br />

ten, stummen Phäochromozytomen - sekretorische<br />

Granula nachweisen, die von diagnostischer Bedeu<br />

tung sind.<br />

Man nimmt an, daß 0,5% der llochdruckkrankheiten<br />

auf ein Phäochromozytom zurückzuführen sind. Das<br />

typische Bild der paroxysmalen Hypertonie kommt nur<br />

bei 50% dieser Tumoren vor. Neben einer charakteri<br />

stischen Symptomatik (s. Abschn. 6.3.2) k<strong>ö</strong>nnen - ins<br />

besondere ältere - Phäochromozytome auch klinisch<br />

stumm bleiben. Morphologisch lassen sich in diesen<br />

Fällen nur elektronenmikroskopisch vereinzelte, diagnosebeweisende,<br />

sekretorische Granula finden. 10%<br />

der Phäochromozytome treten beidseitig auf oder rezi<br />

divieren.<br />

5.2.1.2 Malignes Phäochromozytom: 10% aller<br />

Phäochromozytome sind maligne und werden gehäuft<br />

bei Kindern diagnostiziert. Makroskopisch ist der<br />

Tumor groß und zeigt ausgedehnte Nekrosen und<br />

Blutungen. Histologisch findet man eine besonders<br />

ausgeprägte Zellpolymorphie sowie reichlich Mitosen.<br />

Ein diagnostischer Hinweis ist der Nachweis von<br />

Gefäßeinbrüchen. Rezidive k<strong>ö</strong>nnen auch nach länge<br />

rem Zeitintervall (5 bis 10 Jahren) vorkommen.<br />

5.2.2 Neurale Tumoren<br />

s. Band 4 dieser Reihe (Nervensystem)<br />

5.2.3 Gemischte Tumoren<br />

Neben typischen Anteilen eines Phäochromozytoms<br />

läßt sich gelegentlich auch eine rein neural differen<br />

zierte Komponente nachweisen, die einem Ganglioneurom<br />

oder Ganglioneuroblastom entspricht.<br />

5.2.4 Tumorähnliche Veränderungen<br />

des Nebennierenmarks<br />

Eine Ektopie von reinem Nebennierenmark kommt<br />

sehr selten vor. Eine Hyperplasie ist die Teilmanifestation<br />

eines MEN-II-Syndroms, m<strong>ö</strong>glicherweise als Vor<br />

stufe eines Phäochromozytoms.


I. Erkrankungen der Nebenniere 103<br />

6 Funktionsst<strong>ö</strong>rungen<br />

der Nebenniere<br />

6.1 Nebennierenrindeninsuffizienz<br />

Wenn eine funktionell unzureichende Produktion von<br />

adrenokortikalen Hormonen auf einer Zerst<strong>ö</strong>rung oder<br />

Hypoplasie des Nebennierengewebes selbst beruht,<br />

liegt eine primäre NNR-Insuffizienz vor. Bei sekundä<br />

rer NNR-Insuffizienz fehlt eine ausreichende Stimula<br />

tion der Hormonproduktion infolge Schädigung der<br />

Adenohypophyse (unzureichende ACTH-Produktion).<br />

Theoretisch läßt sich eine hypothalamisch bedingte<br />

Unterfunktion (CRH-Mangel mit sekundärer Minder<br />

sekretion von ACTH) als tertiäre NNR-Insuffizienz<br />

abgrenzen. Zumindest passagere sekundäre bzw. ter<br />

tiäre NNR-Insuffizienzen sind iatrogen als Folge hoch<br />

dosierter Glukokortikoid- bzw. ACTII-Therapie zu<br />

beobachten.<br />

6.1.1 Primäre NNR-Insuffizienz<br />

Pathogenese: Bei der primären adrenokortikalen<br />

Insuffizienz (Morbus Addison) findet meist eine schlei<br />

chende Zerst<strong>ö</strong>rung des NNR-Gewebes statt. Haupt<br />

ursache dieser seltenen Erkrankung (Inzidenz etwa<br />

3 auf 100000) ist eine Autoimmunreaktion. Bei mehr<br />

als der Hälfte der Patienten k<strong>ö</strong>nnen zirkulierende<br />

Antik<strong>ö</strong>rper gegen adrenokortikale Zellorganellen<br />

nachgewiesen werden. In weniger als 20% der Fälle<br />

von M.Addison (und mit abnehmender Tendenz) wird<br />

der Funktionsverlust durch eine tuberkul<strong>ö</strong>se Zerst<strong>ö</strong><br />

rung der Nebenniere (Verkäsung) verursacht. Außer<br />

dem kann die NNR durch Metastasen maligner Tumo<br />

ren und Mykosen geschädigt werden. Zu klinisch<br />

manifester Insuffizienz kommt es allerdings erst, wenn<br />

mindestens 90% des NNR-Gewebes zerst<strong>ö</strong>rt sind.<br />

Ein akutes NNR-Versagen (Addison-Krise) tritt -<br />

außer bei Exazerbation einer chronischen Insuffizienz -<br />

nach einer Nebennierenblutung auf. Prädisponierend<br />

dafür sind eine hämorrhagische Diathese bei Neuge<br />

borenen (Hypoprothrombinämie) und die Meningokokkensepsis<br />

bei Kindern (Waterhouse-Friderichsen-<br />

Syndrom). Bei Erwachsenen kann eine Nebennieren<br />

blutung durch arteriellen Hochdruck, durch gr<strong>ö</strong>ßere<br />

Operationen im Bauchraum oder durch Antikoagiilation<br />

ausgel<strong>ö</strong>st werden.<br />

Klinik: Bei primärer NNR-Insuffizienz mit Ausfall der<br />

Gluko- und Mineralokortikoide sind Stoffwechsel (ins<br />

besondere Energiestoffwechsel) und Mineralhaushalt<br />

gest<strong>ö</strong>rt. Unzureichende Energiebereitstellung und<br />

Elektrolytst<strong>ö</strong>rungen machen sich als Müdigkeit und<br />

Muskelschwäche (Adynamic) in im Tagesverlauf<br />

zunehmendem Ausmaß bemerkbar, daneben auch als<br />

Konzentrationsschwäche, in schweren Fällen in Form<br />

mentaler Retardation. Es kommt zu Gewichtsverlust<br />

und gastrointestinalen St<strong>ö</strong>rungen (Appetitlosigkeit,<br />

Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Obstipation). Die<br />

Beeinträchtigung der Nierenfunktion führt zu Hypovolämie<br />

und arterieller Hypotension, insbesondere<br />

auch zu orthostatischer Dysregulation, denn die<br />

sympathische Gegenregulation bei orthostatischer<br />

Belastung ist durch Ausfall der Glukokortikoidsensibi<br />

lisierung der Gelaßmuskulatur gegenüber Noradrena<br />

lin zusätzlich beeinträchtigt. Bei generell gesteigertem<br />

renalem Wasserverlust (Reduktion des extrazellulären<br />

Flüssigkeitsvolumens) ist die Fähigkeit der Niere,<br />

zugeführtes Wasser rasch zu eliminieren, gest<strong>ö</strong>rt. Die<br />

Wasserausscheidung ist verz<strong>ö</strong>gert und verschiebt sich<br />

in die Nacht (Nykturie). Typisches Symptom des M.Ad<br />

dison ist eine vermehrte Hautpigmentierung, vor allem<br />

mechanisch belasteter Partien und der Handfurchen,<br />

und fleckige Pigmentierung der Wangenschleimhaut.<br />

Ursache ist eine vermehrte Ausschüttung des melanozytenstimulierenden<br />

Hormons MSH, das bei der nach<br />

Ausfall der Glukokortikoide enthemmten ACTII-Synthese<br />

als weiteres Bruchstück des Vorläufermoleküls<br />

Proopiomelanocortin anfällt. Ein weiteres Symptom ist<br />

spärliche bis fehlende Achsel- und Schambehaarung.<br />

Bei sekundärer oder tertiärer NNR-Insuffizienz fehlt<br />

die Pigmentierung. Die hauptsächlich über das Renin-<br />

Angiotensin-System gesteuerte Aldosteronproduktion<br />

ist in der Regel normal (keine Hypovolämie, keine<br />

wesentlichen St<strong>ö</strong>rungen im Mineralhaushalt).<br />

Diagnose: Wenn Anamnese und Symptomatik eine<br />

NNR-Insuffizienz vermuten lassen, ist eine Abgren<br />

zung vor allem gegen das mit vergleichbarer Sym<br />

ptomatik (z.T. einschließlich Hyperpigmentierung)<br />

einhergehende Malabsorptionssyndrom notwendig.<br />

Ein klinischer Verdacht auf primäre NNR-Insuffizienz<br />

kann durch laborchemischen Nachweis von Stoffwech<br />

sel- und Elektrolytst<strong>ö</strong>rungen (Hypoglykämie, Hyperkaliämie,<br />

Hyponatriämie) gestützt werden. Die Bestim<br />

mung des Natrium/Kalium-Quoticnten in Schweiß oder<br />

Speichel (bei Mineralokortikoidmangcl ist er infolge<br />

unzureichender Natriumrückresorption erh<strong>ö</strong>ht) liefert<br />

validere Informationen als die Messung der Plasma<br />

konzentrationen von Natrium und Kalium. Hinweise<br />

auf das Vorliegen einer NNR-Insuffizienz sind außer<br />

dem mäßige normozytäre Anämie und Leukopenie bei<br />

relativer Lymphozytose und Eosinophilie.<br />

Zur Abschätzung der NNR-Funktion kann die Mes<br />

sung der Cortisolkonzentration im Plasma (am besten<br />

als Cortisoltagesprofil) und der renalen Ausscheidung<br />

von 17-Keto- und 17-Hydroxysteroiden (als Metabo<br />

liten der NNR-Hormone) dienen. Die Leistungsfähig<br />

keit (und Funktionsreserve) der NNR kann durch<br />

Stimulation mit ACTH ermittelt werden. Wenn nach<br />

Injektion eines langwirkenden ACTII-Präparats der<br />

Kortikoidspiegel im Plasma oder die Ausscheidung von<br />

Kortikoidmetaboliten im Urin auf das Doppelte oder<br />

mehr steigen oder wenn die (vorher erh<strong>ö</strong>hte) Eosinophilenkonzentration<br />

im Blut auf weniger als die Hälfte


104 Endokrines System<br />

abfällt, kann eine primäre NNR-Insuffizienz ausge<br />

schlossen werden.<br />

Zur Prüfung der hypophysären Steuerung der NNR<br />

wird neben der Cortisol- auch die ACTII-Konzentration<br />

im Plasma bestimmt. Bei niedrigem Cortisolspiegel<br />

spricht eine erh<strong>ö</strong>hte ACTH-Konzentration für eine<br />

primäre, eine erniedrigte ACTII-Konzentration für<br />

eine sekundäre oder tertiäre NNR-Insufjizienz. Zur<br />

Prüfung der ACTII-Sekretionsfähigkeit der Adeno<br />

hypophyse k<strong>ö</strong>nnen gentechnisch hergestelltes Corticotropin-Releasing-Hormon<br />

(CRH), eine unspezifische<br />

Stimulierung der Adenohypophyse durch insulinindu<br />

zierte Hypoglykämie oder durch Vasopressin und der<br />

Metopiron®-Test eingesetzt werden. Metopiron® blokkiert<br />

die 11 ß-Hydroxylase der NNR und unterbricht die<br />

Synthese der Gluko- und Mineralokortikoide auf der<br />

Stufe 11-Deoxycortisol bzw. Deoxycorticosteron.<br />

Durch den Abfall der Cortisolkonzentration im Plasma<br />

wird die hypothalamisch-hypophysäre Achse ent<br />

hemmt, und im Normalfall steigen die ACTII-Plasmakonzentration<br />

und die renale Ausscheidung von 17-<br />

Hydroxysteroiden als Metaboliten der noch produzier<br />

ten Steroidhormonvorstufen an. Ist die ACTI [-Produk<br />

tion nicht durch Metopiron® stimulierbar, kann durch<br />

Stimulation mit CRH zwischen sekundärer NNR-Insuf<br />

fizienz (St<strong>ö</strong>rung auf dem Niveau der Adenohypophyse)<br />

und tertiärer NNR-Insuffizienz (hypothalamische St<strong>ö</strong><br />

rung) unterschieden werden.<br />

6.1.2 Adrenogenitales Syndrom (AGS)<br />

Eine NNR-Insuffizienz auf dem Boden von unterschied<br />

lichen St<strong>ö</strong>rungen der Stcroidbiosynthese wird unter<br />

dem Krankheitsbegriff adrenogenitales Syndrom<br />

(AGS) subsumiert. Bei diesen kongenitalen Enzym<br />

defektkrankheiten ist die NNR in der Regel hyperplastisch.<br />

Bei anderen Formen angeborener NNR-Insuffi<br />

zienz liegt eine Atrophie des Gewebes infolge Lipidstoffwechselst<strong>ö</strong>rung<br />

vor, gekoppelt mit Entmarkungen<br />

im Bereich des peripheren und zentralen Nerven<br />

systems (Adrenoleukodystrophie und Adrenomyeloneuropathie).<br />

Pathogenese: Bei angeborenen Defekten von Enzymen<br />

der Steroidsynthese kommt es zur gesteigerten Pro<br />

duktion von Androgenen bei verringerter Sekretion<br />

der Glukokortikoide und meist auch der Mineralokorti<br />

koide durch die NNR. Beim AGS ist die Produktion von<br />

ACTH in der Adenohypophyse infolge des Cortisol<br />

mangels enthemmt. Die in der überstimulierten und<br />

dadurch hyperplastischen NNR im Überschuß anfal<br />

lenden Zwischenprodukte, wie 17-Hydroxyprogesteron,<br />

werden über Androstendion in den Androgensyntheseweg<br />

umgeleitet. Weitaus häufigster Enzymdefekt<br />

(90 bis 95%) ist ein autosomal rezessiv (IILA-assoziierter<br />

Genort am Chromosom 6) vererbter Mangel an 21 ß-<br />

Hydroxylase, durch den die Umsetzung von Progeste<br />

ron in Cortisol sowie meist auch in Corticosteron<br />

Abb. 1-9: Adrenogenitales Syndrom. Links: Frühentwicklung<br />

der äußeren männlichen Geschlechtsmerkmale. Hechts: Aus<br />

geprägte Nebennierenbyperplasie.<br />

und Aldosteron blockiert wird (vgl. Abb.C-8). In 2 bis<br />

8% der AGS-verursachenden Enzymdefekte ist die<br />

1 lß-Ilydroxylase betroffen. Defekte anderer Enzyme<br />

der Steroidsynthese sind extrem selten. In seltenen<br />

Fällen geht eine Androgenüberproduktion von endo<br />

krin aktiven NNR-Tumoren aus.<br />

Die Prävalenz des angeborenen 21ß-Hydroxylase-<br />

Mangels liegt bei etwa 1:10000 (Phenylketonurie ver<br />

gleichsweise bei 1:15000). Noch häufiger ist ein sog.<br />

»niclitklassischer«, nur graduell und verz<strong>ö</strong>gert (wenn<br />

überhaupt) symptomatisch werdender 21ß-Hydroxylase-Mangel,<br />

bei dem das entsprechende Gen andere<br />

Mutationen als beim »klassischen« 2 lß-IIydroxylase-<br />

Mangel aufweist (Prävalenz der Allele für »nichtklassischen«<br />

21 ß-Hydroxylase-Mangel ca. 3:1000).<br />

Klinik: Beim AGS bestehen Symptome sowohl der<br />

NNR-Insuffizienz (Gluko- und ggf. Mineralokortikoidmangel)<br />

wie auch von Überfunktion (Androgen- und<br />

Gestagenexzeß). In einem Teil der Fälle mit angebore<br />

nem 21 ß-Hydroxylase-Mangel wirkt sich der Defekt<br />

nicht sofort, sondern erst im Lauf der Entwicklung,<br />

und dann unterschiedlich stark aus (»niclitklassi<br />

scher« 21 ß-Hydroxylase-Mangel).<br />

Beim klassischen 21 ß-Hydroxylase-Mangel führt die<br />

bereits intrauterin überschießende adrenokortikale<br />

Androgenproduktion beim weiblichen Fetus zur Virilisierung<br />

der äußeren Geschlechtsmerkmale bei norma<br />

lem inneren Genitale. Weibliche Neugeborene mit AGS<br />

haben eine hypertrophische Klitoris und verwachsene<br />

Schamlippen. Männliche Neugeborene mit AGS er<br />

scheinen normal. Wenn das AGS nicht erkannt und<br />

behandelt wird, führt der Androgcnüberschuß bei<br />

Mädchen und Knaben zu einer Wachstumsbeschleuni<br />

gung, wobei allerdings aufgrund vorzeitigen Epiphysenfugenschlusses<br />

die erreichte Endgr<strong>ö</strong>ße subnormal


I. Erkrankungen der Nebenniere 105<br />

bleibt. Typisch ist auch das frühzeitige Auftreten von<br />

Achsel- und Schambehaarung (Adrenarche). Die<br />

hohen Konzentrationen von Progesteron k<strong>ö</strong>nnen beim<br />

weiblichen Geschlecht die positive Rückkopplung von<br />

Östrogen auf die LH-Sekretion blockieren mit der<br />

Folge, daß Regelblutungen nicht oder nur irregulär<br />

auftreten. Beim männlichen Geschlecht supprimiert<br />

die hohe Androgenkonzentration die Gonadotropinse<br />

kretion der Adenohypophyse, und in den mangelhaft<br />

mit LH und FSH versorgten Hoden sind Teslosleronbildung<br />

und Spermatogenese unzureichend. In den etwa<br />

% der Fälle von klassischem 21ß-Hydroxylase-l)efekl,<br />

in denen auch die Aldosteronproduktion blockiert ist,<br />

tritt ein Salzverlustsyndrom mit Hyponatriämie. Ilypovolämie<br />

und Hyperkaliemic auf. Vor allem bei männli<br />

chen Neugeborenen, bei denen das Vorliegen eines<br />

AGS nicht wie bei weiblichen durch die Veränderungen<br />

der äußeren Geschlechtsmerkmale leicht erkennbar<br />

ist, kann der Aldosteronmangel zu lebensgefährlicher<br />

Dehydratation und Hyperkaliämie führen, wenn die<br />

entsprechende Symptomatik (Erbrechen, verminder<br />

ter Hautturgor usw.) übersehen oder fehlgedeutet<br />

wird.<br />

Bei llß-Hydroxylase-Mangel stauen sich neben den in<br />

Androgene umgewandelten Metaboliten (intrauterine<br />

Virilisierung beim Mädchen) auch Zwischenprodukte<br />

mit mineralokortikoider Wirksamkeit (Deoxycorticosteron)<br />

an, so daß es nicht zum Salzverlustsyndrom,<br />

sondern zu vermehrter Salz- und Wassere in läge rung<br />

mit der Gefahr von Hypertonie und Ilypokaliümie<br />

kommt.<br />

Diagnose: Wesentlicher Laborbefund zur Sicherung<br />

des Verdachts auf AGS infolge 21ß-Hydroxylase-Mangels<br />

ist eine erh<strong>ö</strong>hte Konzentration des Steroidhormonvorläufers<br />

17-Hydroxyprogesteron im Plasma<br />

(Messung vor und nach Stimulation mit ACTH). Die<br />

Relation der basalen und der nach ACTH-Gabe gemes<br />

senen 17-Hydroxyprogesteron-Konzentrationen läßt<br />

eine Differenzierung zwischen klassischem und<br />

nichlklassischem 21 ß-Hydroxylase-Mangel zu. Beim<br />

llß-Hydroxylase-Mangel sind Deoxycorlicosteron im<br />

Plasma und die renale Ausscheidung seiner Metabo<br />

liten erh<strong>ö</strong>ht.<br />

Die Untersuchungen auf Vorliegen eines Glukokortikoidmangels<br />

entsprechen denen bei allgemeiner NNR-<br />

Insuffizienz (s.o.). Ob eine zusätzliche St<strong>ö</strong>rung der<br />

Aldosteronsynthese vorliegt, ergibt sich aus der Rela<br />

tion von Plasmarenin zu renaler Aldosteronaussehoiduiig<br />

(Anstieg des Quotienten bei St<strong>ö</strong>rung der Aldoste<br />

ronsynthese). In Zweifelsfällen kann das Renin-Mldosteron-Verhältnis<br />

nach Suppression der ACTU-stimulierten<br />

DeoxycorÖcosteronprodukJion durch Zufuhr<br />

von Glukokortikoiden gemessen werden.<br />

6.2 Nebennierenrindenüberfunktion<br />

Bei einer Überfunktion der NNR werden in der Regel<br />

nur einzelne Hormongruppen (Glukokortikoide, Mine<br />

ralokortikoide oder Sexualhormone) vermehrt ausge<br />

schüttet. Bei hoher Produktion von Glukokortikoiden<br />

(Cortisol) liegt ein Cushing-Syndrom vor, bei überh<strong>ö</strong>h<br />

ter Aldosteronsekretion ein Hyperaldosteronismus.<br />

Ursache einer vermehrten Androgenproduktion der<br />

NNR ist in der Regel ein AGS (s.o.). Eine pathologisch<br />

erh<strong>ö</strong>hte Östrogensekretion durch endokrin aktive<br />

NNR-Ttimoren ist sehr selten.<br />

6.2.1 Cushing-Syndrom<br />

Pathogenese: Die exzessive Cortisolsekretion der NNR<br />

beim endogenen Cushing-Syndrom wird meist durch<br />

ein Überangebot von adrenokortikotropem Hormon<br />

induziert. Beim eigentlichen Morbus (lushing (zentra<br />

les Cushing-Syndrom) sezerniert die Adenohypophyse<br />

zu viel ACTH. Als Ursache sind meist Hypophysen<br />

adenome nachzuweisen. Quelle ektopen ACTH-Überschusses<br />

bzw. ACTH-älinlicher Peptide k<strong>ö</strong>nnen auch<br />

endokrin aktive Malignome sein (paraneoplastisches<br />

Cushing-Syndrom bei z.B. kleinzelligem Bronchialkarzinom).<br />

Beim peripheren Cushing-Syndrom sind<br />

NNR-Tumoren (meist Adenome) für die Cortisolüber<br />

produktion verantwortlich. Iatrogener Gushing: Häu<br />

figste Ursache des Cushing-Syndroms ist eine hochdosierte,<br />

langdauernde Glukokortikoidtherapie, z.B.<br />

bei rheumatischen oder renalen Erkrankungen.<br />

Klinik: Beim Cushing-Syndrom entwickelt sich eine<br />

Stammfettsucht mit Vollmondgesicht und Stiernacken,<br />

während die Extremitäten aufgrund einer Atrophie der<br />

Muskulatur und des Unterhautgewebes überschlank<br />

erscheinen. Die Haut ist dünn bis atrophisch, gedunsen<br />

und ger<strong>ö</strong>tet. Die androgenen Effekte von Cortisolmetaboliten<br />

führen bei Frauen zu Verniännlichung der<br />

Behaarung (Hirsiitisnius) und über eine Hemmung der<br />

Gonadotropinsekretion der Hypophyse zu Hypogona<br />

dismus und Amenorrh<strong>ö</strong>. Infolge Überaktivierung der<br />

Talgdrüsen kommt es zu Akne. St<strong>ö</strong>rungen im Blutge<br />

rinnungssystem verursachen spontane Hautblutungen<br />

von flohstichartigcn Petechien bis zu flächigen Ekchymosen.<br />

Typisch sind breite, rotviolette Striae, vor allem<br />

im Unterbauch- und Schenkelbereich.<br />

Die Stimulation der Gluconeogenese durch den Corti<br />

solüberschuß beim Cushing-Syndrom reduziert die<br />

Glucosetoleranz. Bei entsprechender Prädisposition<br />

(ca. 15% der Patienten) kann sich ein manifester<br />

Diabetes mellitus mit entsprechender Symptomatik<br />

(Polyurie. Durst und Juckreiz) entwickeln.


106 Endokrines System<br />

St<strong>ö</strong>rungen bei Cushing-Syndrom<br />

Katabole Fffekte<br />

Wasser- und<br />

Elektrolythaushalt<br />

Kohlenhydrathaushalt<br />

Lipidliaushalt<br />

Blut<br />

Kreislauf<br />

Nervensystem<br />

Sexualfunklion<br />

Abwehr<br />

Muskelalroplüe<br />

Hautveränderungen<br />

Osteopenie<br />

Hyperkal/.urie, Osteoporose,<br />

Hypokaliämie, Alkalose, Tetanieneigung,<br />

Na+-Retention, Ödeme<br />

Verminderte Glucosetolcranz<br />

Hyperglykämie, Glucosurie<br />

Stammfettsucht<br />

Hypercholesterinämie<br />

1 Iypertriglyzeridämie<br />

Polyglobulie,<br />

Neutrophilie,<br />

Lymphopenic, Eosinopenie,<br />

hämorrhagische Diathese<br />

Hypervolämie, Hypertonie<br />

Parästhesien, Paresen,<br />

Adynamic,<br />

endokrines Psychosyndrom<br />

Hypogonadismus<br />

Menstruationsanomalien<br />

Virilisierung<br />

Immunsuppression,<br />

verz<strong>ö</strong>gerte Wundheilung<br />

Die Sensibilisierung der glatten Gefäßmuskulatur<br />

gegenüber der vasokonstriktorischen Sympathikus<br />

wirkung durch Glukokortikoide führt zu einer Erh<strong>ö</strong><br />

hung des Kreislaufwiderstands mit (meist nur mäßi<br />

gem) Anstieg des arteriellen Blutdrucks. Zur Hyper<br />

tonieausl<strong>ö</strong>sung trägt eine Zunahme des extrazellulä<br />

ren Volumens durch Hemmung der renalen Nalriumexkretion<br />

bei, die daneben u.a. zu Ödembildung, typi<br />

scherweise in der Kn<strong>ö</strong>chelregion, führt.<br />

Der Cortisolüberschuß behindert die enterale Kalzium<br />

absorption und steigert die renale Kalziumelimination.<br />

Durch die St<strong>ö</strong>rung der Kalziumbilanz kommt es zur<br />

Überaktivierung der Beischilddrüsen (sekundärer<br />

Hyperparathyreoidismus). Die Hemmung der Osteoblastenfunktion<br />

durch Cortisol führt zusammen mit<br />

der Osteoklastenaktivierung durch die erh<strong>ö</strong>hte Parathormonkonzentration<br />

zu Knochenabbau (Osteopenie).<br />

Bei h<strong>ö</strong>hergradigem Substanzverlust vor allem der Tra<br />

bekeln des Knochens treten Spontanfrakturen, insbe<br />

sondere der Wirbelk<strong>ö</strong>rper, auf (Osteoporose). Klinisch<br />

weisen Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in den<br />

Rippenbogen auf osteoporotische Veränderungen hin.<br />

Die gesteigerte renale Kalziumausscheidung prädis<br />

poniert zu Nephrolithiasis.<br />

Psychische und neurologische St<strong>ö</strong>rungen: Die Patien<br />

ten klagen über leichte Ermüdbarkeit bis hin zu Ady<br />

namic. Bei voll ausgeprägtem Cushing-Syndrom treten<br />

St<strong>ö</strong>rungen von Stimmung und Antrieb (Apathie oder<br />

auch erh<strong>ö</strong>hte Erregbarkeit) bis zu psychotischer Sym<br />

ptomatik auf. Neben diesen Pers<strong>ö</strong>nlichkeitsverände<br />

rungen werden auch Defekte der Gedächtnisleistung<br />

beobachtet (Amnesien).<br />

Die Leistungsfähigkeit des Immunsystems und die<br />

Regenerationsfähigkeit geschädigter Gewebe sind<br />

beim Cushing-Syndrom vermindert. Dies wirkt sich in<br />

St<strong>ö</strong>rungen der Wundheilung und erh<strong>ö</strong>hter Infektanfäl<br />

ligkeit aus.<br />

Diagnose: Bei Verdacht auf ein endogenes Cushing-<br />

Syndrom sollte zunächst die Funktion der hypothalamisch-hypophysär-adrenalen<br />

Achse geprüft werden.<br />

Beim Cushing-Syndrom ist die zirkadiane Schwankung<br />

der Cortisolsekretion in der Regel aufgehoben, und die<br />

renale Ausscheidung von Cortisolmetaboliten (17-<br />

Hydroxysteroide) ist erh<strong>ö</strong>ht. Entscheidend für die Dia<br />

gnose ist der Nachweis, daß sich die Cortisolsekretion<br />

nicht durch Gabe von 0,5 bis 1 mg des synthetischen<br />

Glukokortikoids Dexamethason supprimieren läßt<br />

(Dexamethason-Hemmtest). Bei zentralem Cushing-<br />

Syndrom (Morbus Cushing) lassen sich die Mikroadenome<br />

der Adenohypophyse, die ACTH im Über<br />

schuß produzieren, meist noch etwas durch Glukokor<br />

tikoide hemmen (teilweise erhaltene negative Rück<br />

kopplung im hypophysär-adrenalen Regelkreis). Daher<br />

kann die überaktivierte Cortisolproduktion supprimiert<br />

werden, wenn man die Dexamethasondosis auf<br />

2 mg erh<strong>ö</strong>ht. Gelingt dies nicht, ist eine periphere<br />

Ursache anzunehmen. In diesem Fall weist ein ernied<br />

rigter ACTII-Spiegel auf einen cortisolsezernierenden<br />

Tumor der NNR mit Suppression der Adenohypophyse<br />

durch autonome Cortisolüberproduktion hin. Bei<br />

erh<strong>ö</strong>htem ACTH-Spiegel liegt wahrscheinlich ein ektopes<br />

ACTH-Syndrom mit Sekretion von ACTH oder CRH<br />

durch einen malignen Tumor vor. Einen wesentlichen<br />

Stellenwert in der Diagnostik haben daneben bildge<br />

bende Verfahren (Sonographie und CT zur Differen<br />

tialdiagnose von NNR-Tumoren und ggf. zum Nach<br />

weis von Hypophysenadenomen).<br />

6.2.2 Hyperaldosteronismus<br />

Der primäre Hyperaldosteronismus kann durch ein<br />

hormonproduzierendes Adenom der Nebenniere<br />

(Conn-Syndrom), in seltenen Fällen auch durch ein<br />

endokrin aktives NNR-Karzinom ausgel<strong>ö</strong>st werden.<br />

Daneben gibt es den idiopathischen Hyperaldostero<br />

nismus, bei dem morphologisch häufig eine Hyperpla<br />

sie der aldosteronproduzierenden Zona glomerulosa<br />

der Nebennieren zu finden ist. Eine sehr seltene<br />

Sonderform ist der sog. glukokortikoidsensible Hy<br />

peraldosteronismus, bei dem die Nebenniere unter<br />

dem Einfluß von ACTH ständig (und nicht wie normal<br />

nur vorübergehend) vermehrt Aldosteron sezerniert.<br />

Die Bezeichnung »glukokortikoidsensibel« ist von dem<br />

Befund abgeleitet, daß sich die Aldosteronproduktion<br />

nach Gabe von Dexamethason (und entsprechender<br />

Suppression der ACTII-Sckretion der Hypophyse) nor<br />

malisiert.


I. Erkrankungen der Nebenniere 107<br />

Beim sekundären Hyperaldosteronismus wird die<br />

Aldosteronsekretion durch Überaktivität des Renin-<br />

Angiotensin-Systems gesteigert. Typische Ursache der<br />

Hyperreninämie ist die Hypovolämie, wie sie z. B. beim<br />

nephrotischen Syndrom und bei Leberzirrhose als<br />

Folge der Hypalbuminämie vorkommt. Außerdem<br />

nimmt die Reninproduktion der Niere bei Schädigung<br />

des Gewebes durch maligne, rasch progrediente<br />

Hypertonie zu.<br />

Klinik: Die führenden Symptome des Hyperaldostero<br />

nismus gehen auf die St<strong>ö</strong>rungen des Wasser- und<br />

Elektrolythaushalts zurück. Durch Natrium- und Flüssigkeitsretention<br />

kommt es zu Hypervolämie, und es<br />

entwickelt sich eine arterielle Hypertonie, die sich u.a.<br />

durch Kopfschmerzen und Sehst<strong>ö</strong>rungen bemerkbar<br />

macht. Die gesteigerte renale Ausscheidung von K+<br />

führt zu Hypokaliämie und damit zu kardialen Erregungsbildungsst<strong>ö</strong>rungen,<br />

zu Adynamie und renaler<br />

Konzentrierschwäche (hypokaliämiebedingte ADII-<br />

Refraktärität). Anamnestisch werden Müdigkeit, Par<br />

ästhesien und passagere Paresen, Polyurie, Nykturie<br />

und Durst angegeben. Die durch ebenfalls erh<strong>ö</strong>hte<br />

H+-Ausscheidung bedingte nichtrespiratorische Alka<br />

lose vermindert den ionisierten Anteil des Plasmakal<br />

ziums und prädisponiert so zu tetaniformen Sym<br />

ptomen (positives Chvostek- und Trousseau-Zeichen).<br />

Die Symptome des primären Hyperaldosteronismus<br />

sind Resultat des Mincralhaushalts (Na+-Retention bei<br />

vermehrter K+-Ausscheidung). Die Salz- und Wasser<br />

überladung führt zu arterieller Hypertonie (Kopf<br />

schmerzen, Retinopathie, Herzhypertrophie), die<br />

Hypokaliämie zu Funktionsst<strong>ö</strong>rungen der Niere (Poly<br />

urie bei Hyposthenurie, Proteinurie) und der erregba<br />

ren Systeme (EKG-Veränderungen, Parästhesien und<br />

Paresen, Adynamie und Muskelschmerzen).<br />

Ein Verdacht auf primären Hyperaldosteronismus<br />

kann durch den Nachweis einer trotz Hypokaliämie<br />

hohen renalen Kaliumausscheidung erhärtet werden.<br />

Diagnostisch entscheidend ist der Nachweis eines<br />

hohen Plasmaspiegels von Aldosteron und einer hohen<br />

renalen Exkretion von Aldosteronmetaboliten (Glucu<br />

ronid) bei niedriger Kalium-, Renin- und ACTII-Kon<br />

zentration im Plasma. In Zweifelsfällen kann geprüft<br />

werden, ob die Aldosteronsekretion durch Natriumzufuhr<br />

(200 mmol oral oder parenteral) supprimiert wer<br />

den kann. Zur Differenzierung zwischen Conn-Syndrom<br />

(aldosteronproduzierendes NNR-Adenom) und<br />

idiopathischem Hyperaldosteronismus kann die meist<br />

unterschiedliche Stimulierbarkeit der Aldosteron<br />

sekretion herangezogen werden. Eine Aktivierung des<br />

Renin-Angiotensin-Systems (orthostatische Belastung,<br />

Infusion von Angiotensin II) führt beim Conn-Syndrom<br />

häufig zu einer Verminderung, beim idiopathischen<br />

Hyperaldosteronismus dagegen zu einem Anstieg der<br />

Plasma-Aldosteronkonzentration. Wesentliche Bedeu<br />

tung in der Differentialdiagnose kommt den bildgebenden<br />

Verfahren zu. Gr<strong>ö</strong>ßere Adenome k<strong>ö</strong>nnen sonogra<br />

phisch, kleinere mit dem CT nachgewiesen werden.<br />

Abb. 1-10: Cushing-Syndrom bei kompakt/eiligem Nebennierenrindenadenom.<br />

Der Tumor bestellt aus Zellen mit<br />

einem azidophilen, nichtvakuolisierten Zytoplasma. HE-Fbg.<br />

II<br />

0<br />

w^^^^^^^^^^^^^^B|^H<br />

v ^>BH<br />

^p" % >Jv j<br />

B'i;


108 Endokrines System<br />

Ergänzend kann eine Szintigraphie mit Cholesterinderivaten<br />

und die getrennte Sammlung von Blut aus<br />

den ableitenden Venen mit Analyse der Aldosteronspiegel<br />

(Nachweis einseitiger Aldosteronüberproduktion)<br />

herangezogen werden.<br />

Beim sekundären Hyperaldosteronismus ist die<br />

basale Reninkonzentration im Plasma (gemessen am<br />

liegenden, normal mit Natrium versorgten Patienten)<br />

im Unterschied zur primären Form nicht supprimiert,<br />

sondern übernormal hoch.<br />

6.3 Funktionsst<strong>ö</strong>rungen<br />

des Nebennierenmarks<br />

6.3.1 Nebennierenmarkhypofunktion<br />

Ein isolierter Ausfall des Nebennierenmarks hat, auch<br />

wenn er bilateral erfolgt, keine klinischen Konsequen<br />

zen. Wichtig wird eine Ilypofunktion des Nebennie<br />

renmarks nur im Kontext mit einer allgemeinen Insuf<br />

fizienz des sympathoadrenalen Systems. Bei wahr<br />

scheinlich primär im Hypothalamus lokalisierter In<br />

suffizienz der Aktivierung des sympathoadrenalen<br />

Systems, dem Shy-Drager-Syndrom (primäre auto<br />

nome Insuffizienz), k<strong>ö</strong>nnen weder Noradrenalin noch<br />

Adrenalin in Reaktion auf Bluldruckabfall oder auf<br />

Hypoglykämie freigesetzt werden. Hauptsymptom die<br />

ser Erkrankung ist die orthostatische Dysregulation.<br />

6.3.2 Nebennierenmarkhyperfunktion<br />

Eine inadäquat hohe Produktion an Katecholaminen<br />

geht von endokrin aktiven Tumoren des Nebennieren<br />

marks (Phäochromozytome) oder (seltener) der sym<br />

pathischen Paraganglien hauptsächlich des Bauch<br />

raums aus. Die Symptomatik wird durch die verstärkte<br />

Wirkung der sympathischen Überlrägerstoffe be<br />

stimmt. Paroxysmale oder andauernde arterielle<br />

Hypertonie (Kopfschmerzen) ist von Überaktivierung<br />

des Herzens (Herzklopfen, Tachykardie) begleitet. Es<br />

kommt zu Stoffwechselsteigerung (Hitzeintoleranz),<br />

Hyperglykämie (Glucosurie) und vermehrter Lipolyse<br />

(Gewichtsverlust). Die Patienten schwitzen stark.<br />

Durch zentralnerv<strong>ö</strong>se Wirkung werden Angst, Beklem<br />

mungsgefühle und Übelkeit ausgel<strong>ö</strong>st. Häufig tritt ein<br />

Tremor der Hände auf. Die Hemmung der intestinalen<br />

Motorik führt zu Obstipation.<br />

Wenn die Symptomatik bei Patienten mit paroxysmaler<br />

oder auch persistierender Hypertonie ein Phäochro<br />

mozytom vermuten läßt, wird die Diagnose durch<br />

Nachweis der erh<strong>ö</strong>hten Ausscheidung von Katechol<br />

aminen oder ihrer Metaboliten (Vanillinmandelsäure)<br />

im Urin gesichert. Bei grenzwertig erh<strong>ö</strong>hten Katechol<br />

aminen in Plasma und Urin kann der Clonidin-Suppressionstest<br />

zur Differenzierung gegenüber essentiel<br />

ler Hypertension dienen. Infolge eines Phäochromo<br />

zytoms erh<strong>ö</strong>hte Katecholaminspiegel lassen sich nicht<br />

wie bei essentieller Hypertonie durch das zentral<br />

den Sympathikus hemmende Clonidin supprimieren.<br />

Wenn laborchemisch die Diagnose eines Phäochromo<br />

zytoms gestellt wird, schließt sich die Eokalisationsdiagnostik<br />

mit bildgebenden Verfahren (Sonographie, CT,<br />

NMR, Szintigraphie) an.


J. Erkrankungen des endokrinen Pankreas 109<br />

J. Erkrankungen des endokrinen Pankreas<br />

1 Diabetes mellitus<br />

Ein Diabetes mellitus liegt vor, wenn der Betriebsstoff-<br />

Wechsel infolge unzureichender Insulinproduktion der<br />

Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse entgleist.<br />

Nach ätiologischen Gesichtspunkten unterscheidet<br />

man folgende Krankheitsformeii:<br />

■ Primärer Diabetes mellitus<br />

Typ-I-Diabetes (juveniler oder insulinabhängiger<br />

Diabetes) mit absolutem Insuliiimangel bei Auto<br />

immundestruktion der B-Zellen<br />

Typ-II-Diabetes (sog. nichtinsiilinabliäiigiger Dia<br />

betes vom adulten Typ) ohne (Typ IIa) oder mit<br />

Adipositas (Typ IIb)<br />

■ Sekundärer Diabetes mellitus<br />

Insulinmangeldiabetes bei Zerst<strong>ö</strong>rung von mehr als<br />

90% der B-Zellen der Langerhans-Inseln durch<br />

Tumoren, Entzündungen (nekrotisierende Pankrea<br />

titis), Stoffwechselerkrankungen (I Iämoch romatose,<br />

Mukoviszidose) oder nach Teilpankrcatektomie<br />

Endokrin bedingter Diabetes {/.. B. bei Akromegalie<br />

oder Cushing-Syndrom)<br />

Ma ngelernähru ngsdiabeles.<br />

In der von der WHO vorgeschlagenen Klassifikation ist<br />

anstelle der ätiologisch begründeten Unterscheidung<br />

nach den Typen I und II die Unterteilung nach dem<br />

Kriterium Insulinabhängigkeit in Insulin-dependent<br />

diabetes mellitus (IDDM) und Non-insulin-dependent<br />

diabetes mellitus (NIDDM) eingeführt worden.<br />

1.1 Diabetes Typ I<br />

Die Einreihung des juvenilen insulinabhängigen Dia<br />

betes mellitus (Typ I) unter die Autoimmiinkrankheiten<br />

stützt sich auf den Nachweis des (zumindest<br />

vorübergehenden) Auftretens von Autoantik<strong>ö</strong>rpern<br />

gegen zytoplasmatische Insolzellantigene und in man<br />

chen Fällen gegen Insulin, Proinsulin oder Insulinrezeptorprotein.<br />

Daneben werden immunpräzipilierende<br />

Autoantik<strong>ö</strong>rper gegen ein Membranprotein der<br />

Inselzellen gefunden. Die Prädisposition zur autoim<br />

munen Zerst<strong>ö</strong>rung des Inselgewebes ist angeboren. Die<br />

entsprechenden Gene sind mit den Genen für Trans<br />

plantationsantigene (HLA) gekoppelt. Bei über 80% der<br />

Typ-I-Diabetiker finden sich die (allerdings bei 50%<br />

der Bev<strong>ö</strong>lkerung vorkommenden) HLA-Typen DR3<br />

und/oder DR4. Das allgemeine Risiko, im Laufe des<br />

Lebens an einem Typ-I-Diabetes zu erkranken, liegt<br />

bei 0,3 bis 0,6%. Hat ein Elternteil Typ-I-Diabetes,<br />

steigt das Erkrankungsrisiko auf 5%, bei Typ-I-Diabe<br />

tes beider Eltern auf über 20%.<br />

Bei bestehender Prädisposition wird die zur Inselzell<br />

zerst<strong>ö</strong>rung führende Autoimmunreaktion durch Ein<br />

wirkung eines noch unbekannten Ausl<strong>ö</strong>sers, m<strong>ö</strong>g<br />

licherweise einer Virusinfektion, gestartet. Die Inzidenz<br />

des Typ-I-Diabetes ist in vielen Ländern in den<br />

letzten zwanzig Jahren etwa auf das Dreifache gestie<br />

gen. Ein derartiger Anstieg kann nicht auf eine gestie<br />

gene Prävalenz der genetischen Prädisposition zurück<br />

geführt werden, so daß ein häufiges Auftreten eines<br />

exogenen Ausl<strong>ö</strong>sers für die Aiitoimmiinreaktion ange<br />

nommen werden muß. Beim Einsetzen der Erkran<br />

kung läßt sich eine lymphozytäre Infiltration (vor allem<br />

durch zytotoxische T-Zellen) und Zerst<strong>ö</strong>rung des Insel<br />

gewebes nachweisen. Die präklinische Phase des Typ-<br />

I-Diabetes, in der die fortschreitende Zerst<strong>ö</strong>rung der<br />

Langerhans-Inseln noch kompensiert wird, kann<br />

einige Jahre dauern. Zu Beginn der klinischen Phase<br />

kann es zu Remissionen mit vorübergehender Stiffizienz<br />

der Insulinsckretion kommen.<br />

1.2 Diabetes Typ II<br />

Beim klinisch manifesten Typ-II-Diabetes (nichtinsulinabhängiger<br />

Diabetes vom adulten Typ) wird die<br />

Stoffwechselst<strong>ö</strong>rung von Insulinresistenz (verringerte<br />

Effektivität der intrazellulären Signalübertragung<br />

nach Bindung des Insulins an Membranrezeptoren) vor<br />

allem der Skelettmuskulatur und des Fettgewebes und<br />

von inadäquater Insulinsekretion geprägt. Trotz eines<br />

zur Kompensation der verminderten Insulinempfindlichkeit<br />

erh<strong>ö</strong>hten Nüchterninsulinspiegels besteht eine<br />

Hyperglykämie. Postprandial steigt die Insulinsekre<br />

tion langsamer und schwächer als normal an (»Sekre<br />

tionsstarre« nach Pfeiffer).<br />

Der Typ-Il-Diabetes ist über zehnmal häufiger als der<br />

vom Typ I (kumulative Inzidenz 6 bis 10% der Bev<strong>ö</strong>lke<br />

rung bei Hochrechnung bis zum 80. Lebensjahr). Das<br />

Auftreten von Typ-II-Diabetes ist noch stärker als das<br />

von Typ-I-Diabetes von einer genetischen Prädisposi<br />

tion abhängig. Geschwister oder Kinder von Patienten<br />

mit Typ-II-Diabetes haben ein Risiko von 30 bis 40%,<br />

bis zum 80. Lebensjahr an Diabetes zu erkranken. Die<br />

Erbanlage ist im Unterschied zum Typ-I-Diabetes nicht<br />

mit bestimmten HLA-Typen assoziiert.<br />

Ob die Entwicklung des Typ-II-Diatetes von einer<br />

primären Insulinresistenz oder einer initialen Insulin<br />

sekretionsschwäche ausgeht, ist noch unklar. Dieses<br />

Problem ist infolge der wechselseitigen Abhängigkeit<br />

der St<strong>ö</strong>rungen schwierig zu l<strong>ö</strong>sen. Insulinresistenz<br />

führt zu Überlastung und Insuffizienz der B-Zellen der<br />

Langerhans-Inseln, und andererseits begünstigt in<br />

adäquate Insulinsckretion die Ausbildung von Insulin<br />

resistenz. Zudem variiert die Insulinempfindlichkeit<br />

der Gewebe, z. B. der für die Hom<strong>ö</strong>ostase des Glucose-


110 Endokrines System<br />

Stoffwechsels besonders wichtigen Skelettmuskulatur,<br />

interindividuell erheblich. Eine Insulinresistenz findet<br />

sich zunehmend im Verlauf der Alterung, bei Adipositas,<br />

bei primärer arterieller Hypertonie, bei Schwan<br />

gerschaft und unter dem Einfluß erh<strong>ö</strong>hter Konzentra<br />

tionen von Glukokortikoiden, Somatotropin, Thyroxin<br />

und Adrenalin. Die Abnahme der Insulinempfindlich<br />

keit unter diesen Bedingungen führt nicht zwangsläu<br />

fig zur Entwicklung eines Typ-II-Diabetes, begünstigt<br />

aber bei entsprechender genetischer Prädisposition<br />

seine Manifestation.<br />

••*!<br />

A1<br />

TfM<br />

3<strong>ö</strong>><br />

1.3 Sekundärer Diabetes mellitus<br />

Unter Berücksichtigung der kausalen Pathogenese<br />

unterscheidet man folgende sekundäre Diabetes<br />

formen:<br />

Abb. J-l: Chronische InsulitiS bei Diabetes mellitus. HE-Fbg.<br />

1.3.1 Mangelemährungsdiabetes<br />

Unter den sekundären Diabetesformen ist der Mangel<br />

ernährungsdiabetes eine in subtropischen und tropi<br />

schen Entwicklungsländern bei Patienten im jugend<br />

lichen Alter auftretende Stoffwcchselst<strong>ö</strong>rung, die nach<br />

der WHO-Einteilung von 1985 auf Proteinmangel<br />

ernährung beruhen kann {Proteinmangeldiabetes)<br />

oder als fibrokatkulärer Diabetes mellitus klassifiziert<br />

wird. Bei der letzteren Form wird ätiologisch neben<br />

Umweltfaktoren auch eine genetische Prädisposition<br />

diskutiert.<br />

« '<br />

1.3.2 Endokrin bedingter Diabetes<br />

Mehrere Endokrinopathien gehen mit einem milden<br />

bis starken Diabetes mellitus einher (z. B. Akromega<br />

lie, Cushing-Syndrom, Glukagonom u. a.).<br />

Abb.J-2: Inselamyloidose bei Diabetes mellitus. HE-Fbg.<br />

1.3.3 Diabetes nach Zerst<strong>ö</strong>rung von Pankreasgewebe<br />

1.3.3.1 Inselzerst<strong>ö</strong>rung durch Pankreatitis und/oder<br />

Fibrose: Bei etwa 5% der Fälle von akuter Pankreatitis<br />

entwickelt sich ein sog. pankreatischer Diabetes. Man<br />

nimmt an, daß mindestens 95% des Pankreasparenchyms<br />

zerst<strong>ö</strong>rt sein müssen. Dies trifft auch für eine<br />

chirurgische Pankrcasteilresektion zu. Bei den meisten<br />

Patienten entwickelt sich ein milder Diabetes mellitus.<br />

Bei einer chronisch rezidivierenden Pankreatitis<br />

kommt es zu dieser Komplikation in 50% der Fälle.<br />

1.3.3.2 Hämochromatose: Bis zu 80% der Hämochromatosen<br />

gehen mit einem Diabetes mellitus einher.<br />

Dabei kommt es zu ausgedehnten Eisenablagerungen,<br />

die zu einer Inselfibrose und -atrophic führen.<br />

1.3.3.3 Zystische Pankreasfibrose: Bei einer Muko<br />

viszidose findet man häufig zwischen stark veränder<br />

tem exokrinem Pankreasgewebe noch erhaltene Pankreasinseln.<br />

Trotzdem wird bei diesem Patientenkol-<br />

•*<br />

.: . -<br />

• - ■


J. Erkrankungen des endokrinen Pankreas 111<br />

Iektiv ein Diabetes mellitus 20mal häufiger diagnosti<br />

ziert.<br />

im Gewebe<br />

k<strong>ö</strong>nnen.<br />

nicht rasch genug abgebaut werden<br />

1.3.3.4 Exokrines Pankreaskarzinom: Bei sehr aus<br />

gedehnter karzinomat<strong>ö</strong>ser Durchsetzung des Pankreas<br />

und Verlegung der Ausführungsgänge kommt es zu<br />

einem Diabetes mellitus.<br />

Pathologie: Zu den wichtigsten morphologisch nach<br />

weisbaren Insolveränderungen bei Diabetes mellitus<br />

zählen:<br />

- Inselamyloidose (früher Inselhyalinisieriiiig). Das<br />

endokrine Amyloid (kommt auch in somatotropic<br />

Hypophysenadenomen und in C-Zellon-Karzinomen<br />

der Schilddrüse vor) unterscheidet sich in seiner<br />

chemischen Zusammensetzung von dem üblichen<br />

Amyloid, das bei primärer, sekundärer und solitärer<br />

Amyloidose beobachtet wird. Auch vom vaskulären<br />

Hyalin ist es abzugrenzen. Eine Inselamyloidose<br />

kommt bei 80% der über 50 Jahre alten Patienten<br />

mit einem Diabetes mellitus vor und ist gegenüber<br />

einem stoffwechselgesunden Vergleichskollektiv<br />

fünfmal häufiger. Elektronenmikroskopisch findet<br />

man bei 100% der Diabetiker nach lOjährigem<br />

Krankheitsverlauf entsprechende Veränderungen.<br />

- Inselfibrose. Es handelt sich um einen unspezifischen<br />

Befund, der im Rahmen einer allgemeinen<br />

Pankreasfibrose (z. B. bei chronischer Pankreatitis<br />

oder nach langdauerndem Alkoholabusus) auftritt.<br />

Eine Inselfibrose kann aber auch Folge einer Insiilitis<br />

ein.<br />

- Insulitis. Morphologisch ist das Krankheitsbild<br />

durch eine leukozytäre Infiltration gekennzeichnet.<br />

Bei einer chronischen Insulitis findet man reichlich<br />

Lymphozyten. Eine Begleitinsulitis ist auch bei<br />

einigen Viruserkrankungen (Mumps) festgestellt<br />

worden.<br />

Weitere Organveränderungen bei Diabetes mellitus<br />

gehen aus dem Schema (S. 112) hervor.<br />

Pathophysiologic und Klinik: Bei inadäquater Versor<br />

gung mit Insulin ist die Aufnahme von Glucose in die<br />

Zellen der Skelettmuskulatur und des Fettgewebes<br />

infolge unzureichender Anregung des insulinabhängi<br />

gen Glucosetransportsystems reduziert. In die Leber<br />

zellen kann der Traubenzucker ungehindert gelangen,<br />

dort aber wegen Ausbleibens der insulinvermittelten<br />

Induktion der Glucokinase nicht rasch genug verstoffwechselt<br />

werden. Trotz fehlenden Bedarfs bildet die<br />

Leber Glucose in großen Mengen (durch Glykogenabbau<br />

und gesteigerte Gluconeogenese aus Aminosäu<br />

ren) und gibt sie ans Blut ab. Die Lipogenese aus<br />

Glucose in der Fettzelle ist verlangsamt, die Lipolyse<br />

mit Abgabe von freien Fettsäuren Ins Blut dagegen<br />

enthemmt. Aus dem Überangebot langkettiger freier<br />

Fettsäuren entstehen in der Leber Ketonk<strong>ö</strong>rper (Acetessigsäure,<br />

ß-Hydroxybuttersäure und Aceton), die<br />

nach Abgabe ins Blut den K<strong>ö</strong>rper übersäuern. weil sie<br />

Hyperglykämie und Ketoazidose sind Ausl<strong>ö</strong>ser der<br />

Akutsymptomatik des Diabetes mellitus. Ein Anstieg<br />

des Blutzuckers von normal etwa 5 mmol/1 (90 mg/dl)<br />

auf das Doppelte und darüber führt zu einer Zunahme<br />

der Osmolalität des Extrazellulärraums. Das entste<br />

hende Gefalle im osmotischen Druck entzieht dem<br />

Intrazellulärraum Wasser (hypertone Dehydratation).<br />

Die hohe Glucosekoii/.eiitration im Plasma und damit<br />

auch im Primärharn überfordert die Reabsorptionskapazität<br />

der Niere. Es kommt zu Glucosurie und, da die<br />

hohe Glucosekonzentration in den Nierenkanälchen<br />

die Wasserreabsorption im proximalen Nierentubulus<br />

behindert, zur Polyurie (osmotische Diurese). Bei<br />

h<strong>ö</strong>hergradiger Ketoazidose (die allerdings bei älteren<br />

Menschen auch fehlen kann) fallen die kompensato<br />

risch vertiefte Kiissmaiil-Atmuiig und der Acetongeruch<br />

der Atemluft auf. Das Wasserdefizit wird durch<br />

vermehrte Wasserdampfabgabe infolge erh<strong>ö</strong>hter Ven<br />

tilation und durch Wassersequestration im atonischen<br />

Verdauungstrakt weiter gesteigert. Wenn die hyper<br />

tone Dehydratation ein gr<strong>ö</strong>ßeres Ausmaß erreicht,<br />

kann eine Beeinträchtigung der Funktion des Zentral<br />

nervensystems zum hyperosmolaren Koma führen.<br />

Bei mehr oder weniger starker Bewußtseinstrübung<br />

stehen dabei die Symptome der Dehydratation im<br />

Vordergrund (Tachykardie und Blutdruckabfall, ver<br />

minderter Augeninnendruck, trockene, rote Haut).<br />

Die renale Ausscheidung von Ketonk<strong>ö</strong>rpern ist u. a. mit<br />

einem Verlust an Na' und K1 verbunden. Trotz der<br />

Abnahme im Natrium- und Kaliumbestand bleiben die<br />

Plasmakonzentrationen dieser Ionen im oberen Normalbereich,<br />

denn die gleichzeitige Dehydratation mas<br />

kiert die Elektrolytverluste.<br />

Charakteristische Symptome eines chronisch erh<strong>ö</strong>h<br />

ten BIut-Glucosespiegels sind Polyurie und entspre<br />

chende Polydipsie. Als unspezifische Hinweise k<strong>ö</strong>nnen<br />

Gewichtsverlust, Konzentrationsschwäche und Müdig<br />

keit eingestuft werden. Bei längerdauernder, auch<br />

mäßiggradiger Hyperglykämie werden die Gewebe<br />

durch das Glucoseüberangcbot geschädigt. Dies<br />

beruht auf<br />

— DJchtenzymatischer Glykosylierung von Proteinen<br />

(kovalente Glucoseanlagerung an Aminogruppen),<br />

die zunächst reversibel ist und nach Umlagerung<br />

der Bindungen irreversibel wird. Glykosylierung<br />

und die durch sie induzierte Quervernetzung von<br />

Proteinmolekülen führen zu Funktionseinbußen und<br />

ggf. Kompensationsvorgängen (Verdickung von<br />

Basalmembranen, insbesondere In Kapillaren, St<strong>ö</strong><br />

rung der Transportfunktion von Lipoproteinen)<br />

- Aktivierung der niedrigaffinen intrazellulären<br />

Aldosereduktase mit Umsetzung von Glucose zu<br />

Sorbit mit der Folge von osmotischer Zellschwellung<br />

durch Akkumulation von Sorbit und von daraus<br />

mittels Sorbitdeliydrogena.se gebildeter Fructose.<br />

.Als weitere Auswirkung des Anstiegs von Sorbit.


112 Endokrines System<br />

Pathomorphologische Befunde beim Diabetes mellitus<br />

Retinopathie<br />

Sialadenose mit doppel<br />

seitiger Parotisschwellung<br />

Lunge:<br />

rezidivierende und<br />

karnifizierende Pneumonien,<br />

Abszesse, Tuberkulose<br />

Leber:<br />

Hepatosplenomegalie<br />

Leberzellverfettung<br />

Glykogenkerne<br />

Sternzellverfettung<br />

Cholelithiasis<br />

Exokrines Pankreas:<br />

Atrophie, Fibrose,<br />

Liposomatose, Entzündung,<br />

Karzinom, Mukoviszidose<br />

Langerhans-Insel:<br />

Atrophie, Insulitis,<br />

Amyloidose<br />

Hämochromatose<br />

Gefäße<br />

Makroangiopathie:<br />

Arteriosklerose<br />

arterielle Verschlüsse<br />

Extremitätengangrän<br />

Mikroangiopathie:<br />

diabetische Kapillaropathie<br />

Nerven:<br />

periphere diabetische<br />

Neuropathie<br />

Fetopathia diabetica:<br />

Riesenkinder (> 4,5 kg KG)<br />

Inselhyperplasie, Hyperplasie<br />

des Unterhautfettgewebes<br />

Hepatosplenomegalie<br />

Erythroblastenvermehrung<br />

steifes Hirn<strong>ö</strong>dem<br />

Gingivitis<br />

Knochen:<br />

Osteoporose, Arthropathien<br />

gelbes Schädeldach<br />

vertebrale Hyperostosen<br />

Herz:<br />

Hypertonikerherz<br />

Koronarsklerose<br />

Myokardinfarkt<br />

Gastrektasie<br />

Niere:<br />

Glomerulosklerose<br />

Kimmelstiel-Wilson-Syndrom<br />

Tubulusepithelverfettung<br />

Pyelonephritis<br />

Papillenspitzennekrosen<br />

Glykogennephrose<br />

Haut:<br />

Palmarerythem<br />

Entzündungen (Furunkulose)<br />

Mykosen (Candidiasis)<br />

Necrobiosis lipoidica<br />

Xanthoma diabeticum<br />

Todesursachen beim<br />

Diabetes mellitus<br />

60% der Patienten sterben<br />

an den unmittelbaren<br />

Komplikationen<br />

Makro-, Mikroangiopathie (50%):<br />

Hypertonie, Herzinfarkt, arterielle<br />

Verschlußkrankheit, Urämie<br />

Infektionen (15%):<br />

Septikopyämie, Pneumonien,<br />

Mykosen, Tuberkulose<br />

Coma diabeticum (5%)<br />

Andere Todesursachen (30%):<br />

maligne Tumoren<br />

Leberzirrhose, Cholelithiasis<br />

Abb. J-4: Diabetes mellitus. Schematische Darstellung der Organveränderungen.


J. Erkrankungen des endokrinen Pankreas 113<br />

z.T. aber auch unabhängig davon, ist eine Abnahme<br />

der Myoinositolkonzentration, insbesondere in Ner<br />

venzellen, beobachtet worden. Myoinositol ist Vor<br />

läufer der Phosphoinositole der Zellmembran, die<br />

für die Signalübertragung mittels Aktivierung der<br />

Proteinkinase C und Freisetzung von Inositoltrisphosphat<br />

von Bedeutung sind. Fine verminderte<br />

Verfügbarkeit von Myoinositol k<strong>ö</strong>nnte die Steuerung<br />

der Nervenzellfunktion beeinträchtigen.<br />

Bei adip<strong>ö</strong>sen Typ-IIb-Diabetikern, die das gr<strong>ö</strong>ßte<br />

Kontingent der Patienten mit Diabetes mellitus stellen,<br />

wirken sich die zumindest initial erh<strong>ö</strong>hten basalen<br />

Insulinkonzentrationen pathologisch aus. Insulin f<strong>ö</strong>r<br />

dert auf noch nicht bekanntem Weg die renale<br />

Natriumreabsorption, und die dadurch bewirkte<br />

Zunahme des Nalriumbestands geht mit einer Expansion<br />

des extrazellulären Volumens und der Ausbildung<br />

arterieller Hypertonie einher. Durch den Blutdruckan<br />

stieg und durch Insulin selbst wird eine Proliferation<br />

der Wandmuskulatur kleiner Arterien angeregt<br />

(Lumeneinengung bei Wanddickenzunahme mit<br />

Anstieg des peripheren Str<strong>ö</strong>mungswiderstands).<br />

Zudem begünstigt der Bluthochdruck zusammen mit<br />

den Lipidstoffwechselst<strong>ö</strong>rungen die Entwicklung einer<br />

Atherosklerose.<br />

Unter den Komplikationen eines chronischen Dia<br />

betes mellitus stehen die Mikroangiopathie (Retino<br />

pathie, Nephropathie) und die atherosklerotisch oder<br />

in manchen Fällen durch Mediaverkalkung (M<strong>ö</strong>nckeberg-Sklerose)<br />

bedingte Makroangiopathie der gr<strong>ö</strong>ße<br />

ren Arterien von Herz, Gehirn und unterer Extremität<br />

im Vordergrund. Pathologische Gefäßveränderungen<br />

entwickeln sich insbesondere bei gleichzeitigem Beste<br />

hen von arterieller Hypertonie und/oder von Lipidstoff<br />

wechselst<strong>ö</strong>rungen. Nach langem Krankheitsverlauf (20<br />

Jahre) ist bei vier von fünf Diabetikern eine Retino<br />

pathie nachzuweisen, und jeder zweite klagt über Seh<br />

st<strong>ö</strong>rungen, zu denen auch diabetisch bedingte Erkran<br />

kungen des dioptischen Apparats (Linsentrübung,<br />

Glaukom. Bubeosis iridis) beitragen. Die Nephropathie,<br />

deren erstes Anzeichen eine geringgradige Proteinurie<br />

(Mikroalbuminurie) ist, schreitet über zunehmende<br />

Einengung und hyaline Degeneration der Glomeruluskapillaren<br />

(Glomerulosklerose Kimnielstiel-VVilson) bis<br />

zum dialysepflichtigen Nierenversagen fort. Im Verlauf<br />

der Erkrankung ist etwa bei jedem dritten Diabetiker<br />

mit einer an konstanter Proteinurie erkennbaren Nierenschädigung<br />

zu rechnen. Die ischämischen Erkran<br />

kungen der Beine, des Herzens und des Gehirns als<br />

Spätkomplikationen des Diabetes mellitus werden<br />

meist durch eine Kombination von Makro- und Mikro<br />

angiopathie und autonomer Neuropathie ausgel<strong>ö</strong>st.<br />

Die Durchblutungsst<strong>ö</strong>rung der Beine, die im wesentli<br />

chen durch Einengungen gr<strong>ö</strong>ßerer Arterien bedingt ist,<br />

führt in leichteren Fällen zu Funktionseinschränkungen<br />

(Glaudicatio intermittens), in schweren zum<br />

Gewebsuntergang (Nekrosen. Gangrän). Besonders<br />

schwerwiegend ist eine Kombination von Durchblu<br />

tungsst<strong>ö</strong>rung und Neuropathie, bei der im weitgehend<br />

gefühllos gewordenen Bereich von Kn<strong>ö</strong>chel und Fuß<br />

tiefe, häufig infizierte und bis auf den Knochen pene<br />

trierende Ulzera entstehen k<strong>ö</strong>nnen (Malum perlbrans).<br />

Die Erkrankung von Koronar- und Zerebralgefäßen ist<br />

die häufigste lebensgofährdende Komplikation des<br />

Diabetes mellitus. Das Risiko einer ischämischen Hirn<br />

erkrankung oder eines Ilerzinfarkts ist beim Diabeti<br />

ker mehr als doppelt so hoch wie beim Nichtdiabetiker.<br />

Besonders häufig sind Herzinfarkt oder Schlaganfall<br />

bei Diabetikern mit arterieller Hypertonie und mit<br />

Proteinurie (als Zeichen der Nierenschädigung).<br />

Bei etwa jedem zweiten Diabetiker entwickelt sich<br />

innerhalb von 25 Jahren eine periphere Neuropathie<br />

des sensorischen, motorischen und auch des autono<br />

men Nervensystems. Sie kann sich äußern in<br />

- polyneuropathischen Symptomen, insbesondere<br />

der Hände, Füße und Unterschenkel (Verminderung<br />

der Hautsensibilität bis zu kompletter Gefühllosig<br />

keit, trophische St<strong>ö</strong>rungen mit Ulzeration),<br />

- Muskelatrophie (distal an den Akren oder proximal<br />

als diabetische Amyotrophic an der Oberschenkelund<br />

Beckenmuskulatur),<br />

- Funktionsst<strong>ö</strong>rungen der inneren Organe (Gastround<br />

Enteropathie mit Schluckbeschwerden, Erbre<br />

chen, Diarrh<strong>ö</strong> oder Obstipation und Inkontinenz,<br />

Harnblasenentleerungssl<strong>ö</strong>rungen, St<strong>ö</strong>rungen der<br />

Sexualfunktion).<br />

Bei 20% der Diabetiker treten charakteristische Hautveränderungen<br />

auf. Am häufigsten ist die diabetische<br />

Dermopathie (rote Flecken von ca. 1 cm Durchmesser,<br />

in deren Bereich im weiteren Verlauf Atrophie und<br />

Hyperpigmentierung staltfinden). Daneben findet man<br />

lokale Lipideinlagerungen (Xanthomatose) und vor<br />

allem an den Vorderseiten der Unterschenkel große,<br />

lokal atrophische Plaques (Necrobiosis lipoidica). Bei<br />

unzureichend stoffwechselkontrolliertem Diabetes<br />

mellitus besteht erh<strong>ö</strong>hte Infektanfälligkeit mit Auftre<br />

ten von Entzündungen an Haut und Schleimhäuten<br />

(/.. B. Vulvovaginitis).<br />

Diagnose: Der manifeste Diabetes mellitus ist am<br />

zuverlässigsten über die Nüchternhyperglykämie zu<br />

erkennen. Wenn der Blutzuckerspiegel vor dem Früh<br />

stück zweimal über 7,8 mmol/1 (140 mg/dl) und damit<br />

mehr als zwei Standardabweichungen über dem Mit<br />

telwert Gesunder liegt, ist der Patient als zuckerkrank<br />

anzusehen. Ein Nüchternblutzucker unter 7,8 mmol/1<br />

schließt einen Diabetes mellitus jedoch nicht aus.<br />

Zudem muß in Rechnung gestellt werden, daß beim<br />

Typ-I-Diabetes die Fiinktionsfähigkeit des endokrinen<br />

Pankreas schwankt und daß es zu Remissionen mit<br />

zeitweiser Normoglykämie kommen kann.<br />

Eine Beurteilung der Langzeitregulation des Kohlenhydrathaiishalts<br />

ist über eine Messung des Glykosylierungsgrades<br />

von Proteinen m<strong>ö</strong>glich. Die anteilige Kon<br />

zentration des mit Glucose gekoppelten HbAu. stellt bei<br />

normaler Erylhrozytenlebensdauer (ca. 4 Monate) ein<br />

Maß des durchschnittlichen Blut-Glucosespiegels der


114 Endokrines System<br />

letzten 4 bis 8 Wochen dar. Werte über 12% (normal<br />

unter 8%) zeigen eine Dekompensation des Glucosehaushalts<br />

mit schwerer, längerdauernder Hyperglyk<br />

ämie an. Eine Messung des Glykosylierungsgrades der<br />

kurzlebigeren Plasmaproteine (Halbwertszeit für Al<br />

bumin 19 Tage) liefert Information über die Qualität<br />

der Blutzuckerregulation im Mittel der letzten Tage.<br />

Zu sensitiverer Erfassung der Regulationsfälligkeit des<br />

Glucosestoffwechsels kann der Glucosetoleranztest<br />

eingesetzt werden. Aus der Vielfalt der früher einge<br />

setzten Verfahren hat sich die 1980 von der WHO<br />

empfohlene Gabe von 75 g Glucose beim nüchternen<br />

Patienten unter Normalbedingungen (kohlenhydrat<br />

reiche Ernährung an den vorausgehenden Tagen,<br />

keine interkurrente Erkrankung, Rauchverbot, keine<br />

interferierenden Pharmaka) als Standard etabliert.<br />

Wichtigster Parameter ist der 2 Stunden nach der<br />

Glucosebelastung gemessene Glucosespiegel:<br />

- < 7,8 mmol/1 (140 mg/dl)<br />

= normale Glucosetoleranz<br />

- 7,8-11 mol/1 (140-200 mg/dl)<br />

= verminderte Glucosetoleranz<br />

- > 11 mmol/1 (200 mg/dl)<br />

= manifester Diabetes mellitus.<br />

Der Glucosetoleranztest ist ein sensitives, aber relativ<br />

unzuverlässiges diagnostisches Verfahren (schlechte<br />

Reproduzierbarkeit). Eine nach diesem Test als<br />

erniedrigt eingestufte Glucosetoleranz bei noch nor<br />

malem Nüchternblutzuckor sollte deshalb nur als<br />

Anzeichen eines erh<strong>ö</strong>hten Risikos für eine Manifestie<br />

rung eines Diabetes mellitus gewertet werden. Die<br />

Indikation zu eingreifender, über diätetische Empfeh<br />

lungen hinausgehender Therapie sollte erst bei patho<br />

logisch erh<strong>ö</strong>htem Nüchtcrnbltitzucker gestellt werden.<br />

Das Auftreten von Glucosurie (Glucosekonzentration<br />

im Urin über 0,8 mmol/1 bzw. 15 mg/dl) ist diagno<br />

stisch nur bedingt verwertbar. Zu bedenken ist, daß<br />

eine passagere Glucosurie auch bei Gesunden vor<br />

kommt und daß eine Glucosurie bei manifestem Diabe<br />

tes trotz Hyperglykämie fehlt, wenn die Nierenschwclle<br />

für Glucose z. B. infolge verminderter Filtratrate<br />

bei Nephropathie erh<strong>ö</strong>ht ist.<br />

Zur Differentialdiagnose der Unterformen des Diabe<br />

tes mellitus kann die Bestimmung der basalen Insulin<br />

konzentration und der Insulinsekretionsfähigkeit nach<br />

Stimulation durch Glucose herangezogen werden. Als<br />

Parameter der endogenen Insulinproduktion ist das<br />

neben Insulin aus dem Proinsulin abgespaltene C-<br />

Peptid aufgrund seiner längeren Halbwertszeit im<br />

Plasma besser geeignet als Insulin selbst. Über die<br />

Messung des C-Peptids läßt sich die endogene Insulin<br />

sekretion auch bei mit Insulin behandelten Patienten<br />

abschätzen.<br />

Weil es beim beginnenden Typ-I-Diabetes theoretisch<br />

m<strong>ö</strong>glich und ansatzweise gelungen ist, die klinische<br />

Manifestation durch immunsuppressive Behandlung<br />

im Latenz- oder Anfangsstadium hinauszuschieben<br />

oder abzuschwächen, erscheint eine Frühdiagnostik<br />

dieser Diabetesform sinnvoll. Bei Risikopersonen<br />

(Familienangeh<strong>ö</strong>rige ersten Grades von Typ-I-Diabetikern,<br />

Patienten mit anderen Autoimmunendokrinopathien<br />

wie Addison- oder Basedow-Erkrankung) bietet<br />

sich die Untersuchung auf inselzellspezifische Auto<br />

antik<strong>ö</strong>rper und ggf. die IILA-Typisierung als Suchtest<br />

auf präklinischen Diabetes mellitus an. Ein Nachweis<br />

von Inselzell-Autoantik<strong>ö</strong>rpern (die auch bei Nichtdiabctikern<br />

passager auftreten k<strong>ö</strong>nnen) erlaubt jedoch<br />

keine sichere Vorhersage der Entwicklung von Typ-I-<br />

Diabotes. Angesichts des unzureichenden prädiktiven<br />

Werts der Suchtests und der noch im Experimentier<br />

stadiuni befindlichen Therapie ist ein globales Screen<br />

ing auf latenten Typ-I-Diabetes (80 bis 90% der Typ-I-<br />

Diabetiker geh<strong>ö</strong>ren nicht zu den obigen Risikogrup<br />

pen) derzeit nicht vertretbar.<br />

2 Hypoglykämie-<br />

Hyperinsulinismus<br />

Begriffsbestimmung: Ein pathologischer Abfall der<br />

Glucosekonzentration im Blut (unter 2,7 mmol/I bzw.<br />

50 mg/dl) ist Folge einer in Relation zum Bedarf zu<br />

hohen Insulinkonzentration. Unter Berücksichtigung<br />

der formalen Pathogenese unterscheidet man folgende<br />

Formen einer Hypoglykämie:<br />

2.1 Hypoglykämie bei Diabetikern<br />

Hypoglykämie tritt weit überwiegend als Komplikation<br />

der Therapie von Diabetikern auf. Zu klinisch relevan<br />

tem Blutzuckerabfall kommt es bei inadäquat hoher<br />

exogener Insulinzufuhr (falsche Dosierung, intramus<br />

kuläre statt subkutane Injektion) bzw. bei unzurei<br />

chender enteraler Glucoseaufnahme (Diätfehler,<br />

Resorptionsst<strong>ö</strong>rungen bei Magen-Darm-Erkrankungen).<br />

Zu den Hypoglykämieursachen bei Diabetikern<br />

zählen auch<br />

- schwere k<strong>ö</strong>rperliche Belastung mit gesteigerter GIucoseutilisation<br />

durch die Skelettmuskulatur<br />

- Neuropathie des vegetativen Nervensystems (unzu<br />

reichende Adrenalinausschüttung bei Blutzuckerabfall)<br />

- mit der Blutzuckergegenregulation interferierende<br />

Medikamente (z. B. ß-Rczcptoren-Blockcr) sowie<br />

- Lebererkrankungen und Alkoholabusus (ungenü<br />

gende Aktivierbarkeit der hepatischen Gluconeogenese<br />

und Glykogenolyse).<br />

Die Angaben über die jährliche Inzidenz sym<br />

ptomatisch hypoglykämischer Episoden bei insulinpllichtigen<br />

Diabetikern schwanken von unter 5% bis<br />

über 25%. Bei guter Stoffwechselkontrolle durch sorg<br />

fältige Abstimmung der Insulingaben auf den Bedarf


J. Erkrankungen des endokrinen Pankreas 115<br />

(z. B. mittels kontinuierlicher subkutaner Insulininfu<br />

sion) ist das Hypoglykämierisiko paradoxerweise gr<strong>ö</strong><br />

ßer als bei schlechter eingestellten Diabetikern,<br />

m<strong>ö</strong>glicherweise infolge unzureichend aktivierbarer<br />

Gegenregulation bei doch einmal inadäquat hoher<br />

Insulingabe. Der auf Einzelbeobachtungen gestützte<br />

Verdacht, daß eine Behandlung mit Humaninsulin mit<br />

h<strong>ö</strong>herem Hypoglykämierisiko verbunden ist als die<br />

Gabe von tierischen Insulinen, hat sich bisher nicht<br />

bestätigt. Mit Hypoglykämien ist nicht nur bei insulinpflichtigen<br />

Diabetikern (vor allem vom Typ I), sondern<br />

auch bei Typ-Il-Diabetikern, deren Insulinsekretion<br />

therapeutisch durch die Gabe von Sulfonylharnstoff<br />

gesteigert wird, zu rechnen.<br />

2.2 Hypoglykämie bei Nichtdiabetikern<br />

Eine reaktive Hypoglykämie kann auch bei stoffwechselgesunden<br />

Patienten auftreten, wenn die Regula<br />

tionsfähigkeit des Stoffwechsels durch hohe kurzzei<br />

tige Glucosezulühr mit überschießender Stimulation<br />

der Insulinausschüttung überfordert wird. Bei ra<br />

schem Versiegen des Glucosenachschubs führt die<br />

noch hohe Insulinkonzentration im Blut zum Abfall der<br />

Blutglucose.<br />

2.2.1 Dumping-Hypoglykämie<br />

Typisch ist eine reaktive Hypoglykämie im Rahmen des<br />

sog. Spätdumping bei Patienten, bei denen eine<br />

Gastrektomie, Gastrojejunostomie oder Vagotomie<br />

durchgeführt wurde. Nach Nahrungsaufnahme wird<br />

bei ihnen die Insulinsckretion durch anormal rasche<br />

Glucoseanflutung überstimuliert, und nach Resorp<br />

tionsende wird durch überdauernd hohen Insulinspie<br />

gel ein hypoglykanischer Zustand erzeugt.<br />

2.2.2 Hypoglykämien bei Inselzelltumoren<br />

oder Paraneoplasien<br />

Sie k<strong>ö</strong>nnen durch Inseltumoren (Insulinome) hervor<br />

gerufen werden oder als paraneoplastische Endokrinopalhie<br />

auftreten. Beide Formen sind selten.<br />

2.2.3 Insulinverabreichung<br />

Als weitere Ursache von Hypoglykämie muß eine<br />

exogene Insulinzufuhr in homozidaler oder suizidaler<br />

Absicht in Erwägung gezogen werden.<br />

2.2.4 Angeborene Defekte von Enzymen<br />

des Kohlenhydratstoffwechsels<br />

Eine Fructoseintoleranz kann zur Hypoglykämie füh<br />

ren. Bei der Fructoseintoleranz staut sich im Stoff<br />

wechsel infolge einer unzureichenden Aktivität von<br />

Fructose-l-phosphat-Aldolase Fructose-l-phosphat an,<br />

und ein Anstieg dieses Metaboliten hemmt sowohl den<br />

Glykogenabbau zu Glucose als auch die Gluconeogenese<br />

aus Aminosäure und Milchsäure. Typisch für die<br />

Fructoseintoleranz ist die Ausl<strong>ö</strong>sung von Hypoglyk<br />

ämie durch Nahrungsaufnahme (Fructosezufuhr).<br />

2.2.5 Idiopathische Hypoglykämie bei Kleinkindern<br />

und Kindern<br />

Unter der Bezeichnung »idiopathische neonatale<br />

Hypoglykämie« ist ein persistierender Hyperinsulinismus<br />

bei hyperplastischen und vermehrten Pankreasinseln<br />

beschrieben worden, der allerdings auch im<br />

späteren Lebensalter (bei Kindern, im Ausnahmefall<br />

auch bei Erwachsenen) auftreten kann. Diese Verän<br />

derungen der Inseln sind von bei Kindern diabetischer<br />

Mütter vorkommenden Inselhyperplasien abzugren<br />

zen. Neben einer disseminierten oder fokalen Inselhyperplasie<br />

sieht man eine inselähnliche, duktulofokale<br />

Hyperplasie, die von Zellen des exokrinen Gang<br />

systems ausgeht. Diese Veränderung wird als Nesidioblastose<br />

bezeichnet. Die Zellen sitzen der Basalmem<br />

bran der Gangepithelien (gelegentlich auch der Azinuszellen)<br />

auf.<br />

Klinik und Diagnostik: Im Vordergrund der überwie<br />

gend unspezifischen Symptomatik hypoglykämischer<br />

Episoden stehen die sympathikotonen Reaktionen,<br />

denn im Rahmen der physiologischen Gegenregulatio<br />

nen werden Nebennierenmark und peripherer Sympa<br />

thikus aktiviert. Es kommt zu Tachykardie und Herz<br />

klopfen, vermehrter Schweißproduktion, Pupillen<br />

erweiterung, Unruhe und Hyperventilation. Daneben<br />

führt die Hypoglykämie zu Heißhunger und gastrointestinalen<br />

Symptomen (Übelkeit, Erbrechen). Von beson<br />

derer Bedeutung ist die Funktionsst<strong>ö</strong>rung des Zentral<br />

nervensystems, dessen Neurone auf Glucose als meta<br />

bolisches Substrat angewiesen sind. Je nach Häufigkeit<br />

und Schweregrad der hypoglykanischen Episoden<br />

k<strong>ö</strong>nnen Kopfschmerzen, Verstimmung, Konzentra<br />

tions- und Merkst<strong>ö</strong>rungen, Krampfanfälle und schließ<br />

lich Bewußtseinstrübung und Versagen der vegetati<br />

ven Zentren (Hypothermie, Kreislauf- und Atmungsinsuffizienz)<br />

auftreten. Wiederholte schwere Hypo<br />

glykämie hat eine irreversible Schädigung des Zentral<br />

nervensystems (Defektsyndrom) zur Folge.<br />

Die akute schwere Hypoglykämie führt zum hypoglykämischen<br />

Schock, gekennzeichnet durch Bewußtlosig<br />

keit, Mydriasis, Schweißausbruch, Tachykardie und<br />

normalen bis erh<strong>ö</strong>hten Blutdruck. Differentialdiagno<br />

stisch beweisend ist die sofortige Besserung der Sym<br />

ptomatik nach parenteraler Glucosezulühr.<br />

Bei milderen, intermittierenden hypoglykämischen<br />

Episoden ist, wenn sich die Ursache der Hypoglykämie<br />

nicht bereits aus der Anamnese erschließen läßt, ein<br />

Hungerversuch mit Messung der Blutspiegel von Glu<br />

cose, Insulin und C-Peptid angezeigt. Bei organisch<br />

bedingtem Hyperinsulinismus kommt es bei drei Vier<br />

tel der Patienten innerhalb von 24 Stunden und bei<br />

praktisch allen Patienten innerhalb von 48 Stunden<br />

durch alleinige Zufuhr nährstofffreier Flüssigkeit zum<br />

Auftreten hypoglykämischer Symptome bei Abfall der


116 Endokrines System<br />

Blutglucose unter 2,5 mmol 1 (45 mg dl). Bei trotz<br />

Nahrungskarenz persistierender Sekretion von Insulin<br />

und C-Peptid ist die Diagnose eines Insulinoms gesi<br />

chert. Ein Test mit Stimulation der Insulinsekretion<br />

durch Aminosäuren (Leucin), Tolbutamid oder Kal<br />

zium bringt keine wesentlichen diagnostischen Zusatz<br />

informationen, ist aber für den Patienten mit Hyperinsulinismus<br />

wegen starken Blutzuckerabfalls gefähr<br />

lich.<br />

Wird im Hungerversuch keine überdauernde Insulin<br />

sekretion gefunden und sind Stoffwechselerkrankun<br />

gen als Hypoglykämieursache auszuschließen, liegt<br />

wahrscheinlich eine reaktive Hypoglykämie (s. o.) oder<br />

eine Hypoglykämie durch absichtliche exogene Zufuhr<br />

von Insulin oder Sulfonylharnstoffen (Hypoglycaemia<br />

factitia, insbesondere bei Angeh<strong>ö</strong>rigen medizinischer<br />

Berufe und bei Familienmitgliedern von Diabetikern)<br />

vor. Klärung bringt hier die Messung von C-Peptid<br />

(erniedrigt durch Zufuhr von Insulin mit Suppression<br />

der endogenen Produktion) und die Suche nach zirku<br />

lierenden Insulinanlik<strong>ö</strong>rpern, ggf. die Urinuntersu<br />

chung auf Sulfonylharnstoffmetaboliten.<br />

3 Endokrine Pankreastumoren<br />

Endokrine Pankreastumoren (in Anlehnung an die WHO-Systematik und ICD-0 1990)<br />

T u m o r M u t t e r z e l l e Immunhistochemie ICD-O-Kodierung'<br />

i Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems<br />

Inselzelltumoren2 Sammelbegriff (Topographische Kodierung C25.4)<br />

8150/0 oder/3<br />

l.i<br />

1.2<br />

G l u k a g o n o m A - Z e l l e<br />

I n s u l i n o m B - Z e l l e<br />

Glukagon, 50% multihormonal<br />

Insulin<br />

8152/0 oder/3<br />

8151/0 oder /3<br />

1.3 G a s t r i n o m G - Z e l l e Gastrin, 50% multihormonal 8152/0 oder/3<br />

1.4 Somatostatinom D-Zelle Somatostatin keine Kodierung<br />

1.5 V I P o m D j - Z e l l e VIP, häufig mit PP 8155/3<br />

1.6 G I P o m K - Z e l l e GIP keine Kodierung<br />

1.7 C C K o m I - Z e l l e Cholecystokinin keine Kodierung<br />

1.8 P P o m F ( P P ) - Z e l l e Pankreatisches Polypeptid keine Kodierung<br />

1.9 Karzinoid EC-Zelle 5-HT 8240/3<br />

1.10 Mischtumoren mehrere multihormonell nach vorherrschendem Typ<br />

Inselzelltumor und Adenokarzinom verschiedene Hormone 8154/3<br />

1.11 Inaktiv3 ? keine Hormone oder Somatostatin,<br />

PP, Kalzitonin, Neurotensin,<br />

GHRF, ACTH, Serotonin, PTH<br />

2 Undifferenzierte endokrine Pankreastumoren<br />

Kleinzelliges Karzinom ACTH u. a. 8043/3<br />

3 Tumorähnliche Veränderungen<br />

3.1 Hyperplasie (Nesidioblastose) 72000<br />

3.2 Ektopes endokrines Pankreasgewebe 26000<br />

'Die Kodierungen /0 und /3 stehen für die gutartigen (Inselzelladehome) bzw. b<strong>ö</strong>sartigen Tumoren (Inselzellkarzinome). Da<br />

diese Neubildungen häufig b<strong>ö</strong>sartig sind, sollten sie in der Regel zumindest als potentiell maligne (/l) angegeben werden.<br />

2 = Nesidioblastom; ^klinisch inaktiv, immunhistochemisch nur spärlicher Hormonnachweis. Kursiv = SNOMED.<br />

3.1 Tumoren des gastroentero<br />

pankreatischen Systems<br />

Pankreasneubildungen des gastroenteropankreati<br />

schen (GEP-)Systems werden unter dem Sammelbe<br />

griff Inselzelltumoren geführt, obwohl einige endo<br />

krine Geschwülste von extrainsulären Zellen (Stamm<br />

zellen im exokrinen Gangsystem) ausgehen k<strong>ö</strong>nnen.<br />

Funktionell nicht definierte Geschwülste bezeichnet<br />

man auch als Nesidioblastome. Inselzelltumoren wer<br />

den nicht selten von einer Hyperplasie endokriner<br />

Zellen (Nesidioblastose) begleitet. Dieser Befund ist<br />

klinisch relevant, wenn bei einer endokrinen Hyperfunktion<br />

bioptisch nur eine Inselhyperplasie nachge<br />

wiesen wird. In diesen Fällen muß weiter nach einem<br />

Inselzelltumor gesucht werden, bevor die Diagnose<br />

»Nesidioblastose« gestellt wird.


J. Erkrankungen des endokrinen Pankreas 117<br />

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Abb.J-5: Insulinoni. Links: Makroskopisches Bild eines malignen Insulinoms mit ausgedehnten Nekrosen und Blutungen auf<br />

der Schnittfläche. Mitte: Trabekulär angeordnete Tumorzellen. HE-Fbg. Rechts: Oben im Bild ein Chromogranin-positives<br />

Insulinoni; unten: exokrines Pankreasgewebe mit Ausführungsgang und zwei Inseln. Immunhistochemie.<br />

*.<br />

•. v-<br />

Inselzelltumoren kommen besonders in allen Pankreasregionen<br />

bei erwachsenen Patienten und nur selten<br />

bei Jugendlichen oder Kindern vor. Ihre Gr<strong>ö</strong>ße<br />

schwankt zwischen 1 mm und 2 cm. Die malignen<br />

Tumoren erreichen zum Zeitpunkt der Diagnose eine<br />

Gr<strong>ö</strong>ße von 6 cm. Die Abgrenzung von einer knotigen<br />

Hyperplasie ist schwierig. Insulinome zeigen keine<br />

Kapsel. Die gutartigen Formen weisen zunächst ein<br />

knotiges, expansives Wachstum mit Kompression des<br />

benachbarten exokrinen Parenchyms auf.<br />

Malignitätskriterien sind invasives Wachstum, Tlimorthromben<br />

in kleinen Venen und Invasion der Ner<br />

venscheiden. Letztlich wird die Dignität bzw. Malignität<br />

erst durch den Nachweis von Metastasen gesichert.<br />

Bei nicht nachgewiesener Metastasierung sollte die<br />

Inselzellneoplasie als potentiell maligne angesehen<br />

werden. Aus diesem Grund hat sich die dignitätsneutrale<br />

Bezeichnung Inselzelltumor durchgesetzt.<br />

Histologisch zeigen die Inselzelltumoren eine gyriforme<br />

(anastomosierte Trabekeln aus Ttimorzellen),<br />

solide oder pseudoazinäre Gestaltung und eine stark<br />

entwickelte Vaskularisation. Zell- und Kernbild sind<br />

regelmäßig, Mitosen kommen nur vereinzelt vor. Im<br />

Gegensatz zu anderen endokrinen Neubildungen (z. B.<br />

Phäochromozytomen) lassen sich mehrkernige Tumor<br />

zellen oder besonders große und hyperchromatische<br />

Zellkerne nur selten finden. Das Stroma ist spärlich<br />

angelegt, Amyloidablagerungen werden beobachtet.<br />

Das gyriforme Muster tritt bevorzugt bei A- und<br />

B-Inselzell-Tumoren, der pseudoglanduläre Aufbau<br />

bei G-Tumoren auf. Eine sichere histologische Diffe<br />

renzierung der verschiedenen Zelltypen ist aber nicht<br />

m<strong>ö</strong>glich. Sie wird immunhistochemisch und elektro<br />

nenmikroskopisch durchgeführt.<br />

Die Versilberung (Grimelius-Reaktion) ist nur bei eini<br />

gen Tumoren deutlich positiv. Immunhistochemisch<br />

lassen sich - charakteristisch für neuroendokrine<br />

Tumoren - y-Enolase und Chromogranin nachweisen.<br />

Die genaue Einordnung der Ttimorzellen erfolgt durch<br />

den immunhistochemischen Nachweis von endokrinen<br />

Sekretionsprodukten. Dabei ist zu beachten, daß die<br />

ser fleckf<strong>ö</strong>rmig sein kann und keine Aussage über eine<br />

klinisch erkennbare endokrine Aktivität zuläßt.<br />

Elektronenmikroskopisch lassen sich sekretorische<br />

Granula nachweisen, die für die einzelnen Zelltypen<br />

mehr oder weniger charakteristisch sind. Die Methode<br />

ist zwar sensitiver als die Immunhistochemie, aber<br />

auch aufwendiger.<br />

3.1.1 Glukagonom (A-Zellen-Tumor)<br />

Das Glukagonom als A-Zellen-Tumor stellt etwa 1%<br />

aller endokrin aktiven Tumoren des Gastrointestinaltrakts<br />

dar. Es handelt sich um ca. 2 cm große Tumoren<br />

(die aber auch wesentlich gr<strong>ö</strong>ßer werden k<strong>ö</strong>nnen).<br />

Über 60% dieser Neubildungen haben zum Zeitpunkt<br />

der Diagnose bereits Metastasen gesetzt. Die Tumor<br />

zellen sind Grimelius-positiv und schließen reichlich<br />

Glukagon ein. Häufiger lassen sich in den Tumorzellen<br />

auch noch andere hormonaktive Substanzen (Glycentin,<br />

ein Glukagonvorläufer) nachweisen.


118 Endokrines System<br />

V1<br />

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• *<br />

Abb. J-6: Gastrinoni. Links: Teils trabekulär, teils azinär angeordnete Tumorzellen. HE-Fbg. Mitte: Vereinzelte gastrinpositive<br />

Tumorzellen. Immunhistochemie. Rechts: Versilherhare Tumorzellen in der Grimelius-Pärbung.<br />

Klinisch manifestiert sich die Neubildung als Glukagonomsyndrom,<br />

das durch einen nur milden Diabetes,<br />

ein nekrotisierendes migralorisches Erythem (mit<br />

Übergang in Bullae), eine thrombotische Diathese und<br />

eine Anämie gekennzeichnet ist. Ferner k<strong>ö</strong>nnen wei<br />

tere Symptome auftreten: Glossitis, Cheilitis, Stomati<br />

tis, Alopezie, Gewichtsverlust u.a.<br />

3.1.2 Insulinom (B-Zellen-Tumor)<br />

Diese Neubildung stellt mit 70% die häufigste Variante<br />

eines endokrinen Tumors im Pankreas dar und kommt<br />

praktisch nur in diesem Organ vor. Insulinproduzierende<br />

Bronchuskarzinoide oder kleinzellige Bronchial<br />

karzinome sind extrem selten. In 90% der Fälle liegt<br />

nur ein B-Zellen-Tumor vor. Die Gr<strong>ö</strong>ße schwankt<br />

zwischen 1 und 2 cm. Nur weniger als 10% der<br />

Insulinome setzen Metastasen (regionale Lymphkno<br />

ten und Leber) und sind somit als eindeutig maligne<br />

einzuordnen. Histologisch handelt es sich um überwie<br />

gend solide oder trabekulär gestaltete Tumorverbände.<br />

Die Zellen sind Grimoliiis-negativ und enthalten<br />

immunhistochemisch fleckf<strong>ö</strong>rmig verteiltes Insulin<br />

(selten PP, Somatostatin, Gastrin oder Glukagon). In<br />

2% der Fälle ist das Insulinoni Teilbefund eines MEN-I-<br />

Syndroms. Da die Tumorzolle das produzierte Insulin<br />

(bzw. Proinsulin) nicht speichert, müssen die immun<br />

histochemisch positiven Tumorzellen sorgfältig<br />

gesucht werden. Andere Hormone oder hormonartige<br />

Substanzen kommen beim Insulinoni in der Regel nicht<br />

vor, oder zumindest nicht in funktionell bedeutender<br />

Menge.<br />

Klinisches Leitsymptom ist die Hypoglykämie (s.a.<br />

S. 115), die allerdings nur in 80% der Fälle klinisch<br />

manifest wird.<br />

3.1.3 Gastrinom (G-Zellen-Tumor)<br />

Gastrinproduzierende Zellen (G-Zellen) treten vorwie<br />

gend im Mageiiantriim, seltener - als IG-Zellen - in<br />

den Duodenalkrypten, in den Brunner-Drüsen sowie in<br />

den Dünndarmvilli auf. Bei Loten lassen sie sich auch<br />

im Pankreas nachweisen. Die Tumoren dieser G-Zellen<br />

(Gastrinome) sind selten: Man nimmt an, daß bei nur<br />

1% der Patienten mit einer Ulkuskrankheit ein Gastri<br />

nom die Ursache ist. Sie kommen vorwiegend im<br />

Pankreas (75% der Fälle) vor, gelegentlich im Duo<br />

denum (20%) und nur sehr selten im Magen oder<br />

extraintestinal (5%). Betroffen sind Männer (60%) im<br />

3. bis 5. Dezennium.<br />

Pathologie: Makroskopisch sind die Neubildungen in<br />

der Regel sehr klein und werden als sporadische<br />

Erkrankung (90% der Fälle) isoliert oder im Rahmen<br />

eines MEN-I-Syndroms multipel beobachtet. Histolo<br />

gisch findet man eine trabekuläre, lobuläre oder pseu<br />

doglanduläre Anordnung. Zu den seltenen morpholo<br />

gischen Bildern zählen die basaloide, die diffuse und<br />

die pleomorphe Gestaltung. Die Grimelius-Reaklion<br />

ist schwach positiv. Immunhistochemisch läßt sich<br />

Gastrin nachweisen. Die 'Tumorzellen speichern das<br />

Gastrin nicht, sondern geben es kontinuierlich und<br />

unkontrolliert ab. Aus diesem Grund ergibt die bioche<br />

mische Gastrinbestimmung Im Tumor eher niedrige


J. Erkrankungen des endokrinen Pankreas 119<br />

Abb.J-7: VIPom. a) Malignes VI Pom mit Infiltration der Milz (oben im Bild), b) Inself<strong>ö</strong>rnnge Anordnung der Tumorzellen.<br />

HE-Fbg. c) VIP-positive Tumorzellen. Immunhistochemie. d) Stark versilberbare Tumorzellen in der Grimelius-Färbung.<br />

Werte. 30% der Gastrinome zeigen immunhistoche<br />

misch noch andere Hormone: ACTH, Insulin, Gluka<br />

gon, PP, Somatostatin u. a. Die Magenschleimhaut<br />

zeigt im Korpusbereich eine verstärkte Faltenbildung<br />

mit Hyperplasie der Parietalzellen.<br />

Klinisch handelt es sich häufiger um maligne Neubil<br />

dungen, die zum lokalen Rezidiv neigen und Metasta<br />

sen setzen k<strong>ö</strong>nnen. Wenn multiple Gastrinome vorlie<br />

gen, dann ist mit einer Entartungsrate von 90% zu<br />

rechnen. Tritt die Neubildung im Rahmen eines MEN-<br />

I-Syndroms auf, dann beträgt sie 50%. Die erh<strong>ö</strong>hte<br />

endokrine Funktion (Hypergastrinämie) manifestiert<br />

sich als Zollinger-Ellison-Syndrom, das durch fol<br />

gende Befunde gekennzeichnet ist: Abdominalschmer<br />

zen, atypische peptische Ulzera und llyperchlorhydrie.<br />

Die Ulzera werden wegen ihrer Lokalisation (Kardia,<br />

distales Duodenum, proximales Ileum, Bereich einer<br />

Gastroenteroanastomose), ihrer Therapieresistenz,<br />

ihrer Multiplizität und ihrer hohen lokalen Aggressivi<br />

tät (Neigung zur Perforation in die freie Bauchh<strong>ö</strong>hle<br />

oder Penetration in benachbarte Organe) als atypisch<br />

bezeichnet. Diarrh<strong>ö</strong> und Steatorrh<strong>ö</strong>, die Folge der<br />

Hyperchlorhydrie (säurebedingte Inaktivierung der<br />

pankreatischen Enzyme), sind weitere Leitsymptome.<br />

Die Diagnosestellung wird mit der Serum-Gastrin<br />

bestimmung und der Säuresekretionsanalyse eingelei<br />

tet. Der Sekretionstest dient der Abgrenzung gegen<br />

über einer antraten G-Zellen-Überfunktion (Anstieg<br />

des Plasma-Gastrinspiegels). Die Lokalisation des<br />

Primärtumors wird mit bildgebenden Verfahren<br />

bestimmt, die allerdings nur eine 60%ige Sensitivität<br />

aufweisen. Gesichert wird die Diagnose durch die<br />

histologische und immiinhistochemische Untersu<br />

chung von bioptischen Gewebsproben.<br />

3.1.4 Somatostatinom (D-Zellen-Tumor)<br />

Es handelt sich um einen sehr seltenen Tumor, der im<br />

Pankreas lokalisiert, in den meisten Fällen als maligne<br />

einzuordnen ist und vorwiegend Somatostatin bildet.<br />

Die klinische Symptomatik läßt sich von dieser endo<br />

krinen Überfunktion ableiten: Diabetes, Cholelithiasis,<br />

Steatorrh<strong>ö</strong>, Hypochlorhydrie und Gewichtsverlust. Die<br />

Zellen sind versilberbar und zeigen immunhistoche<br />

misch Somatostatin sowie andere Sekretionsprodukte<br />

(ACTH, Kalzitonin u.a.). Somatostatinproduzierende<br />

Zellen kommen auch bei anderen Tumoren vor (z. B.<br />

bei Karzinoiden, VIPomen und Glukagonpmen).


120 Endokrines System<br />

3.1.5 VIPom (D,-Zellen-Tumor)<br />

VIPom ist die Bezeichnung des diarrh<strong>ö</strong>ogenen Tumors,<br />

der aus den D-Zellen hervorgeht und VIP (vasoactive<br />

intestinal peptide) produziert. Der Primärtumor ist in<br />

90% der Fälle intrapankreatisch lokalisiert. In der<br />

Regel handelt es sich um einen Solitärtumor. 40%<br />

dieser Neubildungen setzen Metastasen. Das klinische<br />

Bild dieser endokrinen Überfunktion wird als Verner-<br />

Morrison-Syndrom oder als Pankreatisches Cholera-<br />

Syndrom bezeichnet. Es geht mit folgenden Befunden<br />

einher: schwere wäßrige Diarrh<strong>ö</strong>en mit Hypokaliämie<br />

und Hypo- oder Achlorhydrie (daher auch die Bezeich<br />

nung WDHA-Syndrom: watery diarrhea, hypokalemia<br />

and achlorhydria). In einigen Fällen ist diese Sym<br />

ptomatik auch bei Tumoren der PP-Zellen (PPome)<br />

festgestellt worden. Außerdem kann das Syndrom<br />

vergesellschaftet mit anderen endokrinen Neoplasien<br />

(MEN-I-Syndrom, Gastrinome, Karzinoide, C-Zellen-<br />

Karzinome der Schilddrüse, Phäochromozytome, Ganglioneurome<br />

und Glukagonome) vorkommen.<br />

3.1.6 Seltene endokrine Pankreastumoren<br />

GIPom (K-Zellen-Tumor): Bei dieser Neubildung steht<br />

die Produktion von GIP (gastric inhibitory polypeptide)<br />

im Vordergrund. Dieses Gewebshormon hemmt die<br />

Magenperistaltik sowie die Produktion von Magensäu<br />

ren und von Pepsin. Außerdem verstärkt es die Insulin<br />

sekretion. CCKom (I-Zellen-Tumor): setzt Cholezystokinin<br />

(CCK) frei. Diese Verbindung kontrahiert die<br />

Gallenblasenmuskulatur und stimuliert die Pankreassaftsekretion.<br />

PPom (F- oder PP-Zellen-Tumor) ist<br />

klinisch inaktiv (s.a. Abschn. 3.1.5).<br />

3.1.7 Pankreaskarzinoid (EC-Zellen-Tumor)<br />

Im Pankreas nur selten diagnostizierte Neubildung der<br />

argyrophilen FC-Zellen, die 5-IIydroxytryptamin bil<br />

den und bei Metastasierung mit einem Karzinoidsyn<br />

drom einhergehen. Teilmanifestationen des Syndroms<br />

sowie andere endokrine Befunde (Hypoglykämie,<br />

Cushing-Syndrom) sind beschrieben worden. Pan<br />

kreaskarzinoide sind immunhistochemisch von ande<br />

ren Inselzelltumoren abzugrenzen.<br />

3.1.8 Endokrin gemischte Pankreastumoren<br />

Bei mehreren endokrinen Pankreasneubildungen las<br />

sen sich gleichzeitig in unterschiedlich hoher Konzen-<br />

tration verschiedene Hormone und hormonähnliche<br />

Verbindungen nachweisen: PP, ACTH (10% der Fälle<br />

von ektoper ACTH-Bildung sind Kortikotrophinome<br />

des Pankreas), MSH, VIP, Gastrin, Glukagon, Sekre<br />

tion, Somatostatin und andere. Die überwiegende Hormonproduktion<br />

wird als »primär« bezeichnet und gibt<br />

der Neubildung den Namen. Sehr selten ist die Kombi<br />

nation eines Inselzelltumors mit einem Adenokarzi<br />

nom des exokrinen Pankreas.<br />

3.1.9 Endokrin stumme Pankreastumoren<br />

Endokrine Pankreastumoren k<strong>ö</strong>nnen klinisch stumm<br />

sein und bleiben unerkannt oder werden zufällig- als<br />

latente Tumoren - im Rahmen einer Obduktion ent<br />

deckt. Obwohl keine klinischen Symptome vorliegen,<br />

lassen sich immunhistochemisch verschiedene Hor<br />

mone nachweisen. M<strong>ö</strong>glicherweise sind diese Hor<br />

mone nicht sezerniert worden, oder in zu kleinen<br />

Mengen, um Symptome hervorzurufen.<br />

3.2 Undifferenzierte endokrine<br />

Pankreastumoren<br />

Im Pankreas sind hochmaligne, endokrin aktive Tumo<br />

ren vom kleinzelligen Typ beschrieben worden, die in<br />

ihrem morphologischen Bild dem »oat ccll«-Karzinom<br />

der Lunge entsprechen.<br />

3.3 Tumorähnliche Veränderungen<br />

3.3.1 Hyperplasie<br />

Eine Hyperplasie des endokrinen Pankreas kann als<br />

vergr<strong>ö</strong>ßerte Insel oder als knotenf<strong>ö</strong>rmige duktuläre<br />

Wucherung im Rahmen einer Nesidioblastose vor<br />

kommen.<br />

3.3.2 Ektopie von endokrinem Pankreasgewebe<br />

Ektope Pankreasinseln kommen im Mcckel-Divertikel.<br />

in der Duodenalwand sowie in der Magenschleimhaut<br />

vor. Sie treten isoliert oder als kleine, knotenf<strong>ö</strong>rmige<br />

Ansammlungen auf.


K. Erkrankungen der Gonaden 121<br />

K. Erkrankungen der Gonaden<br />

1 Intersexualität, Hermaphroditismus und Gonadendysgenesie<br />

Intersexualität liegt vor, wenn Personen sowohl weib<br />

liche als auch männliche Geschlechtsmerkmale auf<br />

weisen. Postnatal erworbene gegengeschlechtliche<br />

Veränderungen sekundärer Geschlechtsmerkmale,<br />

wie die Gynäkomastie beim Mann oder der Hirsutismus<br />

bei der Frau, werden nicht zur Intersexualität im<br />

engeren Sinne gerechnet. Echt zweigeschlechtliche<br />

Menschen (Hermaphroditen) haben sowohl weibliches<br />

als auch männliches Gonadengewebe und Misch for<br />

men weiblicher und männlicher Genitalorgane. Echte<br />

Hermaphroditen kommen extrem selten vor. Bei<br />

unterschiedlicher Ausprägung der Gonaden und der<br />

Genitalien (z.B. Vorhandensein funktionstüchtiger<br />

Hoden bei zumindest teilweisen weiblichen Genital<br />

organen) spricht man von Pseudohermaphroditismus.<br />

Wenn in der Embryonalphase die Einwanderung der<br />

Geschlechtszellen in die Gonadenanlage ausbleibt oder<br />

sich in verkümmerten Gonaden keine sexualhormon<br />

bildenden Zellen etablieren k<strong>ö</strong>nnen, liegt Gonadendys<br />

genesie vor.<br />

Ätiologie und formale Pathogenese: Die Ausdifferen<br />

zierung des Keimgewebes in Richtung männlicher<br />

oder weiblicher Gonaden wird von einem Satz von<br />

Genen gesteuert, die vor allem auf dem Y-Chromosom,<br />

aber auch auf X-Chromosomen und Autosomen lokali<br />

siert sind. Die Sexualentwicklung des männlichen<br />

Embryos ist für St<strong>ö</strong>rungen anfälliger als die des weibli<br />

chen Embryos: Die Entwicklung des männlichen<br />

Embryos verläuft dem Einfluß der maternalen und<br />

plazentaren Hormone entgegengesetzt und muß durch<br />

die vom Fetus produzierten Androgene aktiv gesteuert<br />

werden. Unter dem Einfluß des Y-Chromosoms diffe<br />

renzieren sich die embryonalen Gonaden bereits in der<br />

6. Schwangerschaftswoche, und ab der 9. Schwanger<br />

schaftswoche beginnen die Leydig-Zwischenzellcn mit<br />

der 'Testosteronsekretion. Die Entwicklung des Ovars<br />

beim weiblichen Embryo setzt dagegen erst um die<br />

14. Schwangerschaftswoche ein.<br />

Testosteron regt die Umwandlung der Wolff-Gänge in<br />

Nebenhoden, Samenleiter und Samenblasen an, und<br />

das in den Sertoli-Zellen des embryonalen Hodens<br />

produzierte Anti-Müller-Ilormon erzwingt die Rück<br />

bildung der Müller-Gänge, aus denen beim weiblichen<br />

Feten Uterus und Tuben entstehen. Um eine Ausbil<br />

dung eines männlichen äußeren Genitale zu induzie<br />

ren, muß Testosteron in den Zielorganen in die VVirkl<strong>ö</strong>rm<br />

Dihydrotestosteron umgewandelt werden.<br />

Ursache abnormaler F.ntwicklung von Geschlechts<br />

organen ist meist eine angeborene numerische oder<br />

strukturelle Chromosomenanomalie. Bei intersexuel<br />

lem äußerem Genitale (Spannweite von nahezu rein<br />

weiblichem bis überwiegend männlichem Typ) sind<br />

häufig rudimentäre Hoden angelegt. Wie die seltene<br />

Doppelanlage mit ausdifferenziertem männlichem und<br />

weiblichem Geschlechtsdrüsengewebe bei echten<br />

Hermaphroditen induziert wird, ist noch nicht geklärt,<br />

denn normalerweise liegt bei echten Hermaphroditen<br />

als Karyotyp weibliches Geschlecht (XX). in manchen<br />

Fällen ein Mosaik (XX/XY) vor. In einem Teil der Fälle<br />

von Intersexualität finden sich ein rudimentärer<br />

Hoden und ein funktionsunfähiges Ovar (Kerngeschlecht<br />

normalerweise XO/XY, seltener XY oder XX/<br />

XY). Außerdem kann die Entwicklung von intersexuel<br />

lem Genitale bei (erblicher) Dysgenesie oder Agenesie<br />

der Gonaden (Karyotyp XY, s.u.) erfolgen.<br />

Eine teilweise oder vollständige Feminisierung von<br />

männlichen Feten kann verursacht werden durch eine<br />

genetisch bedingte St<strong>ö</strong>rung der<br />

- Entwicklung funktionsfähiger Hoden<br />

- Testosteronsynthese<br />

- Reduktion von Testosteron zu Dihydrotestosteron<br />

- Bindung von Androgenen an ihre Rezeptoren.<br />

Bei reiner Dysgenesie der Hoden (Swyer-Syndrom mit<br />

Kerngeschlecht XY) enthalten die degenerierten<br />

Hodenanlagen kein endokrin aktives Gewebe. Innere<br />

und äußere primäre Geschlechtsmerkmale sind weib<br />

lich. Neben dem Swyer-Syndrom kommen auch par<br />

tielle Dysgenesien vor, bei denen eine geringe Testosteronproduktion<br />

rudimentärer Hoden zu unvollstän<br />

diger Virilisierung führt (Mikropenis, hypoplastisches<br />

Skrotum, Kryptorchismus). Dysgenetischc Hoden nei<br />

gen zu maligner Entartung (Gonadoblastome).<br />

Bei Testosteronsynthesest<strong>ö</strong>rungen (mindestens fünf<br />

verschiedene erbliche Enzymdefekte) kann je nach<br />

androgener Wirksamkeit des sich vor dem Enzymblock<br />

anstauenden Zwischenprodukts der Phänotyp vom<br />

Mann mit geringgradigen Entwicklungsst<strong>ö</strong>rungen<br />

(Hypospadie) bis zum weiblichen Phänotyp reichen.<br />

Ein weiblicher Phänotyp (ohne Derivate der Müller-<br />

Gänge wie Uterus und ohne weibliche Brustentwick<br />

lung) findet sich bei isolierter Aplasie bzw. Hypoplasie<br />

der testosteronproduzierenden Leydig-Zellen. Bei<br />

Defekt der Testosteronreduktase wird das äußere<br />

Genitale zwittrig ausgebildet, während die Hoden und<br />

die Derivate des Wolff-Gangs (Samenleiter, Samenbla<br />

sen) sich normal entwickeln, da in diesen Geweben<br />

Testosteron direkt wirken kann. Bei St<strong>ö</strong>rung der Bin<br />

dung von Androgenen an ihre intrazellulären Rezepto<br />

ren kommt es im Extremfall trotz normaler Hoden<br />

funktion zur kompletten testikulären Feminisierung.<br />

Das äußere Genitale und die Brüste sind weiblich,<br />

Achselbehaarung und weitgehend auch die Schambe-


122 Endokrines System<br />

Abb.K-l: Intersexualität. Übergangs- und Mischformen weiblicher und männlicher Geschlechtsorgane. (Nach Prader, 1978)<br />

haarung fehlen (»hairless woman«). Da Uterus und<br />

Tuben fehlen, endet die Vagina blind. Bei inkompletten<br />

Formen k<strong>ö</strong>nnen Nebenhoden, Samenleiter und Samen<br />

blasen (mit Mündung in die Vagina) vorhanden sein.<br />

Wenn die Virilisierung des äußeren Genitale unvoll<br />

ständig ist (Hypospadie, Mikropenis) und Gynäkomastie<br />

besteht, liegt ein Reifenstein-Syndrom vor. Bei<br />

geringgradigem Androgenrezeptordefekt entwickelt<br />

sich ein normaler männlicher Phänotyp, aber die<br />

Betroffenen bleiben infolge St<strong>ö</strong>rung der Spermatoge<br />

nese infertil (Oligozoospermie bis Aspermie).<br />

Bei allen diesen Formen der Intersexualität mit<br />

männlichem Genotyp fehlen die inneren weiblichen<br />

Geschlechtsorgane, weil die Sekretion des Anti-Müller-<br />

Hormons, das die Entwicklung von Uterus und Tuben<br />

blockiert, nicht betroffen ist. Eine unzureichende Pro<br />

duktion von Anti-Müller-Hormon durch die fetalen<br />

Sertoli-Zellen des männlichen Embryos oder eine<br />

Unempfindliclikeit der Zellen der Müller-Gänge gegen<br />

dieses Peptidhormon führt zu Oviduktpersistenz.<br />

Betroffene Männer sind phänotypisch bis auf Deszensusst<strong>ö</strong>rungen<br />

der Hoden normal, besitzen aber neben<br />

dem männlichen ein (unterentwickeltes) inneres weib<br />

liches Genitale mit 'Tuben, Uterus und oberem Vagina<br />

teil.<br />

Eine Vermännlichung des äußeren Genitale weibli<br />

cher Feten kommt am häufigsten beim adrenogenita<br />

len Syndrom (AGS) infolge angeborenen Defekts von<br />

Nebcnnierenrindenenzymen (s. S. 104) vor. Intraute<br />

rine Virilisierung tritt auch als Folge der Einwirkung<br />

extrauteriner Androgene (Behandlung der Schwange<br />

ren mit Androgenen, Anabolika oder synthetischen<br />

Gestagenen, Androgenproduktion durch einen endo<br />

krin aktiven Tumor der Mutter) auf. Ursache von<br />

Gonadendysgenesie bei der brau sind vor allem Fehlen<br />

oder strukturelle Anomalien eines der beiden X-Chro<br />

mosomen (Inzidcnz ca. 1:3000). Bei dieser angebore<br />

nen Fehlentwicklung (Ullrich-'Turner-Syndrom) wan<br />

dern die weiblichen Geschlechtszellen regulär in das<br />

Grundgewebe des Ovars ein, verkümmern aber rasch<br />

(Involutionsatrophie der Gonaden).<br />

Klinik: Bei Neugeborenen mit intersexuellem Genitale<br />

muß (u.a. wegen der Namensgebung) eine rasche<br />

Zuordnung zu männlichem oder weiblichem Ge<br />

schlecht erfolgen. Dafür ist die Bestimmung des Karyo<br />

typs und die Erfassung vorhandener bzw. fehlender<br />

innerer und äußerer Geschlechtsmerkmale erforder<br />

lich. Für die formale Geschlechtszuordnung sollte<br />

die Ausprägung der äußeren Geschlechtsorgane im<br />

Interesse der psychosozialen Entwicklung Vorrang


K. Erkrankungen der Gonaden 123<br />

gegenüber dem Kerngeschlecht und den inneren<br />

Geschlechtsorganen haben. Differentialdiagnostisch<br />

ist bei Karyotyp XY in erster Linie an männlichen<br />

Pseudohermaphroditismus zu denken. Entsprechende<br />

Hinweise sind häufig durch die Familienanamnese zu<br />

erhalten. Die Messung des Testosterons und der Gona<br />

dotropine im Plasma erm<strong>ö</strong>glicht bei diesem Krank<br />

heitsbild die Differenzierung zwischen Gonadendysgenesie<br />

und Testosteronsynthesest<strong>ö</strong>rung einerseits<br />

(niedriges Plasmatestosteron, erh<strong>ö</strong>hte Gonadotropine)<br />

und peripherer (unvollständiger) Testosteronunempfindiichkeit<br />

sowie Defekt der Testosteron red uklase<br />

andererseits (hohes bis normales Plasmatestosteron).<br />

Bei Verdacht auf Androgenresistenz ist eine Bestim<br />

mung der zytoplasmatischen Androgenrezeptoren von<br />

bioptisch gewonnenen Haulfibroblasten angezeigt. Ein<br />

Nachweis von Androgenrezeptoren schließt eine<br />

Androgenresistenz jedoch nicht aus, weil bei einem<br />

Teil der Fälle eine St<strong>ö</strong>rung der nachgeschaltetcn Infor<br />

mationsverarbeitung vorliegt (Postrezeptordefekt). Die<br />

Aktivität des Enzyms Testosteronreduktase kann<br />

direkt in bioptisch gewonnenem Material gemessen<br />

oder indirekt nach dem Testosteron/Dihydrotestoste<br />

ron-Verhältnis im Plasma beurteilt werden.<br />

Bei intersexuellem Genitale und Kerngeschlecht XX<br />

muß an ein AGS und eine transplazentare Virilisierung<br />

gedacht werden. Differentialdiagnostisch sind neben<br />

eingehender Anamneseerhebung beim AGS die Mes<br />

sung der Plasmakonzentration der Metaboliten der<br />

Steroidhormonsynthese und die Erfassung des<br />

Elektrolythaushalts (Salzverlustsyndrom) wichtig.<br />

In vielen Fällen von Pseudohermaphroditismus masculinus<br />

und von Gonadendysgenesie ist das äußere<br />

Genitale des Neugeborenen so eindeutig weiblich, daß<br />

kein Verdacht auf ein intersexuelles Syndrom auf<br />

kommt. Dies ist vor allem bei schweren Testosleronsynthesest<strong>ö</strong>rungen<br />

und vollständiger peripherer<br />

Androgenresistenz (testikuläre Feminisierung) der<br />

Fall. Die Entwicklung ist bis zur Pubertät unauffällig,<br />

und häufig sind erst das Ausbleiben der Menarche<br />

(primäre Amenorrh<strong>ö</strong>) und Sterilität Anlaß für eine<br />

ärztliche Untersuchung, bei der die Diagnose anhand<br />

des Fehlens von Uterus und 'Tuben und des Nachweises<br />

von intraabdominal, im Leistenkanal oder in den<br />

Labien liegenden Hoden gestellt wird. In einem 'Teil<br />

der Fälle führen die häufig vorhandenen Leistenher<br />

nien zur Diagnose, wenn bei der Herniotomie ein<br />

Leistenhoden gefunden wird. Ähnliches gilt für Män<br />

ner mit Oviduktpersistenz, die bei normaler Virilisie<br />

rung lediglich durch häufige Deszensusst<strong>ö</strong>rungen der<br />

Hoden auffallen, so daß die Existenz interner weibli<br />

cher Geschlechtsorgane in einem Teil der Fälle nur<br />

zufällig entdeckt wird.<br />

2 Funktionsst<strong>ö</strong>rungen<br />

der Hoden*<br />

Beim Hypogonadismus des Mannes ist die Androgen<br />

produktion der Hoden insuffizient und/oder die Sper<br />

matogenese gest<strong>ö</strong>rt. Eine Unterfunktion der Testes<br />

kommt vor als<br />

- primärer Hypogonadismus: testikuläre St<strong>ö</strong>rung<br />

- sekundärer Hypogonadismus: Insuffizienz der Ade<br />

nohypophyse<br />

- tertiärer Hypogonadismus: im Hypothalamus loka<br />

lisierte St<strong>ö</strong>rung.<br />

2.1 Kongenitaler primärer<br />

Hypogonadismus<br />

Ein kongenitaler primärer Hypogonadismus besteht<br />

bei angeborener (doppelseitiger) Anordne. Das ange<br />

borene Fehlen beider Hoden bei Karyotyp XY und<br />

männlicher Geschlechtsausprägung (Vorkommen ca.<br />

1:80 000) wird auch als »Syndrom der verschwinden<br />

den Testes« bezeichnet, denn in der sexualprägenden<br />

Phase der Keimentwicklung (3. bis 5. Schwanger<br />

schaftsmonat) muß testosteronproduzicrendes Keim<br />

drüsengewebe vorhanden gewesen sein. Die (häufi<br />

gere) einseitige konnatale Anordne bleibt in der Begel<br />

asymptomatisch. Andere Formen kongenitaler primä<br />

rer Gonadeninsuffizienz, wie Leydig-Zell-Aplasie oder<br />

Testosteron-Insensitivität, führen zu Pseudoherm<br />

aphroditismus (siehe oben). Ein angeborener primärer<br />

Hypogonadismus kann auch in Form einer selektiven<br />

St<strong>ö</strong>rung der Spermatogenese als Sertoli-Zell-Aplasie<br />

oder als (ätiologisch ungeklärte, als Ausschlußdia<br />

gnose definierte) idiopathische tubuläre Insuffizienz<br />

auftreten.<br />

Die meisten angeborenen Formen primären Hypogo<br />

nadismus sind durch numerische oder strukturelle<br />

Chromosomenanomalien bedingt. Häufigste Form (ca.<br />

0,2% der männlichen Geburten) ist das klassische<br />

Klinefelter-Syndrom, bei dem infolge Non-Disjunction<br />

in der Reifeteilung (meist bei der Mutter) eine<br />

XXY-Konstellation besteht. In einigen Fällen finden<br />

sich auch andere Karyotypen (z.B. 48,XXYY oder<br />

48,XXXY). Selten (Inzidenz ca. 1:20000) liegt ein<br />

Karyotyp 46.XX mit Translokation von die Virilisierung<br />

determinierenden Genen vom Y-Chromosom zum X-<br />

Chromosom des Vaters vor.<br />

Typisch für das Klinefelter-Syndrom ist das Ausblei<br />

ben des Hodenwachstums in der Pubertät (hyaline<br />

Degeneration der Samenkanälchen mit Fibrose), so<br />

Die endokrin aktiven Hoden- und Ovarialtumoren werden<br />

in Band 6 (Ilarnapparat- Männliches Genitale) und Band 7<br />

(Weibliches Genitale) ausführlich beschrieben.


124 Endokrines System<br />

daß beim erwachsenen Klinefelter-Patienten Hoden<br />

mit kleinem Volumen (unter 5 ml) und fester Konsi<br />

stenz gefunden werden. Es bestellt Azoospermie und<br />

entsprechend Infertilität. Die Androgenproduktion der<br />

Hoden ist unterschiedlich stark vermindert, so daß die<br />

Spannweite der pubertären Virilisierung von hypoplastischem<br />

äußeren Genitale und spärlicher K<strong>ö</strong>rper<br />

behaarung bis zu normalem männlichen Phänotyp<br />

reicht. Zum typischen Erscheinungsbild des Kline<br />

felter-Syndroms geh<strong>ö</strong>ren daneben in der Pubertät<br />

sich entwickelnde Gynäkomaslic, unproportioniertes<br />

Wachstum (unverhältnismäßig lange Beine) sowie ein<br />

niedriges Intelligenzniveau. Infolge der mit zunehmen<br />

dem Alter sinkenden Testosteronproduktion der Gona<br />

den kann es zu Osteoporose kommen.<br />

Nicht zum Klinefelter-Syndrom gerechnet wird die<br />

etwa ebenso häufig vorkommende numerische Chro<br />

mosomenaberration mit einem überzähligen Y-Chro<br />

mosom (Karyotyp 47.XYY). Bei diesen Patienten liegt<br />

die Androgenproduktion der Hoden meist im Normal<br />

bereich. Die Spermatogenese dagegen ist häufig<br />

gest<strong>ö</strong>rt (Infertilität). Eine Kombination von einge<br />

schränkter Hodenfunktion (bei meist anomaler Lage<br />

des Hodens) mit anderen angeborenen St<strong>ö</strong>rungen, wie<br />

kardiovaskuläre Mißbildungen und Intelligenzdefekte,<br />

findet sich beim seltenen Noonan-Syndrom, auch als<br />

männliches 'Turner-Syndrom (siehe Punktionsst<strong>ö</strong>run<br />

gen des Ovars) bezeichnet. Dabei wird ein männlicher<br />

Karyotyp, manchmal auch ein Mosaik XY/XO ge<br />

funden.<br />

Eine angeborene St<strong>ö</strong>rung der llodenfiinktion ist<br />

Begleiterscheinung bei der Trisomie 21 (Down-Syndrom),<br />

bei der Mukoviszidose, wobei hauptsächlich<br />

die Spermatogenese betroffen ist (Infertilität), und bei<br />

der myotonischen Dystrophie.<br />

2.2 Erworbener primärer<br />

Hypogonadismus<br />

Ein erworbener primärer Hypogonadismus tritt auf,<br />

wenn beide Hoden entfernt werden, oder als Folge von<br />

Traumen, Entzündungen (Orchitis, z.B. nach Parotitis<br />

epidemica) oder Versorgungsst<strong>ö</strong>rungen (Hodentorsion,<br />

Operationsfolgen). Ein unilateraler Ausfall der<br />

Hodcnfunktion kann vom verbleibenden Hoden sowohl<br />

in bezug auf das Endokriniimi als auch auf die Fertili<br />

tät kompensiert werden. Durch Entzündungen oder<br />

exogene Noxen wird die Spermatogenese in der Begel<br />

stärker geschädigt als die Androgenproduktion. Die<br />

St<strong>ö</strong>rung der llodenfiinktion kann verursacht werden<br />

durch<br />

- Überwärmung<br />

- ionisierende Strahlung<br />

- zytostatische Medikamente<br />

- Antibiotika und Antimykotika (Ketoconazol)<br />

- zentralnerv<strong>ö</strong>s wirkende Pharmaka<br />

(Benzodiazepine)<br />

- Alkoholabusus<br />

- Urämietoxine<br />

- Umweltgiftc, wie Blei und Schwefelkohlenstoff<br />

- Druck, z.B. durch eine Hydrozele oder Varikozele<br />

- Hypoxie<br />

- Eiweißmangelernährung.<br />

Auf Überwärmung ist auch die selektive St<strong>ö</strong>rung des<br />

germinativen Epithels bei normaler Funktion der Leydig-Zellen<br />

zurückzuführen, die bei Lageanomalien der<br />

Hoden beobachtet wird (Retention des Hodens im<br />

Bauchraum oder im Leistenkanal statt Deszensus in<br />

das ca. 4° C kühlere Skrotum).<br />

2.3 Sekundärer Hypogonadismus<br />

Ein sekundärer Hypogonadismus ist das Resultat<br />

einer unzureichenden LH- und/oder FSH-Produktion<br />

durch eine St<strong>ö</strong>rung auf dem Niveau der Adenohypo<br />

physe. Die Ursachen des kompletten oder partiellen<br />

Hypopituitarismus sind auf Seite 62 beschrieben. Als<br />

sekundär kann z.T. auch der Hypogonadismus bei<br />

Hyperprolaktinämie eingestuft werden, denn die St<strong>ö</strong><br />

rung von Spermatogenese und Androgenproduktion<br />

wird teilweise über eine Suppression der Gonadotropinproduktion<br />

verursacht. Gleiches gilt für den Hypo<br />

gonadismus bei primärer Hypothyreose (Myx<strong>ö</strong>dem),<br />

bei dem die Hyperplasie der TSH-produzierenden Zel<br />

len zur Vergr<strong>ö</strong>ßerung der Hypophyse mit Druckschädi<br />

gung der gonadotropinsezernierenden Zellen führen<br />

kann. Typisch ist sekundärer Hypogonadismus bei<br />

extragenitaler Androgenüberproduktion (z.B. kon<br />

genitale Hyperplasie der Nebennierenrinde). In diesen<br />

Lallen geht eine Atrophie der Hoden (insbesondere der<br />

Leydig-Zellen) mit übermäßiger Entwicklung der<br />

äußeren Geschlechtsmerkmale (Penis) einher. Exogen<br />

wird sekundärer Hypogonadismus vor allem durch<br />

Gabe von Östrogen, z.B. als Palliativtherapie beim<br />

Prostatakarzinom, erzeugt. In pharmakologischen<br />

Dosen hemmen Östrogene sowohl die LH- als auch die<br />

FSH-Produktion. Im physiologischen Bereich ist die<br />

negative Rückkopplung von Östrogenen auf FSH domi<br />

nant, so daß ein mäßiger Anstieg des Plasma<strong>ö</strong>strogens<br />

{/.. B. als Polge einer Abbaust<strong>ö</strong>rung bei Leberzirrhose)<br />

vor allem die Spermatogenese st<strong>ö</strong>rt.<br />

2.4 Tertiärer Hypogonadismus<br />

Ein tertiärer Hypogonadismus als hypothalamisch<br />

bedingte Schädigung ist bei isolierter Insuffizienz der<br />

Gonadotropinsekretion der Hypophyse (hypogonadotroper<br />

Eunuchoidismus) anzunehmen. Wenn zusätz<br />

lich eine Hyp- bis Anosmie vorliegt, wird das Krank<br />

heitsbild als Kallmann-Syndrom bezeichnet.<br />

Klinik des Hypogonadismus: Angeborene Androgenmangelzustände<br />

führen zu intersexueller Ausprägung<br />

der Geschlechtsmerkmale (Pseudohermaphroditis<br />

mus, s.o.). Bei Neugeborenen mit normal männlichem


K. Erkrankungen der Gonaden 125<br />

Genitale besteht der Verdacht auf Hypogonadismus,<br />

wenn im Skrotum keine Hoden zu tasten sind. Zur<br />

Differenzierung zwischen angeborener Anordne und<br />

Lageanomalie der Hoden ist, wenn Hoden auch im<br />

Leistenkanal nicht zu tasten sind, eine Messung von LH<br />

und FSH im Plasma geeignet. Bei Kryptorcliismus sind<br />

die Gonadotropinspicgel durch die Androgenproduk<br />

tion der nur anomal gelegenen Hoden supprimiert, bei<br />

angeborener Anordne erh<strong>ö</strong>ht. Außerdem kann geprüft<br />

werden, ob sich durch HCG-Injektion ein Anstieg der<br />

Testosteronkonzentration im Plasma ausl<strong>ö</strong>sen läßt<br />

(positiv bei Kryptorcliismus, negativ bei Anordne).<br />

Die k<strong>ö</strong>rperliche Entwicklung weicht auch bei frühzeiti<br />

ger Entwicklung eines endokrinen Hypogonadismus<br />

erst in der Pubertät vom Normalverlauf ab. Die Virili<br />

sierung bleibt entsprechend dem Ausmaß des Androgenmangels<br />

aus. Beim Vollbild des Eunuchoidismus<br />

bleiben Penis und Skrotum infantil klein, Prostata und<br />

Samenblasen entwickeln sich nicht oder nur wenig.<br />

Achselbehaarung und Bartwuchs fehlen, die Scham<br />

behaarung bleibt spärlich und zeigt weiblichen Typ<br />

(Auswirkung der adrenalen Androgene). Es kommt<br />

nicht zum Stimmbruch. Infolge des Testosteronman<br />

gels schließen sich die Epiphysenfugen verz<strong>ö</strong>gert (Län<br />

genwachstum bis ins vierte Lebensjahrzehnt m<strong>ö</strong>glich),<br />

und die Verkalkung des Knochens bleibt unzureichend<br />

(Osteoporose). Bei im Durchschnitt gering übernorma<br />

ler K<strong>ö</strong>rpergr<strong>ö</strong>ße ist der Unterk<strong>ö</strong>rper übcrproportional<br />

lang, und die Spannweite der Arme ist anormal groß<br />

(nicht beim Klinefelter-Syndrom). Das Becken ist brei<br />

ter als beim normalen Mann, und die Schultern sind<br />

schmaler. Das Gesicht wirkt durch hervorstehende<br />

Backenknochen mongoloid, und über den Augenlidern<br />

fallen seitlich Fettpolster auf. Die Muskulatur ist unter<br />

entwickelt, die Haut dünn und wenig pigmentiert.<br />

Die psychische Entwicklung und die charakteiTiche<br />

Reifung sind retardiert. Neben Depressivität und<br />

Antriebsarmut findet sich häufig eine (meist gering<br />

gradige) Verminderung der intellektuellen Leistungs<br />

fähigkeit.<br />

Bei ausbleibender Virilisierung im Pubertätsaller stellt<br />

sich die Frage, ob Hypogonadismus oder konstitutio<br />

nelle Pubertätsverz<strong>ö</strong>gerung vorliegt. Zum Ausschluß<br />

einer primären endokrinen Hodenfunktionsst<strong>ö</strong>rung ist<br />

die Untersuchung der Stimulierbarkeit der Testosteronproduktion<br />

durch HCG geeignet. Die Funktions<br />

tüchtigkeit der Adenohypophyse kann durch Messung<br />

der LH- und FSH-Spiegel nach Gabe von Gonadotropin-Releasing-Hormon<br />

(GnRH) geprüft werden. Liegen<br />

anamnestisch oder klinisch Verdachtsmomente für ein<br />

Klinefelter-Syndrom vor (Intelligenzminderiing, kleine<br />

feste Hoden usw.). ist die Bestimmung des Karyotyps<br />

angezeigt (Nachweis von Barr-K<strong>ö</strong>rperchen).<br />

Wenn beim erwachsenen Mann z.B. wegen Infertilität<br />

und kleinen Hodenvolumens (


126 Endokrines System<br />

Die sexuelle Reifung bleibt aus (infantile äußere<br />

Geschlechtsmerkmale), und das Wachstum stoppt<br />

frühzeitig (mittlere Lindgr<strong>ö</strong>ße ca. 140 cm). Zusätzlich<br />

k<strong>ö</strong>nnen zahlreiche, verschiedenartige Mißbildungen<br />

u.a. des Herz-Kreislauf-Systems, der Nieren und des<br />

Skeletts bestehen. Infolge Östrogenmangels ist die<br />

Gonadotropinproduktion enthemmt (insbesondere<br />

hoher FSH-Spiegel), und ohne Östrogensubstitution<br />

kommt es frühzeitig zu Osteoporose. In seltenen Fällen<br />

beruht angeborener primärer Hypogonadismus auf<br />

einer Gonadotropinunempfindlichkeit der Ovarien.<br />

Erworbene primäre Ovarialinsuffizicnz ist nach opera<br />

tiver Entfernung der Ovarien oder nach Schädigung<br />

durch ionisierende Strahlung zu beobachten, kommt<br />

aber auch infolge autoimmuner Schädigung des endo<br />

krin aktiven Gewebes vor. Physiologisch kommt es mit<br />

zunehmendem Alter zu primärem Hypogonadismus,<br />

denn das Ovar stellt seine endokrinen Leistungen im<br />

Verlauf des Klimakteriums ein.<br />

3.2 Sekundärer Hypogonadismus<br />

Ein sekundärer Hypogonadismus als Folge einer<br />

Schädigung der Adenohypophyse kann Ergebnis einer<br />

Durchblutungsst<strong>ö</strong>rung (postpartal als Sheehan-Syn<br />

drom), einer traumatischen Schädigung, einer Kom<br />

pression durch einen 'Tumor (Hypophysenadenom,<br />

Kraniopharyngeom) oder einer endokrinen Hemmung<br />

der Gonadotropinsekretion (Hyperprolaktinämie,<br />

Hyperandrogenämie z.B. bei AGS) sein.<br />

3.3 Tertiärer Hypogonadismus<br />

Tertiärer Hypogonadismus tritt bei Entwicklungsst<strong>ö</strong><br />

rungen des Hypothalamus auf. Bei Kombination mit<br />

An- oder Hyposmie spricht man (wie beim tertiären<br />

Hypogonadismus des Mannes) vom Kallmann-Syn<br />

drom. Eine unzureichende Produktion von Gonadotropin-Releasing-Hormon<br />

(GnRH) wird auch als Ursache<br />

der Ovarialinsuffizienz bei Anorexia nervosa und<br />

anderen psychisch bedingten St<strong>ö</strong>rungen angesehen.<br />

Bei den St<strong>ö</strong>rungen der Ovarialfunktion als Folge<br />

schwerer k<strong>ö</strong>rperlicher Anstrengung (reaktive Ame<br />

norrh<strong>ö</strong> von Ausdauersportlerinnen) sinken sowohl<br />

GnRII-Sekretion als auch GnRH-Empfindlichkcit der<br />

Adenohypophyse ab.<br />

Klinik: Am Anfang stehen Anamnese und gründliche<br />

klinische Untersuchung, ggf. eine Bestimmung des<br />

Kerngeschlechts. Wenn bei primärer Amenorrh<strong>ö</strong> einer<br />

Patientin mit Karyotyp 46.XX die sekundären weibli<br />

chen Geschlechtsmerkmale trotz normalem innerem<br />

Genitale nicht entwickelt sind, ist die Bestimmung der<br />

Gonadotropine, ggf. mit Stimulation durch GnRH,<br />

angezeigt. Ein hoher Spiegel vor allem von FSH spricht<br />

für eine primäre Ovarialinsuffizienz. Bei erniedrigter<br />

Gonadotropinkonzentration im Plasma folgt die Mes<br />

sung des Prolaktins und die Untersuchung der Sella<br />

mit bildgebenden Verfahren, um eine Hyperprolaktin-<br />

WHO-Klassifikation der Dysfunktion<br />

des weiblichen Genitale<br />

1. Hypogonadotrope Insuffizienz bei normalem<br />

Prolaktinspiegel, keine Entzugsblutung nach<br />

Gestagengabe, Gonadotropinproduktion meist<br />

durch GnRH stimulierbar<br />

2. Insuffizienz bei normalen Gonadotropin- und<br />

Prolaktinplasmakonzentrationen<br />

2a. Gest<strong>ö</strong>rte FoIIikelreifung mit Gelbk<strong>ö</strong>rperinsuf<br />

fizienz (verkürzte hyperthermia Zyklusphase).<br />

anovulatorische Zyklen<br />

2 h. Unzureichende Östrogenproduktion mit pri<br />

märer oder sekundärer Amenorrh<strong>ö</strong>, nach Gestagenzufuhr<br />

tritt Entzugsblutung auf, Hyper<br />

androgenämie (AGS, Syndrom der polyzysti<br />

schen Ovarien)<br />

3. Hypergonadotropic, primäre Ovarialinsuffi<br />

zienz (z.B. Ullrich-Turner-Syndrom, sekundä<br />

re Insuffizienz als Folge von Bestrahlung oder<br />

Zytostatika)<br />

4. Anatomisch bedingte primäre Amenorrh<strong>ö</strong><br />

ohne Ovarialinsuffizienz (z.B. Mayer-Rokitansky-Küster-TIauser-Syndrom<br />

mit Vaginalaplasie<br />

und rudimentärem Uterus, Hymenalverschluß)<br />

5. Hyperprolaktinämischer Hypogonadismus in<br />

folge eines Prolaktinoms der Adenohypophyse<br />

6. Hyperprolaktinämischer Hypogonadismus<br />

ohne Hypophysentumor (z.B. infolge von Me<br />

dikamenten, die mit der dopaminergen Hem<br />

mung der Prolaktinsekretion interferieren)<br />

7. I Iypogonadotroper, normoprolaktinämischer<br />

Hypogonadismus durch tumorbedingte Druck<br />

schädigung der Hypophyse (z.B. bei Kranio<br />

pharyngeom)<br />

ämie und/oder einen Hypophysentumor festzustellen.<br />

Wenn diese Untersuchungen normal ausfallen und ein<br />

globaler Hypopituitarismus ausgeschlossen werden<br />

kann (normale K<strong>ö</strong>rpergr<strong>ö</strong>ße, keine Hypothyreose), ist<br />

das Vorliegen eines tertiären Hypogonadismus, im<br />

leichtesten Fall als konstitutionelle Pubertätsverz<strong>ö</strong>ge<br />

rung, anzunehmen.<br />

Liegt eine primäre Amenorrh<strong>ö</strong> bei normaler Entwick<br />

lung der inneren und äußeren weiblichen Geschlechts<br />

merkmale vor, wird diagnostisch zusätzlich die funk<br />

tionelle Kapazität der Uterusschleimhaut untersucht.<br />

Wenn im Gestagentest nach Abbruch mehrtägiger<br />

Gabe von Gestagen eine Entzugsblutung auftritt, ist<br />

der Nachweis erbracht, daß die Uterusschleimhaut<br />

<strong>ö</strong>strogenslimuliert aufgebaut wird. Bleibt sie aus, ist<br />

bei normalen Gonadotropinspiegeln eine Insuffizienz


K. Erkrankungen der Gonaden 127<br />

der Östrogensynthese oder -Wirkung anzunehmen. Zur<br />

Prüfung der Östrogensensitivität der Uterusschleim<br />

haut wird dann ein Östrogentest (Gabe von Östrogen<br />

für ca. 3 Wochen, in der letzten Woche zusätzlich<br />

Gestagen) angeschlossen. Bleibt auch dabei die Ent<br />

zugsblutung aus, ist das Endometrium hormoninsensitiv.<br />

oder es besteht ein Verschluß des Zervikalkanals.<br />

Bei erniedrigten Gonadotropinen (und normalem Pro<br />

laktin) kann mit dem Clomifen-Test (Clomifengabe<br />

über 3 Tage zur Anregung der hypotlialamisch-hypophysären<br />

Funktion) sekundärer bzw. tertiärer Hypo<br />

gonadismus nach dem Schweregrad differenziert wer<br />

den. Bei leichteren Funktionsst<strong>ö</strong>rungen läßt sich durch<br />

Clomifen eine Blutung induzieren, bei hochgradiger<br />

St<strong>ö</strong>rung nicht.<br />

Bei der nicht schwangerschaftsbedingten sekundären<br />

Amenorrh<strong>ö</strong> ist eine sorgfältige Anamneseerhebung<br />

und klinische Untersuchung besonders wichtig, denn<br />

in etwa einem Drittel der Fälle besteht eine reaktive<br />

Amenorrh<strong>ö</strong> bei k<strong>ö</strong>rperlichem oder psychischem Streß<br />

und bei Anorexia mentalis. Laborchemisch ist<br />

zunächst eine Prolaktinbestimmung indiziert. Bei<br />

Hyperprolaktinämie (etwa 20% der sekundären Ame<br />

norrhoen) sind bildgebende Verfahren zur Diagnose<br />

bzw. zum Ausschluß eines Prolaktinoms einzusetzen.<br />

Ist kein Hypophysentumor nachzuweisen, muß an eine<br />

iatrogene Verursachung (Stimulierung der Prolaktinsekretion<br />

durch zahlreiche Medikamente, insbeson<br />

dere solche mit Wirkung auf die Psyche und auf die<br />

gastrointestinale Motorik) gedacht werden. Bei Normoprolaktinämie<br />

folgt die Funktionsprüfung des Endo<br />

metriums mit dem Gestagentest, und bei Ausbleiben<br />

der Entzugsblutung mit dem Östrogentest. Erst danach<br />

sind zur Differentialdiagno.se zwischen den WHO-Klassen<br />

I, II, III und VII der Ovarialinsuffizienz Funk<br />

tionsprüflingen der Ebene Hypothalamus/Hypophyse<br />

(Gonadotropinbestinimung, ggf. nach GnRH-Stimulation)<br />

sowie eine Messung der Androgene angezeigt.


128 Endokrines System<br />

L. Erkrankungen des neuroendokrinen Systems<br />

Neuroendokrines System<br />

Neuroendokrine Organe:<br />

Hypophyse<br />

Epithelk<strong>ö</strong>rperchen<br />

Schilddrüse: C-Zellen<br />

Endokrines Pankreas (s. a. GEP-System)<br />

Nebennierenmark<br />

Sympathische und parasympathische Paraganglien<br />

Tumoren<br />

Adenome und Karzinome<br />

Adenome und Karzinome<br />

C-Zellen-Karzinome<br />

Adenome und Karzinome<br />

Phäochromozytom<br />

Sympathische und parasympathische Paraganglions<br />

Diffuses neuroendokrines System in verschiedenen Organen:<br />

Luftwege<br />

Haut: Melanozyten<br />

Haut: Merkel-Zellen<br />

Gastroenteropankreatisches System (GEP) "1<br />

Gallenwege, Leber, Thymus, Niere I<br />

Mamma, Harnblase, Ovar, Hoden f<br />

Zervix, Prostata, Nasenh<strong>ö</strong>hlen u. a. J<br />

Neuroendokrine Karzinome und Karzinoide<br />

Melanome<br />

Merkel-Zellen-Karzinom<br />

Neuroendokrine Adenome und Karzinome<br />

Mischtumoren, Karzinoide<br />

Zu den wichtigsten Erkrankungen des neuroendokri<br />

nen Systems geh<strong>ö</strong>ren die Hyperplasien und Neubil<br />

dungen. Die Tumoren neuroendokriner Organe wer<br />

den - mit Ausnahme der Paraganglien - im jeweiligen<br />

Organkapitel abgehandelt.<br />

Die Tumoren des diffusen neuroendokrinen Systems<br />

(DNS) werden allgemein als Karzinoide bezeichnet<br />

und von den FC-Zellen abgeleitet. Ausgenommen von<br />

der Sammelbezeichnung »Karzinoid« sind die neuro<br />

endokrinen Neubildungen, die aus bestimmten,<br />

immunhistochemisch identifizierbaren Zellen hervor<br />

gehen: Sie werden nach der Mutterzelle benannt (z. B.<br />

G-Zellen-Tumor, Glukagonom, Insulinoni).<br />

DNS-Tumoren kommen bevorzugt im Magen-Darm-<br />

Trakt und im Pankreas vor. Aus diesem Grund hat man<br />

beide anatomischen Regionen zu dem gastroenteropankreatischen<br />

(GEP) System zusammengefaßt.<br />

In Adenomen und Karzinomen (z. B. im Magen-Darm-<br />

Trakt) lassen sich gelegentlich neuroendokrine Zellen<br />

finden, die bis zu 10% der Geschwulstmasse (Tumoren<br />

mit neuroendokriner Komponente) ausmachen k<strong>ö</strong>n<br />

nen. Außerdem sind noch gut- und b<strong>ö</strong>sartige Organtumoren<br />

zu erwähnen, die in ihrem morphologischen<br />

Bild einem Adenom oder einem Karzinom entspre<br />

chen, immunhistochemisch und/oder elektronenmi<br />

kroskopisch aber eine neuroendokrine Geschwulst<br />

(neuroendokrine Adenome und Karzinome) darstel<br />

len. Letztlich gibt es Mischtumoren, die aus einer<br />

neuroendokrinen Geschwulst und einem Adenokarzi<br />

nom bestellen.<br />

1 Tumoren der Paraganglien<br />

1.1 Neuroendokrine Tumoren<br />

1.1.1 Gutartige Tumoren<br />

Gutartige Neubildungen kommen im Nebennieren<br />

mark (Phäochromozytome) und - wesentlich seltener -<br />

als Paragangliomc (frühere Bezeichnung »zentrale<br />

Glomustumoren«) im extraadrenalen, sympathischen<br />

und parasympathischen paraganglionären System vor.<br />

1.1.1.1 Gutartiges Phäochromozytom s. S. 101<br />

1.1.1.2 Sympathische Paragangliomc: Gutartige<br />

sympathische Paragangliomc entsprechen in ihrem<br />

feingeweblichen Bild einem Phäochromozytom. Die<br />

sympathischen Paragangliomc weisen mit 40% eine<br />

wesentlich h<strong>ö</strong>here Malignitätsrate als die Phäochro<br />

mozytome des Nebennierenmarks (10%) auf.<br />

1.1.1.3 Parasympathische Paragangliomc: Die mei<br />

sten gutartigen parasympathischen Paragangliome<br />

bilden stark vaskularisierte und von Gitterfasern<br />

umgebene Zellballen mit einem adenomat<strong>ö</strong>sen oder<br />

angiomat<strong>ö</strong>sen Muster. Seltener kommen auch solide<br />

oder spindelzellige Wachstumsformen vor. Die Zellen<br />

weisen ein dunkles oder ein helles, PAS-negatives<br />

Zytoplasma auf. Eine gewisse Kernpolymorphie und<br />

vereinzelte Zytoplasmacinstülpungen k<strong>ö</strong>nnen vorkom<br />

men und sind nicht Ausdruck einer Malignität. Mitosen<br />

und Nekrosen fehlen.


L. Erkrankungen des neuroendokrinen Systems 129<br />

WHO-Systematik und Kodierung<br />

Neuroendokrine Tumoren1<br />

i. Nebennierenmark (C74.1) und Paraganglien (C75.5)<br />

1.1. Neuroendokrine Tumoren<br />

l.i.i. Gutartige Tumoren<br />

l.i.i.i. Phäochromozytome 8700/0<br />

1.1.1.2. Sympathische Paragangliome (extraadrenale Phäochromozytome) 8681/1<br />

1.1.1.3. Parasympathische Paragangliomc (Chemodektome) 8682/1<br />

Karotis-Paragangliom 8692/1<br />

Paraganglion! des Corpus aorticum 8691/1<br />

Vagus-Paragangliom 8682/1<br />

Paraganglioma tympanico et jugulare 8690/1<br />

1.1.1.4. Nichtklassifiziertc Paragangliomc 8680/1<br />

1.1.2. B<strong>ö</strong>sartige Tumoren<br />

1.1.2.1. Malignes Phäochromozytom 8700/3<br />

1.1.2.2. Malignes sympathisches Paragangliom 8681/3<br />

1.1.2.3. Malignes parasympathisches Paragangliom<br />

8682/3<br />

(malignes Chemodektom)<br />

1.1.2.4. Nichtklassifiziertes malignes Paragangliom 8680/3<br />

1.2. Neurale Tumoren<br />

1.2.1. Gutartige Tumoren<br />

1.2.1.1. Neurofibrom 9540/0<br />

1.2.1.2. Ganglioneurom 9490/0<br />

1.2.2. B<strong>ö</strong>sartige Tumoren<br />

1.2.2.1. Ganglioneuroblastom 9490/3<br />

1.2.2.2. Neuroblastom 9500/3<br />

1.3. Gemischte neuroendokrine und neurale Tumoren<br />

1.3.1. Gutartige Tumoren jeweiligen Kode angeben<br />

1.3.2. B<strong>ö</strong>sartige Tumoren jeweiligen Kode angeben<br />

1.4. Verschiedene Tumoren<br />

1.5. Metastasen ...je<br />

1.6. Nichtklassifizierte Tumoren 8000/.<br />

1.7. Tumorähnliche Veränderungen<br />

2. Disseminiertes neuroendokrines System<br />

2.1. Karzinoid 8240/3 mit Lokalisationsangabe<br />

(Enterochromaffines Karzinoid, klassisches Karzinoid, EC-Karzinoid)<br />

2.1.1. Karzinoide des GEP-Systems2 mit Ausnahme des Appendixkarzinoids<br />

Appendixkarzinoid 8240/1<br />

2.1.2. Karzinoide der Luftwege 8241/1 und/3<br />

2.1.3. Genitalkarzinoide 8240/3<br />

Strumakarzinoid des Ovars 9091/1<br />

2.1.4. Thymuskarzinoid 8240/3<br />

2.1.5. Weitere seltene Karzinoide 8240/3<br />

2.2. Mukokarzinoid (Becherzellenkarzinoid, muzin<strong>ö</strong>ses Karzinoid) 8243/3<br />

2.3. Gemischtes Karzinoid (Karzinoid und Adenokarzinom) 8244/3<br />

2.4. Tumorähnliche Veränderungen (siehe Nebennierenmark)<br />

1 Angepaßt an ICD-0 (1990). Weitere Diagnosen, die nicht in der WHO-Systematik aufgeführt werden:<br />

Adenokarzinoid (8254/3), neuroendokrines Karzinom (8246/3), Apudom (8248/1), gangliozytisches Paragangliom<br />

des Duodenums (8680/0).<br />

- (JHP: gastroenteropankreatisches System


130 Endokrines System<br />

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Abb.L-l: Sympathisches Paragangliom. Oben: In Nestern<br />

angeordnete Tumorzellen. HE-Fbg. Mitte: Chromograninpositive<br />

Tumorzellen. Immunhistochemie. Unten: Spärliches<br />

Gitterfasernetz mit weiten Lichtungen. Gomori-Fbg.<br />

Abb.L-2: Parasympathisches Paragangliom. Oben: Un<br />

scharf begrenzte Tumorzellverbände. HE-Fbg. Mitte: y-Fnolase-positive<br />

Tumorzellen. Immunhistochemie. Unten: Dich<br />

tes Gitterfasernetz mit engen Lichtungen. Gomori-Fbg.<br />

Zu den charakteristischen färberischen Eigenschaf<br />

ten der Paraganglions zählen die Formalinfluoreszenz,<br />

die Grimelius-positive Argyrophilie und die Masson-Fontana-negative<br />

Argentaffinität. Die Katecholamingranula<br />

sind nicht zu verwechseln mit den Lipofuszingranula<br />

im Zytoplasma von Stromazellen.<br />

Immunhistochemisch sind die Paragangliome NSEund<br />

Chromogranin-positiv. Ferner lassen sich gele<br />

gentlich auch andere Hormone (Serotonin, Gastrin,<br />

Somatostatin, ACTH, Bombesin, Kalzitonin oder PP)<br />

nachweisen. Elektronenmikroskopisch sind die Tu<br />

morzellen dicht mit Dense-core-Granula beladen, die<br />

im Durchschnitt 150 nm groß sind. Der zahlenmäßige<br />

Nachweis der Granula ist lediglich Ausdruck der Spei<br />

cherung und nicht einer sekretorischen Aktivität.<br />

Sustentakularzellen kommen bei beiden Paragan-


L Erkrankungen des neuroendokrinen Systems 131<br />

gliomformen vereinzelt und nur bei den hochdifferen<br />

zierten Neubildungen vor. Sie sind spindel- oder dreiecklormig<br />

gestaltet, weisen einen Kern mit randständi<br />

gem Chromatin auf und treten im Randbereich eines<br />

Zellballens auf.<br />

Unter Berücksichtigung ihrer Lokalisation unterschei<br />

det man folgende Paragangliome:<br />

■ Paraganglioma caroticum ist in der Adventitia im<br />

Bereich der Aufteilungsstelle der A. carotis commu<br />

nis lokalisiert und macht ca. 60% aller Paragan<br />

gliome aus.<br />

■ Paraganglioma tympanico et jugulare: Klinisch<br />

handelt es sich um eine Neubildung im Mittelohr, die<br />

sich durch Vertigo, Tinnitus und Geh<strong>ö</strong>rvcrlust mani<br />

festiert. Betroffen sind vorwiegend Frauen im<br />

50. Lebensjahr. Der Tumor wächst in die hintere<br />

und mittlere Schädelgrube vor und führt durch<br />

unvollständige operative Entfernung zum Rezidiv.<br />

■ Das vagale Paragangliom tritt in der oberen Zervikalregion,<br />

in unmittelbarer Nachbarschaft des<br />

N. vagus auf. Es rezidiviert und metastasiert in 15<br />

bis 20% der Fälle.<br />

■ Das Paraganglioma aorticum zeichnet sich durch<br />

ein invasives Wachstum aus, das mit einer Mortali<br />

tätsrate von 50% einhergeht. Die Neubildung tritt<br />

bevorzugt bei 40 Jahre alten Männern auf und wird<br />

in H<strong>ö</strong>he des linken Vorhofs bis zur Aorta descendens<br />

nachgewiesen.<br />

■ Weitere Lokaiisationen sind das hintere Media<br />

stinum, das Retroperitoneum sowie verschiedene<br />

Organe (Pharynx, Lunge, Orbita, Nasenh<strong>ö</strong>hle, Nie<br />

ren, Gallenblase, Harnblase u.a.).<br />

■ Familiäre Paragangliome: Besonders bei den sehr<br />

seltenen beidseitigen Karotis-Paragangliomen ist<br />

eine familiäre Belastung festgestellt worden. Sie<br />

sind auch kombiniert mit anderen Neubildungen<br />

(/.. B. mit einem epitheloiden Leiomyosarkom des<br />

Magens und mit Lungendiondromen) beschrieben<br />

worden.<br />

Klinik: Die parasympathischen Paragangliome mani<br />

festieren sich in der Begel als lokaler 'Tumor. Die<br />

sympathischen extraadrenalen Paragangliome<br />

sezernieren dagegen Noradrenalin und k<strong>ö</strong>nnen sich<br />

als Phäochromozytomsyndrom manifestieren.<br />

1.1.2 B<strong>ö</strong>sartige Tumoren<br />

Adrenale und extraadrenale Paragangliome k<strong>ö</strong>nnen<br />

rezidivieren und Metastasen setzen. Für das Phäochro-<br />

Abb.L-3: Ganglioneurom der Nebenniere. Ober- und<br />

Schnittfläche.<br />

mozytom wird eine Malignitätsrate von 10% angege<br />

ben. Bis zu 40% der extraadrenalen Paragangliome<br />

werden als »maligne« diagnostiziert. Als sicheres Malignitätskriteriuni<br />

ist häufiger nur der Nachweis von<br />

Metastasen anzusehen: Mitosen und Nekrosen sind<br />

selten, Atypien kommen auch bei gutartigen Neubil<br />

dungen vor.<br />

1.2 Neurale Tumoren<br />

1.2.1 Gutartige neurale Tumoren<br />

1.2.1.1 Neurofibrome siehe Band 4 dieser Reihe (Ner<br />

vensystem)<br />

1.2.1.2 Ganglioneurome bestehen aus gut differen<br />

zierten Ganglienzellen und aus myelinlosen Nervenfa<br />

sern, die manchmal geflechtartig nach Art eines Neuri<br />

noms vorkommen.<br />

1.2.2 Maligne neurale Tumoren<br />

1.2.2.1 Ganglioneuromas torn: Die Neubildung be<br />

steht aus Neuroblasten und Ganglienzellen.<br />

1.2.2.2 Das Neuroblastom ist die b<strong>ö</strong>sartigste Variante<br />

dieser 'Tumorgruppe mit entdifferenzierten Neurobla<br />

sten. Die Zellen sind klein, die Zellgrenzen unscharf.<br />

Elektronenmikroskopisch lassen sich vereinzelte<br />

sekretorische Granula nachweisen, die diese Neubil<br />

dung von einem Ewing-Sarkom abgrenzen.


132 Endokrines System<br />

1.3 Gemischte neuroendokrine und<br />

neurale Tumoren<br />

Besonders beim Phäochromozytom lassen sich gele<br />

gentlich reife Ganglienzellen sowie neugebildete Ner<br />

venfasern finden. Auch maligne Tumoren k<strong>ö</strong>nnen dif<br />

ferenzierte neuroendokrine und neurale Anteile auf<br />

weisen.<br />

2 Tumoren des diffusen<br />

neuroendokrinen Systems<br />

2.1 Karzinoid<br />

(Enterochromaffines oder klassisches<br />

Karzinoid, Argentaffinom)<br />

Das Karzinoid ist der niedrigmaligne Tumor des neu<br />

roendokrinen Systems. Diese Bezeichnung wurde<br />

zunächst für die enterochromaffincn Neubildungen<br />

des Magen-Darm-Trakts verwendet, heute gilt sie aber<br />

auch für zahlreiche andere serotoninproduzierende<br />

Organtumoren neuroendokrinen Ursprungs. Ausnah<br />

men sind die Tumoren der Pankreasinseln, das C-Zel<br />

len-Karzinom der Schilddrüse, Melanome und Merkel-<br />

Zellen-Tumoren der Haut sowie die Paragangliome<br />

(einschließlich Phäochromozytome), die unter ihrer<br />

eigenen Tumorbezeichnung geführt werden. Erüher<br />

sollte das »Karzinoid« eine Mittelstellung zwischen<br />

gut- und b<strong>ö</strong>sartigen Neubildungen einnehmen. Tat<br />

sächlich weisen die Karzinoide eine sehr unterschiedli<br />

che Dignität auf, die von der I.okalisation des Primärtumors<br />

abhängig ist: Sie reicht von den in den meisten<br />

Fällen sicher gutartigen Appendixkarzinoiden bis zu<br />

den malignen, metastasierenden Dünndarmkarzinoiden.<br />

In dem ICD-0 (1990) werden sie - mit wenigen<br />

Ausnahmen - den langsam wachsenden und spät<br />

metastasierenden Karzinomen (low grade carcinoma =<br />

/3) zugeordnet. Bei 70% der im Durchmesser über<br />

2 cm großen Karzinoide sind Metastasen nachzuwei<br />

sen. Die allgemeine Metastasierungsrate beträgt für<br />

die Primärtumoren in der Appendix 1%, im Bektum<br />

10%, Magen 30%, Kolon 50% und im Ileum bis zu 80%.<br />

Karzinoide des Magen-Darm-Trakts zeigen - je nach<br />

Lokalisation — unterschiedliche morphologische und<br />

klinische Eigenschaften und lassen sich als Vorder<br />

darm-, Mitteldarm- und Enddarmkarzinoide zusam<br />

menfassen.<br />

Pathologie: Unter Berücksichtigung des feingewebli<br />

chen Aufbaus unterteilt man die Karzinoide in:<br />

- Typ A (nach Soga und Tazawa) besteht aus Zellen,<br />

die in soliden Nestern angeordnet sind und ein<br />

weitgehend isomorphes Bild zeigen: regelmäßige<br />

Kerne mit zarter Chromatinzeichnung, unscharfe<br />

Zollgrenzen, keine Nekrosen oder Mitosen<br />

- Typ B: vorwiegend trabekuläre Gestaltung<br />

- Typ C: azinärer oder rosettenf<strong>ö</strong>rmiger Aufbau<br />

- Typ D: atypischer Aufbau<br />

- Typ E: gemischte Formen.<br />

In der Grimelius-Färbung zeigen die argyrophilen<br />

Karzinoide eine starke, basalbetonte Silberablage<br />

rung. Der Nachweis von Becherzellen oder von Antei<br />

len eines Adenokarzinoms ist typisch für das Mukokarzinoid<br />

(s. Abschn. 2.2) bzw. für den gemischten Tumor<br />

(s. Abschn. 2.3).<br />

Immunhistochemisch exprimieren die Karzinoide<br />

Zytokeratin, y-Enolase, Chromogranin und Synaptophysin.<br />

Ferner lassen sich in den argentaffinen Karzi<br />

noiden Serotonin, häufiger auch Substanz P, Gastrin<br />

und Somatostatin darstellen. Ihr Nachweis erlaubt<br />

folgende zytologische Unterteilung der Karzinoide:<br />

- EC-Karzinoide gehen aus den enterochromaffinen<br />

Zellen hervor und sind vorwiegend im Mitteldarm<br />

(s. u.) lokalisiert. Die Untergruppe EC2 kommt im<br />

Duodenom vor. EC-Karzinoide bilden vorwiegend<br />

Serotonin.<br />

- ECL-Karzinoide (enterochromaflin-like cells) sind<br />

in der Magenkorpusmukosa lokalisiert und spei<br />

chern Histamin. Sie werden regelmäßig bei Nagern<br />

beobachtet, wenn diesen der Magenkorpus reseziert<br />

oder langfristig eine hochdosierte Menge von HC1-<br />

Sckretionshemniern verabreicht wird. Ihre Entste<br />

hung wird auf eine verstärkte Funktion der G-Zellen<br />

zurückgeführt.<br />

- G-Zellen-Karzinoide werden als Gastrinome be<br />

zeichnet (s. Abschn. 3.1.3, S. 118).<br />

2.1.1 GEP-Karzinoide<br />

Das EC-Karzinoid kommt bevorzugt im Verdauungs<br />

trakt vor: in Appendix (30% aller Karzinoide), Ileum<br />

(20%), Dickdarm (5%), Bektum (15%), Duodenum (5%),<br />

Pankreas (3%). Außerhalb des GEP-Systems lassen<br />

sich Karzinoide in der Lunge (10%), im Thymus (3%)<br />

und in anderen Organen (9%) nachweisen. Auf der<br />

Schnittfläche weist es einen grauen bis gelben Farbton<br />

auf. Histologisch erkennt man Nester von großen<br />

Zellen mit reichlich hell eosinrotem Zytoplasma. Die<br />

Kerne sind regelmäßig. Der Tumor breitet sich infil<br />

trierend aus und reicht bis zur Serosa. Die Blutgefäße<br />

k<strong>ö</strong>nnen mit einer die Lichtung einengenden Elastose


L. Erkrankungen des neuroendokrinen Systems 133<br />

Lokalisation der EC-Karzinoide der Verdauungsorgane*<br />

Befund Vorderdarm Mitteldarm Enddarm<br />

Lokalisation<br />

Ösophagus, Magen, Duodenum<br />

Papilla Vateri, Pankreas,<br />

Gallenwege<br />

Jejunum, Ileum, Meckel-<br />

Divertikel, Appendix, rechts<br />

seitiger Dickdarm<br />

linksseitiger Dickdarm Bektum<br />

Versilberung<br />

Argentaffinität<br />

Argyropliilie +<br />

+<br />

+<br />

-<br />

Sekretion<br />

5-HT, Gastrin, Histamin,<br />

verschiedene Polypeptide**<br />

Serotonin, Bradykinin, Sub<br />

stanz P, Prostaglandine<br />

unbekannt<br />

Klinik<br />

atypisches Karzinoidsyndrom,<br />

Zollinger-Hllison-Syndrom<br />

typisches Karzinoidsyndrom<br />

* nach Bloodworth (1988); ** ACTH, Insulin, Kalzitonin, Glukagon. Somatotropin u.a.<br />

stumm<br />

und Intimahyalinisierung cinhergehen. In der Grimelius-Färbung<br />

weisen sie eine starke Argyropliilie auf.<br />

Elektronenmikroskopisch lassen sich große, osmiophile<br />

Granula nachweisen.<br />

2.1.1.1 Das Magenkarzinoid und seine Vorstufen:<br />

Die EC-Ilyperplasie kann multizentrisch auftreten und<br />

kleine Knoten bilden. Sie kommt in der Magenschleim<br />

haut bei chronischer atrophischer Gastritis 'Typ A vor.<br />

Zunächst entwickelt sich eine einfache, mikronodu<br />

läre Hyperplasie, die im weiteren Verlauf in ein<br />

Präkarzinoid (Dysplasie) übergeht: Dabei handelt es<br />

sich um ein Kn<strong>ö</strong>tchen von über 150 um Durchmesser<br />

mit einem konfluierenden und mikroinvasiven, die<br />

Basalmembran durchbrechenden Wachstum. Unter<br />

0,5 mm im Durchmesser große, auf die Mukosa<br />

begrenzte Kn<strong>ö</strong>tchen werden als Mikrokarzinoid (bzw.<br />

bei multiplem Auftreten als Mikrokarzinoidose) dia<br />

gnostiziert. Bei einem Durchbruch durch die Muscularis<br />

mucosae liegt bereits ein invasives Karzinoid vor.<br />

Sie sind deutlich Grimelius-positiv und k<strong>ö</strong>nnen 5-1 IT,<br />

Histamin oder Gastrin produzieren. In sehr seltenen<br />

Fällen k<strong>ö</strong>nnen auch entdifferenzierte, rundzellige<br />

Karzinoide vorkommen, die in ihrem histologischen<br />

Bild an ein kleinzelliges Bronchialkarzinom erinnern.<br />

Mischl<strong>ö</strong>rmen (Karzinoid und Adenokarzinom) kom<br />

men im Korpus und im Antrum vor. Klinisch entspre<br />

chen sie den gew<strong>ö</strong>hnlichen Adenokarzinomen.<br />

2.1.1.2 Darmkarzinoide: Vom Duodenum bis zum<br />

Rektum lassen sich Karzinoide nachweisen, die sich in<br />

Ihren färberischen Eigenschaften und in ihrer Dignität<br />

unterscheiden. Im Duodenum kommen bevorzugt G-<br />

Zellen-Karzinoide vor. In Jejunum, Meckel-Divertikel,<br />

Appendix und im rechtsseitigen Dickdarm werden<br />

EC-Karzinoide nachgewiesen. Die Appendixkarzinoide<br />

sind gutartig und werden zufällig im Rahmen einer<br />

Appendektomie diagnostiziert. Dünndarmkarzinoide<br />

setzen dagegen Metastasen in die regionalen Lymph-<br />

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Abb. L-4: Mikrokarzinoidose des Magens. Herdl<strong>ö</strong>rmig gewu<br />

cherte EC-Zellen in der Magenfundusschleimhaut bei schwe<br />

rer atrophischer Gastritis (Typ A). Oben: Chromogranin-<br />

Beaktion, unten Grimelius-I-'ärbung.


134 Endokrines System<br />

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Abb. I.-5: Karzinoid, a) Appendixkaiv.inoid im Ühersichtsbild. Die Appendixlichtung wird von der Neubildung ausgefüllt. Die<br />

äußeren Wandschichten der Muscularis propria sind tumorinfiltriert (-). Hli-Fbg. h) Die stärkere Vergr<strong>ö</strong>ßerung zeigt eine<br />

inself<strong>ö</strong>rmige Anordnung der Tumorzellen sowie unterschiedlich große Zellkerne. Keine Mitosen. HE-Fbg. c) In der Grimelius-<br />

Färbung weisen die Karzinoid/.ellcn eine deutliche, überwiegend basale Versilberung auf. d) Mukokar/.inoid der Appendix. In<br />

den Tumorinseln linden sich PAS-positive Einlagerungen sowie verschleimte Becherzellen. PAS-Fbg.<br />

knoten und in die Leber. Die Grimelius-Reaktion ist<br />

stark positiv. Im linksseitigen Dickdarm und im Rek<br />

tum kommen EC-Karzinoide vor, die nur schwach<br />

Grimelius-positiv sind. Im Pankreas handelt es sich<br />

überwiegend um Gastrinome.<br />

2.1.2 Karzinoide der Luftwege<br />

In den Bronchien kommen hochdifferenzierte, Grimelius-positive<br />

typische Karzinoide vor. Sie treten in<br />

Hilusnähe sowie lungenperipher auf. Das Durch<br />

schnittsalter der Patienten beträgt 50 Jahre. 50% die<br />

ser Tumoren bleiben klinisch stumm und werden<br />

zufällig im Rahmen einer r<strong>ö</strong>ntgenologischen Thorax<br />

untersuchung nachgewiesen. Im CT läßt sich häufiger<br />

eine Stromaverkalkung linden. Bei den restlichen 50%<br />

kommen Pneumonien, chronischer Husten oder<br />

Hämoptoe vor. Als Sonderform eines peripheren Kar<br />

zinoids ist der Iumorlet der Lunge zu nennen. Dabei<br />

handelt es sich um knapp einen Millimeter große,<br />

solide Zellansammlungen, die stark Grimelius-positiv<br />

sind und in der Regel einen histologischen Zufallsbe<br />

fund darstellen.<br />

Als atypische Karzinoide bezeichnet man Neubildun<br />

gen mit Mitosen, kleinen Nekrosen im Zentrum der<br />

Zellballen sowie deutlicher Zell- und Kernpolymor<br />

phie. Häufiger bilden sie Rosetten und weisen gegen<br />

über den typischen Karzinoiden eine schlechtere Pro<br />

gnose auf (lO-.Jahres-Überlebensrate 40% bzw. 95%).<br />

Typische und atypische Karzinoide k<strong>ö</strong>nnen 5-H'TP, 5-<br />

HT (—» Karzinoidsyndrom), GII-RII (growth-hormone<br />

releasing hormone) sowie ACTH sezernieren. Sie kom<br />

men auch beim MEN-Syndrom Typ I vor.<br />

Das kleinzellige Bronchialkarzinom wird als die b<strong>ö</strong>s<br />

artigste Variante des Bronchuskarzinoids diskutiert.<br />

Atypische Karzinoide mit besonders großen Zellen und<br />

zahlreichen Mitosen werden als großzellige neuroen<br />

dokrine Karzinome bezeichnet. Sie stehen bezüglich<br />

ihrer Dignität zwischen dem atypischen Karzinoid und<br />

dem kleinzelligen Bronchialkarzinom.<br />

2.1.3 Genitalkarzinoide<br />

Karzinoide sind in den Ovarien (als Teil eines reifen<br />

Teratoms) und in den Hoden (häufiger als isolierte.


L Erkrankungen des neuroendokrinen Systems 135<br />

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Abb. I.-6: Atypisches Karzinoid. Übersichtsbild<br />

eines teils exophytisch in die<br />

Lichtung, teils infiltrierend in die Bronchialwand<br />

wachsenden Karzinoids.<br />

HE-Fbg.<br />

Abb. I.-7: Tumorlel der Lunge. Die Lichtung eines peripheren Bronchus wird<br />

teilweise von versilberbaren Zellen verlegt. Links: HE-Fbg., rechts: Grimclius-Fbg.<br />

prognostisch günstige 'Tumoren) beschrieben worden.<br />

In Prostatakarzinomen kommen in wechselnder Zahl<br />

neuroendokrine Zellen vor. Beim Strumakarzinoid<br />

handelt es sich um eine Sonderform des Teratoms, die<br />

in einem Tumorknoten Anteile einer Struma ovarii<br />

sowie Karzinoidstränge zeigt. In diesen Neubildungen<br />

lassen sich immunhistochemisch ACTH, Serotonin,<br />

Synaptophysin, Chromogranin, neuronspezifische<br />

Enolase sowie Thyreoglobulin nachweisen. Im Zyto<br />

plasma findet man elektronenmikroskopisch 250 bis<br />

350 nm große Granula.<br />

2.1.4 Thymuskarzinoid<br />

Einige Thymustumoren sind als Karzinoide mit Sekret<br />

granula identifiziert worden. Sie sind - gegenüber<br />

anderen Organkarzinoiden - weniger differenziert und<br />

von h<strong>ö</strong>herer Malignität. Die Tumorzellen zeigen<br />

Sekretgranula. Bei einigen 'Thymuskarzinoiden ist eine<br />

ACTH-Produktion beobachtet worden.<br />

2.1.5 Seltene Lokalisationen<br />

In seltenen Fällen kommen Karzinoide auch in ande<br />

ren Organen vor: Haut, Gallenwege, Speicheldrüse,<br />

Ösophagus u.a. In der Mamma wurden Karzinoide in<br />

duktalen und lobulären Karzinomen beobachtet. In<br />

diesen Fällen wird eine duale Differenzierung im Sinne<br />

eines neuroendokrinen und eines epithelialen Karzi<br />

noms angenommen. Die Prognose entspricht einem<br />

Adenokarzinom.<br />

2.2 Mukokarzinoid<br />

Differenzierte Karzinoide k<strong>ö</strong>nnen reichlich schleimbil<br />

dende Becherzellen von hoher Reife einschließen. In<br />

der Appendix kommen sie vorwiegend bei Frauen mit<br />

einem Durchschnittsalter von 60 Jahren vor. Im<br />

Gegensatz zu den klassischen Karzinoiden weisen die<br />

Mukokarzinoide eine stärkere lokale Ausbreitung und<br />

eine Neigung zur Metastasierung auf.<br />

2.3 Gemischtes Karzinoid<br />

und Adenokarzinom<br />

In diesen Fällen zeigt der Tumor unterschiedliche<br />

Differenzierung: Neben Anteilen eines reifen Grimelius-positiven<br />

Karzinoids finden sich Areale mit dem<br />

Aufbau eines Adenokarzinoms. Fließende Übergänge<br />

zwischen den beiden Tumoren werden beschrieben,<br />

wobei der neuroendokrine Tumor das Adenokarzinom<br />

überwuchern kann und somit eine hohe Malignität<br />

aufweist.<br />

2.4 Tumorähnliche Veränderungen<br />

Eine Hyperplasie kann aus EC- oder aus G-Zellen<br />

hervorgehen (siehe Abschn. 2.1.1.1: Magenkarzinoid).<br />

Als primäre gastrale G-Zellen-Überlünktion bezeich<br />

net man das sehr seltene klinische Bild eines Zollinger-


136 Endokrines System<br />

Ellison-Syndroms, das auf eine funktionelle Autonomie<br />

der antralen G-Zellen zurückzuführen ist. Histologisch<br />

liegt im Magenantrum eine leichte bis deutliche G-Zellen-Hyperplasie<br />

vor, ihr Nachweis ist allerdings nicht<br />

von diagnostischer Relevanz. Das Verhältnis G-/D-Zellen<br />

entspricht der Norm. Funktionell ist das Krank<br />

heitsbild in einer St<strong>ö</strong>rung im Feedback zwischen Säu<br />

rebildung und Gastrinsekretion zu suchen. Die sekun<br />

däre G-Zellen-IIyperplasie kommt bei der chroni<br />

schen Gastritis 'Typ A mit Ilypochlorhydrie vor.<br />

Klinik: Die meisten Karzinoide sind klinisch stumm<br />

oder manifestieren sich durch eine lokale Komplika<br />

tion (tumorbedingte Darmobstruktion), durch Metasta<br />

sen oder infolge einer endokrinen Hyperfunktion als<br />

— typische und atypische Karzinoidsyndrome,<br />

— Zollinger-Ellison-Syndrom,<br />

— gemischte Endokrinopathie oder durch<br />

— ektope Hormonproduktion.<br />

Karzinoidsyndrom: Das in Relation zur Karzinoidprävalenz<br />

seltene Karzinoidsyndrom wird bevorzugt<br />

durch die endokrine Aktivität gastrointestinaler Karzi<br />

noide (Sekretion von Serotonin, Histamin, Prosta<br />

glandinen und verschiedenen anderen Peptidhormonen)<br />

hervorgerufen. In den meisten Fällen liegt eine<br />

Metastasierung in die Leber vor, wobei der Primär<br />

tumor im Ileum (70% der Fälle), seltener im Magen<br />

(6%), Kolon (5%) oder Duodenum (3%) lokalisiert sein<br />

kann. Ferner sind andere Lokalisationen des Primär<br />

tumors {'/.. B. Bronchien, 'Thymus) zu nennen, dessen<br />

Vaskularisation den Portalkreislauf umgeht, so daß<br />

das Tumorsekretionsprodukt nicht von der Leber inak<br />

tiviert wird.<br />

Das klinische Leitsymptom ist der Flush mit seinem<br />

kurz- (2 bis 4 Minuten) oder langandauernden (Stun<br />

den bis Tage) Erythem, das sich vor allem in Gesicht<br />

und Nacken manifestiert. Der Flush wird auf gefäßak<br />

tive Substanzen, die der 'Tumor freisetzt, zurückge<br />

führt. Bei 80% der Patienten kommen explosionsar<br />

tige, wäßrige Durchfälle sowie krampfartige Bauch<br />

schmerzen vor, die durch Serotonin und Prosta<br />

glandine hervorgerufen werden: Als funktionelle St<strong>ö</strong><br />

rungen liegen eine verminderte enterale Wasser- und<br />

Elektrolytabsorption, eine verstärkte intestinale Flüssig<br />

keitsabgabe sowie eine erh<strong>ö</strong>hte Kontraktionsfrequenz<br />

der Dünndarmmuskulatur vor. Der 'Tumor kann auch<br />

rein mechanisch - über eine Obstruktion - zu einem<br />

Subileus bis Ileus und so zu heftigen Schmerzen füh<br />

ren. 25% der Patienten entwickeln eine Endokardfibrose<br />

(Trikuspidalis und Pulmonalis) im rechten Her<br />

zen. Zu den weiteren Befunden zählen: Bronchospas<br />

mus, pellagraartige Ilautveränderungen (durch Ver<br />

brauch von Tryptophan und Beeinträchtigung der<br />

Nikotinsäuresynthese), Gesichts<strong>ö</strong>dcm, Arthropathien<br />

und Myopathien.<br />

Bei klinischem Verdacht wird geprüft, ob eine Über<br />

produktion von Serotonin bestellt. Dies ist der Fall,<br />

wenn die renale Ausscheidung des Metaboliten 5-<br />

Hydroxyindolessigsäure (5-HIS; Normalwerte: 2 bis<br />

8 mg/Tag) über 0,08 mmol bzw. 15 mg pro Tag (über<br />

40 mg/Tag beweisend für das Vorliegen eines Karzino<br />

ids) beträgt. Bei negativem Ausfall dieser Bestimmung<br />

trotz typischer Karzinoidsymptomatik kann die 5-HIS-<br />

Messung im Harn nach Reserpin-Verabreichung (Pro<br />

vokation zur Serotoninfreisetzung) wiederholt werden.<br />

Die Lokalisation des Primärtumors wird durch bildge<br />

bende Verfahren (Sonographie, CT, Angiographie)<br />

bestimmt und durch die sonographisch kontrollierte<br />

Punktionszytologie gesichert.<br />

Beim atypischen Karzinoidsyndrom stehen folgende<br />

Befunde im Vordergrund: Flush mit starker R<strong>ö</strong>tung<br />

der Gesichtshaut, Gesichts<strong>ö</strong>dem, Augentränen, Rhinorrh<strong>ö</strong><br />

und verstärkte Speichelbildung. Diese Befunde<br />

werden auf die Einwirkung von 5-Hydroxytryptamin<br />

und Histamin zurückgeführt, die besonders in Karzi<br />

noiden des Vorderdarms gebildet werden.<br />

3 Multiple endokrine<br />

Neoplasien<br />

Unter dem Begriff »multiple endokrine Neoplasien«<br />

(MEN) werden verschiedene seltene, autosomal domi<br />

nant erbliche Erkrankungen zusammengefaßt, bei<br />

denen gut- oder b<strong>ö</strong>sartige Wucherungen unabhängig<br />

voneinander in verschiedenen endokrinen Drüsen<br />

(Hypophyse, Bauchspeicheldrüse, Schilddrüse, Neben<br />

niere) auftreten, z.T. gekoppelt mit pathologischen<br />

Veränderungen von Muskulatur, Nervensystem und<br />

Bindegewebe. Zunächst findet sich eine Hyperplasie<br />

endokriner Drüsenzellen, die über ein Adenomstadium<br />

zu maligner Entartung führen kann. Die Ausprägung<br />

der Erkrankung ist bei relativ hoher Penetranz der<br />

genetischen St<strong>ö</strong>rung unterschiedlich, und die Verände<br />

rungen entwickeln sich in den beteiligten Drüsen<br />

zeitlich unabhängig.<br />

Ätiologie und formale Pathogenese: Das kombinierte<br />

Auftreten der pathologischen Veränderungen in ver<br />

schiedenen endokrinen Drüsen läßt vermuten, daß der<br />

genetische Defekt in gemeinsamen Vorläuferzellen<br />

lokalisiert ist. Als solche kommen neuroektodermale<br />

Zellen und enteroendokrine Zellen in Betracht. Diese<br />

Zellen werden nach ihrer Fähigkeit, aus Aminosäuren<br />

biogene Amine zu bilden, auch als APUD-Zellen (amine<br />

precursor uptake and decarboxylation) bezeichnet.<br />

Diskutiert wird auch, daß die angeborene pathologi<br />

sche Veränderung von Drüsen-Stammzellen nicht<br />

unmittelbar zur Timiorbildung führt, sondern nur zu<br />

einer das ungehemmte Wachstum ausl<strong>ö</strong>senden Muta<br />

tion prädisponiert (Zweistufen-Modell).<br />

Beim Typ I der MEN (Wermer-Syndrom) sind Epithel<br />

k<strong>ö</strong>rperchen, Pankreas und Hypophyse betroffen. Die<br />

Erkrankung beginnt in der Regel im mittleren Erwach-


L. Erkrankungen des neuroendokrinen Systems 137<br />

senenalter (30. bis 50. Lebensjahr) als primärer Hyper<br />

parathyreoidismus. Bei den meisten Patienten entwikkeln<br />

sich zusätzlich multiple, endokrin aktive Pankre<br />

astumoren (hauptsächlich Gastrinome und Insiilinome),<br />

und bei jedem zweiten entstellt ein Hypo<br />

physenadenom (überwiegend Prolaktinome, aber auch<br />

STII-produzierende Tumoren). Daneben werden häu<br />

fig (klinisch unauffällige) Adenome der Nebennieren<br />

rinde gefunden.<br />

Der MEN-Typ II (Sipple-Syndrom) umfaßt eine multi<br />

zentrische Hyperplasie mit anschließender maligner<br />

Entartung der C-Zellen der Schilddrüse (medulläres<br />

Schilddrüsenkarzinom), kombiniert mit multiplen Ade<br />

nomen der Epithelk<strong>ö</strong>rperchen und mit meist doppel<br />

seitigem Phäochromozytom. Im Vordergrund steht die<br />

C-Zellen-Wucherung, und die Tumoren der Beischilddriiscn<br />

und der Nebennieren treten bei etwa der Hälfte<br />

der Patienten auf. Vom Typ II der MEN kann ein<br />

Typ IIb, auch als Typ III der MEN bezeichnet, abge<br />

grenzt werden. Bei diesen Patienten finden sich neben<br />

der C-Zellen-Hyperplasie mit bereits in jugendlichem<br />

Alter auftretender maligner Entartung und dem Phäo<br />

chromozytom nur selten eine Epithelk<strong>ö</strong>rperchenhyperplasie,<br />

dafür aber multiple Neurome der Schleim<br />

häute (Mundbereich und Intestinaltrakt, Auge). Außer<br />

dem sind Skelett- und Muskelentwicklung generell<br />

betroffen (u. a. marfanoider Habitus).<br />

Klinik: Im Beginn der Erkrankung dominiert bei der<br />

MEN vom Typ I die Symptomatik des primären Hyper<br />

parathyreoidismus (siehe S. 93). Den wichtigsten Hin<br />

weis auf das Vorliegen einer multiplen endokrinen<br />

Neoplasie liefert die Familienanamnese. Bei Familien<br />

angeh<strong>ö</strong>rigen I. und 2. Grades von Patienten mit nach<br />

gewiesenem Typ I der MEN sind Vorsorgeuntersu<br />

chungen im Abstand von 1 bis 2 Jahren angezeigt. Bei<br />

familiär unbelasteten Patienten mit primärem Hyper<br />

parathyreoidismus ist das zusätzliche Auftreten von<br />

St<strong>ö</strong>rungen der Hypophyse (Hyperprolaktinämie, Akro<br />

megalie, Hypopituitarismus) und/oder des Pankreas<br />

(Hypergastrinämie, Hyperinsulinismus) Hinweis auf<br />

das Vorliegen einer multiplen endokrinen Neoplasie.<br />

Leitsymptom der MEN vom Typ II ist das medulläre<br />

Schilddrüsenkarzinom mit Kalzitoninämie. Bei 10 bis<br />

20% der Patienten mit C-Zellen-Karzinom besteht bzw.<br />

entwickelt sich eine multiple endokrine Neoplasie. Die<br />

klinische Auswirkung eines begleitenden Hyperpara<br />

thyreoidismus ist meist geringer als bei Typ I, und<br />

die Überproduktion von Katecholaminen durch Phäo<br />

chromozytome kann klinisch stumm bleiben. Bei man<br />

chen Mitgliedern von Familien mit MEN vom Typ II<br />

kommt es andererseits allein zur Ausbildung von<br />

Nebennierenmarktumoren mit entsprechender Sym<br />

ptomatik (arterielle Hypertonie, Tachykardie usw.).<br />

Beim Typ III der MEN steht ebenfalls das häufig früh<br />

zeitig auftretende, aggressive medulläre Schilddrüsen<br />

karzinom im Vordergrund der klinischen Sym<br />

ptomatik. Zur Diagnose führen die typischen Schleimhautneurome<br />

(knotige Auftreibung von Lippen, Zunge<br />

und Wangenschleimhaut, Neurome an der Augenbindehaut,<br />

auf den Stimmbändern und im Gastrointestinaltrakt)<br />

und die marfanoide Erscheinung der Pa<br />

tienten.


138 Endokrines System<br />

M. Paraneoplasien<br />

Der Begriff »paraneoplastisches Syndrom« wurde von<br />

Boudin (1961, 1962) eingeführt und wie folgt definiert:<br />

»Pathologische Veränderungen, die an das Vorhan<br />

densein eines Karzinoms oder eines malignen Tumors<br />

gebunden sind, die aber bei einem Parallelverlauf<br />

nicht auf das Vorliegen von Metastasen zurückzufüh<br />

ren sind.« Heute ist eine Paraneoplasie durch folgende<br />

Merkmale charakterisiert:<br />

- Es besteht ein statistisch oder klinisch gesicherter<br />

Zusammenhang zwischen Tumor und Paraneopla<br />

sie. Die Klinik spricht für eine Korrelation, wenn die<br />

paraneoplastischen Symptome mit der Neubildung<br />

manifest werden, sich nach der Entfernung des<br />

Primärtumors zurückbilden und bei einem Rezidiv<br />

bzw. einer Metastasierung wieder auftreten.<br />

- Zwischen den paraneoplastischen Befunden und<br />

dem Tumor besteht ein pathogenetisch unbekann<br />

ter Zusammenhang. Ist dieser bekannt, dann wer<br />

den die Befunde als Tumorsymptom (z.B. Fieber,<br />

Kachexie) oder als Tumorsyndrom (z.B. Cushing-<br />

Syndrom bei einem Nebennierenrindentumor)<br />

bezeichnet. Handelt es sich um zwei eigenständige<br />

Krankheitsbilder, die zusammentreffen und sich in<br />

ihrer Entstehung bzw. ihrem Verlauf gegenseitig<br />

positiv oder negativ beeinflussen, dann spricht man<br />

von einer Syntropie.<br />

- Die zeitliche Korrelation zwischen Tumor und<br />

Paraneoplasie ist unterschiedlich: Beide k<strong>ö</strong>nnen<br />

synchron (gleichzeitig) oder metachron (hinterein<br />

ander) diagnostiziert werden. Von besonderer prak<br />

tischer Bedeutung sind die Paraneoplasien, die vor<br />

dem Primärtumor nachgewiesen werden, da sie<br />

einen »Neubildungsindikator« oder »'Tumormar<br />

ker« darstellen und somit zur Tumorfrühdiagnose<br />

führen k<strong>ö</strong>nnen. Die Prognose wird in der Regel<br />

durch den Verlauf des Primärtumors bestimmt.<br />

Für die endokrinen Paraneoplasien sind noch zusätz<br />

liche diagnostische Kriterien aufgestellt worden:<br />

- Zwischen dem Tumor und dem physiologischen<br />

Bildungsort des Hormons bestehen keine strukturel<br />

len, <strong>ö</strong>rtlichen oder ontogenetischen Beziehungen<br />

- Nachweis eines hohen, nicht zu beeinflussenden<br />

Hormonspiegels im Blut<br />

- hohe, biochemisch und/oder immunhistochemisch<br />

nachweisbare Hormonkonzentration im Tumor<br />

- Nachweis einer arterioven<strong>ö</strong>sen Differenz des Hor<br />

monspiegels in den Blutgefäßen, die den Tumor<br />

versorgen.<br />

Klinische Manifestationsformen einer Paraneopla<br />

sie. Zu den wichtigsten Varianten zählen:<br />

- hämatologische Paraneoplasien (hämolytische<br />

Anämien bei malignen Lymphomen, atypische Koagulopathien<br />

bei Magen- und Prostatakarzinomen,<br />

Polyglobulie beim Nierenkarzinom)<br />

- endokrine Paraneoplasien (ACTII-Paraneoplasie<br />

beim kleinzelligen Bronchialkarzinom)<br />

- neurologische und muskuläre Paraneoplasien<br />

(paraneoplastische Muskelatrophie oder myotrophe<br />

Lateralsklerose beim Lungenkarzinom)<br />

- paraneoplastische Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen<br />

(nephrotisches Syndrom bei M. Hodgkin).<br />

1 Endokrine Paraneoplasien<br />

Begriffsbestimmung - Häufigkeitsangaben: Es han<br />

delt sich um Krankheitsbilder, die einem Übcrfunktionssyndrom<br />

einer bestimmten endokrinen, morpho<br />

logisch aber unveränderten Drüse entsprechen. Die<br />

Symptomatik ist Folge einer Produktion von Hormonen<br />

oder hormonähnlichen Substanzen durch den Tumor<br />

(Primärtumor, Rezidivtumor oder seine Metastasen),<br />

der nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer<br />

endokrinen Drüse steht. Somit erscheint es - zumin<br />

dest für die meisten endokrinen Paraneoplasien —<br />

nicht mehr gerechtfertigt, sie als solche zu bezeichnen.<br />

Der Tumor (am häufigsten ein kleinzelliges Lungen<br />

karzinom) kann die verschiedenen Substanzen der<br />

Peptidkaskade produzieren: Prähormone, Prohor<br />

mone, Hormone und die Spaltprodukte Karboxyl- und<br />

Aminofragmente.<br />

Die allgemeine Häufigkeit eines endokrinen para<br />

neoplastischen Syndroms hängt vom Primärtumor ab.<br />

Genaue Werte sind allerdings nicht bekannt. Man<br />

nimmt an, daß etwa 10% aller kleinzelligen Bronchial<br />

karzinome mit einem Hyperkalzämiesyndrom, 5% mit<br />

einem ektopen ACTH-Syndrom und 2% mit einem<br />

ektopen ADH-Syndrom einhergehen.<br />

Die Alters- und Geschlechtsverteilung hängt vom<br />

Primärtumor ab. Besonders betroffen sind die Alters<br />

klassen um 40 bis 70 Jahre, dabei ist der männliche<br />

Teil etwas häufiger vertreten. Bei Patienten mit einer<br />

endokrinen Paraneoplasie wird der Tumor früher dia<br />

gnostiziert (evtl. wegen der richtig interpretierten,<br />

häufig dramatischen Symptomatik).<br />

Relative Häufigkeit der endokrinen Paraneoplasien:<br />

In seltenen Fällen treten multiple endokrine Para<br />

neoplasien gleichzeitig oder hintereinander bei einem<br />

Tumor-Patienten auf. Unter 1000 publizierten isolier<br />

ten Paraneoplasien handelte es sich<br />

- in 34% der Fälle um ein ektopes ACTH-Syndrom,<br />

- in 26% der Fälle um eine extrapankreatische Hypo<br />

glykämie,<br />

- in 16% der Fälle um eine paraneoplastische Hyper<br />

kalzämie,<br />

- in 14% der Fälle um ein ektopes ADH-Syndrom und<br />

- in 10% der Fälle um andere Paraneoplasien.


M. Paraneoplasien 139<br />

Primärtumoren mit endokriner Paraneoplasie. Die<br />

relative Häufigkeit geht aus der folgenden Zusam<br />

menstellung hervor:<br />

- 42% Bronchialkarzinome<br />

- 11% Weichteilgewebstumoren<br />

- 8% Leberkarzinome<br />

- 7% Pankreastumoren<br />

- je 4% Thymus- und Nierenkarzinome<br />

- 3% Nebennierentumoren<br />

- 21% andere Lokalisationen.<br />

Zeitliche Korrelation zwischen der Diagnose des<br />

Primärtumors und dem Auftreten der endokrinen<br />

Befunde: Bei 80% der endokrinen Paraneoplasien<br />

werden diese gleichzeitig oder vor dem Tumor<br />

erkannt. Die Korrelation hängt an erster Stelle von der<br />

Lokalisation des Primärtumors ab: So werden Pan<br />

kreas- und Nierenkarzinome in der Regel erst spät<br />

diagnostiziert.<br />

1.1 Ektopes ACTH-Syndrom<br />

(Paraneoplastischer Hyperkortizismus,<br />

paraneoplastisches Cushing-Syndrom,<br />

Kortikotropinom)<br />

Das klinische Bild wird durch eine ektope (nicht hypo<br />

physäre) Produktion von ACTH, seltener des Corticotropin-Releasing-Hormons<br />

(CRH) in einem Tumor her<br />

vorgerufen. Zu den häufigsten Legalisationen dieser<br />

Neubildungen zählen: Lungen (40%: kleinzelliges Kar<br />

zinom), Thymus (10%: kleinzelliges Karzinom), Pan<br />

kreas (10%: Inselzellkarzinom), Schilddrüse (5%: C-<br />

Zellen-Karzinom), Ovar (2%: Teratom), Prostata (2%:<br />

Adenokarzinom) und andere. Das Durchschnittsalter<br />

der Patienten mit ektopem ACTH-Syndrom beträgt<br />

50 Jahre, die Geschlechtsverteilung 1 m: 2 w. Die Para<br />

neoplasie kann metachron oder synchron mit dem<br />

Primärtumor auftreten. Die klinische Symptomatik<br />

entspricht - mit einigen Abweichungen - einem Cush<br />

ing-Syndrom. Charakteristisch sind die deutlich erh<strong>ö</strong>h<br />

ten Werte von freiem Cortisol und ad renalen Androge<br />

nen. Häufig wird das ektope ACTH-Syndrom von einer<br />

vermehrten MSH-Bildung (Hyperpigmentierung der<br />

Haut) begleitet.<br />

Bei einem ektopen ACTH-Syndrom zeigen die Neben<br />

nieren eine beidseitige Rindenhyperplasie. In der<br />

Hypophyse finden sich inhibierte ACTII-Zellen<br />

(Crooke-Zellen). Bei den seltenen Fällen von CRF-<br />

Paraneoplasien sind auch die Hypophysenzellen akti<br />

viert.<br />

1.2 Extrapankreatische Hypoglykämie<br />

Die paraneoplastische Hypoglykämie entspricht kli<br />

nisch der Hypoglykämie bei einem Inselzelltumor und<br />

wird unter Berücksichtigung des Primärtumors unter<br />

teilt in:<br />

Befunde<br />

Cushing-<br />

Syndrom<br />

Hktopes<br />

ACTH-<br />

Syndrom<br />

Alter 30 Jahre 50 Jahre<br />

Geschlecht (m:w) 1:4 3:1<br />

»Vollmondgesicht« +++ +<br />

Stammfettsucht +++ +<br />

Muskelschwund + +++<br />

Hypertonie +++ +<br />

Diabetes ++ +++<br />

hypokaliämische<br />

Alkalose + +++<br />

Ödeme + +++<br />

Hautpigmentierung + ++<br />

Polydipsie + ++<br />

Verlauf langsam fulminant<br />

Dexamethason-Test<br />

(8 mg)<br />

positiv negativ<br />

1.2.1 Doege-Potter-Syndrom<br />

Die Erkrankung kommt, bevorzugt im 5. bis 7. Dezen<br />

nium, bei Mann und Frau gleich häufig vor. Der<br />

Primärlumor ist in der Regel eine mesenchymale<br />

Neubildung, die intrathorakal (27%), intraabdominal<br />

(44%), retroperitoneal (28%) oder im Kopf-Hals-<br />

Bereich (1%) lokalisiert sein kann. In über 70% der<br />

Fälle liegt ein Fibrosarkom vor, seltener werden ein<br />

Leiomyosarkom oder ein malignes Lymphom diagno<br />

stiziert. Die Neubildungen weisen eine <strong>ö</strong>rtliche Mali<br />

gnität auf und sind fast immer sehr groß (bis zu 20 kg).<br />

Metastasen oder Rezidive sind selten. Als pathogeneti<br />

scher Mechanismus wird ein hoher Glucoseverbrauch<br />

durch den 'Tumor diskutiert.<br />

1.2.2 Nadler-Wblfer-Elliot-Syndrom<br />

Der Primärtumor ist ein hochdifferenziertes, glykogenreiches<br />

hepatozelluläres Karzinom (Typ B nach<br />

McFadzean und Yeung, 1969), das sehr groß werden<br />

kann (3 bis 7 kg). Die Altersverteilung umfaßt das 2.<br />

bis 7. Dezennium, dabei handelt es sich in 80% der<br />

Fälle um Männer. Als Ursache wird die verstärkte<br />

Bildung von Somatomedin in der Leber angenommen.<br />

Diese Verbindung weist eine insulinähnliche Wirkung<br />

auf (vgl. S.40). Das klinische Bild wird durch eine<br />

Neuroglykopenie (Verwirrtheit bis Koma bei normalem<br />

Insulinspiegel) beherrscht. Die Prognose ist schlecht,<br />

da die Überlebensdauer nach dem Auftreten der Hypo<br />

glykämie nur wenige Monate beträgt.


140 Endokrines System<br />

1.2.3 Anderson-Syndrom<br />

Bei diesem Syndrom handelt es sich um eine extrapankreatische<br />

Hypoglykämie bei einem im Durchschnitt<br />

2 kg schweren Nebennierenrindenkarzinom. Als Ursa<br />

che wird ein erh<strong>ö</strong>hter Glucoseverbrauch angenom<br />

men. Klinisch steht ein Cushing-Syndrom im Vorder<br />

grund. Diese seltene Erkrankung ist bei 10 bis<br />

50 Jahre alten Patienten beschrieben worden.<br />

1.2.4 Hypoglykämie bei epithelialen,<br />

nichtpankreatischen Tumoren<br />

Eine verminderte Glucosekonzentration im Blut ist bei<br />

verschiedenen Karzinomen (Magen-Darm, Lunge,<br />

Harnblase, Ovar) beschrieben worden. Die Hypoglyk<br />

ämien bei Pseudomyxomen des Ovars werden als<br />

Rosenfeld-Syndrom zusammengefaßt. Die meisten<br />

Primärtumoren werden sehr groß (9 kg), so daß ein<br />

Glucoseverbrauch durch die Neubildung als m<strong>ö</strong>glicher<br />

pathogenetischer Mechanismus der Hypoglykämie dis<br />

kutiert wird.<br />

1.3 Paraneoplastisches<br />

Hyperkalzämiesyndrom<br />

Verschiedene Karzinome werden von einer Hyperkalz<br />

ämie begleitet, die als »paraneoplastisch« bezeichnet<br />

wird, wenn der Primärtumor nicht von den Epithelk<strong>ö</strong>r<br />

perchen ausgeht, eine Knochenmelastasierung ausge<br />

schlossen werden kann und sich die Hyperkalzämie<br />

nach operativer Entfernung des Karzinoms zurückbil<br />

det. Der Sitz des Primärtumors ist in der Lunge (38%),<br />

in Niere (25%), Ovar und Pankreas (je 9%) sowie in<br />

anderen Organen zu suchen. Histologisch handelt<br />

es sich bevorzugt um Plattenepithelkarzinome und<br />

Adenokarzinome. Als Ursache kommen verschiedene<br />

Substanzen, die durch den Tumor produziert werden,<br />

in Frage: ein parathormonähnliches Peptid, osteoklastenaktivierende<br />

Faktoren, osteolytische Steroide und<br />

Prostaglandine. Die Alters- und Geschlechtsverteilung<br />

mit einem Häufigkeitsgipfel im 6. Dezennium wird<br />

durch den Primärtumor bestimmt. Zu den wichtigsten<br />

klinischen Befunden zählen Hyperkalzämie, Hyperphosphatämie,<br />

Hyperkalziurie, Hyperphosphaturie<br />

und eine normal alkalische Serumphosphatase. Eine<br />

Abgrenzung gegenüber einem Hyperparathyreoidis<br />

mus geht aus folgender Gegenüberstellung hervor:<br />

Befund Primärer Paraneoplastische<br />

HPT Hyperkalzämie<br />

Verlauf langsam rapide<br />

Iipithelk<strong>ö</strong>rperchen Adenom normal/atrophisch<br />

Gewichtsabnahme - +++<br />

Hypophosphatämie +++ -<br />

Nephrokalzinose ++ +<br />

Nephrolithiasis ++ +<br />

Osteodystrophie +++ -<br />

hypokaliämische<br />

Alkalose - ++<br />

1.4 Ektopes ADH-Syndrom<br />

(Schwartz-Bartter-Syndrom,<br />

Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion,<br />

paraneoplastische Hyponatriämie)<br />

Das Schwartz-Bartter-Syndrom wurde bei verschiede<br />

nen Erkrankungen des Zentralnervensystems (pri<br />

märe und metastatische Hirntumoren, vaskuläre Hirnerkrankungen,<br />

Schädeltraumen und Mißbildungen)<br />

beobachtet. Als paraneoplastisches Syndrom ist es in<br />

87 von 92 Fällen in Zusammenhang mit Lungentumo<br />

ren (kleinzelliges Bronchialkarzinom) beobachtet<br />

worden.<br />

Klinik: Das klinische Bild ist durch Befunde, die auf<br />

eine Wasserintoxikation deuten, gekennzeichnet:<br />

Anorexie, Nausea, Erbrechen, Ermüdung, zeitliche<br />

und räumliche Desorientierung. Die Zeichen einer<br />

Dehydratation fehlen. Von diagnostischer Bedeutung<br />

sind die biochemischen Befunde: niedriger Serum-<br />

Natriumspiegel, Hypochloräniie, gesteigerte Ausschei<br />

dung von Natrium im Urin, vermehrt ADH in Plasma,<br />

Urin und Tumor.<br />

Diflerentialdiagnostisch ist das ektope ADH-Syndrom<br />

von folgenden Erkrankungen abzugrenzen:<br />

- Morbus Addison (Hypervolämie, hypotone Dehydra<br />

tation, Azotämie)<br />

- Tubuläre Nephropathie (Hyponatriämie, Hyperosmolarität)<br />

- Terminale Herzinsuffizienz (schwere Ödeme, ver<br />

minderte Natriumausscheidung)<br />

- Hypophysenhinterlappeninsuffizienz (keine Hypernatriurie,<br />

keine Besserung durch Wasserkarenz)<br />

- Psychogene Polydipsie (stark verdünnter Harn).<br />

Die zeitliche Korrelation zwischen Tumor und Para<br />

neoplasie umfaßt alle Varianten. In den meisten Fällen<br />

werden beide gleichzeitig diagnostiziert.<br />

1.5 Paraneoplastisches<br />

Karzinoidsyndrom<br />

Symptome der paraneoplastischen Karzinoidsyndrome<br />

werden von Tumoren hervorgerufen, die keine mor<br />

phologischen Karzinoideigenschaften aufweisen, aber<br />

in den meisten Fällen den neuroendokrinen Geschwül<br />

sten zuzuordnen sind. Zu diesen Primärtumoren geh<strong>ö</strong><br />

ren das Lungenkarzinom (45% aller Fälle, vorwiegend<br />

kleinzelliger Typ), Pankreaskarziom (35%, Inselzell<br />

karzinom, Adenokarzinom) sowie Schilddrüsentumo<br />

ren (C-Zellen-Karzinom) und andere. An dieser Stelle<br />

sei darauf hingewiesen, daß das kleinzellige Bronchial<br />

karzinom als die maligne Variante des Lungenkarzinoids<br />

angesehen wird. Zu den häufigsten klinischen<br />

Befunden zählen:<br />

- Hautsymptome: Flush, Teleangiektasien, Ödeme<br />

- Gastrointestinale Symptome: Diarrh<strong>ö</strong>en, Abdominalschmerz,<br />

Diabetes


M. Paraneoplasien 141<br />

Respiratorische Symptome: Asthma bronchiale<br />

Tumorsymptome: Gewichtsverlust, Organkompres<br />

sion.<br />

Die beim typischen Karzinoidsyndrom auftretenden<br />

Endokardverdickungen werden beim paraneoplasti<br />

schen Karzinoidsyndrom nicht beobachtet.<br />

1.6 Gonadotropinproduzierende<br />

Lungen- und Lebertumoren<br />

Gonadotrope Hormone werden in der Hypophyse, in<br />

der Plazenta und unter pathologischen Bedingungen<br />

auch im Hoden (Chorionkarzinom) produziert. Als<br />

ektope gonadotropinproduzierende Tumoren sind<br />

anaplastische Lungenkarzinome (seltener Tumoren<br />

der Nieren, Nebennieren, des Gastrointestinaltrakts,<br />

der Pankreasinseln oder des Ovars) und Hepatoblastome<br />

beschrieben worden. Die klinische Manifesta<br />

tion ist auf die Produktion von ß-HCG zurückzuführen,<br />

während das häufiger vorkommende u-IICG stumm<br />

bleibt.<br />

1.6.1 Gonadotropinproduzierende Lungenkarzinome<br />

Bei einigen Lungentumoren (anaplastische Karzinome,<br />

Plattenepithelkarzinome und Adenokarzinome) wur<br />

den gonadotrope Substanzen mit luteotropen Eigen<br />

schaften nachgewiesen. Besonders betroffen ist das<br />

männliche Geschlecht (im Verhältnis 9:1) mit einem<br />

Altersgipfel im 5. Lebensjahrzehnt. Zu den klinischen<br />

Frühsymptomen zählt die Gynäkomastie. In Tumor,<br />

Serum und Harn lassen sich erh<strong>ö</strong>hte HCG-VVerte nach<br />

weisen.<br />

1.6.2 Gonadotropinproduzierende Hepatoblastome<br />

Bei diesem Syndrom handelt es sich um einen mali<br />

gnen Tumor, der für die ektope Gonadotropinproduk<br />

tion (LH-ähnliches Hormon) verantwortlich ist. Dieses<br />

Krankheitsbild wird als hepatogenitales Syndrom<br />

bezeichnet. Histologisch handelt es sich um ein juveni<br />

les Hepatoblastom mit in Strängen angeordneten Karzinomzcllen,<br />

die pseudoglomeruläre und primitive<br />

adenomat<strong>ö</strong>se Strukturen bilden. Das Krankheitsbild<br />

entwickelt sich bei Knaben, die h<strong>ö</strong>chstens 10 Jahre alt<br />

sind, und ist durch Lebervergr<strong>ö</strong>ßerung und Pseudopubertas<br />

praecox gekennzeichnet. Zu den wichtigsten<br />

klinischen Befunden zählen: vermehrte 17-Ketosteroide<br />

im Harn, Hepatomegalie, ausgeprägte Scham<br />

behaarung und Penishypertrophie, vergr<strong>ö</strong>ßerte<br />

Hoden, tiefe Stimme, gut entwickelte Muskulatur und<br />

erh<strong>ö</strong>htes Knochenalter. Eine Akromegalie ist bei einem<br />

Bronchialkarzinoid beschrieben worden.<br />

1.7 Erythropoetinbildende Tumoren<br />

Eine paraneoplastische Polyglobulie wird bei Nieren<br />

karzinomen (Forssel-Syndrom) beobachtet und ist auf<br />

eine durch den Tumor verstärkte Bildung von Erythropoetin<br />

bzw. eine erythropoetinähnliche Substanz<br />

zurückzuführen. Ferner sind noch andere formalpathogenetische<br />

Mechanismen diskutiert worden, wie<br />

z. B. der verz<strong>ö</strong>gerte Abbau von EPS (erythropoietinproducing<br />

substance) oder der Druck eines retroperitonealen<br />

Tumors auf die Niere, der die Erythropoetinbildung<br />

stimuliert. Die bei Tumoren des Zentralner<br />

vensystems (ZNS) vorkommende paraneoplastische<br />

Polyglobulie wird als zentralnerv<strong>ö</strong>se St<strong>ö</strong>rung der Erythropoeseregulation<br />

gedeutet.<br />

Zu den häufigsten Primärtumoren, die von einer para<br />

neoplastischen Polyglobulie begleitet werden, zählen:<br />

- N i e r e n t u m o r e n 4 0 %<br />

- L e b e r z e l l k a r z i n o m e 2 2 %<br />

- G e f ä ß t u m o r e n 1 0 %<br />

- U t e r u s m y o m e 1 0 %<br />

- i n t r a k r a n i e l l e T u m o r e n 5 %<br />

- a n d e r e P r i m ä r t u m o r e n 1 3 % .<br />

Bei den Nierentumoren handelt es sich in der Begel<br />

um Adenokarzinome (hypernephroide Karzinome).<br />

Nephroblastome kommen sehr selten vor. Unter den<br />

Gefäßtumoren sind die Hämangioendotheliome zu<br />

nennen. Zu den intrakraniellen Tumoren zählen Hypo<br />

physenadenome, Glioblastome, Angiome u.a.<br />

Klinik: Zu den wichtigsten klinischen Befunden zählen<br />

Plethora, Bluthochdruck, Hepatosplenomegalie und<br />

hämorrhagische Diathese. Leitsymptome sind die<br />

hämatologischen Befunde, die weitgehend mit denen<br />

einer Polycythaemia vera übereinstimmen. Thrombozytose<br />

und Leukozytose kommen bei der paraneopla<br />

stischen Polyglobulie nur in 15 bis 20% der Fälle vor.<br />

Erythrozytenzahl, Hämoglobin- und Hämatokritwerte<br />

sind dagegen deutlich erh<strong>ö</strong>ht.<br />

Zeitliche Wechselbeziehungen zwischen Paraneopla<br />

sie und Primärtumor: Nur bei 15% der Patienten mit<br />

paraneoplastischer Polyglobulie wird der Primärtumor<br />

vor der Paraneoplasie klinisch manifest und erkannt.<br />

1.8 Seltene endokrine Paraneoplasien<br />

Beim ektopen STH-Syndrom wird der Tumor (ein<br />

Adenokarzinom, seltener ein verhorntes Plattenepi<br />

thelkarzinom der Lunge) von einer hypertrophen<br />

Osteoarthropathie (Pierre-Marie-Bamberger-Syndrom)<br />

begleitet. B<strong>ö</strong>ntgenologisch erkennt man eine periostale<br />

Proliferation im Bereich der Bohren-, Metakarpal- und<br />

Metatarsalknochen sowie in den Phalangen der Hände<br />

und Füße. Wirbelk<strong>ö</strong>rper und Schädelknochen bleiben<br />

dagegen unverändert. Die Alters- und Geschlechtsver<br />

teilung stimmt mit der einer unausgewählten Patientengruppc<br />

mit Lungenkarzinom überein. Die Diagnose


142 Endokrines System<br />

wird durch den Nachweis eines erh<strong>ö</strong>hten Siil-Spiegels<br />

im Serum bestätigt.<br />

Ektopes TSH-Syndrom: Paraneoplastische, durch<br />

einen nichtthyreoidalen Tumor hervorgerufene Hyper<br />

thyreosen sind ganz vereinzelt bei Trophoblastenneubildungen.<br />

Bronchial- und Mammakarzinomen be<br />

schrieben worden. Bei diesen Patienten bestand ein<br />

erh<strong>ö</strong>hter TSH-Spiegel im Plasma mit einer entspre<br />

chenden arterioven<strong>ö</strong>sen Differenz.<br />

Zu den besonders seltenen, ektop gebildeten Hormo<br />

nen zählen<br />

- Kalzitonin: Hyperkalzämie beim kleinzelligen Bron<br />

chialkarzinom<br />

- Prolaktin: Galaktorrh<strong>ö</strong> bei Nieren- und Lungen<br />

karzinomen<br />

- Plazentalaktogen (HPL = human placental lacto<br />

gen): Gynäkomastie oder klinisch stumm bei<br />

Lungenkarzinomen<br />

- Enteroglukagon: Obstipation und Malabsorption<br />

bei Nierenkarzinomen<br />

- VIP: Diarrh<strong>ö</strong> und Hypokaliämie beim kleinzelligen<br />

Lungenkarzinom.<br />

1.9 Multiple paraneoplastische<br />

Endokrinopathien<br />

In seltenen Fällen kommt es zur gleichzeitigen Produk<br />

tion von mehreren hormonähnlichen Verbindungen in<br />

einem Tumor, die aber nicht klinisch relevant sein<br />

muß. Dabei handelt es sich vorwiegend um kleinzellige<br />

Bronchialkarzinome oder um Inselzellkarzmome, die<br />

ACTH, MSH, Gastrin, Glukagon und andere Stoffe<br />

bilden k<strong>ö</strong>nnen.<br />

2 Nichtendokrine<br />

Paraneoplasien<br />

Bei Primärtumoren eines endokrinen Organs kommen<br />

nichtendokrine Paraneoplasien (z.B. hämatologische,<br />

neurologische oder kutane Paraneoplasien) extrem<br />

selten vor. Hier ist das nekrolytische, migratorische<br />

llaulerylhem bei Glukagonom zu erwähnen.


N. Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 143<br />

N. Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen<br />

1 Adipositas<br />

Adipositas als Fettsucht bedeutet, daß das Fettgewebe<br />

einen zu hohen Anteil der gesamten K<strong>ö</strong>rpermasse<br />

einnimmt. Übergewicht kann, muß aber nicht mit<br />

Adipositas einhergehen. Kinder werden als überge<br />

wichtig angesehen, wenn sie schwerer sind als 95%<br />

der gleich großen Kinder.<br />

Bei Erwachsenen wird versucht, den Einfluß der K<strong>ö</strong>r<br />

pergr<strong>ö</strong>ße auf das Gewicht durch Berechnung von<br />

Gewichtsindizes zu eliminieren. Der in Europa übliche<br />

Broca-Index definiert:<br />

Sollwert (kg) = K<strong>ö</strong>rpergr<strong>ö</strong>ße (cm) minus 100<br />

Als Grenze für Übergewicht wird beim Broca-Index<br />

altersunabhängig 120%, z.T. aber auch 125% festge<br />

legt.<br />

Der ebenfalls häufig verwendete Quetelet-Index bzw.<br />

body mass index (BMI) ist definiert als<br />

BMI = K<strong>ö</strong>rpermasse (kg)/K<strong>ö</strong>rpergr<strong>ö</strong>ße2 (m2)<br />

Als Beginn von Übergewicht wird ohne Berücksichti<br />

gung des Alters ein BMI zwischen 25 und 30 kg/m2<br />

definiert.<br />

Die beiden Gewichtsindizes sind unterschiedlich gr<strong>ö</strong><br />

ßenabhängig. Ein Broca-Index von 120% entspricht bei<br />

einer K<strong>ö</strong>rpergr<strong>ö</strong>ße von 180 cm einem BMI von 29,6,<br />

bei einer Gr<strong>ö</strong>ße von 160 cm einem BMI von 28,1. Mit<br />

zunehmender mittlerer K<strong>ö</strong>rpergr<strong>ö</strong>ße nimmt daher die<br />

Prävalenz von Übergewicht, definiert nach Broca,<br />

gegenüber der nach dem BMI definierten rechnerisch<br />

ab.<br />

Die dritte Methode der Gewichtsbeurteilung verwendet<br />

als Referenzgewicht das Gewicht, bei dem nach<br />

Lebensversicherungsstatistiken (in den USA) Men<br />

schen entsprechender Gr<strong>ö</strong>ße die niedrigste Mortalität<br />

haben. Als Übergewicht gelten in der Begel Werte<br />

oberhalb von 120% des Referenzgewichts (entspre<br />

chend einem BMI von 27 bis 28 kg/m2).<br />

Der Fettanteil an der K<strong>ö</strong>rpermasse kann über die<br />

Hautfaltendicke abgeschätzt werden (Index z. B.<br />

Summe der Ilaulf altendicke über dem M. triceps und<br />

subskapular). Zur exakten Bestimmung ist z. B. die<br />

(aufwendige) Messung der mittleren Dichte des K<strong>ö</strong>r<br />

pers erforderlich. Adipositas wird als Fettanteil von<br />

>20% bei Männern bzw. >25% bei Frauen definiert.<br />

Nach dem Bisikofaktorenkonzept kann aus den stati<br />

stischen Beziehungen zwischen Gewichtsindex und<br />

Mortalität oder Morbidität ein Idealbereich mit mini<br />

malem Risiko und ein oberer Grenzwert des »Normal<br />

bereichs« in Abhängigkeit von dem noch tolerierten<br />

relativen Hisiko abgeleitet werden. Problematisch bei<br />

einer solchen Analyse des Gewichtsindex als Risikofak<br />

tor ist, daß<br />

- Ausmaß und Art des statistischen Zusammenhangs<br />

zwischen Gewichtsindex und Mortalität bzw.<br />

Erkrankungshäufigkeit von Studie zu Studie erheb<br />

lich verschieden sind (U- oder J-f<strong>ö</strong>rmige Kurven mit<br />

h<strong>ö</strong>herer Mortalität bei sehr niedrigem Gewichts<br />

index, keine sichere oder altersabhängig unter<br />

schiedliche Korrelation zwischen Gewichtsindex<br />

und Mortalität)<br />

- die Gewichtsindizes und die Fettanteilindizes (1 lautfaltendicke)<br />

mit der Inzidenz bestimmter Erkran<br />

kungen unterschiedlich korrelieren<br />

- die Inzidenz von Herz- und Kreislauferkrankungen<br />

bei abdominell betonter Fetteinlagerung (androider<br />

Typ) erheblich h<strong>ö</strong>her ist als bei vorwiegend auf<br />

Hüften und Oberschenkel konzentrierter Adipositas<br />

(gynoider Typ)<br />

- andere sichere Risikofaktoren, wie Bauchen oder<br />

niedriger Sozialstatus, unterschiedlich mit dem<br />

Gewichtsindex korreliert sind (Baucher haben<br />

durchschnittlich geringeres, Angeh<strong>ö</strong>rige unterer<br />

Sozialschichten h<strong>ö</strong>heres Gewicht).<br />

Extrem hohe Gewichtsindizes (oberhalb von ca. 175%<br />

des Beferenzgewichts oder einem BMI von 40 kg/m2)<br />

gehen eindeutig mit anormal hoher Morbidität und<br />

Mortalität einher. Problematischer ist die willkürliche<br />

kategoriale Unterscheidung von noch normalem<br />

Gewicht und Übergewicht, bei der je nach gewähltem<br />

Grenzwert 20% bis über 40% der erwachsenen Bev<strong>ö</strong>l<br />

kerung als gesundheitsgefährdend übergewichtig klas<br />

sifiziert werden. Es steht zwar fest, daß mit zunehmen<br />

dem Gewichtsindex vermehrt Insulinresistenz, Hyperlipidämic.<br />

arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz<br />

und auch Osteoarthritiden gefunden werden, und<br />

Gewichtsreduktion führt häufig zur Senkung des arte<br />

riellen Blutdrucks und zur Verbesserung der Stoffwechsellage<br />

bei Typ-II-Diabetes. Andererseits werden<br />

atherosklerotische Veränderungen, z. B. der Koronar<br />

arterien, bei der Obduktion von extrem übergewichti<br />

gen Personen nicht häufiger gesehen als bei solchen<br />

mit »Normalgewicht«. In einigen epidemiologischen<br />

Studien fand sich ein kontinuierlicher Anstieg der<br />

Mortalität an Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit dem<br />

Gewichtsindex. ahm- in anderen (z. B. »Sieben-Länder-<br />

Studie«) nahm die Herzinfarktsterblichkeit 40- bis<br />

59jähriger Männer mit steigendem Gewichtsindex<br />

sogar ab. In den USA war der starke Rückgang insbe<br />

sondere der Herz-Kreislauf-Mortalität in den letzten<br />

Jahrzehnten von einem Anstieg des mittleren K<strong>ö</strong>rper-


144 Endokrines System<br />

gewichtsindex begleitet. Daher sollte man Patienten<br />

erst dann als gesundheitsgefährdend übergewichtig<br />

bzw. behandlungsbcdürftig adip<strong>ö</strong>s einstufen, wenn ihr<br />

Gewicht im oberen Extrembereich der alters- und<br />

gr<strong>ö</strong>ßenkorrigierten Häufigkeitsverteilung liegt oder<br />

wenn bei relativ hohem Gewichtsindex weitere Risi<br />

ken, wie diabetische Stoffwechsellage, Hyperlipidämie<br />

oder arterielle Hypertonie, bestehen, deren Auswir<br />

kung durch Gewichtsreduktion gemildert werden<br />

kann. Bei dieser Beurteilung muß neben dem Ge<br />

wichtsindex der Typ der Fetteinlagerung beachtet<br />

werden (h<strong>ö</strong>heres Risiko bei androgyn Adip<strong>ö</strong>sen). Im<br />

Bereich mäßig erh<strong>ö</strong>hter Gewichtsindiz.es ist die Adipo<br />

sitas weniger ein somatisch-medizinisches als ein psy<br />

chosoziales Problem.<br />

Pathogenese: K<strong>ö</strong>rpergewicht und Fetteinlagerung<br />

k<strong>ö</strong>nnen als Regelgr<strong>ö</strong>ßen angesehen werden, die der<br />

K<strong>ö</strong>rper entsprechend einem intern (auf unbekannte<br />

Weise) vorgegebenen Sollwert einstellt. Als Stellgr<strong>ö</strong>ßen<br />

zur Gewichtsreduktion stehen dem Organismus zur<br />

Verfügung:<br />

- Einschränkung der Nahrungsaufnahme<br />

- Bevorzugung energetisch geringerwertiger Nah<br />

rung bei gleicher Aufnahmemenge<br />

- Verringerung der Ausnutzung der Nahrung<br />

- Erh<strong>ö</strong>hung des Energieverbrauchs durch vermehrte<br />

k<strong>ö</strong>rperliche Arbeit<br />

- Steigerung der (zitterfreien) Thermogenese (über<br />

Schilddrüscnhormone und Katecholamine).<br />

Im physiologischen Regelungsprozeß werden alle<br />

M<strong>ö</strong>glichkeiten mit Ausnahme der Verringerung der<br />

Effizienz von Aufschluß und Resorption der Nahrung<br />

genutzt. Wenn die Energiezufuhr den Energieumsatz<br />

im Mittel um 5% übersteigt, resultiert nach einem Jahr<br />

bereits eine Gewichtszunahme von etwa 5 kg. Ange<br />

sichts der stark wechselnden (und meist zu hohen)<br />

Energiezufuhr mit der Nahrung und dem ebenfalls<br />

erheblich variierenden Ausmaß k<strong>ö</strong>rperlicher Bela<br />

stung spricht die mittelfristig hohe Konstanz des indivi<br />

duellen Gewichts für hohe Begelungseffizienz.<br />

Vermehrte Fetteinlagerung kann auf einer Hypertro<br />

phie der Fettzellen oder auf Hyperplasie mit Hypertro<br />

phie beruhen. Die Hypertrophie dominiert bei mäßi<br />

ger, abdominal betonter Adipositas, die Hyperplasie<br />

bei massiver genereller Adipositas. Zu den zahlreichen<br />

Hypothesen über Ursachen und Pathomechanismus<br />

der Gewichtszunahme geh<strong>ö</strong>rt, daß Adip<strong>ö</strong>se<br />

- aufgrund von Überfütterung im Kleinkindalter ver<br />

mehrt Fettzellen entwickeln und auf Dauer besitzen<br />

(»Fettzellhypothese«)<br />

- verstärkt auf Nahrungsreize ansprechen und<br />

dadurch die Nahrungsaufnahme bei appetitlichem<br />

Angebot über den Bedarf hinaus erh<strong>ö</strong>hen<br />

- bei der Auswahl der Nahrung fettreiche, energetisch<br />

hochwertige Speisen bevorzugen<br />

- einen bezogen auf die fettfreie K<strong>ö</strong>rpermasse<br />

geringeren Buheenergieverbrauch haben (gute Futterverwerter)<br />

- nach Nahrungsaufnahme den Energieumsatz weni<br />

ger steigern (verringerte nahrungsinduzierte Ther<br />

mogenese)<br />

- sich weniger bewegen und daher weniger Energie<br />

ben<strong>ö</strong>tigen<br />

- eine angeboren h<strong>ö</strong>here Einstellung des Gewichts als<br />

Regelgr<strong>ö</strong>ße haben.<br />

Vor allem aufgrund erbbiologischer Studien ist erwie<br />

sen, daß eine endogene, genetisch determinierte<br />

H<strong>ö</strong>herstellung des Sollwerts die Hauptrolle in der<br />

Entstehung von Übergewicht spielt. Der Stellenwert<br />

von Ernährungsweise, Erziehung und Nachahmungs<br />

lernen in der Familie ist bei weitem nicht so hoch wie<br />

der der Veranlagung. Einer der Beweise dafür ist, daß<br />

die Gewichtsentwicklung frühzeitig adoptierter Kinder<br />

mit der der natürlichen und nicht mit der der Adoptiv<br />

eltern positiv korreliert. Die Manifestation einer gene<br />

tischen Prädisposition zur Einstellung h<strong>ö</strong>heren K<strong>ö</strong>r<br />

pergewichts hängt von den Umweltbedingungen ab.<br />

Begrenzte Nahrungsverfügbarkeit und sozialer Druck<br />

(Sch<strong>ö</strong>nheitsideal) beeinflussen das Ausmaß der Nah<br />

rungsaufnahme und m<strong>ö</strong>glicherweise auch den Soll<br />

wert der Gewichtsregulation selbst. Frauen aus unte<br />

ren Sozialschichten haben weitaus häufiger hohe<br />

Gewichtsindizes als die aus oberen Sozialschichten. Im<br />

psychopathologischen Bereich wird übermäßige Nah<br />

rungsaufnahme mit resultierender Fettsucht als<br />

Mechanismus psychischer Abwehr von Konflikten<br />

beobachtet. Entgegen der der »Fettzellhypothese«<br />

zugrunde liegenden Vermutung gibt es keine vulnera<br />

ble Phase der Kindheit, in der durch Überfütterung<br />

eine Hyperplasie der Adipozyten induziert und die<br />

spätere Entwicklung von Adipositas determiniert wird.<br />

Die meisten übergewichtigen Kinder haben als<br />

Erwachsene ein im Normbereich liegendes Gewicht.<br />

Auch die Annahme, Übergewichtige ließen sich leich<br />

ter durch reichliches Angebot appetitanregender Spei<br />

sen zu übermäßigem Essen verleiten, hat sich nicht<br />

verifizieren lassen. Bei Nahrungsaufnahme ad libitum<br />

ist der Energieumsatz übergewichtiger Erwachsener,<br />

bezogen auf die fettfreie K<strong>ö</strong>rpermasse, etwa ebenso<br />

hoch wie der Normalgewichtiger, steigt jedoch nach<br />

Nahrungsaufnahme weniger an (reduzierte nahrungs<br />

bedingte Thermogenese). Als Ursache dafür wird eine<br />

unzureichende Aktivierung des sympathoadrenalen<br />

Systems nach Nahrungsaufnahme angesehen. Diese<br />

Befunde lassen auf die Beteiligung eines Regulations<br />

defekts an der Adipositasgenese schließen. Anderer<br />

seits läßt sich die dominierende Bedeutung der Soll<br />

wertverstellung im Regelkreis für das K<strong>ö</strong>rpergewicht<br />

daraus ableiten, daß primär Adip<strong>ö</strong>se nach künstlicher<br />

Senkung des Gewichts durch Fasten den Energieumsatz<br />

pro fettfreie K<strong>ö</strong>rpermasse unter den von Perso<br />

nen, die ohne Nahrungsrestriktion das gleiche Gewicht<br />

halten, absenken.


N. Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 145<br />

2 Kachexie 3 Lipidstoffwechselst<strong>ö</strong>rungen<br />

Kachexie stellt anormale Abmagerung mit Reduktion<br />

insbesondere der fettfreien K<strong>ö</strong>rpermasse dar. Wie bei<br />

der Adipositas ist die Grenze, ab der eine Gcwichtabnahme<br />

als gesundheitsgefährdend einzustufen ist,<br />

nicht klar definiert. Zu einer Dekompensation der<br />

K<strong>ö</strong>rperfunktionen ist ein Verlust von mindestens 20%<br />

der fettfreien K<strong>ö</strong>rpermasse erforderlich.<br />

Pathogenese: Ursache einer Kachexie k<strong>ö</strong>nnen man<br />

gelhafte Zufuhr oder Verwertung von Nahrungsstoffen<br />

und erh<strong>ö</strong>hter Energieumsatz bei katabolcr Stoffwech<br />

sellage sein. Eine unzureichende Nahrungsaufnahme<br />

liegt vor bei<br />

- fehlendem Angebot (Nahrungsentzug)<br />

- Appetitlosigkeit infolge neurotischer St<strong>ö</strong>rungen<br />

(Anorexia nervosa), schwerer Erkrankungen<br />

(Tümorleiden, Stoffwechselkrankheiten, chronische<br />

Infektionskrankheiten) oder altersatrophischer zere<br />

braler Veränderungen<br />

- Schluckst<strong>ö</strong>rungen oder ständigem Erbrechen<br />

infolge von Stenosen im Verdauungstrakt<br />

- Resorptionsst<strong>ö</strong>rungen (z. B. Malabsorptionssyndrom).<br />

Zu übermäßiger Steigerung im Energieumsatz kann<br />

es kommen bei<br />

- exzessiver Hyperthyreose<br />

- erh<strong>ö</strong>hter Stimulation der 'Thermogenese durch<br />

Katecholamine, z. B. beim Typ-I-Diabetes oder nach<br />

längerdauernder Unterernährung<br />

- malignen Erkrankungen und chronischen Infek<br />

tionskrankheiten, insbesondere unter dem Einfluß<br />

von Botenstoffen, wie dem von Makrophagen sezernierten<br />

Kachektin (= Tumornekrosefaktor).<br />

In vielen Fällen (Malignome, Infektionen usw.) sind<br />

sowohl die Nahrungsaufnahme vermindert als auch<br />

der Energieumsatz erh<strong>ö</strong>ht. Bei der Hungerdystrophie<br />

wirkt sich neben der unzureichenden Energieversor<br />

gung besonders der Eiweißmangel aus.<br />

Als Folge des unzureichenden Nachschubs im Bauund<br />

Betriebsstoffwechsel ist bei Kachexie die Funk<br />

tionsbreite der hom<strong>ö</strong>ostatischen Regelsysteme allge<br />

mein eingeschränkt. K<strong>ö</strong>rpertemperatur und arterieller<br />

Druck sind erniedrigt, und Belastungen führen rasch<br />

zu taehykardem Kreislaufversagen. I laut und Schleim<br />

häute atrophieren. Es besteht Anämie und Ilypoproteinämie.<br />

Die Beaktionsfähigkeit des Immunsystems ist<br />

reduziert (u.a. mangelhafte Antik<strong>ö</strong>rperbildung). Bei<br />

schwerer Kachexie kommt es infolge atrophischer<br />

Veränderungen im ZNS zu Apathie, Müdigkeit und<br />

Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit. Stärkere<br />

Belastungen (Infektionen, Überanstrengung) k<strong>ö</strong>nnen<br />

rasch zu irreversibler finaler Dekompensation von<br />

Kreislaufund zentralnerv<strong>ö</strong>sen Regulationen führen.<br />

3.1 Dyslipidämien<br />

Begriffsbestimmung und Systematik: Eine Dyslipidämie<br />

liegt vor, wenn die Plasmakonzentration von<br />

Cholesterin und/oder Triacylglycerinen pathologisch<br />

hoch (Hyperlipidäniie), in seltenen Fällen anormal<br />

niedrig ist. Phospholipide und Sphingolipide des Plas<br />

mas werden bei der Klassifizierung der Dyslipidämien<br />

nicht berücksichtigt. Dyslipidämien sind generell auch<br />

Dyslipoproteinämien, so daß ihre Einteilung auch nach<br />

Lipoproteinklassen (z. B. Chylomikronämie, erh<strong>ö</strong>htes<br />

HDL oder LDL) erfolgen kann.<br />

Grundlage der formalen Einteilung der Hyperlipoproteinämien<br />

nach Fredrickson, die von der WHO über<br />

nommen und erweitert wurde, ist die elektrophoretische<br />

Mobilität der Lipoproteine.<br />

Hyperlipoproteinämietypen nach Fredrickson<br />

Typ Erh<strong>ö</strong>hte Werte für Atheroskleroserisiko<br />

i Chylomikronen gering<br />

IIa ß-Lp (LDL) sehr hoch<br />

IIb ß- und prä-ß-I.p (LDL und VLDL) sehr hoch<br />

III abnorme ß-l.p (VLDL-Remnants, sehr hoch<br />

elektrophoretisch in ß-Fraktion)<br />

IV Prä-ß-Lp (VLDL) hoch<br />

V Prä-ß-I.p und Chylomikronen gering<br />

Ab welcher Plasmakonzentration der Lipide die Dia<br />

gnose einer Hyperlipidäniie zu stellen ist, wurde wie<br />

bei der Adipositas nach dem Risikofaktorenkonzept<br />

(vor allem bei Männern mittleren Alters treten Herzund<br />

Kreislauferkrankungen mit steigendem Lipidspiegel<br />

häufiger auf) festgelegt. Die Interpretation des<br />

statistischen Zusammenhangs zwischen Blutlipidspiegel<br />

und Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Sinne einer<br />

kausalen Beziehung stützt sich auf Befunde bei Tierexperimenten<br />

und bei familiärer hochgradiger Hypercholesterinämie,<br />

die für eine Ausl<strong>ö</strong>sung atherosklerotischer<br />

Gefäßläsionen durch hochkonzentrierte Lipo<br />

proteine sprechen. Als atherogen werden die ApoBenthaltenden<br />

Lipoproteine LDL (vor allem nach Peroxi<br />

dation ihres Lipidanteils), VLDL-Remnants (ß-VLDL),<br />

IDL und Lp (a) angesehen. Dagegen korreliert der<br />

Plasmaspiegel an HDL negativ mit der Inzidenz von<br />

Herz-Kreislauf-Krankheiten, so daß eine Zunahme des<br />

HDL-Cholesterins als gefäßprotektiv gewertet wird.<br />

Nach Auffassung der Europäischen Atherosklerose-<br />

Gesellschaft und der Konsensuskonferenz des National<br />

Institute of Health der USA (NIM) ist mit einem gestei<br />

gerten Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten ab


146 Endokrines System<br />

einem Gesamtcholesterin von 200 mg/dl (5,2 mmol/l)<br />

zu rechnen. Cholesterinwerte über 240 mg/dl<br />

(6,2 mmol/l) bzw. 250 mg/dl (6,5 mmol/1) werden als<br />

Hypercholesterinämie mit stark erh<strong>ö</strong>htem Erkran<br />

kungsrisiko eingestuft. Nach diesen Kriterien ist bei<br />

über der Hälfte der erwachsenen Bev<strong>ö</strong>lkerung eine<br />

Hypercholesterinämie zu diagnostizieren.<br />

Das statistische Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkran<br />

kung ist nur bei Anstieg atherogener Lipoproteine,<br />

nicht aber von HDL erh<strong>ö</strong>ht. Deshalb sollte bei mäßig<br />

erh<strong>ö</strong>htem Cholesterinspiegel eine differenzierte Be<br />

stimmung der Lipoproteine erfolgen. Ein überdurch<br />

schnittliches Erkrankungsiisiko kann angenommen<br />

werden<br />

- wenn die LDL-Cholesterin-Konzentration über<br />

180 mg/dl liegt<br />

- bei LDL-Cholesterin von 140-180 mg/dl und einem<br />

LDIVTIDL-Quotienten über 4 (IIDL-Cholesterin unter<br />

35 mg/dl bzw. 0,9 mmol/l)<br />

- bei VLDL-Cholesterin über 40 mg/dl<br />

- bei Auftreten von (normalerweise nur in vernachläs<br />

sigbarer Menge im Plasma enthaltenen) IDL oder<br />

ß-VLDL<br />

- bei einer Lp(a)-Choleslerin-Konzentration über<br />

40 mg/dl.<br />

Die Plasmakonzentration der Triacylglycerine korre<br />

liert mit der Inzidenz von Herz-Kreislauf-Erkrankun<br />

gen in geringerem Ausmaß als die Cholesterinkonzentration.<br />

Als Beginn erh<strong>ö</strong>hten Bisikos wird eine Triacylglycerinkonzentration<br />

von 200 mg/dl (2,3 mmol/l) angesehen,<br />

und ein erheblich gesteigertes Risiko wird bei Triacylglycerinkonzentrationen<br />

oberhalb von 500 mg/dl<br />

(5,6 mmol/l) angenommen. Im Gegensatz zur hohen<br />

Prävalenz der Hypercholesterinämie werden Triacylglycerinwerte<br />

über 500 mg/dl nur bei ca. 5% der<br />

Männer (Altersgipfel zwischen 50 und 59 .Jahren mit<br />

ca. 7%) und bei ca. 1% der Frauen (Altersgipfel bei 60<br />

bis 69 Jahren mit ca. 3%) gefunden.<br />

3.1.1 Hereditäre Dyslipidämien<br />

Primäre, angeborene Dyslipidämien k<strong>ö</strong>nnen verur<br />

sacht werden durch genetisch bedingt unzurei<br />

chende oder fehlerhafte, aber manchmal auch durch<br />

zu hohe Synthese von<br />

- Apolipoproteinen<br />

- Enzymen (Lipoproteinlipase, LCAT)<br />

- Transferproteinen (z. B. CETP)<br />

- hepatischen oder extrahepatischen Rezeptoren für<br />

Apolipoprotein B und/oder E.<br />

Ein genetisch bedingter Defekt von Apoprotein A<br />

kommt bei der Tangier-Krankheit (nach der Insel<br />

Tangier in Virginia, in deren Bev<strong>ö</strong>lkerung sie entdeckt<br />

wurde) vor. Das ApoA-I der Betroffenen weist anor<br />

male Zusammensetzung auf und wird wesentlich<br />

schneller katabolisiert als normales ApoA. Die unzu<br />

reichende Verfügbarkeit von ApoA-I als Hüllprotein<br />

fuhrt zu Abfall der HDL-Konzentration im Plasma<br />

(Hypo-a-Lipoproteinämie) mit milder Hypocholesterinämie<br />

und Ilypertriacylglycerinämie. Eine gleichartige<br />

Lipoproteinkonstellation im Plasma wird bei einer<br />

anderen ApoA-Mutation (Apo-lMüano) beobachtet.<br />

Neben zahlreichen weiteren ApoA-Variantcn kommt<br />

ein familiärer kombinierter Mangel an ApoA-I und<br />

ApoC-III vor. Ein noch nicht bekannter genetischer<br />

Defekt liegt bei der sehr seltenen Fischaugenkrank<br />

heit (benannt nach durch Cholesterineinlagerung ver<br />

ursachten Hornhauttrübungen) vor, bei der die Kon<br />

zentration von ApoA-II, in geringerem Maß auch die<br />

von ApoA-l vermindert ist.<br />

Zu milder bis mäßiger Hypercholesterinämie mit<br />

erh<strong>ö</strong>hten LDI.-Spiegeln ('Typ IIa nach Fredrickson)<br />

infolge gest<strong>ö</strong>rter Bindung an LDL-Rezeptoren fuhrt<br />

eine (kodominant vererbte) Mutation mit Austausch<br />

einer Aminosäure in Position 3500 von ApoB ,,„,. der<br />

die im ApoB.,s der Darmmukosa nicht enthaltene Bin<br />

dungsregion betrifft. Andere Mutationen des ApoB-<br />

Gens {/.. B. Mutationen, die zu vorzeitigem Syntheseab<br />

bruch mit Bildung von ApoB46 oder ApoB;{7 führen)<br />

st<strong>ö</strong>ren die ApoB-Synthese und verursachen (besonders<br />

ausgeprägt in der homozygoten Form) familiäre Hypoß-Lipoproteinämie<br />

mit stark verminderter LDL-Konzenlration.<br />

Wenn der Defekt den nur im ApoB|()(), nicht<br />

aber im ApoB.IK vorhandenen Teil der Aminosäure<br />

kette betrifft, bleiben die intestinale Lipidabsorption<br />

und Chylomikronenbildung unbeeinträchtigt. Bei<br />

anderen primären St<strong>ö</strong>rungen ist die hepatische Syn<br />

these von ApoBioo nicht gest<strong>ö</strong>rt, sondern enthemmt. Es<br />

resultiert eine Überproduktion von VLDL mit primärer<br />

Ilypertriacylglycerinämie. Bei gleichzeitiger Lipoproteinlipaseschwäche<br />

kommt es zu kombiniertem<br />

Anstieg von VLDL und Chylomikronen (Hyperlipoproteinämie<br />

Typ V nach Fredrickson). Die Neigung<br />

zu ApoB- und damit VLDL-Überproduktion mit Hypertriacylglycerinämie<br />

manifestiert sich vor allem bei<br />

sekundärer Insuffizienz der Lipoproteinlipase (z.B.<br />

infolge fehlender Insulininduktion bei Diabetes melli<br />

tus oder infolge Hemmung der Aktivität bei schwerem<br />

Alkoholabusus).<br />

Bei dem seltenen (autosomal rezessiv) vererbten Man<br />

gel an ApoC-lI, dem Aktivator der Lipoproteinlipase,<br />

kommt es zum Anstieg der Triacylglycerine (Chylomi<br />

kronen und VLDL) im Plasma auf Werte über 1000 mg/<br />

dl (11 mmol/l) als Typ V der Hyperlipidäniien in der<br />

Klassifizierung nach Fredrickson. LDL und HDL sind<br />

bei diesen Patienten erniedrigt. Gleichartige Auswir<br />

kung hat eine St<strong>ö</strong>rung mit Überproduktion von ApoC-<br />

III, das die Aktivierung der Lipoproteinlipase durch<br />

ApoC-II und auch die Aufnahme von Remnants in die<br />

Leber hemmt.<br />

Bei Patienen, die infolge von Punktmutationen funktio<br />

nell insuffizientes ApoE bilden, ist die hepatische<br />

Elimination von Chylomikronen- und VLDL-Remnants<br />

aus dem Plasma gest<strong>ö</strong>rt, denn die Remnants werden


N. Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 147<br />

über ApoE an die Rezeptoren der Hepalozytenmembran<br />

gebunden. Die Ligandcniünktion von ApoE kann<br />

außer bei (dominant vererbten) Punktmutationen ver<br />

schiedener ApoE-Isoformen bei Homozygotie für das<br />

normale ApoEv-Allel beeinträchtigt sein. Bei den<br />

ApoEv-Homozygoten (ca. 1% der Bev<strong>ö</strong>lkerung) wird<br />

jedoch eine weite Spannbreite von schwer gest<strong>ö</strong>rter bis<br />

nahezu normaler Rezeptoraffinität beobachtet, so daß<br />

die Bindungsfähigkeit für ApoE;. von weiteren endoge<br />

nen oder exogenen Faktoren abhängen muß. Bei<br />

ApoE-Insuffizienz kommt es durch den Aufstau von<br />

triacylglycerin- und cholesterinreichen Remnants, die<br />

elektrophoretisch in der ß-Fraktion lokalisiert sind (ß-<br />

VLDL), zu einer Hyperlipidäniie vom 'Typ III nach<br />

fredrickson. Bei dieser familiären ß-Dyslipoprotcinämie<br />

ist die LDL-Konzentration erniedrigt.<br />

Der familiäre Lipoproteinlipasemangel ist eine sel<br />

tene (1:10'') autosomal rezessive Krankheit, die wie<br />

der ApoC-II-Mangel zu Ilypertriacylglycerinämie (Typ-<br />

I-Hyperlipidämie nach Fredrickson bei reiner Chylomikronämie,<br />

gelegentlich 'Typ V mit Anstieg von Chylomi<br />

kronen und VLDL) führt. Häufig ist die Lipoproteinlipaseaktivität<br />

nur abgeschwächt, und zur Manifestation<br />

als Chylomikronäniiesyndrom kommt es bei zusätzli<br />

cher Belastung des Lipoproteinstoffwoehsels (z. B. Dia<br />

betes mellitus mit unzureichender Induktion der I.ipoproteinlipasebildung<br />

durch Insulin und gesteigerter<br />

VLDL-Produktion, Hemmung der Lipoprotcinlipascaktivität<br />

durch exzessive Alkoholaufnahme).<br />

Ebenfalls sehr selten ist der autosomal rezessiv ver<br />

erbte Mangel an LCAT. Das unveresterte HDL-Cholcsterin<br />

verbleibt an der Oberfläche der HDL-Partikel,<br />

und die HDL-Ausreilüng ist unvollständig (nur kleiner<br />

Kern apolarer Lipide). Unzureichender ApoE-Transfer<br />

von den HDL zu den Chylomikronen kann deren Abbau<br />

beeinträchtigen (Anstieg des Triacylglycerinspiegels).<br />

VLDL und LDL enthalten wegen fehlenden Austauschs<br />

von apolaren Lipiden mit den I IDL weniger Cholesterin<br />

ester und mehr freies Cholesterin. Phospholipide und<br />

Triacylglycerine. Die Gesamtkonzentration von Chole<br />

sterin liegt bei den Patienten mit LCAT-Mangel meist<br />

im Normalbereich.<br />

Beim sehr seltenen erblichen Mangel an Cholesterin<br />

ester-Translerprotein k<strong>ö</strong>nnen HDL ihre Cholesterin<br />

ester nicht an LDL und VLDL abgeben und im Aus<br />

tausch Triacylglycerine aufnehmen. Das HDL-Cholesterin<br />

und die HDI.-typisdien Apoproteine ApoA-I,<br />

ApoA-IV und ApoE sind erh<strong>ö</strong>ht. Der Defekt bleibt<br />

klinisch asymptomatisch.<br />

Genetisch bedingte Aufnahmest<strong>ö</strong>rungen: Außer<br />

durch Mutation der Liganden (ApoB, ApoE.) kann die<br />

Aufnahme von Lipoproteinen in die Zellen durch gene<br />

tische Defekte der Rezeptorproteine beeinträchtigt<br />

werden. Insbesondere beim LDL-Rezeptor-Gen kom<br />

men Deletionen, Insertionen und Nonsense-Mutationen<br />

vor, die zu einem Fehlen oder zumindest zu einer<br />

funktionellen Insuffizienz der LDL-Rezeptoren führen.<br />

Unter den multiplen genetischen St<strong>ö</strong>rungen werden<br />

vier Klassen unterschieden:<br />

- die gr<strong>ö</strong>ßeren Deletionen mit Unfähigkeit zur Syn<br />

these der LDL-Rezeptormoleküle<br />

- Mutationen, die den normalen Transport der syn<br />

thetisierten Rezeptorproteine vom endoplasmati<br />

schen Retikulum zum Golgi-Apparat blockieren und<br />

damit den Einbau der Rezeptoren in die Zellmem<br />

bran verhindern<br />

- Mutationen, die die Bindungsdomänen der LDL-<br />

Rezeptoren für ApoB too und/oder ApoE funktions<br />

unfähig machen<br />

- Mutationen, die den im Zellinnern lokalisierten<br />

Bereich des Rezeptorproteins so verändern, daß die<br />

Endozytose der Rezeptoren nach (ungest<strong>ö</strong>rter) Lipoproteinbindung<br />

nicht mehr ausgel<strong>ö</strong>st wird.<br />

Ein funktioneller LDL-Rezeptormangel führt zu ver<br />

minderter und verz<strong>ö</strong>gerter Elimination von LDL, aber<br />

auch von IDL und VLDL-Remnants aus dem Plasma,<br />

während der Stoffwechsel der über die Remnant-<br />

Rezeptoren (Ligand ApoE) der Leberzellen gebunde<br />

nen Chylomikronen-Remnants und der HDL nicht<br />

beeinträchtigt ist. Der starke Anstieg von LDL und der<br />

(geringere) von IDL und VLDL-Remnants manifestiert<br />

sich als Hypercholesterinämie mit mäßiger Ilypertri<br />

acylglycerinämie (Typ IIb nach Fredrickson), während<br />

bei familiärer Hypercholesterinämie infolge ApoB-<br />

Mutationen (Mangel an funktionsfähigem Liganden für<br />

den LDL-Bezeptor) die Triacylglycerine meist im Nor<br />

malbereich liegen (Hyperlipoproteinämie Typ IIa nach<br />

Fredrickson). Die Prävalenz defekter LDL-Bezeptorgene<br />

wird auf 1 :500 veranschlagt. Bei den entspre<br />

chend seltenen (1 :106), für den Rezeptordefekt homo<br />

zygoten Patienten steigt der Cholesterinspiegel exzes<br />

siv an (auf 400 bis 800 mg/dl bzw. 10 bis 20 mmol/l).<br />

Die familiäre Hypercholesterinämie mit verringer<br />

tem LDL-Kataholismus ist häufig mit einer erh<strong>ö</strong>hten<br />

Plasmakonzentration von Lipoprotein (a) verbunden.<br />

Der Plasmaspiegel dieses großen Lipoproteins, das<br />

ApoBloo und Apo(a) in kovalenter Bindung enthält,<br />

korreliert hoch mit der Inzidenz von koronarer Herz<br />

krankheit. Weder die funktionelle Bedeutung von Lp(a)<br />

noch die Ursache des (genetisch determinierten) Lp(a)-<br />

Anstiegs bei familiärer Hypercholesterinämie sind be<br />

kannt.<br />

Neben den auf definierte einzelne Gendefekte zurück<br />

führbaren Dyslipoproteinämien gibt es polygene<br />

Mischformen, die die Mehrzahl der familiären Dyslipo<br />

proteinämien stellen. In diesen Bereich fallen auch die<br />

noch wenig erforschten, genetisch bedingten St<strong>ö</strong>run<br />

gen der Regulation der intrazellulären Cholesterinsynthese<br />

(z.B. unzureichende Hemmung des Schlüssel<br />

enzyms ß-Hydroxy-ß-methylglutaryl-CoA-Reduktase).<br />

Zwischen den familiären und den sekundären St<strong>ö</strong>run<br />

gen des Lipoproteinstoffwechsels gibt es fließende<br />

Übergänge, denn manche genetischen Defekte manife<br />

stieren sich erst bei exogener Belastung als Dyslipo<br />

proteinämien.


148 Endokrines System<br />

3.1.2 Sekundäre Dyslipidämien<br />

Die Konzentration des dominanten Cholesterinträgers<br />

LDL im Plasma steigt mit der Zufuhr von Nahrungscholesterin<br />

nicht direkt, sondern über eine Beeinflussung<br />

des hepatischen Cholesterinsloffwechsels an. Das im<br />

Darm absorbierte Cholesterin gelangt über Endozytose<br />

der Chylomikronen-Remnants in die Leber und hemmt<br />

sowohl die endogene Cholesterinsyntliese als auch die<br />

Exprimierung von LDL-Rezeptoren. Infolge verringer<br />

ter Bindungskapazität der Leberzellen für ApoB/ApoE-<br />

Liganden werden sowohl VLDL-Remnants als auch<br />

LDL langsamer eliminiert. Es werden mehr VLDL zu<br />

LDL abgebaut (erh<strong>ö</strong>hte LDL-Produktion), und die<br />

Lebensdauer der LDL nimmt zu. Das Ausmaß der LDL-<br />

Erh<strong>ö</strong>hung durch Cholesterinzufuhr schwankt interin<br />

dividuell erheblich, und bei guter Gegenregulation<br />

kann trotz langdauernd hoher Cholesterinaufnahme<br />

ein normaler LDL-Spiegel vorliegen. Beeinflußt wird<br />

die Cholesterintoleranz u.a. von der genetisch deter<br />

minierten Isoform des ApoE. Bei hoher Ligandenaffinität<br />

(ApoE.,) gelangen die das Nahrungscholesterin<br />

enthaltenden Chylomikronen-Remnants rascher in die<br />

Leber, und das Plasmacholesterin steigt schneller und<br />

stärker an. Kritisch hohe LDL-Werte werden jedoch<br />

normalerweise nur bei Personen mit angeboren einge<br />

schränkter Regulationsbreite des Cholesterinstoffwechsels<br />

erreicht.<br />

Ein Anstieg des LDL-Cholesterins ist auch zu beobach<br />

ten, wenn die Nahrungslette einen hohen Anteil an<br />

bestimmten gesättigten Fettsäuren enthalten. Zufuhr<br />

von Palmitinsäure (Cu>) und Myristinsäure (C)4), nicht<br />

aber von Stearinsäure (C|.s), führt zu einer Zunahme<br />

der LDL-Konzentration. Dieser Effekt kommt wahr<br />

scheinlich über eine Hemmung der LDL-Bindung an<br />

die hepatischen LDL-Rezeptoren und damit eine Ver<br />

langsamung des LDL-Abbaus zustande. Als Ursache<br />

dafür, daß Stearinsäure den Cholesterinspiegel nicht<br />

steigert, wird die rasche Umwandlung dieser Verbin<br />

dung zu Ölsäure diskutiert. Einfach ungesättigte Fett<br />

säuren, wie Ölsäure, beeinflussen den Cholesterinspie<br />

gel nicht. Durch Zufuhr von mehrfach ungesättigten<br />

Fettsäuren (enthalten in vielen Pflanzen<strong>ö</strong>len und im<br />

Fischfett) kann der LDL-Cholesterinspiegel sogar<br />

gesenkt werden (wahrscheinlich über eine Steigerung<br />

der hepatischen LDI.-Elimination).<br />

Nach Aufnahme fetthaltiger Nahrung steigt die Kon<br />

zentration der Triacylglycerine im Plasma innerhalb<br />

von 3 bis 5 Stunden h<strong>ö</strong>chstens um 50 bis 70% über den<br />

Nüchternwert. Eine nutritive IViacylglycerinämie ist<br />

daher nur zu erwarten, wenn die endogene Produktion<br />

von VLDL gesteigert und/oder der Abbau von Chylomi<br />

kronen und VLDL verlangsamt ist. Stimulierend auf die<br />

hepatische VLDL-Synthese wirken im Überschuß auf<br />

genommene, in der Leber zur Liponeogenese verwen<br />

dete Kohlenhydrate und kurz- bis mittelkettige Fett<br />

säuren sowie in gr<strong>ö</strong>ßeren Mengen zugeführter Ethylalkohol,<br />

nicht dagegen mit der Nahrung zugeführte<br />

langkettige Fettsäuren, die nach Freisetzung aus den<br />

Chylomikronen vorwiegend extrahepatisch eliminiert<br />

werden.<br />

Hauptursache von sekundärer 'IViacylglycerinämie ist<br />

somit Überernährung mit Substratüberflutung der<br />

Leber. Hochungesättigte Fettsäuren (z. B. Linolen<br />

säure) hemmen die hepatische VLDL-Synthese und<br />

wirken einer iViacylglycerinämie entgegen. Im weite<br />

ren Sinne nutritiv bedingt ist die Hyperlipidäniie bei<br />

der (angeborenen) Lipodystrophie, bei der eine VLDL-<br />

Überproduktion durch Überschwemmung der Leber<br />

mit aus dem Fettgewebe freigesetzten und aus der<br />

Nahrung stammenden Fettsäuren induziert wird. Bei<br />

Lipodystrophie ist in der Begel auch die Aktivität der<br />

Lipoproteinlipase vermindert.<br />

Bei stark verminderter Nahrungsaufnahme, wie bei<br />

Anorexia nervosa, sinkt die Gallensekretion so weit<br />

ab, daß der Abbau endogen synthetisierten Choleste<br />

rins zu Gallensäuren und die Ausscheidung von freiem<br />

Cholesterin mit der Galle unzureichend wird. Durch<br />

den Anstieg der hepatozellulären Cholesterinkonzentration<br />

wird die Exprimierung von LDL-Bezeptoren<br />

gehemmt, und trotz defizitären Energiestoffwechsels<br />

steigt der LDL-Spiegel im Plasma an.<br />

Als weitere Ursache sekundärer Dyslipoproteinämien<br />

kommen Stofrwechselerkrankungen mit Beein<br />

trächtigung der hormonellen Regulation des Lipoprotcinmctabolismus<br />

In Frage. Ein Anstieg insbesondere<br />

der 'Triacylglycerine findet sich bei<br />

- Insulinmangel: vermehrte VLDL-Produktion der<br />

Leber, unzureichende Induktion der Lipoprotein<br />

lipase<br />

- Hypothyreose: verringerte Expression von LDL-<br />

Rezeptoren mit verlangsamtem LDL-Abbau<br />

- Östrogenmangel: Hemmung der LDL-Bindung an<br />

hepatische Rezeptoren<br />

- Schwangerschaft: Induktion der hepatischen Lipoproteinsynthese<br />

durch Östrogen und HPL<br />

- Cushing-Syndrom: sekundäre Steigerung der Lipogenese<br />

der Leber infolge erh<strong>ö</strong>hter Glucoseneubildiing<br />

bei Cortisolüberschuß, gesteigerte Konversion<br />

von VLDL zu LDL<br />

- Akromegalie: erh<strong>ö</strong>hte Lipogenese durch vermehrtes<br />

Glucoseangebot (nur VLDL-Anstieg).<br />

Zu den hormonell bedingten Dyslipoproteinämien<br />

geh<strong>ö</strong>rt auch die streßinduzierte Ilypertriacylglycerin<br />

ämie bei hormonellen Notl'allreaktionen mit vermehr<br />

ter Substratmobilisierung und erh<strong>ö</strong>hter Lipogenese<br />

und VLDL-Produktion infolge Freisetzung von Katecholaminen,<br />

Glukokortikoiden und STH. Als Stressor<br />

k<strong>ö</strong>nnen schwere somatische (Herzinfarkt, Verbren<br />

nungen, Sepsis) oder psychische Belastungen wirken.<br />

Änderungen des Lipoproteinspektrums im Plasma tre<br />

ten außerdem bei Erkrankungen der Leber und der<br />

Niere auf. Wenn die hepatische Proteinsynthese<br />

infolge Leberinsuffizienz (z. B. im Endstadium der<br />

Leberzirrhose) unzureichend wird, sinkt neben dem


N. Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 149<br />

Albumin- auch der Lipoproteinspiegel im Plasma ab.<br />

Ein Abfall des Plasmacholesterins unter 120 mg/dl<br />

(3,1 mmol/l) ist bei chronischen und akuten Krankheitszuständen<br />

(Infektions-, Herz-, Leber- und Krebs<br />

erkrankungen, Mangelernährung) ein prognostisch<br />

ungünstiges Zeichen.<br />

Lebererkrankungen: Bei akuter Hepatitis ist, wenn es<br />

nicht unter fulminantem Verlauf zum Leberversagen<br />

kommt, vor allem die hepatische Sekretion der Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase<br />

(LCAT) reduziert,<br />

und der dadurch verminderte VLDL-Katabolismus<br />

führt zu Ilypertriacylglycerinämie. Bei Verlegung der<br />

Gallenwege (primäre biliäre Zirrhose, extrahepati<br />

scher Gallengangsverschluß) treten normalerweise in<br />

die Galle sezerniertes freies Cholesterin und Phospho<br />

lipide vermehrt ins Plasma über, z.T. in Form eines<br />

durch Modifikation eines »Gallenlipoproteins« entste<br />

llenden Lipoproteins X (Lp-X). Lp-X erscheint elektrophoretisch<br />

in der ß-Fraktion der LDL, obwohl es kein<br />

ApoB enthält. Wenn sich Leberzellen eines Hepatoms<br />

der Kontrolle der Synthese von Cholesterin über Rückkopplungshemmung<br />

durch mit LDL und Chylomikro<br />

nen-Remnants aufgenommenes Cholesterin entziehen,<br />

kommt es zu Cholesterinüborproduktion und Hyper<br />

cholesterinämie (vorwiegend LDL-Anstieg). Der Pathomechanismus<br />

der ansonsten vergleichbaren Hyper<br />

cholesterinämie bei akuter intermittierender Porphy<br />

rie ist noch unklar.<br />

Nierenerkrankungen: Beim nephrotischen Syndrom<br />

wird die Proteinsynthese der Leber durch das Absin<br />

ken des Plasma-Albuminspiegels (Albuminverlust<br />

durch Proteinurie) gesteigert. Da dieser Effekt unspezifisch<br />

ist, werden neben Albumin auch Apolipopro<br />

teine vermehrt produziert, und im Plasma nimmt die<br />

Konzentration von VLDL sowie seines Abbauprodukts<br />

LDL zu. Neben diesem »innocent bystander«-ENekt<br />

wird auch eine direkte, auf noch unbekanntem Weg<br />

erfolgende Stimulierung der VLDL-Synthese diskutiert.<br />

Bei zu Urämie führender Niereninsuffizienz ist der<br />

enzymatische Abbau der VLDL infolge verminderter<br />

Lipoproteinlipaseaktivität reduziert, so daß eine<br />

Ilypertriacylglycerinämie auftritt.<br />

Eine Dyslipoproteinämie kann auch Folge von Immun<br />

erkrankungen sein. Beim systemischen Lupus erythe<br />

matodes werden heparinbindende Antik<strong>ö</strong>rper gebil<br />

det, infolge Heparinmangels wird die Lipoproteinlipase<br />

nicht ausreichend aktiviert, und nach Absorption von<br />

Nahrungsfett persistieren die Chylomikronen im Blut.<br />

Ein anderer Mechanismus liegt der Hyperlipoproteinämie<br />

bei monoklonalen Gammopalhien (Makroglobulinämie,<br />

Myelome, Lymphome) zugrunde. Wenn sich<br />

pathologische Immunglobuline mit Lipoproteinen, wie<br />

VLDL oder VLDL-Remnants, zusammenlagern, schüt<br />

zen sie diese gegen den Abbau und steigern über die<br />

verlängerte Halbwertszeit ihre Plasmakonzentration.<br />

latrogene Hyperlipoproteinämien k<strong>ö</strong>nnen entstehen,<br />

wenn durch Zufuhr von Gallensäuren (z. B. zur medi-<br />

Typ Primäre St<strong>ö</strong>rung Sekundäre St<strong>ö</strong>rung<br />

I<br />

IIa<br />

(Lp-X)<br />

IIb<br />

Zuordnung der Hyperlipoproteinämietypen nach<br />

Fredrickson zu primären und sekundären Lipidstoffwechselst<strong>ö</strong>rungen<br />

Lipoproteinlipasemangel<br />

ApoBioo-Defekt<br />

polygene familiäre<br />

Hypercholesterin<br />

ämie<br />

Polygene familiäre<br />

Hypeiiipoproteinämie<br />

LDL-Rezeptor-Defekt<br />

Monoklonale<br />

Gammopathie<br />

Lupus erythematodes<br />

Nephrotisches<br />

Syndrom<br />

Dysglobulinämien<br />

Hypothyreose<br />

Cushing-Syndrom<br />

Intermittierende<br />

Porphyrie<br />

Hepatom<br />

Anorexia nervosa<br />

Cholestase<br />

Streßinduzierte<br />

Hyperlipidäniie<br />

Cushing-Syndrom<br />

Nephrotisches<br />

Syndrom<br />

Östrogenmangel<br />

III ApoH-Defekte Monoklonale<br />

Gammopalhien<br />

IV ApoA-Defekte Diabetes mellitus<br />

Akromegalie<br />

Urämie<br />

Hepatitis<br />

Überernährung<br />

Schwangerschaft<br />

Thiazid-Diuretika<br />

Streß-Hyperlipidämie<br />

Monoklonale<br />

Gammopathien<br />

V<br />

ApoC-II-Mangel<br />

ApoC-III-Überschuß<br />

ApoB-Überproduktion<br />

LCAT-Mangel<br />

Alkoholabusus<br />

Nephrotisches<br />

Syndrom<br />

Lipodystrophie<br />

Überernährung<br />

kanient<strong>ö</strong>sen Gallensteinaufl<strong>ö</strong>sung) die endogene Pro<br />

duktion von Gallensäuren, die das Hauptabbauprodukt<br />

des Cholesterins sind, gehemmt wird. Eine Ilyper<br />

triacylglycerinämie kann Nebenwirkung von 'Thiazid-<br />

Diuretika sein, die die VLDL-Synthese stimulieren. Zu<br />

den Medikamenten, die den LipidstolTwechsel beein<br />

flussen, zählen auch ß-Bezeptoren-Blocker (Anstieg<br />

von VLDL und LDL, Abnahme von HDL) und Antikonvulsiva,<br />

wie Phenytoin und Phenobarbital (TIDL-<br />

Zunahme). Eine klinische Relevanz der iatrogenen<br />

Dyslipoproteinämien ist nicht gesichert.


150 Endokrines System<br />

Sphingolipidosen<br />

Krankheit Defektes Enzym Gespeicherte Substanz<br />

Sphingomyelinoses (Niemaim-I'ick) Sphingomyelinase Sphingomyelin<br />

Morbus Gaucher ß-Glucosidase Glucocerebrosid<br />

Glohoidzellen-Leukodystrophie ß-Galaktosidase Galaktocerehrosid<br />

Metachromatische Leukodystrophie Sulfatidase Galaktocerebrosidsulfat<br />

Angiokeratoma corporis diffusum (Fabry) u-Galaktosidase A Ceramidtrihexosid<br />

Lipogranulomatose (Farber) Ceramidase Ceramid<br />

GMi-Gangliosidose ß-Galaktosidase GM|-Gangliosid<br />

GM2-Gangli0sid0.se (Tay-Sachs) Hexosaminidase A GM2-Gangliosi(l<br />

GM:!-Gangliosidose NAcGal-Transferase GMa-Gangliosid<br />

3.1.3 Klinik und Diagnostik der Dyslipoproteinämien<br />

Dyslipoproteinämien werden, wenn sie nicht hochgra<br />

dig sind, klinisch meist nur über die mit ihnen assozi<br />

ierten Komplikationen von Seiten des Herz-Kreislauf-<br />

Systems (Athcrosklorosefolgeii) auffällig oder als<br />

Zufallsbefund bzw. im Rahmen von Vorsorge-Laboruntersuchungen<br />

entdeckt.<br />

Bei Hyperlipidäniie k<strong>ö</strong>nnen sich Xanthome als<br />

Ansammlungen fettspeichernder Makrophagen, die zu<br />

Schaumzellen werden, in der Haut, aber auch in den<br />

Gefäßen und am Endokard ausbilden. Bei Hypertriacylglycerinämie<br />

ist schubweises Auftreten kleinpapul<strong>ö</strong>ser<br />

Xanthome (eruptive Xanthome), vorwiegend<br />

am Gesäß und an den Streckseiten der Extremitäten,<br />

charakteristisch. Xanthome bei Hypercholesterinämie<br />

entwickeln sich meist langsam plan, papul<strong>ö</strong>s oder<br />

tuber<strong>ö</strong>s am Ellenbogen, an den Knien oder am Gesäß,<br />

aber auch als Knoten an Sehnen (z. B. Achilles- oder<br />

Trizepssehne) oder als plane Xanthome im Bereich der<br />

Handlinien. Xanthelasmen als plane Xanthome an<br />

Augenlidern kommen auch bei normalem Plasmacholesterinspiegel<br />

vor. Gleiches gilt für den Arcus lipoides<br />

corneae, eine einem liegenden Halbmond ähnelnde<br />

Lipideinlagerung der Hornhaut. Bei seltenen Formen<br />

familiärer Hypercholesterinämie führen Cholesterineinlagenmgen<br />

in die Hornhaut zu 'Trübungen<br />

(Fischaugenkranklieil). Bei I lypertriacylglycerinämie<br />

ist häufig eine Netzhaiitlipämie zu beobachten.<br />

Wenn die Triacylglyceiiiikonzenlration im Plasma<br />

stark überh<strong>ö</strong>ht ist, kann im Gefäßbett der Bauchspei<br />

cheldrüse ein Abbau von Chylomikronen durch die<br />

Pankreaslipase mit überschießender Freisetzung von<br />

Spaltprodukten erfolgen und wahrscheinlich über<br />

lokal-toxische Wirkung zur Ausl<strong>ö</strong>sung einer akuten<br />

Pankreatitis führen. Schübe einer derartigen Pankreasreizung<br />

sind wahrscheinlich Grundlage der bei die<br />

sen Patienten durch fettreiche Nahrung provozier<br />

baren kolikartigen Bauchschmerzen.<br />

Bei klinischem Verdacht auf das Vorliegen einer Dyslipoproteinämie<br />

ist eine differenzierende Messung der<br />

Plasma-Lipoproteinspiegel und ggf. der Apoproteine<br />

angezeigt.<br />

3.2 Lipidspeicherkrankheiten<br />

Begriffsbestimmung: Lipidspeicherkrankheiten (Lipidthesaurismosen)<br />

sind seltene, in der Regel autosomal<br />

rezessiv erbliche St<strong>ö</strong>rungen des Lipidstoffwechsels,<br />

insbesondere des Abbaus komplexer Lipide. Bei nor<br />

malerweise unauffälligen Blut-Lipidkonzentrationen<br />

werden die sich anstauenden Metaboliten u. a. von<br />

Makrophagen, Nerven- und Gliazellen aufgenommen<br />

und gespeichert.<br />

3.2.1 Sphingolipidosen<br />

Funktionsst<strong>ö</strong>rungen durch Einlagerung von Sphingolipiden<br />

oder von Zwischenprodukten ihres Abbaus<br />

betreffen vor allem die lüngeweide und das ZNS, z.T.<br />

auch die Haut und die Augen. Die klinische Manifesta<br />

tion erfolgt meist früh, und die Prognose ist infaust.<br />

Die häufigste Sphingolipidose ist der Morbus Tay-<br />

Sachs (infantile amaurotische Idiotie), bei der sich<br />

GM2-Gangliosid mit der anhängenden, wegen Hexosaminidasemangels<br />

nicht abspaltbaren N-Acetylneuraminsäure<br />

in Neuronen und Glia des ZNS ansammelt.<br />

Die Krankheit wird als allgemeine geistige und k<strong>ö</strong>rper<br />

liche Entwickliingsst<strong>ö</strong>rung mit Funktionsabbau bereits<br />

im ersten Lebensjahr symptomatisch, u. a. durch moto<br />

rische St<strong>ö</strong>rungen und abnorme Vergr<strong>ö</strong>ßerung des Kop<br />

fes. Bei der Augenspiegelung hebt sich von der durch<br />

Sphingolipidspeicherung der Ganglienzellen grauwei<br />

ßen perilbvealen Beginn die ganglienzellfreie Fovea<br />

centralis deutlich rot ab (kirschroter Makulafleck). Bei<br />

einer milderen Form mit nur verminderter Hexosaminidaseaktivität<br />

(juvenile GM2-Gangliosidose) mani-


N. Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 151<br />

festiert sich der geistige Verfall erst im Kleinkindalter,<br />

und die Betroffenen k<strong>ö</strong>nnen bis 15 Jahre alt werden.<br />

Bei den selteneren GM|-Gangliosidosen. die in infan<br />

tile, juvenile und adulte Formen unterteilt werden<br />

k<strong>ö</strong>nnen, sind das ZNS (Motorik) und das Skelett in<br />

unterschiedlichem Ausmaß betroffen.<br />

Die Morbus Niemann-Pick genannte Sphingomyelinose,<br />

bei der Sphingomyelin in nahezu allen Geweben<br />

eingelagert wird (Hepatosplenomegalie), führt bereits<br />

im Kleinkindalter zu k<strong>ö</strong>rperlicher und geistiger Retar<br />

dierung und neurologischer Symptomatik (Spaslik,<br />

Bigor, Krämpfe, Demenz). Die Diagnose wird bioptisch<br />

oder durch Nachweis des Enzymdefekts an kultivierten<br />

Leukozyten oder Fibroblasten gesichert.<br />

Der Morbus Gaucher (Glucocerebrosid-Speicherkrankheit)<br />

betrifft vorwiegend das ZNS und das retikulohistiozytäre<br />

System. Die nach Manifestationsalter<br />

und Ausprägung stark variierende Symptomatik<br />

besteht in Hepatosplenomegalie, St<strong>ö</strong>rungen der Blut<br />

bildung (Anämie, Thrombozytopenie) und des Skelett<br />

systems (pathologische Frakturen) sowie in Ataxie,<br />

Krämpfen und Spastik.<br />

Bei den sehr seltenen Speicherkrankheiten der Globoidzellen-Leukodystrophie<br />

(Morbus Krabbe) und der<br />

metachromatischen Leukodystrophie setzt die psy<br />

chomotorische Symptomatik im 1. bis 2. Lebensjahr ein<br />

(abgesehen von den milder verlaufenden juvenilen<br />

Formen), und bei progredientem Verlauf kommt es<br />

noch im Kleinkindalter zum Exitus. Die ebenfalls sehr<br />

seltene disseminierte Lipogranulomatose beginnt mit<br />

knotenf<strong>ö</strong>rmigen Schwellungen der großen Gelenke<br />

und mit intestinalen Symptomen (Schluckst<strong>ö</strong>rungen,<br />

Erbrechen), bevor psychomotorische St<strong>ö</strong>rungen ein<br />

setzen.<br />

Beim im Unterschied zu den anderen Sphingolipidosen<br />

X-chromosomal rezessiv vererbten Morbus Fabry<br />

kommt es infolge Speicherung von Ceramidtrihexosid<br />

im Schulalter außer zur Ausbildung von tiefroten,<br />

hyperkeratotischen Papeln (Angiokeratom) zu Paräs<br />

thesien und stechenden Schmerzen. Im Erwachsenen<br />

alter entwickeln sich Herz-Kreislauf-Komplikationen<br />

und Niereninsuffizienz, die im 3. bis 4. Lebensjahr<br />

zehnt zum Tode führen.<br />

3.2.2 Steroid- und Phytansäure-Speicherkrankheiten<br />

Xanthome als Ablagerungen von Lipiden entstehen<br />

nicht nur bei Hyperlipidämien, sondern auch bei Auf<br />

stau von Metaboliten des Cholesterinstoffwechsels.<br />

Wenn infolge angeborener Enzymdefekte die<br />

Umwandlung von Cholesterin zu Gallensäuren auf der<br />

Stufe des Cholestanols stehenbleibt, lagert sich das<br />

Zwischenprodukt im ganzen K<strong>ö</strong>rper ab. Betroffen ist<br />

vor allem das ZNS (u. a. partielle Demyelinisierung).<br />

Daneben finden sich Cholestanol und Cholesterin ent<br />

haltende Xanthome an Sehnen, so daß das Krankheits<br />

bild als zerebrotendin<strong>ö</strong>se Xanthomatose bezeichnet<br />

wird. Eine weitere, sehr seltene erbliche Xanthoma<br />

tose beruht auf einer anormal hohen enteralen<br />

Absorption des Pflanzensteroids Sitosterin mit Sitosterinämie,<br />

die wie die Cholestanolämie bei zerebrotendin<strong>ö</strong>ser<br />

Xanthomatose zur Ausbildung von vor<br />

allem aus Cholesterin bestehenden Xanthomen im<br />

Subkutangewebe und an Sehnen führt.<br />

Eine autosomal rezessiv vererbte St<strong>ö</strong>rung des oxidativen<br />

Abbaus einer verzweigten gesättigten C2o-Nahrungsfettsäure,<br />

der Phytansäuro, ist Ursache von Phytanazidämie<br />

mit Phytansäureablagerung im Nerven<br />

gewebe. Diese nach ihrem Erstbeschreiber Morbus<br />

Refsum genannte Erkrankung manifestiert sich als<br />

Erkrankung des Nervensystems (Polyneuropathie, Ata<br />

xie, Seh-, H<strong>ö</strong>r- und Riechst<strong>ö</strong>rungen, Muskelatrophie),<br />

des Skeletts und des Herzens.<br />

3.2.3 Lipomatosen<br />

Bei dem seltenen, meist familiär gehäuften Auftreten<br />

symmetrisch multipler Lipome (ungekapselte Fettgewebsansammlungen)<br />

sind meist Männer betroffen.<br />

Beim Typ I (Morbus Madelung) finden sich Lipome<br />

insbesondere im Hals- und Schulterbereich (Stiernakken),<br />

k<strong>ö</strong>nnen sich aber auch ins obere Mediastinum<br />

erstrecken (Gefahr einer Kompression von Trachea<br />

oder Vena cava). Beim Typ II tritt die symmetrische<br />

Lipomatose nur im oberflächlichen Bumpf-Bauch-<br />

Bereich auf, und die Extremitäten und K<strong>ö</strong>rperh<strong>ö</strong>hlen<br />

bleiben frei. Bei der mediastino-abdominalen Lipo<br />

matose hingegen finden sich Lipome symmetrisch im<br />

Brust- und Bauchraum, wo sie durch Kompression der<br />

Atemwege und Erh<strong>ö</strong>hung des intraabdominellen Volu<br />

mens zu Beschwerden führen k<strong>ö</strong>nnen. Die Ursache<br />

der symmetrischen Lipomatosen ist unbekannt. Die<br />

Patienten zeigen häufig Symptome peripherer Neuro<br />

pathie und Stoffwechselanomalien (Ilypertriacylglyce<br />

rinämie, Hyperurikämie).<br />

3.3 Lipodystrophien<br />

Begriffsbestimmung: Lipodystrophien sind seltene,<br />

angeborene oder erworbene St<strong>ö</strong>rungen des Stoffwech<br />

sels der Adipozyten mit lokalisierter oder allgemeiner<br />

Fettgewebsatrophie. Sie gehen mit verminderter Glu<br />

cosetoleranz infolge Insulinresislenz (Hyperglykämie<br />

bei Hyperinsulinismus) und mit Ilypeiiipoproteinämie<br />

einher.<br />

Die generalisierte Lipodystrophie kann angeboren<br />

(Vererbung autosomal rezessiv) oder erworben sein.<br />

Eine Übermobilisierung der Lipolyse im Fettgewebe<br />

bei gleichzeitig vermindertem Nachschub an freien<br />

Fettsäuren (erniedrigte Aktivität der Lipoprotein<br />

lipase) führt zu Entleerung der Adipozyten. Die Haut<br />

dieser abgemagerten Patienten spannt sich ohne sub<br />

kutanes Fettpolster direkt über die Knochen. Zur<br />

gleichen Zeit werden die Leber und die Makrophagen<br />

mit Fettsäuren überladen (Leberverfettung und


152 Endokrines System<br />

Schaumzellbildung). Pathogenetisch wird eine Über<br />

produktion von lipolyseanregendcn Leukozyten-Botenstoffen,<br />

wie Kachektin (Tumornekrosefaktor), disku<br />

tiert. Der Energieumsatz ist trotz normaler Schilddrü<br />

senfunktion stark gesteigert, so daß auch liyperkalorische<br />

Ernährung nicht zu Gewichtszunahme führt.<br />

Durch die multiple Organbeteiligung ist die Lebens<br />

erwartung bei generalisierter Lipodystrophie verkürzt<br />

(Leber- oder Niereninsuffizienz oder Kreislaufkompli<br />

kationen als Todesursache).<br />

Die angeborene Form der partiellen Lipodystrophie<br />

wird autosomal dominant vererbt, tritt jedoch vorwie<br />

gend bei Frauen auf (Beginn mit der Pubertät). Die<br />

Fettgewebsatrophie ist auf Rumpf und Extremitäten<br />

beschränkt, Kopf und Hals sind ausgenommen. Erwor<br />

bene partielle Lipodystrophie betrifft ebenfalls vorwie<br />

gend Frauen, hat aber ein anderes Atrophie-Verteilungsmuster.<br />

Entleert werden die Fettdepots der obe<br />

ren K<strong>ö</strong>rperhälfte einschließlich des Gesichts, während<br />

die untere K<strong>ö</strong>rperhälfte, insbesondere die Beine, aus<br />

gespart bleiben. Die Ursache dieser Erkrankungen ist<br />

nicht geklärt. Lokalisierte Lipodystrophie ist meist<br />

Folge von subkutanen Injektionen von Insulin, Triam<br />

cinolon oder Impfstoffen. Lokaler Fettgewebsschwund,<br />

z.B. in Form anulärcr (zirkulärer) Lipodys<br />

trophie an Extremitäten, beruht auf bioptisch nach<br />

weisbarer entzündlicher Infiltration des Unterhautge<br />

webes. Der Pathomechanismus dieser Fettgewebsatro<br />

phie ist ebenfalls noch unklar.<br />

4 Kohlenhydratspeicherkrankheiten<br />

4.1 Mukopolysaccharidosen<br />

Begriffsbestimmung: Unter dem Sammelbegriff<br />

Mukopolysaccharidosen (MPS) werden verschiedene<br />

St<strong>ö</strong>rungen im lysosomalen Abbau von Glykosaminoglykanen<br />

zusammengefaßt.<br />

Pathogenese: Glykosaminoglykane sind linear gebaute<br />

Polymere aus Disaccharideinheiten. Die Disaccharide<br />

enthalten je einen azetylierten Aminozucker (N-Acetyl-<br />

Glucosamin oder N-Acetyl-Galaktosamin) sowie eine<br />

zur Uronsäure oxidierte Aldose (Glucuronsäure oder<br />

Iduronsäure) oder Galaktose. Die Glykosaminoglykane<br />

Chondroitin, Dermatan, Keratan, Heparan und Hyal<br />

uronsäure sind aus unterschiedlichen Disacchariden<br />

aufgebaut. Mit Ausnahme der Hyaluronsäure enthal<br />

ten sie an vielen Stellen der Disaccharidkette esterartig<br />

gebundene Schwefelsäurercste, die den Molekülen<br />

zusammen mit den Karboxylresten anionischen Cha<br />

rakter verleihen. Im Organismus bilden kovalent an<br />

Eiweißmoleküle geheftete Glykosaminoglykane als<br />

Proteoglykane wesentliche Strukturelemente der<br />

interzellulären Matrix (im Knorpelgewebe etwa die<br />

Hälfte der Trockenmasse). Auch hier bildet Hyaluron<br />

säure eine Ausnahme, denn sie bindet sich nicht an<br />

Proteine. Ihre großen Moleküle (molare Masse ca. 106)<br />

sind z. B. für die hohe Viskosität der Synovialflüssigkeit<br />

verantwortlich.<br />

Die Glykosaminoglykane werden relativ rasch umge<br />

schlagen. Die Halbwertszeit für Chondroitinsulfat liegt<br />

bei 7 bis 10 Tagen, die für Hyaluronsäure bei 2 bis<br />

4 Tagen. Der Abbau der Glykosaminoglykane erfolgt<br />

nach Endozytose der Moleküle in den Lysosomen.<br />

Wenn die Aktivität eines der am Glykosaminglykanabbau<br />

beteiligten Enzyme infolge eines Gendefekts ver<br />

mindert ist, staut sich das Substrat des betroffenen<br />

Enzyms in den Lysosomen an (Glykosaminoglykan-<br />

Speicherkrankheiten oder Mukopolysaccharidosen).<br />

Die Glykosaminoglykansynthese ist bei Mukopolysac<br />

charidosen nicht beeinträchtigt. Je nach geschädigtem<br />

Enzym ergeben sich unterschiedliche Krankheitsbil<br />

der. Der Erbgang ist autosomal rezessiv mit Ausnahme<br />

des Typ II (s. u.), der X-chromosomal vererbt wird.<br />

Klinik: Wenn der klinische Verdacht auf eine Mukopolysaccharidose<br />

bestellt, erm<strong>ö</strong>glicht die Urinunter<br />

suchung auf Glykosaminoglykane (angestaute Metabo<br />

liten des Abbaus werden renal ausgeschieden) eine<br />

vorläufige Diagnose. Zur Diagnosesicherung ist der<br />

Nachweis des Enzymdefekts in Fibroblasten, ggf. auch<br />

in Leukozyten oder im Plasma erforderlich.<br />

Patienten mit schwererer (Morbus Hurler) oder leich<br />

terer (Morbus Scheie) Form der MPS vom Typ I weisen<br />

eine progressive Hornhauttrübung auf. Beim Morbus<br />

Hurler ist das Wachstum schwer gest<strong>ö</strong>rt (dysproportionierter<br />

Minderwuchs, vergr<strong>ö</strong>berte Gesichtszüge, Skelettanomalitäten<br />

als Dysostosis multiplex, Hepatosple<br />

nomegalie, Herzfehler). Die Kinder zeigen einen<br />

zunehmenden zerebralen Abbau und sterben meist vor<br />

dem 10. Lebensjahr. Bei Patienten mit Morbus Scheie<br />

sind Wachstum und geistige Entwicklung normal.<br />

Neben der Hornhauttrübung ist das Auftreten von<br />

Gelenkkontrakturen und Knochenzysten typisch.<br />

Beim Morbus Hunter, der MPS vom Typ II, kommen<br />

schwere Verlaufsformen mit Symptomatik wie bei<br />

Morbus Hurler (nur ohne Hornhauttrübung) und Tod<br />

vor dem 15. Lebensjahr vor. Auch bei leichteren For<br />

men, bei denen Gelenkkontrakturen und Schwerh<strong>ö</strong>rig<br />

keit typisch sind, ist die Lebenserwartung reduziert (30<br />

bis 60 Jahre). Die inneren Organe sind häufig vergr<strong>ö</strong><br />

ßert, die geistige Leistungsfähigkeit ist normal bis<br />

mäßig vermindert.<br />

Als MPS vom Typ III (Morbus Sanfilippo) manifestie<br />

ren sich vier verschiedene Enzymdefekte klinisch<br />

gleichartig mit Schwerpunkt auf der zerebralen Sym<br />

ptomatik. Ab dem 3. bis 5. Lebensjahr lallen Verhal<br />

tens- und Lernst<strong>ö</strong>rungen auf. Später kommen schwere<br />

Durchfälle (St<strong>ö</strong>rungen des intrinsischen Darmnerven<br />

systems), Krämpfe und spastische Muskeltonussteige-


N. Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 153<br />

Klassifizierung der Mukopolysaccharidosen<br />

Typ (MPS) Name (Morbus) Defektes linzym Anstau von<br />

1 II Hurler u-Iduronidase DS/IIS<br />

IS Scheie a-Iduronidase DS/HS<br />

II Hunter Iduronat-S-Sulfatase DS/IIS<br />

III A Sanfilippo A Heparan-N-Sulfamidase HS/CS<br />

iiiß Sanfilippo B N-Acetyl-a-Glucosaminidase HS/CS<br />

III c Sanfilippo C N-Acetyl-Transferase HS/CS<br />

III D Sanfilippo 1) N-Acetylglucosamin-6-Sulfatase HS/CS<br />

IVA Morquio A N-Acetylgalaktosamin-6-Sulfatase KS/CS<br />

IVB Morquio B ß-Galaktosidase KS/CS<br />

VI Lamy-Marotoaux Arylsulfatase B DS/IIS<br />

VII Sly ß-Glucuronidase CS<br />

DS = Dermatansulfat, KS = Keratansulfat, CS = Cbondroitinsulfat, HS = Heparansulfat<br />

rung dazu. Die Patienten sterben bei progredientem<br />

Verlauf meist vor dem 20. Lebensjahr.<br />

Die MPS vom Typ IV (Morquio-Syndrom), die auf zwei<br />

unterschiedlichen Enzymst<strong>ö</strong>rungen beruhen kann,<br />

betrifft vor allem das Skelett. Es kommt zu dysproportioniertem<br />

Minderwuchs bei schwerer Deformierung<br />

von Wirbelsäule und 'Thorax. Die Hornhaut trübt sich,<br />

wenn auch nicht so stark wie bei der MPS vom Typ I.<br />

Zerebrale St<strong>ö</strong>rungen fehlen.<br />

Bei der MPS vom Typ VI bzw. dem Maroteaux-Lamy-<br />

Syndrom (die MPS V wird nach Aufklärung des Enzym<br />

defekts als MPS I S eingestuft) sind die Symptome<br />

denen bei MPS I II (Hurler) vergleichbar, nur daß die<br />

Intelligenz normal bleibt. Gefährlich für die Patienten,<br />

die 40 bis 50 Jahre alt werden, ist insbesondere das<br />

häufige Auftreten von infiltrativer Kardiomyopathie.<br />

Die seltene MPS vom 'Typ VII (Sly-Syndrom) reicht in<br />

der Ausprägung vom letalen Hydrops letalis über dem<br />

Morbus Hurler ähnliche Krankheitsbilder bis zu leich<br />

ten Formen, bei denen bei normaler geistiger Entwick<br />

lung und nur geringen Skelettabnormitäten die<br />

Lebenserwartung nicht verkürzt ist.<br />

4.2 Glykogenosen<br />

Begriffsbestimmung: Glykogenosen sind eine hetero<br />

gene Gruppe von Speicherkrankheiten, die durch auto<br />

somal rezessiv vererbte Defekte von an Glykogensynthese<br />

oder -abbau beteiligten Enzymen verursacht<br />

werden.<br />

Ein Defekt der Glucose-6-phospliatase, die aus dem<br />

durch Glykogenabbau und bei der Gluconeogenese<br />

entstehenden Glucose-6-pliosphat freie Glucose ab<br />

spaltet, führt zur hepatorenalen Glykogenspeicherkrankheit<br />

(Morbus von Gierke). Die betroffenen Kinder<br />

bleiben im Wachstum zurück. Die massive Leberver<br />

gr<strong>ö</strong>ßerung führt zu einem stark vorgew<strong>ö</strong>lbten Abdo<br />

men, während die Vergr<strong>ö</strong>ßerung der Nieren klinisch<br />

weniger auffällt. Da die Leber nicht genügend Glucose<br />

ins Blut abgeben kann, sind hypoglykämische Episo<br />

den mit entsprechenden klinischen Symptomen<br />

(Krämpfe usw.) häufig. Der Abbau des sich anstauen<br />

den Glucose-6-phosphats über die Glykolyse führt zu<br />

einer Erh<strong>ö</strong>hung des Milchsäurespiegels im Blut.<br />

Gest<strong>ö</strong>rt sind auch der hepatische LipidstolTwechsel<br />

(Anstieg vor allem des LDL im Plasma, Xanthomatose),<br />

der Purinstoffwechsel mit gesteigerter Synthese und<br />

verminderter renaler Elimination von Harnsäure<br />

(Hyperurikämie mit Gichtsymptomatik) und die Hämostase<br />

(hämorrhagische Diathese). Die klinische Ver<br />

dachtsdiagnose wird durch Bestimmung der Glucose-<br />

6-phosphatase-Aktivität in einer I.eberbiopsie gesi<br />

chert.<br />

Der Defekt der u-l,4-Glucosidase führt beim Morbus<br />

Pompe zu generalisierter Glykogenablagerung. Die<br />

betroffenen Kinder versterben meist im ersten Lebens<br />

jahr infolge kardiorespiratorischer Insuffizienz.<br />

Beim Morbus Cori k<strong>ö</strong>nnen die 1,6-Verzweigungen des<br />

Glykogens nicht gespalten werden, und es kommt zur<br />

Ablagerung von Glykogeiibruchstücken (Dextrinen) in<br />

Leber und Muskulatur. Die klinische Symptomatik ist<br />

ähnlich, wenn auch milder als die bei Typ-I-Glykogenose<br />

(von Gierke). Zusätzlich kommt es zu Herzvergr<strong>ö</strong><br />

ßerung und Skelettmuskelschwäche.<br />

Der Morbus Andersen (Amylopektinose) ist extrem<br />

selten. Der Enzymdefekt verhindert die normale Ver-


154 Endokrines System<br />

Glykogenstoffwechselst<strong>ö</strong>rungen<br />

'Typ Morbus Defektes Enzym Betroffene Organe<br />

I von Gierke Glucose-6-phosphatase Leber, Niere<br />

ii Pompe u-l,4-Glucosidase Herz, Skelett<br />

in Cori Amylo-l,6-Glucosidase Leber, Muskel<br />

IV Andersen a-l,4-Glucan: u-l,4-Glucan-6-<br />

Leber, Herz<br />

glykosyltransferase<br />

V McArdle Phosphorylase (Muskel) Skelettmuskel<br />

VI Hers Phosphorylase (Leber) Leber<br />

VII 'Tarui Phosphofructokinase Skelettmuskel<br />

VIII Hug Phosphorylase-b-kinase Leber<br />

zweigung des neu synthetisierten Glykogenmoleküls,<br />

und in der Leber akkumuliert ein anormales, im<br />

Jodierungsmuster dem Amylopektin ähnliches Poly<br />

saccharid. Es kommt bald nach der Geburt zur Lebervergr<strong>ö</strong>ßerung<br />

und zu einer Leberzirrhose, die zum Tod<br />

in den ersten Lebensjahren führt.<br />

Der Morbus McArdle, bei dem der Glykogenabbau im<br />

Muskel gest<strong>ö</strong>rt ist, äußert sich als Muskelfunktionsst<strong>ö</strong>rung<br />

(Schwäche, Krämpfe) bei langdauernder intensi<br />

ver Arbeit. Die Muskelfasern sind auf die aerobe<br />

Energiegewinnung aus freien Fettsäuren und aus der<br />

aus dem Blut aufgenommenen Glucose angewiesen,<br />

denn das (reichlich gespeicherte) Muskelglykogen<br />

kann nicht verwertet werden. Entsprechend fehlt bei<br />

diesen Patienten auch der Anstieg der Blutmilchsäure<br />

bei schwerer Muskelarbeit.<br />

Bei Morbus Hers und bei der Glykogenose Typ VIII ist<br />

der Abbau des Leberglykogens gest<strong>ö</strong>rt. Es kommt zu<br />

mäßiger Lebervergr<strong>ö</strong>ßerung, und falls klinische Sym<br />

ptome auftreten, entsprechen sie einer milden Form<br />

der Typ-I-Glykogenose.<br />

Beim extrem seltenen Phosphofructokinasemangel als<br />

Typ-VII-Glykogenose ist die Glykolyse gest<strong>ö</strong>rt, und es<br />

kommt zur Akkumulation von Fructose-6-phosphat<br />

und Glucose-6-phosphat, der Ausgangsverbindung für<br />

die Glykogensynthese. Die Glykogenbildung insbeson<br />

dere des Skelettmuskels ist erh<strong>ö</strong>ht, und infolge ver<br />

mehrter Glykogeneinlagerung ist die Muskelfunktion<br />

beeinträchtigt.<br />

5 Gicht<br />

Begriffsbestimmung: Gicht ist ein Sammelbegriff für<br />

Krankheiten des Skeletts und der Weichteile, die durch<br />

Ausf'ällung von Natriumuratkristallen im Gewebe aus<br />

gel<strong>ö</strong>st werden.<br />

Pathogenese: Harnsäure ist beim Menschen das End<br />

produkt des Abbaus von endogen synthetisierten und<br />

mit der Nahrung aufgenommenen Purinbasen, die<br />

Bestandteil der DNA, der BNA, energiereicher Verbin<br />

dungen (ATP, GTP) und Botenstoffe (cAMP) sind. Aus<br />

endogenen und in der Nahrung enthaltenen Purinen<br />

werden pro Tag 0,5 bis 1 g Harnsäure gebildet. Etwa<br />

zwei Drittel davon werden über den Urin, der Best<br />

über Verdauungssekrete ausgeschieden, wobei die in<br />

den Darm gelangende Harnsäure durch Bakterien zu<br />

Allantoin verstoffwechsell wird. Insgesamt enthält der<br />

Organismus 0,9 bis 1,6 g (Männer) bzw. 0,5 bis 0,7 g<br />

Harnsäure (Frauen vor der Menopause, danach An<br />

näherung an die Werte von Männern). Die mittlere<br />

Harnsäurekonzentration im Plasma liegt bei 5,5 mg/dl<br />

bzw. 0,33 mmol/I (Männer) und 4,5 mg/dl bzw.<br />

0,27 mmol/l (Frauen). Ab einem oberen Grenzwert von<br />

7,0 mg/dl Harnsäure für Männer und 6,0 mg/dl für<br />

Frauen spricht man von Hyperurikämie.<br />

Im Gewebswasser l<strong>ö</strong>sen sich bei 37° C und pH 7.4 etwa<br />

7 mg/dl bzw. 0,4 mmol/l Harnsäure. Bei Abkühlung<br />

verschlechtert sich die L<strong>ö</strong>slichkeit, ebenso bei Ansäuerung,<br />

wenn der Anteil der undissoziierten, sehr<br />

schlecht l<strong>ö</strong>slichen Form der Harnsäure zunimmt.<br />

Wenn die Temperatur auf 30° C (ein in den Fußweichteilen<br />

normaler Wert) sinkt, liegt die Harnsäurel<strong>ö</strong>slichkeit<br />

nur noch bei 4,5 mg/dl. Dies bedeutet, daß bereits<br />

bei normaler Harnsäurekonzentration im Plasma lokal<br />

eine Harnsäureübersättigung vorliegt. Daß sich trotz<br />

dem keine Tlarnsäureablagerungen im Gewebe bilden,<br />

wird durch Schutzfaktoren (noch nicht identifizierte<br />

Proteine) verhindert, die die Aggregation der Uratkristalle<br />

und ihr Wachstum blockieren. Diese Interindivi<br />

duell unterschiedliche Schutzwirkung reicht mit stei<br />

gender Harnsäurekonzentration früher oder später<br />

nicht mehr aus. Daher stellt eine Hyperurikämie ein<br />

mit zunehmender Harnsäurekonzentration steil wach<br />

sendes Bisiko für das Auftreten von Gicht dar. Im<br />

Konzentrationsbereich von 7 bis 8 mg/dl Harnsäure ist<br />

mit einer Gichterkrankungsrate von ca. 16% zu rech<br />

nen, während ab 9 mg/dl bei über 90% der Patienten


N. Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 155<br />

Gichtsymptome zu erwarten sind. Generell ist die<br />

Neigung zur Ausfüllung von Harnsäurekristallen<br />

(hauptsächlich Natriumurat) bei Männern h<strong>ö</strong>her als<br />

bei Frauen, und sie kommt häufig erst nach jahrzehn<br />

telanger Hyperurikämie zum Tragen. Weil der Tlarnsäurespiegel<br />

bei prädisponierten Männern meist mit<br />

der Pubertät, bei Frauen erst nach der Menopause<br />

ansteigt, ist der Patient mit erstmaliger Gichtmani<br />

festation (akuter Gichtanfall) typischerweise ein Mann<br />

jenseits des 30. Lebensjahrs.<br />

Ursache für einen Aufstau von Harnsäure im K<strong>ö</strong>rper<br />

mit Anstieg von Harnsäurepool und -konzentration ist<br />

meist eine unzureichende renale Exkretion. Die Elimi<br />

nierung von Harnsäure über die Niere ist ein komple<br />

xer Prozeß. Die in den Primärharn filtrierte Harnsäure<br />

wird in den Nierenkanälchen fast vollständig reabsorbiert.<br />

Daneben erfolgt paradoxerweise eine Sekretion,<br />

wobei die ins Tiibuluslumen transportierte Harnsäure<br />

wiederum teilweise reabsorbiert wird. Insgesamt<br />

beträgt die mit dem Urin ausgeschiedene Harnsäure<br />

menge nur etwa 10% der im Primärharn enthaltenen.<br />

Die Niere verfügt somit über eine hohe Exkrotionsroserve.<br />

die ihr erm<strong>ö</strong>glicht, selbst bei Insuffizienz mit<br />

Abfall der glomerulären Filtrationsrate von 100 bis<br />

200 ml/min auf 10 ml/min durch verringerte Reab<br />

sorption für eine ausreichende Eliminierung von Harn<br />

säure zu sorgen. Wie effizient die renale Ausscheidung<br />

von Harnsäure sein kann, zeigt sich bei Patienten mit<br />

isolierter St<strong>ö</strong>rung des renalen Hariisäurerücktransports,<br />

deren Harnsäurekonzentration im Plasma unter<br />

1 mg/dl liegt.<br />

Bei primärer Hyperurikämie ist in der Begel die<br />

Sekretion von Harnsäure im Nierentubulus vermindert<br />

und die Reabsorption normal. Welche Mechanismen<br />

für diese Fehlregulation verantwortlich sind, ist noch<br />

ungeklärt. Entsprechendes gilt für die sekundäre<br />

Hyperurikämie mit Reduzierung der renalen Harnsäure-Clearance<br />

infolge Sekretionshemmung durch<br />

Laktatazidose, Ketoazidose, Ethylalkohol und durch<br />

Dehydratation. Eine gesteigerte Purinsynthese, die zu<br />

vermehrtem Anfall des Abbauprodukts Harnsäure<br />

führt, kann Ursache sowohl primärer als auch sekun<br />

därer Hyperurikämie sein, aber entscheidend für den<br />

Harnsäureanstieg ist meist das Versagen der renalen<br />

Kontrolle.<br />

Ein X-chromosomal vererbter Defekt des Enzyms, das<br />

den Phosphoribosyl-Traiisfer von Phosphoribosylpyrophosphat<br />

(PRPP) auf Hypoxanthin unter Bildung von<br />

Inosinsäure und auf Guanin unter Bildung von Guanylsäure<br />

katalysiert, führt zu Überproduktion von Puri<br />

nen durch Aufstau des Synthesesubstrats PRPP und<br />

Verminderung der Rückkopplungshemmung der<br />

Purinsynthese durch IMP (Inosin-5'-monophospliat)<br />

und GMP (Guanosinmonophosphat). Dieses sel<br />

tene Lesch-Nyhan-Syndrom (Prävalenz 1:10') ist<br />

außer durch Hyperurikämie durch zentralnerv<strong>ö</strong>se<br />

Symptomatik (Spastizität, Athetose, mentale Retarda-<br />

Hyperurikämieursachen<br />

Erh<strong>ö</strong>hte Purinsynthese<br />

Enthemmung<br />

des Purinabbaus,<br />

vermehrter Zellzerfall<br />

Verminderte<br />

renale llarnsäureausscheidung<br />

Genetisch bedingt, u. a. bei<br />

Überaktivität der Phospho-<br />

ribosylpyrophosphat-<br />

Synthetase,<br />

Lesch-Nyhan-Syndrom,<br />

Glykogenose 'Typ 1<br />

Alkohol<br />

Fructose- oder Xylitzufuhr,<br />

Strahlentherapie,<br />

zytostatische 'Therapie,<br />

Leu kosen, Polyzythämie,<br />

hämolytische Anämien,<br />

Muskelzelluntergang nach<br />

'Traumen oder Überlastung<br />

Genetisch bedingt<br />

Laktat- und Ketoazidosen,<br />

Dehydratation, Saluretika,<br />

Salizylate, Bleivergiftung,<br />

Niereninsuffizienz<br />

tion, Autoaggressionsneigung) und Wachstumsst<strong>ö</strong>rungen<br />

gekennzeichnet.<br />

Die Aüsfällung von Harnsäurekristallen erfolgt bevor<br />

zugt im Knorpelgewebe, im epiphysealen Knochen, in<br />

periartikulären Strukturen und nicht zuletzt in der<br />

Niere. Die nadeif<strong>ö</strong>rmigen Kristalle werden von neutro<br />

philen Granulozyten phagozytiert und in Phagolysosomen<br />

eingeschleust. Sie k<strong>ö</strong>nnen aber nicht aufgeschlos<br />

sen werden, perforieren die Membran dieser Zellorga<br />

nellen und führen zum Austritt der lysosomalen<br />

Enzyme und sonstigen toxischen Inhaltsstoffe. Die<br />

Leukozyten gehen zugrunde, und die aus ihnen freige<br />

setzten Botenstoffe, toxischen Verbindungen und<br />

Enzyme l<strong>ö</strong>sen eine lokale Entzündungsreaktion aus.<br />

Außerdem k<strong>ö</strong>nnen die Harnsäurekristalle über den<br />

Hageman-Faktor das Kallikrein-Kinin-System und<br />

über den klassischen Weg das Komplementsystem<br />

aktivieren und so zusätzlich entzündungsausl<strong>ö</strong>send<br />

wirken. Neben der akut entzündlichen Beaktion kann<br />

es zu lokaler Gewebsnekrose mit Proliferation von<br />

Fibroblasten und Fremdk<strong>ö</strong>rperreaktion kommen. Mas<br />

sive multizentrische Ablagerungen von Harnsäurekri<br />

stallen, die vor allem im Knorpel, im Subkutangewebe<br />

und an Sehnenscheiden vorkommen, sind von mononukleären<br />

/eilen (Granulome) und von chronisch ent<br />

zündlich verändertem Bindegewebe umgeben (Gichttophi).<br />

In der Niere k<strong>ö</strong>nnen sich die Harnsäurekristalle<br />

außer als Tophi auch disseminiert interstitiell ablagern<br />

oder bei Ilyperurikosurie durch Bildung in den Sam<br />

melrohren zu obstruktiver Nephropathie führen.<br />

Klinik: Der erste akute Gichtanfall tritt in der Begel<br />

als Monoarthritis vor allem des Großzehengrundge<br />

lenks auf (»Podagra«). Bei vorbestehender Hyperurik<br />

ämie k<strong>ö</strong>nnen Operationen oder Traumen, ungew<strong>ö</strong>hnte


156 Endokrines System<br />

k<strong>ö</strong>rperliche Anstrengungen, überreichliches Essen<br />

oder Alkoholexzesse als Ausl<strong>ö</strong>ser wirken. Der Anfall<br />

beginnt vorzugsweise nachts. Innerhalb von Stunden<br />

kommt es zu schmerzhafter Schwellung und roter bis<br />

livider Verfärbung des betroffenen Gelenks sowie zu<br />

einer allgemeinen Entzündungsreaktion mit Fieber<br />

(Akute-Phase-Reaktion). Der akute Gichtanfall klingt<br />

auch ohne Behandlung in wenigen Tagen bis Wochen<br />

ab. Es schließt sich ein symptomloses Intervall an, die<br />

sog. interkritische Phase. Wenn der Harnsäurespiegel<br />

nicht gesenkt wird, kommt es meist innerhalb des<br />

ersten Jahres zum Anl'allrezidiv. Mit zunehmender<br />

Krankheitsdauer häufen sich die Anfälle, greifen auf<br />

mehr Gelenke über und werden schwerer (Polyarthri<br />

tis). Das chronische Stadium, das nur bei unzurei<br />

chender ärztlicher Versorgung nach etwa zehn Jahren<br />

erreicht wird, ist durch destruktive, deformierende<br />

Polyarthritis und massive lokale Ablagerung von Uratkristallen<br />

(Gichttophi) charakterisiert. Prädilektions<br />

stellen für die Ausbildung von Gichttophi sind neben<br />

dem Großzehengrundgelenk die Ohrmuscheln, die<br />

Hand und der Olekranonbereich. Der Harnsäurepool<br />

des K<strong>ö</strong>rpers, der bei Hyperurikämie auf 3 bis 5 g<br />

(normal 0,7 bis 1,6 g) ansteigt, kann durch Tophusbildung<br />

auf über 30 g zunehmen.<br />

Diagnostik: An primäre Gicht muß außer bei der<br />

typischen akuten Monarthritis (die allerdings häufig<br />

als rheumatoide Arthritis fehldiagnostiziert wird) vor<br />

allem bei rezidivierenden Nierenst<strong>ö</strong>rungen (Protein<br />

urie, Mikrohämaturie, Nephrolithiasis) gedacht wer<br />

den. Eine Nierenschädigung entwickelt sich häufig<br />

bereits vor der Gelenkmanifestation der Gicht. Hin<br />

weise auf das m<strong>ö</strong>gliche Vorliegen von primärer Gicht<br />

liefern die Familienanamnese (mindestens jeder<br />

zehnte Gichtkranke ist familiär vorbelastet) und die<br />

Allgemeinuntersuchung, denn Gicht ist häufig mit Adi<br />

positas und arterieller Hypertonie vergesellschaftet.<br />

Bei laborchemisch gesicherter Hyperurikämie sollte<br />

nach St<strong>ö</strong>rungen des Kohlenhydratstoffwechsels (Dia<br />

betes mellitus) und des Fettstoffwechsels (Hyperlipid<br />

äniie, Fettleber) gefahndet werden, die im Verlauf einer<br />

Gichterkrankung gehäuft auftreten.<br />

Die Diagnose Gicht wird allgemein durch den mehrfa<br />

chen Nachweis weit überh<strong>ö</strong>hter Harnsäurespiegel im<br />

Plasma (Bestimmung bei normaler Diät und nach<br />

Absetzen von die renale Harnsäure-Clearance beein<br />

flussenden Medikamenten) und lokal durch den polarisationsmikroskopischen<br />

Nachweis von Harnsäurekri<br />

stallen in durch Punktion gewonnener Synovialflüssigkeit<br />

(insbesondere bei Lokalisation in polymorphkerni<br />

gen Leukozyten) gesichert. Zur Feststellung einer Nie<br />

renbeteiligung ist auch bei normalem Urinbefund ein<br />

Infusionsurogramm indiziert.


157<br />

O. Sachverzeichnis<br />

Acervuli cerebri 5<br />

ACTH (adrenokortikotropes<br />

Hormon) 20<br />

-. Syndrom, ektopes 139<br />

-, Überproduktion 65<br />

Adenohypophyse 2f.<br />

ADH (antidiuretisches Hormon) 20, 23<br />

-, Sekretion, inadäquat hohe 66<br />

-, Syndrom, ektopes 140<br />

Adipositas 143<br />

Adiuretin 23<br />

Adrenalin 27<br />

Adrenalitis 99<br />

Adrenoleukodystrophie 104<br />

Adrenomyeloneuropathie 103<br />

Ag-NOR 57<br />

AGS (adrenogenitales Syndrom) 104<br />

Akromegalie 64<br />

Alhright-Osteodystrophie 92<br />

Aldehyd-Fuchsin-Färbung 54<br />

Aldosteron 29<br />

Alpha-Zellen 9<br />

Amine, biogene 43<br />

Amyloid, C-Zellen-Karzinom 81. 83<br />

Anatomie 2<br />

Anderson-Syndrom 139<br />

Androgene 30, 34<br />

Androgenproduktion, Kegelkreise 36<br />

Angiokeratoma corporis diffusum 150<br />

Angiotensin 38 f.<br />

Angiotensinasen 38<br />

Angiotensinogen 38<br />

ANH (atriales natriuretisches<br />

Hormon) 40<br />

Antidiuretin 20<br />

Anti-Müller-Hormon 35, 121<br />

ApoC-II-Mangel 146<br />

Apolipoproteine 44<br />

Apoproteine 45<br />

Apparat, juxtaglomerulärer 38<br />

Appendixkar/inoid 134<br />

Argentaffinom 132<br />

Arginin-Vasopressin 23<br />

Arteriographie 52<br />

A-Zellen 9<br />

A-Zellen-Tumor 117<br />

Basedow-Erkrankung 85<br />

Bauchspeicheldrüse s. Pankreas<br />

Beischilddrüsen s. Epithelk<strong>ö</strong>rperchen<br />

Beta-Zellen 9<br />

Blutzuckerspiegel 31<br />

Bombesin 12<br />

Botenstoffe 15<br />

Bradykinin 40<br />

Broca-Index 143<br />

B-Zellen 10<br />

B-Zellen-Tumor 118<br />

Calmodulin 18<br />

CCKom 120<br />

CCK-Zellen (Cholezystokinin-<br />

Zellen) 11<br />

CETP (Cholesterinester-Transferprotein)<br />

46<br />

Chiasmakompression 60<br />

Cholesterinester-Transferproteine 46<br />

-. Mangel 147<br />

Cholezystokinin 38<br />

Choriongonadotropin, humanes 32<br />

Chorion-Somniatomammotropin,<br />

humanes 33<br />

Chromierung, histologische 54<br />

Chromosomenaberrationen 124<br />

Chylomikron 45, 145<br />

Computertomographie 52<br />

Conn-Syndrom 107<br />

Corpora arenacea 5<br />

Corpus luteum 14, 34<br />

- pineale 5<br />

, Tumoren 67<br />

Cortisol 28<br />

CHI I (Corlicotropin-Releasing-<br />

Hormon) 20<br />

CSF (colony stimulating factor) 42<br />

Cushing-Syndrom 65, 105, 107, 139<br />

-, paraneoplastisches 105<br />

C-Zellen (Kalzitonin-Zellen) 6<br />

C-Zellen-Karzinom 81<br />

Dehydroepiandrosteron 30<br />

Delta-Zellen 10<br />

Delta-1-Zellen 10<br />

- Tumor 120<br />

Desmin 54<br />

D-Hormon 26<br />

Diabetes insipidus 66<br />

- mellitus 109<br />

Dignität endokriner Tumoren 55<br />

Dihydroandrosteron 30<br />

Dihydrotestosteron 34<br />

DNS (diffuses neuroendokrines<br />

System) 128<br />

Doege-Potter-Syndrom 139<br />

Dopamin 22 f.<br />

Drüsen, endokrine 1<br />

D-Tumor 119<br />

Dumping-Hypoglykämie 115<br />

Dynorphin 42<br />

Dyslipidämien 145f., 148<br />

Dyslipoproteinämien 148<br />

D-Zellen s. Delta-Zellen<br />

EC (enterochromaffin) 10, 120, 133<br />

EC-Karzinoide 133<br />

EC-Zellen 10<br />

EC-Zellen-Tumor 120<br />

EGF (epithelial growth factor) 41<br />

Hikosanoide 16, 35<br />

Hlektronenmikroskopie 54<br />

EMA (epithelial membrane<br />

antigen) 54<br />

Endokrinologie 1<br />

Endokrinopathien, multiple<br />

endokrine 142<br />

Endomorphin 42<br />

Enkephaline 42<br />

Knolase, neuronspezifische 12, 54<br />

Enteroglukagon 38<br />

Enzymdefekte 153f.<br />

Epiphyse 5<br />

Epithelk<strong>ö</strong>rperchen 7<br />

-, Adenom 89f.<br />

-, aktivierte 96<br />

-, Entzündungen 89<br />

-, Eehlbildungen 89<br />

-, Eettgehalt 97<br />

-, Funktionsst<strong>ö</strong>rungen 91<br />

-, Hormone 24<br />

-.Hyperplasie 91,96<br />

-. intraoperative Beurteilung 96<br />

-, Karzinom 90<br />

-, Metastasen 90<br />

-, Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 89<br />

-, supprimierte 96<br />

-, tumorartige Veränderungen 91<br />

-. WHO-Tumorsystematik 89<br />

EPS (erythropoietic producing<br />

substance) 141<br />

Erythropoetin 42<br />

Exophthalmus 87<br />

Faktor VIII 54<br />

Feminisierung 121<br />

Fetopathia diabetica 112<br />

Fettsucht 143<br />

Fibroblasten-Wachstumsfaktoren 42<br />

Fischaugenkrankheit 145<br />

Fixierung, Gewebe 54<br />

Follikelepithelzellen 14<br />

Follikelreifung 34<br />

Forssel-Syndrom 141<br />

Freisetzungshormone 20<br />

Fructoseintoleranz 115<br />

FSH (follikelstimulierendes<br />

Hormon) 20<br />

Punktionsdiagnostik, histologische 55<br />

F-Zellen s. PP-Zellen<br />

Ganglienzellen 12<br />

Ganglioneuroblastom 131<br />

Ganglioneurom 131<br />

Gangliosidose 150<br />

Ganzk<strong>ö</strong>rperszintigraphie 76<br />

Gastric inhibitory polypeptide 38<br />

Gastrin 38<br />

Gastrinom 53, 118<br />

Gastroenteropankreatisches System<br />

s. GEP<br />

Gelbk<strong>ö</strong>rperbildung 34<br />

GEP (gastroentero-pankreatisches<br />

System) 11<br />

GEP-Tumoren 116<br />

Germinom 67<br />

Gicht 154<br />

Gigantismus 64<br />

GIP (gastric inhibitory polypeptide) 38<br />

GIPom 120


158 O. Sachverzeichnis<br />

Glandula parathyreoidea s. Epithel<br />

k<strong>ö</strong>rperchen<br />

- thyreoidea s. Schilddrüse<br />

Glandulae adrenales s. Nebennieren<br />

Globoidzellen-Leukodystrophie 150f.<br />

Glucosestoffwechsel 31<br />

Glukagon 30<br />

Glukagonom 117<br />

Glukokortikoide 28<br />

Glykogenosen 153<br />

Glykosaminoglykane 152<br />

GnRH (Gonadotropin-Releasing-<br />

Hormon) 22<br />

Gonaden 14, 121<br />

Gonadendysgenesie 121<br />

Gonadotropin-Releasing-Hormon 22<br />

Granula, elektronmikroskopische 55<br />

-, neurosekretorische 55<br />

-, Adrenalin 55<br />

- bei Appendixkarzinoid 55f.<br />

- bei Bronchuskarzinoid 55<br />

- bei C-Zellen-Karzinom 55<br />

- bei Gastrinom 55<br />

- bei Glukagonom 55<br />

- bei Insulinom 55<br />

- bei Somatostatinom 55<br />

- bei VIPom 55<br />

-, Gastrin 56<br />

-, Insulin 56<br />

-, Noradrenalin 55f.<br />

- im Paragangliom 55<br />

Granulosaluteinzellen 14<br />

Granulosazellen 14<br />

GRP (gastrin releasing peptide) 38<br />

G-(Gastrin-)Zellen-Hyperplasie 136<br />

Hämangioendotheliom, Schild<br />

drüse 83<br />

Hashimoto-Thyreoiditis 71<br />

HCG (humanes Choriongonadotropin)<br />

32<br />

HCS (humanes Chorion-Sommatomammotropin)<br />

33<br />

HDL (high density lipoproteins) 46f.<br />

Hemmungshormone 20<br />

Hepatoblastom 141<br />

Hermaphroditismus 121<br />

Hirnsand 5<br />

Histamin 43<br />

Hoden 14<br />

—.Atrophie 14<br />

-.Funktionsst<strong>ö</strong>rungen 123<br />

-, Tumor 51<br />

Hormon, Hormone<br />

-, adrenokortikotropes 20<br />

-, antidiuretisches 23<br />

-, atriales natriuretisches 40<br />

- endokriner Drüsen 20<br />

—, extraglanduläre 35<br />

-, follikelstimulierendes 20<br />

-, gonadotrope 20<br />

-, Inaktivierung 19<br />

-, luteinisierendes 20<br />

-, Pankreas 30<br />

- in der Schwangerschaft 32<br />

-, thyreotropes 20<br />

-, Zyklusschwankungen 33<br />

Hormonrezeptoren 16<br />

Hormonwirkung, Vermittlung der 17<br />

HPL (humanes plazentares Lak<br />

togen) 33<br />

HPT (Hyperparathyreoidismus) 93<br />

Hyperaldosteronismus 106<br />

Hyperinsulinismus 114<br />

Hyperkalzämie 93<br />

-, paraneoplastische 140<br />

Hyperkortizismus, paraneo<br />

plastischer 139<br />

Hyperlipoproteinämien 145, 149<br />

Hyperparathyreoidismus 50, 93<br />

Hyperprolaktinämie 65<br />

Hyperthyreose 85<br />

Hypertriacylglycerinämie 146<br />

Hyperurikämie 154<br />

Hypo-ß-Lipoproteinämie 146<br />

Hypoglykämie 114f., 139<br />

Hypogonadismus 123<br />

Hyponatriämie, paraneo<br />

plastische 140<br />

Hypoparathyreoidismus 91<br />

Hypophyse 2f., 20<br />

-, Adenom 58, 64<br />

-, Entzündungen 58<br />

-, Fehlbildungen 58<br />

-, Funktionsst<strong>ö</strong>rungen 62<br />

-, Heterotopien 61<br />

-, Karzinome 60<br />

-, Kreislaufst<strong>ö</strong>rungen 58<br />

-, Megastasen 61<br />

-, Mikroadenom 60<br />

-, Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 58<br />

-, tumorartige Veränderungen 58<br />

-, WHO-Tumorsystematik 58<br />

Hypophysenstiel 2<br />

Hypopituitarismus 62f.<br />

Hypothalamus-Hypophyse 21<br />

Hypothyreose 84<br />

IDL (intermediate density lipo<br />

proteins) 44<br />

IGF (insulinähnliche Wachstums<br />

faktoren) 40<br />

Immunhistochemie 54<br />

Induktion 16<br />

Inhibin 22<br />

Inselamyloidose 110f.<br />

Inselfibrose 111<br />

Inselhypertrophie 10<br />

Inselorgan 9<br />

Inselzelltumoren 116<br />

Insulin 30<br />

Insulinom 51, 117<br />

Insulinsekretion 31<br />

Insulitis 110f.<br />

Interferon 43<br />

Interkonversion 16<br />

Interleukine 42f.<br />

Intersexualität 121f.<br />

I-Zellen s. CCK-Zellen<br />

Jodthyronine 24, 26<br />

Jodumsatz 24<br />

Kachexie 145<br />

Kallidin 40<br />

Kalzitonin 6, 26, 81<br />

Kalziumhaushalt, Funktions<br />

st<strong>ö</strong>rungen 91<br />

Kalziumsignalsystem 17<br />

Karzinoid 132<br />

-.Appendix 133<br />

-, atypisches 134<br />

-, Darm 133<br />

-EG 132<br />

-, ECL 132<br />

-, enterochromaffines 132<br />

-, Genitale 134<br />

-, GEP 132<br />

-, Magen 133<br />

-Thymus 135<br />

Karzinoidsyndrom 136<br />

-, atypisches 136<br />

—, paraneoplastisches 140<br />

Kernspintomographie 52<br />

Kininsystem 40<br />

Klimakterium 34<br />

Klinefelter-Syndrom 123<br />

Kohlenhydratspeicherkrankheiten<br />

152<br />

Kolloid 6<br />

Kolloidstruma, Zytologie 88<br />

Konzeptionsverhütung 33<br />

Kraniopharyngeom 61<br />

K-Zellen s. GIP-Zellen<br />

Laboruntersuchungen 49<br />

Laktogen, humanes plazentares 33<br />

Lamy-Maroteaux-Syndrom 153<br />

Langerhans-Zellen 8<br />

LCA (lymphocytic common antigen) 54<br />

LCAT (Lecithin-Cholesterin-Acyl-Transferase)<br />

46<br />

LDL (low density lipoprotein) 44, 47<br />

LDL-Rezeptormangel 147<br />

Lebertumoren, gonadotropinproduzie<br />

rende 141<br />

Lecithin-Cholesterin-Acyl-Transferase<br />

46<br />

Leukodystrophie, nietachromatische<br />

150 f.<br />

Leukotriene 35, 37<br />

Leydig-Zellen 14<br />

LH-ICSH (luteinisierendes Hormon) 20<br />

Lipide, exogene 45<br />

Lipidspeicherkrankheiten 150<br />

Lipidstoffwechsel 44<br />

-, St<strong>ö</strong>rungen 145<br />

Lipodystrophien 148, 151<br />

Lipogranulomatose 150<br />

Lipomatosen 151<br />

Lipoproteine 44f.<br />

Lipoproteinlipasemangel 147<br />

Lipoxine 35, 37<br />

Lobus pyramidalis 6<br />

Lungentumoren, gonadotropin<br />

produzierende 141<br />

Lymphe 45<br />

Lymphome, maligne 83<br />

Mangelernährungsdiabetes 110<br />

Melanotonin 5<br />

Membranrezeptoren 16<br />

MEN (multiple endokrine Neopla<br />

sien) 1361*.


O. Sachverzeichnis 159<br />

Menopause 34<br />

Menses 32<br />

Messenger, second 17<br />

Mikrokarzinoidose, Magen 133<br />

Milchglaskerne, Schilddrüse 80, 88<br />

Mineralokortikoide 29<br />

Minipille 33<br />

Monatszyklus der Frau 32<br />

Morbus Andersen 153<br />

- Basedow 50, 85f.<br />

- Cori 153<br />

- Cushing 105<br />

- Fabry 150f.<br />

- Farber 150<br />

- Gaucher 150f.<br />

- von Gierke 153<br />

- Graves 85<br />

- Hers 153<br />

- Hurler 152<br />

- Madelung 151<br />

- McArdle 153<br />

- Niemann-Pick 150f.<br />

- Pompe 153<br />

- Refsum 151<br />

- Sanfilippo 152<br />

- Scheie 152<br />

- Tay-Sachs 150<br />

Morquio-Syndrom 153<br />

Motilin 38<br />

MPS (Mukopolysaccharidosen) 152<br />

Mukokarzinoid 134f.<br />

Mukopolysaccharidosen 152<br />

Myelolipom, Nebenniere 101<br />

Myx<strong>ö</strong>dem 84<br />

Nadler-Wolfer-Elliot-Syndrom 139<br />

Nebennieren 8<br />

-, Adenom im CT 52<br />

-, Blutungen 98<br />

-, Entzündungen 99<br />

-, Fehlbildungen 98<br />

-, Funktionsst<strong>ö</strong>rung 103<br />

-, Hypoplasie 98<br />

-, Kreislaufst<strong>ö</strong>rungen 98<br />

-.Metastasen 101<br />

-, Myelolipom 101<br />

-, Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 99<br />

-, WHO-Tumorsystematik 99<br />

Nebennierenhormone 27<br />

Nebennierenmark 8<br />

-, Funktionsst<strong>ö</strong>rungen 108<br />

-, Hormone 27<br />

-, Hyperfunktion 108<br />

-, Hypofunktion 108<br />

-, Szintigraphie 53<br />

-, Tumoren 102<br />

Nebennierenrinde 8<br />

-, Adenom 99<br />

-, Hyperplasie 100<br />

-, Insuffizienz 103<br />

-, Karzinom 100<br />

—, Szintigraphie 53<br />

-. tumorartige Veränderungen 101<br />

-, Überfunktion 105<br />

Nebenschilddrüsen s. Epithel<br />

k<strong>ö</strong>rperchen<br />

Nelson-Tumor 65<br />

Neoplasien, multiple endokrine 136<br />

Nervenwachstumsfaktoren 40<br />

Nesidioblastom 116<br />

Nesidioblastose 10, 116<br />

Neuroblastom 131<br />

Neurohypophyse 2, 4<br />

Neuromodulatoren 15<br />

Neurophysine 23<br />

Neurotensin 38<br />

Neurotransmitter 15<br />

Noradrenalin 27<br />

Nukleotide, zyklische 18<br />

Onkozyten 4<br />

Onkozytom 78f.<br />

Opiate, endogene 42<br />

-, endokrine 85, 87<br />

Organe, zirkumventrikuläre 5<br />

Osteomalazie 95<br />

Osteoporose 95<br />

Östrogene 30f.<br />

Ovarien 14<br />

-. Dysfunktion 125f.<br />

Ovulation 32, 34<br />

Oxytocin 23<br />

PAF (Plättchenaktivationsfaktor) 37<br />

Panhypopituitarismus 62<br />

Pankreas, Ektopie 120<br />

-, endokrine Tumoren 116<br />

-, endokrines 9<br />

-, Gastrinom 118<br />

-.Glukagonom 117<br />

-, Hormone 30<br />

-, Inselamyloidose 110f.<br />

-, Inselfibrose 111<br />

-, Inselzelltumoren 116<br />

-, Insulinom 117<br />

-, Insulitis 110f.<br />

-, Karzinoid 120<br />

-, Somatostatinom 119<br />

-, tumorähnliche Veränderungen 120<br />

-VIPom 119f.<br />

-, WHO-Tumorsystematik 116<br />

Pankreozymin 38<br />

Paraganglien 12f.<br />

Paragangliom 128, 130f.<br />

Paraneoplasien 138<br />

Parathormon 26f.<br />

Parinaud-Symptom 67<br />

PAS-Orange-G-Färbung 54<br />

PDGF (platelet derivated growth<br />

factor) 41<br />

Peptid YY 38<br />

Peptid-Abwehrhormone 42<br />

Peptid-Enterohormone 37f.<br />

Peptidhormone 16, 19<br />

Peptid-Wachstumsfaktoren 22<br />

Pfortaderkreislauf 4<br />

PG (Prostaglandine) 35, 37<br />

Phäochromozyten 12<br />

Phäochromozytom lOlf.<br />

Physiologie 15<br />

Phytansäure-Speicherkrankheiten<br />

151<br />

Pierre-Marie-Bamberger-<br />

Svndrom 141<br />

Pille 33<br />

Pinealoblastom 67<br />

Pinealozyten 5<br />

Pinealzellentumor 67<br />

Pineozytom 67<br />

Plättchenaktivationsfaktor 37<br />

Polypeptid, vasoaktives intestinales 10<br />

POMC (Propiomelanocortin) 22<br />

Portalvenensystem 4<br />

PP (pancreatic polypeptide) 38<br />

PP-Zellen 10<br />

Präalbumin 25<br />

Präkarzinoid, Magen 133<br />

PRL (Prolaktin) 22<br />

Progesteron 32<br />

Prolaktin 22 f.<br />

Prolaktin-Zellen 3<br />

Prolaktinomzelle, EM 4<br />

Proopiomelanocortin 22<br />

Prostaglandine 35, 37<br />

Proteoglykane 152<br />

Proteinsynthese 18<br />

Proteohormone 16<br />

Psammomk<strong>ö</strong>rper 80<br />

Pseudohermaphroditismus 121, 123<br />

Pseudohyperparathyreoidismus 93<br />

Pseudohypoparathyreoidismus 92<br />

PTH (Parathornion) 26f.<br />

Pubertas praecox 67<br />

Purine 16<br />

Quervain-Thyreoiditis 71<br />

Rachitis 94<br />

RAS (Renin-Angiotensin-System) 38<br />

Rathke-Täsche 2<br />

Reaktion, argentaffine 54<br />

-, argyrophile 54<br />

Regelkreise, hierarchische 20<br />

-, hormonelle 19<br />

-.vernetzte 19<br />

Regulation, hormonale 15<br />

Releasing-Hormone 20<br />

Remnant-Rezeptoren 46<br />

Renin 38<br />

Renin-Angiotensin-System 37, 39, 41<br />

Rezeptoren 16, 27<br />

Riedel-Thyreoiditis 72<br />

Rieseninseln 9<br />

Rosenfeld-Syndrom 140<br />

Routinefärbungen, histologische 54<br />

Rückkoppelung 19<br />

Säbelscheidentrachea 70<br />

Schilddrüse 6<br />

-, C-Zellen-Karzinom 81<br />

-, Ektopie 68<br />

-, Entzündungen 71<br />

-, Fehlbildung 68<br />

-, Hämangioendotheliom 83<br />

-, Hormone 24f.<br />

-, inkretorische Hyperaktivität 86<br />

—, Kreislaufst<strong>ö</strong>rungen 68<br />

-, maligne Lymphome 83<br />

-, nichtepitheliale Tumoren 83<br />

-, Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 68<br />

-, Szintigraphie 52<br />

-. TNM-System 75<br />

-. tumorähnliche Veränderungen 83<br />

-, WHO-Tumorsystematik 73<br />

-, Zytologie 88


160 O. Sachverzeichnis<br />

Schilddrüsenadenom 50<br />

-, atypisches 78<br />

-, autonomes 85<br />

-, embryonales 77<br />

-, fetales 77<br />

-, follikuläres 77<br />

-. hellzelliges 77<br />

-, lipidhaltiges 77<br />

-, onkozytäres 78<br />

-, Siegelringzelltyp 77<br />

Schilddrüsenkarzinom 50, 74, 76, 79<br />

-, anaplastisches 82<br />

-, follikuläres 79<br />

-, Ganzk<strong>ö</strong>rperszintigraphie 76<br />

-, Graham 80<br />

-, medulläres 81<br />

-, Metastasen 79<br />

-, okkultes 80<br />

-, onkozytäres 79<br />

-, papilläres 80<br />

-, Plattenepithelkarzinom 82<br />

-, sklerosierendes 80<br />

Schilddrüsenknoten, heißer 78<br />

-kalter 78<br />

Schilddrüsensarkome 83<br />

Schilddrüsentumoren und Struma 74<br />

-, gutartige 77<br />

-, Pathogenese 74<br />

Schilddrüsenzyste 50, 83<br />

Schwartz-Bartter-Syndrom 66, 140<br />

Sekretin 38<br />

Sekretion, amphikrine 15<br />

-, autokrine 15<br />

-, endokrine 15<br />

-, neuroendokrine 15<br />

-, parakrine 15<br />

Serotonin 44<br />

Sertoli-cells only Syndrom 14<br />

Sertoli-Zellen 14<br />

Sexual-Glandotropine 22<br />

Sexualhormone 301'., 34<br />

Sheehan-Syndrom 62<br />

SIADH (syndrome of inappropiate<br />

secretion of antidiuretic<br />

hormone) 66<br />

Signaltransduktion 16<br />

Sipple-Syndrom 137<br />

Sly-Syndrom 153<br />

Somatomedine 22<br />

Somatostatin 22. 31, 38<br />

Somatostatinom 119<br />

Somatostatinzellen 9<br />

Somatotropin 22<br />

Somatotropin-Releasing-Hormon 22<br />

Sonographie 49<br />

-, Hodentumor 51<br />

-, Hyperparathyreoidismus 50<br />

-, Morbus Basedow 50<br />

—, Nebennierentumor 51<br />

-, Pankreasinsulinom 51<br />

-, Schilddrüsenadenom 50<br />

-, Schilddrüsenkarzinom 50<br />

-, Schilddrüsenzyste 50<br />

Spermatogenese 36<br />

Spezialfärbungen, histologische 54<br />

Sphingolipidosen 150<br />

Spongiozyten 99<br />

SlOO-Protein 54<br />

SRH (Somatotropin-Releasing-<br />

Hormon) 22<br />

Steroid-Speicherkrankheiten 151<br />

Steroidhormone 16, 18f., 28<br />

STH (somatotropes Hormon,<br />

Wachstumshormon) 22<br />

STH-Syndrom, ektopes 141<br />

STH-Zellen 3<br />

Stoffwechselst<strong>ö</strong>rungen 143<br />

Struma adenomatosa 69, 85<br />

- basedowiana 85<br />

- basedowificata 70<br />

- colloides diffusa 69<br />

- diffusa 69<br />

-, euthyreote 69<br />

-, intrathorakale 53<br />

- neonati 68<br />

- nodosa 69<br />

- parenchymatosa 69<br />

- retrosternalis 70<br />

- vasculosa neonatorum 68<br />

-, WHO-Stadieneinteilung 70<br />

Strumitis 71<br />

Substanz P 38<br />

Subtraktionsangiographie, digitale 52<br />

Suppressionsszintigraphie 52<br />

Sustentakularzelle 13<br />

Synaptophysin 12, 130<br />

Syndrom der verschwindenden<br />

Testes 123<br />

-, adrenogenitales 104<br />

System, adrenales paraganglio<br />

näres 12<br />

-, extraadrenales paraganglio<br />

näres 12<br />

—, hypothalamisches 20<br />

-, neuroendokrines 11, 128<br />

-, neuroendokrines diffuses 128<br />

-, nichtchromaffines 12<br />

-, sympathoadrenales 28<br />

Szintigraphie, Epithelk<strong>ö</strong>rperchen 53<br />

-, Nebennierenmark 53<br />

-, Nebennierenrinde 53<br />

-, neuroendokrine Tumoren 53<br />

-, Schilddrüse 52<br />

T3 (Trijodthyronin) 24<br />

T4 (Thyroxin) 24<br />

Tangier-Krankheit 146<br />

Teratom, Corpus pineale 67<br />

Testosteron 34f.,<br />

TGF (transformierende Wachstums<br />

faktoren) 41<br />

Thromboxane 35<br />

Thrombozyten-Wachstumsfaktor 41<br />

Thymushormon 43<br />

Thyreoglobulin 24<br />

Thyreoiditis 71<br />

-, lymphozytäre 71<br />

Thyreotropin-Releasing-Hormon 22<br />

Thyreozyten 6<br />

'Thyroxin 24<br />

TPA (tissue polypeptide antigen) 54<br />

Transportproteine 15, 25<br />

'TRII (Thyreotropin-Releasing-<br />

Hormon) 22<br />

Triacylglycerinämie, nutritive 148<br />

'Trijodthyronin 24f.<br />

TSH (thyreotropes Hormon) 20, 22<br />

TSH-Syndrom, ektopes 142<br />

'Tumor, 'Tumoren<br />

-, diffuses neuroendokrines<br />

System 132<br />

-neuroendokrine 128f.<br />

Tumor-Grading 57<br />

Tumorlet, Lunge 134<br />

Tyrosinkinasen 18<br />

UIlrich-Turner-Syndrom 122<br />

Ultimobranchialk<strong>ö</strong>rper 6<br />

Untersuchung, klinische 49<br />

-, pathologisch-anatomische 54<br />

Vasoactive releasing polypeptide 38<br />

Verfahren, bildgebende 49<br />

-, nuklearmedizinische 52<br />

—, radiologische 51<br />

Vermännlichung 122<br />

Versilberung, histologische 54<br />

VIP (vasoactive releasing poly<br />

peptide) 10, 38<br />

VIPom 119f.<br />

Vitamin D3 26<br />

VLDL (very low density lipo<br />

proteins) 44, 47<br />

V-Rezeptoren 23<br />

Wachstumsfaktor, Wachstums<br />

faktoren 40<br />

- der Blutzellen 42<br />

-, epitheliale 41<br />

- der Fibroblasten 42<br />

-, insulinähnliche 40<br />

- der Thrombozyten 41<br />

—, transformierende 41<br />

Wachstumshormon 22<br />

Waterhouse-Friderichsen-<br />

Syndrom 98<br />

Wermer-Syndrom 136<br />

Xanthomatose 151<br />

Zellen, glukagonproduzierende 9<br />

-. insulinproduzierende 9f.<br />

-, neuroendokrine 10, 12<br />

-, parafollikuläre 6<br />

—, reninproduzierende 38<br />

—, somatostatinproduzierende 10<br />

Zellsystem, gastroenteropankreatisches<br />

1 1<br />

Zirbeldrüse s. Corpus pineale<br />

Zollinger-Ellison-Syndrom 119<br />

Zona fasciculata 8<br />

- glomerulosa 8<br />

- reticularis 8<br />

Zuckerkandl-Organ 13<br />

Zungengrundstruma 68<br />

Zwischenhypophyse 2, 4<br />

Zyklooxygenase 36<br />

Zytokeratin 54


161<br />

Quellennachweis der Abbildungen<br />

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