amnesty international - Dan Richter
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Pressespiegel<br />
hinzugekommen, und an den bestehenden<br />
wurden die Kontrollen intensiviert.<br />
Zum Beispiel in Albita. Hier<br />
führt eine der beiden Hauptstrassen<br />
zwischen Bukarest und Chisinau<br />
über den Fluss. Die Zöllner und<br />
Grenzer langweilen sich, es gibt<br />
kaum etwas zu tun. Ein paar hundert<br />
Fahrzeuge pro Tag gelte es abzufertigen,<br />
sagt der Postenchef. An diesem<br />
Tag sind es wohl weniger. Der<br />
Verkehr ging in den letzten Jahren<br />
kontinuierlich zurück. Bis 2002 war<br />
ein kleiner Grenzverkehr für die örtliche<br />
Bevölkerung erlaubt, ein Personalausweis<br />
genügte. Seit Jahresbeginn<br />
benötigen die Moldauer zur<br />
Einreise nach Rumänien ein Visum.<br />
An Schmuggelgut konfiszierten die<br />
Grenzer im Verkehr von Ost nach<br />
West bisher vor allem Zigaretten und<br />
gefälschte Marken-Textilien sowie<br />
in der Gegenrichtung gestohlene Autos.<br />
Der Posten wie auch die gesamte<br />
Grenzüberwachung funktionierten<br />
nach den Schengen-Kriterien, sagt<br />
der Chef mit sichtlichem Stolz.<br />
Erfüllen der Schengen-Kriterien<br />
Rumäniens Beitritt zum Schengen-<br />
Raum ist das erklärte Ziel für Dumitru<br />
Scutelnicu, den obersten Verantwortlichen<br />
der Grenzpolizei im<br />
Osten Rumäniens. Dem Beamten<br />
unterstehen 4000 Polizisten, die<br />
während der vergangenen Jahre alle<br />
eine von Spezialisten aus EU-Ländern<br />
mitgestaltete Ausbildung absolviert<br />
haben. Der Polizeichef hält den<br />
Einbezug Rumäniens in den Schengen-Raum<br />
bis zum Jahr 2012 für realistisch.<br />
Die bisherigen Erfahrungen<br />
mit der Grenzsicherung seien<br />
positiv. Das Problem Transnistrien<br />
sei erkannt und mit vermehrten Kontrollen<br />
in der Moldau entschärft worden<br />
(das östlich des Dnjestr auf moldauischem<br />
Territorium gelegene Gebiet<br />
gilt als ein rechtsfreier Raum<br />
und Hort dunkler Geschäfte). Hat<br />
der zuvorkommende Polizeichef<br />
Verständnis für alle jene menschlichen<br />
Härtefälle, welche sich aus<br />
dem verschärften Grenzregime ergeben?<br />
Scutelnicu, der aus der Region<br />
stammt und seine Karriere als<br />
einfacher Grenzpolizist begonnen<br />
hat, zögert mit der Antwort und<br />
spielt den Ball weiter. Wenn die EU<br />
von der Effizienz der rumänischen<br />
Grenzsicherung überzeugt sei, könne<br />
der kleine Grenzverkehr eventuell<br />
wieder zugelassen werden. Er erfülle<br />
lediglich einen Auftrag, das<br />
Ausmass jeglichen Grenzschutzes<br />
sei letztlich immer eine politische<br />
Frage.<br />
In diesem Fall gar eine hochbrisante<br />
Frage, denn davon betroffen ist nicht<br />
nur die Aussengrenze der EU, sondern<br />
auch das vielschichtige Verhältnis<br />
zwischen Rumänien und der Republik<br />
Moldau. Davon ein Lied zu<br />
singen weiss der Bukarester Advokat<br />
Ruslan Deleanu. Er stammt selbst<br />
aus der Moldau und beschäftigt sich<br />
vor allem mit Fällen von Moldauern,<br />
die sich um die rumänische Staatsbürgerschaft<br />
bewerben. Deleanu<br />
verweist auf die gesetzliche Grundlage,<br />
wonach die Einwohner des ehemaligen<br />
Bessarabiens und deren<br />
Nachkommen bis zur zweiten Generation<br />
das Recht auf die rumänische<br />
Staatsbürgerschaft haben. Derzeit<br />
sind seines Wissens rund 800 000<br />
Einbürgerungsgesuche auf dem rumänischen<br />
Konsulat in Chisinau<br />
hängig. Im Zeitraum von Sommer<br />
2002 bis Sommer 2004 wurde kein<br />
einziges dieser Gesuche behandelt,<br />
seither nur sehr wenige. Warum?<br />
Im Jahre 2002, so führt der Anwalt<br />
aus, wurde die Zuständigkeit zur Erteilung<br />
der Staatsbürgerschaft in Bukarest<br />
vom Innenministerium an das<br />
Justizministerium übertragen. Seither<br />
prüft ein Gremium von fünf<br />
<strong>Richter</strong>n zweimal pro Woche für einen<br />
halben Tag jedes einzelne Gesuch.<br />
Deleanu hat keinen Zweifel daran,<br />
dass dieser Kapazitätsengpass<br />
mit der Absicht eingeführt wurde,<br />
die Masseneinbürgerung der Moldauer<br />
zu verhindern. Er erwirkte mit<br />
zahlreichen Schreiben an EU-Vertreter<br />
und an rumänische Amtsstellen<br />
immer dieselbe Reaktion: Verlegenheit.<br />
Von Seiten der EU wurde<br />
ihm von höchster zuständiger Stelle<br />
beschieden, dieses Problem liege<br />
einzig und allein in der Kompetenz<br />
der rumänischen Behörden, und diese<br />
wiederum beriefen sich schliesslich<br />
auf die gesetzliche Vorgabe, wonach<br />
Rumänien die Staatsbürgerschaft<br />
an Moldauer vergeben kann,<br />
aber nicht muss. Diese eher windige<br />
Argumentation kann aber nicht die<br />
Tatsache verbergen, worum es eigentlich<br />
geht: Rumänien soll Europa<br />
vor einer Masseninvasion der bettelarmen<br />
Moldauer bewahren. «Doch<br />
genau das wird Ihnen in Bukarest<br />
niemand offiziell bestätigen», sagt<br />
der Anwalt. Und er hat recht.<br />
Ein einziger Ausweg?<br />
Allerdings sollen fairerweise auch<br />
noch andere Gründe für die eingefrorenen<br />
brüderlichen Bande zwischen<br />
dem EU-Neumitglied Rumänien<br />
und seinem armen östlichen<br />
Nachbarn angeführt werden. So ist<br />
etwa die ungarische Minderheit in<br />
Rumänien alles andere als erpicht<br />
auf eine Masseneinbürgerung von<br />
Moldauern, die den ethnischen Proporz<br />
in Rumänien unweigerlich noch<br />
mehr zu ihren Ungunsten verschieben<br />
würden. Und in der Moldau<br />
selbst ist der von den Doppelbürgern<br />
erwirkte heimliche Anschluss an<br />
Rumänien sehr kontrovers. Abwehrreflexe<br />
gegen eine befürchtete Vereinnahmung<br />
durch den mächtigen<br />
Nachbarn im Westen drückten sich<br />
etwa darin aus, Moldauisch als eigene<br />
Sprache zu definieren. Derzeit leben<br />
laut Deleanus Angaben rund 500<br />
000 Moldauer legal in Rumänien,<br />
die Anzahl Illegaler ist unbekannt.<br />
Einen Ausweg aus der verfahrenen<br />
Situation nennt Valentina Iftime. Sie<br />
ist seit 30 Jahren Lehrerin an der<br />
kleinen Dorfschule von Macaresti<br />
(West). «Die Moldau muss in die<br />
EU», sagt die resolute Frau. «Dafür<br />
sollt ihr Journalisten euch einsetzen.»<br />
Sie lacht und bietet in ihrem<br />
Haus am Küchentisch einen ausgezeichneten<br />
grillierten Zander zum<br />
Verzehr an, den ihr Ehegatte am selben<br />
Morgen gefangen hat. Einen<br />
Zander? Woher? Aus dem Pruth natürlich.<br />
Aus dem Pruth? Wie lässt<br />
sich da fischen, wenn das Betreten<br />
der Ufer verboten ist? Frau Iftimes<br />
Mann winkt ab. Für Sportfischer<br />
gelte eine Ausnahmeregelung, sagt<br />
er und wechselt das Thema.<br />
54 <strong>amnesty</strong> <strong>international</strong> – Kogruppe Weißrussland – Ukraine – Republik Moldau · Rundbrief 16 / 2007