amnesty international - Dan Richter
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Pressespiegel<br />
Menschliche Tragödien an der EU-Ostgrenze<br />
Rumänische Abschottung gegenüber der Republik Moldau<br />
Neue Zürcher Zeitung<br />
20. August 2007<br />
Seit Jahresbeginn sind Rumänien<br />
und die Republik Moldau durch<br />
die EU-Aussengrenze getrennt.<br />
Das verschärfte Grenzregime hat<br />
für die örtliche Bevölkerung teilweise<br />
drastische Konsequenzen.<br />
Im zwischenstaatlichen Verkehr<br />
distanziert sich Bukarest von jeglicher<br />
Verbrüderung.<br />
Von unserem Südosteuropa-Korrespondenten<br />
Martin Woker<br />
Iasi, Ende Juni<br />
Sie sind freundlich im Ton, in der<br />
Sache aber hart: Nein, keinen Schritt<br />
weiter. Und fotografieren schon gar<br />
nicht. Die beiden aus dem Nichts<br />
aufgetauchten rumänischen Grenzpolizisten<br />
auf ihrem schnittigen<br />
Strand-Buggy passen nicht ganz ins<br />
Bild der ländlichen Idylle am Flüsschen<br />
Pruth, das Rumänien von der<br />
ehemaligen Sowjetrepublik Moldau<br />
trennt. An diesem äussersten Ostrand<br />
des EU-Territoriums scheint<br />
die Zeit stillzustehen. Über den<br />
durch eine staubige Schotterstrasse<br />
verbundenen Dörfern lastet die Mittagshitze,<br />
gelegentlich klappert ein<br />
Fuhrwerk vorbei. Auszuhalten ist<br />
die Schwüle nur im Schatten oder im<br />
Wasser. Das Flussufer liegt einen<br />
Steinwurf entfernt, und so machen<br />
wir uns zu Fuss dahin auf. Wir gehen<br />
nicht weit, und schon kommen<br />
sie angefahren. «Nein», sagen die<br />
zwei Polizisten, «hier ist Grenzgebiet.<br />
Bis zum Flussufer dürfen Sie<br />
nicht.» Sie überprüfen die Ausweise,<br />
notieren die Autonummer, salutieren<br />
und machen sich mit ihrem Buggy<br />
aus dem Staub. Wie die beiden in<br />
dieser ausgestorbenen Gegend von<br />
unserem kurzem Fussmarsch erfuhren,<br />
bleibt ihr Geheimnis.<br />
.<br />
Kontaktsperre<br />
Was für uns eine harmlose Episode<br />
blieb, ist für Zenaida Ganea eine<br />
echte Tragödie. Die 38-jährige Mutter<br />
von fünf Töchtern lebt seit 1991<br />
in Macaresti, einem von etwa 250<br />
Familien bewohnten Dorf am Westufer<br />
des Pruth. Aufgewachsen ist<br />
sie auf der östlichen Flussseite gleich<br />
gegenüber, ebenfalls in Macaresti.<br />
Doch dieser Teil des Dorfs liegt im<br />
ehemaligen Bessarabien, der heutigen<br />
Republik Moldau, die bis 1991<br />
eine Sowjetrepublik war (siehe Kasten).<br />
Bis vor drei Jahren hatte Frau<br />
Ganea mit ihren Eltern und Geschwistern<br />
regelmässig Kontakt, von<br />
Ufer zu Ufer. Man tauschte über das<br />
Wasser hinweg Botschaften aus. Ein<br />
wenig mühsam war das Hin-undher-Schreien<br />
zwar, doch es bestand<br />
Hoffnung, dass dieser seltsame Zustand<br />
ein Ende haben werde. Diesseits<br />
und jenseits des Pruth leben<br />
dieselben Leute mit derselben Sprache.<br />
Nur ganz winzige Unterschiede<br />
habe er im Dialekt seiner Frau bemerken<br />
können, als er sie erstmals<br />
traf, sagt Zenaidas Ehemann, der im<br />
rumänischen Macaresti aufgewachsen<br />
ist. Er bewirtschaftet mit seiner<br />
Frau eine Hektare Land, die er nach<br />
der Reprivatisierung des Bodens erhalten<br />
hatte. Das reicht knapp zum<br />
Überleben, für mehr nicht.<br />
Seit drei Jahren ist nun auch der Rufkontakt<br />
zwischen West- und Ost-<br />
Macaresti unterbunden, da auf der<br />
rumänischen Seite das Flussufer zur<br />
verbotenen Grenzzone erklärt wurde.<br />
Die Grenzpolizisten überwachen<br />
die Zone sehr genau, niemand darf<br />
ans Wasser, ob Fremder oder Einheimischer.<br />
Für Zenaida Ganea bedeutet<br />
dies faktisch, mit ihrem Vater, ihren<br />
vier Brüdern und ihrer Schwester<br />
kaum mehr Kontakt zu haben,<br />
obwohl sie beinahe in Sichtkontakt<br />
von ihrem Elternhaus wohnt. Bereits<br />
am Begräbnis ihrer Mutter vor sieben<br />
Jahren konnte sie nicht teilnehmen,<br />
da ihr die notwendigen Papier<br />
fehlten, um von West-Macaresti<br />
nach Ost-Macaresti zu fahren. Sie ist<br />
eine jener statistisch nicht erfassten<br />
Moldauerinnen in Rumänien, die es<br />
aus Unwissenheit oder wegen fehlender<br />
Mittel verpassten, eine Aufenthaltsbewilligung<br />
zu holen. Die<br />
Frist dafür ist längst abgelaufen. Um<br />
ihre Situation zu regeln, müsste Frau<br />
Ganea in die moldauische Hauptstadt<br />
Chisinau fahren und dort auf<br />
dem rumänischen Konsulat ein Einreisevisum<br />
plus eine Aufenthaltserlaubnis<br />
zwecks Familienzusammenführung<br />
anfordern. Das aber kann<br />
Wochen oder Monate dauern und ist<br />
teuer. Zenaida aber hat weder Geld<br />
noch Zeit; ihre Töchter brauchen sie.<br />
Vergleich mit der Berliner Mauer<br />
Ein tragisches Einzelschicksal?<br />
Nein. Allein in Macaresti sind drei<br />
andere Moldauerinnen in derselben<br />
Lage. Der Fall ist weiter exemplarisch<br />
für die exponierte Randlage<br />
der Moldau zwischen Ost und West.<br />
1990, im Jahr des grossen Wechsels,<br />
hatte alles noch ganz anders ausgesehen.<br />
An der Grenze zwischen Rumänien<br />
und der Moldau spielten sich<br />
ergreifende Szenen ab, die damalige<br />
Beobachter mit dem Fall der Berliner<br />
Mauer verglichen. Die wenigen<br />
über den Pruth führenden Übergänge<br />
wurden bekränzt und zu Blumen-<br />
Brücken erklärt. Die Bevölkerung<br />
von dies- und jenseits des Flusses<br />
fiel sich in die Arme, Verwandte begegneten<br />
sich nach Jahrzehnten wieder,<br />
Popen von Ost und West segneten<br />
die Menge, und Schulkinder<br />
von hüben und drüben sangen patriotische<br />
Lieder. Da wo keine Brücken<br />
bestanden, wie in Macaresti, streute<br />
die Menge Blumen aufs Wasser. Die<br />
Schwimmer waren mit ein paar Zügen<br />
am anderen Ufer, und Nichtschwimmer<br />
traversierten auf behelfsmässigen<br />
Schwimmreifen. Exakt<br />
auf diese Weise überquerte auch<br />
Zenaida damals den Fluss. Niemand<br />
dachte dabei etwas Böses. Im Gegenteil.<br />
Entlang der 681 Kilometer langen<br />
Grenze zwischen Rumänien und der<br />
Moldau bestehen insgesamt acht<br />
Passagen; fünf Strassenübergänge<br />
und drei für die Eisenbahn. Seit dem<br />
Mauerfall ist kein neuer Übergang<br />
<strong>amnesty</strong> <strong>international</strong> – Kogruppe Weißrussland – Ukraine – Republik Moldau · Rundbrief 16 / 2007 53