amnesty international - Dan Richter
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Pressespiegel<br />
Der Standard<br />
23. Februar 2007<br />
„Einkaufsparadies“ Moldawien: Wenn Frauen zur Billigware werden<br />
Tausende Mädchen werden jährlich mit dem Versprechen auf einen Traumjob<br />
im Ausland in die Zwangsprostitution gelockt<br />
Von Andreas Tröscher/APA<br />
Chisinau - Alina sagt, sie sei 17 Jahre<br />
alt. Dabei ist sie 24. Und Alina<br />
heißt sie eigentlich auch nicht. An<br />
ihre wahre Identität will sich das<br />
moldawische Mädchen partout nicht<br />
erinnern. Manchmal fängt sie einfach<br />
so zu schreien an: „Er überfährt<br />
mich mit dem Auto, wenn ich nicht<br />
gehorche!“ Was Alina in all seinen<br />
grausamen Details erzählt, klingt<br />
fast unglaubwürdig. Aber es ist traurige<br />
Wahrheit. Tausende Frauen aus<br />
dem ärmsten Land Europas können<br />
es bezeugen. Auch sie wurden an<br />
brutale Menschenhändler verscherbelt.<br />
Keine schwierige<br />
Überzeugungsarbeit<br />
50 Dollar sind in Moldawien eine<br />
Menge Geld. Fast ein Monatslohn.<br />
Da werden sogar Väter schwach, die<br />
schon seit Jahren arbeitslos sind. Innerhalb<br />
weniger Augenblicke kann<br />
so aus einer Tochter Billigware werden.<br />
Die Händler wissen das nur zu<br />
gut. Meist brauchen sie nicht lange<br />
Überzeugungsarbeit leisten. Das<br />
kleine Land im Osten Rumäniens hat<br />
niemandem etwas zu bieten, schon<br />
gar nicht jungen Menschen. Sie verlassen<br />
in Scharen ihre Heimat. Von<br />
offiziell 4,3 Millionen Einwohnerinnen<br />
und Einwohnern leben nur<br />
knapp drei Millionen innerhalb der<br />
Grenzen Moldawiens. Der Rest versucht<br />
sein Glück weit weg von zu<br />
Hause.<br />
Fort von Trostlosigkeit<br />
Die Perspektivlosigkeit ist erdrückend.<br />
Keine sozialen Strukturen,<br />
keine Zivilgesellschaft, keine Ausbildungsmöglichkeiten,<br />
keine Jobs,<br />
keine Aussicht auf Besserung. Auch<br />
Alina war klar, dass das Angebot,<br />
das ihr dieser nette Herr unterbreitet<br />
hatte, die große Chance sein könnte.<br />
Als Kellnerin oder Kindermädchen.<br />
Fort von Trostlosigkeit und Stillstand,<br />
endlich Spaß, Freude, Wohlstand,<br />
Geld. Über Rumänien, wo der<br />
Preis für ein Mädchen im Normalfall<br />
bereits auf 500 Dollar ansteigt,<br />
ging die Reise nach Italien. Zumindest<br />
sollte es Italien werden. Gekommen<br />
ist Alina nur bis Albanien. Dort<br />
begann ihr Martyrium erst richtig.<br />
Keine Hilfe<br />
Menschenhandel wird <strong>international</strong><br />
als „Trafficking“ bezeichnet. Der<br />
Schweizer Martin Wyss ist dafür<br />
Spezialist. Seit drei Jahren kämpft er<br />
in der Hauptstadt Chisinau im Rahmen<br />
seiner Tätigkeit für die International<br />
Organization for Migration<br />
(IOM) gegen dieses in Moldawien<br />
besonders verbreitete Phänomen.<br />
„Was mich am meisten betroffen gemacht<br />
hat, war, dass den Mädchen<br />
niemand geholfen hat - und zwar bevor<br />
sie etwas gewagt haben, von dem<br />
sie selbst wussten, dass es nicht sehr<br />
intelligent ist.“<br />
Nach Martyrium Abschiebung<br />
Die meisten Mädchen und Frauen<br />
haben aber gar nicht die Möglichkeit,<br />
sich zu überlegen, ob der angebotene<br />
Job eventuell eine Falle sein<br />
könnte. Viele haben bereits Kinder,<br />
die sie nicht ernähren können, und<br />
Männer, die sich daheim im Alkohol<br />
ertränken. Alina hingegen träumte<br />
nur von einem besseren Leben. Und<br />
musste für ihren Gutglauben teuer<br />
bezahlen: Von ihrem Peiniger eingesperrt,<br />
mit Eisenstangen gefügig geprügelt<br />
und vergewaltigt, hat sie sich<br />
irgendwann aus dem Fenster ihres<br />
Gefängnisses gestürzt und schleppte<br />
sich schwer verletzt zur Polizei. Das<br />
Touristenvisum war natürlich längst<br />
abgelaufen, also wurde Alina abgeschoben.<br />
Mit schweren Unterleibsentzündungen<br />
und seelisch völlig verstümmelt<br />
muss die 24-Jährige nun in Chisinau<br />
betreut werden. Ihre Freundin<br />
wurde ebenfalls Opfer von Menschenhändlern,<br />
ist von der jahrelangen<br />
Tortur psychisch gezeichnet. Sie<br />
sagt: „Ich kann allen Mädchen nur<br />
raten, in Moldawien zu bleiben. So<br />
schlecht kann es hier gar nicht sein.<br />
Daheim ist es immer noch am besten.“<br />
Opfer bringen<br />
Trafficking-Experte Wyss kennt unzählige<br />
Schicksale, die dem von Alina<br />
täuschend ähnlich sind: „Jede Geschichte<br />
ist der absolute Horror. Die<br />
Mädchen wissen, was von ihnen erwartet<br />
wird. Nur nicht, in welcher<br />
Dimension. Aber das Geld, das zu<br />
verdienen ist, ist viel zu wichtig.<br />
Meist geht es auch darum, für jemanden<br />
ein Opfer zu bringen, oftmals<br />
für das eigene Kind.“<br />
Dunkelziffer<br />
In den vergangenen drei Jahren<br />
konnte die IOM rund 300 Mädchen<br />
aus den Fängen ihrer „Besitzer“ befreien<br />
und nach Moldawien zurückbringen.<br />
Wie viele Opfer es tatsächlich<br />
sind, kann selbst ein Insider wie<br />
Wyss nicht sagen, wahrscheinlich<br />
tausende: „Ganz ehrlich, wir wissen<br />
es nicht.“ In dem armen Land wird<br />
Mädchenhandel „im großen Stil“ organisiert,<br />
bis vor kurzem war die Bekämpfung<br />
aussichtslos, verrät der<br />
Schweizer. 2006 ist in Moldawien<br />
übrigens ein Anti-Trafficking-Gesetz<br />
in Kraft getreten. Es gab auch<br />
schon Verurteilungen. Drei.<br />
<strong>amnesty</strong> <strong>international</strong> – Kogruppe Weißrussland – Ukraine – Republik Moldau · Rundbrief 16 / 2007 49