amnesty international - Dan Richter
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Ukraine: Häusliche Gewalt – Die Opfer werden beschuldigt<br />
Oft ergreifen Menschen verzweifelte Maßnahmen,<br />
um getrennt zu leben. Einige teilen das Wohneigentum<br />
und versuchen, getrennte Wohnräume zu<br />
schaffen; jedoch ist dies nur dann legal, wenn die<br />
Wohnung zwei Eingänge hat. Auch ist es verbreitet,<br />
Wohneigentum zu tauschen – etwa eine große<br />
Wohnung gegen zwei kleinere.<br />
Da es in der Ukraine keinen sozialen Wohnungsbau<br />
gibt, sind Frauen bei Verlassen der ehelichen<br />
Wohnung mit der Aussicht auf Obdachlosigkeit<br />
konfrontiert, so dass sich die meisten entscheiden<br />
zu bleiben und eher die Gewalt erdulden als sich<br />
der Obdachlosigkeit ausgesetzt zu sehen.<br />
Um Frauen zu ermöglichen, den Gewaltkreislauf zu<br />
verlassen, müssen ihnen kurzfristige Zufluchtsorte<br />
und langfristige Wohnmöglichkeiten zur Verfügung<br />
gestellt werden.<br />
Die vorherrschende Meinung<br />
Gender-Stereotypen<br />
„Eine nicht geschlagene Frau ist<br />
wie ein ungeflochtener Zopf.“<br />
Sprichwort aus dem Tschernowitzer Gebiet<br />
„Unsere Frauen sind nicht frei. Sie machen sich ihre<br />
Rechte nicht bewusst und fordern diese nicht ein.“<br />
Mitarbeiter des Ministeriums für Familie, Jugend und Sport<br />
Effektive Maßnahmen zur Vermeidung von häuslicher<br />
Gewalt sind unter anderem die Verwirklichung<br />
der Gleichberechtigung von Frauen und<br />
Männern und die Überwindung geschlechtsspezifischer<br />
Stereotypen; jedoch müssen Frauen auch<br />
ihre Rechte kennen und über die Opfern häuslicher<br />
Gewalt angebotenen Hilfen informiert sein.<br />
Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die<br />
Gleichberechtigung von Frauen und Männern am<br />
8. September 2005, das am 1. Januar 2006 in Kraft<br />
trat, machte die Ukraine einen entscheidenden<br />
Schritt in Richtung Gleichberechtigung.<br />
Es werden jedoch gezielte Anstrengungen nötig<br />
sein, um die sozialen und kulturellen Verhaltensmuster<br />
zu ändern, die der Diskriminierung von<br />
Frauen und der Gewaltanwendung gegen sie Vorschub<br />
leisten.<br />
Ein weit verbreiteter Mythos, der durch das Gesetz<br />
zur Prävention häuslicher Gewalt noch untermauert<br />
wurde, ist der, dass den Frauen die Schuld<br />
zu geben ist für die Gewalt, die ihnen zugefügt<br />
wird.<br />
„Es ist ein Problem der Erziehung. Kinder müssen<br />
so erzogen werden, dass sie Selbstwertgefühl besitzen,<br />
insbesondere Mädchen. Was auch noch sehr<br />
wichtig ist, ist Offenheit. Es müssen Informationen<br />
verfügbar sein, so dass die Leute Bescheid wissen.<br />
Wissen Sie, viele Menschen haben den Begriff<br />
»Häusliche Gewalt« noch nie gehört.“<br />
Larissa, Winnyzja, September 2006<br />
<strong>amnesty</strong> <strong>international</strong> ist der Überzeugung, dass<br />
eine öffentliche Kampagne zu häuslicher Gewalt<br />
helfen kann, die öffentliche Stigmatisierung des<br />
Themas und die Akzeptanz von häuslicher Gewalt<br />
zu überwinden, und Frauen bestärken kann, darüber<br />
zu sprechen.<br />
Empfehlungen<br />
Es wird empfohlen,<br />
• das Gesetz zur Prävention häuslicher Gewalt dahingehend<br />
zu verändern, dass der Begriff des<br />
„Opferverhaltens“ darin nicht mehr vorkommt.<br />
• das Gesetz zur Prävention häuslicher Gewalt dahingehend<br />
zu verändern, dass darin die vorgesehenen<br />
Institutionen und Dienste aufgeführt werden,<br />
und eine eigene Finanzierung für solche<br />
Hilfsdienste für Opfer häuslicher Gewalt daran<br />
zu koppeln.<br />
• die Befugnisse der Staatsanwaltschaft stärker zu<br />
nutzen, um in Fällen von häuslicher Gewalt auch<br />
bei fehlender Anzeige des Opfers Verfahren einzuleiten<br />
und so das Risiko von Vergeltungstaten<br />
durch die Täter sowie die Zahl der im Nachhinein<br />
vom Opfer zurückgezogenen Anzeigen<br />
zu vermindern.<br />
• die Praxis der Verhängung von Geldstrafen für<br />
häusliche Gewalt zu unterbinden und sie durch<br />
geeignete Strafen zu ersetzen, die den Straftaten<br />
angemessen sind und die keine nachteiligen Auswirkungen<br />
für das Opfer mit sich bringen.<br />
• einen Verhaltenskodex für die Mitarbeiter der<br />
Rechtsschutzorgane zu schaffen, der einen angemessenen<br />
Umgang mit Opfern häuslicher Gewalt<br />
aufzeigt, um sicherzustellen, dass sie nicht noch<br />
einmal Opfer von für Genderfragen unsensiblen<br />
Praktiken der Rechtsschutzorgane werden, alle<br />
Polizeibeamten in der Anwendung dieses Kodex<br />
zu schulen und die Effektivität solcher Schulungen<br />
zu überwachen sowie sicherzustellen,<br />
dass solche Verhaltensregeln sich in der Praxis<br />
durchsetzen.<br />
28 <strong>amnesty</strong> <strong>international</strong> – Kogruppe Weißrussland – Ukraine – Republik Moldau · Rundbrief 16 / 2007