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die trojanischen urahnen der römer - L'Erma di Bretschneider

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STUDIA HISTORICA<br />

124<br />

DIE TROJANISCHEN<br />

URAHNEN DER RÖMER<br />

VON<br />

ANDREAS ALFÖLDI<br />

REKTORATSPROGRAMM<br />

DER UNIVERSITÄT BASEL<br />

FUR DAS JAHR 1956<br />

«L'ERMA» <strong>di</strong> BRETSCHNEIDER - ROMA<br />

1979


~~ ~~ $ C~ ~ SS I \ ' Ι S<br />

~~ ~~~ Ι D Υ ΧΡIL Ι S ~~ ~<br />

~Α(C LΝΜ<br />

RISTAMPA ANASTATICA DELL'EDIZIONE BASEL 1957<br />

Mit Genehmigung des Verlages Friedrich Reinhardt - Basel<br />

RISTAMPA ANASTATICA. FOTO-LITO DINI. MODENA - 1979


Im Historischen Museum zu Basel befindet sich eine stattliche<br />

Reihe von antiken Objekten aus dem Besitze von J. J.<br />

Bachofen, <strong>der</strong>en Auswahl <strong><strong>di</strong>e</strong> geistigen Interessen <strong><strong>di</strong>e</strong>ses großen<br />

Baslers vortrefflich wi<strong>der</strong>spiegelt. Der kleine Bronzekopf<br />

einer jungen Frau (Taf. I 1) aus <strong>der</strong> fríiheren römischen Kaiserzeit<br />

gehört zu <strong><strong>di</strong>e</strong>sem Bestand. Er Ist in Rom erworben worden,<br />

doch ist er ein Massenartikel, nicht beson<strong>der</strong>s fein gearbeitet.<br />

Er ist nämlich das Gewicht einer Schnellwaage, wie sie noch<br />

heute auf dem Basler Marktplatz gebraucht wird; <strong>der</strong> Kopf war<br />

durch das Loch an <strong>der</strong> Spitze des son<strong>der</strong>baren Helmes mit<br />

einem Drahtring an den Waagearm aufgehängt.<br />

Wer ist <strong><strong>di</strong>e</strong>ses junge weibliche Wesen? Unsere Auswahl an<br />

Möglichkeiten ist glücklicherweise sehr beschränkt; denn für<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> Verwendung als Schiebegewichte kamen unter <strong>der</strong> Republik<br />

nur <strong><strong>di</strong>e</strong> göttlichen Schutzpatrone <strong>der</strong> Gerechtigkeit in<br />

Betracht, <strong><strong>di</strong>e</strong> dann in <strong>der</strong> Kaiserzeit, genau so wie beim Eidschwur,<br />

durch <strong><strong>di</strong>e</strong> faßbar-gegenwärtige Göttlichkeit <strong>der</strong> Monarchen<br />

überschattet, j α verdrängt worden sind z. Bei den<br />

Schnellwaagen jedoch gesellte sich zu den Staatsgöttern auch<br />

eine abstrakte Vertreterin <strong>der</strong> Staatshoheit, <strong><strong>di</strong>e</strong> uns nicht nur<br />

durch das Basler Köpfchen bekannt ist; hier genügt es, auf <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

wohl schönste Darstellung <strong><strong>di</strong>e</strong>ser Gattung, aus Herculanum<br />

(jetzt Neapel), hinzuweisen, <strong><strong>di</strong>e</strong> kurz vor <strong>der</strong> Katastrophe <strong>der</strong><br />

Vesuvstädte hergestellt worden ist 2 •<br />

Die Bedeutung <strong>der</strong> behelmten jungen Frau ist oft erörtert<br />

worden, aber man hat <strong><strong>di</strong>e</strong> archäologischen und numismatischen<br />

Denkmäler nicht immer genügend zu den literarischen und<br />

historischen Schriftquellen in Beziehung gesetzt. %Venn wir<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong>ses Versäumnis hier in einer Veröffentlichung, <strong><strong>di</strong>e</strong> für den


4<br />

weiten Kreis <strong>der</strong> Gebildeten bestimmt ist, nachzuholen trachten,<br />

so geschieht <strong><strong>di</strong>e</strong>s in <strong>der</strong> Hoffnung, daß neben historisch inter ..<br />

essierten Lesern auch <strong><strong>di</strong>e</strong> Freunde <strong>der</strong> Dichtkunst Vergils unseren<br />

Ausführungen gerne folgen werden: denn sie münden auf<br />

allerlei Umwegen in <strong><strong>di</strong>e</strong> zauberhafte Atmosphäre <strong>der</strong> Aeneis<br />

ein, indem sie den alten Wesenskern zu erfassen suchen, den<br />

<strong>der</strong> Dichter, während er ihn in den Lichtglanz seines Genius<br />

hüllte, zugleich weitgehend verdunkelt hat.<br />

Abb. 1.


Ι.<br />

Die früher vorwiegende Deutung des Kopftypus des Basler<br />

Schiebegewichtes, <strong><strong>di</strong>e</strong> auf Minerva lautete, ist im Jahre 1906<br />

von E. J. Haeberlin bün<strong>di</strong>g wi<strong>der</strong>legt worden 3, <strong>der</strong> hier eine<br />

Personifikation <strong>der</strong> Roma zu erkennen glaubte; ihm sind P.<br />

Welters in einer Arbeit, welche wesentliche neue Beobachtungen<br />

brachte ° und auch wohl <strong><strong>di</strong>e</strong> meisten Gelehrten, <strong><strong>di</strong>e</strong> dazu<br />

Stellung nahmen °, gefolgt. Doch ist <strong><strong>di</strong>e</strong> Erklärung <strong>der</strong> bizarren<br />

Heimform unserer Frauenfigur — also <strong>der</strong> Einzelheit, <strong><strong>di</strong>e</strong> ihre<br />

Eigenart vor allem zum Ausdruck bringen sollte — Haeberlin<br />

nicht gelungen. Denn wir finden gerade <strong><strong>di</strong>e</strong> Amazone Roma<br />

ohne <strong><strong>di</strong>e</strong>sen Kopfschmuck, <strong>der</strong> sic angeblich als Amazone charakterisieren<br />

sollte, abgebildet (Taf. XI 9/10), und wir werden<br />

sehen, daß ein solcher Helm <strong><strong>di</strong>e</strong> Amazonen wie auch an<strong>der</strong>e<br />

Mythengestalten nur als Wesen einer bestimmten geographischen<br />

Sphäre kennzeichnete; so konnte es niemandem einfallen,<br />

ein so unklassisches Trachtstück als Kennzeichen <strong>der</strong> Idealgestalt<br />

<strong>der</strong> Roma zu verwenden. Daß <strong><strong>di</strong>e</strong>se Fehldeutung dennoch<br />

ein wesentliches Stück <strong>der</strong> Wahrheit enthielt, wird sich<br />

weiter unten erweisen. P. Wolters e glaubte <strong><strong>di</strong>e</strong> Schwierigkeiten<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong>ser Annahme dadurch beseitigen zu können, daß er<br />

behauptete, <strong><strong>di</strong>e</strong> fragliche Heimform sei in <strong>der</strong> unteritalischen<br />

Vasenmalerei so gebräuchlich geworden, daß ihr überhaupt<br />

keine beson<strong>der</strong>e Bedeutung beizumessen sei; er spricht jedoch<br />

nicht davon, daß es nicht Griechen, son<strong>der</strong>n Gestalten des<br />

kleinasiatisch-iranischen Ostens sind, welche <strong><strong>di</strong>e</strong>se Kopftracht<br />

führen, und daß <strong><strong>di</strong>e</strong> Abweichungen von <strong><strong>di</strong>e</strong>ser Regel stets erklärbar<br />

sind.<br />

Statt an Rom haben E. S. G. Robinson und H. Mattingly' an<br />

Bellona gedacht, und sie haben damit auch Anklang gefunden B.<br />

Sie dachten nämlich bei dem unklassisch-orientalischen Haubenhelm<br />

an <strong><strong>di</strong>e</strong> kriegerische kleinasiatische Mondgöttin M āh,<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> nachträglich mit <strong>der</strong> altrömischen Bellona verquickt worden<br />

war. Doch erhielt einerseits <strong><strong>di</strong>e</strong> Bellona erst seit 92 v. Chr.<br />

eine orientalisch-synkretistische Färbung 8; an<strong>der</strong>erseits besitzen<br />

wir zwei authentische — wenn auch bisher verkannte


β<br />

— Darstellungen <strong>der</strong> M ā h-Bellona aus <strong>der</strong> Zeit des Marius<br />

und des Sulla, <strong><strong>di</strong>e</strong> gerade jenen grotesken Helm nicht aufweisen.<br />

Die eine befindet sich auf dem Denar des P. Licinius<br />

Nervs (Taf. X 9 u. 12), wo über dem behelmten Kopf <strong>der</strong> mit<br />

Schild und Lanze in den Kampf ziehenden Göttin <strong>der</strong> Halbmond<br />

angebracht Ist; <strong><strong>di</strong>e</strong> an<strong>der</strong>e ist <strong>der</strong> Denar des M. Volteius<br />

(Taf. IX 2/9) aus einer Reihe, wo <strong><strong>di</strong>e</strong> Vor<strong>der</strong>- und Rückseiten<br />

entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> gleichen Gottheit gewidmet sind 1° o<strong>der</strong>, wie <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

Gestalt <strong>der</strong> M ā h-Bellona, zwei engverwandte Götter darstellen<br />

11. Während auf <strong>der</strong> Rückseite <strong><strong>di</strong>e</strong> Magna Mater in ihrem<br />

Löwengespann einherschreitet, schmückt <strong><strong>di</strong>e</strong> Vor<strong>der</strong>seite <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

lorbeerbekränzte Büste <strong>der</strong> Bellona, <strong>der</strong>en Kult so sehr mit<br />

demjenigen <strong>der</strong> Göttermutter verschmolzen war, daß man sie<br />

als pe<strong>di</strong>sequa Magnae Matris 18 kennzeichnen konnte.<br />

Bellona ist auf dem Volteius-Denar mit dem lorbeerbekränzten<br />

Helm <strong>der</strong> Virtus dargestellt, mit <strong>der</strong> sie auch sonst identifiziert<br />

worden ist 13. Die stilistische Übereinstimmung <strong><strong>di</strong>e</strong>ser<br />

Bellona-Virtus-Büste (Taf. ΙΧ 2/9) mit dem triumphalen Aureus<br />

des Sulla (Taf. IX 1) erweist, daß beide im gleichen Jahre<br />

entstanden sind 14 so darf man auch in <strong>der</strong> Virtus-Büste des<br />

Goldstückes des Diktators <strong><strong>di</strong>e</strong> Bellona erblicken, <strong><strong>di</strong>e</strong> ihm im<br />

Traume <strong><strong>di</strong>e</strong> Macht verhieß 15<br />

Wenn wir den abson<strong>der</strong>lichen Helmtypus des Basler Bronzeköpfchens<br />

nun im archäologischen Material verfolgen, so fällt<br />

es auf, daß eine größere Anzahl <strong>der</strong> uns erhaltenen Helme<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong>ser Art, <strong><strong>di</strong>e</strong> von Bruno Schrö<strong>der</strong> unter dem falschen Titel<br />

aThrakische Helme» sorgfältig gesammelt worden sind 18, oft<br />

eine le<strong>der</strong>ne Haube mit vorkragen<strong>der</strong> Spitze o<strong>der</strong> eine Filzmütze<br />

<strong>der</strong>selben Art in Metall umsetzen; <strong><strong>di</strong>e</strong> zahlreichen Darstellungen<br />

von Personen mit <strong><strong>di</strong>e</strong>ser Kopftracht in <strong>der</strong> bildenden<br />

Kunst 17 gestatten uns, den Bereich zu bestimmen, aus welchem<br />

sie herstammt. Während in <strong>der</strong> iranisch-skythischen<br />

Sphäre <strong><strong>di</strong>e</strong> Haube einem wirklichen Kleidungsstück entspricht,<br />

zeigen <strong><strong>di</strong>e</strong> phantastischenVarianten <strong>der</strong> griechischen Kunst<br />

nur den Abglanz von begrifflichen Verkniipfungen mit demselben<br />

Gebietskomplex. Von <strong>der</strong> einfachen Filz- o<strong>der</strong> Le<strong>der</strong>haube<br />

(Taf. VI) und <strong>der</strong>en Variante mit gezacktem Kamm<br />

(Taf. I 2; Taf. V; XV) bis zu mannigfachen Helmformen<br />

(Taf. IV 5. 8/11) begegnen uns <strong><strong>di</strong>e</strong> verschiedensten Abarten,


<strong><strong>di</strong>e</strong> jedoch stets auf einen einzigen Urtypus zurückweisen.<br />

Schrö<strong>der</strong> 18 spricht von einer «zufälligen» Ähnlichkeit mit <strong>der</strong><br />

persischen Tiara, doch hat <strong><strong>di</strong>e</strong> Sichtung des Beweismaterials<br />

durch H. Schoppa 13 gezeigt, daß <strong><strong>di</strong>e</strong>ser Anklang gar nicht zufällig<br />

ist. Ich hoffe in einer früheren Arbeit nachgewiesen zu<br />

haben 20, daß <strong>der</strong> Prototyp <strong><strong>di</strong>e</strong>ser Kopftracht <strong>der</strong> Pferdekopf<br />

mit Hahnenkamm gewesen ist, <strong>der</strong> den Perserkönig als neue<br />

Hypostase des gigantischen Urwesens und Stammvaters kennzeichnete;<br />

auch habe ich zu erweisen versucht, daß das barbarische<br />

Prunkkostüm des Theaterkönigs <strong>der</strong> klassischen Tragö<strong><strong>di</strong>e</strong>,<br />

zu welchem eine solche Haube gehört, ebenfalls <strong><strong>di</strong>e</strong> persische<br />

Königstracht als Tyrannenprunk bloßstellt 21. Es genügt,<br />

das Bild des Dareios auf <strong>der</strong> Neapeler Prachtvase (Taf. V) als<br />

Beispiel dafür zu erwähnen, wie klar den Griechen Sü<strong>di</strong>taliens<br />

im vierten Jahrhun<strong>der</strong>t ν. Chr. <strong><strong>di</strong>e</strong> persische Herkunft <strong><strong>di</strong>e</strong>ses<br />

urtümlich-barbarischen Trachtstückes gewesen ist. Noch <strong>der</strong><br />

spätetruskische Skarabäus (Taf. IV 7) vereinigt den Hahnenkopf<br />

und Hahnenschwanz mit dem Pferdehals <strong>der</strong> aufrechten<br />

Tiara, wie bei dem solarmythischen Urwesen, dem Hippalektryon<br />

<strong>der</strong> Perser 22.<br />

Bei dem Leib'νί chter <strong>der</strong> Dareiosvase (Taf. V) fliegen noch<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> baschlik-artigen Bän<strong>der</strong> <strong>der</strong> Tiara im Winde, ihre skythisch-iranische<br />

Herkunft bezeugend; auch <strong><strong>di</strong>e</strong> weiche Tiara,<br />

mit <strong>der</strong> ein griechischer Künstler <strong><strong>di</strong>e</strong> Ahnherrin Karthagos<br />

abbildete (Taf. IV 1). besitzt <strong><strong>di</strong>e</strong>se Bän<strong>der</strong>. Die staatlichen<br />

Düinzρriigυnge i ι <strong>der</strong> Römer, auf welchen eine junge Frau mit<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong>ser Kopftracht. in den Jahren um 260 ν. Chr. zum ersten Male<br />

abgebildet ist (Taf. I 4; II 1; III 1 ff.; 11 2/4. 12/13; VII 1/2)<br />

verquicken <strong><strong>di</strong>e</strong> Le<strong>der</strong>haube mit Vogelkopf, Hahnenkamm und<br />

Baschlikbän<strong>der</strong>n mit dem Visier eines griechischen Helmtypus.<br />

Ebenso erscheint das junge weibliche Wesen auf den<br />

gleichzeitigen Sch«erkupfermiinzen Taf. lI 1; VII 1/2 und auf<br />

<strong>der</strong> kleinen Scheidemünze Taf. I4, ferner auf den riesigen<br />

Kupfermünzen, <strong><strong>di</strong>e</strong> schon den Schiffsvor<strong>der</strong>teil <strong>der</strong> frisch gewonnenen<br />

Thalassokratie auf ihren Rückseiten aufweisen 23 .<br />

Die frühesten Quinare aber — gleich nach dem zweiten Punischen<br />

Kriege — bereichern <strong><strong>di</strong>e</strong> Persermütze mit einem Flügelpaar<br />

(Taf. III 2; IV 12-13). Auch noch <strong><strong>di</strong>e</strong>se Abart hat den<br />

Zeitgenossen als persisch gegolten. Denn wenn Philipp V. von<br />

7


8<br />

Makedonien sich mit <strong>der</strong>selben Heimkappe als Perseus abbilden<br />

ließ (Taf. IV 6), so trägt er <strong><strong>di</strong>e</strong>se Kopfbedeckung als <strong>der</strong><br />

'Perser», wie <strong><strong>di</strong>e</strong> Alten den Namen Perseus naiv etymologisierten<br />

24 .<br />

Schon E. J. Haeberlin 25 hat richtig bemerkt, daß <strong><strong>di</strong>e</strong> «phrygische<br />

Helmform ... an <strong><strong>di</strong>e</strong> Sagen (anklingt), welche <strong><strong>di</strong>e</strong> Gründung<br />

Roms .. , mit kleinasiatischen Tra<strong>di</strong>tionen, mit dem<br />

Ruhme <strong>der</strong> Helden Trojas in Verbindung setzen ...»; P. Wolters<br />

28 freute sich irrtümlich, sich mit Haeberlin <strong>der</strong> Versuchung<br />

entwunden zu haben, unsere Heroine als Troerin anzusprechen<br />

Y7 • Denn <strong><strong>di</strong>e</strong> Griechen hatten <strong><strong>di</strong>e</strong>se Barbarentracht<br />

auch auf <strong><strong>di</strong>e</strong> Gegner <strong>der</strong> Achaier im Epos übertragen und begründeten<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> historischen Perserkriege mit <strong>der</strong> Antipathie,<br />

welche <strong><strong>di</strong>e</strong> Perser seit Trojas Zerstörung gegen das Griechentum<br />

empfanden 28. Priamos trägt eine solche Königsmütze auf<br />

unteritalischen Vasenbil<strong>der</strong>n des vierten Jahrhun<strong>der</strong>ts v. Chr.<br />

(Taf. XV) 29, ebenso wie <strong><strong>di</strong>e</strong> vom wtitenden Achill am Grabe des<br />

Patroklos hingeschlachteten Trojaner (Taf. VI) 30 o<strong>der</strong> Aineias<br />

auf den Münzen von Aineia 31 und sonst oft; so weist auch <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

'phrygische» Mütze des Reiters Taf. II3 auf <strong><strong>di</strong>e</strong> trojanische<br />

Herkunft <strong>der</strong> vornehmen Römerjugend hin. Vberhaupt ist im<br />

Römerreich <strong><strong>di</strong>e</strong> Bezeichnung «phrygische Mütze» erst durch<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> neue Geltung aufgekommen, welche <strong><strong>di</strong>e</strong>se Kopftracht als<br />

Wahrzeichen <strong>der</strong> <strong>trojanischen</strong> Urahnen erlangte. Von den Trojanern<br />

haben schon <strong><strong>di</strong>e</strong> italischen Griechen <strong><strong>di</strong>e</strong> Haube auf <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

homerischen Heroen übertragen, aus denen <strong><strong>di</strong>e</strong> spätere Sage<br />

Verbündete und Kampfgefährten des Aineias gemacht hat, wie<br />

Diomedes (Taf. I 3) 32 und an<strong>der</strong>e Helden (Taf. I 5). So konnte<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> Perserhaube in Großgriechenland auf den Wogen <strong>der</strong> Epik<br />

verallgemeinert werden: <strong><strong>di</strong>e</strong> Grün<strong>der</strong>heroen von Tarent (Taf.<br />

I 2; IV 9/11) o<strong>der</strong> <strong><strong>di</strong>e</strong> Schutzgöttin von Velia (Taf. IV 5. 8) 33<br />

erhalten sie sozusagen als epische Ausschmückung 34. In Rom<br />

aber hört <strong><strong>di</strong>e</strong>se Unsicherheit auf; da kann es sich einzig und<br />

allein mit den goldenen Kopfschmuck 35 <strong>der</strong> <strong>trojanischen</strong> Urmutter<br />

des Römervolkes handeln.


9<br />

ΙΙ .<br />

Die Trojanerin <strong>der</strong> Sage, <strong><strong>di</strong>e</strong> zur Stammutter <strong>der</strong> Römer<br />

geworden ist, heißt in den uns erhaltenen Bruchstücken <strong>der</strong><br />

früheren griechischen Literatur Rhome. Ihre Rolle zeigt in <strong>der</strong><br />

schillernd vielfältigen Überlieferung eine auffallende Konstanz.<br />

Nicht Aeneas selbst, son<strong>der</strong>n eine Trojanerin aus <strong>der</strong> ihm<br />

folgenden Schar, aus welcher dann eine Frau aus seinem Blute<br />

wird, ist das entscheidende Verbindungsglied zwischen Troja<br />

und Rom. Wer nur <strong><strong>di</strong>e</strong> kapriziös frei ausgesponnenen griechischen<br />

Erzählungen vom <strong>trojanischen</strong> Ursprung <strong>der</strong> Römer<br />

kennt o<strong>der</strong>, ernst zu nehmen vermag, dem scheint <strong><strong>di</strong>e</strong> Trojanerin<br />

Rhome <strong><strong>di</strong>e</strong> Hel<strong>di</strong>n eines spielerisch aufgetischten Novellenstoffes<br />

zu sein. Aber das vom Römerstaat selbst um 260 v. Chr.<br />

wie ein Staatswappen konsequent auf <strong><strong>di</strong>e</strong> Münzen gesetzte Bild<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong>ser Frau (Taf. I 4; II 1; III 1 ff.; IV 2/4. 12/13; VII 1/2) gemahnt<br />

daran, daß <strong>der</strong> Glaube an <strong>der</strong>en Urmutterschaft dem<br />

Römervolk längst in Fleisch und Blut übergangen war. Es wird<br />

unten ersichtlich werden, daß es sich dabei nicht um eine Fiktíon<br />

griechischer Literaten handelt 38, und auch, daß <strong><strong>di</strong>e</strong> seit<br />

<strong>der</strong> etruskischen Hegemonie übliche Ableitung von den heimkehrenden<br />

o<strong>der</strong> heimatlos gewordenen Heroen des Trojanischen<br />

Krieges bei den Latinern mit <strong>der</strong> eigenen Abstammungstheologie<br />

<strong>der</strong> Hirtenepoche verbunden worden Ist. Bei <strong><strong>di</strong>e</strong>ser<br />

Verbindung ist <strong><strong>di</strong>e</strong> übernatürlich befruchtete Mutter <strong>der</strong> Urahnen-Zwillinge<br />

zu einer Trojanerin umgeprägt worden; zwar<br />

nicht ihr Name, aber doch ihr Wesen ist somit aus <strong>der</strong> einheimischen<br />

Überlieferung hervorgegangen.<br />

Auch <strong><strong>di</strong>e</strong> griechische Spekulation über den Ursprung Roms<br />

reicht weiter zurück, als man oft annimmt. Schon Hellanikos<br />

von Lesbos im 5.Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. knüpft an eine noch ältere<br />

Tra<strong>di</strong>tion an, welche <strong><strong>di</strong>e</strong> Herkunft <strong>der</strong> Latiner auf Odysseus<br />

zurückführte: darum läßt er Aeneas erst nach Odysseus in<br />

Italien eintreffen. Mit Aeneas kommt <strong><strong>di</strong>e</strong> Rhome nach Latium,<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong>, des Herumirrens müde, <strong><strong>di</strong>e</strong> Frauen <strong>der</strong> Trojaner zum Verbrennen<br />

<strong>der</strong> Schiffe aufwiegelt. In Erinnerung an ihre folgen-,<br />

reiche Handlung ehrte man sie bei <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> nachmali-


ιο<br />

gen Weltmetropole, indem man <strong><strong>di</strong>e</strong> neue Stadt mit ihrem Namen<br />

benannte 3' . « ιn seinem Bestreben, <strong><strong>di</strong>e</strong> beiden Versionen miteinan<strong>der</strong><br />

auszugleichen, hat Hellanikos <strong><strong>di</strong>e</strong> Pointe <strong>der</strong> Schiffsbran<strong>der</strong>zählung<br />

zerstört. Ursprünglich zünden <strong><strong>di</strong>e</strong> <strong>trojanischen</strong><br />

Sklavinnen <strong><strong>di</strong>e</strong> Schiffe an, um nicht in <strong>der</strong> Heimat ihrer Herren<br />

neben den rechtmäßigen Frauen als Mägde <strong><strong>di</strong>e</strong>nen zu müssen.<br />

Wenn aber <strong><strong>di</strong>e</strong> Grün<strong>der</strong> Roms selbst Trojaner waren, hatten<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> Trοjanerinnen gar keinen rechten Grund, <strong><strong>di</strong>e</strong> Fahrzeuge<br />

ihrer Väter und Gatten in Brand zu stecken. Auch in <strong><strong>di</strong>e</strong>ser<br />

Hinsicht erweist sich <strong><strong>di</strong>e</strong> bei Aristoteles aufbewahrte Version<br />

als ursprünglicher und älter» 38. Daß <strong><strong>di</strong>e</strong> in Italien mancherorts<br />

auftauchende Erklärung des Ursprungs von Stadtstaaten,<br />

welche <strong><strong>di</strong>e</strong> Schiffe <strong>der</strong> heimatlosen Trojaner von <strong>der</strong>en Frauen<br />

verbrannt sein läßt, in dem schon früh griechisch durchsetzten<br />

Umland von Kroton entstanden und von dort auf Rom übertragen<br />

worden ist, hat W. Schur sehr wahrscheinlich gemacht 39 :<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> griechische Umprägung <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Urmutter ist also<br />

schon vor Hellanikos durch einen Westgriechen vollzogen worden.<br />

Bereits vor dem Peloponnesischen Kriege ist <strong><strong>di</strong>e</strong>se Sagengestaltung<br />

von einem Schliler des Hellanikos, Damastes von<br />

Sigeion, weitergeflihrt worden 40 — doch wollen wir nur ganz<br />

wenige Faden <strong>der</strong> späteren Verästelung <strong>der</strong> Rhome-Sage aufgreifen<br />

41 • Historisch ist es wesentlich, daß im fünften Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> <strong>trojanischen</strong> Ambitionen Roms nicht an den Haupthelden<br />

Aeneas, son<strong>der</strong>n an <strong><strong>di</strong>e</strong> nachträglich erfundene Nebenfigur,<br />

eben an <strong><strong>di</strong>e</strong> versklavte Rhome, angeknüpft sind; wir werden<br />

sehen, daß <strong><strong>di</strong>e</strong> zentrale Rolle <strong>der</strong> <strong>trojanischen</strong> Helden damals<br />

(und schon frillier) von mächtigeren Nachbarn <strong>der</strong> späteren<br />

Weltstadt beansprucht worden war. Dieses besagt freilich<br />

auch, daß sich <strong><strong>di</strong>e</strong> kräftig ausgreifende Stadt Rom den Griechen<br />

so weit bemerkbar machte, daß man über ihren Ursprung nachgedacht<br />

hat.<br />

Da Hieronymos von Kar<strong>di</strong>a <strong><strong>di</strong>e</strong> römische Urgeschichte<br />

ebenfalls behandelt hat 42 , dürfen wir annehmen, daß auch er<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> Rhome-Geschichte weitergab, wie nach ihm Timaios 43.<br />

Jedenfalls «hebt sich [bei ihm] Rom jetzt aus <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong><br />

Städte, <strong><strong>di</strong>e</strong> Aeneas aufsuchte und besiedelte, entscheidend heraus;<br />

göttlicher Wille ist es von vornherein, daß <strong><strong>di</strong>e</strong> Stadt Rom<br />

gegründet werde» 44


Bei Kallias, dem Hofhistoriker des Agathokles von Syrakus<br />

45, ist <strong><strong>di</strong>e</strong> Rhome nicht mehr eine simple Trojanerin, eine<br />

kleine Genrefigur, son<strong>der</strong>n Gattin des Latinus, des Enkels des<br />

Odysseus, <strong><strong>di</strong>e</strong> Frau des Königs <strong>der</strong> Urbewohner und <strong><strong>di</strong>e</strong> Mutter<br />

des Rhomos und Rhomylos. Diese Rangerhöhung wird in den<br />

verschiedensten Versionen <strong>der</strong> Genealogie <strong>der</strong> Rhome ersichtlich:<br />

ob sie in <strong>der</strong> hellenistischen Literatur als Schwester o<strong>der</strong><br />

Tochter des Odysseussohnes Latinus 48, als Tochter des Askanios<br />

47, als Tochter des arka<strong>di</strong>schen Grün<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Palatinstadt<br />

45, als Enkelin des Odysseus und Frau des Aeneas 42, als<br />

Frau des Aeneas und Tochter des Telephos 5° gekennzeichnet<br />

wird, immer ist sie nunmehr eine wür<strong>di</strong>ge Ahnherrin, um <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

Aspirationen <strong>der</strong> neuen Großmacht in den Augen <strong>der</strong> gebildeten<br />

Griechenwelt zu vergolden.<br />

Eine <strong>der</strong> Sagenversionen muß uns noch kurz beschäftigen.<br />

Agathokles, <strong>der</strong> als Verfasser eines Werkes über <strong><strong>di</strong>e</strong> Geschichte<br />

von Kyzikos bekannt geworden ist, stellte <strong><strong>di</strong>e</strong> Gründungsgeschichte<br />

so dar, daß Rhome, <strong><strong>di</strong>e</strong> Enkelin des Aeneas, bei <strong>der</strong><br />

Besitznahme <strong>der</strong> Umgebung <strong>der</strong> späteren Stadt Rom am pala.<br />

tinischen Hügel ein Heiligtum <strong>der</strong> Fides gründete. Da sie <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

erste war, <strong><strong>di</strong>e</strong> <strong><strong>di</strong>e</strong>sem hohen moralischen Prinzip an jenem<br />

Orte Geltung verschaffte, benannte man später <strong><strong>di</strong>e</strong> neu erstehende<br />

Siedlung nach ihr. Die griechische Fiktion folgt hier<br />

klar <strong>der</strong> politischen Ethik <strong>der</strong> Römer, bei denen fides nicht nur<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> unverbrüchliche Treue und Zuverlässigkeit <strong>der</strong> geschlossenen<br />

Abkommen gewesen ist J1, son<strong>der</strong>n noch mehr <strong><strong>di</strong>e</strong> moralische<br />

Garantie <strong>der</strong> überlegenen Römermacht gegenüber den<br />

Überwundenen und Schutzbefohlenen S2 .<br />

Die Parole <strong>der</strong> fides in <strong>der</strong> auswärtigen Politik <strong>der</strong> Römer<br />

ist bis zum fünften Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. zurück verfolgbar, als<br />

<strong>der</strong> Tempel des älteren Gottes <strong>der</strong> Vertragstreue, des Dius<br />

Fi<strong>di</strong>us, neben dem alten Kapitol am Quirinal errichtet wurde,<br />

<strong>der</strong> zugleich als Archiv für <strong><strong>di</strong>e</strong> Staatsverträge <strong><strong>di</strong>e</strong>nte 58, wie<br />

dann <strong>der</strong> Fidestempel neben dem neuen Kapitol 54. Im Augenblick,<br />

als <strong><strong>di</strong>e</strong> Expansion Roms <strong><strong>di</strong>e</strong> griechischen Stadtstaaten<br />

Sü<strong>di</strong>taliens erreichte, ist <strong><strong>di</strong>e</strong>ses Prinzip <strong>der</strong> Griechenwelt geläufig<br />

geworden. Daß <strong><strong>di</strong>e</strong> nachdrückliche Betonung <strong>der</strong> fides in<br />

den Auseinan<strong>der</strong>setzungen um 300 nicht aus <strong>der</strong> annalistischen<br />

Geschichtsklitterung herstammt, son<strong>der</strong>n ein echter Wesens-<br />

11


12<br />

zug <strong>der</strong> römischen Politik gewesen ist, hat W. Hoffmann richtig<br />

festgestellt 55 . Die fides wird zum Beispiel im Jahre 270 in<br />

Sachen von Rhegion in den Vor<strong>der</strong>grund geschoben 56 ; Hierin<br />

wirft den Römern vor, daß s ί e sich damit brüsten 57 ; <strong><strong>di</strong>e</strong> Lokrer<br />

rufen <strong><strong>di</strong>e</strong> fides <strong>der</strong> Römer gegen den Terror des Pleminius<br />

an 59 ; Korkyra behielt eine beschränkte Freiheit, weil sie s ί ch<br />

in <strong><strong>di</strong>e</strong> fides Roms ergab 59, und <strong><strong>di</strong>e</strong> π ί στις <strong>der</strong> Römer wurde im<br />

Jahre 191 v. Chr. im Paian <strong>der</strong> erretteten Chalki<strong><strong>di</strong>e</strong>r mit Flamininus<br />

gefeiert °O — um nur einige bekannte Beispiele zu erwähnen.<br />

Bald freilich mußte <strong><strong>di</strong>e</strong> hellenistische Welt auch das<br />

an<strong>der</strong>e, düstere Gesicht <strong>der</strong> fides kennenlernen 81 .<br />

Die oben wie<strong>der</strong>gegebene Erzählung des Agathokles<br />

stammte von den Graeculi, <strong><strong>di</strong>e</strong> <strong>der</strong> Besiegerin Philipps V. und<br />

des Antíochus schmeichelten ß2 . Daß aber <strong><strong>di</strong>e</strong> Verknüpfung <strong>der</strong><br />

Trojanerín Rhome mit dem Inbegriff <strong>der</strong> fides bedeutend älter<br />

ist, erweist ein wohlbekanntes Münzbild <strong>der</strong> sü<strong>di</strong>talischen<br />

Stadt Lokroi (Taf. XI 1), das gleich nach dem Abzug des<br />

Pyrrhos entstanden ist, als <strong><strong>di</strong>e</strong>se Stadt auf Rom angewiesen<br />

war 83 . Da bekränzt <strong><strong>di</strong>e</strong> ΓA Έ ΣΤ Έ Σ (Fides) <strong><strong>di</strong>e</strong> sitzende Rhome,<br />

<strong>der</strong>en Name zwar in lateinischer Form als Ρ Ω M Α beigeschrieben<br />

ist, <strong><strong>di</strong>e</strong> aber meines Erachtens nicht — wie man<br />

sonst annimmt — irgendeine neugeschaffene Personifikation<br />

ist, son<strong>der</strong>n eben <strong><strong>di</strong>e</strong> <strong>der</strong> Treue ergebene Tochter des Askanuos<br />

sein muß. Das he ί ßt , daß <strong><strong>di</strong>e</strong> in <strong>der</strong> Erzählung des Agathokles<br />

berücksichtigte Auffassung schon im Jahre 274 weithin<br />

bekannt gewesen ist und ihre Wirkung auf <strong><strong>di</strong>e</strong> bildende<br />

Kunst ausgelibt hat.<br />

Die spätgeborene rdmische Geschichtsliteratur wandte s ί ch<br />

zuerst an <strong><strong>di</strong>e</strong> Griechen, und vornehmlich daraus erklärt es<br />

s ί ch, daß sie <strong>der</strong> griechischen Gestaltung <strong>der</strong> Ursprungsgeschichte<br />

so fügsam folgte θ4 . Dies geschah aller<strong>di</strong>ngs mit einer<br />

einzigen, aber bedeutsamen Abweichung: <strong><strong>di</strong>e</strong> trojanische Urmutter<br />

wurde von den Römern nicht mehr Rhome genannt, da<br />

s ί e in Romulus schon einen festeingewurzelten Namensgeber<br />

besaßen, son<strong>der</strong>n entwe<strong>der</strong> 'lia o<strong>der</strong> aber Rea Silvia. Il ί a heißt<br />

sie bei Naevius, wie nach ihm bei Ennius ß5 und zumeist auch<br />

bei den Annahisten seit Fabius Pictor θ6. Schon Catos Quelle<br />

aber sprach von Rea Silvia 67 Die Trojanerin als Wappenbild<br />

<strong>der</strong> Münzen (Taf. I 4; II I; I ΙI 1 ff.; IV 2/4. 12/13; VII 1/2) be-


zeugt, daß <strong>der</strong> Römerstaat bereits in <strong>der</strong> Zeit des ersten Punischen<br />

Krieges <strong><strong>di</strong>e</strong> Rhome-Ilia als offizielle Darstellung des<br />

Ursprungs <strong>der</strong> Römer rezipiert hatte.<br />

Wie beliebt <strong><strong>di</strong>e</strong>se Sagengestalt in Rom gewesen ist, veranschaulichen<br />

auch Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ringsteine <strong>der</strong> Spätrepublik, <strong><strong>di</strong>e</strong>,<br />

wie ich früher habe nachweisen können 88, einen ihr zuteil gewordenen<br />

machtverheißenden Traum schil<strong>der</strong>n. Sie stellen <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

junge Vestalin dar, wie sie beim Wasserholen sich ausruhend<br />

im heiligen Hain vom Schlaf überrascht wurde — einmal hingestreckt<br />

liegend (Taf. VH 7), noch öfters aber nur kauernd,<br />

mit hängendem Kopfe (Taf. VII 3/6). Im Traume erscheint ihr<br />

Iuppiters Adler, <strong><strong>di</strong>e</strong> Abzeichen <strong>der</strong> Herrschaft ihren Nachkommen<br />

bringend: eine ursprünglich altorientalische Konzeption<br />

von <strong>der</strong> Belehnung mit <strong>der</strong> Königsmacht °°, <strong><strong>di</strong>e</strong> in <strong>der</strong> griechischen<br />

Kunstsymbolik ihre Fortsetzung gefunden hat 70 • Ennius<br />

hat <strong><strong>di</strong>e</strong>ses Motiv vermutlich nicht nur in seinem Alexan<strong>der</strong><br />

benutzt 71, und es war nach ihm in <strong>der</strong> römischen Dichtung und<br />

Kunst verbreitet 72 • Noch in <strong>der</strong> Mitte des dritten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

n. Chr. war <strong><strong>di</strong>e</strong>se Allegorie <strong>der</strong> Geburt <strong>der</strong> römischen Weltmacht<br />

beliebt, worauf mich H. Seyrig aufmerksam macht: ihm<br />

verdanke ich <strong><strong>di</strong>e</strong> Kenntnis <strong>der</strong> beiden Lokalprägungen von Damaskus<br />

(Taf. VII 8/9), auf denen neben <strong>der</strong> träumenden Rea<br />

auch noch <strong>der</strong> Löwe, <strong>der</strong> Thronhüter <strong>der</strong> orientalischen Könige,<br />

erscheint; freilich brachte damals <strong>der</strong> Adler <strong><strong>di</strong>e</strong> Symbole<br />

<strong>der</strong> Macht eher schon den Monarchen (Taf. VII 10), nicht <strong>der</strong><br />

Stammutter. Nun finden wir aber auch Varianten des Bildmotivs<br />

<strong>der</strong> schlaftrunkenen Frau, <strong>der</strong> <strong><strong>di</strong>e</strong> Gottheit <strong><strong>di</strong>e</strong> künftige<br />

Größe Roms offenbart, wo sie <strong><strong>di</strong>e</strong> persische Haube trägt, und<br />

zwar einmal als Helm, wie auf den Münzen (Taf. VII 4) 73, einmal<br />

als weiche «phrygische» Mütze (Taf. VII 5) dargestellt.<br />

Dies ist zugleich eine Bestätigung unserer Erklärung des<br />

Frauenkopfes mit <strong>der</strong> Perserhaube auf <strong>der</strong> frühen Silberprägungen<br />

<strong>der</strong> Republik (s. o. S. 7).<br />

13


14<br />

Früher war <strong><strong>di</strong>e</strong> gangbare Auffassung <strong>der</strong> römischen Trojatra<strong>di</strong>tion,<br />

daß <strong><strong>di</strong>e</strong>se den Römern von griechischen Literaten<br />


kleinasiatischen Heimat mitgebracht haben, so war für sie <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

polemische Angleichung an <strong><strong>di</strong>e</strong> 'homerische Kultur> des italischen<br />

Griechentums, mit welchem sie sich vor allem auseinan<strong>der</strong>setzen<br />

mußten, naturnotwen<strong>di</strong>g gegeben. Wie <strong><strong>di</strong>e</strong> Theogenie<br />

des Hesiod (v. 1011 ff.) beweist, haben <strong><strong>di</strong>e</strong> Griechen selbst<br />

schon vor <strong>der</strong> Entstehung <strong><strong>di</strong>e</strong>ses Dichtwerks im siebenten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. <strong><strong>di</strong>e</strong> Etrusker und <strong><strong>di</strong>e</strong> Latiner als Nachkommen<br />

des Odysseus und <strong>der</strong> Kirke aufgefaßt, was sicherlich<br />

nicht ohne Zutun einheimisch-italischer Tra<strong>di</strong>tionen geschehen<br />

ist; <strong><strong>di</strong>e</strong> Etrusker kannten den Helden in <strong>der</strong> unmittelbar<br />

aus dem Ionischen abgeleiteten Namensform Utuse o<strong>der</strong><br />

Utuste, sie verquickten ihn aber auch mit einem anscheinend<br />

eigenen Heros, Nanas θ8.<br />

Doch gehörte Odysseus allzusehr den Griechen, mit denen<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> Etrusker im Wettbewerb und Kampfe standen. Während<br />

sich <strong><strong>di</strong>e</strong> griechischen Siedler im Süden Italiens als Volk des<br />

Agamemnon fühlten, kamen für <strong><strong>di</strong>e</strong> Etrusker vielmehr dessen<br />

trojanische Gegner als Vorfahren und Vorbild in Betracht.<br />

Ein Held aus <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> homerischen Trojaner, Aineias, <strong>der</strong><br />

beim Untergang Ilions verschont worden war, ist es gewesen,<br />

den <strong><strong>di</strong>e</strong> Etrusker Eína nannten und auf den sie ihren Ursprung<br />

zurückführten, wie wir gleich sehen werden. Schon <strong><strong>di</strong>e</strong> uns<br />

erhaltenen römischen Varianten <strong>der</strong> Aeneas-Sage deuten auf<br />

etruskische Einflüsse hin Θ 1, und so hat bereits L. Malten in<br />

seinem glänzenden Aineias-Aufsatz 82 erwogen, ob <strong><strong>di</strong>e</strong> Aeneassage<br />

von den Etruskern nicht ebenso aus Kleinasien mitgebracht<br />

worden sei 88, wie es bei den nach Sizilien verschlagenen<br />

Elymern <strong>der</strong> Fall gewesen ist.


16<br />

sehen Skarabäus <strong>der</strong> Sammlung de Luynes hervor mit <strong>der</strong> Darstellung<br />

des Aeneas, <strong>der</strong> seinen Vater auf den Schultern trägt 88<br />

(Abb. 1). Wie R. Texier betont hat θ7 , nehmen <strong><strong>di</strong>e</strong> griechischen<br />

Darstellungen desselben Motivs keine Rücksicht auf <strong><strong>di</strong>e</strong> heiligen<br />

Objekte, <strong><strong>di</strong>e</strong> Aeneas o<strong>der</strong> Anchises aus Troja gerettet<br />

haben. Texier meinte, daß es eine Ausnahme gebe: <strong><strong>di</strong>e</strong> vor 525<br />

Ν. Chr. geprägte Tetradrachme aus Aineia, wo Anchises nach<br />

ihm einen Deckelkorb, <strong>der</strong> <strong><strong>di</strong>e</strong> <strong>trojanischen</strong> sacra enthielt,<br />

feierlich emporheben sollte. Dies wäre in Aineia wohl verständlich,<br />

weil <strong><strong>di</strong>e</strong>se an <strong>der</strong> thrakischen Küste gelegene Stadt sich<br />

damit als eine Gründung des Aeneas kennzeichnen könnte.<br />

Doch erweist unsere Abbildung (Taf. XIII 2), daß auch <strong><strong>di</strong>e</strong>se<br />

Ausnahme nicht vorhanden ist. Auf dem erwähnten etruskischen<br />

Skarabäus aber wird Anchises durch den Behälter <strong>der</strong><br />

heiligen Objekte (cista mystica), den er feierlich emporhebt 88,<br />

wie mir scheint, als Grün<strong>der</strong> und Ahne bezeichnet; das Wesentliche<br />

ist hier gewesen, wohin <strong><strong>di</strong>e</strong> <strong>trojanischen</strong> Kultobjekte gelangt<br />

waren.<br />

Ein wichtiges Denkmal <strong>der</strong> etruskischen Trojatra<strong>di</strong>tion ist<br />

das Vasenbild (Taf. XIV 1 und ebd. 1 a) einer in München befindlichen<br />

und nicht wesentlich später als zwischen 480 und<br />

470 in Vulci verfertigten Amphora 89. Man hat bisher übersehen,<br />

daß sich im Tongefäß, das von <strong>der</strong> Frau des Aineias mit auffälliger<br />

Sorgfalt auf dem Kopf getragen wird (ebd. la), <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

heiligen Objekte von Troja, das heißt das Unterpfand für <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

weitere Existenz des Trojanertums, befinden. Die römische<br />

tiberlieferung über den Gallierbrand spricht nämlich davon,<br />

daß <strong><strong>di</strong>e</strong> durch Aeneas nach Italien hinübergeretteten sacra in<br />

einem solchen, «nicht großen» Tonfall, einem dolium, geborgen<br />

waren 90. Ja es scheint mir, daß auch <strong><strong>di</strong>e</strong> «trojanische Töpferware»,<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> man im Penatenheiligtum von Lavinium aufbewahrte<br />

91 , nichts an<strong>der</strong>es als das Tonfall ist, in dem einst Aineias seine<br />

Hausgötter herübergebracht hatte. Das Vulcenter Vasenbild<br />

stellt also einmal mehr <strong><strong>di</strong>e</strong> Ankunft des Helden in <strong>der</strong> neuen<br />

Heimat dar. Daraus erklärt sich auch <strong><strong>di</strong>e</strong> Popularität <strong><strong>di</strong>e</strong>ser<br />

Bilddarstellung in Vulci, <strong><strong>di</strong>e</strong> dort bereits auf etlichen schwarzund<br />

rotfigurigen attischen Vasen vorkommt 92<br />

Um von an<strong>der</strong>en <strong>trojanischen</strong> Bilddarstellungen <strong>der</strong> frühetruskischen<br />

Kunst abzusehen, bei denen ein beson<strong>der</strong>er Hin-


weis auf das trojanische Ursprungsland nicht erkennbar ist,<br />

sind <strong><strong>di</strong>e</strong> Terrakotta-Statuetten des seinen Vater tragenden Aeneas<br />

(Taf. XIII 3), <strong><strong>di</strong>e</strong> G. Q. Giglioli 93 und M. Pallotino 93 in Veji 96<br />

gefunden haben, von großer Bedeutung. H. Fuhrmann, <strong>der</strong> <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

Tragweite <strong><strong>di</strong>e</strong>ser Funde als erster erfaßte, berichtet folgende Einzelheiten:<br />

< Εxemρlare <strong><strong>di</strong>e</strong>ser (20,5 cm hohen) Gruppe in mehr<br />

o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> fragmentierter Zustande wurden sowohl während<br />

<strong>der</strong> jüngsten Grabung des neu festgestellten Heiligtums in <strong>der</strong><br />

Gemarkung Campetti im Norden des antiken Stadtgebietes wie<br />

auch früher und jetzt wie<strong>der</strong> bei Portonaccio im Süden <strong>der</strong><br />

Stadt im Gebiet <strong>der</strong> Macchia Grande und des Apollonheiligtums<br />

gefunden, aus dem unter an<strong>der</strong>em <strong><strong>di</strong>e</strong> bekannten großen Terrakottastatuen<br />

des Apollon, des Hermes und neuer<strong>di</strong>ngs <strong>der</strong><br />

sog. (Kourotrophos» <strong>der</strong> Villa Giulia in Rom ... stammen.<br />

Die Aeneasgruppe kommt aus Fundkomplexen, <strong><strong>di</strong>e</strong> spätestens<br />

vor <strong><strong>di</strong>e</strong> Mitte des fünften Jahrhun<strong>der</strong>ts zu datieren sind, und<br />

dem entspricht auch ihr Stils ". In <strong>der</strong> lebensgroßen Terrakottastatue<br />

einer schreitenden Frau (Taf. XITI 1/1 a) aus dem Apo1-<br />

lontempel (in <strong>der</strong> sog. 4Kour οtrophos)), <strong><strong>di</strong>e</strong> sorgsam stützend<br />

einen Knaben auf ihrer Schulter trägt und <strong><strong>di</strong>e</strong> vom Schöpfer<br />

des Apollon von Veji stammt 97, erblickt Fuhrmann sehr einleuchtend<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> Frau des Aeneas, Kreusa-Eury<strong>di</strong>ke, mit Askanios;<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong>se Frau war bier wohl ebenso als Begleiterin ihres<br />

Gatten dargestellt wie auf <strong>der</strong> archaischen Tetradrachme von<br />

Aineia 08 (Taf. XIII 2). Ein ausgezeichneter Kenner, M. Pallottino,<br />

hat inzwischen auf Grund neuer Beobachtungen festgestellt,<br />

daß <strong><strong>di</strong>e</strong> großen Terrakotten des Apollontempels von<br />

Veji auf dem Dachfirst des Tempels aufgestellt waren. Er<br />

dachte zwar an eine an<strong>der</strong>e Lösung 90), aber S. Ferri kehrte<br />

unlängst wie<strong>der</strong> zum Gedanken Fuhrmanns zurück und legte<br />

eine zwar betont hypothetische, aber gut begründete Rekonstruktion<br />

jener Statuenreihe vor, nach welcher Aeneas mit Anchises,<br />

seine Frau mit Askanios, von Hermes begleitet und von<br />

Apollo empfangen, auf dem sogenannten columen standen 1οο<br />

Eine repräsentative Statuengruppe des Aeneas und <strong>der</strong><br />

Seinigen stand demnach auf dem Dache eines Tempels von Veji<br />

gleichwertig mit den Götterbil<strong>der</strong>n, und wenn in den Heiligtümern<br />

<strong>der</strong>selben Stadt Statuetten des Aeneas mit Anchises<br />

τ<br />

17


18<br />

als fromme Gaben an <strong><strong>di</strong>e</strong> Götter gestiftet worden sind, so ist<br />

ihr kultischer Charakter ebenfalls unleugbar 1°1<br />

So wie in <strong>der</strong> elymischen Segesta 102 scheint also Aeneas<br />

auch bei den Etruskern als Stammvater kultische Verehrung<br />

genossen zu haben. Als Grün<strong>der</strong> und Urvater steigt er auch in<br />

<strong>der</strong> römischen Vorstellungswelt in den Himmel hinauf, und <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

überraschende Übereinstimmung mit den altetruskischen Kulttatsachen<br />

kann nicht dem Zufall zugeschrieben werden. Auch<br />

fehlen weitere solche Linien nicht, <strong><strong>di</strong>e</strong> aus <strong>der</strong> etruskischen<br />

Geisteswelt in <strong><strong>di</strong>e</strong> römische überleiten. Zum Beispiel hat J.<br />

Bayet gezeigt 1 °;, wie <strong><strong>di</strong>e</strong> Einbürgerung des sü<strong>di</strong>talisch-griechischen<br />

Herakles in Rom nicht ohne <strong><strong>di</strong>e</strong> Vermittlung <strong>der</strong><br />

Etrusker vor sich ging, <strong><strong>di</strong>e</strong> in ihrem Wettbewerbe mit dem<br />

Griechentum sich zugleich an <strong><strong>di</strong>e</strong>ses akklimatisiert haben.<br />

Einen entsprechenden Zusammenhang weist auch das Trojaspiel<br />

auf 104, das iri Etrurien durch <strong><strong>di</strong>e</strong> bekannte Oinochoë<br />

von Tragliatella schon um 600 v. Chr. bezeugt ist. Wenn das<br />

echt lateinische Wort truare «tummeln» in <strong>der</strong>selben Bezogenheit<br />

verwendet wird, so kann <strong><strong>di</strong>e</strong>ses nichts dagegen besagen,<br />

daß das ähnlich klingende etruskische Wort truia als Troja<br />

hatte verstanden werden können; <strong><strong>di</strong>e</strong> Ähnlichkeit <strong>der</strong> beiden<br />

Wörter 1°8 dürfte mitbestimmend dafür gewesen sein, daß auch<br />

<strong><strong>di</strong>e</strong> Römer ihr Wort auf das Trojaspiel bezogen haben. Das<br />

Trojaspiel selbst war in Rom eine magisch-religiöse Handlung<br />

108 <strong>der</strong> altpatrizischen Reiterei 107, <strong>der</strong>en Tribunen noch bei<br />

<strong>der</strong> augusteischen Erneuerung des Trojarittes ihre Rolle spielten;<br />

auch zu <strong><strong>di</strong>e</strong>ser Organisation scheinen <strong><strong>di</strong>e</strong> etruskischen<br />

Voraussetzungen vorhanden zu sein. Anstatt weiterer Beispiele<br />

sei nur noch erwähnt, daß <strong><strong>di</strong>e</strong> etruskische Aeneassage deutlich<br />

in einzelnen Fassungen durchschlägt, <strong><strong>di</strong>e</strong> zwar <strong><strong>di</strong>e</strong> Herkunft<br />

<strong>der</strong> Römer erklären wollen, jedoch in <strong><strong>di</strong>e</strong> Zeit <strong>der</strong> etruskischen<br />

Herrschaft über Latium zurückweisen, in <strong>der</strong> allein <strong>der</strong> Vorrang<br />

<strong>der</strong> etruskischen Stammväter einen Sinn haben konnte.<br />

Erst bei Timaios wird <strong><strong>di</strong>e</strong> Tra<strong>di</strong>tion faßbar, welche den mysischen<br />

Herakliden Telephos zum Vater <strong>der</strong> Etrusker Tarchon<br />

und Tyrsenos erklärte — daß Tyrsenos <strong><strong>di</strong>e</strong> echte Namensform<br />

des vergilischen Turnus trägt, ist schon von Niebuhr erkannt<br />

worden — und welche Aeneas als Gatten <strong>der</strong> Schwester <strong><strong>di</strong>e</strong>ser<br />

beiden, <strong>der</strong> Telephostochter Rhome, mit ihnen zusammen.


achte 108 • Ein jüngerer Zeitgenosse Platons, <strong>der</strong> Sikeliote<br />

Alkimos 1°8, variierte <strong><strong>di</strong>e</strong>s so, daß er <strong><strong>di</strong>e</strong> Frau des Aeneas Tyrrhenia<br />

nennt; auch <strong><strong>di</strong>e</strong>se vage Spiegelung des etruskischen<br />

Trojamythos muß meines Erachtens viel älter sein. Nur bedauern<br />

können wir, daß wir aus dem Lupus des Naevius — <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

lupus femina <strong>der</strong> römischen Ursprungssage ist gemeint — bloß<br />

ein schlecht überliefertes Fragment kennen 1 10 ; <strong><strong>di</strong>e</strong> in <strong><strong>di</strong>e</strong>sem<br />

vorkommende etruskisch-albanische Begegnung läßt uns an <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

berühmten Grabmalereien des François-Grabbaues von Vulci<br />

denken.<br />

19<br />

Ii.<br />

Noch ein so glänzen<strong>der</strong> Geist wie Gaston Boissier 111 sah<br />

in <strong>der</strong> dem Aeneas zugedachten Rolle in Lavinium, das heißt<br />

in <strong>der</strong> alten Bundeshauptstadt <strong>der</strong> Latiner, eine betrügerische<br />

Mache <strong>der</strong> Römer, um auf <strong><strong>di</strong>e</strong>sem Umweg dem eigenen Trojanertum<br />

den Schein eines höheren Alters zu verleihen. Doch<br />

setzt sich heute allmählich <strong><strong>di</strong>e</strong> Erkenntnis durch, daß <strong><strong>di</strong>e</strong> latinische<br />

Trojatra<strong>di</strong>tion in <strong><strong>di</strong>e</strong> Zeit <strong>der</strong> Etruskerherrschaft zurückreicht<br />

112. Die mythische Rechtfertigung <strong>der</strong> Überlegenheit von<br />

Lavinium über Rom in <strong>der</strong> Tra<strong>di</strong>tion, nach welcher Lavinia, das<br />

heißt <strong><strong>di</strong>e</strong> Stammutter Laviniums, <strong><strong>di</strong>e</strong> Gattin des Aeneas und<br />

Mutter des Romus ist, muß entstanden sein, bevor Rom <strong><strong>di</strong>e</strong> Vormacht<br />

in Latium geworden ist 113. Dasselbe gilt von <strong>der</strong> unten<br />

zur Besprechung kommenden Aeneast.ra<strong>di</strong>tion von Lavinium:<br />

Aeneas ist <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> dreißig Städte des Latinerbundes<br />

bei Timaios 114 •<br />

Bei Timaios, also schon um 300 i. Chr., ist <strong><strong>di</strong>e</strong><br />

Auffassung belegt 115, daß <strong><strong>di</strong>e</strong> in Lavinium bewahrten Penaten<br />

des römischen Staates aus Troja stammen; aber <strong><strong>di</strong>e</strong>se ins vierte<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t zurückreisende Überlieferung ist nur <strong><strong>di</strong>e</strong> aus<br />

allgemeinen Gründen spit erfolgte schriftliche Festlegung<br />

einer sehr alten Kulteinrichtung. Die authentische Kultstätte<br />

<strong>der</strong> Penaten gehörte eben nicht Rom, son<strong>der</strong>n Lavinium. Noch<br />

bei Varro (1. L. 5, 144) heißt es von <strong><strong>di</strong>e</strong>ser Stadt: ibi <strong>di</strong> penates<br />

nostri 110 Wie bekannt, war mit den Staatspenaten <strong>der</strong> Begriff<br />

<strong>der</strong> Heimat und des Vaterlandes so unzertrennlich verbunden<br />

wie <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Heimstätte mit den Privatpenaten 117


20<br />

Auch <strong>der</strong> Kult <strong>der</strong> mit den Penaten eng verbundenen Herdgöttin<br />

Vesta hatte in Lavinium ihren ursprünglichen Sitz. Die<br />

Doppelung <strong>der</strong> beiden Kulteinrichtungen in Lavinium und in<br />

Rom wird letztlich wohl daraus zu erklären sein, daß ihre<br />

Pflege schon da war, als <strong>der</strong> Latinerstamm noch eine einheitliche,<br />

dreigeteilte Weidegemeinschaft und Kriegerorganisation<br />

war, während dann <strong><strong>di</strong>e</strong> neue städtische Lebensform mit dem<br />

Eigenleben <strong>der</strong> Stadtstaaten auch <strong>der</strong>en Son<strong>der</strong>penaten und<br />

ihre eigene Vesta erfor<strong>der</strong>lich machte 119<br />

Das Wichtigste, was sich aus <strong><strong>di</strong>e</strong>ser Priorität <strong>der</strong> launatischen<br />

Trojaüberlieferung ergibt, ist <strong><strong>di</strong>e</strong> Gewißheit, daß es sich<br />

hier nicht um falsche Gelehrsamkeit handelt, son<strong>der</strong>n um den<br />

Anspruch <strong>der</strong> in Latium einst führenden Stadt auf <strong><strong>di</strong>e</strong> mythischreligiöse<br />

Weihe ihres Vorranges und daß <strong><strong>di</strong>e</strong> kultische Anerkennung<br />

<strong>der</strong> beanspruchten Vorrangstellung auch nach <strong>der</strong>en<br />

tatsächlιchem Verlust von Rom weitergeführt 'u rden ist, so<br />

daß im Spiegel <strong>der</strong> späteren Opferfeste <strong><strong>di</strong>e</strong> urspr ίingliche Eigenart<br />

und <strong><strong>di</strong>e</strong> alte Grundlage <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> <strong>trojanischen</strong> Abstammung<br />

in Latium erkennbar wird.<br />

Wenn <strong><strong>di</strong>e</strong> früh zerstörte Alba Longa <strong><strong>di</strong>e</strong> Mutterstadt gewesen<br />

war, welcher <strong><strong>di</strong>e</strong> kühne Schar <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> Roms entstammte,<br />

so war Lavinium das Haupt des Latinerbundes <strong>der</strong><br />

Frühgeschichte 119, wo <strong><strong>di</strong>e</strong> Idee <strong>der</strong> politischen Gemeinschaft<br />

durch jährliche rituelle Begehungen bekräftigt wurde. Zwar<br />

bestreitet ein hervorragen<strong>der</strong> Kenner 170, dall in Lavinium außer<br />

Rom auch noch an<strong>der</strong>e Latinerstädte <strong><strong>di</strong>e</strong> Jahresopfer verrichtet<br />

hätten, wie es seit R. H. Klausen und A. Schwegler allgemein<br />

angenommen wird, nicht zu Unrecht; dennoch gehörte es einst<br />

ihnen allen, wie <strong><strong>di</strong>e</strong> gleich zur Sprache kommende Turranius-<br />

Inschrift erweist. Wenn das lavinatische lenusheiligtiim <strong>der</strong><br />

Latiner in Strabons Zeit 121 von den Ardeaten betreut wurde, so<br />

ist <strong><strong>di</strong>e</strong>s durch den Verfall <strong>der</strong> alten Metropole be<strong>di</strong>ngt, ebenso<br />

wie <strong><strong>di</strong>e</strong> an<strong>der</strong>en Bundeskulte später aus demselben Grunde von<br />

Rom versehen wurden (s. unten). Nichtsdestoweniger gehört in<br />

Rom <strong><strong>di</strong>e</strong>ser Bundeskult auch später zu den großen Staatsfesten.<br />

Es ‹findet das feierliche Opfer, das <strong><strong>di</strong>e</strong> römischen Konsuln<br />

beim Antritte ihres Amtes sowie beim Auszuge zum Kriege auf<br />

dem Kapitol darbringen, seine Ergänzung durch ein von ihnen<br />

bei den gleichen Anlässen dem Iuppiter In<strong>di</strong>ges [vgl. u. S. 22]

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