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Zeitschrift "Militärgeschichte"

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Bundesmarine<br />

Meuterei oder Bürgerrecht?<br />

Fernab konzeptioneller Probleme ereignete sich in der<br />

Flotte 1971 eine Art »kleiner Meuterei«, die wohl besonders<br />

geeignet ist zu belegen, dass auch in der Marine<br />

»überkommene Autoritäten einem bisher ungekannten<br />

Legitimationszwang« unterworfen wurden: Offiziere eines<br />

Marinefliegergeschwaders hatten sich für eine Gleichbehandlung<br />

bei den Zulagen eingesetzt und sich in diesem<br />

Zusammenhang kurz vor der entscheidenden Sitzung des<br />

zuständigen Bundestagsausschusses zu diesem Thema an<br />

den Bundeswehrverband, an SPD- und FDP-Abgeordnete<br />

sowie den Wehrbeauftragten Fritz-Rudolf Schultz<br />

gewandt. Außerdem waren über die Vertrauensleute zahlreiche<br />

Briefe in dieser Angelegenheit an Verteidigungsminister<br />

Helmut Schmidt (SPD) gelangt.<br />

Die Marineführung reagierte prompt: Die Vertrauensleute<br />

wurden kurzfristig nach Bonn gerufen, wo der<br />

stellvertretende Inspekteur Vizeadmiral Heinz Kühnle<br />

ihnen gegenüber angeblich nicht allein seinen Unmut<br />

5 Verteidigungsminister Helmut Schmidt mit Vertrauensmännern der<br />

Bundeswehr<br />

ausdrückte, sondern ihnen auch das Recht bestritt, sich vor vollständiger Ausschöpfung des Beschwerdeweges an den Wehrbeauftragten<br />

zu wenden, dessen Notwendigkeit er ohnehin nicht einsehe, und er bezweifelte zudem das Recht des Soldaten, sich mit<br />

einer Petition direkt an den Minister zu wenden. Sogleich nach der Rückkehr der Vertrauensleute untersagte ihnen der Kommandeur<br />

der Marinefliegerdivision persönlich, die Äußerungen des stellvertretenden Inspekteurs an die Presse dringen zu lassen, und<br />

kurz darauf teilte der Geschwaderkommodore seinen Offizieren die »schärfste Missbilligung« ihres Vorgehens durch den Inspekteur<br />

Vizeadmiral Gert Jeschonnek, den Flottenchef Vizeadmiral Armin Zimmermann und den Kommandeur der Marinefliegerdivision<br />

Flottillenadmiral Günter Luther mit. Er verbot ihnen jegliche direkte Kontaktaufnahme mit dem Wehrbeauftragten, Minister und<br />

den Abgeordneten sowie sich an die Öffentlichkeit zu wenden.<br />

Unverzüglich verstießen die empörten Offiziere gegen diesen Befehl, informierten den Wehrbeauftragten<br />

und forderten, obgleich der zwischenzeitlich herbeigeeilte Kommandeur der<br />

Marinefliegerdivision den Befehl des Kommodore widerrufen hatte, die Bestrafung des Inspekteurs,<br />

seines Stellvertreters, des Flottenchefs und des Kommandeurs der Marinefliegerdivision.<br />

Der Inspekteur bestritt nun in einem Fernschreiben, dass der Versuch gemacht worden sei,<br />

den Offizieren das Petitionsrecht vorzuenthalten, warf ihnen aber vor, den Dienstweg nicht<br />

5 Vizeadmiral Gert Jeschonnek,<br />

Inspekteur der Marine<br />

1967–1971<br />

eingehalten zu haben. Seine Missbilligung wollte er nur auf ausdrücklichen Befehl des Ministers<br />

zurücknehmen. Die betroffenen Offiziere bekräftigten indessen in Presseinterviews ihre<br />

Haltung und erklärten, dass der Inspekteur ihnen im Endeffekt zwar bescheinigt habe, dass<br />

ihre Aktivitäten rechtens gewesen seien, ihnen aber zugleich beizubringen versucht habe, es sei<br />

»nicht alles richtig was rechtens ist«.<br />

In seinem Abschlussbericht konstatierte der Wehrbeauftragte »Unklarheiten« in den Befehlen<br />

und Äußerungen der beteiligten Flaggoffiziere und riet dazu, »Fehler, die aus menschlicher<br />

Unvollkommenheit begangen worden sind«, zuzugeben. Autorität werde dadurch eher gewonnen<br />

denn verloren. Wenngleich es dazu nicht kam, konnten schließlich alle Beteiligten zufrieden<br />

mit dem Ausgang der Affäre sein: Die Zulagen der Offiziere wurden auf ein einheitliches<br />

Niveau angehoben und einer der Beschwerdeführer wurde später Kommodore seines Geschwaders.<br />

Der stellvertretende Inspekteur wurde der nächste Inspekteur der Marine, der Chef der Marinefliegerdivision der übernächste<br />

Inspekteur, der Flottenchef gar Generalinspekteur der Bundeswehr und der damalige Inspekteur ging planmäßig in den Ruhestand.<br />

Zwölf Tage nach der Pensionierung hob Verteidigungsminister Schmidt die Missbilligung des vormaligen Inspekteurs auf.<br />

Dieser in der deutschen Marinegeschichte einmalige Vorgang belegt eine Veränderung, deren Richtung erkennbar wird, wenn<br />

man sich verdeutlicht, dass ein derartiges Aufbegehren samt Petition ans Parlament von Untergebenen in den Marinen, in denen<br />

die Gründerväter der Bundesmarine gedient hatten, kaum vorstellbar war. Kam dergleichen, wie z.B. 1917 in der kaiserlichen<br />

Marine, dennoch vor, so waren Todesurteile und Staatskrise nicht weit. Umgekehrt erscheint es heute als kaum vorstellbar, dass<br />

einem Angehörigen der Deutschen Marine seine Petitionsrechte bestritten würden.<br />

dpa/Der Spiegel<br />

Marine-Fotoarchiv Wilhelmshaven<br />

8<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005

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