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Zeitschrift "Militärgeschichte"

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Heft 3/2005<br />

Militärgeschichte<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung<br />

C 21234 ISSN 0940 – 4163<br />

Militärgeschichte im Bild: 12. November 1955 – Gründungstag der Bundeswehr<br />

Bundesmarine<br />

Sanitätsdienst vor Verdun<br />

Major Kuhn<br />

Was ist Strategie?<br />

Militärgeschichtliches Forschungsamt<br />

MGFA


IMPRESSUM<br />

Militärgeschichte<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung<br />

Herausgegeben<br />

vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt<br />

durch Oberst Dr. Hans Ehlert und<br />

Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack<br />

(V.i.S.d.P.)<br />

Produktionsredakteur der<br />

aktuellen Ausgabe:<br />

Major Heiner Bröckermann M.A.<br />

Redaktion:<br />

Major Heiner Bröckermann M.A. (hb)<br />

Hauptmann Agilolf Keßelring M.A. (aak)<br />

Bildredaktion:<br />

Dipl.-Phil. Marina Sandig<br />

Redaktionsassistenz:<br />

Richard Göbelt, Cand. Phil.<br />

Lektorat:<br />

Dr. Aleksandar-S. Vuletić<br />

Layout/Grafik:<br />

Maurice Woynoski<br />

Anschrift der Redaktion:<br />

Redaktion »Militärgeschichte«<br />

Militärgeschichtliches Forschungsamt<br />

Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam<br />

Telefon: (03 31) 97 14 -569<br />

Telefax: (03 31) 97 14 -507<br />

Homepage: www.mgfa.de<br />

Technische Herstellung:<br />

MGFA, Schriftleitung<br />

Manuskripte für die Militärgeschichte werden<br />

an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt<br />

eingesandte Manuskripte wird nicht gehaftet.<br />

Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt<br />

der Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung,<br />

Übersetzung usw. Honorarabrechnung<br />

erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die<br />

Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter<br />

Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise,<br />

fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung<br />

sind nur nach vorheriger schriftlicher<br />

Zustimmung durch die Redaktion und mit Quellenangaben<br />

erlaubt. Dies gilt auch für die Aufnahme<br />

in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen<br />

auf CD-ROM. Die Redaktion hat<br />

keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die<br />

Inhalte derjenigen Seiten, auf die in dieser <strong>Zeitschrift</strong><br />

durch Angabe eines Link verwiesen wird.<br />

Deshalb übernimmt die Redaktion keine Verantwortung<br />

für die Inhalte aller durch Angabe<br />

einer Linkadresse in dieser <strong>Zeitschrift</strong> genannten<br />

Seiten und deren Unterseiten. Dieses gilt<br />

für alle ausgewählten und angebotenen Links<br />

und für alle Seiteninhalte, zu denen Links oder<br />

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© 2005 für alle Beiträge beim<br />

Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)<br />

Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber ermittelt<br />

worden sein, bitten wir ggf. um Mitteilung.<br />

Druck:<br />

SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden<br />

ISSN 0940-4163<br />

Editorial<br />

vor 157 Jahre wurde die erste deutsche<br />

Marine im Zuge der Bewilligung durch die<br />

Nationalversammlung in Frankfurt am Main<br />

gegründet. Die Handelsflotte der Staaten<br />

des Deutschen Bundes umfasste damals fast<br />

7000 Schiffe. Während der Deutsche Bund<br />

im Kriegsfall zehn Armeekorps mobilisieren<br />

konnte, verfügte er über keine gemeinsame<br />

Kriegsflotte. So kam es 1848 zu jener ersten<br />

Gründung im Angesicht eines Konfliktes<br />

mit Dänemark. Die Seestadt Bremerhaven<br />

wurde der erste Flottenstützpunkt, und<br />

zum ersten Admiral wurde der Sachse<br />

Karl Rudolf Bromme (1804–1860), genannt 5<br />

Brommy, ernannt. Er war 1848 mit einem SAIL 2005 Bremerhaven: Vor dem<br />

Bestseller bekannt geworden und empfahl italienischen Schulschiff »Amerigo Vespucci«<br />

sich so selbst für sein hohes Amt. Sein Buch<br />

»Die Marine. Eine gemeinfassliche Darstellung des gesammten Seewesens für die Gebildeten<br />

aller Stände« verdeutlichte den Deutschen, was ihnen fehlte: Eine gemeinsame<br />

Marine und die Vorteile einer Seemacht. Das voluminöse Werk, das im Laufe der<br />

Zeit mehrere Auflagen erfuhr, ist aber auch eine Quelle ewiger Wahrheiten über<br />

den Seemann, wie die folgenden Auszüge beweisen:<br />

»Der Körper dieser eigenen Menschenklasse trotzt der Hitze und Kälte, der Trockenheit,<br />

dem Nebel, Regen und Schnee; ... wenn sein Gaumen auch eine hohe Sinnesbildung hat, so<br />

ist sein Magen viel weniger zart ... Im Hafen angelangt, zeigt er häufig eine überraschende<br />

Entwicklung der Körperkraft, so dass man ihm gar nicht anmerkt, dass er der Ruhe nach<br />

einer stürmischen, mühevollen Reise bedürftig wäre.«<br />

Brommy, der mit 14 Jahren als Schiffsjunge seine Karriere begonnen hatte, musste<br />

bereits 1852 die Versteigerung seiner Schöpfung erleben. Nach dem Scheitern<br />

der Revolution von 1848/49 und der Aufhebung der dänischen Seeblockade war<br />

auch das Ende der ersten deutschen Marine gekommen. Österreich und Preußen<br />

setzten auf den Ausbau Ihrer eigenen Verbände. Aus der sehr kleinen preußischen<br />

Marine, die damals auch das Flaggschiff »Barbarossa« übernommen hatte, entwickelte<br />

sich später die Marine des Norddeutschen Bundes und dann des Kaiserreichs.<br />

Deren Geschichte schloss sich die der Marinen der Weimarer Republik und<br />

des »Dritten Reiches« an.<br />

Der Neuanfang als Bundesmarine stand 1956 unter dem günstigen Stern der<br />

NATO, dem größten Seebündnis aller Zeiten. Und diese Mitgliedschaft in der<br />

NATO verwirklichte auch den langen deutschen Traum von Seemacht. Die Bundeswehr<br />

knüpft inzwischen wieder an die alten Traditionen der Marine von 1848<br />

und die Idee vom Bürgersoldaten an. Das zeigte auch der diesjährige Festakt zu 50<br />

Jahren Bundeswehr anlässlich der SAIL 2005 in Bremerhaven. Die deutsche Einheit<br />

brachte 1990 für die Bundesmarine auch eine Namensänderung. Als Deutsche<br />

Marine steht sie nun im Einsatz oder wirkt als »Botschafter in Blau« für unseren<br />

demokratischen Rechtsstaat in Übersee.<br />

Viel Freude beim Lesen des Aufsatzes zur jungen Bundesmarine und der anderen<br />

Beiträge zur Militärgeschichte und Strategie wünscht Ihnen<br />

Heiner Bröckermann M.A., Major<br />

Anmerkung in eigener Sache: Dem Heft liegt das historische Poster<br />

»Unsere Bundeswehr stellt Freiwillige ein!« bei.<br />

Foto: Sabine Fangmann


D i e A u t o r e n<br />

Inhalt<br />

Die Herausforderungen eines maritimen Neuanfangs:<br />

• Vor 50 Jahren schlug die<br />

Geburtsstunde der Bundesmarine<br />

4<br />

Dr. Johannes Berthold<br />

Sander-Nagashima,<br />

geboren 1957 in Stein b. Pforzheim,<br />

Fregattenkapitän und Wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter am MGFA, Potsdam<br />

• Der Sanitätsdienst vor Verdun im<br />

Ersten Weltkrieg<br />

• Major Kuhn<br />

Ein unbekanntes Mitglied des deutschen<br />

Widerstandes vom 20. Juli 1944<br />

10<br />

14<br />

Christoph Schneider,<br />

geboren 1969 in Gräfeling,<br />

Lehramtsassessor und wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter am Institut für Geschichte der<br />

Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München<br />

Prof. Dr. Boris Khavkin,<br />

geboren 1954 in Moskau,<br />

Akademie der Militärwissenschaften,<br />

Moskau<br />

• Was ist Strategie?<br />

Definition zur Kunst des Feldherrn<br />

• Service<br />

Das historische Stichwort:<br />

Die Schlacht auf dem Lechfeld 955<br />

Medien online/digital<br />

Lesetipp<br />

Ausstellungen<br />

Geschichte kompakt<br />

• Militärgeschichte im Bild<br />

12. November 1955 – Bonn, Ermekeilkaserne<br />

Der umstrittene Geburtstag der Bundeswehr<br />

18<br />

22<br />

22<br />

24<br />

26<br />

28<br />

30<br />

31<br />

Direktor und Prof. Dr. Beatrice Heuser,<br />

geboren 1961 in Bangkok (Thailand),<br />

Leiter Abteilung Forschung, MGFA,<br />

Potsdam<br />

(v.l.n.r.) Staatssekretär Dr. Josef Rust,<br />

Generalleutnant Adolf Heusinger,<br />

Bundesverteidigungsminister Theodor Blank<br />

und Generalleutnant Dr. Hans Speidel nach<br />

der Feierstunde am 12. November 1955<br />

auf dem Hof der Bonner Ermekeilkaserne<br />

im Mittelpunkt des Interesses der Fotografen.<br />

Die ersten 101 Soldaten der neuen deutschen<br />

Streitkräfte erhielten an diesem Tag von<br />

Minister Blank ihre Ernennungsurkunden.<br />

Foto: picture-alliance/dpa<br />

Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe: Dr. Eberhard Birk, Offizierschule der Luftwaffe, Fürstenfeldbruck; Dr. Klaus-Jürgen Bremm, Osnabrück;<br />

René Henn M.A., Salzwedel; Hauptmann Thorsten Loch M.A., MGFA; Leitender Wiss. Direktor Dr. Bruno Thoß, MGFA


Bundesmarine<br />

Die Herausforderungen eines maritimen Neuanfangs:<br />

Vor 50 Jahren schlug die Geburtsstunde<br />

der Bundesmarine<br />

dpa/Picture-Alliance<br />

Am 12. November 1955 erhielten<br />

bisherige zivile Mitarbeiter<br />

des »Bundesministeriums für<br />

Verteidigung« die ersten Ernennungsurkunden,<br />

die dadurch nunmehr offiziell<br />

zu Angehörigen der neuen Bundesmarine<br />

wurden. Und gegen Ende<br />

des Monats war die somit gegründete<br />

Marine ganze 26 Mann stark. Die<br />

geringe Zahl des Personals und die<br />

Tatsache, dass die Marine noch über<br />

kein einziges Schiff oder Boot verfügte,<br />

sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass ihre Gründerväter bereits<br />

wichtige Vorarbeiten geleistet hatten.<br />

Bei ersten Überlegungen hatten die<br />

NATO-Verbündeten einen westdeutschen<br />

deutschen maritimen Verteidigungsbeitrag<br />

gar nicht und später<br />

nur als Küstenvorfeldmarine (»Brown<br />

Water Navy« wegen des im Watt und<br />

den Flüssen vorwiegend anzutreffenden<br />

braunen Wassers) in Erwägung<br />

gezogen. Dagegen konnten Kreise ehemaliger<br />

Angehöriger der Kriegsmarine<br />

des »Dritten Reiches«, aus denen<br />

später auch die erste Führungsgeneration<br />

der Bundesmarine hervorging (an<br />

dieser Stelle seien Friedrich Ruge, Gerhard<br />

Wagner, Karl-Adolf Zenker und<br />

Heinrich Gerlach genannt), diese Einschränkungen<br />

überwinden. Sowohl<br />

was den Aufgabenkatalog als auch<br />

den Umfang und die Zusammensetzung<br />

betrifft, gelang es ihnen, die Tür<br />

für eine künftige Rolle der Bundesmarine<br />

als kleinen aber grundsätzlich<br />

gleichberechtigten Partner innerhalb<br />

des westlichen Bündnisses zu öffnen.<br />

Die Zustimmung der NATO zu einer<br />

Flotte, welche nicht mehr nur aus<br />

Kleinbootsverbänden, sondern auch<br />

aus Ubooten und Jagdbombern sowie<br />

»Blue-Water«-Elementen (Fregatten und<br />

Zerstörer) bestehen sollte, erfolgte<br />

schließlich 1955. Der Umstand, dass<br />

die Bundesmarine die kleinste Teilstreitkraft<br />

der künftigen Bundeswehr<br />

werden sollte, kam ihr dabei wie auch<br />

wiederholt später durchaus zugute.<br />

Denn dadurch befand sie sich sowohl<br />

aus der Sicht der Verbündeten als auch<br />

der westdeutschen Öffentlichkeit tendenziell<br />

im Windschatten der Aufmerksamkeit,<br />

die sich viel stärker auf<br />

die größeren Schwesterteilstreitkräfte<br />

Heer und Luftwaffer richtete. Aus dieser<br />

Perspektive erschienen nicht nur<br />

die meisten Marineforderungen vergleichsweise<br />

moderat, sondern stießen<br />

gelegentliche maritime »Missgeschicke«<br />

(z.B. Probleme mit Neubauten von<br />

5 Vizeadmiral Friedrich Ruge, Inspekteur der<br />

Marine 1957–1961<br />

Fahrzeugen und Schiffen) auf ein eher<br />

verhaltenes Interesse in der Öffentlichkeit.<br />

Flotte im NATO-Auftrag<br />

Im Dezember 1955 billigte die NATO<br />

einen Umfang der bundesdeutschen<br />

Flotte von 142 Kleinfahrzeugen und<br />

Booten, darunter auch 12 Uboote, 18<br />

Zerstörer und Geleitfahrzeuge, sowie<br />

Marine-Fotoarchiv Wilhelmshaven<br />

4<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


MGFA-Nachlass Ruge<br />

5 Indienststellung eines Geleitbootes<br />

(Fregatte) der KÖLN-Klasse<br />

MGFA-Nachlass Ruge<br />

3 Am 16. Januar 1956 überreichte Verteidigungsminister<br />

Theodor Blank anlässlich<br />

seines Besuches bei der Marine-Lehrkompanie<br />

in Wilhelmshaven dem Fregattenkapitän<br />

Griemann dessen Ernennungsurkunde.<br />

58 Luftfahrzeuge. Mit dieser Streitmacht<br />

plante die Führung der Bundesmarine,<br />

im Kriegsfall die Zugänge<br />

zur Ostsee zu sichern und die gegnerischen<br />

Seewege in der Ostsee zu unterbrechen.<br />

Außerdem sollten das Heer<br />

unterstützt und die eigenen Seewege<br />

geschützt werden. Dabei dachten die<br />

Verantwortlichen bereits daran, sich<br />

auch am Konvoidienst der NATO im<br />

Nordatlantik, wenn gleich im begrenzten<br />

Umfang, zu beteiligen.<br />

Solche Überlegungen stießen in den<br />

Anfangsjahren der Bundesmarine bei<br />

einigen der größeren NATO-Partner<br />

aber keineswegs auf Zustimmung.<br />

Der schließlich gefundene Kompromiss<br />

im Jahre 1955 enthielt die Formel<br />

vom Einsatz der Bundesmarine in den<br />

deutschen »Küsten- und angrenzenden<br />

Gewässern« und wies somit auf<br />

die prinzipelle Möglichkeit hin, deutsche<br />

Vorstellungen einer »Blue-Water«-<br />

Marine in Zukunft zu realiseren. Das<br />

Spannungsfeld zwischen bereitwilliger<br />

Eingliederung der Bundeswehr/<br />

Bundesmarine in die NATO und der<br />

Wahrung als legitim betrachteter westdeutscher<br />

maritimer Interessen innerhalb<br />

des Bündnisses war damit bereits<br />

vorgezeichnet. Ein Thema, das bis auf<br />

den heutigen Tag nichts an Aktualität<br />

verloren hat.<br />

5 Vizeadmiral Ruge fertigte diese Bildcollagen<br />

für sein privates Fotoalbum an. Sie verdeutlichen<br />

den Aufbau der Bundesmarine quasi<br />

aus dem Nichts heraus.<br />

Vordienstzeit in drei Marinen<br />

Es waren keineswegs allein konzeptionelle<br />

und bündnispolitische Herausforderungen,<br />

mit denen sich die junge<br />

Bundesmarine konfrontiert sah. Die<br />

Masse der Marineangehörigen und<br />

insbesondere des führenden Personals<br />

hatten in bis zu drei deutschen Vorgängermarinen<br />

(Kaiserzeit, Weimarer<br />

Republik und »Drittes Reich«) gedient<br />

und fanden sich nach Gründung der<br />

Bundesmarine erneut als Träger des<br />

blauen Tuchs, nun aber in einer völlig<br />

veränderten innenpolitischen wie auch<br />

außenpolitischen Landschaft wieder.<br />

Deshalb sollen zumindest einige Anmerkungen<br />

zur Mentalität, die bei führenden<br />

Marineoffizieren anzutreffen<br />

war, gemacht werden.<br />

Der erste Inspekteur der Bundesmarine<br />

(1957–1961), Vizeadmiral Friedrich<br />

Ruge, von Hause aus mit einer gehörigen<br />

Portion Humor gesegnet, führte<br />

die Bundesmarine in durchaus väterlicher<br />

Weise und verstand es, bei Konflikten<br />

mäßigend auf die Beteiligten<br />

einzuwirken. Konfliktpotentiale gab es<br />

vor allem bei Problemen im Zusammenhang<br />

mit der »Großadmiralsfrage«.<br />

Die Großadmirale der Kriegsmarine<br />

Erich Raeder und Karl Dönitz waren in<br />

den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen<br />

verurteilt worden und Dönitz<br />

saß zum Zeitpunkt der Gründung<br />

der Bundesmarine noch im Spandauer<br />

Kriegsverbrechergefängnis ein. Für viele<br />

ehemalige Angehörige der Kriegsmarine<br />

war das Grund genug, eine<br />

Mitarbeit am Aufbau der Bundesmarine<br />

abzulehnen, da sie Raeder und<br />

Dönitz als zu unrecht verurteilte maritime<br />

Märtyrer ansahen. Ruges späterer<br />

Nachfolger als Inspekteur, Karl-<br />

Adolf Zenker, berührte diesen wunden<br />

Punkt, als er im unmittelbaren Umfeld<br />

der Gründung der Bundesmarine, im<br />

Januar 1956 in einer Ansprache das<br />

»Großadmiralsproblem« ohne die erforderliche<br />

Differenzierung aufgriff<br />

und dadurch für Aufsehen bis in den<br />

Bundestag sorgte. Ebenso gab es in<br />

den Reihen der Ehemaligen erhebliche<br />

Meinungsverschiedenheiten darüber,<br />

wie der Umsturzversuch gegen Hitler<br />

vom 20. Juli 1944 und die Haltung der<br />

daran beteiligten Offiziere zu bewerten<br />

seien.<br />

Ruge verstand es, marineintern geschickt<br />

auf vermittelnde Sprachregelungen<br />

hinzuwirken und letztlich breite<br />

öffentliche Unterstützung in der Bevölkerung<br />

für den anstehenden Neuaufbau<br />

der Bundesmarine zu mobilisieren.<br />

Mit seinem Stellvertreter Gerhard<br />

Wagner stand ihm hierin ein erfahrener<br />

Helfer zur Seite, dessen ausgleichende<br />

Art schließlich in dessen Verwendung<br />

in der Schlüsselposition als COMNAV-<br />

BALTAP (Kommander der Seestreitkräfte<br />

der Ostseezugänge) sehr vorteilhaft<br />

zur Geltung kam. Vorher hatten<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 5


Bundesmarine<br />

Heiner Bröckermann<br />

5 Das Segelschulschiff GORCH FOCK, benannt nach dem Pseudonym<br />

des Schriftstellers Johann Kinau, der 1916 an Bord von SMS<br />

WIESBADEN in der Skagerrakschlacht fiel, lief 1958 vom Stapel.<br />

5 Das Schulschiff DEUTSCHLAND, Klasse 440, diente für Generationen<br />

von Offizieren und Unteroffizieren der Bundesmarine als schwimmende<br />

Ausbildungsstätte. Marine-Fotoarchiv Wilhelmshaven<br />

Ruge und Wagner bei einem informellen<br />

Jagdausflug das Vertrauen und die<br />

Unterstützung ihrer dänischen Kameraden<br />

gewinnen können, für die es<br />

aus politischen Gründen aufgrund der<br />

jüngsten Vergangenheit nicht einfach<br />

war, in Kriegszeiten dänische Streitkräfte<br />

einem deutschen Offizier unterstellen<br />

zu müssen, selbst wenn dieser<br />

als NATO-Befehlshaber als Vertreter<br />

des Bündnisses handelte.<br />

Auf anderen Gebieten war und blieb<br />

Ruge einer Tradition verhaftet, die vor<br />

1945 geprägt worden war. Es fiel ihm<br />

schwer, den Befehlshaber des Flottenkommandos<br />

Konteradmiral Rolf Johannesson,<br />

einen sehr unabhängigen und<br />

kritischen Geist, zu ertragen. So notierte<br />

Ruge über ihn lapidar: »Muss weg.«<br />

Dabei hätte es sich durchaus gelohnt<br />

zu ergründen, was Johannesson eigentlich<br />

bewegte, denn jener hatte es nicht<br />

nur während des Zweiten Weltkrieges<br />

in einer im Kameradenkreis aufsehenerregenden<br />

Weise gewagt, sich kritisch<br />

über Hitler zu äußern, sondern er hob<br />

1957 mit Unterstützung des des Historikers<br />

Jürgen Rohwer eine bis heute<br />

bestehende Institution der Bundesmarine<br />

aus der Taufe: die jährliche Historisch-taktische<br />

Tagung der Flotte; ein<br />

Forum, das seitdem Raum für konstruktive<br />

und kontroverse Reflexion<br />

innerhalb des Offizierkorps der Bundesmarine<br />

geboten hat.<br />

Bundesmarine und Innere Führung<br />

Das mit Aufstellung der Bundeswehr<br />

ebenfalls ganz neu entwickelte Konzept<br />

der Inneren Führung scheint der<br />

erste Inspekteur der Bundesmarine niemals<br />

völlig verinnerlicht zu haben.<br />

Zwar setzte er sich mit dessen geistigen<br />

Architekten, Wolf Graf Baudissin, hierüber<br />

auseinander, war aber schließlich<br />

der Meinung, dass es sich hierbei um<br />

ein Prinzip handele, »das vernünftige<br />

Leute in der Marine doch schon immer<br />

befolgt hätten«. Dennoch blieb wohl<br />

zeitlebens die Frage für ihn offen,<br />

was der Vorgesetzte im Rahmen des<br />

Konzepts der Inneren Führung denn<br />

eigentlich »konkret tun« solle. Bei der<br />

Personalführung haderte Ruge stets<br />

damit, dass er hier zu wenig Einfluss<br />

zu haben glaubte, denn sie lag letztlich<br />

in den Händen eines zivilen Abteilungsleiters<br />

des Ministeriums. Offiziell<br />

trat Ruge zwar für »Offenheit und Ehrlichkeit«<br />

im Umgang mit den Untergebenen<br />

ein, was aber Grenzen gehabt<br />

zu haben scheint, da aus seiner Sicht<br />

die Eröffnungspflichten des Beurteilungssystems<br />

der Bundeswehr »viel zu<br />

weitgehend« waren und er es befürwortete,<br />

die Untergebenen darüber im<br />

Dunkeln zu lassen, ob sie beispielsweise<br />

auf ihren gegenwärtigen Dienstposten<br />

befördert werden konnten oder<br />

nicht.<br />

Dergleichen patriarchalische Tendenzen<br />

waren wohl durchaus repräsentativ<br />

für den bei vielen Flaggoffizieren<br />

(Offiziere im Admiralsrang)<br />

seinerzeit herrschenden Geist. So hatte<br />

der spätere Flottenchef und Architekt<br />

der Modernisierung der Bundesmarine<br />

Vizeadmiral Heinrich Gerlach<br />

intern noch vor der Gründung der Bundesmarine<br />

die Eignung des deutschen<br />

Volkes für die Demokratie in Zweifel<br />

gezogen. Solche Haltungen unterschieden<br />

sich jedoch keineswegs von vielfach<br />

auch sonst in der Gesellschaft der<br />

jungen Bundesrepublik vorhandenen<br />

Einstellungen.<br />

Menschenbild und politisches Denken<br />

der Philosophie der Aufklärung,<br />

obgleich zwar mit dem Grundgesetz<br />

nunmehr zur Verfassungsgrundlage<br />

des Staates und somit auch der Bundesmarine<br />

geworden, prägten eben noch<br />

keineswegs im vollen Umfang das tatsächliche<br />

Denken des Führungspersonals<br />

der neuen Marine. Dies ist keineswegs<br />

überraschend, wenn man in<br />

Betracht zieht, dass die Ablehnung<br />

genau dieser Prinzipien von den Marineoffizieren<br />

während ihres Dienstes<br />

in den Vorgängermarinen der Bundesmarine<br />

sozusagen mit der Muttermilch<br />

aufgesogen worden war. Noch in<br />

den 1970er Jahren hatte praktisch die<br />

gesamte Führungsspitze der Bundesmarine<br />

auf diesem Gebiet ihre Schwierigkeiten,<br />

obgleich inzwischen mehr als<br />

zehn Jahre vergangen waren, in denen<br />

man die notwendigen »Hausaufgaben«<br />

hätte machen können. Das vom<br />

deutschen Marinehistoriker Michael<br />

Salewski als »schmale Bögen der Kontinuität«<br />

bezeichnete und primär an<br />

den Personen Ruge und Wagner festgemachte<br />

Fortwirken von Haltungen<br />

und Einstellungen aus den Vorgängermarinen<br />

der Bundesmarine scheint sich<br />

tatsächlich hier noch ausgewirkt zu<br />

haben. Aus diesen Schwierigkeiten mit<br />

der Inneren Führung kann geschlossen<br />

werden, dass diese Kontinuitätsbögen<br />

in mancher Hinsicht keineswegs<br />

so schmal waren.<br />

6<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


5 Das Landungsboot L 750 KROKODIL wurde 1958 bei der US Navy gekauft<br />

und später mit einer neuen Bugrampe und einem Hubschrauberdeck ergänzt.<br />

Marine-Fotoarchiv Wilhelmshaven<br />

Konzepte für den Ernstfall<br />

Auf Grundlage des in den konzeptionellen<br />

Dokumenten niedergelegten<br />

Aufgabenkataloges und der damaligen<br />

NATO-Strategie der »massiven (atomaren)<br />

Vergeltung« (Massive Retaliation)<br />

begann die Marine unter Ruges<br />

Führung ab 1958 konkretere Überlegungen<br />

darüber anzustellen, wie sie<br />

ihren Auftrag im Kriegsfall erfüllen<br />

konnte. Das damalige Kriegsbild ging<br />

von einem atomaren und konventionellen<br />

Großangriff des Warschauer<br />

Paktes aus, wobei von Anfang an und<br />

über eine Dauer von etwa 30 Tagen der<br />

Austausch von Nuklearschlägen im<br />

Vordergrund stehen würde. Diese Phase<br />

hoffte die Bundesmarine, gestützt<br />

auf eine Versorgung durch in See<br />

stehende logistische Komponenten,<br />

noch vergleichsweise besser zu überstehen<br />

als die im höheren Maß von<br />

ortsfesten Landeinrichtungen abhängigen<br />

Schwesterteilstreitkräfte Heer<br />

und Luftwaffe.<br />

Der Schwerpunkt des gegnerischen<br />

Angriffs wurde im Ostseebereich erwartet.<br />

Die Abwehr der hier angenommenen<br />

triphibischen Landungsoperationen<br />

großen Stils gegen die<br />

Ostseezugänge sollte dann als dynamische<br />

Vorwärtsverteidigung erfolgen:<br />

Man wollte die gegnerischen Landungsverbände<br />

bereits möglichst weit<br />

ostwärts mit Ubooten angreifen, in der<br />

mittleren Ostsee stellen, durch kombinierte<br />

Angriffe von Schnellbooten,<br />

Jagdbombern und Zerstörern entscheidend<br />

schwächen und spätestens im<br />

Bereich der Landungsstrände durch<br />

den zusätzlichen defensiven Einsatz<br />

von Minen vollends zerschlagen.<br />

Gleichzeitig sollten dem Gegner auch<br />

die Nutzung der Seewege der Ostsee<br />

zur Unterstützung seines Vorstoßes<br />

nach Westeuropa verwehrt und die<br />

eigenen Nachschubrouten von Westen<br />

gesichert werden.<br />

Eine Serie von Planspielen, die die<br />

Bundesmarine zur Klärung verschiedener<br />

Aspekte solcher Operationen bis<br />

Anfang der 1960er Jahre durchführte,<br />

führte jedoch bald zu einer ernüchternden<br />

Erkenntnis: Insbesondere in<br />

den militärisch entscheidenden Gebieten<br />

der mittleren und westlichen Ostsee<br />

waren aufgrund der erdrückenden<br />

sowjetischen Überlegenheit an modernen<br />

Seeluftstreitkräften erfolgreiche<br />

Operationen bundesdeutscher und dänischer<br />

Überwasserkräfte nicht möglich.<br />

Damit wurde auch das Zusammenwirken<br />

zwischen Jagdbombern<br />

und Schnellbooten, die ursprünglich als<br />

das wichtigste Mittel zur Abwehr von<br />

Landungsverbänden betrachtet worden<br />

waren, hinfällig. Man ging nun<br />

davon aus, dass selbst nach durchgeführtem<br />

Atomic Strike Plan ASP der<br />

NATO, Zielplanung für Einsätze von<br />

Nuklearwaffen, die gegnerische Luftüberlegenheit<br />

noch nicht hinreichend<br />

reduziert sein würde. Ohne massive<br />

Hilfe der NATO-Partner sah die Marineführung<br />

keinerlei Möglichkeit, den<br />

sowjetischen Vormarsch in der Ostsee<br />

aufzuhalten. Das war durchaus eine<br />

Art konzeptioneller Offenbarungseid,<br />

denn letztlich war ja die Notwendigkeit<br />

eines bundesdeutschen maritimen<br />

Verteidigungsbeitrages gerade mit dem<br />

5 Das Uboot U1. Die Klasse 201 wurde 1962 in Dienst<br />

gestellt. U1 blieb nach einem Umbau zur Klasse 205 A<br />

noch bis 1991 im Dienst. Marine-Fotoarchiv Wilhelmshaven<br />

Fehlen von NATO-Kräften in der Ostsee<br />

sowie der speziellen deutschen<br />

Kenntnis von Seegebiet und Gegner<br />

dort gerechtfertigt worden.<br />

Die Lage veränderte sich jedoch<br />

wesentlich, als die Jagdbomber der<br />

Marineflieger der sowjetischen Rotbannerflotte<br />

in der Ostsee 1961 der sowjetischen<br />

Luftverteidigung unterstellt<br />

wurden. Daher standen sie nicht mehr<br />

für Einsätze gegen Seeziele zur Verfügung<br />

und übten diese Rolle auch nicht<br />

mehr, sondern waren nur noch für den<br />

Kampf gegen westliche zum »strike«<br />

einfliegende Luftstreitkräfte vorgesehen.<br />

Damit waren aber keineswegs alle<br />

Sorgen der Bundesmarine weggefallen,<br />

denn inzwischen waren Schiff-Schiff-<br />

Flugkörper auf den sowjetischen Einheiten<br />

eingeführt worden, denen der<br />

Westen damals noch nichts Gleichwertiges<br />

entgegen zu setzen hatte.<br />

Erweitert wurde dieses neue Bedrohungspotzenzial<br />

durch weit reichende<br />

Flugkörper an Bord der neu eingeführten<br />

sowjetischen »Badger«-Bomber.<br />

Dieser Bedrohung entsprach auch<br />

die erste »offizielle« von Vizeadmiral<br />

Edward Wegener entworfene Konzeption<br />

der Marine noch nicht, weshalb<br />

Zenker, seit 1961 Ruges Nachfolger als<br />

Inspekteur, den nachmaligen Flottenchef<br />

Gerlach beauftragte, einen Ausweg<br />

aus dieser unbefriedigenden Situation<br />

zu finden. Dieser entwarf daraufhin die<br />

Vision einer bis etwa 1970 zu modernisierenden<br />

Flotte, in der mit Flugabwehrflugkörpern<br />

bestückte Korvetten<br />

einen Luftschirm bilden sollten,<br />

unter dem dann mit verbesserter Artillerie,<br />

vor allem aber mit weitreichen-<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 7


Bundesmarine<br />

Meuterei oder Bürgerrecht?<br />

Fernab konzeptioneller Probleme ereignete sich in der<br />

Flotte 1971 eine Art »kleiner Meuterei«, die wohl besonders<br />

geeignet ist zu belegen, dass auch in der Marine<br />

»überkommene Autoritäten einem bisher ungekannten<br />

Legitimationszwang« unterworfen wurden: Offiziere eines<br />

Marinefliegergeschwaders hatten sich für eine Gleichbehandlung<br />

bei den Zulagen eingesetzt und sich in diesem<br />

Zusammenhang kurz vor der entscheidenden Sitzung des<br />

zuständigen Bundestagsausschusses zu diesem Thema an<br />

den Bundeswehrverband, an SPD- und FDP-Abgeordnete<br />

sowie den Wehrbeauftragten Fritz-Rudolf Schultz<br />

gewandt. Außerdem waren über die Vertrauensleute zahlreiche<br />

Briefe in dieser Angelegenheit an Verteidigungsminister<br />

Helmut Schmidt (SPD) gelangt.<br />

Die Marineführung reagierte prompt: Die Vertrauensleute<br />

wurden kurzfristig nach Bonn gerufen, wo der<br />

stellvertretende Inspekteur Vizeadmiral Heinz Kühnle<br />

ihnen gegenüber angeblich nicht allein seinen Unmut<br />

5 Verteidigungsminister Helmut Schmidt mit Vertrauensmännern der<br />

Bundeswehr<br />

ausdrückte, sondern ihnen auch das Recht bestritt, sich vor vollständiger Ausschöpfung des Beschwerdeweges an den Wehrbeauftragten<br />

zu wenden, dessen Notwendigkeit er ohnehin nicht einsehe, und er bezweifelte zudem das Recht des Soldaten, sich mit<br />

einer Petition direkt an den Minister zu wenden. Sogleich nach der Rückkehr der Vertrauensleute untersagte ihnen der Kommandeur<br />

der Marinefliegerdivision persönlich, die Äußerungen des stellvertretenden Inspekteurs an die Presse dringen zu lassen, und<br />

kurz darauf teilte der Geschwaderkommodore seinen Offizieren die »schärfste Missbilligung« ihres Vorgehens durch den Inspekteur<br />

Vizeadmiral Gert Jeschonnek, den Flottenchef Vizeadmiral Armin Zimmermann und den Kommandeur der Marinefliegerdivision<br />

Flottillenadmiral Günter Luther mit. Er verbot ihnen jegliche direkte Kontaktaufnahme mit dem Wehrbeauftragten, Minister und<br />

den Abgeordneten sowie sich an die Öffentlichkeit zu wenden.<br />

Unverzüglich verstießen die empörten Offiziere gegen diesen Befehl, informierten den Wehrbeauftragten<br />

und forderten, obgleich der zwischenzeitlich herbeigeeilte Kommandeur der<br />

Marinefliegerdivision den Befehl des Kommodore widerrufen hatte, die Bestrafung des Inspekteurs,<br />

seines Stellvertreters, des Flottenchefs und des Kommandeurs der Marinefliegerdivision.<br />

Der Inspekteur bestritt nun in einem Fernschreiben, dass der Versuch gemacht worden sei,<br />

den Offizieren das Petitionsrecht vorzuenthalten, warf ihnen aber vor, den Dienstweg nicht<br />

5 Vizeadmiral Gert Jeschonnek,<br />

Inspekteur der Marine<br />

1967–1971<br />

eingehalten zu haben. Seine Missbilligung wollte er nur auf ausdrücklichen Befehl des Ministers<br />

zurücknehmen. Die betroffenen Offiziere bekräftigten indessen in Presseinterviews ihre<br />

Haltung und erklärten, dass der Inspekteur ihnen im Endeffekt zwar bescheinigt habe, dass<br />

ihre Aktivitäten rechtens gewesen seien, ihnen aber zugleich beizubringen versucht habe, es sei<br />

»nicht alles richtig was rechtens ist«.<br />

In seinem Abschlussbericht konstatierte der Wehrbeauftragte »Unklarheiten« in den Befehlen<br />

und Äußerungen der beteiligten Flaggoffiziere und riet dazu, »Fehler, die aus menschlicher<br />

Unvollkommenheit begangen worden sind«, zuzugeben. Autorität werde dadurch eher gewonnen<br />

denn verloren. Wenngleich es dazu nicht kam, konnten schließlich alle Beteiligten zufrieden<br />

mit dem Ausgang der Affäre sein: Die Zulagen der Offiziere wurden auf ein einheitliches<br />

Niveau angehoben und einer der Beschwerdeführer wurde später Kommodore seines Geschwaders.<br />

Der stellvertretende Inspekteur wurde der nächste Inspekteur der Marine, der Chef der Marinefliegerdivision der übernächste<br />

Inspekteur, der Flottenchef gar Generalinspekteur der Bundeswehr und der damalige Inspekteur ging planmäßig in den Ruhestand.<br />

Zwölf Tage nach der Pensionierung hob Verteidigungsminister Schmidt die Missbilligung des vormaligen Inspekteurs auf.<br />

Dieser in der deutschen Marinegeschichte einmalige Vorgang belegt eine Veränderung, deren Richtung erkennbar wird, wenn<br />

man sich verdeutlicht, dass ein derartiges Aufbegehren samt Petition ans Parlament von Untergebenen in den Marinen, in denen<br />

die Gründerväter der Bundesmarine gedient hatten, kaum vorstellbar war. Kam dergleichen, wie z.B. 1917 in der kaiserlichen<br />

Marine, dennoch vor, so waren Todesurteile und Staatskrise nicht weit. Umgekehrt erscheint es heute als kaum vorstellbar, dass<br />

einem Angehörigen der Deutschen Marine seine Petitionsrechte bestritten würden.<br />

dpa/Der Spiegel<br />

Marine-Fotoarchiv Wilhelmshaven<br />

8<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


Marine-Fotoarchiv Wilhelmshaven<br />

Marine-Fotoarchiv Wilhelmshaven<br />

5 Schnellboot P6191 HUGIN, Klasse 152<br />

5 Zerstörer Z1 (D 170). Die Zerstörer Z1 bis<br />

Z6 wurden Ende der 1950er Jahre als<br />

Leihgabe von der US Navy übernommen.<br />

Nach mehreren Verlängerungen der Leihfrist<br />

wurden sie 1976 angekauft.<br />

5 Der Zerstörer LÜTJENS (D 185) ist ein im<br />

Text genannter DDG. Er wurde im Auftrag<br />

der Bundesregierung in den USA gebaut<br />

und am 22. März 1969 in Dienst gestellt.<br />

den, drahtgelenkten Torpedos bewaffnete<br />

Schnellboote zusammen mit dem<br />

bereits zur Einführung vorgesehenen<br />

F-104-Jagdbombern vom Typ »Starfighter«<br />

nunmehr mit deutlich verbesserten<br />

Erfolgsaussichten eingesetzt<br />

werden sollten. Krönung des Modernisierungsprogrammes<br />

sollte aber der<br />

Lenkwaffenzerstörer werden, von dem<br />

man sich nicht allein eine wichtige Rolle<br />

bei der Landungsabwehr in der Ostsee<br />

erhoffte – er sollte sogar so ausgerüstet<br />

sein, dass er den Abwehrkampf<br />

in der östlichen Ostsee führen konnte.<br />

Als wichtiges Bindeglied all dieser<br />

neuen modernen Waffensysteme war<br />

Marine-Fotoarchiv Wilhelmshaven<br />

Marine-Fotoarchiv Wilhelmshaven<br />

5 Jagdbomber F 104 STARFIGHTER<br />

das computerbestückte Marineführungssystem<br />

vorgesehen, das die Flotte<br />

befähigen sollte, auch im Zeitalter der<br />

Bedrohung durch überschallschnelle<br />

Flugkörper rechtzeitig zu handeln.<br />

Zenker war durchaus erfolgreich<br />

damit, sich der notwendigen politischen<br />

Unterstützung zur Finanzierung<br />

dieses Programms zu versichern; der<br />

Zeitplan konnte jedoch nicht eingehalten<br />

werden, nicht zuletzt weil sich<br />

etliche unerwartete Schwierigkeiten<br />

auftaten. Zwar lief die Beschaffung<br />

des Lenkwaffenzerstörers (DDG), nicht<br />

zuletzt dank des Vertrauens, das Zenker<br />

bei Verteidigungsminister Kai-Uwe<br />

von Hassel genoss, vergleichsweise<br />

zügig an. Doch schon 1964 musste<br />

die Marine ernüchtert feststellen, dass<br />

ausgerechnet der DDG für die vorgesehenen<br />

Ostseeaufgaben völlig unbrauchbar<br />

war. Erschwerend kamen<br />

finanzielle Einschnitte unter der CDU/<br />

CSU-SPD-Regierung der großen Koalition<br />

ab 1966 hinzu, die letztlich dazu<br />

führten, dass das Marineführungssystem<br />

erst in der ersten Hälfte der 1980er<br />

Jahre einsatzbereit wurde. Erste Schritte<br />

zur Einführung von Seeziel-Flugkörpern<br />

erfolgten am Beginn der 1970er<br />

Jahre, als mit den Schnellbooten der<br />

Klasse 148 mit »Exocet«-Flugkörpern<br />

bestückte Boote von Frankreich erworben<br />

wurden.<br />

Inzwischen hatte sich allerdings auch<br />

auf internationaler Ebene der verteidigungspolitische<br />

Hintergrund wesentlich<br />

und zum Vorteil für die Marine<br />

gewandelt: Ende 1967 war nämlich<br />

das Konzept der »Massive Retaliation«<br />

durch die »Flexible Response« als<br />

NATO-Strategie abgelöst worden. Sie<br />

sah anstatt der von der eigentlichen<br />

Aggressionsart unabhängigen, sofortigen<br />

nuklearen Reaktion nunmehr<br />

eine dem Grad der Aggression angepasste<br />

Antwort vor. Als wahrscheinlichstes<br />

Szenario wurden nun Formen<br />

des begrenzten Krieges angesehen. Für<br />

die Bundesmarine bedeutete dies eine<br />

kaum zu überschätzende Erleichterung<br />

ihrer Aufgaben, waren doch ihre vorhandenen<br />

und geplanten begrenzten<br />

Ressourcen erheblich besser in der<br />

Lage, den neuen, ebenfalls als eher<br />

begrenzt gedachten Herausforderungen<br />

zu entsprechen. Zusammen mit<br />

dem Modernisierungsprogramm sah<br />

die »konzeptionelle Zukunft« für die<br />

Bundesmarine nun ganz erheblich<br />

erfreulicher aus als während der ersten<br />

Begegnung mit der harschen Realität<br />

am Ende der 1950er Jahre. Wie<br />

sich dies jedoch tatsächlich gestaltet<br />

hat, wird letztlich erst mit der Verfügbarkeit<br />

der Akten für die Forschung zu<br />

beantworten sein.<br />

Erstmals im 20. Jahrhundert scheinen<br />

ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre<br />

in Deutschland die verfügbaren maritime<br />

Mittel den ihr gestellten Aufgaben<br />

auch tatsächlich entsprochen zu haben.<br />

Zudem ist festzustellen, dass auch der<br />

Wunsch der Gründerväter der damaligen<br />

Bundesmarine, ihre Marine zu<br />

einem kleinen aber weltweit wieder<br />

geschätzten und geachteten Partner<br />

zu machen, heute in einem Ausmaß<br />

erreicht ist, das sie sich damals kaum<br />

erträumt haben dürften, zumal dies<br />

im krassen Gegensatz zu den Vorgängermarinen<br />

nicht im Konflikt, sondern<br />

im NATO-Bündnis und in Kooperation<br />

mit der internationalen Völkergemeinschaft<br />

der Vereinten Nationen erreicht<br />

worden ist.<br />

• Johannes Berthold Sander-Nagashima<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 9


Sanitätsdienst vor Verdun<br />

5<br />

Erste Hilfe an der Front<br />

Der Sanitätsdienst vor Verdun im Ersten Weltkrieg<br />

Bayer. Hauptstaatsarchiv,<br />

Abteilung IV, Kriegsarchiv<br />

BSD-San 4<br />

»Die Verhältnisse des Weltkrieges<br />

sind über alles hinausgewachsen,<br />

was Kriege je gezeitigt hatten.«<br />

Diese Worte, ausgesprochen vom<br />

Nachfolger Moltkes des Jüngeren, dem<br />

vormaligen Kriegsminister und Chef<br />

der Obersten Heeresleitung (OHL) im<br />

Ersten Weltkrieg, General der Infanterie<br />

Erich von Falkenhayn, können auch<br />

zur Beschreibung der Situation des<br />

Militärsanitätswesens während des<br />

Krieges verwendet werden. Noch nie<br />

zuvor in der europäischen Geschichte<br />

wurde ein Militärsanitätswesen mit<br />

einer so gewaltigen Zahl schwerer und<br />

schwerster Verwundungen wie auch<br />

Erkrankungen konfrontiert.<br />

Die ärztlichen Erfahrungen im<br />

Ersten Weltkrieg waren für die<br />

moderne Medizin ein Wendepunkt<br />

von globaler Bedeutung, von<br />

dem viele weitere technische Entwicklungen<br />

im 20. Jahrhundert ihren Ausgang<br />

nahmen. Dies gilt sowohl für<br />

die Bereiche der Hygiene, der chirurgischen<br />

Versorgung, der routinemäßigen<br />

Tetanusimpfung, der Bluttransfusion<br />

als auch für die Röntgen- und<br />

Labordiagnostik.<br />

Statistisch gesehen erlitt jeder überlebende<br />

Soldat im Durchschnitt eine<br />

Verletzung während des Krieges und<br />

geriet infolgedessen in Kontakt mit<br />

dem Militärsanitätswesen. Bei einer<br />

Gesamtstärke des deutschen Heeres<br />

im Jahre 1917/18 von 7,1 Millionen<br />

Mann, führt der Sanitätsbericht über<br />

das Deutsche Heer im Weltkriege eine<br />

erschreckende Zahl von 1,9 Millionen<br />

toten Deutschen und 5,6 Millionen Verwundungen<br />

an.<br />

Die Mobilisierung für den Krieg<br />

umfasste das gesamte medizinische<br />

System des deutschen Kaiserreiches.<br />

Insgesamt wurden 25 000 Ärzte eingesetzt,<br />

davon ein Viertel in der Heimat.<br />

Neben dem militärischen Sanitätsdienst<br />

leistete auch die »Freiwillige<br />

Krankenpflege« mit 202 000 Personen<br />

Hilfe.<br />

Als eine der bekanntesten Schlachten<br />

und als Beispiel für die Grenze einer<br />

sanitätsdienstlichen Versorgung kann<br />

die Schlacht vor Verdun im Jahr 1916<br />

angesehen werden. In deren Verlauf<br />

setzte die OHL 48 deutsche Divisionen<br />

ein, mehr als 600 000 Soldaten starben<br />

auf beiden Seiten der Front.<br />

Verdun wurde im Gedächtnis der<br />

Menschen – bis heute – zum Symbol<br />

einer »ewigen Schlacht«, einer »Blut-<br />

10<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


»Frankreichs Kräfte sollen<br />

verbluten« – Angriffsziel<br />

Verdun<br />

deutsche 5. Armee<br />

Avocourt<br />

Malancourt<br />

Forges<br />

Maas-Gruppe-West<br />

304<br />

Toter Mann<br />

(Mort Homme)<br />

Frontlinie am 21.2.1916<br />

Frontlinie Ende Juli 1916<br />

Frontlinie am 15.12.1916<br />

Permanente Anlagen der<br />

Festung Verdun<br />

Angriffe deutscher Truppen<br />

Gegenangriffe der französischen<br />

Truppen im<br />

Oktober und Dezember 1916<br />

0 5 10<br />

km<br />

Nach dem Scheitern der deutschen Offensive<br />

in der ersten Kriegsphase änderte die<br />

OHL die Taktik des militärischen Vorgehens<br />

im Verlauf des Jahres 1915, da General<br />

von Falkenhayn erkennen musste, dass<br />

Deutschland nicht mehr die wirtschaftlichen<br />

und militärischen Mittel zur Verfügung<br />

hatte, einen völligen Sieg zu erringen.<br />

Als Alternative sollte nun der Wille des<br />

Gegners zermürbt und letztendlich gebrochen<br />

werden. Die Strategie der Abnutzungsschlacht<br />

war geboren. Sie sah vor,<br />

die Alliierten an der Westfront solange in<br />

immer schwerere Kämpfe zu verwickeln,<br />

bis in Frankreich nicht mehr genug Menschen<br />

und Material zur Verfügung standen,<br />

um den Kampf fortzusetzen. Falkenhayn<br />

nahm an, dass das Deutsche Reich als Angreifer bei Verdun den Kräfteeinsatz beliebig begrenzen und kontrollieren könne. Die<br />

Franzosen würden dagegen »weißbluten«. Selbst wenn die Festung dem deutschen Angriff der 5. Armee standhielt, blieb so das strategische<br />

Ziel erhalten, nämlich die Schwächung und schließlich die Zermürbung des französischen Heeres.<br />

In und um Verdun waren seit der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 von der französischen Armee zahlreiche stark<br />

befestigte moderne Forts errichtet worden. Diese Festungsanlagen beiderseits des Flusses Maas (Frz.: Meuse) wurden von drei Seiten<br />

von dicht bewaldeten Höhen eingeschlossen. Der deutsche Angriffsraum umfasste dort ein Areal von ca. 16 x 16 Kilometern.<br />

Me u s e<br />

deutsche<br />

Ma a s<br />

"He ilige S tra ß e " ("Voie S a cré e )<br />

n. Souilly und Bar -le-Duc<br />

M a a<br />

5. Armee<br />

s -<br />

Ornes<br />

Douaumont Fort Douaumont<br />

Fort Souville<br />

Verdun<br />

G r u<br />

Die Schlacht um Verdun 1916<br />

p p<br />

Vaux<br />

Fleury Fort Vaux<br />

e - O<br />

deutsche 5. Armee<br />

s t<br />

Etain<br />

Fresnes<br />

© Ing.-Büro für Kartographie J.Zwick, Gießen<br />

mühle«. Die traumatischen Erfahrungen<br />

der Kämpfe, die Hilflosigkeit des<br />

Sanitätswesens und die Hunderttausenden<br />

von Invaliden und Kriegsversehrten,<br />

prägten noch Jahre später das<br />

Straßenbild in Dörfern und Städten der<br />

Weimarer Republik.<br />

Am 4. Januar 1916 beschloss die OHL<br />

den Angriff der 5. Amee auf Verdun,<br />

der vom Generalstab mit äußerster<br />

Gründlichkeit vorbereitet wurde. Pioniere<br />

errichteten insgesamt 24 neue<br />

Bahn- und Verladestellen sowie Straßen,<br />

ebenso Artilleriestellungen, Unterkünfte,<br />

Munitionsdepots, Versorgungslager<br />

und ein dichtes Fernsprechnetz.<br />

Im Hauptangriffsgebiet platzierte das<br />

deutsche Heer 1200 Geschütze aller<br />

Art. Über 2,5 Millionen Granaten und<br />

ungeheure Mengen von Material wurden<br />

in das Kampfgebiet transportiert<br />

und dort gelagert.<br />

Auch der Sanitätsdienst versuchte,<br />

sich auf die kommende Schlacht vorzubereiten.<br />

Das Sanitätsdepot stellte<br />

Verbandsmaterial und Medikamente<br />

bereit. Die Grundvoraussetzungen für<br />

die medizinische Betreuung der Soldaten<br />

waren jedoch denkbar schlecht.<br />

Durch das schlechte Wetter liefen die<br />

Sanitätsunterstände schon vor Beginn<br />

der Offensive fußhoch voll Wasser<br />

und mussten zum Großteil aufgegeben<br />

werden. So fehlte es an bombensicheren<br />

Truppenverbandplätzen.<br />

Infolge der stets hohen Ausfallraten<br />

beim Sanitätspersonal konnte nicht ausreichend<br />

medizinisches Personal zur<br />

Verfügung gestellt werden. Die OHL<br />

verlegte in einen Angriffsraum vier<br />

neue Armeekorps und große Verbände<br />

schwerer Artillerie, in dem sich bis<br />

dahin nur fünf Feldlazarette und ein<br />

Ortslazarett mit insgesamt nur 1800<br />

Betten befanden. Es fehlte also schon<br />

vor Beginn der Offensive an der nötigen<br />

Infrastruktur und Koordination.<br />

Nur nach und nach konnten die rückwärtigen<br />

Einrichtungen der Hauptverbandplätze<br />

und Feldlazarette verbessert<br />

werden.<br />

Der Angriffstermin war auf den 12.<br />

Februar 1916 festgelegt, musste aber<br />

wegen des schlechten Wetters auf den<br />

21. des Monats verlegt werden. Der<br />

deutsche Angriff begann und verlief<br />

bis zum 25. Februar planmäßig;<br />

er brachte die französische Führung<br />

in eine ernste Krise. Der Befehl des<br />

französischen Oberkommandierenden,<br />

Verdun um jeden Preis zu halten,<br />

bewirkte jedoch die Verlängerung dieser<br />

furchtbaren Schlacht. Gegen die<br />

ständige Verstärkung der französischen<br />

Verteidigungskräfte kam nun<br />

die immer größer werdende Erschöpfung<br />

des Angreifers<br />

Verwundetentransport<br />

Die vorderste Frontlinie in Verdun<br />

bestand nicht aus einer durchgehenden<br />

Linie, sondern nur aus notdürftig miteinander<br />

verbundenen Wasserlöchern<br />

und Granattrichtern ohne Verbindung<br />

nach hinten; dazwischen befanden sich<br />

vereinzelte, betonierte Grabenstücke<br />

oder noch nicht ganz zusammengeschossene<br />

Werke. Jeden Versuch der<br />

Soldaten, sich tiefer einzugraben, um<br />

einen größeren Schutz zu erreichen,<br />

zerschlug die Feuerwirkung der Artillerie<br />

des Gegners. Tag und Nacht spiel-<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 11


Sanitätsdienst vor Verdun<br />

Gas<br />

Am 22. April 1915 setzten die Deutschen bei Ypern zum ersten Mal massenhaft Giftgas ein. Der Einsatz der Kampfgase übertraf<br />

alles bisher im Kriege erlebte Grauen. Von den Deutschen eingesetzt, indem Chlorgasflaschen in die vorderste Stellung eingegraben<br />

und das Chlorgas bei entsprechender Windrichtung auf die feindlichen Stellungen abgeblasen wurde, später in Granaten<br />

gefüllt, bewirkte es eine Verätzung der Schleimhäute. Die Franzosen verwendeten hingegen meist Phosphor- und Phosgengranaten.<br />

Die Phosgengranate war auch mit Zinntetrachlorid gefüllt und<br />

dieser zerfraß die Bindehäute der Augen, dadurch verloren viele Opfer<br />

ihr Augenlicht. Im September 1915 wurde auf deutscher Seite eine erste<br />

Gasmaske aus gummiertem Stoff mit abschraubbarem Filter eingeführt.<br />

Bayer. Hauptstaatsarchiv,<br />

Abteilung IV, Kriegsarchiv, BSD<br />

te sich der Kampf um einzelne Höhen<br />

ab. Kompanien, die eine Stärke von 220<br />

Mann aufwiesen, wurden schon auf<br />

dem verlustreichen Vormarsch in ihre<br />

Stellung auf 50 bis 80 Mann vermindert.<br />

Auch für den Sanitätsdienst gab es<br />

keine schusssicheren Unterstände. Die<br />

Verwundeten mussten deshalb häufig<br />

im Freien versorgt werden. Sanitätspersonal<br />

und Patienten waren somit<br />

ständig dem schweren Artilleriefeuer<br />

ausgesetzt.<br />

Die Rettungstaktik beschränkte sich<br />

daher auf einen möglichst raschen<br />

Abtransport der Verwundeten. Oft war<br />

dies jedoch auch nicht mehr möglich.<br />

Während des Verwundetentransports<br />

stieg die Zahl der Ausfälle bei den<br />

Krankenträgern stetig an. Ein Teil<br />

der verwundeten Soldaten wurde auf<br />

dem Rücktransport noch ein weiteres<br />

Mal verwundet oder sogar getötet.<br />

Der zunehmende Bedarf an Personal<br />

und Krankentragen konnte nicht mehr<br />

gedeckt werden. Den Abtransport behinderten<br />

auch die zahlreichen kleinen<br />

Schluchten, die Granatlöcher und<br />

das in großer Menge herumliegende<br />

Kriegsmaterial.<br />

Für die Krankenträger war es schwer,<br />

die Orientierung zu behalten. Im günstigsten<br />

Fall benötigten vier Krankenträger<br />

dreieinhalb Stunden, um vom<br />

vorgeschobenen Hauptverbandplatz<br />

(HVPL) aus einen Verwundeten über<br />

den Truppenverbandplatz zurück zum<br />

HVPL zu transportieren. Das Tragen<br />

der Verwundeten auf den Schultern<br />

der Krankenträger – das Gewicht der<br />

3<br />

Versorgung von<br />

Gasverwundeten<br />

leeren Krankentrage lag schon bei über<br />

36 Pfund – bereitete schon nach kurzer<br />

Zeit starke Schmerzen. Ein Verwundetenabtransport<br />

bei Nacht war nur<br />

schwer möglich, weil die Krankenträger<br />

nachts die vorderen Truppenverbandplätze<br />

mit den nötigen Arznei-,<br />

Verband- und Erfrischungsmitteln<br />

(Wein, Kaffee, Tee, Wasser) versorgen<br />

mussten. Um diesem Mangel zu begegnen,<br />

versuchte der Chef des Feldsanitätswesens,<br />

jeder Division möglichst<br />

zwei Sanitätskompanien zuzuteilen.<br />

Es fehlte an motorisierten Fahrzeugen,<br />

um den Abtransport der Verletzten<br />

zu beschleunigen. Die bespannten<br />

Sanitätsfahrzeuge waren zu schwerfällig<br />

und blieben häufig im Schlamm<br />

stecken. Erst gegen Ende der Schlacht<br />

verfügte die Armee über 242 Sanitätskraftwagen,<br />

59 Omnibusse, 27 Personenwagen<br />

und 66 Anhänger. Der Großteil<br />

der Verletzten wurde mit einer<br />

benzolbetriebenen Kleinbahn abtransportiert.<br />

Verletzungen und Krankheiten<br />

In der Kämpfen um Verdun waren<br />

die weitaus meisten Verwundungen<br />

schwere Artillerieverletzungen, gefolgt<br />

von Splitterverletzungen, Zermalmungen<br />

und Handgranatenverletzungen.<br />

Der Arzt eines Lazarettes beschrieb<br />

sehr plastisch den Zustand der Soldaten:<br />

»wo aus den Minensprengungen<br />

heraus furchtbar zugerichtete Menschen<br />

unmittelbar von den Schützengräben und<br />

Sturmangriffen uns zukamen.[...] Verwilderte,<br />

mit zerrissenen Kleidern, über und<br />

über mit einer Schmutzkruste bedeckt, von<br />

schwarzem Blut überronnen, verlaust und<br />

in einen schauerlichen Geruch von Schweiß<br />

und Eiter gehüllt, so werden sie hereingetragen.«<br />

Die Ärzte hatten mit diesen schweren<br />

Verletzungen nur wenig Erfahrungen.<br />

Medizinische Unsicherheiten gab<br />

es besonders im Bereich der Schmerzbehandlung.<br />

Auch die Bluttransfusion<br />

wurde von den deutschen Ärzten nur<br />

zögerlich eingesetzt. Schwierigkeiten<br />

bei der Blutgruppenbestimmung und<br />

Komplikationen bei der Bluttransfusion<br />

schreckten die Militärärzte ab.<br />

Ab März übertraf die Anzahl der<br />

Kranken die der Verwundeten um das<br />

Doppelte. Es waren vor allem Grippe<br />

und Magen-Darm-Erkrankungen, die<br />

die Truppe zusätzlich schwächten.<br />

Gründe für deren Ausbreitung waren<br />

die nasskalte Witterung, die großen<br />

körperlichen Belastungen und die nicht<br />

ausreichende Ernährung der Soldaten.<br />

Hygiene<br />

Die hygienischen Verhältnisse in Verdun<br />

waren unbeschreiblich. Eine<br />

geordnete Versorgung mit frischem<br />

Trinkwasser konnte nicht gesichert<br />

werden. Meist wurde der Durst der<br />

Mannschaften mit in Zeltbahnen aufgefangenem<br />

Regenwasser oder größtenteils<br />

mit dem Wasser aus gefüllten<br />

Granattrichtern, die oft durch Schmutz<br />

und Leichenteile verunreinigt waren,<br />

gestillt. Die Truppen waren, durch<br />

den ständigen Beschuss der Artillerie<br />

bedingt, nicht in der Lage, Latrinen<br />

und Abfallgruben anzulegen. Müll<br />

und Schrott gruben die Soldaten an<br />

Ort und Stelle ein oder legten ihn<br />

12<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


5 Truppenverbandplatz<br />

Bayer. Hauptstaatsarchiv, Abteilung IV, Kriegsarchiv, BSD-San 11<br />

akg-images<br />

Deutsche Verluste in der Schlacht bei Verdun<br />

(21. Februar bis 11. Juli 1916)<br />

Anzahl<br />

Kranke 398 293<br />

Verwundete 241 860<br />

Gefallene 41 632<br />

Vermisste 26 739<br />

708 524<br />

Anteil an den<br />

Gesamtverlusten<br />

in Prozent<br />

56,2<br />

34,1<br />

5,9<br />

3,8<br />

100,0 5 Krankentransportwagen, Erster Weltkrieg<br />

Bayer. Hauptstaatsarchiv, Abteilung IV, Kriegsarchiv, BSD-San 37<br />

5 Sanitätshund im Ersten Weltkrieg apportiert<br />

die Mütze eines Verwundeten (nach Roloff).<br />

einfach ab. Ein großes Problem bereiteten<br />

dem Sanitätsdienst die zahlreichen<br />

umherliegenden Leichen. In Folge des<br />

heftigen Artilleriebeschusses wurden<br />

bereits beerdigte Soldaten immer wieder<br />

aus ihren Gräbern herausgerissen.<br />

Eigens gebildete Desinfektionstrupps<br />

versuchten die menschlichen Überreste<br />

mit Hilfe umfunktionierter Reblausspritzen<br />

mit Chlorkalk zu besprühen.<br />

Trotz dieser Maßnahme war der<br />

Leichengeruch in den dauernd unter<br />

Sperrfeuer liegenden Schluchten außerordentlich<br />

stark. Dies hatte auch Auswirkungen<br />

auf die psychische Verfassung<br />

der Soldaten. Ein Kommandeur<br />

berichtete:<br />

»Dass in langen, schweren Feldzügen<br />

bewährte Offiziere vollständig mit den Nerven<br />

zusammenbrachen, war keine Seltenheit,<br />

wühlten doch die schweren Geschosse<br />

die mühsam bestatteten Leichen immer<br />

wieder aus und warfen ihre Fetzen unter<br />

die Lebenden, die unter Durst schwer litten<br />

und nicht zu essen vermochten, selbst wenn<br />

ihnen Nahrung zugeführt wurde, was bei<br />

der ständigen Gefährdung der Zufahrtswege<br />

schwierig war. Die Tag und Nacht<br />

nie aufhörende Lebensgefahr erschütterte<br />

auch die festesten Herzen. Die Unterkunft<br />

in den feuchten Waldlagern rückwärts war<br />

auch eine geringe Erholung für die zurückgezogenen<br />

Teile, die zudem beständig dem<br />

Gang in die vordere Hölle entgegensahen.«<br />

Vor Verdun setzten beide Kriegsgegner<br />

Gas ein. Deshalb wurde der Raum<br />

von der vorderen deutschen Linie bis<br />

zu einer Tiefe von acht Kilometern<br />

nach rückwärts als gasgefährdet angesehen.<br />

Dennoch gab es auf deutscher<br />

Seite zahlreiche Verluste, da noch nicht<br />

alle Soldaten mit Schutzmasken ausgerüstet<br />

worden waren. Häufig hatten die<br />

Soldaten ihre Masken auch nicht griffbereit,<br />

weil sie befehlsgemäß wegen<br />

Mangel an Raum ihr Gepäck und mit<br />

diesem die Gasschutzmasken außerhalb<br />

der Unterstände aufbewahrten.<br />

Das Heraussteigen aus den Unterständen,<br />

um die Masken anzulegen, genügte<br />

meist, um bei ihnen schwere Vergiftungen<br />

herbeizuführen. Ein Arzt beschrieb<br />

den Gesundheitszustand von<br />

Gasverletzten:<br />

»Werden die Kranken mit dem Kraftwagen<br />

ausgeladen, so liegen sie vielfach<br />

gekrümmt, in allen möglichen Verrenkungen<br />

auf ihrer Trage. Vielen steht eine<br />

Schaumsäule von fünf bis zehn Zentimetern<br />

Länge vor dem Munde, wieder andere<br />

brechen ohne Unterlass, wieder andere<br />

liegen in ihrem Kot. Ein anderer Teil liegt<br />

schon sterbend bewusstlos auf der Tragbare.<br />

Und viele werden tot aus dem Wagen<br />

herausgehoben. Sie sind auf der Fahrt vom<br />

Sanitätsunterstand zum Feldlazarett verstorben.«<br />

Für den Sanitätsdienst erwiesen sich,<br />

durch die ungünstigen militärischen<br />

und organisatorischen Bedingungen<br />

beeinflusst, die rettungstaktischen und<br />

logistischen Probleme als unlösbar. Es<br />

fehlte an Personal, Fahrzeugen und<br />

Material. Die eingesetzten Sanitätseinheiten<br />

waren nicht in der Lage, die Massen<br />

von Verletzten zu versorgen. Die<br />

vorsorglich eingerichteten Sanitätseinrichtungen<br />

waren nicht ausreichend,<br />

daher mussten die Entlausungsanstalten<br />

und Sonderlazarette für Infektionskrankheiten<br />

im Verlauf der Kämpfe<br />

stetig erweitert werden.<br />

Trotz immer mehr eingesetzter Sanitätskompanien<br />

und Feldlazaretten verschlechterte<br />

sich der Gesundheitszustand<br />

der Soldaten stetig. Die zunehmenden<br />

Krankheitsausfälle konnten<br />

nicht mehr ausgeglichen werden und<br />

wirkten sich immer mehr auf die<br />

Kampfkraft der Truppe aus. Dennoch<br />

konnte sich der Sanitätsdienst durch<br />

seinen Einsatz für die Verletzten bei<br />

den Kampftruppen zunehmend Respekt<br />

verschaffen und dabei einen<br />

wichtigen Schritt auf dem schwierigen<br />

Weg vom »Pillendreher« zu einer professionellen<br />

modernen medizinischen<br />

Behandlung von Soldaten zurücklegen.<br />

Bis zum Herbst 1916 dauerte der<br />

Kampf um Verdun. Auf dem Schlachtfeld<br />

explodierten 1,5 Millionen Granaten<br />

(d.h. 5600 pro qkm). Verdun war,<br />

gemessen an der Zahl der eingesetzten<br />

Truppen und Opfer, nicht die größte<br />

Materialschlacht des Ersten Weltkrieges,<br />

nirgends sonst aber hat sich<br />

die unvorstellbare Zerstörungsgewalt<br />

einer monatelangen Artillerieschlacht<br />

auf so engem Raum konzentriert.<br />

• Christoph Schneider<br />

Lesetipp:<br />

Wolfgang Eckart und Christoph<br />

Gradmann (Hrsg.), Die Medizin und<br />

der Erste Weltkrieg, 2. Aufl.,<br />

Herbolzheim 2003<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 13


Major Kuhn<br />

Major Kuhn<br />

Ein unbekanntes Mitglied<br />

des deutschen Widerstandes<br />

vom 20. Juli 1944<br />

Die ungewöhnliche Geschichte<br />

des deutschen Majors im<br />

Generalstab Joachim Kuhn<br />

(1913–1994) ist heute in Deutschland<br />

nur teilweise und in Russland gar<br />

nicht bekannt. Kuhn gehörte zum<br />

Widerstandskreis des 20. Juli 1944 und<br />

hatte Sprengstoff für die gescheiterten<br />

Anschläge auf Hitler 1943 und 1944<br />

beschafft. Eine Woche nach dem 20. Juli<br />

lief er zu den Russen über und wurde<br />

später in Moskau als Kriegsverbrecher<br />

verurteilt. Erst 1998 erfolgte seine<br />

posthume Rehabilitierung. Im Zuge<br />

des russischen Rehabilitierungsverfahrens<br />

kamen auch Kuhns Akten aus<br />

dem Jahre 1951 im Zentralen Archiv<br />

des Föderalen Sicherheitsdienstes ans<br />

Licht. Sie sind eine einzigartige Quelle<br />

sowohl zur deutschen als auch zur russischen<br />

Zeitgeschichte, weil Kuhn von<br />

beiden Diktatoren – dem deutschen<br />

und dem sowjetischen – als »Attentäter<br />

und Überläufer« (Hitler) beziehungsweise<br />

als »Kriegsverbrecher« (Stalin)<br />

verurteilt wurde.<br />

In Inhalt und Form steht die »Anklage<br />

gegen Kuhn, Joachim« in der selben<br />

Reihe wie die Fälle anderer kriegsgefangener<br />

deutscher Offiziere, die<br />

1945–1952 in der stalinistischen Sowjetunion<br />

wegen angeblicher oder tatsächlicher<br />

Kriegsverbrechen zur Verantwortung<br />

gezogen wurden. Doch<br />

war es für die sowjetische Untersuchungspraxis<br />

ungewöhnlich, dass den<br />

Materialien der Anklage gegen Kuhn<br />

seine »Eigenhändigen Aussagen« aus<br />

der Zeit vor der Verhaftung beigefügt<br />

wurden, obwohl diese Aussagen nicht<br />

der Anklage zugrunde gelegen hatten.<br />

Die Aussagen deutscher Offiziere, die<br />

sie nicht als Angeklagte, sondern als<br />

Kriegsgefangene machten, wurden in<br />

den Untersuchungsdossiers meist nicht<br />

aufbewahrt. Jede Publikation solcher<br />

»Eigenhändigen Aussagen« stellt deshalb<br />

eine wichtige historische Quelle<br />

dar.<br />

Ein hervorragender Offizier<br />

5 Major Joachim Kuhn<br />

Joachim Kuhn wurde am 2. August<br />

1913 in Berlin als Sohn des Patentanwalts<br />

Arthur Kuhn und seiner Frau<br />

Hildegard-Maria (geb. Kuster) geboren.<br />

Sein Großvater mütterlicherseits<br />

war General der Kavallerie.<br />

Mit 17 Jahren machte Kuhn das Abitur.<br />

Nach kurzem Besuch einer Technischen<br />

Hochschule trat er 1932 als<br />

Pionier in das 100 000-Mann-Heer der<br />

Reichswehr ein. 1933/34 besuchte er<br />

die Kriegsschulen in Dresden und<br />

München. Ende 1934 wurde er Leutnant.<br />

Als Bataillons- und Regimentsadjutant<br />

nahm Kuhn am Feldzug gegen<br />

Polen 1939 und als Kompaniechef am<br />

Feldzug gegen Frankreich 1940 teil.<br />

Den Beginn des Russlandkrieges 1941<br />

erlebte Kuhn als 1. Ordonnanzoffizier<br />

der 111. Infanteriedivision. Bis November<br />

1941 war er an der Ostfront, um<br />

danach bis Mai 1942 die Kriegsakademie<br />

des Generalstabes zu besuchen.<br />

Diese verließ er als Lehrgangsbester<br />

und wurde zum Oberkommando des<br />

Heeres/Generalstab des Heeres in die<br />

Organisationsabteilung versetzt. Als<br />

Generalstabsoffizier war Kuhn bis<br />

März 1944 in der dortigen Gruppe<br />

II unter der Leitung des damaligen<br />

Majors i.G. Claus Schenk Graf von<br />

Stauffenberg tätig. Die Zusammenarbeit<br />

mit Stauffenberg, wie Kuhn in seinen<br />

in russischer Gefangenschaft am 2.<br />

September 1944 geschriebenen »Eigenhändigen<br />

Aussagen« bemerkt, »war<br />

infolge seiner umfassenden Kenntnis<br />

und Bildung auf allen Gebieten des<br />

Lebens denkbar harmonisch, da wir<br />

viele Berührungspunkte in allgemeinen<br />

Lebens- und politischen Auffassungen<br />

hatten«.<br />

Am 22. Juni 1944 übernahm Major<br />

Kuhn die Stelle des Ia-Generalstabsoffiziers<br />

(Truppenführung und Operationsplanung)<br />

bei der 28. Jägerdivision.<br />

Am 20. Juli 1944 – dem Tag des Attentates<br />

auf Adolf Hitler – war Major Kuhn<br />

an der Front. Eine Woche später war<br />

er schon bei den Russen als, wie es in<br />

deutschen Quellen heißt, »Überläufer«.<br />

Kuhn aber beschreibt in den »Eigenhändigen<br />

Aussagen« seine Gefangennahme<br />

nicht als geplantes Überlaufen,<br />

sondern als erzwungene Flucht zum<br />

Selbstschutz (siehe Seite 15 »Eigenhändige<br />

Aussagen«). Schon am Tag seiner<br />

Flucht aus der Wehrmacht, am 27. Juli<br />

1944, wurden auch Kuhns Eltern durch<br />

die NS-Behörden in Sippenhaft genommen.<br />

Der Divisionskommandeur, Generalleutnant<br />

Gustav Heistermann von<br />

Sammlung Boris Khavkin<br />

14<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


»Eigenhändige Aussagen« Major Kuhns<br />

Am 19. Juli 1944 besuchte mich Generalmajor<br />

von Tresckow, Chef des Generalstabs der<br />

2. Armee, der wie ich, an der Umsturzorganisation<br />

beteiligt war. Ich war an der Front<br />

bei Bialystok als Ia der 28. Jägerdivision.<br />

General von Tresckow teilte mir mit, dass<br />

in diesen Tagen das seit Monaten erwartete<br />

Attentat auf Hitler erfolgen werde. Unsere<br />

Aufgabe sei, das Ergebnis in Ruhe und<br />

dann die Befehle von Generaloberst Beck<br />

– gew[esener] Chef des Generalstabes [seit<br />

1939 a.D.], abzuwarten.<br />

Infolge der Kampflage erfuhr ich von den<br />

Ereignissen des 20. Juli erst durch die Rundfunk-Mitteilung<br />

am 21.[7] um 7.oo Uhr.<br />

Wenige Stunden später teilte der Chef des<br />

Stabes des Korps – Major von Schönau [mit],<br />

bleiben und wenn es an der Zeit ist – zu sagen,<br />

was wir gewollt haben.«<br />

Als ich mich ungefähr auf 100 m entfernte,<br />

hörte ich, wie die Handgranate, die v.<br />

Tresckow bei sich hatte, explodierte.<br />

Auf meine offizielle Meldung über seinen<br />

Tod durch Partisanenhand wurde General v.<br />

Tresckow mit allen militärischen Ehren beigesetzt.<br />

Der OKW-Bericht erwähnte seinen<br />

Heldentod. Ich hatte in General v. Tresckow<br />

einen Kameraden verloren, der, wie kein<br />

[anderer], Vorbild war.<br />

In den folgenden Tagen wartete ich die<br />

Entwicklung der Repressalien Hitlers ab. Da<br />

die Hauptbeteiligten nicht mehr am Leben<br />

waren und mir Einzelheiten des Verlaufs des<br />

20. Juli, sowie der Grad der Aufdeckung<br />

Auf eine Frage General v. Ziehlbergs verneinte<br />

ich jede Beteiligung am Attentat, wies<br />

nur auf die bekannte Freundschaft mit Stauffenberg<br />

hin.<br />

General v. Ziehlberg sagte: »Wir wollen<br />

alles so offiziersmäßig wie möglich erledigen.<br />

Sie haben sich zum Korps zu begeben.« So verabschiedete<br />

er sich. Ich fuhr mit meinem<br />

Wagen und zwei Offiziere, die mich begleiten<br />

sollten, fuhren hinterher.<br />

3<br />

Generalleutnant<br />

Gustav Heistermann<br />

von Ziehlberg<br />

GDW-Berlin<br />

Bundesarchiv Bild 146-1972-025-12<br />

dass der Chef des Stabes der Armee General<br />

v. Tresckow käme, um sich über die Frontlage<br />

durch persönlichen Einblick zu unterrichten.<br />

Er hätte um meine Begleitung in das<br />

Gelände gebeten.<br />

General v. Tresckow kannte ebenfalls nur<br />

die Rundfunk-Nachricht vom Fehlschlag<br />

und vom Tode Becks, Stauffenbergs und<br />

Olbrichts. Kurz nach Beginn der Fahrt ins<br />

Gelände eröffnete er mir: »Sie wissen, vor<br />

Stauffenberg war ich unter Beck der geistige<br />

Vorarbeiter dessen, was gestern fehlschlug. Ich<br />

kenne jede Einzelheit der Organisation und<br />

fühle wie Beck und Stauffenberg die Mitverantwortung<br />

für das Geschehene. So ist auch<br />

meine Uhr abgelaufen.«<br />

Ich warf ein, über diese Entscheidung stünde<br />

mir kein Urteil zu; jedoch würden Menschen<br />

wie er in der nun kommenden schweren<br />

Zeit mehr denn je gebraucht. Er verwarf<br />

den Einwurf und fuhr fort: »So bitte ich Sie,<br />

falls Sie bereit sind, dafür zu sorgen, dass niemand<br />

von meinem freiwilligen Tod erfährt. Ich<br />

habe als von Partisanenhand gefallen zu gelten.<br />

Das ist im Interesse unserer Sache, der Beteiligten<br />

und meiner Familie unbedingt erforderlich.«<br />

Er gab mir die Hand und sagte: »Adieu, Sie<br />

haben – wenn es Ihnen gelingt am Leben zu<br />

5 Lagebaracke im »Führerhauptquartier<br />

Wolfsschanze« nach dem Attentat am<br />

20. Juli 1944<br />

der Organisation unbekannt waren, konnte<br />

ich annehmen, dass meine Verhaftung nicht<br />

unbedingt zu erwarten war.<br />

Am Morgen des 27. Juli, nach dem Fall<br />

von Bialystok, traf der Korps Ia - Major i.G.<br />

von Schönau ein und übergab in meiner<br />

Gegenwart dem Div. Kdr., Generalleutnant<br />

v. Ziehlberg, einen Brief des Kommandierenden<br />

General des 55. Korps - General d.<br />

Inf. Herrlein.<br />

General v. Ziehlberg überreichte ihn mir<br />

und ich las: »Auf höchsten Befehl ist Major<br />

i. G. Kuhn zu verhaften und dem Landespolizeigefängnis<br />

Berlin zuzuführen. Einspruch<br />

zwecklos. Unterschrift.«<br />

Der Korps la erläuterte, dass General Herrlein<br />

und Generaloberst Weiss (Oberbefehlshaber<br />

2. Armee) bereits vergeblich Einspruch<br />

erhoben hätten.<br />

Die Teilnahme der Generäle Weiss und<br />

Herrlein an meinem Schicksal kann ich nur<br />

durch ihr äußerst gutes Verhalten zu mir<br />

erklären, denn, soweit ich informiert bin,<br />

waren diese an der Verschwörung nicht beteiligt.<br />

Wenige Minuten blieben, um einen Entschluss<br />

zu fassen. Ich durfte mit meiner<br />

Kenntnis von Zusammenhängen und Personenkreis<br />

der Verschwörung nicht in die<br />

Hände des Himmlerschen Sicherheitsdienstes<br />

fallen. Selbstmord hatte ich mir vorgenommen<br />

nur zu verüben, wenn keine andere<br />

Möglichkeit bestand, mich der Verfolgung<br />

zu entziehen. Überlaufen war das Richtigste,<br />

es stand jedoch im Widerspruch zu den<br />

Begriffen und Traditionen, in denen ich erzogen<br />

war. Es blieb, den Tod durch die feindliche<br />

Kugel zu suchen. Dies konnte nichts<br />

Schreckendes haben, da uns am Umsturz<br />

Beteiligte täglich der Gedanke an ein schnelles<br />

Ende begleiten musste.<br />

Auf der Fahrt zum Gefechtsstand bog ich<br />

zur Front ab und bewegte mich rasch auf die<br />

russische Linie zu. Im Dorf Starosielce hielt<br />

ich mich auf, um das Weitere zu überlegen,<br />

wurde aber, durch polnische Bauern angegeben,<br />

von einer russischen Streife im Keller<br />

eines Bauernhauses überraschend gefangen<br />

genommen.<br />

Das Schicksal des Generals v. Ziehlberg<br />

und der anderen Offiziere, deren Haltung<br />

es mir praktisch ermöglichte, der Verhaftung<br />

zu entgehen, ist mir unbekannt.<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 15


Major Kuhn<br />

Sammlung Boris Khavkin<br />

Sammlung Boris Khavkin<br />

5 Major Kuhn vor ... ... und nach seiner Gefangennahme<br />

Ziehlberg, wurde in einem ersten Verfahren<br />

zu neun Monaten Gefängnis<br />

»wegen Ungehorsams« verurteilt, weil<br />

er Kuhns Flucht nach dem 20. Juli 1944<br />

ermöglicht hatte. Aber nach Hitlers<br />

Einspruch gegen das Urteil verhängte<br />

der 3. Senat des Reichskriegsgerichtes<br />

in Torgau am 21. November 1944 das<br />

Todesurteil. Am 2. Februar 1945 wurde<br />

von Ziehlberg in der Murellenschlucht<br />

im Berliner Stadtteil Spandau erschossen.<br />

Ob Kuhn am Tode von Ziehlbergs<br />

mitschuldig war, ist eine schwere moralische<br />

Frage, die aber nicht verschwiegen<br />

werden muss. Wie der Teilnehmer<br />

des militärischen Widerstandes und<br />

Kuhns Kamerad aus der Zeit 1943–1944<br />

Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld<br />

(1904–1999) über Kuhn vermerkte:<br />

»Vielleicht schämte er sich seiner Handlungsweise,<br />

die nicht nur von den Nationalsozialisten,<br />

sondern auch von manchen<br />

seiner Freunde kritisiert wurde, die ihn<br />

für den Tod seines Divisionskommandeurs<br />

verantwortlich machten. Ich bin überzeugt,<br />

dass Kuhn, als er in kürzester Zeit die<br />

damalige Entscheidung hatte treffen müssen,<br />

sich ihre Konsequenzen nicht klargemacht<br />

hatte.«<br />

Am 4. August 1944 nach einem<br />

Gerichtsurteil des Volksgerichtshofes<br />

»wurden im Zusammenhang mit den<br />

Ereignissen des 20.7.1944 durch den<br />

Führer auf Vorschlag des Ehrenhofes<br />

des Heeres aus der Wehrmacht ausgestoßen:<br />

[...] Major i.G. Joachim Kuhn,<br />

Ia 28.Jg.Div., geflüchtet«. Am 6. Februar<br />

1945 wurde Kuhn von dem 3.<br />

Senat des Reichskriegsgerichtes unter<br />

dem Generalstabsrichter Schmauser in<br />

Abwesenheit des Angeklagten wegen<br />

der »Fahnenflucht zum Feind« und<br />

des Kriegsverrates zum Tode verurteilt.<br />

Hitlers persönliche Bestätigungsverfügung<br />

vom 20. Februar 1945 verlangte:<br />

»Das Urteil ist zu vollstrecken,<br />

sobald der Täter in die deutschen Hände<br />

gerät.«<br />

In sowjetischer Gefangenschaft<br />

Vom 12. August 1944 bis zum 1. März<br />

1947 war der Kriegsgefangene Kuhn<br />

in Moskau im Gefängnis des sowjetischen<br />

Innenministeriums inhaftiert.<br />

»Auf Grund der operativen Notwendigkeit«<br />

wurde sein Name in der Haft<br />

verändert. In den Gefängnisakten wurde<br />

Kuhn als Joachim Malowitz bezeichnet.<br />

Das Verhalten der Aufseher gegenüber<br />

dem Gefangenen und dessen<br />

Haftbedingungen waren anscheinend<br />

relativ gut. Die sowjetische Spionageabwehr<br />

SMERSCH (Abkürzung für<br />

»Tod den Spionen«) hat mit Kuhn<br />

aktiv »operativ gearbeitet«. Das Ergebnis<br />

dieser Zusammenarbeit war sensationell:<br />

am 17. Februar 1945 fanden<br />

die SMERSCH-Offiziere nach Kuhns<br />

Angaben in Mauerwald bei Rastenburg<br />

(Ostpreußen) im früheren Hauptquartier<br />

des OKH von Kuhn nach Anweisung<br />

Stauffenbergs im Herbst 1943 in<br />

der Erde versteckten Glas-und Metalldosen.<br />

In den Dosen war eine geheime<br />

Dokumentation der Anti-Hitler-<br />

Verschwörung versteckt. Es wurden<br />

Maßnahmen-Kalender, die Verordnung<br />

über die Verhängung des militärischen<br />

Ausnahmezustandes über das Heimatkriegsgebiet,<br />

Tagesbefehle und andere<br />

Befehle und Verordnungen, die zu<br />

einem gescheiterten Attentat auf Hitler<br />

im Führer-Hauptquartier in Rastenburg<br />

im Herbst 1943 gehörten,<br />

ausgegraben. Die Wahrheit der »Eigenhändigen<br />

Aussagen« von Kuhn wurde<br />

also bestätigt.<br />

Der SMERSCH-Chef Viktor Abakumov<br />

(1908–1954) hatte im Februar 1945<br />

vorgeschlagen, die gefundenen Akten<br />

der Anti-Hitler-Verschwörung in der<br />

UdSSR zu veröffentlichen; sie wurden<br />

jedoch praktisch bis 1998 geheimgehalten.<br />

Nach der Anweisung von Abakumov<br />

im Jahre 1947, der damals schon<br />

Minister für Staatsicherheit (MGB) war,<br />

wurde Kuhn auf eine MGB-Datscha<br />

zur Erholung untergebracht, wo er<br />

zur Repatriierung nach Ost-Deutschland<br />

als künftiger Mitarbeiter der neuen<br />

Verwaltung geschult wurde. Aber<br />

Kuhn äußerte sich negativ über die<br />

Sowjetmacht: in einem Privatgespräch<br />

sagte er angeblich, dass er sich von<br />

der Zusammenarbeit mit den Sowjetbehörden<br />

belästigt fühle und sich<br />

in Deutschland zu den Amerikanern<br />

begeben werde.<br />

1948 wurde Kuhn wieder ins Gefängnis<br />

geworfen. Er war ab dem 21. April<br />

16<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


akg-images<br />

5 Blick aus einer Gefängniszelle in Sibirien<br />

1948 im Gefängnis Lefortovo und ab<br />

dem 5. April 1950 im Gefängnis Butyrka<br />

in Moskau inhaftiert. Aber formal<br />

juristisch betrachtet, befand er sich in<br />

dieser Zeit nicht in Haft. Sein Haftbefehl<br />

wurde erst am 30. August 1951<br />

erlassen. Darin stand geschrieben, dass<br />

ein gewisser Hauptmann Mamajew<br />

Kuhn am »Ort des Aufenthaltes verhaften<br />

und durchsuchen sollte«. Der<br />

Ort des Aufenthaltes von Major Kuhn<br />

war in dieser Zeit schon lange die<br />

Strafanstalt Butyrka.<br />

Joachim Kuhn wurde als »Teilnehmer<br />

der Vorbereitung und Führung<br />

eines aggressiven Krieges gegen die<br />

Sowjetunion« laut »Punkt 1-a, Artikel II<br />

des Gesetzes Nr. 10 des Kontrollrates in<br />

Deutschland« angeklagt und schuldig<br />

gesprochen. Am 17.Oktober 1951 wurde<br />

Kuhn von der »Sonderberatung«<br />

[Anm.: Organ, dass kein Gericht war,<br />

aber trotzdem Strafen verhängen konnte]<br />

beim MGB der UdSSR zu einer<br />

25jährigen Gefängnisstrafe rückwirkend<br />

ab dem 27. Juli 1944 verurteilt.<br />

Die Beteiligung Kuhns an der deutschen<br />

Anti-Hitler-Opposition betrachteten<br />

die Untersuchungs- und Strafrichter<br />

als Straftatbestand.<br />

In der Anklageschrift »wurde festgestellt,<br />

dass die Teilnehmer der Verschwörung<br />

folgende Ziele hatten: die<br />

Vernichtung Hitlers, der Abschluss<br />

eines separaten Friedens mit England,<br />

Frankreich und den USA und die<br />

gemeinsame Fortsetzung des Krieges<br />

gegen die Sowjetunion«.<br />

Im sibirischen Sondergefängnis<br />

Elf Tage nach der Verurteilung, am<br />

6. Oktober 1951, beschloss Untersuchungsrichter<br />

Major der Staatssicherheit<br />

Kišigin, Kuhn als »Kriegsverbrecher<br />

[...] ins Sondergefängnis zur Strafverbüßung«<br />

zu überweisen. Das Sondergefängnis,<br />

in dem Kuhn 1951–1956<br />

inhaftiert wurde, war die in ganz<br />

Russland bekannte Alexandrowskij-<br />

Zwangsarbeiterzentrale in der sibirischen<br />

Stadt Irkutsk. Ironie des Schicksals<br />

war, dass der an der Vorbereitung<br />

des militärischen Umsturzes gegen<br />

Hitler 1944 beteiligte deutsche Offizier<br />

in dem selben Gefängnis eingesperrt<br />

wurde, wo 1826 russische Offiziere, die<br />

zuvor an einem Militärputsch gegen<br />

den russischen Zaren teilgenommen<br />

hatten, in Haft gewesen waren.<br />

In der Alexandrowskij-Zwangsarbeiterzentrale<br />

litt Kuhn an Unterernährung.<br />

In einem Brief vom 30. Juli 1952<br />

schrieb der Stellvertreter des Leiters der<br />

Gefängnisabteilung des MGB Oberstleutnant<br />

Maslennikov: »Es gibt Gründe<br />

zu vermuten, dass Kuhn entweder<br />

krank ist und an Schizophrenie leidet,<br />

oder dass er eine andere Behandlung<br />

verlangt und deswegen unsere Organe<br />

bewusst desinformiert.«<br />

In Freiheit<br />

Auf Grund des Erlasses des Präsidiums<br />

des Obersten Sowjets der UdSSR<br />

vom 28. September 1955 wurde Joachim<br />

Kuhn vorfristig freigelassen und<br />

am 16. Januar 1956 der Bundesrepublik<br />

Deutschland »zur weiteren Strafverbüßung«<br />

übergeben. Kuhn kehrte aus der<br />

Gefangenschaft zurück, hat aber nie<br />

mehr die Verbindung zu seinen früheren<br />

Freunden aufgenommen.<br />

»Der vergessene Verschwörer« stritt<br />

jahrelang mit den deutschen Behörden<br />

um seine Offizierspension. Heinrich<br />

Graf von Einsiedel (geb. 1921, dt.<br />

Jagdflieger und in sowjetischer Gefangenschaft<br />

Mitbegründer des Nationalkomitees<br />

Freies Deutschland und des<br />

Bundes der Offiziere, MdB 1994–98),<br />

der Kuhn Ende der siebziger Jahre in<br />

einer Pension in Bad Bocklet besucht<br />

hatte, schrieb:<br />

»In der BRD musste man sich eben schämen,<br />

zu den Russen übergelaufen zu sein<br />

[...] Einen Mann, der so zerbrochen war,<br />

wie Kuhn, wollte man nicht als ›Widerstandskämpfer‹<br />

präsentieren. Und dass es<br />

in Kreisen der Verschwörer auch Leute<br />

gab, die auch die Sowjetunion als möglichen<br />

Partner angesehen haben, war in den<br />

fünfziger Jahren, auf dem Höhepunkt des<br />

Kalten Krieges, auch ein Tabuthema. Also<br />

wurde er lebendig begraben.«<br />

Verarmt und vergessen starb Joachim<br />

Kuhn 1994 in Bad Brückenau. Vier<br />

Jahre später, am 23. Dezember 1998,<br />

wurde er vom Militärgericht des Moskauer<br />

Militärbezirks als Opfer politischer<br />

Verfolgung rehabilitiert, »weil<br />

in seinen Handlungen der Tatbestand<br />

fehlte«.<br />

• Boris Khavkin<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 17


Was ist Strategie?<br />

Was ist Strategie?<br />

Definitionen zur Kunst des Feldherrn<br />

Es gibt im Vokabular der gesellschaftlichen Zusammenhänge Wörter, deren Bedeutung sich in den Jahrhunderten<br />

ihrer Existenz einer Wandlung unterzogen haben. Dazu gehören Republik, Imperium, Demokratie und<br />

auch Strategie. Dieses aus dem Griechischen stammende Wort bezeichnete ursprünglich die Kunst des Feldherrn<br />

(Strategos). Als Einstieg in die neue Reihe von Beiträgen zur Strategie in der Militärgeschichte wird im folgenden<br />

Beitrag der Strategiebegriff anhand von Definitionen von der Antike bis heute thematisiert.<br />

Logo der neuen Reihe »Strategie« unter Verwendung eines Bildes von<br />

bpk/Antikensammlung; Foto: Jürgen Liepe; Gestaltung: MGFA<br />

Das Wort Strategie wurde im<br />

Mittelalter im lateinischen<br />

Westen des europäischen Kontinents<br />

kaum oder überhaupt nicht<br />

benutzt. Zwar hatte der byzantinische<br />

Kaiser Maurikios (539–602, Kaiser ab<br />

582) ein Strategikon verfasst, in dem<br />

er seine Weisheiten über die Kriegskunst<br />

der Nachwelt überlieferte, aber<br />

dieses Werk wurde im Westen Europas<br />

im Mittelalter wenig gelesen. Auch der<br />

Begriff Taktik fand im Mittelalter kaum<br />

Verwendung. Der byzantinische Kaiser<br />

Leon VI. der Weise (865–912, Kaiser ab<br />

886) schrieb eine Taktika, die aber<br />

ebenfalls im Westen bis zur frühen<br />

Neuzeit wenig zur Kenntnis genommen<br />

wurde, ehe sie im 18. Jahrhundert,<br />

zusammen mit dem schon genannten<br />

Strategikon, ins Französische übersetzt<br />

und gedruckt wurde.<br />

Die lange Wirkung der Antike<br />

Vom späten 4. Jahrhundert nach Christus<br />

bis weit in die Neuzeit waren die<br />

Werke des Flavius Vegetius Renatus<br />

(um 390) die »Bibel« der Kriegslehre.<br />

Er schrieb von »militärischen Dingen«,<br />

die um die Themen Heer, Befestigung,<br />

Belagerung, Schlacht und deren praktische<br />

Aspekte kreisten. Vegetius hat<br />

damit den bekanntesten Urtyp der<br />

noch heute benutzten Dienstvorschriften<br />

verfasst. Wo der Ausdruck »militärische<br />

Dinge« nicht verwandt wurde,<br />

schrieb man bis ins späte 18. Jahrhundert<br />

über die »Kriegskunst« oder die<br />

»Kriegswissenschaft«. Im Zeitalter der<br />

Aufklärung war dabei die Hoffnung<br />

weit verbreitet, dass man wissenschaftliche<br />

Prinzipien der Kriegskunst entdecken<br />

könnte, die für alle anwendbar<br />

seien – so wie die Gesetze der Physik<br />

oder der Chemie, die man damals<br />

allmählich zu systematischen Wissenschaften<br />

zusammenzufügen begann.<br />

Dabei waren die Kriegswissenschaftler<br />

des 18. Jahrhunderts oft von der<br />

Geometrie fasziniert und versuchten,<br />

zumindest auf der Ebene der Taktik,<br />

Vorgaben von der Regelmäßigkeit der<br />

Geometrie abzuleiten, und dies besonders<br />

bei Fragen der Bewegung von<br />

Truppen in Kolonnen oder anderen<br />

Formationen. Einer dieser »Geometren«<br />

war der Preuße Heinrich von<br />

Bülow (1752–1807), der um 1800 die<br />

Begriffe Strategie und Taktik wie folgt<br />

definierte:<br />

»Die Wissenschaft der kriegerischen<br />

Bewegung, außerhalb des gegenseitigen<br />

Gesichtskreises, zweier mit einander<br />

kriegführenden Heere, oder,<br />

wenn man lieber will, außerhalb des<br />

Wirkungskreises des groben Geschützes,<br />

außerhalb des Kanonenschusses<br />

u.s.w. ist Strategie. Die Wissenschaft<br />

der kriegerischen Bewegungen in<br />

Gegenwart des Feindes, so dass sie<br />

von demselben gesehen werden können,<br />

oder wenn man lieber will, von<br />

da an, wo der Wirkungskreis des groben<br />

Geschützes aufhört, ist Taktik.«<br />

3 Oberteil eines Kamms: Kaiser Leon VI. (l.),<br />

älteste datierte Elfenbeinschnitzerei<br />

Skulpturensammlung und Byzantinisches Museum, Inv.-Nr. 2006<br />

Politik und Strategie<br />

Eine andere Gattung der Literatur über<br />

den Krieg, die nicht in den Fußstapfen<br />

des Vegetius folgte, kann man über<br />

Machiavelli bis zu den klassischen<br />

Schriften zur Politik in der Antike<br />

zurückverfolgen. Niccolo Machiavelli<br />

(1469–1527) machte sich in Der Fürst<br />

Gedanken über die politische Dimension<br />

des Krieges, eine Dimension, die<br />

der Kriegskunst und der Taktik übergeordnet<br />

war. Für Machiavelli war es<br />

eine Selbstverständlichkeit, dass der<br />

Krieg ein Instrument der Politik sei –<br />

so selbstverständlich, dass er dies nie<br />

in seinen Werken formulierte. Ebenso<br />

galt dies für einige andere Staatsphilosophen,<br />

wie Justus Lipsius (1547–1606)<br />

und Hugo Grotius (1583–1645), aber<br />

auch für König Friedrich II. den Großen<br />

von Preußen (1712–1786), der zahlreiche<br />

Beiträge über die zwischenstaatlichen<br />

Beziehungen und die Bedeutung<br />

des Militärs verfasste. Aber die wenigsten,<br />

die sich mit »militärischen Dingen«<br />

im Engeren befassten, machten sich<br />

gleichzeitig Gedanken über den politischen<br />

Sinn und Zweck des Krieges.<br />

Es gab jedoch wichtige Ausnahmen:<br />

Santa Cruz de Marciado, ein spanischer<br />

Offizier und Diplomat (1684–1732) und<br />

der Franzose Jacques Antoine Hippolyte<br />

Graf Guibert (1743–1790), ein<br />

Bewunderer Friedrichs des Großen, der<br />

sowohl Anweisungen in der Tradition<br />

des Vegetius als auch Werke über das<br />

Verhältnis von Militär und Staat, Militär<br />

und Gesellschaft, sowie Ideologie<br />

und Krieg verfasste. Guibert sprach<br />

dabei noch allein von der Taktik.<br />

18<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


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1 2 3<br />

Strategie und Taktik<br />

im 19. Jahrhundert<br />

In seinem berühmtesten Werk, den<br />

Betrachtungen über die Kriegskunst, benutzte<br />

Georg Heinrich von Berenhorst<br />

(1733–1814) lediglich den Ausdruck<br />

»Taktik«. Diese definierte er als Lehre<br />

der Wahl und des Gebrauchs der<br />

Waffen, sowie der Ausbildung und<br />

Übung der Soldaten, den Bewegungen<br />

von Einheiten im Verbund. In seinen<br />

Worten: »Alles, was zum eigentlichen<br />

Kampf gehört, was an einem gewissen<br />

Tage, zu einer gewissen Stunde,<br />

den Endausschlag dessen gibt, was die<br />

höheren Kriegswissenschaften, Heerführerkünste<br />

[…] bezielen.«<br />

Davon abgehoben, bezeichnete Berenhorst<br />

die »höheren Kriegswissenschaften«<br />

und »Heerführerkünste« als<br />

auf der Basis der Taktik aufgebaut, als<br />

etwas, dem »die Taktik zur Grundlage<br />

dient«. Anderswo bezeichnete er diese<br />

»Künste« als Strategie, aber definierte<br />

sie noch sehr unbefriedigend: »Strategie<br />

ist die Marschkunst, Taktik die<br />

Kampfeskunst.«<br />

Auch der preußische Kriegsphilosoph<br />

und General Carl von Clausewitz<br />

(1780–1831) verwendete in seinem<br />

Werk Vom Kriege sehr enge Definitionen.<br />

Nach seiner Einteilung war »Taktik<br />

die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte<br />

im Gefecht, die Strategie die<br />

Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum<br />

Zweck des Krieges«. Clausewitz’ Zeitgenosse<br />

und literarischer Rivale in der<br />

Analyse der napoleonischen Kriegführung,<br />

Antoine-Henri Baron de Jomini<br />

(1779–1869), definierte die Strategie als<br />

»die Kunst, die Übermacht des Heeres<br />

auf den wichtigen Punkt des Kriegstheaters<br />

oder der Operations-Zone hin<br />

zu führen« und an einer anderen Stelle<br />

als »die Kunst, auf der Landkarte<br />

Krieg zu führen; sie bezieht das ganze<br />

Theater der Operationen mit ein. Große<br />

Taktik ist die Kunst, Truppen auf<br />

dem Schlachtfeld zu verteilen, ausgerichtet<br />

an der Disposition des Terrains,<br />

oder sie in den Kampf zu führen, und<br />

die Kunst, auf dem Boden zu kämpfen,<br />

im Gegensatz zur Planung auf der<br />

Landkarte. […] Die Strategie entscheidet,<br />

wo man handeln muss, die große<br />

Taktik entscheidet die Art, in der dies<br />

ausgeführt wird, und den Einsatz der<br />

Truppen.«<br />

Der Weggefährte von Clausewitz und<br />

preußische General Otto August Rühle<br />

von Lilienstern (1780–1847) erlaubte<br />

sich einige kurze, brillante Überlegungen<br />

zu den politischen Zielen in seinem<br />

Handbuch für Offiziere von 1815,<br />

einem ansonsten umfangreichen Anleitungshandbuch<br />

à la Vegetius. Der Versuch<br />

von Clausewitz, die Essenz des<br />

Krieges und dessen Zusammenhänge<br />

mit der Politik zu erforschen, waren<br />

also nicht ganz neu. Aber in einer expliziten<br />

Thematisierung hat er einen neuen<br />

Ansatz zum Denken über den Krieg<br />

geliefert, dem seitdem keiner gleichgekommen<br />

ist.<br />

Auf Clausewitz’ Erkenntnisse bauend<br />

unterstrichen europäische sicherheitspolitische<br />

Denker die Rolle von Macht<br />

4<br />

1 Aus: Flavius Vegetius,<br />

»Der Unterwasserkämpfer«, Holzschnitt,<br />

koloriert; vier Bücher der Ritterschaft,<br />

Augsburg (Heinrich Steiner) 1529<br />

2 Niccolo Machiavelli, Gemälde, anonym,<br />

Ende 16. Jhd., nach zeitgenössischem<br />

Bildnis, Öl auf Holz<br />

3 Justus Lipsius (eigtl. Joest Lips),<br />

Kupferstich von E. de Boulonois nach<br />

Anthonis van Dyck (1599–1641); aus:<br />

I. Bullart, Academie des Sciences et<br />

des Arts, Teil 2, Antwerpen 1682, Berlin,<br />

Slg.Archiv f.Kunst & Geschichte<br />

4 Hugo Grotius (eigentl. Huigh de Groot),<br />

niederl. Rechtsgelehrter und Staatsmann,<br />

»De iure belli ac pacis« (1625), Titelblatt<br />

der Ausgabe Frankfurt am Main, 1626<br />

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Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 19


Was ist Strategie?<br />

Klassiker und Praktiker – Strategiedefinitionen<br />

im 20. Jahrhundert<br />

Der britische Hauptmann, Veteran des Ersten Weltkrieges und Militärhistoriker<br />

Sir Basil Liddell Hart (1895–1970) schrieb:<br />

»Die Strategie ist die Kunst, militärische Mittel zum Zweck der Politik<br />

einzusetzen. [...] Die Rolle der großen Strategie – der höheren Strategie<br />

– ist es, alle Ressourcen einer Nation oder Gruppe von Nationen zu<br />

koordinieren und so einzusetzen, dass das politische Objekt des Krieges<br />

erreicht wird – ein Ziel, was durch die grundsätzliche Politik definiert<br />

wird.«<br />

Bei Michael Handel (1942–2001), einem ehemals sehr beliebten Dozenten<br />

an den amerikanischen Militärakademien, findet man dies knapper<br />

zusammengefasst: »Strategie ist die Entwicklung und der Einsatz aller<br />

Ressourcen in Frieden und Krieg zur Unterstützung der staatlichen [nationalen]<br />

Politik, um den Sieg zu erringen.«<br />

Und ganz in der Tradition Michael Handels definierten die US-Amerikanischen<br />

Stabschefs 1989:<br />

»Die Strategie ist die Kunst und die Wissenschaft, in Frieden und Krieg<br />

politische, wirtschaftliche, psychische und militärische Kräfte zu entwickeln<br />

und zu benutzen, der Politik ein Maximum an Unterstützung zu<br />

gewährleisten, um die Wahrscheinlichkeit des Sieges und seiner guten<br />

Folge-Erscheinungen zu erhöhen und die Möglichkeit der Niederlage zu<br />

verringern.«<br />

Robert Osgood, ein amerikanischer Sicherheitsexperte, folgerte aus dem<br />

Kernwaffenzeitalter:<br />

»Militärische Strategie muss jetzt verstanden werden als nichts weniger<br />

als ein Gesamtkonzept für die Nutzung der Fähigkeit zum bewaffneten<br />

Zwang – zusammen mit wirtschaftlichen, diplomatischen und psychischen<br />

Macht-Instrumenten –, um die Außenpolitik am effektivsten mit<br />

offenen, geheimen und verschwiegenen Mitteln zu unterstützen.«<br />

Ein weiterer Clausewitz-Anhänger, Colin S. Gray, ein Stratege mit einer<br />

britisch-amerikanischen Karriere zwischen Wissenschaft und Politikberatung,<br />

sah »Strategie [… ] als die Brücke zwischen militärischer Gewalt<br />

und politischem Zweck, sie ist weder militärische Gewalt allein noch<br />

politischer Zweck […] Strategie [ist] die Anwendung von Gewalt und<br />

die Androhung von Gewalt für die Zwecke der Politik.«<br />

Die Interaktion der beiden Faktoren hat die amerikanischen Militärhistoriker<br />

Williamson Murray und Mark Grimsley dazu veranlasst, zu<br />

formulieren:<br />

»Strategie ist ein Prozess, eine andauernde Anpassung an sich verändernde<br />

Bedingungen und Umstände in einer Welt wo Zufall, Unsicherheit<br />

und Unklarheit herrschen.«<br />

Eng angelehnt an Liddell Hart schreibt der britische Sicherheitsexperte<br />

Sir Lawrence Freedman:<br />

»Die Strategie befasst sich mit dem Verhältnis zwischen (politischen)<br />

Zwecken und (militärischen, wirtschaftlichen, politischen usw.) Mitteln.<br />

Sie ist die Kunst, Macht zu schaffen.«<br />

und die Dialektik der Gewalt. Der preußische<br />

Generalstabschef Helmuth von Moltke der Ältere<br />

(1800–1891) war in diesem Punkt ein Schüler<br />

von Clausewitz. Er ordnete die Strategie zwischen<br />

Politik auf der höheren Ebene und Operationen<br />

auf einer niedrigeren Ebene an:<br />

»Die Politik bedient sich des Krieges für Erreichung<br />

ihrer Zwecke, sie wirkt entscheidend auf<br />

den Beginn und das Ende desselben ein, so<br />

zwar, dass sie sich vorbehält in seinem Verlauf<br />

ihre Ansprüche zu steigern oder aber mit einem<br />

minderen Erfolg sich zu begnügen. Bei dieser<br />

Unbestimmtheit kann die Strategie ihr Streben<br />

stets nur auf das höchste Ziel richten, welches die<br />

gebotenen Mittel überhaupt erreichbar machen<br />

[kann]. Sie arbeitet so am besten der Politik in<br />

die Hand, nur für deren Zweck, aber im Handeln<br />

völlig unabhängig von ihr.<br />

Die nächste Aufgabe der Strategie ist die Bereitstellung<br />

der Streitmittel, die im Vorhinein als<br />

Funktion von gegebenen Ressourcen, Geographie,<br />

Logistik usw. geplant werden kann und muss.<br />

Anders verhält es sich bei der weiteren Aufgabe<br />

der Strategie: die kriegerische Verwendung<br />

der bereitgestellten Mittel, also bei den Operationen.<br />

Hier begegnet unserem Willen sehr<br />

bald der unabhängige Wille des Gegners. Diesen<br />

können wir zwar beschränken, [...] vermögen<br />

ihn aber nicht anders zu brechen, als durch<br />

die Mittel der Taktik, durch das Gefecht.«<br />

Marxistisch-leninistische Definitionen hängten<br />

sich noch am längsten an eine solche technisch<br />

beschränkte Definition von Strategie und Taktik<br />

im Sinne von Jomini und Clausewitz an. Strategie<br />

wurde noch lange Zeit gesehen als die Vorbereitung<br />

und Führung eines Krieges ganz allgemein,<br />

während die Taktik die Organisation und Führung<br />

der Schlacht sei. In beiden Bereichen ist der<br />

Kern derselbe: der bewaffnete Kampf. Der Chef<br />

des Sowjetischen Generalstabes, Marschall Nikolaj<br />

Orgakov (1917–1994), schrieb noch 1979: »Kriegsstrategie«<br />

(voyennaya strategiya) sei »jener Teil<br />

der Militärkunst, der die Prinzipien der Vorbereitung<br />

[eines Krieges] und die Kriegsführung und<br />

die Kampagnen in ihrer Gesamtheit bestimme.«<br />

Und weiter meinte er, mit einem Bezug zu Clausewitz:<br />

»Strategische Militärhandlungen sind die<br />

fundamentalen Mittel, die politischen Zwecke des<br />

Krieges zu erreichen.«<br />

Enge, an der Wirklichkeit des Krieges orientierte<br />

Definitionen dieser Art scheinen generell beim<br />

Militär beliebt zu sein. In der westlichen Welt<br />

begann man aber spätestens mit dem Beginn des<br />

20. Jahrhunderts den Begriff Strategie inflationär<br />

zu verwenden. Nicht nur wurde in seine Definition<br />

– wie im eben erwähnten sowjetischen Beispiel<br />

– Clausewitz’ Postulat vom Krieg als der<br />

Weiterführung der Politik mit gewalttätigen Mit-<br />

20<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


Strategie<br />

3 Bild links:<br />

Helmuth von Moltke,<br />

Porträtaufnahme, um 1870<br />

Bild rechts: Carl von Clausewitz,<br />

Farblithographie nach dem Gemälde von<br />

Wilhelm Wach (um 1820)<br />

teln miteinbezogen, sondern auch die<br />

Massenkriege, die durch die industrielle<br />

Revolution und die Einführung neuer<br />

Beförderungsmittel möglich geworden<br />

waren, wurden jetzt in ein Konzept<br />

des Krieges integriert. Industrie, Nationalstaaten,<br />

politisches Ziel – dies alles<br />

schwang jetzt mit.<br />

Strategie im 21. Jahrhundert<br />

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Der Doyen der aktiven britischen Militärhistoriker,<br />

Hew Strachan, hat aufgezeigt,<br />

wie der Kalte Krieg die Trennlinien<br />

zwischen Krieg und Frieden sowie<br />

der Politik und dem Krieg als dessen<br />

Instrument verwischt hat. Er führte,<br />

so Strachan, zu einer »Verschmelzung<br />

von Strategie und Politik«. Die Trennlinie<br />

zwischen Politik und Strategie<br />

war vielleicht nie ganz klar, und die<br />

Clausewitzsche Fiktion, dass der führende<br />

militärische Befehlshaber den<br />

»Kriegsrat« eines Landes nur in rein<br />

militärischen Dingen beraten sollte,<br />

aber keinen Einfluss auf politische Entscheidungen<br />

haben dürfe, führte über<br />

das ihm folgende Jahrhundert zu regen<br />

Debatten – die allerdings zumeist mit<br />

der Verachtung des preußischen Militärs<br />

gegenüber zivilistischen Regierungen<br />

zusammenhingen. Der Historiker,<br />

Verteidigungsberater und einstige<br />

US-Außenminister Henry Kissinger<br />

schrieb zu diesem Thema:<br />

»Eine Zweiteilung in Strategie und<br />

Politik kann nur zum Nachteil von<br />

beiden erfolgen. Sie verursacht die<br />

Identifikation von militärischer Macht<br />

mit der absolutesten Gewaltanwendung<br />

und sie verführt die Diplomatie<br />

zu einer Versessenheit auf Feinheiten.<br />

Da die schwierigen Probleme der<br />

Staatspolitik in einem Bereich liegen,<br />

wo sich politische, wirtschaftliche,<br />

psychische und militärische Faktoren<br />

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überlappen, sollten wir die Fiktion<br />

aufgeben, dass es so etwas wie einen<br />

›rein‹ militärischen Rat gibt.«<br />

Genauso wenig gebe es in diesem<br />

Bereich ›rein‹ politische Überlegungen.<br />

Eklatanter noch als die Verschmelzung<br />

zwischen Strategie und Politik<br />

aber ist in unserem heutigen Gebrauch<br />

dieses Vokabulars die Verschmelzung<br />

des Wortes »Strategie« mit Wirtschaftsdenken.<br />

Wenn heute ein Lehrstuhl für<br />

»Strategie« ausgeschrieben wird, ist die<br />

Wahrscheinlichkeit größer, dass er zu<br />

den Wirtschaftswissenschaften gehört,<br />

als dass er sich mit der Sicherheitspolitik<br />

und ihrer Geschichte befasst, und<br />

Clausewitz wird gerne in Wirtschaftskreisen<br />

gelesen und zitiert. Regierungen<br />

entwickeln »Strategien« für den<br />

Umgang mit Arbeitslosigkeit, Wohnungsknappheit,<br />

Bildung, und jedes<br />

Unternehmen hat seinen Unternehmensplan<br />

oder seine »Strategie«.<br />

Wenn Clausewitz selbst den Begriff<br />

Strategie in seiner heutigen weiteren<br />

umgangssprachlichen Bedeutung gekannt<br />

hätte, hätte er selbst vielleicht<br />

formuliert:<br />

Strategie ist die Anwendung jeglicher<br />

zur Verfügung stehender Instrumente<br />

– bis hin zur Androhung und<br />

gar dem Einsatz von Gewalt – für den<br />

Zweck der Politik in einer Dialektik<br />

zweier (oder mehr) gegnerischer Willen<br />

mit dem Ziel, unsere Politik dem<br />

Gegner aufzuzwingen. Dabei ist Letzteres<br />

aber nur geglückt, wenn man<br />

seinen Willen dem Gegner erfolgreich<br />

und dauerhaft aufgezwungen hat, mit<br />

dem Resultat eines dauerhaften Friedens.<br />

Es ist aber eine Illusion, wenn man<br />

meint, Regierungen träfen Entscheidungen<br />

über den Gebrauch militärischer<br />

Gewalt (oder auch nur ihrer Androhung)<br />

nur mit klaren, langfristigen<br />

politischen Zielen im Blick. Wie der<br />

australisch-britische Sicherheitsexperte<br />

Hedley Bull (1932–1985) zu Recht<br />

gesagt hat, sind solche Entscheidungen<br />

meist das Produkt von Krisensituationen,<br />

in denen Regierungen halb blind<br />

herumstolpern und quasi im Dunklen<br />

nach Entscheidungsmöglichkeiten tasten,<br />

viel zu sehr damit beschäftigt, die<br />

Krise zu überleben als sich wirklich darüber<br />

klar zu sein, welche Richtung sie<br />

einschlagen, welche langfristigen Konsequenzen<br />

ihre Entscheidungen haben<br />

könnten, und welchen Abgründen sie<br />

damit vielleicht entgegensteuern.<br />

Selten ist der weise Entscheidungsträger,<br />

der nach klaren ethischen Prinzipien,<br />

mit politischem Weitblick und<br />

vollem Verständnis einer komplexen<br />

Krisensituation wirklich das Instrument<br />

der bewaffneten Gewalt in allen<br />

seinen Dimensionen vorsichtig abwägt,<br />

ehe er es zum Einsatz bringt. Noch seltener<br />

ist der Krieg, dessen Sinn und<br />

Zweck für die kriegsführenden Parteien<br />

von Anfang bis Ende derselbe<br />

bleibt. Daneben steht auch das Argument,<br />

meist mit dem israelischen Clausewitzianer<br />

Martin van Creveld verbunden,<br />

dass viele den Krieg führen,<br />

weil sie dies schlichtweg reizvoll finden,<br />

weil es ihrer Natur und ihrer<br />

Kultur entspricht und weil sie dafür<br />

höchstens noch eine gute Ausrede<br />

brauchen. Beide Überlegungen sollte<br />

man ernst nehmen, ehe man zu gläubig<br />

davon ausgeht, dass jedem Konflikt<br />

von Anfang bis Ende eine für uns<br />

nachvollziehbare, kohärente politische<br />

Zielsetzung zugrunde liegt.<br />

• Beatrice Heuser<br />

Lesetipp:<br />

Gérard Chaliand (Hrsg), The Art of<br />

War in World History, Berkeley: 1994;<br />

es existiert auch eine französische<br />

Originalausgabe: Anthologie<br />

Mondiale de la Stratégie, Paris: 1990<br />

Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!,<br />

München 2005<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 21


Service<br />

Das historische Stichwort<br />

Die Schlacht<br />

auf dem Lechfeld<br />

955<br />

»Nicht gerade unblutig war der<br />

Sieg über ein so wildes Volk.«<br />

Widukind von Corvey<br />

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Im Jahre 955 besiegten 7000–8000<br />

gepanzerte Reiter unter Führung<br />

des ostfränkischen Königs Otto I.<br />

in der Nähe von Augsburg ein Heer<br />

von leichten ungarischen Reitern. Die<br />

Schlacht auf dem Lechfeld gilt<br />

gemeinhin als erfolgreicher Abschluss<br />

der Abwehrkämpfe gegen die Magyaren<br />

(Eigenbezeichnung der Stämme<br />

Ungarns), die seit Ende des 9. Jahrhunderts<br />

das Ostfrankenreich und darüber<br />

hinaus weite Gebiete in Westeuropa<br />

mit ihren Raub- und Beutezügen heimgesucht<br />

hatten.<br />

3 »Die Schlacht auf dem<br />

Lechfeld«, Buchmalerei<br />

von Hektor Mülich,<br />

1457, Illustration zu der<br />

Meisterlinchronik Augsburg,<br />

Staatsbibliothek<br />

Zwar hatte auch Ottos Vater, König<br />

Heinrich I. (876–936) in der Schlacht bei<br />

Riade an der Unstrut 933 einen militärischen<br />

Sieg gegen die Ungarn errungen,<br />

jedoch hatte er weiterhin jahrelang Tributleistungen<br />

an die Magyaren geleistet,<br />

um die Zeit für den Ausbau zahlreicher<br />

Burgen und befestigter Plätze<br />

zu nutzen, an deren Mauern künftige<br />

Raubzüge »zerschellen« würden.<br />

Nach seiner Krönung zum König des<br />

Ostfrankrenreiches, das auch regnum<br />

teutonicum genannt wurde und aus<br />

dem später das Heilige Römisch Reich<br />

Deutscher Nation hervorging,<br />

musste sich Otto I.<br />

zunächst mit inneren Feinden<br />

im Reich auseinandersetzen,<br />

um seine Herrschaft<br />

zu sichern. Aber auch die<br />

äußere Be-drohung war zu<br />

Beginn seiner Herrschaft<br />

nicht gering. Ständig gab<br />

es Kämpfe an den östlichen<br />

Grenzen des Reiches.<br />

Dennoch konnte Otto I.<br />

sämtliche Schwierigkeiten<br />

überwinden. So wie er allen<br />

inneren Anfeindungen widerstehen<br />

konnte, gelang<br />

es ihm, einen unter seiner<br />

Herrschaft stehenden mitteleuropäischen<br />

zusammenhängenden<br />

Territorialverbund bis nach Italien aufzubauen.<br />

Dadurch wurden den Ungarn<br />

auf dem Weg nach Westen sowohl die<br />

nördlichen Routen durch Mähren und<br />

Böhmen als auch die südlichen Wege<br />

durch die Po-Ebene nach Italien versperrt.<br />

Für die Magyaren war dies eine<br />

ernsthafte Gefahr im Hinblick auf den<br />

Erfolg künftiger Streif- und Beutezüge.<br />

Aus dieser Perspektive betrachtet<br />

relativiert sich die magyarische Bedrohung<br />

im Jahre 955. Otto I. hat mit seinem<br />

Sieg über die Ungarn auf dem<br />

Lechfeld demnach nicht das christliche<br />

Abendland gerettet, sondern nur<br />

die verzweifelt nach einem letzten<br />

»Durchbruch« suchenden Ungarn in<br />

einer Schlacht zerschlagen. Das Reich<br />

Ottos I. hatte sich bereits vor diesem<br />

Sieg zur strategischen und machtvollen<br />

Barriere zwischen dem Stammsitz der<br />

Ungarn und ihren ehemaligen »Jagdrevieren«<br />

entwickelt. Es war zu stark und<br />

nicht zu schwach geworden. Dies geht<br />

auch – nach der »Sachsengeschichte«<br />

des Widukind von Corvey – aus Ottos<br />

Rede vor der Schlacht hervor: »Schämen<br />

müssten wir, die Herren fast ganz<br />

Europas, uns, wenn wir uns jetzt den<br />

Feinden unterwerfen.«<br />

Wie kam es zur Schlacht auf dem<br />

Lechfeld? Nachdem Otto I. die Meldung<br />

erneut einfallender ungarischer<br />

Truppen unter der Führung ihres Feldherrn<br />

Bolksu erreicht hatte, ordnete<br />

er unverzüglich die Mobilisierung der<br />

ihm zur Heerfolge verpflichteten Stämme<br />

der Sachsen, Schwaben, Bayern,<br />

Franken und Böhmen an. Die Lothringer,<br />

die zu weit vom befohlenen<br />

22<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


3 Der Sieg Ottos I. über die Ungarn: »Die Schlacht auf dem<br />

Lechfelde 955«. Schulwandbild aus dem »Dritten Reich«<br />

(nach einem Gemälde von Franz Roubal; Westfälisches<br />

Schulmuseum, Dortmund).<br />

Kaiser Otto I. in einer idealisierten 4<br />

Darstellung des 19. Jahrhunderts<br />

(Gemälde von Philipp Veit um 1840;<br />

Römer, Kaisersaal, Frankfurt a.M.).<br />

Sammelpunkt bei Augsburg entfernt<br />

waren, sollten für den Fall einer Niederlage<br />

des Hauptheeres eine Auffangstellung<br />

aufbauen. Für die belagerte<br />

Bevölkerung in der Bischofsstadt Augsburg<br />

spielten diese Pläne auch eine<br />

Rolle. Ihr Widerstand unter der Führung<br />

des später in der ottonisch-salischen<br />

Geschichtsschreibung überhöhten<br />

Bischofs Udalrich (später: hl. Ulrich)<br />

hätte bei Ausbleiben eines Entsatzheeres<br />

kaum Aufsicht auf Erfolg gehabt.<br />

Der ungarische Abzug von Augsburg<br />

nach kurzer Belagerung hatte seinen<br />

Grund in der Kenntnis vom Herannahen<br />

des Heeres unter Otto I. Dieses<br />

bestand aus acht, von Widukind als<br />

»Legionen« bezeichneten Verbänden<br />

unterschiedlicher Größe: Die ersten<br />

drei Abteilungen bildeten die Bayern,<br />

die vierte die Franken, die fünfte stellten<br />

die Sachsen unter Ottos Führung,<br />

die sechste und siebte Abteilung die<br />

Schwaben, die achte war jene der Böhmen<br />

am Ende des Heeres sowie der<br />

Tross.<br />

Am Tage des hl. Laurentius, dem 10.<br />

August, begann die Schlacht mit einem<br />

Angriff der Ungarn auf die Spitze des<br />

herannahenden Heeres und den Tross.<br />

Der Tross wurde erobert, geplündert<br />

und unzählige Böhmen wurden getötet<br />

oder gerieten in Gefangenschaft. Die<br />

Übrigen ergriffen die Flucht. Das Prozedere<br />

wiederholte sich, als die Ungarn<br />

die beiden Abteilungen der Schwaben<br />

angriffen. In dieser Situation, als mehr<br />

als ein Drittel des ostfränkischen Heeres<br />

bereits ohne Chance im Gefecht mit<br />

den Ungarn verwickelt war, erhielt die<br />

vierte Abteilung, die Franken, unter<br />

ihrem Führer Konrad dem Roten den<br />

Auftrag zum Gegenangriff. Dieser war<br />

so erfolgreich, dass der Tross und die<br />

Gefangenen zurückerobert bzw. befreit<br />

und die Ungarn zeitweilig in die Flucht<br />

geschlagen werden konnten. Konrad<br />

wurde während einer Gefechtspause,<br />

in der er seinen Helm absetzte, durch<br />

einen Pfeilschuss in die Kehle tödlich<br />

verwundet.<br />

Diese Zeit nutzte Otto I. zur Umgruppierung<br />

seiner Kräfte und zu einer<br />

Ansprache an seine Truppen. Nachdem<br />

er seine Rede beendet hatte »ergriff<br />

er den Schild und die Heilige Lanze<br />

und wandte zuerst selbst sein Ross<br />

gegen die Feinde, zugleich die Aufgabe<br />

des tapfersten Kriegers und des<br />

besten Feldherren erfüllend. Die Kühneren<br />

unter den Feinden leisteten<br />

anfangs Widerstand, dann, als sie ihre<br />

Gefährten die Flucht ergreifen sahen,<br />

erschreckten sie, gerieten zwischen die<br />

Reihen der Unsrigen und wurden niedergemacht«<br />

(Widukind von Corvey).<br />

Dies ist nicht notwendigerweise als<br />

eine exakte Beschreibung der Ereignisse<br />

zu sehen, sondern als allegorische<br />

Überhöhung mit einer politischer und<br />

theologischer Legitimationsperspektive<br />

zu werten, die eine zeitbedingte<br />

mittelalterliche Herrschaftsstilisierung<br />

beinhaltet. Damit ›transformierte‹ der<br />

Chronist Widukind den späteren Kaiser<br />

Otto I. in einer Mixtur von antikisierendem<br />

und christlich-heilsgeschichtlichem<br />

Muster zum Feldherren und<br />

Heereskaiser. Was sich hinter dieser<br />

Beschreibung verbirgt, ist die Überlegenheit<br />

der gepanzerten Reiterei Ottos<br />

I. über die leichten ungarischen Kräfte,<br />

die, ihrer rückwärtigen Verbindungen<br />

beraubt, »am zweiten und dritten<br />

Tage« (Widukind) nach den Anstrengungen<br />

der Schlacht auf der Flucht entweder<br />

im Lech ertranken oder von den<br />

Reitern Ottos I. in Stücke geschlagen<br />

wurden. Die gefangenen vornehmsten<br />

Heerführer der Ungarn wurden<br />

in Regensburg gehängt. So endete<br />

die Schlacht neben erheblichen Verlusten<br />

des Heeres von Otto mit der völligen<br />

und endgültigen Vernichtung der<br />

magyarischen Invasionstruppen.<br />

Die Folgen des Sieges indes waren<br />

beachtlich: Die Ungarn wurden als<br />

ernstzunehmende Macht dauerhaft geschwächt<br />

und stellten die Vorherrschaft<br />

Ottos I. wie auch später des Reiches<br />

nicht mehr in Frage. Die weitere<br />

historische Entwicklung sah Ungarn<br />

nach Annahme des Christentums durch<br />

König Stephan wenige Jahrzehnte später<br />

und seiner Heirat mit der Schwester<br />

des Kaisers Heinrich II. ab dem Jahre<br />

1044 als Lehen der deutschen Krone.<br />

Für Otto I. selbst stellte die Schlacht<br />

einen wichtigen Wendepunkt dar. Der<br />

Umstand der lästigen Ungarnzüge entledigt<br />

zu sein, der endgültige Erfolg<br />

gegen einen äußeren Feind und den<br />

Kritikern im Reich sowie der »Nachweis«<br />

des Schlachten- bzw. Königsheils<br />

steigerten sein Ansehen als Herrscher.<br />

Die Schlacht auf dem Lechfeld und die<br />

Bedeutung Ottos I. erhielten sofort eine<br />

historiographische Überhöhung. Seine<br />

Legitimation zur Ausübung des Kaiseramtes<br />

war jetzt in jeder Hinsicht<br />

gesichert. Am 2. Februar 962 wurde<br />

Otto I. in Rom von Papst Johannes XII.<br />

in St. Peter zum Kaiser gekrönt. Er<br />

war nun der Erneuerer des karolingischen<br />

Reichsgedankens – wenngleich<br />

beschränkt auf die ehemalige Osthälfte<br />

des Reiches Karls des Großen.<br />

Eberhard Birk<br />

akg-images<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 23


Service<br />

Medien online/digital<br />

Niemandsland<br />

Pat Barker, Niemandsland. Gelesen<br />

von Ulrich Pleitgen, Hamburg 2002.<br />

ISBN 3-89903-072-9; 3 Audio-CDs<br />

(200 min.), 23,00 Euro<br />

Pat Barker, Niemandsland, München<br />

1999. ISBN 3-423-12622-1; 323 S.,<br />

9,00 Euro<br />

Hörbücher erfreuen sich seit<br />

geraumer Zeit enormer Beliebtheit.<br />

Dabei wird nicht<br />

nur »leichte Kost« auf CD gebracht,<br />

wie man vielleicht meinen könnte, sondern<br />

auch anspruchsvollere literarische<br />

Werke finden ihren Weg in die<br />

CD-Regale. Eines dieser Werke ist die<br />

»Niemandsland«-Trilogie von Pat Barker.<br />

Die Schilderungen ergeben ein eindringliches<br />

Bild vom Grauen des<br />

Ersten Weltkrieges. Besonders interessant<br />

ist dabei, dass historische Fakten<br />

und fiktive Ereignisse miteinander verwoben<br />

werden. Im Mittelpunkt der<br />

Erzählung steht eine Nervenheilanstalt,<br />

in der Soldaten von der Front mit<br />

schwerwiegenden psychischen Krankheiten<br />

behandelt werden. Die fiktiven<br />

Akteure und deren Gespräche zeigen<br />

deutlich, was der Krieg aus einem<br />

Menschen machen kann. Das erlebte<br />

Martyrium und die erkannte Sinnlosigkeit<br />

des Geschehens führen zu einem<br />

Zerbrechen der Psyche. Das in dem<br />

Werk dargestellte Geschehen spielt sich<br />

überwiegend in den Gedanken der<br />

Insassen und in den Dialogen zwischen<br />

ihnen und dem medizinischen Personal<br />

der Anstalt ab.<br />

Die Lebensgeschichten im Hörbuch<br />

werden von dem bekannten Schauspieler<br />

Ulrich Pleitgen vorgetragen. Eindrucksvoll<br />

gelingt es ihm, den Zuhörer<br />

gleichsam zu fesseln und doch auch<br />

abzustoßen. Man erwartet gespannt<br />

die kommenden Ereignisse, ist jedoch<br />

ebenso erschüttert über deren meist<br />

brutale Dimensionen. Dies gilt nicht<br />

nur für die Wiedergabe von vergangenen<br />

Geschehnissen an der Front,<br />

auch die Behandlungsmethoden in der<br />

Anstalt rufen Unbehagen hervor.<br />

Wer eine Schilderung von Heldentaten<br />

und eine Glorifizierung des Krieges<br />

erwartet, wird von dem Werk Barkers<br />

enttäuscht sein. Hierzu eignen sich<br />

weder das Buch, das als Taschenbuchausgabe<br />

bereits seit 1999 vorliegt, noch<br />

das Hörbuch. Vielmehr werden gerade<br />

die Schattenseiten des Krieges und<br />

deren Auswirkungen auf die menschliche<br />

Psyche gezeigt. Dies gelingt dem<br />

Hörbuch nicht zuletzt durch die sprachliche<br />

Leistung Pleitgens. Wer sich indes<br />

lieber dem Lese- als dem Hörvergnügen<br />

hingeben möchte, dem sei die<br />

Taschenbuchausgabe des Werkes ans<br />

Herz gelegt.<br />

René Henn<br />

akg-images<br />

akg-images<br />

»Ich klage an...!«<br />

www.dreyfus-ausstellung.de<br />

Mit diesen Worten (Frz.<br />

»J’Accuse…!«) begann der<br />

offene Brief, den der Schriftsteller<br />

und Journalist Emile Zola 1898<br />

an den französischen Präsidenten richtete.<br />

Zugleich war dies der Höhepunkt<br />

des öffentlichen Streits um die Affäre<br />

Dreyfus.<br />

Vier Jahre zuvor war der jüdische<br />

Hauptmann Alfred Dreyfus zu Unrecht<br />

des Hochverrats angeklagt und verurteilt<br />

worden. Dreyfus wurde verdächtigt,<br />

der Verfasser des bordereaus<br />

(Anschreibens) zu sein, das die Preisgabe<br />

geheimer Militärinformationen<br />

an die Deutschen ankündigte. Trotz<br />

gegenteiliger Schriftgutachten und vieler<br />

Beweise, die für die Unschuld von<br />

Dreyfus sprachen, kam es auch in<br />

dem Wiederaufnahmeverfahren 1899<br />

zu einer erneuten Verurteilung. In<br />

Anbetracht der Unruhe, die dieser Justizskandal<br />

nicht nur in Frankreich hervorrief,<br />

und der bevorstehenden Weltausstellung<br />

in Paris (1900), entschloss<br />

sich die französische Regierung 10<br />

Tage nach der Urteilsverkündung zur<br />

Amnestie aller Straftaten, die mit der<br />

Affäre in Zusammenhang standen.<br />

Eine endgültige Rehabilitierung erfuhr<br />

Alfred Dreyfus allerdings erst 1906<br />

mit seiner Ernennung zum Ritter der<br />

Ehrenlegion.<br />

Die amerikanische Erziehungswissenschaftlerin<br />

Lorraine Beitler sammelte<br />

über drei Jahrzehnte lang Exponate<br />

zur Dreyfus-Affäre aus aller Welt und<br />

übergab kürzlich ihre umfangreiche<br />

Kollektion, die ca. 1300 Ausstellungsstücke<br />

umfasst, an die State University<br />

of Pennsylvania. Eine Auswahl hieraus<br />

wird anlässlich des 70. Todestages von<br />

24<br />

nline<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


3 oben:<br />

Degradierung von Dreyfus 1894, Farbdruck<br />

nach Henri Meyer, aus: Le Petit Journal,<br />

Suppl. illustre, 6. Jg., Nr. 217, Paris,<br />

13. Januar 1895, Paris, Privatsammlung<br />

unten:<br />

Dreyfus auf der Teufelsinsel 1896, Farbdruck,<br />

aus: Le Petit Journal, Suppl. illustre,<br />

7. Jg. Nr. 306, Paris, 27. Sept.1896,<br />

Berlin, Slg. Archiv f. Kunst & Geschichte<br />

digital<br />

Alfred Dreyfus erstmalig in Deutschland<br />

in einer Wanderausstellung präsentiert,<br />

die durch das Moses Mendels-<br />

5 Major Dreyfus nach seiner Rehabilitierung<br />

(2.v.r.) im Gespräch mit General Gillain und<br />

Major Targe , Bildpostkarte (1906, E. Le<br />

Deley), Paris, Privatsammlung<br />

akg-images<br />

sohn Zentrum in Potsdam vorbereitet<br />

wurde.<br />

Lorraine Beitler will mit der von<br />

ihr initiierten Ausstellung vor allem<br />

junge Menschen erreichen. Durch Aufklärung<br />

und Auseinandersetzung mit<br />

der Dreyfus-Affäre soll deren Sensibilität<br />

gegenüber Antisemitismus geweckt<br />

werden. Dreyfus steht somit als Synonym<br />

für politischen Radikalismus und<br />

antijüdische Propaganda, aber auch für<br />

die Verteidigung der Grundrechte und<br />

das Engagement für einen Unschuldigen.<br />

Die Ausstellung bietet Einblicke<br />

in die tief greifenden Auswirkungen,<br />

die diese Affäre auf Politik und Gesellschaft<br />

des fin de siècle in Frankreich,<br />

Europa und der Welt hatte. Dabei stehen<br />

die Akteure aus Militär, Politik<br />

und Justiz ebenso im Mittelpunkt wie<br />

Journalisten, Schriftsteller und Künstler.<br />

Die Schirmherrschaft für dieses Projekt,<br />

das unter Mitarbeit von Studenten<br />

der Universität Potsdam und der<br />

Freien Universität Berlin entstanden<br />

ist, haben u.a. Verteidigungsminister<br />

Dr. Peter Struck (für Hamburg) und der<br />

Innenminister des Landes Brandenburg<br />

Generalleutnant a.D. Jörg Schönbohm<br />

(für Potsdam) übernommen.<br />

Eröffnet wurde die Ausstellung bereits<br />

im Mai 2005 an der Führungsakademie<br />

der Bundeswehr in Hamburg<br />

und wird nach ihrer Präsentation<br />

in Potsdam in der Stiftung<br />

Centrum Judaicum/Neue Synagoge<br />

Berlin (1.9.–12.10.2005) und im Militärhistorischen<br />

Museum Dresden (18.10.–<br />

13.11.2005) zu sehen sein.<br />

Die begleitende Website bietet nicht<br />

nur Informationen zur Ausstellung,<br />

sondern ermöglicht auch das Herunterladen<br />

von umfangreichen Unterrichtsund<br />

Informationsmaterialien im pdf-<br />

Format.<br />

MMZ-Potsdam / hb<br />

Die Schlacht um Verdun<br />

http://www.geocities.com/bunker1914/<br />

verdun.htm<br />

Die Website »Die Schlacht um<br />

Verdun. Eine europäische Tragödie«<br />

von Erich Kassing ist<br />

eine gut gemachte und übersichtliche<br />

Darstellung der Kämpfe um die französische<br />

Festung Verdun im Ersten Weltkrieg.<br />

Neben chronologischen Informationen<br />

zum Ersten Weltkrieg von den ersten<br />

Kriegstagen 1914 bis zu den letzten<br />

Kämpfen 1918 liefert die Website<br />

auch biografische Fakten zu den maßgeblichen<br />

militärischen Führern, den<br />

Truppengattungen und Waffen auf<br />

dem Gefechtsfeld. Ein Schwerpunkt<br />

der Darstellung fällt folgerichtig auf die<br />

Bedeutung der Artillerie. Auch Berichte<br />

zum Frontalltag mit einer Auswahl<br />

von Erinnerungen beteiligter Soldaten<br />

fehlen nicht. Ausgewählte Militär- und<br />

Festungsbauten aus dem Raum Verdun<br />

werden detailliert und mit zahlreichen<br />

Abbildungen beschrieben.<br />

Ein »Höhepunkt« der Seite ist auch<br />

das dort präsentierte Verdun-Online-<br />

Lexikon von Stephan Klink, das Auszüge<br />

seiner umfangreichen privaten<br />

Publikation von über 2500 Stichwörtern<br />

zum Thema enthält. Hinweise<br />

zu den Gedenkstätten runden die Seite<br />

mit Informationen zur langen Wirkungsgeschichte<br />

dieser Schlacht ab, die<br />

für Generationen von Deutschen und<br />

Franzosen zum Inbegriff des Ersten<br />

Weltkrieges geworden ist.<br />

hb<br />

Ein Bayer im Ersten Weltkrieg<br />

http://www.geocities.com/<br />

CapeCanaveral/Galaxy/<br />

3402/wb1418/main.htm<br />

Einen individuellen Blick auf<br />

die Geschichte des Ersten<br />

Weltkrieges bietet die Website<br />

»Erlebnisbericht aus dem Ersten Weltkrieg«<br />

von Matthias Beimler. Auf der<br />

privaten Website sind die Notizen<br />

seines Urgroßvaters Wolfgang Böhm<br />

(1896–1960) aufbereitet worden. Der<br />

Infanterist Böhm beschrieb mit wenigen<br />

Worten seine Einsätze vor Verdun,<br />

in den Argonnen, an der Somme und<br />

in Flandern 1915 bis zu seiner Entlassung<br />

aus dem Militärdienst 1919. Es ist<br />

wohl das typische Beispiel von kurzen<br />

Aufzeichnungen, die für den Schreiber<br />

einen Anhalt für die eigene Erinnerung<br />

bieten sollen. So werden Kämpfe nur<br />

kurz beschrieben, wie an der Somme<br />

1916:<br />

»Wir mußten dann hinter der Zuckerfabrik<br />

ausschwärmen und dann ging<br />

das ganze Battaillon in Schützenlinie<br />

vor, weil die Engländer und Schottländer<br />

durchgebrochen waren. Am<br />

15., zwei Uhr nachmittags kamen wir<br />

dann in den Schützengraben und da<br />

hatten sich die Engländer schon wieder<br />

zurückgezogen und hatten den ganzen<br />

Tag viel Feuer. Am nächsten Tag,<br />

den 16., kamen die Engländer zweimal<br />

und wollten durchbrechen, wir haben<br />

es ihnen aber schon geholfen dafür.<br />

Haben die dicken Mauern der Engländer<br />

bloß niedergeschossen. Am 17.<br />

kamen sie halt wieder, aber wir haben<br />

sie wieder mit schweren Verlusten<br />

zurückgeworfen, wenn wir gleich dort<br />

nichts zu essen und zu trinken hatten.«<br />

Die knappen Texte werden durch<br />

ergänzende historische Informationen,<br />

aufbereitete Kartenskizzen und Fotos<br />

aus dem Familienbesitz sehr gut<br />

ergänzt. Wer will, kann sogar noch bei<br />

der Entzifferung von Textstellen helfen,<br />

wofür Auszüge der Originalnotizen<br />

vergrößert werden können. Neben<br />

einer kleinen Literaturliste ist vor allem<br />

die umfangreiche sortierte Linkliste<br />

zum Ersten Weltkrieg zu empfehlen.<br />

hb<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 25


Service<br />

Lesetipp<br />

Burgen und<br />

Festungen<br />

Contrescarpe, Glacisstraße, Wallstraße<br />

und andere Straßennamen<br />

lassen in so mancher Stadt noch den<br />

Bezug zu ehemaligen Festungsanlagen<br />

herstellen. Wer aber wissen will, was<br />

hinter diesen Bezeichnungen steckt,<br />

wird in gewöhnlichen Lexika nicht weit<br />

kommen. Der Reclam-Verlag versucht<br />

mit seinem Wörterbuch eine Lücke zu<br />

schließen und bietet ein preisgünstiges<br />

und handliches Nachschlagewerk<br />

zur Geschichte und Architektur von<br />

Dem ehemaligen Sozialwissenschaftler<br />

der Bundeswehr, Detlef<br />

Bald, ist es gelungen, mit seiner kritischen<br />

Geschichte der Bundeswehr<br />

anlässlich des Jubiläumsjahres erstmals<br />

eine handbuchartige und gut lesbare<br />

Überblicksdarstellung über die<br />

Geschichte der bundesdeutschen Streitde<br />

dies von dem Buch erwartet, wird<br />

enttäuscht. Vielmehr zeigt der Autor<br />

in seinem gut strukturierten und verständlich<br />

geschriebenen Werk wesentliche<br />

Aspekte auf, die in dem gewählten<br />

Zeitabschnitt für die Kriegsführung<br />

von herausgehobener Bedeutung<br />

waren. Dies geschieht zum einen<br />

Jürgen Luh,<br />

Kriegskunst in<br />

Europa 1650–1800,<br />

Köln 2004.<br />

ISBN 3-412-13703-0;<br />

298 S.,<br />

44,90 €<br />

Horst Wolfgang Böhme,<br />

Reinhard Friedrich<br />

und Barbara<br />

Schock-Werner (Hrsg.),<br />

Wörterbuch der Burgen,<br />

Schlösser und Festungen,<br />

Stuttgart 2004.<br />

ISBN 3-15-010547-1;<br />

285 S.,<br />

15,90 €<br />

Burgen, Schlössern und Festungen an.<br />

Schon in der Einleitung gelingt es, eine<br />

Jahrhunderte alte Baugeschichte kurz<br />

und interessant zu präsentieren. Wer<br />

über die 300 Einträge hinaus an weiteren,<br />

ausführlicheren Informationen<br />

interessiert ist, dem bietet das Literaturverzeichnis<br />

eine Auswahl von Standardwerken<br />

zur Thematik. Die allgemeine<br />

Verständlichkeit der Einträge ist<br />

überwiegend gelungen. Man wünscht<br />

sich jedoch mehr erklärende Zeichnungen<br />

und Abbildungen zu diesem komplexen<br />

Thema.<br />

hb<br />

Kriegskunst in<br />

Europa<br />

in den Bereichen der Logistik, des Festungskrieges,<br />

der Bewaffnung und der<br />

Taktik, zum anderen aber auch im<br />

Bereich der Ästhetik und des Selbstgefühls.<br />

Am interessantesten ist dabei<br />

sicherlich, dass Luh die Frage Nützlichkeit<br />

oder Unzulänglichkeit der damaligen<br />

Infanteriebewaffnung diskutiert.<br />

Vor allem dieser Aspekt verdiene<br />

besondere Beachtung, so der Autor, da<br />

für die Bewaffnung nicht ausschließlich<br />

technisch-militärische Gesichtspunkte<br />

im Vordergrund standen, sondern<br />

ästhetische Aspekte eine genauso<br />

große Rolle spielten. Dies wird vor<br />

allem aus dem Umstand ersichtlich,<br />

dass die Einheiten überwiegend mit<br />

Gewehren ausgerüstet waren, die<br />

durchaus zum äußeren Erscheinungsbild<br />

passten, aber nicht ihrer eigentlichen<br />

Zweckbestimmung – dem tödlichen<br />

Einsatz im Kampf – gerecht<br />

wurden.<br />

Abschließend lässt sich mit Blick<br />

auf das Buch festhalten, dass es dem<br />

Autor gelingt, sowohl bereits bekannte<br />

Details anschaulich zu vermitteln, als<br />

auch neue Blickwinkel zu erschließen.<br />

Die Aufteilung des Buches in einzelne,<br />

in sich geschlossene Kapitel kommt<br />

diesem Anliegen zugute.<br />

René Henn<br />

Die geduldete Armee<br />

Der ehemalige Redakteur der Tageszeitung<br />

»Die Welt« Clemens Range<br />

hat mit dem Titel seines Buches klar<br />

dargelegt, unter welchem Blickwinkel<br />

Clemens Range, Die geduldete Armee.<br />

50 Jahre Bundeswehr, Berlin 2005.<br />

ISBN 3-00-015382-9; 313 S.,<br />

45,00 €<br />

Der Buchtitel »Kriegskunst in Europa<br />

1650–1800« lässt auf den ersten<br />

Blick eher eine Abhandlung über<br />

die zeitgenössische theoretische Auseinandersetzung<br />

in Bezug auf die Kriegführung<br />

als eine an der Praxis orientierte<br />

Schilderung der eigentlichen<br />

Abläufe während eines Krieges in dieser<br />

Epoche vermuten. Doch wer geraer<br />

die Bundeswehr betrachtet. Im Kern<br />

einer Armee steht für Range der »Geist<br />

der Truppe«. Daher lässt er in einer<br />

mehr und weniger deutlichen Form<br />

auch durchblicken, welche Mängel in<br />

der Bundeswehr seiner Einschätzung<br />

nach herrschen. Immer wieder kommt<br />

er dabei auf die Themen der Traditionspflege,<br />

der Inneren Führung und den<br />

Umgang mit der Geschichte der Wehrmacht<br />

zurück. Hier überwiegt seine<br />

Kritik an der Praxis in der Bundeswehr.<br />

Dies wird selbst in dem ansonsten<br />

gelungenem lexikalischen Teil »Weltpolitische<br />

Ereignisse von 1949 bis 2004«<br />

deutlich. Im Übrigen ist das durchgehend<br />

bebilderte Werk mit vielen Details<br />

zu Einsätzen, Uniformierung, Bewaffnung<br />

und Personen ein hervorragendes<br />

Nachschlagewerk, dass durch ein<br />

Stichwortverzeichnis noch hätte abgerundet<br />

werden können.<br />

hb<br />

Die Bundeswehr<br />

26<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


Detlef Bald,<br />

Die Bundeswehr.<br />

Eine kritische Geschichte,<br />

1955–2005,<br />

München 2005<br />

(= beck’sche Reihe).<br />

ISBN 3-406-52792-2;<br />

232 S.,<br />

12,90 €<br />

kräfte vorzulegen. Dabei richtet sich<br />

sein Blick aber nicht auf eine Technikoder<br />

Organisationsgeschichte. Im Zentrum<br />

der Darstellung steht vielmehr<br />

die Entwicklung der Bundeswehr im<br />

gesellschaftspolitischen Kontext der<br />

Bundesrepublik.<br />

Bald entwickelt einen Spannungsbogen,<br />

der die fünfzigjährige Entwicklung<br />

der Bundeswehr zwischen<br />

dem politisch gewollten Reformprozess<br />

einer demokratisch ausgerichteten<br />

Parlamentsarmee einerseits und<br />

einer von der obersten militärischen<br />

Führung ausgehenden reaktionären<br />

Haltung andererseits einordnet.<br />

Obwohl Bald ein empfehlenswertes<br />

Handbuch vorlegt, dessen kritische<br />

Darstellung phasenweise wohltuend<br />

zu lesen und dessen Informationsgehalt<br />

hoch ist, wäre stellenweise<br />

eine größere Distanz zum Gegenstand<br />

wünschenswert gewesen.<br />

Thorsten Loch<br />

Kriegsbilder<br />

Bilder des Krieges als militärgeschichtliche<br />

Quelle sind bisher vor<br />

allem in der deutschen Forschung<br />

wenig berücksichtigt worden. Der<br />

Flensburger Professor Gerhard Paul<br />

versteht sein Buch als einen Beitrag<br />

zur Beseitigung dieses Defizits. Der<br />

Autor lädt den Leser ein zu einer<br />

reich bebilderten »Tour d’horizon« der<br />

Geschichte der Kriegsfotographie und<br />

der modernen visuellen Kriegsberichterstattung<br />

und spannt den Bogen vom<br />

Krimkrieg über die beiden Weltkriege<br />

bis hin zum 11. September 2001.<br />

Die Fotografie und später die Fernsehberichterstattung<br />

haben die zeitliche<br />

und räumliche Distanz zum Phänomen<br />

Krieg überwunden und ihn<br />

vom Schlachtfeld in die Wohnzimmer<br />

gebracht. In seiner Fähigkeit zur Beeinflussung<br />

der Öffentlichkeit wurde das<br />

Bild letztlich selbst zu einer »Ressource<br />

des Krieges« und damit zur politischen<br />

Waffe.<br />

Doch auch Fotografie und Film bleiben<br />

Kunstformen, die letztlich nur<br />

Ästhetisierungen des Krieges liefern.<br />

Wie alle anderen Medien sind<br />

auch sie nur ein Instrument zur<br />

mentalen Domestizierung des<br />

Krieges, die ihn als einen verstehbaren<br />

und bestimmten Prinzipien<br />

unterliegenden Ablauf erscheinen<br />

lassen. Selbst die modernste<br />

und freieste Form der Kriegsberichterstattung<br />

erneuert somit<br />

immer wieder nur die uralte Illusion<br />

von der Führbarkeit von<br />

Kriegen. Den Krieg als Mittel der<br />

Politik kann auch sie nicht desavouieren.<br />

Gerhard Paul, Bilder des Krieges – Krieg der<br />

Bilder. Die Visualisierung des modernen<br />

Krieges, Paderborn 2004.<br />

ISBN 3506 71739 1; 526 S.,<br />

49,90 €<br />

Pauls Arbeit ist letztlich ein Meilenstein<br />

auf diesem relativ neuen Forschungsfeld.<br />

Als Leser seiner eindrucksvollen<br />

Gesamtdarstellung hätte<br />

man sich freilich eine kompaktere und<br />

publikumsfreundlichere Art der Darstellung<br />

gewünscht.<br />

Klaus-Jürgen Bremm<br />

Afrika<br />

Irgendeine Vorstellung von Afrika<br />

hat jeder. Chaos, Krankheiten, Hunger,<br />

Armut, Krieg, Völkermord, apathische<br />

oder fröhliche Menschen, eine<br />

Welt-Elite von Laufsportlern und ein<br />

allseits geachteter UN-Generalsekretär.<br />

Christoph Marx,<br />

Geschichte Afrikas.<br />

Von 1800 bis<br />

zur Gegenwart,<br />

Paderborn 2004.<br />

ISBN 3-506-71748-0;<br />

391 S.,<br />

18,90 €<br />

Vieles, was wir mit Afrika verbinden,<br />

scheint aber nie den Kontinent<br />

als Ganzes zu beschreiben, ist Klischee<br />

und mit fließenden Grenzen<br />

schlimmstenfalls Rassismus. Christoph<br />

Marx wagt sich an eine<br />

Strukturierung des unbekannten<br />

Kontinents der 52 Staaten, der<br />

immerhin ein Fünftel der Landmasse<br />

unserer Erde umfasst. Unter<br />

den drei Abschnitten Expansion,<br />

Lebenswelten unter kolonialer<br />

Herrschaft, Brüche und Kontinuitäten<br />

beschreibt der Autor das<br />

gewaltige Kaleidoskop afrikanischer<br />

Geschichte und Politik der<br />

letzten 200 Jahre. In kurzen Abschnitten<br />

werden Beispiele präsentiert,<br />

um sich den Themen Kriege,<br />

staatliche und wirtschaftliche Entwicklung<br />

von Ländern und Regionen<br />

anzunähern. Weiterführende Literaturangaben<br />

und eine Auswahlbibliographie<br />

ermöglichen es dem Leser, sein<br />

Wissen weiter zu vertiefen. Hat man<br />

sich mit der sehr durchstrukturierten<br />

Anlage der Darstellung angefreundet,<br />

bietet sich ein umfassender Blick auf<br />

unsere afrikanischen Nachbarn.<br />

hb<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 27


Service<br />

Ausstellungen<br />

• A u g s b u r g<br />

Als Frieden möglich<br />

war – 450 Jahre Augsburger<br />

Religionsfriede<br />

Maximilianmuseum<br />

Augsburg<br />

Philippine-Welser-Straße 24<br />

86150 Augsburg<br />

Telefon: (08 21) 3 24 41 62<br />

Telefax: (08 21) 3 24 41 05<br />

e-mail:<br />

kunstsammlungen.stadt@<br />

augsburg.de<br />

website:<br />

www.augsburgerreligionsfriede.de<br />

Dienstag, Mittwoch, Freitag<br />

9.00 bis 19.00 Uhr<br />

Donnerstag<br />

9.00 bis 21.00 Uhr<br />

Samstag, Sonntag<br />

10.00 bis 19.00 Uhr<br />

Eintritt: 7,00 Euro<br />

ermäßigt 5,50 Euro<br />

16. Juni bis<br />

16. Oktober 2005<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

Zu Fuß ist das Museum<br />

(ausgeschildert) vom<br />

Hauptbahnhof aus in etwa<br />

10 Minuten zu erreichen.<br />

• B e r l i n<br />

Aufstand des Gewissens.<br />

Militärischer Widerstand<br />

gegen das NS-Regime<br />

1933–1945<br />

Luftwaffenmuseum der<br />

Bundeswehr<br />

Groß Glienicker Weg<br />

14089 Berlin-Gatow ð<br />

Telefon: (030) 81 10 76 9<br />

Telefax: (030) 36 43 11 98<br />

e-mail:<br />

info@luftwaffenmuseum.com<br />

website:<br />

www.luftwaffenmuseum.de<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

9.00 bis 17.00 Uhr<br />

(letzter Einlass 16.00 Uhr)<br />

20. September bis<br />

29. November 2005<br />

und noch das gesamte Jahr:<br />

Geschichte der<br />

militärischen<br />

Luftfahrt in<br />

Deutschland<br />

seit 1884<br />

Die Hugenotten<br />

Deutsches Historisches<br />

Museum – PEI Bau<br />

Hinter dem Gießhaus 3<br />

10117 Berlin<br />

Telefon: (030) 20 30 40<br />

Telefax: (030) 20 30 45 43<br />

website: www.dhm.de<br />

Täglich<br />

10.00 bis 18.00 Uhr<br />

24. August bis<br />

21. November 2005<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

S-Bahn: Stationen<br />

»Hackescher Markt« und<br />

»Friedrichstraße«; U-Bahn:<br />

Stationen »Französische<br />

Straße«, »Hausvogteiplatz«<br />

und »Friedrichstraße«; Bus:<br />

Linien 100, 157, 200 und<br />

348 bis zu den Haltestellen<br />

»Staatsoper« oder »Lustgarten«.<br />

• B o n n<br />

Entschieden für Frieden.<br />

50 Jahre Bundeswehr<br />

Stiftung Haus der<br />

Geschichte der<br />

Bundesrepublik<br />

Deutschland<br />

Museumsmeile<br />

Willy-Brandt-Allee 14<br />

53113 Bonn<br />

Telefon: (02 28) 9 16 50<br />

Telefax: (02 28) 9 16 53 02<br />

e-mail: post@hdg.de<br />

Eintritt frei<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

9.00 bis 19.00 Uhr<br />

10. Oktober bis<br />

20. Oktober 2005<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

U-Bahn: Linien U 16, 63,<br />

65 bis Station »Heussallee/<br />

Museumsmeile«; Bus: Linien<br />

610, 630 bis Haltestelle<br />

»Bundeskanzlerplatz/Heussallee«.<br />

Dschingis Khan und seine<br />

Erben – Das Weltreich der<br />

Mongolen<br />

Friedrich-Ebert-Allee 4<br />

53113 Bonn<br />

Telefon: (02 28) 9 17 10<br />

Telefax: (02 28) 9 17 12 09<br />

e-mail:<br />

info@kah-bonn.de<br />

website:<br />

www.bundeskunsthalle.de<br />

Donnerstag<br />

bis Sonntag<br />

10.00 bis<br />

19.00 Uhr<br />

Dienstag u.<br />

Mittwoch<br />

10.00 bis<br />

21.00 Uhr<br />

Montag geschlossen<br />

Eintritt: 7,00 Euro<br />

ermäßigt 3,50 Euro<br />

16. Juni 2005 bis<br />

25. September 2005<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

U-Bahn: U 16, 63, 66 (in<br />

Richtung Regierungsviertel)<br />

bis Haltestelle »Heussallee«.<br />

Die Linie 16 verbindet die ð<br />

Kunst- und Ausstellungshalle<br />

mit dem Wallraf-Richartz-<br />

Museum und dem Museum<br />

Ludwig in Köln (Station<br />

»Dom/Hauptbahnhof«);<br />

Bus: Linien 610 und 630 bis<br />

Haltestelle »Heussallee«.<br />

• C o b u r g<br />

Zwischen Politik<br />

und Krieg. Wehrhafte<br />

Eidgenossen im<br />

16. Jahrhundert<br />

Kunstsammlungen<br />

der Veste Coburg<br />

96450 Coburg<br />

Telefon: (0 95 61) 87 90<br />

Telefax: (0 95 61) 8 79 79<br />

e-mail:<br />

sekretariat@<br />

kunstsammlungen-coburg.de<br />

website:<br />

www.kunstsammlungencoburg.de<br />

April bis Oktober täglich<br />

10.00 bis 17.00 Uhr<br />

November bis März täglich<br />

außer Montag<br />

13.00 bis 16.00 Uhr<br />

Eintritt: 3,30 Euro<br />

ermäßigt 1,80 Euro<br />

7. April bis<br />

2. November 2005<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

Von April bis November wird<br />

die Fahrt mit dem Veste-<br />

Express zur Veste Coburg<br />

empfohlen. (Abfahrt ab<br />

Herrngasse von 9.45 bis<br />

16.45 Uhr alle 30 Min.) Der<br />

Aufstieg zur Veste führt von<br />

der Stadt aus auf verschiedenen<br />

Wegen durch den im<br />

englischen Stil angelegten<br />

Hofgarten.<br />

• D e l i t z s c h<br />

Deutsche Jüdische<br />

Soldaten. Von der Epoche<br />

der Emanzipation bis zum<br />

Zeitalter der Weltkriege<br />

Heeresunteroffizierschule I<br />

Feldwebel-Boldt-Kaserne<br />

Fw-Boldt-Str. 1<br />

04509 Delitzsch<br />

Telefon: (0 34 20) 27 70<br />

Täglich geöffnet, Besuch von<br />

Nichtangehörigen der ð<br />

28<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


Bundeswehr ist nach vorherigerAbsprache<br />

möglich.<br />

1. September bis<br />

2. Dezember 2005<br />

• I n g o l s t a d t<br />

125 Jahre Bayerisches<br />

Armeemuseum –<br />

Neuerwerbungen aus<br />

dem 1. Weltkrieg, der<br />

Weimarer Republik und<br />

dem 2. Weltkrieg<br />

Bayerisches<br />

Armeemuseum – Reduit<br />

Tilly (Klenzepark)<br />

Paradestraße 4<br />

85049 Ingolstadt<br />

Telefon: (08 41) 9 37 70<br />

Telefax: (08 41) 9 37 72 00<br />

e-mail:<br />

sekretariat@bayerischesarmeemuseum<br />

website:<br />

www.bayerischesarmeemuseum.de<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

8.45 bis 16.30 Uhr<br />

15. Juni 2005 bis<br />

6. Januar 2006<br />

Landkarten aus dem<br />

Bayerischen<br />

Armeemuseum – seltene<br />

Karten vom 17. bis<br />

20. Jahrhundert<br />

Bayerisches<br />

Armeemuseum – Neues<br />

Schloss<br />

Paradeplatz 4<br />

85049 Ingolstadt<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

8.45 bis 16.30 Uhr<br />

7. Juli 2005 bis<br />

26. März 2006<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

Öffentliche Verkehrsmittel bis<br />

Reduit Tilly; PKW: Parkmöglichkeiten<br />

in der Tillygarage.<br />

• K o n s t a n z<br />

Im Schutze mächtiger<br />

Mauern. Das spätrömische<br />

Kastell von Konstanz und<br />

sein Umfeld<br />

Archäologisches<br />

Landesmuseum Konstanz<br />

Benediktinerplatz 5<br />

78467 Konstanz ð<br />

Telefon: (0 75 31) 9 80 40<br />

Telefax: (0 75 31) 6 84 52<br />

e-mail:<br />

info@konstanz.alm-bw.de<br />

website:<br />

www.konstanz.alm-bw.de<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 4,00 Euro<br />

ermäßigt: 3,00 Euro<br />

30. April bis<br />

1. November 2005<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

Alle Konstanzer Stadtbusse<br />

halten direkt vor dem<br />

Landesmuseum, Haltestelle<br />

»Sternenplatz«.<br />

• K ö n i g s<br />

W u s t e r h a u s e n<br />

Lange Kerls. Muster,<br />

Mythos oder Maskerade<br />

Schloss Königs<br />

Wusterhausen<br />

Schlossplatz 1<br />

15711 Königs Wusterhausen<br />

Telefon: (0 33 75) 21 17 00<br />

Telefax: (0 33 75) 21 17 02<br />

e-mail: e.preisse@spsg.de<br />

website:<br />

www.lange-kerls-kw.de<br />

Täglich außer Montag von<br />

10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 6,00 Euro<br />

ermäßigt 5,00 Euro<br />

3. Juli bis 3. Oktober 2005<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

S-Bahn/Regionalbahn: Von<br />

Berlin oder Potsdam mit S 7<br />

bis »Westkreuz«, dann mit<br />

S 46 bis Königs Wusterhausen<br />

oder R 2 ab Berlin Zoo oder<br />

Ostbahnhof – vom Bahnhof<br />

sind es 10 Min. Fußweg durch<br />

die Bahnhofstraße bis zum<br />

Ende, dann rechts abbiegen. ð<br />

PKW: B179 oder A10 Abfahrt<br />

»Königs Wusterhausen«.<br />

• L ü n e b u r g<br />

Germania auf dem Meere.<br />

Bilder und Dokumente<br />

zur deutschen Marinegeschichte<br />

1848 bis 1998<br />

Museum für das<br />

Fürstentum Lüneburg<br />

Wandrahm Straße 10<br />

21337 Lüneburg<br />

Telefon: (0 41 31) 4 38 91<br />

Telefax: (0 41 31) 40 54 97<br />

e-mail: info@museumlueneburg.de<br />

Dienstag bis Freitag<br />

10.00 bis 16.00 Uhr<br />

Samstag bis Sonntag<br />

11.00 bis 17.00 Uhr<br />

Eintritt: 2,60 Euro<br />

ermäßigt 1,30 Euro<br />

4. September bis<br />

1. November 2005<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

Das Museum befindet sich in<br />

der Nähe der Nordlandhalle<br />

und des Hauptbahnhofs.<br />

• M u n s t e r<br />

Das Eiserne Kreuz<br />

Deutsches<br />

Panzermuseum Munster<br />

Hans-Krüger-Str. 33<br />

29633 Munster<br />

Telefon: (0 51 92) 25 52<br />

Telefax: (0 51 92) 13 02 15<br />

website:<br />

panzermuseum@munster.de<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 5,00 Euro ð<br />

ermäßigt 2,50 Euro<br />

1. September bis<br />

30. November 2005<br />

• N e u b u r g<br />

a.d. D o n a u<br />

Von Kaisers Gnaden!<br />

500 Jahre Pfalz Neuburg<br />

Schloss Neuburg an<br />

der Donau<br />

Telefon: (0 84 31) 64 43 12<br />

Telefax: (0 84 31) 64 43 43<br />

e-mail:<br />

landesausstellung.neuburg@<br />

bsv.bayern.de<br />

website: www.hdbg.de<br />

Täglich von<br />

9.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 6,00 Euro<br />

ermäßigt 4,00 Euro<br />

3. Juni bis 16. Oktober 2005<br />

• S a l z b u r g<br />

Schiff voraus – Marinemalerei<br />

des 14. bis<br />

19. Jahrhunderts<br />

Residenzgalerie Salzburg<br />

Residenzplatz 1<br />

A-5010 Salzburg<br />

Telefon: +43 (662) 8 40 45 10<br />

Telefax: +43 (662) 84 04<br />

51 16<br />

e-mail::<br />

residenzgalerie@salzburg.gv.at<br />

website:<br />

www.residenzgalerie.at<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 17.00 Uhr<br />

Eintritt: 6,00 Euro<br />

ermäßigt 5,00 Euro<br />

16. Juli bis<br />

1. November 2005<br />

Richard Göbelt<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 29


Service<br />

Geschichte kompakt<br />

27. Juni 1955<br />

5 Beamte der Wehrverwaltung<br />

Bonn, um 1960<br />

20. August 1985<br />

Regierungserklärung zur Wehrverwaltung<br />

SKA/IMZBw/Hoffmann/07.08.1985 SKA/IMZBw/Altarchiv<br />

Das war neu in der deutschen Militärgeschichte.<br />

Mit der Gründung der Bundeswehr<br />

sollte auch eine strikte Trennung von militärischer<br />

Kommandogewalt und ziviler Wehrverwaltung<br />

eingeführt werden. Seit Aufstellung<br />

der stehenden Heere in der frühen Neuzeit, wo<br />

der Kompaniechef eigenverantwortlich wirtschaften<br />

musste, bis zu den Massenheeren des<br />

20. Jahrhunderts blieben immer Teile der Verwaltung<br />

unter dem Befehl eines Soldaten. Mit<br />

der Gründung der Bundeswehr war damit<br />

Schluss. Die Konzeption dieser neuen Form<br />

der Bundeswehrverwaltung wurde in einer Regierungserklärung schon am<br />

27. Juni 1955 der Öffentlichkeit bekannt gegeben. Neben Personal- und Besoldungswesen,<br />

Haushalt, Dienstzeitversorgung, Berufsförderung und sozialer<br />

Betreuung wurde im Kern folgende Aufgabe beschrieben: »Lieferung der persönlichen<br />

und sachlichen Mittel für die Aufstellung, Ergänzung, Unterhaltung<br />

und Versorgung der Streitkräfte und der ihnen dienenden Einrichtungen«. Im<br />

Oktober 1955 richtete man sechs Arbeitsgruppen ein, die den Kern der neuen<br />

Wehrbereichsverwaltungen in Kiel, Hannover, Düsseldorf, Wiesbaden, Stuttgart<br />

und München bildeten. Das Prinzip der vom militärischen Befehl unabhängigen<br />

Wehrverwaltung wurde im März 1956 im Artikel 87b des Grundgesetzes<br />

verankert. Das in der konsequenten Trennung der Bereiche seltene Prinzip<br />

führte in der Folgezeit zu einer nicht immer spannungsfreien, aber letztlich<br />

wohl effektivsten Form der Unterstützung des rasanten Aufwuches der Bundeswehr<br />

im Kalten Krieg.<br />

hb<br />

Vorläufiges Ende der Einsätze der<br />

Luftwaffe im Sudan und in Äthiopien<br />

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium<br />

der Verteidigung, Peter Kurt<br />

Würzbach, legte am 20. August 1985 eine Bilanz<br />

des Hilfseinsatzes der Luftwaffe in den Hungergebieten<br />

Äthiopiens und des Sudan vor und<br />

versicherte, die Bundeswehr werde sich auch<br />

künftig »der humanitären Herausforderung<br />

weltweit stellen«. Vor Einsetzen der Regenzeit<br />

endete am 31. September 1985 der Einsatz der<br />

Bundeswehr in diesen Krisengebieten.<br />

Seit November 1984 hatte die deutsche Luftwaffe mit Transall- und Boeing<br />

707-Flugzeugen der drei Lufttransportgeschwader aus Hohn, Wunstorf und<br />

Landsberg in so genannten Shuttle-Einsätzen große Mengen an Hilfsgütern in<br />

das äthiopische Landesinnere gebracht (s. Foto). Über 10 000 Tonnen Hilfsgüter<br />

sind in diesen Monaten in 1109 Einsätzen in den Norden Äthiopiens geflogen<br />

worden.<br />

Seit Mai 1985 wurden auch Maschinen gestartet, die Hungerregionen im<br />

Sudan mit Nahrungsmitteln versorgten. In 7428 Einsätzen wurden insgesamt<br />

3675 Tonnen Fracht – hauptsächlich Nahrungsmittel und Medikamente – in<br />

den Sudan transportiert. Aber auch deutsche Soldaten waren vor Ort als Fachausbilder<br />

für angehende Auto- und Fernmeldemechaniker, als Fahrlehrer und<br />

als Berater im Sanitätswesen eingesetzt. Damit wurden allein in Khartoum,<br />

der Hauptstadt des Sudan, 300 neue Ausbildungsplätze geschaffen.<br />

Die Soldaten der Bundeswehr leisteten mit ihrem Einsatz für die von Hungersnot<br />

und Dürre geplagten Völkern Afrikas »praktischen Friedensdienst<br />

im Sinne des Entwicklungsdienstes ergänzender Art«, so der Parlamentarische<br />

Staatssekretär Würzbach. Die Hilfsaktion war Bestandteil eines Programmes<br />

der Bundesregierung, mit dem insbesondere Infrastrukturmängel im Verkehrs-<br />

und Fernmeldebereich weniger entwickelter Länder gemildert werden<br />

sollen. 165 Millionen DM fanden sich dafür im Verteidigungshaushalt für<br />

einen Dreijahreszeitraum zwischen 1984 und 1987. Die Kosten des zehnmonatigen<br />

Dauereinsatzes in Äthiopien und im Sudan betrugen 54 Millionen DM.<br />

Richard Göbelt<br />

Heft 4/2005<br />

Militärgeschichte<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung<br />

Atomwaffen sind im aktuellen Kampf gegen den<br />

Terrorismus kaum anwendbar, stellen also keine<br />

Option für den militärischen Einsatz dar. Anders<br />

vor 50 Jahren. Da waren sie das wirksame Drohpotential<br />

im Kalten Krieg zwischen dem Warschauer<br />

Pakt und der NATO. Und dass man nicht<br />

nur drohte, sondern zum Einsatz auch stets bereit<br />

war, gehörte zum Funktionieren des »Gleichgewichts<br />

des Schreckens«. Nach den USA, die<br />

mit den Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki<br />

Atomwaffen zum ersten Mal und bislang einzigen<br />

Mal 1945 eingesetzt hatten, wurden mit<br />

der Sowjetunion 1949, Großbritannien 1952 und<br />

Frankreich 1960 europäische Staaten neue »Atommächte«.<br />

China, Indien, Pakistan und vermutlich<br />

Israel folgten.<br />

5 Otto Hahn vor einem Atommodell<br />

(Genfer Konferenz über Atomenergie, August 1955)<br />

Die nächste Ausgabe der Militärgeschichte<br />

befasst sich unter anderem mit dem Thema der<br />

westeuropäischen Verteidigungsstrategien am<br />

Beginn der 1950er Jahre. Das Risiko der nuklearen<br />

Vernichtung sollte nicht kalkulierbar sein.<br />

So wollte man potenzielle Angreifer von einem<br />

Waffengang abschrecken. Besonders die europäischen<br />

Partner der USA, allen voran die Bundesrepublik<br />

Deutschland, hatten ein Interesse am<br />

Funktionieren des Prinzips der Abschreckung<br />

auf der einen und der Abwendung eines Atomkrieges<br />

in Europa auf der anderen Seite. Der<br />

Schlüssel dazu waren glaubhafte Konzepte einer<br />

konventionellen Verteidigung und einer schnellen<br />

Reaktion auf einen sowjetischen Angriff.<br />

Ohne einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag<br />

war eine erfolgreiche Verteidigung des Westens<br />

nicht möglich. Zugleich war die Mitwirkung<br />

an der westeuropäischen Verteidigung von der<br />

Bundesrepublik nur zu erreichen, wenn sie als<br />

gleichberechtigter Partner in die NATO aufgenommen<br />

würde und die Bevölkerung der Bundesrepublik<br />

zumindest in den strategischen Planungen<br />

eine Überlebenschance hätte.<br />

Dass es gerade wegen der nuklearen Bedrohung<br />

diese Chance geben könnte, war damals<br />

auch den Zeitgenossen klar. Der deutsche Entdecker<br />

der Kernspaltung Otto Hahn (1879–1968)<br />

bemerkte dazu nüchtern: »Solange die Atombombe<br />

sich nur in Händen der beiden Großmächte<br />

befindet, gibt es keinen Krieg. Gefährlich<br />

wird es erst, wenn sich jeder das dazu notwendige<br />

Plutonium aus der Drogerie holen kann.« hb<br />

akg-images/AP<br />

30<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005


Militärgeschichte im Bild<br />

12. November 1955<br />

Bonn, Ermekeilkaserne<br />

Der umstrittene Geburtstag<br />

der Bundeswehr<br />

Am 12. November 1955, dem 200 Geburtstag<br />

4<br />

von General v. Scharnhorst werden die ersten<br />

Ernennungsurkunden überreicht<br />

Bundespresseamt/Altarchiv SKA/IMZ<br />

Am Vormittag des 12. November<br />

1955 versammelten sich<br />

in der Kraftfahrzeughalle der<br />

Bonner Ermekeilkaserne 101 Mitarbeiter<br />

des im Sommer eingerichteten Verteidigungsministeriums,<br />

um aus der<br />

Hand ihres Ministers als erste westdeutsche<br />

Soldaten ihre Ernennungsurkunden<br />

zu empfangen. Der Akt<br />

hatte über 50 Vertreter der Medien<br />

mobilisiert. Aus der Tageszeitung Die<br />

Welt war zwei Tage später zu entnehmen,<br />

dass dies »Die Geburtsstunde<br />

der neuen Streitkräfte« gewesen sei.<br />

Von seinem Bundeskanzler Konrad<br />

Adenauer sollte sich der verantwortliche<br />

Ressortchef Theodor Blank dafür<br />

allerdings den Rüffel einhandeln, dass<br />

zumindest zu erwarten gewesen wäre,<br />

»wenn alle schon Uniformen gehabt<br />

hätten, und wenn zum Schluss der<br />

Feier das Deutschlandlied gespielt<br />

worden wäre«. Mit »Missstimmung<br />

und Verärgerung« reagierte man auch<br />

in der militärischen Abteilung des<br />

Ministeriums auf diese reine »Schaunummer<br />

für die Presse«. Ihr Diensttagebuch<br />

verzeichnete deshalb die<br />

Versicherung des Abteilungsleiters,<br />

des späteren Generalinspekteurs Adolf<br />

Heusinger, dass diese ausgesprochen<br />

unterkühlte Zeremonie nicht als<br />

»Geburtsstunde neuer Wehrmacht anzusehen«<br />

sei. Das werde erst dem 2.<br />

Januar 1956, dem Tag des Zusammentretens<br />

der Lehrkompanien in Andernach<br />

(Heer), Nörvenich (Luftwaffe)<br />

und Wilhelmshaven (Marine) vorbehalten<br />

bleiben.<br />

Wozu dann diese Eile jetzt im Herbst<br />

1955? Die Antwort lag in der Wahrnehmung<br />

eines nur langsam in Gang kommenden<br />

Streitkräfteaufbaus von Seiten<br />

der NATO. Die Bundesrepublik war<br />

seit Mai Allianzmitglied, ohne dass<br />

seither Vorzeigbares an militärischer<br />

Umsetzung erkennbar geworden wäre.<br />

Adenauers Moskaureise im September<br />

schien im Gegenteil darauf hinzudeuten,<br />

dass die Bundesregierung nur<br />

schnell dabei war, die politischen Vorzüge<br />

aus ihren gewonnenen internationalen<br />

Spielräumen zu nutzen. Aus<br />

Fontainebleau bei Paris meldete der<br />

erste Nationale Militärische Vertreter,<br />

Oberst Graf Kielmansegg, besorgt, dass<br />

man bei SHAPE (Oberkommando der<br />

Alliierten Streitkräfte in Europa) den<br />

Eindruck habe, die Deutschen hätten<br />

es nicht eilig, nun auch ihre militärischen<br />

Verpflichtungen zu erfüllen. Er<br />

warnte: »Das Interesse an uns nimmt<br />

ab, weil das Vertrauen in uns schwindet.«<br />

Wollte man dem gegensteuern, musste<br />

man zumindest ein symbolisches<br />

Signal setzen. Schon am 8. November<br />

war deshalb die Entscheidung gefallen:<br />

»Am 12.11.1955 ist 200. Geburtstag<br />

von Scharnhorst. Dann sollen die<br />

ersten Ernennungsurkunden an Soldaten<br />

übergeben werden.« Auf die<br />

Tradition stiftende Rolle des preußischen<br />

Heeresreformers hatten schon<br />

Monate zuvor der von der Notwendigkeit<br />

grundlegender Reformen überzeugte<br />

Major a.D. Wolf Graf Baudissin<br />

und vor allem Bundespräsident Theodor<br />

Heuss hingewiesen. Wie nach<br />

der preußischen Niederlage von 1806<br />

musste es auch jetzt nach der noch weit<br />

einschneidenderen militärischen Katastrophe<br />

von 1945 darauf ankommen,<br />

einen neuen Soldatentyp zu schaffen,<br />

der militärische und staatsbürgerliche<br />

Rollen zu vereinen verstand.<br />

Vor diesem Hintergrund lasen sich<br />

denn auch die Nachbetrachtungen zum<br />

schmucklosen Auftreten in der Ermekeilkaserne<br />

durchaus differenzierter. In<br />

der schon zitierten Zeitung Die Welt<br />

spiegelte sich ganz der Unmut des<br />

Kanzlers über eine wenig eindrucksvolle<br />

»Verpflichtung ohne Hymne und<br />

Musik« wieder. Von den anwesenden<br />

Soldaten verfügten gerade einmal 12<br />

Offiziere über Uniformen; der Rest präsentierte<br />

sich in Zivil. Genau diese<br />

sehr zurückgenommene Inszenierung<br />

bewertete die Frankfurter Rundschau<br />

aber als »erfreulich zivil«. Und auch<br />

unter den militärischen Kritikern fand<br />

sich bei aller Missstimmung immerhin<br />

»der Gehalt der Rede Blanks« als<br />

»erfreulich« gewürdigt. Wenn er den<br />

Neuanfang unter das Motto stellte,<br />

»aus den Trümmern des Alten wirklich<br />

etwas Neues wachsen [zu lassen],<br />

das unserer veränderten sozialen, politischen<br />

und geistigen Situation gerecht<br />

wird«, dann nahm er vor aller Öffentlichkeit<br />

das Signal notwendiger innermilitärischer<br />

Reformen als Voraussetzung<br />

für die Integration der neuen<br />

Streitkräfte in Staat und Gesellschaft<br />

der zweiten deutschen Republik auf.<br />

Stellt man diesen Ansatz in den<br />

Mittelpunkt der Überlegungen über<br />

den »Gründungstag« der Bundeswehr,<br />

dann ist der 12. November 1955 als<br />

Anlass mit Zukunft gewählt.<br />

Bruno Thoß<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2005 31


NEUE PUBLIKATIONEN DES MGFA<br />

4<br />

4<br />

4<br />

Manfred Messerschmidt,<br />

Die Wehrmachtjustiz 1933 bis 1945.<br />

Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt,<br />

Paderborn: Schöningh 2005, XIV, 512 S., 39,90 Euro,<br />

ISBN 3-506-71349-3<br />

Entschieden für Frieden: 50 Jahre Bundeswehr 1955 bis 2005.<br />

Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes<br />

herausgegeben von Klaus-Jürgen Bremm, Hans-Hubertus Mack<br />

und Martin Rink, Freiburg i.Br.: Rombach Verlag 2005,<br />

VIII, 672 S., 38 Euro, ISBN 3-7930-9438-3<br />

Wegweiser zur Geschichte. Bosnien-Herzegowina.<br />

Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes<br />

herausgegeben von Agilolf Keßelring, Paderborn: Ferdinand<br />

Schöningh 2005, 168 S. , 9,90 Euro, ISBN 3-506-72976-4<br />

4<br />

Klaus-Jürgen Bremm,<br />

Von der Chaussee zur Schiene.<br />

Militärstrategie und Eisenbahnen in Preußen von 1833 bis zum<br />

Feldzug von 1866, München: Oldenbourg 2005, XII, 295 S.<br />

(= Militärgeschichtliche Studien, 40), 24,80 Euro,<br />

ISBN 3-486-57590-2<br />

4<br />

4<br />

Bernd Lemke,<br />

Luftschutz in Großbritannien und Deutschland 1923 bis 1939.<br />

Zivile Kriegsvorbereitungen als Ausdruck der staats- und<br />

gesellschaftspolitischen Grundlagen von Demokratie und<br />

Diktatur, München: Oldenbourg 2005, X, 524 S.<br />

(= Militärgeschichtliche Studien, 39), 44,80 Euro,<br />

ISBN 3-486-57591-0<br />

Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945.<br />

Erster Halbband: Politisierung, Vernichtung, Überleben. Zweiter<br />

Halbband: Ausbeutung, Deutungen, Ausgrenzung. Im Auftrag<br />

des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von<br />

Jörg Echternkamp, München: Deutsche Verlags-Anstalt 2004,<br />

Erster Halbband: XIV, 993 S., 49,80 Euro,<br />

ISBN 3-421-06236-6;<br />

Zweiter Halbband: XIII, 1112 S,49,80 Euro,<br />

ISBN 3-421-06528-4<br />

(= Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, 9/1 und 9/2)

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