Volltext Prokla 74
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19. Jahrgang . Marz 1989 . A 20275 F<br />
PROKLA <strong>74</strong><br />
Zeitschrift fiir politische Okonomie<br />
und sozialistische Politik<br />
PROKLA Redaktion . Pladoyer filr einen linken Antiamerikanismus<br />
Andrei S. Markovits . Die Prasidentschaftswahlen 1988<br />
Robert Guttmann· Der US-Finanzmarkt<br />
Remco van Capellevon . »Dritte Welt« Migration in die USA<br />
Horst Heitmann· Reagans Politik in Nicaragua<br />
Christoph Scherrer' US-Stahl - und Autoindustrie auf neuen Wegen<br />
Constantine V. Vaitsos . Neue Technologien lind die Weltwirtschaft<br />
Rotbuch Verlag
<strong>Prokla</strong> <strong>74</strong> 19. 1989 Nr. 1<br />
Redaktion: Elmar Altvater, Heiner Ganf3mann, Michael Heinrich, Kurt Hubner, Birgit MahnkoJ!f<br />
(geschaftsfiihrend), Dirk Messner, Gerald Wolf:<br />
Die <strong>Prokla</strong> erscheint regelmiiBig mit vier Nummem im lahr, Gesamtumfang 640 Seiten jiihrlich. Jedes<br />
Heft kostet im lahresabonncment 3.-, im Einzelverkauf 16,-. Abonnement tiber cine Buchhandlung<br />
oder tiber den Verlag, Wenn Sic tiber den Verlag abonnieren. erhalten Sie von einer Versandbuchhandlung,<br />
die mit dem Verlag kooperiert, eine Vorausrechnung fiir die niichsten Hefte (52,- DM plus Porto).<br />
Nach Bezahlung erhalten Sie die Hefte jeweils soforl nach Erscheincn zugeschickt.<br />
Verlagsadresse: Rotbuch Verlag GmbH, Postdamer Str. 98,1000 Berlin 30, Telefon 030/261 II 96 (den<br />
Verlag und Vertrieb filr alle frUheren Hefle; <strong>Prokla</strong> 1-21, hat der Verlag OBe & Wolter, Postfach 4310.<br />
lOOO Berlin 30 Ubernommen.)<br />
Redaktionsadresse: Postfach 100529, lOOO Berlin 10, Telefon 030/336 18 85<br />
Die Redaktion Hidt zur Einsendung von Manuskripten ein, Bitte Rtickporto beilegen. Eine Haftung kann<br />
nicht iibernommen werden.<br />
<strong>Prokla</strong><br />
- erscheint einmal vierteljahrlich<br />
wird herausgegeben von der »Vereinigung zur Krilik del' politis chen Okonomie e.V.«, die jahrlich in<br />
ihrer Vollversammlung die Redaktion der Zeitschrift wiihlt<br />
- presserechtlich verantwortlich fUr diese Nummer: Birgit Mahnkopf, Kurt I-fiibner<br />
© 1988 Rotbuch Verlag Berlin. Aile Rechte, auch das der<br />
Satz: Montania GmbH, Dortmund - Druck: CARO Druck, Frankfurt<br />
ISBN 3-88022-5<strong>74</strong>-5<br />
vorbehalten<br />
Beilagenhinweis: Dieser Ausgabe liegen Prospekte des Rotbuch Verlages und des Kirschkern-Buchversandes<br />
bei.
<strong>Prokla</strong>-Redaktion: Editorial<br />
Andrei S. Markovits: Die Prasidentschaftswahl1988:<br />
Eine Skizze ........................................................................................ 11<br />
Robert Guttmann: Der Strukturwandel des amerikanischen ...... 32<br />
Remco van nnPII'''lH'PYI' Give me your your poor, and your<br />
huddled masses? »Dritte Welt«-Migration in die USA ..................................... 55<br />
Horst Heitmann: Reagans Politik gegeniiber Nicaragua ..................................... 83<br />
Christoph Scherrer: Die US-Auto- und Stahlindustrie auf der Suche<br />
nach dem Goldenen Vlies der Wettbewerbsfahigkeit ........................................ 109<br />
Constantine v. Vaitsos: Radikale technologische Vel'anderungen<br />
und die neue del' Weltwirtschaft.. ...... , ................................................. 134<br />
Autorenverzeichnis ............................................................................................. 159
2<br />
Wlihrend die 6. Flotte im Mittelmeer auf Weise fUr geht in<br />
ein urn, das des Antiamerikanismus. Inzwischen soH es<br />
sogar eine linke Variante des<br />
abwohl Antiamerikanismus an sich<br />
schon etwas Kurioses ist. 1m<br />
zu anderen Ismen und ihren Antipoden<br />
bezieht er sich vom N amen her auf einen scheinbar rliumlich, aber ansonsten schlecht<br />
definierten Gegenstand. Das »Amerika« imAntiamerikanismus bezieht sich nicht auf<br />
das geographische Objekt, den Kontinent, sondem auf die USA. Antiamerikanismus<br />
richtet sich gegen deren Politik und den American way of life, an sich und als Exportartikel.<br />
Castro sind in diesem SinneAntiamerikaner, obwohlAmerigo<br />
Vespucci nicht am Plymouth Rock gelandet ist. Castro und Ortega haben das Pech,<br />
sich als Politiker mit Souverlinitlitsanspruch in Regionen zu betlitigen, die die USA<br />
schlicht rus ihren Besitz definiert haben: »our backyard«. So werden Lateinamerikaner<br />
zuAntiamerikanem. Was janur heiBen kann, daB sie keineAmerikaner sind, selbst<br />
wenn sie Baseballmlitzen tragen und Basketball spielen. Offenbar geht es bei der<br />
Nicht-Anerkennung als Amerikaner nicht nur urn das Wohngebiet oder Eigenheiten<br />
des Lebensstils, sondern urn die Aberkennung der politischen Souveranitat. Durch<br />
wen? Dureh die Amerikaner nattirlich.<br />
Wie aber werden dann Bundesdeutsche zu Antiamerikanern? Der Vergleich mit Kubanern<br />
oder Nicaraguanern zeigt, daB die Bundesdeutschen in h6herem AusmaB<br />
Amerikaner sind als viele »bedauemswerte« Lateinamerikaner. Zwar nicht vom<br />
Wohngebiet her, auch wenn das mane her vergiBt, wenn er mit allradgetriebenem Jeep<br />
Marlboro-rauchend tiber einen westdeutsehen GroBstadtboulevard<br />
Music hart und von Monument Valley trliumt. Wohl aber was die politische Souveranitlit<br />
angeht: Kein kein Stroessner, kein Somoza, statt dessen freie Wahlen,<br />
Wenn wir es, obsehon als<br />
geschafft haben, fast so amerikanisch wie die Amerikaner zu woher dann der<br />
Antiamerikanismus?<br />
»Amerika, du hast es besser« - solange dieser Seufzer geplagter Alteuroplier deren<br />
politische Orientierung bestimmt, flillt es sich in den US-amerikanischer<br />
Politik einzuordnen: man will was die vorgeblich schon<br />
haben, und glaubt es zu bekommen durch Teilhabe am Unternehmen USA. Bei naherer<br />
Kenntnis dieses Unternehmens aber schwindet die<br />
daB sieh dureh<br />
Adaption bzw. Adoption des American way of life die eigene Lebensweise wirklich<br />
verbessern lieBe. Das Empire hat sein Zentrum. Wir sitzen unweigerlich an der Peripherie.<br />
Das Empire schreibt der Peripherie eine bestimmte Rolle bei seiner Bestandserhaltung/erweiterung<br />
zu. Man kann sie akzeptieren und dafUr ein Honorara erwar-
Editorial 3<br />
ten. Wir konnen sie negieren und mtissen daftir mit Sanktionen rechnen. Der Schwanz<br />
kann aber nieht mit dem Hund wackeln.<br />
Vielleicht liegt in der Erkenntnis dieser Differenz zumindest eine QueUe des bundesdeutschen<br />
Antiamerikanismus? Er ware dann nieht, wie bei den Lateinamerikanem,<br />
Ergebnis der Aberkennung, sondem der Beobachtung der durch die USA gesetzten<br />
Grenzen der eigenen, nieht nur politischen Souveranitiit. Politisch gehOren wir Bundesdeutsche<br />
zu den »friends and allies« der USA. DaB es sieh dabei nicht urn die Rolle<br />
eines gleiehberechtigten Partners handelt, zeigt nieht nur die (Griindungs-)Geschichte<br />
der Bundesrepublik, sondem schon die simple Tatsache, daB die USA hier<br />
ABC-Waffen stationiert haben, tiber die im Emstfall die USA und niemand sonst verfUgen.<br />
Wenn es in diesem Sinne Souveranitatsdefizite der Bundesrepublik gibt und<br />
wenn der Antiamerikanismus eine Begleiterscheinung des Strebens nach nationaler<br />
politischer Souveranitat ist, was ware dann so schlimm daran? Warum wird er (von<br />
wem?) als moralisch zu miBbilligende Einstellung gehandelt?<br />
Neben der begrenzten politischen Souveranitat gibt es eine weitere, wiehtigeDimension,<br />
in der demAmerikanischwerden der Bundesrepublik Grenzen gesetzt sind, die<br />
deshalb zu einer QueUe von Antiamerikanismus werden kann. Der American way of<br />
life ist - entgegen allen Nachahmungsversuchen - nieht universell nachlebbar. 1m<br />
Grunde handelt es sich, wie der US-amerikanische Historiker w'A. Williams formuliert<br />
hat, um »empire as a way of life«: das Ergebnis der Unfiihig- oder Unwilligkeit,<br />
im Rahmen seiner eigenen Mittel zu leben. Alltagsleben und Politik in den USA sind<br />
dernnach gepragt durch eine grundsatzlich vorwiirts blickende, expansive, progressive,<br />
ehrgeizige, am Modell des individualistischen Pioniers orientierte Haltung. Deren<br />
SchOnheitsfehler bestehen in der Unfahigkeit, aus der eigenen Geschiehte zu lemen<br />
(kein Wunder, daB die Neu-Deutschen hier ihre Vorbilder suchen), in der Unfiihigkeit,<br />
mit den eigenen Mitteln auszukommen, und in der Unfiihigkeit, etwas anderes als den<br />
American way of life sieh tiberhaupt vorzustellen, geschweige denn zu akzeptieren.<br />
Aber der American way of life wird erstermoglicht durch die imperiale Position der<br />
USA, zu der nieht nur die militiirische und okonomische Fiihrungsrolle gehOren.<br />
Diese selbst wird durch immense natiirliche Ressourcen gestiitzt, wahrend der natiirliche,<br />
erarbeitete und eroberte Reiehtum der USA wiederum schier endlose Strome<br />
von hoffnungsfrohen, ehrgeizigen und arbeitswilligen Einwanderem angelockt hat<br />
und anlockt. Sie wollen fUr sich den A~erican dream verwirkliehen. DaB sie inzwischen<br />
mehr und mehr zu dessen Gefangenen geworden sind (M. Davis), zeigt<br />
schon innerhalb der USA selbst, daB der American way of life fUr den Rest derWelt<br />
nicht nachvollziehbar ist. Die Enttauschung dariiber fUhrt zu Distanzierung und<br />
Kritik. Wenn das eine zweite QueUe des Antiamerianismus ist, warum ware er dann<br />
verwerflich?<br />
Problematisch wird der Antiamerikanismus wohl vor allem dann, wenn er seine<br />
Wurzeln nieht in der in vielerlei Hinsieht berechtigten Distanzierung von dem<br />
Unternehmen USA hat, sondem in dem (versteckten) Wunsch, selbst die hegemonia<br />
Ie, imperiale Stellung der Amerikaner einzunehmen und fiir sieh selbst den American<br />
way of life zu verwirklichen. Der (behauptete) Antiamerikanismus der Linken laBt
PROKLA-Redaktion<br />
sich jedoch kaum auf<br />
Geltiste zurtickflihren. Kann er dennoch aus<br />
einer Art Neid !!e[)onm sein? Auf jeden Fall kann er sich gegen falsche Objekte<br />
richten.<br />
Ob es sich um einen Fall von Neid handelt, laBt sich durch eine Verstandigung dartiber<br />
klaren, was den American way oflife so attraktiv macht. Neben Reichtum,<br />
»coolness & cuteness« (F. dtirfte die demokratische AHtagskultur eine der<br />
Hauptattraktionen ausmachen. Attraktionen solI ten jedoch nicht blind machen gegentiber<br />
ihrer Kehrseite. Zum Reichtum gehOren<br />
und Verschwendung, zu<br />
»coolness & cuteness« und zur demokratischen Alldie<br />
und mitunter abenteuerliche Militiir-<br />
AuBenpolitik. Aber auch in dieser kann man tibertreiben. Lauft ein bundesdeutscher<br />
linker Antiamerikanismus Gefahr, sich auf falsche Objekte zu richten, Kinder<br />
mit dem Bade auszuschtitten?<br />
Wie erfrischend und vorbildlich erscheinen im Vergleich zu den deutschen Gesinnungstraditionen<br />
der autorWiren StaatsgHiubigkeit und Gemeinschaftsduselei der<br />
Antietatismus und Individualismus der Amerikaner, die Selbstverstandlichkeit des<br />
gleichberechtigten Umgangs miteinander, die politsche Mobilisierungsfiihigkeit an<br />
den »grass roots«, etwa in der Btirgerrechtsbewegung, die Moglichkeit, immer wiedereineArtAufbruchstimmung<br />
zu erzeugen. Dabei geht es nicht so sehr um den Staat<br />
und seine demokratische Gestaltung in bestimmten Institutionen als um die Mikroebene<br />
des Alltagslebens. Diese Mikroebene wird traditionsgemaB als ein staatsfreier,<br />
wenngleich nicht unpolitischer Raum angezielt.<br />
DaB es solche Riiume in den usA (noch) gibt, oder in einem anderen MaBe gibt als<br />
gerade in Deutschland, darin liegt wohl nach wie vor die Faszination des American<br />
way of life. Denn die Amerikaner interessieren sich nicht sonderlich flir den Staat. Sie<br />
sind von rechts bis links antietatistisch eingestellt, gegen Blirokratie und jegliche<br />
Form von staatlicher Einmischung in »ihre« Angelegenheiten. Gleichwohl hat die<br />
insofem sie z.B. die<br />
demokratische<br />
lokaler Selbstverwaltungsaufgaben, die Beteiligung<br />
an Basisaktivitaten aller Art beinhaltet. greift der abgesehen vom Notigsten<br />
(Steuem, Militiir), kaum in diese Privatsphiire ein. Das Motto flir dieses AraUl~'All'vj'H<br />
konnte in der Tat lauten: der Staat hiilt sich aus unseren<br />
hemus, und wir halten uns aus seinen Angelegenheiten hemus (auBer denen, die uns<br />
unmittelbar angehen). In der demokratisch angereicherten Privatsphare werden, so<br />
scheint es, die politischen Energien absorbiert. Das hat dann zur Folge, daB die sag.<br />
hoheren Ebenen der Politik, insbesondere<br />
den Politikem iiberlassen<br />
bleiben.<br />
Die Amerikaner selbst sind mit dieser Konstellation: Privatpolitik an der Basis, Staat<br />
als fremde<br />
Die Attraktivitat des American way<br />
oflife hat jedenfalls sicher viel mit dem geringen Grad an Durchstaatlichung des Alltagslebens<br />
zu tun. Die spannende ist, wie diese Binnenverhaltnisse mit der imperialen<br />
AuBenprojektion der US-Gesellschaft zusammenhangen.<br />
Von Cecil Rhodes (1853-1902) stammt der Ausspruch: »Man muB Imperialist sein,
Editorial 5<br />
um den Btirgerkrieg zu vermeiden«. Demnach ware die Weltmacht- und Weltmarktrolle<br />
der USA ein Mittel, die internen Konflikte so klein zu halten, daB sie mit demokratischen<br />
Mitteln abgearbeitet werden konnen. Dieser Gedanke mag richtig sein. Er<br />
erkliirt uns aber nicht, wie die Entkopplung zweier politischer Spharen, von Alltagsbzw.<br />
Basisdemokratie und Staat, moglich ist, die wiederum die imperiale AuBenrolle<br />
der USA ermoglicht.<br />
Wie auch immer diese Entkopplung erkliirt werden kann, als Tatsache ist sie wichtig<br />
ftir die Einschiitzung des Antiamerikanismus. Weil im Antiamerikanismus insbesonderedie<br />
imperiale Rolle der US-Gesellschaft hervorgehoben,die demokratischen<br />
BinnenverhaItnissehingegen vernachlassigt werden, kann er leicht alsFehlwahrnehmung,<br />
Einseitigkeit usw., kritisiert werden. Ftir all diejenigen, die nicht in den USA<br />
leben, ist jedoch die flir den Antiamerikanismus charakteristische (und vielleicht konstitutive)<br />
Abstraktion von den Binnenverhaltnissen durchaus legitim.<br />
Einerseits hat das mit der einfachen Tatsache zu tun, daB man als Nichtamerikaner<br />
unweigerlich in die Umwelt der US-Gesellschaft gehOrt, deshalb von ihr in der Form<br />
von AuBenrelationen, AuBendarstellungen betroffen ist. Andererseits vollzieht man<br />
mit der Behandlung der US-Gesellschaft als einer »black box« nur jene Entkopplung<br />
nach, die ftir diese Gesellschaft charakteristisch ist.<br />
Deshalb kann man mit einigem Recht davon abstrahieren, wie die US-Amerikaner<br />
leben, wie sie »wirklich« sind. Nicht, daB wir nichts mit ihnen zu tun hiitten. 1m Gegenteil,<br />
wir haben eher zu viel mit ihnen zu tun. Aber: Leben mtissen wir hier mit dem,<br />
was aus den USA zu uns kommt, seien es Touristen, cruise missiles, »Dallas«, »blue<br />
jeans«, Charlie Parker, Chandler oder die Parsons'sche Theorie. Warum es zu uns<br />
kommt, warum in der jeweiligen Form, we1che Alternativen es gabe, ist demgegentiber<br />
sekundar: das Bild, das sich die Umwelt von der US-Gesellschaft macht, wird<br />
weitgehend davon bestimmt, wie sich diese GeseHschaft nach auBen projiziert. N atiirlich<br />
kann man sich auch »von auBen« daftir interessieren, wie es zu dieser Projektion<br />
kommt, we1che Alternativen dabei verschtittet werden, wie sozusagen die System<br />
(USA)-Umwelt (wir)-Beziehungen selegiert und gesteuert werden und wo Veranderungsmoglichkeiten<br />
sitzen. Aber niichtern zu konstatieren bleibt vor aHem und zuallererst<br />
der tatsachliche »grenziiberschreitende Verkehr«.<br />
Urn das Argument zu verdeutlichen (nicht um die BRD mit Nicaragua zu vergleichen):<br />
Es muB einen Bauern in Nicaragua, der durch die US-finanzierten Contras<br />
Ernte, Haus oder Angehorige verloren hat, nicht interessieren, ob die Oppositon in den<br />
USA gegen die Contra-Finanzierung machtvoH, gutwillig, religios motiviert usw.<br />
war. Es muB den Bauern noch nicht einmal interessieren, ob die Finanzierung offiziell<br />
oder inoffiziell erfolgte. Zunachst interessiert das factum brutum, daB die Yanquis<br />
hinter der Zerst5rung stecken. Und womoglich wird er sich erinnern, sofern so1ches<br />
Wissen in seiner Gesellschaft tradiert wird, daB es in den letzten 150 Jahren viele<br />
militiirische Interventionen der USA in Nicaragua gab (nach einerfliichtigen Ziihlung<br />
und ohne quantitative Gewichtigkeit zu beriicksichtigen kommt man auf 10 Interventionen<br />
zwischen 1853 und 1933). Ob sich die US-Amerikaner vor und nach diesen Interventionen<br />
dariiber gestritten haben, kann den Opfern ziemlich ega! sein.
6 <strong>Prokla</strong>-Redaktion<br />
fUr uns: Es ist filr die Konstitution des<br />
rikabildes<br />
daB Millionen US-Amerikaner gegen die<br />
und cruise-missiles, fUr den >>lluc1ear freeze« waren, daB sie mit den Senvon<br />
Radio Free nicht einverstanden waren, wenn sie sie kennen wurdaB<br />
es bessere Fernsehserien als »Dallas« oder» Denver« Zunachst baut sich<br />
die AuBenansicht der US-Gesellschaft auf den Tatsachen daB die Pershings<br />
und cruise missiles hier stationiert werden oder daB ein GroBteil des bundesdeutschen<br />
Fernsehprogramms aus schwachsinnigen US-Serienproduktionen besteht.<br />
Wen interessiert daB es den Amerikanern in Small Middle<br />
sie ein vorbildlich reges, demokratisches Gemeindeleben<br />
daB sie nachbarschaftliche Solidariat<br />
keine Schwarzen<br />
in die Nachbarschaft ziehen - dagegen muB man schon aus rein okonomischen<br />
Grunden wegen des drohenden Verfalls der Immobilienpreise sein). Solange dieses<br />
vorbildliche demokratische Alltagsleben nach auBen zu nichts anderem als zu<br />
den bekannten Kontinuitaten der<br />
braucht man sich dafUr auch von<br />
auBen nicht zu interessieren.<br />
Allerdings setzt hier das Problem ein, daB die Attraktionen des American way of life<br />
propagandistisch ausgewertet werden. Einerseits gibt es interessierte Importeure: Der<br />
StationierungsbeschluB fUr die Pershings und cruise missiles ist schlieBlich im Deutschen<br />
Bundestag gefaBt worden, und niemand zwingt die bundesdeutschen Fernsehsender,<br />
Fertigware in Hollywood einzukaufen. Andererseits gilt insbesondere das basisdemokratische<br />
Politikmodell offiziell als expartfahig (faktisch ist es wahl eher fUr<br />
den (auch noch selektiven) US-Hausgebrauch reserviert). Der Versuch seiner Nachahmung<br />
fUhrt allerdings zu Pathologien. Da werden die merkwurdigsten mimetischen<br />
Anstrengungen unternommen, urn etwas zu erreichen, was nicht zu erreichen ist,<br />
namlich die Ubertragbarkeit des American way of life, seine HerauslOsung aus dem<br />
natiirlichen, geographischen, historischen Kontext der Landnahme in Nordamerika.<br />
Auf derlei Anstrengungen folgt jedoch unausweichlich die Erfahrung, daB Teilhabe<br />
durch Identifikation, Authentizitat durch N achahmung nicht zu haben sind. Dennoch<br />
bleiben immer noch genUgend Unbelehrbare und entsprechende tmOOJ[(-l::\X1JOIT-}\nin<br />
SachenAmerican way oflife; von Cowboy-Clubs bis zu Ivy-Leaguegeschadigten<br />
Professoren einig in dem es so zu machen wie die groBen<br />
Bruder und Schwestem.<br />
Mit dem Hinweis auf die Vergeblichkeit solcher<br />
solI nicht bestritten<br />
werden, daB Gesellschaften voneinander lernen, daB Politikformen und Lebensstile<br />
werden konnen und daB dafUr die wechselseitige Wahrnehmung der Binnenverhaltnisse<br />
niitzlich sein mag. Bestritten werden soIl aber, daB es unter allen Umstanden<br />
geboten ist, die Binnenverhaltnisse einer Gesellschaft wahrzunehmen, urn<br />
sich das fUr das eigene Handeln adaquate BUd von ihr zu machen. Sicherlich, die<br />
Kenntnis der Binnenverhaltnisse ist niitzlich und notwendig, will man begrundet<br />
antizipieren, was aus den USA auf uns zukommt. DafUr ware aber eine weitere Voraussetzung,<br />
daB man den Zusammenhang von Binnenverhaltnissen und AuBenprojektion<br />
kennt. Genau an diesem Punkt hapert es.
Editorial 7<br />
Offensiehtlieh kann man weder von den rechtsstaatlich-demokratischen BinnenverhaItnissen<br />
auf eine an die Grundsatze des Volkerrechts gebundene AuBenpolitik<br />
schlieBen, noch urngekehrt von der imperialistischenAuBenpolitik auf machtstaatlieh<br />
geregelte BinnenverhaItnisse. Es scheint sieh vielmehr um eine sozusagen schizophrene<br />
Gesellschaft zu handeln, bei der Innen- und AuBenverhaltnisse nicht nur verschieden,<br />
sondern gespalten und widersprtichlieh sind. Sozialwissenschaftlieh ware<br />
es sicherlich interessant zu wissen, wie der Zusammenhang von soleh widerspriichlichen<br />
Elementen rekonstruierbar ist. Aber ist es auch politisch interessant?<br />
Was hat man politisch gewonnen, wenn man weiB, daB die US-Amerikaner »nicht<br />
sosind«, wie siesich nach auBen, militiirisch, politisch, okonomisch dem Rest der<br />
. Welt von Vietnam bis Grenada, Libyen und Nicaragua darstellen? Wohlgemerkt, es<br />
geht nieht darum, ein hermetisches Feindbild der USA zu zeiehnen, indem man auf<br />
den SiindenfaIlen ihrer AuBenpolitik ~erumreitet. Aber es geht darum, in Rechnung<br />
zu stellen, daB diese AuBenpolitik selbst eine Abstraktion und Verselbstiindigung gegen<br />
die BinnenverhaItnisse der US-Gesellschaft darstellt. Wenn sich diese Gesellschaft<br />
selbst eine derartige Verselbsilindigung ihrer AuBenprojektion gegentiber<br />
ihren Binnenverhaltnissen leisten kann, warum solI man sie von auBen nicht mitmachen?<br />
Sie mitzumachen heiBt, sich fiir den Umgang mit der US-Gesellschaft rein an ihrer<br />
AuBenprojektion zu orientieren. Einerseits ist das eine drastische Vereinfachung. Andererseits<br />
entgeht man dadurch der Gefahr, tiber der Schokoladenseite der USA, tiber<br />
der Faszination durch die unzweifelhaft vorhandenenAttraktionen des American way<br />
of life die imperiale AuBenseite zu vernachlassigen. Z.B. gehOrt zum Abbau rassistischer<br />
Diskriminierung und zurn Aufbau sozialstaatlicher Institutionen in Lyndon<br />
B. Johnsons Great Society die Eskalation des Vietnamkriegs. Wie beides zusammenhiingt,<br />
bedarf noch der niiheren Erkliirung. Aber nach zweihundert Jahren AuBenpolitik<br />
der Vereinigten Staaten ist der Verdacht nicht abwegig, daB Demokratie im<br />
Innern und imperiale Anspriiche nach auBen·funktional aufeinander bezogen sind.<br />
Solange dieser Verdacht nieht ausgeraumt ist, bleibt jedenfalls die Anempfehlung des<br />
basisdemokratischen way of life fUr den Export ohne Uberzeugungskraft. Es konnte<br />
ja sein, daB die Sucht, jede politische Aktivitat an den grass-roots zu organisieren, den<br />
Eingriff aufhOheren Organisationsebenen, wo es um die wichtigen Sachen geht, blokkiert.<br />
Wenn dem so ware,konnte man auf die schone Innenansieht der US-Gesellschaft<br />
verziehten, weil man auf Basisdemokratie als Beschiiftigungstherapie verziehten<br />
kann. (Zwar heiBt einem bekannten politischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts<br />
zufolge »radikal sein« »die Sache an der Wurzel fassen«, aber urn an die Radieschen<br />
zu kommen, muB man oben am Griinen ziehen).<br />
Wenn es stimmt, daB die US-Gesellschaft in gewisser Weise schizophren ist, wie solI<br />
man von auBen praktisch mit ihr umgehen? Nach wie vor empfiehlt sieh der alte einfache<br />
Grundsatz: An ihren Friichten sol1t ihr sie erkennen. Wenn man einen Richard<br />
Perle oder Caspar Weinberger bei einer »wehrkundlichen Tagung« hort, kommt man<br />
natiirlieh nieht auf die Idee, daB dies der Abgesandte friedliebender, demokratischer<br />
US-Biirger sein solI. »Von auBen« fiingt man dann mit der Produktion von Vorurteilen
8 <strong>Prokla</strong>-Redaktion<br />
tiber »die Amerikaner« an: ein waffenstarrendes Yolk von<br />
usf. Das sind sie natiirlich<br />
Paranoikern usw.<br />
die es verdient. DaB ein solcher Grundsatz<br />
sollten die Deutschen am besten wissen: EI' soIl<br />
daB slch die<br />
den aus der<br />
in die Rolle des<br />
elg;emCllcn in unserem Fall gegendiese Identifikation - auBer daB<br />
man sich daflir den Vorwurf des Anti-Amerikanismus einhandeln kann? Die Identifikation<br />
ist nlchts weiter als eine<br />
der AuBenprojektion der US<br />
Gesellschaft. OdeI' wollte man einen Franzosen einer antideutschen Einstellung be<br />
"~llU"Jlbvll, der behauptet, Bundeskanzler Kohl sei eine adaquate Darstellung der<br />
politischen Gesinnungslage der Bundesdeutschen? N atlirlich gibt es eine signifikante<br />
Minderheit, die flir eine andere Politik als die Kohlsche ist. Aber die Minderheit ist<br />
eben dies, die Minderheit Sie hat mit der Wahl nich! nur das formale sondern<br />
VV'-'H1O'vllC,UU auch die faktischen Moglichkeiten zur AuBendarstellung der Gesellschaft<br />
verloren.<br />
Was also soU der Vorwurf des Antiamerikanismus? Er klinkt natiirlich nicht erst dann<br />
ein, wenn die AuBenprojektion der US-Gesellschaft mit ihren Binnenverhaltnissen<br />
identifiziert wird. Tatsachlich setzt man sich dem Vorwurf schon aus, wenn<br />
konstatiert. D.h. im wesentlichen: wenn man die n.U'Jv.n,_n<br />
dem Stichwort die Binnenverhaltnisse hingegen<br />
als demokratisch-rechtstaatliche beschreibt auch immer weit sie von der<br />
idealer<br />
entfernt sein mogen). Wenn man schon<br />
als Anti-Amerikaner gilt, wei! man daB die<br />
Sachen Freiheit und Demokratie sich gegen<br />
den Vorwurf zu wehren. DaB es bei dieser Politik urn ein - nur auf den amerikanischen<br />
Kontinent beschranktes<br />
laBt sich deren offiziellen Selbstbe~;cnrelbUllg(m<br />
entnehmen ebenso wie man vom deutschen Kaiser horen<br />
daB am deutschen Wesen die Welt genesen<br />
Es bleibt also als relevanter Vorwurf der der<br />
Identifikation der<br />
mit den Binnenverhaltnissen. Die Amerikaner sind nicht so, wie<br />
man von auBen vermuten konnte. Das aber es ist Sache die<br />
durch die<br />
Wahrscheinlichkeit ihrer<br />
von auBen durch eine Korrektur dieser Politik zu vermindern. Die sozialen Prozesse,<br />
in denen diese Politik und ihre Akteure selegiert sind US-interne
Editorial 9<br />
von auBen nicht steuer- und kaum auch sie flir den Rest der Welt<br />
sind. Was ntitzt es, wenn man sich von auBen - und noch dazu als<br />
Bundesdeutscher - den dartiber was die alles zu<br />
rH.ll'-"H;.,:mc", wie die des Historikers W.A.<br />
daraus resultieren.<br />
Welche Rolle kann der dieses Problems sog. Anti-Amerikanismus<br />
Eine Funktion wurde bereits benannt: Der Anti-Amerikanismus erlaubt lJa'JlM.·ualL-<br />
""''''''-'11!;, von einem Teil aufs z.B. von der der »Contras«<br />
auf den Zustand der US-Gesellschaft. Sofern diese »auBen« unternommene Zurech<br />
Nwe"",,". d.h. von den<br />
Krafte erhOhen.<br />
Eine weitere Funktion ist defensiv. Der Uv''-'H.'5U01'i;;,0HY'' ....<br />
mKl(;htlmg<br />
untergehelld(~I Sonne wer sich also dem missionarischen des American<br />
way of life darf schon als Antiamerikaner In diesem Sinne<br />
nalisiertAnti-Amerikanismus eine nwmH'CP<br />
kann. Insofem ist<br />
schon wer wertkonservativ ist.<br />
Unter diesen Umstanden man sich dem Vorwurf des Antiamerikanismus gar<br />
nicht entziehen. J ede den intemen Zustanden in den an der F>.UC!J .... u'-Hr<br />
litik der USA kann dem Label wehren? Fur<br />
Interessen den Sheriff flir den Rest der<br />
Welt zu ist. d.h. schnell und nach VLF''-'H.vH<br />
zwischen gut bose unterscheidend. Wenn amerikanische Politiker derart riskant<br />
laBt sich das zur Not sowohl dadurch daB die USA die
10<br />
'A)",1Jl1''-'lH Territorium nicht t;'-"lla'"'H<br />
mc)aemc:il Kriegen relativ geringe<br />
11~'b'-'11"JIH'Ul-'V"HHJH einbrachte. Urn so unverstandlicher wird jedoch die Ander<br />
hiesigen »Atlantiker«: Wer sich hinter dem<br />
der mit militarischer Starke flir<br />
sorgen<br />
der<br />
und ihrer Vorgeschichte nichts<br />
Art bundesdeutscher Amerikafreunde nur, auf die urmosmlon<br />
dem Vorwurf des Antiamerikanismus zu reagieren.
11<br />
die strukturellen Ursachen der Niederlage<br />
der Demokratischen Partei bel den (lS)'(1pnr,\'cnOT[SW,(1nwn vom November 1988,<br />
die zu erwartenden Konturen der<br />
haltnisse den USA am Ende<br />
oder<br />
tiell<br />
Mitte-Links-Koalition aus, wenn es den Demokraten geliinge,<br />
offensiv fur soziale und okonomische<br />
zu mobilisieren.<br />
Der wahrscheinlich urn unfairsten geftihrte, vom intellektuellen Inhalt her niveauloseste<br />
Wahlkampf der neueren amerikanischen Geschichte endete mit einem klaren<br />
Erfolg des republikanischen Kandidaten George Bush. Mit 54 % der abgegebenen<br />
Stimmen und 426 von 538 Wahlmannern/frauen im Electoral College konnte Bush<br />
einen tiberzeugenden Sieg fUr sich verbuchen. Doch anders als sein Amtsvorganger<br />
und ideologischer Ziehvater Ronald Reagan, del' besonders durch seinen 1980 - aber<br />
auch vier Jahre danach - errungenen Wahlsieg mit einer gewissen Legitimitat davon<br />
sprechen konnte, daB ihm das amerikanische Yolk durch die Urne ein »Mandat« verliehen<br />
habe, vermochte Bush niemals auch nur aImlich hachtrabende Weihen fiir sich<br />
in Anspruch zu nehmen. Obwahl Bushs Wahlsieg iiberzeugend ausfiel, erbrachte die<br />
Prasidentenwahl im November 1988 weder ein klares Regierungsmandat fUr den 41.<br />
Prasidenten des Landes noch ein sogenanntes »realignment« - also eine Restrukturierung<br />
- der Parteienlandschaft und der politischen<br />
des Landes. Wahrend<br />
auf der einen Seite der konservative Bush die Oberhand konnten die sicherlich<br />
viel<br />
Demokraten ihren bereits var dem 8. November vorhandenen<br />
Vorsprung in beiden Hausern des Kongresses noch erheblich ausbauen. Niemals<br />
zuvor in der Geschichte des 20. J ahrhunderts muBte ein zum erstmals zum Prasidenten<br />
gewiihlter Republikaner Verluste seiner Partei in beiden Hausern des Kongresses in<br />
Kauf nehmen. Urn der Sache noch groBere<br />
zu verleihen: Der eUlde:utlge<br />
Bush-Sieg, den man<br />
als einen schlichten Rechtsruck der amerikanischen<br />
Politik deuten war begleitet von den vielleicht noch iiberzeugenderen<br />
und tiberraschenden ausgesprochen liberaler Senataren wie Metzenbaum<br />
(Ohio), Lautenberg Jersey) (Michigan), von Siegen der Gouverneure<br />
Kunin (Vermont) und Bayh (Indiana)l, und vieler der 262 demokratischen Kon-<br />
" Dieser Aufsatz wurde Anfang Dezember 1988 verfaBt
12 Andrei S. Markovits<br />
elS,abj~ec,rdnel:en Wenn man dazu noch die hunderter kommunaler und<br />
auf bundesstaatlicher Ebene begrenzter Referenda auswertet,<br />
kein Bild eines klaren denn eines !.lVJIU"'...."<br />
Mandates flir die nachsten vier Jahre.<br />
Man konnte die amerikanische» Uniibersichtlichkeit« velrkiilfzl: folg,:ndlennal;)en<br />
zieren: Bushs ist in erster Linie eine UCOM''''lE;!LH/';<br />
sonlichen Charisma Ronald<br />
ist es<br />
~V'Hn'Hv Charisma institutionell zu verankem und in ein dauerhaftes<br />
Vermachtnis zu schmieden. Auf<br />
Seite wurde die bereits 1982 sich<br />
anbahnende<br />
Starke Ronald Reagans<br />
einerseits und der andauemden Schwache del'<br />
Partei andererseits<br />
eher noch vertieft. Die Demokraten bleiben in einem 3:2 Verhaltnis weiterhin die<br />
starkere der zwei Parteien. Wir haben es hier mit einer<br />
zu tun, die sich<br />
30er Jahren mit nur ganz<br />
Jnter[JreIChllllj;en - in der<br />
Topo:graphie der amerikanischen Parteienlandschaft zu LvO'UF',vH scheint. GleichllalJllQ,H<br />
tr!.'S'-''', ihre Zahl<br />
ist auf nationaler Ebene bereits<br />
zahlreichen<br />
Kommunen sogar die der Demokraten.<br />
Neben dieser »Zersetzung« traditioneller Gefolgschaft der zwei amerikanischen<br />
GroBparteien ist ein immer ausgeprligteres Stimmensplitting zu beobachten, das bislang<br />
immer zum Sieg der Republikaner in Prlisidentschaftswahlen<br />
wlihrend<br />
die Demokraten die Macht in den zwei Hausem des Kongresses auf lange Zeit<br />
gepachtet zu haben scheinen. So lliBt sich zwar von einem »de-alignment« jedoch<br />
nicht von einem »re-alignment« der amerikanischen Parteienkonstellation sprechen.<br />
Ein wahres Paradigma der Post-Modeme also! Dennoch muB meines Erachtens die<br />
Gretchenfrage der amerikanischen<br />
beantwortet werden: Woran liegt es<br />
daB die Demokraten flinf der letzten sechs sieben der letzten Prasidentschaftswahlen<br />
- vier davon mit<br />
hohen Wlihlerverlusten - verloren<br />
haben? Dem Versuch diese zu erortem mochte ich den ersten Teil meines<br />
1m<br />
erwartenden innen- und U'-"'Jv"f.'V'HU"'-"'VH<br />
der LUlfi.UIH !,",-',lL vv l'-'''JUJlllS'Altischen<br />
Partei bildet den SchluBteil dieses Aufsatzes.<br />
Die Demokraten in stmkturellen "'Clrl.wlerl.gil~enen:<br />
Ein bitteres Vermachtnis del' 60er und del' 68er Jahre<br />
~'.'H"'VHder<br />
indertlunaesI'epubllK~vu,c,vH'~'u<br />
pliischer Lander haben auch in den USA die au:gelneme<br />
verschiedenen politisierten der 60er Jahre ein sehr "vU'~"'.u"v0 Vermachtnis<br />
und ein schier unlosbares Dilemma fUr die<br />
Lan-
Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 13<br />
des - also in unserem Fall die Demokraten - hinterlassen. Diese zentrifugale Entwicklung,<br />
die ihren Hohepunkt bei den Parteitagen der Demokraten 1968 und 1972 erreichte,<br />
zerstorte ein fili allemal das yom New Deal Franklin Delano Roosevelts<br />
zusammengeschmiedete Gebilde der alten Demokratischen Partei, ohne ihr bis heute<br />
ein neues, auch nur anniihernd vergleichbar stabiles Geriist verleihen zu konnen.<br />
Dieses aus den 30er Jahren stammende »liberale« Gebilde scharte eine Koalition aus<br />
fortschrittlichem Kapital, den Gewerkschaften (»organized labor«), Schwarzen, Juden<br />
und den sogenannten »ethnics«2 des Nordens urn eine wachsturns- und konsurntionsbetonte<br />
keynesianische Politik, in der dem Staat eineaktiv gestaltende Rolle in<br />
der Sozial- und Wirtschaftspolitik eingeraumt wurde. Diese Koalition traf dann ein<br />
wichtiges politisches Abkommen mit dem seit dem Biirgerkrieg des 19. Jahrhunderts<br />
weiterhin rassistischen, feudalen und separatistischen, siidstaatlichen Teil der Demokratischen<br />
Partei: Fili die legislative Unterstiitzung des liberalen Rooseveltschen<br />
Programms im KongreB und seine spatere Durchsetzung auf nationaler Ebene blieben<br />
die Siidstaaten in ihrem rassistischen und feudalen Lebensstil yom Bund zunachst<br />
unangetastet. Dieses von Roosevelt etablierte Gebilde blieb bis Mitte der 60er Jahre<br />
erhalten und gereichte der Demokratischen Partei zu manchen Erfolgen, sowohl im<br />
Bereich der legislativen (KongreB) als auch in dem der exekutiven (Prasident) Politik.<br />
In der Innenpolitik war fili diese Partei eine Reformneigung in der Sozial- und<br />
Wirtschaftspolitik kennzeichnend, wlihrend sie in der AuBenpolitik dem starken Isolationismus<br />
der Republikaner ein betont interventionistisches und »engagiertes«Auftreten<br />
der Vereinigten Staaten entgegensetzte. Der letzte groBe Sieg dieser Demokratischen<br />
Partei war dervon 1964, als Lyndon B. Johnson den Demokraten den bis dahin<br />
groBten Wahlsieg der Nachkriegsgeschichte bescherte. Danach sollte es nie mehr so<br />
werden wie es seit der Rooseveltschen Ara war 3 • (Fili eine graphische Darstellung der<br />
Rooseveltschen New Deal Koalition der Demokraten, siehe Schaubild 1)<br />
Die vom Rooseveltschen New Deal gepragte Koalition zerschellte im Laufe der 60er<br />
Jahre an den Klippen der von den Demokraten zumindest miterbauten Felsen. Einerseits<br />
ging der bis dahin absolut sichere Siiden den Demokraten langsam verloren -<br />
wegen ihres sehr beachtlichen Engagements auf Seiten der Biligerrechtsbewegung.<br />
Mit Kennedy begann eine, und von seinem Nachfolger Johnson fortgesetzte, in der<br />
amerikanischen Geschichte beispiellos aktive und insbesondere in der Gesetzgebung<br />
erfolgreiche, progressive Reformtatigkeit der 60er Jahre, die die Demokraten in der<br />
amerikanischen Offentlichkeit zur Partei der Schwarzen abstempelte. Mittlerweile ist<br />
der Sliden zu einer Hochburg der Republikaner bei den Prasidentschaftswahlen geworden.<br />
Tatsachlich wiihlten wiederum fast 90 % der zur Urne schreitenden schwarzen<br />
Amerikaner, trotz des breit publizierten Zwistes zwischen Michael Dukakis und<br />
Jesse Jackson, fur den demokratischen Kandidaten -lihnlich viele wie schon zuvor<br />
fUr Humphrey, Mc Govern, Carter und Mondale gestimmt hatten. Keine andere ethnische<br />
Gruppe, geschweige denn ein sonstiges Kollektiv (sei es einer Klasse, Region<br />
oder Religion) wiihlte auch nur anniihernd mit solch regelmliBig iiberwliltigenden<br />
Mehrheiten den Kandidaten stets einer Partei, wie es die Schwarzen im Falle des jeweiligen<br />
demokratischen Prasidentschaftsanwmers taten. 4
14 Andrei S. Markovits<br />
Schaubild 1<br />
Die Loge vor der Umschichfung im Laufe der 60-er Jahre<br />
Kultureller und Sozialer Liberalismus<br />
,. OstkOStenkonservatlve des Nordens<br />
2. etabllerte 'wasps· des Ostens<br />
unci desMllte .. estens<br />
,. weisse Llberale des Nordens<br />
2. Juden<br />
3. weisse "ethnics' des Nordens<br />
dar alte von F.D.R.<br />
, .......... 9. ego nl. ndete. demo-<br />
~ krotlsche Block<br />
4, 'organlzed labor"<br />
5. Schwarze<br />
Okonomlsche ... I--__________ -t-t-_______ -t-__<br />
Ungleichheit<br />
,Okonomische<br />
Gleichheit<br />
1. stotusunslchere' "wasps' des<br />
Mllte .. estens<br />
2. Weisse der SOdstaaten<br />
1. Weisse der SOdstaaten<br />
2. Populisten des Mlttelwestens und<br />
dar sogenannten Grenzstaaten<br />
Ku~ureller und Sozlaler lIIiberalismus<br />
Die alte Rooseveltsche Koalition zerbrach auch an den Folgen des bereits erwrumten<br />
auBenpolitischen Interventionismus der Demokraten und an dem, ihrer modernistischen<br />
Tradition entsprechenden, technokratischen Fortschrittsglauben. Der Vietnamkrieg<br />
war eben auch ein Produkt dieses von den Demokraten vertretenen, iiberheblichen,<br />
technokratischen Liberalismus, der nicht nur vorgab, alles zu wissen, alles zu<br />
kannen und zu 16sen, sondern auch der festen Meinung war, der amerikanischen und<br />
globalen Offentlichkeit damit einen allgemein benatigten und stark vernachllissigten<br />
Liebesdienst erweisen zu kannen. Diese techno-optimistische Haltung der »Best and<br />
the Brightest« wurde auf den Schlachtfeldern Vietnams, in den brennenden Ghettos<br />
von Detroit und Newark und auf dem Campus, von Berkeley, Columbia und Wisconsin<br />
um 1968 endgiiltig demaskiert. Die Parteitage in Chicago 1968 und in Miami<br />
1972 bedeuteten den endgiiltigen Verfall der Rooseveltschen Koalition. An ihrer Stel:<br />
Ie hat sich auf nationaler Ebene - also gerade auf der Ebene jedes Prasidentschaftswahlkampfes<br />
- bis heute nichts herauskristallisieren kannen, was auch nur annahernd<br />
von liquivalenter Dauer ware. Dieser massive Wandel fiihrte zu einer gewaltigen programmatischen<br />
und sozialen Umschichtung der Partei, deren schmerzlichste Folge<br />
der anscheinend permanente Verlust der Prlisidentschaft ffir die Demokraten zu sein<br />
scheint. In der AuBenpolitik z.B. fUhrte diese programmatische UmwaIzung zu einer
Die Prasidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 15<br />
an die frtihere """HctUVll"'ll''-''''Wleu''b der ,',",,'fJUUHJ'caH'-" erinnernde Vorsicht und Abstinenz<br />
der Dernokraten; ohne sie ware es in neuerer Zeit verrnutlich zu einer vom<br />
KongreB untersttitzten militarischen Intervention der Vereinigten Staaten in Mittelamerika<br />
gekommen. Die durch die Vietnamerfahrung verbrannten Finger der Demokraten<br />
machten diese Partei zu einer stets aufVorsicht bedachten und jedes auBenpolitische<br />
mit betrachtenden Stimme in der amerikanischen Politik.<br />
Bei groBen Teilen der amerikanischen Offentlichkeit tragt die Partei freilich auch das<br />
groBe Manko des Vietnamverlierers, des UnverHissigen, des Schwachen und des Vaterlandverraters.<br />
Die<br />
belastetdie Demokraten bis heute mit dem<br />
'"nr1rrnn einer arnerikanischen !J'JLC,U"'lVM"~b\';'H'l
16 Andrei S. Markovits<br />
Indianern<br />
und nattirlich noch in starkerem MaBe von Schwarzen an sie<br />
als Vertreterin del' sozial Schw1khel'en adressiert wurde. Zu dem »overload« der Partei<br />
natiirlich auch ihre weiteren ihrel' aus den 30er<br />
Jahren stammenden »alten« Klientel<br />
den<br />
ni(;ht-plrotest:antischl~n »ethnics« der nordlichen Industriestaaten und den armeren oft<br />
fundamentalistisch pn)testantlscllen des landlichen Stidens zusammensetzt.<br />
einem Minimum an<br />
mit<br />
)UJ:cnlseltzulng;s1iihlgkeit erforderlicher Legitimitat.<br />
Wohl kaum eine andere flv1ul",",ubedeutende Institution des Landes VP1'Ir()rnp'rt<br />
im politisch-reprasentativen Sinn das Phanomen des »hyphenatedAmerican«<br />
American, Afro-American, Asian-American, aber eben neuerdings auch de facto<br />
Gay -American, Female-American etc.) mit demselben Ernst - nattirlich auch mit den<br />
dazugehorigen Kosten wie die Demokratische Partei. Die meist korrupten<br />
aber hoch<br />
auf eine Koalition der »ethnics« sich stiitzenden »urban machines«,<br />
in denen eine HandvoH<br />
Parteibonzen Stadte wie Chicago,<br />
Philadelphia, Boston, New York - ohne groBen Aufwand del' nationalen Partei - an<br />
Wahltag den Demokraten automatisch sind Hingst den demC)KratHoVe;rgleOJj,errlClen<br />
}\~etIDrrnbl~mtihun,gender 68er und ihrer N achfahren zum<br />
fer gefallen 5 • Wahrend die<br />
dieser »machines« - genau wie die WASPS<br />
der Stidstaaten - inzwischen mehr oder mindel' en bloc bei Prasidentschaftswahlen fUr<br />
die UU1.l"-'UU,'''-'''''-' Partei su-mrnelrJ., der demokratischen<br />
Partei diese alten nicht ersetzen. es der Partei<br />
nicht<br />
die eben erwahnten Partikularismen<br />
ein der Partei zu gut wie sehen die<br />
Chancen der<br />
das WeiSe Haus nicht nur per Zufall oder aus ganz besonderen<br />
historischen Ausnahmefiillen<br />
schlecht aus 6 . Vor aHem sind die<br />
Demokraten eines noch immer die nationale Politik bestimmenden strukturellen<br />
Rassismus. So konnte kein demokratischer Kandidat seit Johnsons<br />
im Jahre 1964 mehr als 40 % der Stimmen weiBel' Wahler auf sich<br />
COl e;HUb,",J". Die durch die flVIf.JUjj~"~vH-jQ.'''HM,W\,'Hv<br />
gen Gouverneurs<br />
denen weiBen Wahler<br />
ten seit 1968 nie mehr<br />
und schwarzer Wahler hat Hw'm,Hv'.~, alJge:sel1en
Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 17<br />
gen Ressentiments und ethnischen Gegensatzen, sehr viel mit politischen Topoi zu<br />
tun, die von diesen zwei Gruppen unterschiedlich eingeschatzt werden. So betrachten<br />
beispielsweise Schwarze in weiterhin liberwiiltigendem MaBe die aktive Rolle des<br />
Staates als wichtig ffir ihr Gemeinwohl, wiihrend WeiBe, die sich in einer iihnlichen<br />
Lage befmden wie die Schwarzen, dem Staat und seiner gesellschaftIichen Rolle viel<br />
skeptischer, meist sogar offen ablehnend gegenliberstehen.<br />
Wenn daruber hinaus noch die Ergebnisse der Wahl 1988 nach dem Faktor »Ethnizitat«<br />
untersucht werden, faUt auf, wie sehr die Rassenfrage das Wahlverhalten in Amerikabestimmtundwiedies<br />
insbesondere die Lage der demokratischen Partei erc<br />
schwert. George Bush gewann58 % derweiBen Stimmen, abernur 8 % derSchwarzen<br />
im mittleren Westen des Landes. 1m Stiden fiel das VerhaItnis mit 67:12 % ffir die<br />
Demokraten fast gleichschlecht aus. In den westIichen Staaten errang Bush nur 13 %<br />
der schwarzen Wahler, wahrend er 58 % der WeiBen fUr sich gewinnen konnte. Und<br />
sogar der oft von der Norm abweichend eingeschiitzte Osten blieb diesem Schema<br />
treu: Bush bekam 54% der WeiBen, wahrend nur 12% der Schwarzen ffir ihnstimmten.<br />
Von den 10 Staaten, die Dukakis ffir sich verbuchen konnte, hat mit Ausnahme<br />
des Staates New York kein anderer eine signifikante schwarze Minoritat. Konkret<br />
heiBt dies, daB liberall, wo der schwarz-weiBe Konflikt eine Realitiit ist, der GroBteil<br />
der WeiBen die Republikaner wahlt. Demokraten konnen anscheinend nur praktisch<br />
»schwarzenfreie« Staaten wie Oregon, Wisconsin, Washington, Hawaii, West Virginia,<br />
Minnesota, Iowa und Massachusetts ffir sich gewinnen, wiihrend sie in all den<br />
Staaten, in denen eigentIich ihre loyalsten Untersttitzer - eben die Schwarzen - beheimatet<br />
sind, in den letzten Prasidentschaftswahlen regelmaBig von den Republikanern<br />
besiegt wurden 7 • New York ist da allein die regelbestatigende Ausnahme: Ein<br />
disproportional hoher Anteil der weiBen Stimmen stammt in diesem Bundesstaat von<br />
Juden - also einer anderen, den Demokraten loyalen Gruppe. Dieses Dilemma kann<br />
von den Demokraten nur in ihrem Sinn gelOst werden, wenn es ihnen gelingt, den<br />
Schwarz-WeiB Konflikt durch das Hervorheben anderer Grenzlinien, wie z.B. dem<br />
der Klasse-und damit okonomischer Gemeinsamkeiten beider Gruppen - wennnicht<br />
voll zu ersetzen, so doch zumindt~st zu entscharfen.<br />
1m Gegensatz zu Europa, wo das Primat der Klasse nicht nur objektiv sondern vor<br />
allem subjektiv die Wasserscheide der politis chen Auseinandersetzungen des 20.<br />
J ahrhunderts bestimmte, war und blieb in den Vereinigten Staaten bis heute die Frage<br />
der Ethnizitat entscheidend. Da die Demokraten als Partei der Schwarzen betrachtet<br />
werden - was sie unter anderem auch sind - beginnen sie jede Prasidentschaftswahl<br />
mit einem unerhOrten Manko in vielen, vom wahltechnischem Standpunkt aus gesehen<br />
sehr wichtigen Teilen des Landes. Nirgendwo ist dies prononcierter der Fall als<br />
im Sliden, wo die Demokraten die letzten Prasidentschaftswahlkiimpfe mit einem<br />
Handicap von 138 Wahlmiinnern starteten. Das ist ein gigantischer VorschuB und<br />
automatischer Bonus ffir die Republikaner, der etwas mehr als die Hiilfte der 270 zum<br />
Sieg notigen Wahlmanner/frauen ausmachtund der bis 1964 fast genauso geschlossen<br />
den Demokraten zugute kam. Konkret heiBt dies, daB die Demokraten, urn zu gewinnen,<br />
anderorts einen perfekten, fehlerlosen Wahlkampfftihren mlissen. Das aber taten
18 Andrei S. Markovits<br />
sie 1988 ganz und gar nicht. Zu den im ersten Teil dieses Aufsatzes erorterten<br />
strukturellen Schwierigkeiten der demokratischen Partei kamen bei dem letzten<br />
Wahlkampf gewichtige taktische Schnitzerund strategische Fehlkalkulationen hinzu.<br />
Sie haben Michael Dukakis den moglich scheinenden Sieg gekostet.<br />
Der verpatzte Dukakis-Wahlkampf<br />
Ineinem Fernsehinterview am Wahlabend charakterisierte Roger Ailes, der Medienkoordinator<br />
der Bush-Kampagne, in der meines Erachtens pointiertesten Weise das<br />
Wesentliche eines modernen Wahlkampfes in den Vereinigten Staaten. Es zahlten, so<br />
Ailes zu dem Interviewer, nur vier Dinge im Zeitalter des Fernsehwahlkampfes: Angriffe,<br />
Fehler, Umfragen, schone Bilder. Den Rest konne man ruhig vergessen. Bush<br />
und sein Team begriffen dies von Anfang an, wahrendDukakis und seine Mannschaft<br />
diese Realitiit bis zur letzten Woche vor der Wahl, falls iiberhaupt, entweder nicht<br />
wahrnahmen oder, was auf das Gleiche hinausHiuft, nicht wahmehmen wollten.<br />
Bevor ich eine Bewertung der Dukakis 'schen Wahlstrategie in Verbindung mit den im<br />
ersten Teil behandelten strukturellen Schwierigkeiten der demokratischen Partei versuche,<br />
seien hier kurz ein paar taktische Fehler erwiihnt, die sich als sehr kostspielig<br />
fur das Endresultat der Kampagne erwiesen.<br />
(1) Die Wahlkampfunerfahrenheit des Dukakis-Teams: 1m Gegensatz zum Bush<br />
Team, in dem erstklassige Profis mit viel Erfahrung aus friiheren Prasidentschaftswahlkii.mpfen<br />
der Republikaner - hauptsachlich aus den Reaganwahlkampfen 1980<br />
und 1984 - auf allen Ebenen vertreten waren, verlieB sich Dukakis ausschlieBlich auf<br />
eine ihm gut vertraute »Massachusetts Mafia«, aus deren Spitzenreihe niemand W<br />
here Wahlkampferfahrung mitbrachte. Typischerweise blieb auch das Hauptquartier<br />
der Dukakis Mannschaft in dem fiir diesen Fall provinziellen Boston, anstatt - wie<br />
Bush - aus der Hauptstadt des Landes effizienter und zentraler zu operieren. Zahlreiche<br />
Kenner beider Lager meinten auch, daB die interne Organisation der Bush<br />
Mannschaft urn vieles besser und problernloser verlief als die des Dukakis-Teams.<br />
(2) Das Unverstandnis der Dukakis-Leute fUr das Fernsehen als Wahlmedium: Ahnlich<br />
der wahltechnisch schlechten Wahlplakate der SPD im Bundestagswahlkampf<br />
1983, die, da kompliziert getextet und zusatzlich mit kleiner Schrift versehen, viel zu<br />
»intellektuell« und »kalt
Die Prasidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 19<br />
Nachder m.,",uv",1S von Dukakis zum Kandidaten der Demokraten Mitte Iuti 1988<br />
schien sich der Gouverneur auf seinen Lorbeeren und einem fast 20punktigen Vorsprung<br />
gegenuber Bush, den ihm aIle zu dieser Zeit auszuruhen.<br />
Er verschwand bald nach dem demokratischen Parteitag in Atlanta von der<br />
BildfHiche und tauchte nur bei relativ AnHissen in seinem<br />
Bundesstaat Massachusetts auf. Es wird wahrscheinlich fiir immer unklar U"dL"~ll,<br />
was man sich<br />
wahrend Bush<br />
allabendlich den vom Fernsehen dazu<br />
»Wahlraum« mit seinen Angriffen<br />
auf Dukakis fiiIlte. So kam es daB bereits Mitte - also unmittelbar<br />
New Orleans - nach den Umiibernahm<br />
und bis zum 8. November nicht mehr<br />
abgab. Eine flir Dukakis und seine naive<br />
vielsagende Erklarung<br />
des »August gap« daB der demokratische Kandidat brav bis Anfang '-'CiIJL'V1Udem<br />
traditionsgemaBen Auftakt frtiherer<br />
abwartete und die rasant<br />
sich andernden Entwicklungen des<br />
unterschiitzte.<br />
Die<br />
von Bushs »streetfighter«-QualiUiten: Als Bush in einigen<br />
Debatten der republikanischen Kandidaten noch vor Beginn der »primaries« etwas<br />
zogernd und unentschlossen wirkte, stempel ten ihn die allmachtigen Medien als einen<br />
«Waschlappen« (wimp) abo Seine tiberraschend hohe Niederlage anfang Februar<br />
1988 in den »caucuses« von Iowa bestarkte dieses Image. P16tzlich waren seine derben<br />
Manieren und sein Machostil, die er beispielsweise in seiner Debatte gegen Geraldine<br />
Ferraro vier I ahre zuvor so erfolgreich an den Tag gelegt hatte, vollig vergessen.<br />
Dukakis glaubte anscheinend bis Mitte September mit einem Schwachling konfrontiert<br />
zu sein, nicht aber mit einem mit allen Wassern gewaschenen und von Polit- und<br />
Medienprofis umgebenen Kandidaten, der keine Luge und Verleumdung scheut. Er<br />
merkte nicht, daB die Bushkampagne drauf und dran war, ihn personlich, seine Kandidatur<br />
und die Demokraten als Partei durch konstantes Diffamieren in das politische<br />
Abseits zu rticken. Bushs Schmiertaktik war auf vier Ebenen erfolgreich:<br />
1. Die rassistische Ebene: Als Gouverneur von Massachusetts rich tete Michael Dukakis<br />
ein Hafturlaubsprogramm ein. Wahrend eines dieser Urlaube verlieB ein gewisser<br />
Willie Horton Massachusetts, brach in einem Villenvorort von Washington in ein<br />
Haus ein, vergewaltigte die Frau des Hauses und terrorisierte ihren Freund -, der von<br />
Bushs Wahlpropaganda bezeichnenderweise stets als ihr Ehemann dargestellt wurde,<br />
obwohl das Paar zur Zeit des Verbrechens noch nicht verheiratet war. Wichtig an der<br />
ganzen Geschichte ist nur eines: Willi Horton ist schwarz! Zu spat erkannte Dukakis,<br />
daB es hier in Wirklichkeit um eine ganz harte »law and order«-Taktik mit einer gehOrigen<br />
Portion strukturellem Rassismus ging. Zu spat und viel zu zaghaft kamen seine<br />
Beteuerungen, daB solche Hafturlaube im B und und auch in anderen Staaten - so z.B.<br />
Kalifornien, wo sie von einem Gouverneur namens Ronald Reagan eingeftihrt wurden<br />
- gang und gabe waren, und daB es dabei auch regelmiiBig zu kriminellen Handlungen<br />
seitens der Beurlaubtenkarne. Sie konnten dem von Bush erwiinschten und auf<br />
Resentiments und Angst begriindeten »backlash« der WeiBen nicht mehr gebtihrend<br />
gegensteuern.
20 Andrei S. Markovits<br />
2. Die Ebene: Ebenfalls in seiner Funktion als Gouvemeur von Massachusetts<br />
entschied sich Michael Dukakis, einen<br />
des obersten Gerichtshofes,<br />
der es Lehrem<br />
Rezitieren des Fahneneides<br />
of allegiance) zu in seinem Staat in die Praxis umzusetzen. Bush<br />
steHte Dukakis als einen besseren Vaterlandsverrater der weder die Fahne zu<br />
schiitzen wtiSte, noch es flir wichtig den Kindem in der Schule amerikanische<br />
Werte zu vermitteln. Auch hier wehrte sich Dukakis<br />
waren seine Argumente, da rein technokratisch und velrre1chl:licht,<br />
Indem er sich dauemd nur auf die<br />
3. Die konservative Ebene: Wie tiber eine Million Amerikaner ist auch Michael Dukakis<br />
Mitglied der »American Civil Liberties Union« (ACLU), einer sehr aktiven und<br />
erfolgreichen Vereinigung, die Rede-<br />
bis<br />
zu Kommunisten, von Pomographen bis zu Teufelsanbetem - gegentiber staatlichen<br />
Angriffen verteidigt. Seiner Schmierkampagne gemiiB griff Bush Dukakis unaufhorlich<br />
als ein »card-carrying member« der ACLU an. Indem der republikanische Kandidat<br />
die adjektivische Formulierung »card-carrying member« vor der Abktirzung<br />
ACLU immer wieder betonte, erweckte er in Gehim und GehOr von Millionen Amerikanem<br />
das Gebilde »card-calTying member of the CommunistParty«. Diese explizit<br />
McCarthy'sche Taktik von Bush zielte einzig auf eine Diffamiemng von Dukakis<br />
zumindest als eines Linken, wenn schon nicht eines expliziten Kommunistenfreundes<br />
oder gar eines Kommunisten. Dazu kam Bushs Sperrfeuer gegen das Wort »1iberal«<br />
- oder das »L-Wort«, wie es nach den unaufhorlichen Angriffen bald genannt wurde JO •<br />
Dukakis, so Bush, sei nur ein alter Liberaler, der den Leuten durch zu hohe Steuem<br />
das Geld aus der Tasche zoge, die Wirtschaft durch zu viel Staat zerstOre, den Kommunisten<br />
nie die Stime bieten konne, Verbrecher frei herumlaufen HeBe undAmerikas<br />
Flihrungsrolle sicherlich verspielen wlirde. Wiederum kam Dukakis' Gegenwehr,<br />
geschweige denn Gegenangriff, viel zu und vor aHem viel zu spat. So versaumte<br />
er beispielsweise auf die<br />
faschistischen und antisemitischen<br />
Elemente in der Bushentourage hinzuweisen 11.<br />
daB<br />
selbst Leute wie Mac Arthur und Eisenhower Mjltgllle
Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 21<br />
4. Die okologische Ebene: Da sogar die Republikaner erkannt haben, daB man mit<br />
okologischen Themen Wiihlerstimmen gewinnen kann, entpuppte sich George Bush<br />
bereits am Anfang seines Wahlkampfes mit Dukakis als engagierter Okologe. Wahrscheinlich<br />
urn die acht Jahre explizit anti-okologischen Handelns der Reaganregierung<br />
besser zu vertuschen, nahm Bush in diesen Fragen eine sogar fUr ihn sehr aggressive<br />
Haltung ein: Er besuchte den Bostoner Hafen und erkHirte ihn zum schmutzigsten<br />
der Vereinigten Staaten. Wiederum blieb Dukakis wie gebannt. Er startete eben nicht<br />
den gebotenen Gegenangriff. Statt gegeniiber der Offentlichkeit kIar zu stellen, daB<br />
erdiese okologischen MiBstande des Bostoner Hafens von seinen Vorgangern geerbt<br />
hatte,. er aber mehr fUr die Sauberung des Hafens tat - und.noch tun wiirde .,.-.als jeder<br />
andere Gouverneur in der Geschichte Massachusetts', konterte Dukakis mit zwar<br />
zahlreichen, doch viel zu abstraktem und technokratischen Materialien, die nur wenige<br />
Menschen verstanden.<br />
Kurzum: Dukakis' Taktik war in diesem Bereich - wie in allen anderen - hOlzem, leblos,<br />
urnstandlich, legalistisch, technokratisch - und deshalb wirkungslos. Mit seiner<br />
Unerfahrenheit und der seines Teams allein laBt sich dies nicht erkIaren. Vielmehr<br />
handelte es sich hier um eine strategische Fehleinschatzung des Wahlkampfes und<br />
letztlich des politischen Verhaltens der amerikanischen Offentlichkeit.<br />
Seine Stategie artikulierte Dukakis bereits wahrend der langen Monate des Vorwahlkampfes<br />
klar und deutlich: So wenig wie moglich sich engagieren! So wenig wie<br />
moglich auffallen! Statt durch offensive und politische Argurnente Leute an sich zu<br />
binden, eher von den Fehlem anderer profitieren. Dieses »Minimax «-Modell, das sich<br />
schon bei den Vorwahlen - besonders im erbitterten Zweikampf mit Jesse JacksonfUr<br />
viele Demokraten als zu oberflachlich, seicht und verwundbar entpuppte, wurde<br />
bei dem EmennungskongreB der Partei Mitte Juli in Atlanta fUr die kommende Auseinandersetzung<br />
mit Bush nur noch weiter verfestigt. In einer ansonsten fiirDukakis<br />
ungewohnt temperamentvoll gehaltenen und sowohl inhaltlich bewegenden als auch<br />
intellektuell anspruchsvollen Rede zumAbschluB des Parteikongresses benannte der<br />
Kandidat die Eckpfeiler seiner Strategie vor Millionen Amerikanem ganz unmiBverstandlich:<br />
Es ging, so Dukakis, in dieser Wahl nicht um Ideologien, sondem um<br />
Kompetenz. Klarer hatte man ein Bekenntnis zum Primat technokratischer Losungsmethoden<br />
als Leitfaden politischen Handelns kaum formulieren konnen. Somit war<br />
Dukakis' explizit anticharismatische Wahlstrategie - fiir jedermann ersichtlich - von<br />
Anfang an kIar gekennzeichnet. Als ob acht Jahre Ronald Reagan - von John F.<br />
Kennedy, Dwight D. Eisenhower, Franklin Delano Roosevelt, um nur einige zu nennen,<br />
ganz zu schweigen - in der neueren Geschichte der Vereinigten Staaten nie existiert<br />
hatten, glaubte Dukakis die Prasidentschaftswahl »entideologisieren« und dem<br />
amerikanischen Wahler technokratische Kompetenz vor politisch-ideologischem<br />
Engagement schmackhaft machen zu konnen.<br />
Wahrend Bush den genau entgegengesetzten Weg beschritt und sich vom Image eines<br />
technokratisch kompetenten aber politisch lauwarmen »Waschlappens« zu einem<br />
hochideologischen Kampfer fiir den rechten Fliigel des amerikanischen politischen<br />
Spektrums entwickelte, blieb Dukakis seiner Strategie des redlichen Technokraten
22 Andrei S. Markovits<br />
treu: Er weigerte sich von Anfang an, eine klare politische Stellung zu beziehen und<br />
sie dann entschieden zu vertreten. Es war die Strategie der drei C' s - cool, competent,<br />
conventional-, die Dukakis bis knapp vor der Wahl daran hinderten, Bushs unaufhorlichem<br />
Sperrfeuer gegen »Liberale, Liberalismus« - kurz: seiner »L-Wort« Diffamierung<br />
- erstens sich zu stellen, zweitens zu der liberalen Tradition der Demokraten sich<br />
voll zu bekennen und drittens einen gehOrigen Gegenangriff zu starten. DaB Dukakis'<br />
»Wischiwaschi«-Strategie von Anfang an zum Scheitem verurteilt war, liillt sich<br />
daran erkennen, daB ihr Gegenteil wahrend der letzten zwei Wochen vor der Wahl<br />
sofortige Wirkungzeigte: Ais Dukakis sich endlich verzweifelt angesichts des von<br />
jedermann vorausgesagten Debakels seiner Kan:didatur als ein zum Liberalismus seiner<br />
Partei stehender »fighting Mike« entpuppte, ging bei siirntlichen Umfragen die<br />
Unterstiitzung fUr die Demokraten nach oben. Sein neuer Slogan, »1 am on your side«<br />
- nebenbei von der erfolgreichen Kandidatur Howard Metzenbaums, des liberalsten<br />
Senatsmitgliedes der Vereinigten Staaten, wortwortlich kopiert - kam bei vielen Teilen<br />
der zersplitterten Klientel der Demokraten zumindest insoweit an, als Dukakis in<br />
bereits verloren gegebenen Staaten einige Stimmenverluste wettmachen konnte.<br />
Die von Dukakis eingeschlagene Strategie der «technokratischen Entmobilisierung«<br />
hat also zu einem neuerlichen Verlust des Prasidentenamtes fiir die Demokraten bei- .<br />
getragen. Man muB diese Unentschlossenheit jedoch in das von mir bereits erorterte<br />
strukturelle Dilemma der demokratischen Partei einordnen, urn ein klares Bild der<br />
von Dukakis eingeschlagenen und verfehlten Strategie zu bekommen. Das wie versteinert<br />
anmutende Verhalten von Dukakis muG in folgendem strukturellem Zusammenhang<br />
gesehen werden: Ein Linksruck des Kandidaten hatte unter Umstanden die<br />
weiGen »ethnics« der Partei in noch hOherem MaGe abtriinnig werden lassen. Ein<br />
Rechtsruck wiederum hiitte zum massenweisen Fembleiben der schwarzen Wahler<br />
gefiihrt.· Die daraus resultierende versteinerte Pattsituation wurde noch durch eine<br />
zusatzliche Dimension belastet: Wenn es schon zu einem Linksruck kommen soUte,<br />
galt zuentscheiden,entlang welcher Achse - der okonomischen, der kulturell-sozialen<br />
oder beider? - dies geschehen soUte.<br />
Diese ihre Existenz beriihrende Frage wird die Demokraten in den nachsten vier J ahren<br />
weiterhin beschiiftigen. Denn eines ist nach dem verlorenen Dukakiswahlkampf<br />
klar: Was immer die Demokraten tun, sie miissen in erhohtem MaBe die Offensive<br />
ergreifen, mutig mobilisieren und von Anfang an Farbe bekennen. Welche Tonung<br />
diese Farbe erhalten wird, ist ein Politikum, das sich durch die konkreten Auseinandersetzungen<br />
der nachsten Jahre entscheidet. Der Erorterung dieses Problembereiches<br />
werde ich die letzten zwei Teile dieses Aufsatzes widmen.<br />
Die voraussichtlichen Konturen der Bushjahre<br />
Wiihrend Reagan zurecht als »Teflonprasident« in die neuere politische Geschichte<br />
der Vereinigten Staaten einging, scheint Bush auf dem besten Wege, sich zu einem<br />
»Velcroprasidenten« zu entwickeln 12 • Wie bereits zu Anfang meiner Ausfiihrungen
Die Prasidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 23<br />
erwahnt, besitzt George Bush weder das<br />
gangers, noch kann er irgendein »Mandat« filr sich<br />
das die amerikanischen<br />
Wahler ihm hatten. 1m Gegensatz zu Reagans erster Amtsperiode<br />
wird Bush mit einem ihm feindlich demokratischen KongreB heftige<br />
Kampfe urn die wichtigsten<br />
Entscheidungen des Landes filhren mtissen.<br />
Zum Teil sind diese<br />
da die gegensatzlichen Interessen des<br />
tenllrrlmlmente:n Charakter teils spielen<br />
"VIHU,HvRessentiments einiger demokratischer Senatoren und<br />
"'''"'-'''""1-'''5'1'"' gegen Dukakis<br />
Rolle. Es bleibt<br />
ob<br />
U"VUJo;JlvlJ zu einem<br />
menden Dauerkrieg oder bloB zu einer Reihe spektakularer Einzelschlachten filhren<br />
wird.<br />
Genauso unklar bleibt, welch en George Bush die amerikanische Offentlichkeit in den<br />
nachsten vier lahren zu Gesicht bekommen wird: den alteren, pragmatisch konservativen,<br />
oder den neueren, aus dem Wahlkampf hervorgegangenen ideologischen Vorkampfer<br />
rechtsradikaler Stromungen. Wahrend Reagan aus tiefer Uberzeugung Prasident<br />
sein wollte, um einer von ihm vertretenen politischen Richtung an die Macht<br />
zu verhelfen, bleibt dies bei dem chamaleonhaften Bush unklar. Sicherlich nimmt<br />
Bush, im Gegensatz zu Reagans missionarischem Verhaltnis zum Amt des Prasidenten,<br />
eine viel instrumentalere Beziehung zu seiner Position ein. Doch bleibt es eine<br />
empirische Frage, ob sich das als Vor- oder Nachteil erweisen wird. Aller Voraussicht<br />
nach wird die Bushregierung ein Hybrid aus Pragmatik und ideologischem Engagement<br />
verkorpem, wobei Pragmatik die AuBen- und Verteidigungspolitik des Landes,<br />
ideologisches Engagement aber die Sozial- und Rechtspolitik der nachsten vier Jahre<br />
bestimmen werden.<br />
In der wichtigen Beziehung zur Sowjetunion wird Bush die in den letzten zwei Jahren<br />
der zweiten Amtszeit Reagans eingeschlagene Entspannungspolitik zah aber unentwegt<br />
weiterftihren. Da Detente und ihre politischen Folgen sich bei einer tiberzeugenden<br />
Mehrheit der amerikanischen Offentlichkeit einer groBen Beliebtheit erfreuen,<br />
wird Bush - trotz seiner heftigen »Falkenrhetorik« im Wahlkampf, die er sehr effektiv<br />
bentitzte, um Dukakis in die illegitime Ecke des Schwachlings und Kommunistenfreundes<br />
zu verbannen - auf allen Ebenen bilateraler Beziehungen der zwei Weltmachte<br />
Verstandigung mit Gorbatschow anstreben. So wird es sicherlich ernstzunehmende<br />
Verhandlungen zur weiteren Reduzierung von Mittelstreckenwaffen wie auch<br />
erstmalige Versuche des Abbaus strategischer Waffen geben. Kurzum: das Verhaltnis<br />
zur Sowjetunion wird in den nachsten Jahren von einer Atmosphare der »managed<br />
rivalry« beherrscht werden - also einer gezugelten, geordneten undkalkulierbaren im<br />
Gegensatz zu einer ideologisch und missionarisch bestimmten, Rivalitat -. Auf der<br />
Linie einer ideologischen Entspannung liegt auBerdem - wofilr die Person James<br />
Bakers stellvertretend btirgt - die entschiedene Deeskalierung des von Reagan und<br />
dem rechten Fltigel der republikanischen Partei mit viel ideologischem Elan gestarteten<br />
SDI -Projektes. Eine ahnliche Einschatzung scheint mir hinsichtlich der vermin-
24 Andrei S. Markovits<br />
derten Unterstiitzung der Contras in Nicaragua berechtigt. Zentrale auBenpolitische<br />
Probleme wird die Bushregierung meines Erachtens vor allem in den Beziehungen<br />
mit den Verbundeten der Vereinigten Staaten, allen voran Japan und Westeuropa,<br />
haben. Die Spannungen im westlichen Bundnis unterliegen strukturellen Bedingungen,<br />
die weder Bush noch irgendein anderer Prasident maBgeblich beeinflussen<br />
konnten. Die Verschlirfung okonomischer Rivalitaten hat bereits zu beachtlichen Irritationen<br />
im Verhliltnis der Vereinigten Staaten zu Japan und zum sich zusammenschlieBendem<br />
Westeuropa gefUhrt, und sie werden in den USA - aber auch in Westeuropa-'-<br />
dieStimmender·»Isolationisten« ·und·,,>Protektionisten« verstlirken auf<br />
Kosten derjenigen, diefiir »Integration«·und» Freihandel« pladieren. Derstark demokratisch<br />
besetzte KongreB wird versuchen, Bush in eine den Europaern und Japanern<br />
gegenuber kompromiBlosere Position bezuglich ihrer Handels- und Verteidigungspolitik<br />
zu zwingen. Konkrete politische MaBnahmen in diese Richtung wird es wohl von<br />
heute auf morgen nicht geben. Doch lliBt sich bereits heute eine wachsende Stromung<br />
in verschiedenenTeilen des Landes ausmachen, die darauf besteht, eine amerikanische<br />
Beteiligung am westlichen Biindnis (Japan inbegriffen) von erheblich hOheren<br />
Verteidigungsausgaben der westlichen Verbundeten und von einem stlirkeren Abbau<br />
ihrer Exportiiberschiisse in die USA abhlingig zu machen 13 • Da das gigantische Zwillingsdefizit<br />
die Margenjeder auBenpolitischen Handlung des Prasidenten in groBem<br />
Umfang und einschrankend bestimmen wird, ist abzusehen, daB sich die Beziehungen<br />
der Vereinigten Staaten zu Westeuropa und Japan in den nachsten Jahren - unabhlingig<br />
von der Person Bush - fUr alle Beteiligten hochst kompliziert, konfliktreich<br />
und unangenehm gestalten werden 14 •<br />
Der ideologische, dem rechtefl Flugel der republikanischen Partei verbunden George<br />
Bush wird sich meines Erachtens viel mehr im innen- als im auBenpolitischen Geschehen<br />
des Landes zeigen. Bush wird alles daransetzen, den massiven Rechtsruck<br />
seines Amtsvorglingers in der Rechtspolitik zumindest fortzusetzen, wenn nicht sogar<br />
zu verschlirfen. Das Justizministerium, vor Reagans Amtszeit auch unter den Prasidenten<br />
Nixon und Ford ein Hort der Verteidigung und Erweiterung der Rechte sozial<br />
schwacher Gruppen (durch das rigorose Durchsetzen von »affirmative action« besonders<br />
schwarzer, weiblicher und spanischsprechender Burger), wird unter dem<br />
Justizminister Thornburgh zwar die skandalumwitterte, offen sich rechtsradikal bekennende<br />
Haltung seines Vorglingers Meese nicht wiederholen, wird aber ebenfalls<br />
das von Reagan eingeschlagene massive »rollback« gegen sozial Schwache in der<br />
Rechtssprechung weiterfuhren. »Affirmative action« und alle damit verbundenen,<br />
aus der Johnson-Zeit stammenden, progressiven Reformen werden es unter einer<br />
Bush-Regierung kaum leichter haben als in den acht Jahren von Reagans Machtausubung.<br />
Von besonderer Wichtigkeit werden in diesem Zusammenhang Bushs Ernennungen<br />
fUr die Bundesgerichtsbarkeit sein; sein Vorglinger Reagan hatte ja bereits<br />
durch weit uber hundert Ernennungen fUr die nachsten zwanzig Jahre eine rechtslastige<br />
Zeitbombe in die Rechtssprechung des Landes eingebaut: Yom Prasidenten<br />
ernannte Bundesrichter konnen ihr Amt im Richterstuhl bis zu ihremAbleben behalten<br />
und tun dies in der Regel auch. Obwohl es in dem wahrscheinlich groBten Sieg des
Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 25<br />
demokratisch kontrollierten Senates tiber die Reaganregierung gelang, Robert Bork,<br />
einen fast am faschistischen Rand des politischen Spektrums sich bewegenden<br />
RechtsauBen und Reagans Lieblingsrichter, entschieden abzuweisen, konnte Reagan<br />
durch andere Ernennungen die im Grunde genommen aus der New Deal-AraFranklin<br />
Delano Roosevelts stammende liberale Tradition des obersten Bundesgerichtes<br />
endgiiltig in eine konservative Richtung wenden. Bush wird alles daransetzen, diesen<br />
zur Zeit noch prekiir vorhandenen konservativen Vorsprung durch eine gezielte Personalpolitik<br />
erheblich und fiir die nachsten 20 Jahre unwiderruflich zu verfestigen.<br />
Nurdas weitere Beharreri der bereits gesundheitlich Hidierten und tibel: 80jahrigen<br />
liberalen Troika der Richter Marshall,·· Blackmun· und· Brennan und natiirlichder<br />
demokratische Senat konnen Bush von seinem Vorhaben abhalten, die »Reaganrevolution«<br />
in der obersten Etage der amerikanischen Bundesrechtssprechung in den<br />
nachsten Jahren noch weiter auszubauen.<br />
Bush wird Reagans extrem antjgewerkschaftliche Haltung fortsetzen und damit die<br />
allgemein antigewerkschaftliche Atmosphiire der 80er Jahre weiterhin legitimieren.<br />
Aus lihnlichem ideologischen Eck werden die weiteren Einschrlinkungen der Sozialleistungen<br />
stammen. Ferner muB man mit einem frontalen Angriff gegen die Legalisierung<br />
der Abtreibung und gegen ihre staatliche finanzielle Untersttitzung fiir Frauen<br />
aus armen Schichten rechnen, da dieser Angriffspunkt seit J ahren das wahrscheinlich<br />
zentralste Anliegen der innerhalb der republikanischen Partei sich artikulierenden<br />
»neuen Rechten« ist. Bush wird sich bemtihen, dem Mandat des neuen republikanischen<br />
Blocks gerecht zu werden, indem er danach trachten wird, viele seiner resp. des<br />
Blocks Wiinsche, die sich vornehmlich entlang der sozio-kulturellen Achse meines<br />
Schemas bewegen, so weit wie moglich zu erftillen. Ob ihm die weitere Durchsetzung<br />
des Reaganschen rollbacks der Sozial- und Rechtspolitik gelingen wird, bleibt nicht<br />
zuletzt auch eine Frage der Kampffahigkeit und -bereitschaft des demokratisch<br />
dominierten Kongresses.<br />
Nichts jedoch wird brisanter fiir Bush und seine politische Zukunft als das immer<br />
akuter werdende Problem der bereits erwlihnten und stlindig wachsenden Zwillingsdefizite.<br />
Wohl selten driickte sich ein Politiker so klar und wiederholt wie Bush in seinem<br />
Wahlversprechen aus: »Keine neuen Steuern« beteuerte er landauf und landab.<br />
»Read my lips«, forderte er seine Zuseher auf, indem er die Worte »no new taxes«<br />
ohne Ton aber mit urn so prononcierterer Mimik nachahmte. Dieses Versprechen zu<br />
halten, wird Tag fiir Tag schwieriger, da immer mehr Fachleute und Politiker aus<br />
beiden Parteien, den Ernst der Lage klar erkennend, Steuern fiir die partielle Begleichung<br />
des gigantischen Haushaltsdefizits fordern. Bushjedoch beharrt weiterhin<br />
auf der von seinem Vorganger beschworenen und auch nach ihm benannten vermeintlichen<br />
Heilungskraft der »Reaganomics«, die Bush selbst (in seinem 1980 erfolglos<br />
gegen Reagan gefiihrten Wahlkampf) zurecht als »voodoo economics« bezeichnet<br />
hatte. Meines Erachtens wird es zu einem KompromiB in dem Sinne kommen, daB im<br />
zweiten Jahr der Bush-Regierung sein Versprechen, jegliche SteuererhOhung zu vermeiden,<br />
als ein Versprechen gegen die Erhohung individueller Einkommenssteuern<br />
ausgelegt wird, urn so die Einftihrung anderer Steuererhebungen zu ermoglichen. Wie
26 Andrei S. Markovits<br />
immer dies auch ausgehen mag: Es besteht die groBe Chance, daB sich Bush hier in<br />
ein unlOsbares und fUr ibn schlieBlich potentiell verhangnisvolles Dickicht verrennt.<br />
Wenn er einersdts gezwungen wird, entgegen seinen Beteuerungen Steuererhohungen<br />
durchzufUhren, verliert er viel von seiner Legitimit1it und wird somit in erheblichern<br />
MaBe politisch verwundbar. Steht er aber zu seinem Wahlversprechen, konnte<br />
es zu einem fUr das Land folgenschweren okonomischen Desaster kommen, welches<br />
fUr Bush ebenfalls zum politischen Verhangnis werden konnte. In beiden Hillen<br />
mtiBten die Demokraten die groBten NutznieBer dieser prekliren Lage werden, da -<br />
fallssie die Bedingungen politisch richtig umsetzen und sodann gehOrig ihre Klientel<br />
mobilisieren - mit einem gehorigen Bedeutungszuwachs der okonomischen Achse<br />
meines Schemas zu rechnen ist. Wie bereits erwiihnt, wiirde eine solche Konstellation<br />
den Demokraten zugute kommen. Ob sie dies dann fUr ihre Zwecke auch vorteilhaft<br />
ausniitzen konnen, bleibt eine rein empirische Frage, deren Beantwortung von den<br />
nachsten Schritten der demokratischen Partei bestimmt wird.<br />
Fur die Demokraten: Was tun?<br />
Der Demokratischen Partei stehen sehr schwierige und konfliktgeladene Jahre bevor.<br />
Die Partei muB sich wieder mit ihrer »Oppositionsrolle« im KongreG abfinden. Damit<br />
sind zwei Gefahren verbunden: Falls sie sich als zu engstirnige und kleinkarierte<br />
Opposition gegen die Bushregierung erweist, konnte sie als eine schlechte Verliererin<br />
und Spielverderberin in der Offentlichkeit diskreditiert und sogar fUr die<br />
Fehlleistungen der Regierung verantwortlich gemacht werden. Andererseits darf sie<br />
sich aufkeinen Fall von Bush einschiichtern lassen. Sie muG, ganz im Gegensatz dazu,<br />
vielmehr stets danach trachten, der Regierung auf allen politisch wichtigen Ebenen<br />
gehOrig Paroli zu bieten - seies als eine Fortsetzung des bereits in der Reaganlira<br />
relativ effektiv angewendetem »check« der Regierung in ihrer Mittelamerikapolitik,<br />
oder als »balance« zu Bushs konservativen Vorhaben in der Rechts- und Sozialpolitik:Dieses<br />
bereits sehr schwierige Unterfangen wird den Demokraten auch deswegen<br />
schwer fallen, weil die Gruppierungen dieser Partei in den kommenden vier Jahren<br />
weder verschwinden noch sich zu einer harmonischen Einheit zusammenfinden<br />
werden. Die zentrifugalen Fliigelklimpfe, die dt
Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 27<br />
Selbstverstandlich bedeuten<br />
Charisma viel in<br />
der doch sie sind - Roger Ailes's Fonnalismus zum Trotz - auch<br />
in einem amerikanischem Wahlkampf bei weitem nicht alles. Wie ich zu zeigen verhat<br />
gerade der letzte<br />
bestatigt, daB Inhalte und Ideologien weiterhin<br />
eine groBe Rolle Allerdings muB man sie den auch effektvoll<br />
vennitteln konnen. In den letzten drei<br />
das Problem<br />
der Demokraten daB sie weder auf dem Gebiet der Fonnen noch auf dem der<br />
Inhalte einen den Republikanem ebenbiirtigen Gegner abgaben. Nur wenn es ihnen<br />
bereits die aktiv filr das Geschehen zu mobilisich<br />
gelltllch auch<br />
-- solange die<br />
Demokraten dabei nur das seit 1980 von den Republikanem dominierte politische<br />
Feld wieder zurtickgewinnen. Ihre NachzUglerrolle im politischen Diskurs werden<br />
die Demokraten in den nachsten Jahren nur durch eine aktive Mobilisierung verandem<br />
konnen. DaB eine solche Mobilisierungsstrategie kein Phantom wurde durch<br />
die letzten zwei Wochen des Dukakiswahlkampfes, in dem es einem mobiliserenden<br />
Dukakis fast noch gelungen ware, die Kohlen aus dem Feuer zu holen, klar bestatigt.<br />
Die Demokraten konnen sich Drtickebergertum nicht langer leisten, sie miissen kIar<br />
Farbe bekennen. Dazu aber wird sie nur eine offensive Strategie der Mobilisierung<br />
bringen; solche Prozesse, mit Nachdruck durchgefiihrt, haben noch immer zur Prazisierung<br />
politischer Inhalten entscheidend beigetragen.<br />
Konkret heiBt dies, daB es den Demokraten wiederum gelingen muE, fUr die Dauer des<br />
Wahlgangs im Herbst 1992 eine Klassenkoalition zusammenzuschmieden. Sie mtissen<br />
erreichen, daB anne WeiBe, Schwarze, »hispanics«, Juden und »organized labor«<br />
sich zu einer Wahlkoalition zusammenfinden, die progressive Refonnen in der 80-<br />
zial-, Rechts- und Wirtschaftspolitik befUrwortet. Soziologisch gesprochen konnen<br />
die Demokraten ihr Wahlschicksal nicht einer Tragerschicht der amerikanischen BevOlkerung<br />
allein iiberlassen. Sie mtissen pluralistisch vorgehen, indem sie bewuBt die<br />
universalistischen Dimensionen von Klasse den zentrifugalen und partikularistischen<br />
Eigenschaften von EthnizWit gegentiberstellen. Sie mtissen also einer starken Grundstromung<br />
amerikanischer Politik entgegensteuem, was sicherlich kein leichtes Unterfangen<br />
sein wird. Mir schwebt hier eine bereits von Jesse Jackson begonnene Strategie<br />
der »rainbow coalition« VOf, jedoch eines auch die Mitte des politischen Parteispektrums<br />
der Demokraten beinhaltenden Regenbogens - was zwangslaufig gegen<br />
eine Kandidatur Jesse Jacksons spricht. Obwohl sicherlich brilliant und historisch<br />
zweifellos mit den positiven Leistungen Martin Luther Kings gleichsetzbar, war die<br />
Person Jacksons - bezeichnenderweise jedoch nicht seine Politik - ftir viele Stammwahler<br />
der Demokraten einfach unakzeptabeps. Moglicherweise konnte ein etwas<br />
zentristischerer Jackson (vielleicht der aus<br />
sehr populiire<br />
schwarze Kongressabgeordnete und derzeitige Vorsitzende des Finanzausschusses<br />
William Gray oder der New Jersey reprasentierende und sich groBer Popularitat erfreuende<br />
Senator Bill Bradley) diese »Regenbogenkoalition der Mitte« mit all ihren<br />
wichtigen sozialen Bestandteilen - d.h. den Gruppen aus der von Jackson mobilisier-
28 Andrei S. Markovits<br />
ten »rainbow coalition« einerseits und den der gemaBigteren Tradition der Partei<br />
angehorigen Teilen andererseits - geschickt zusammenschweiBen. Wie die SPD, so<br />
brauchen auch die Demokraten ffir einen Wahlsieg auf nationaler Ebene eben beide<br />
Fltigel ihrer gegensiitzlichen Stromungen.<br />
Inhaltlich hieBe dies, daB sich die Demokraten unzweideutig auf ihre alten Werte<br />
eines Primates von okonomischem Liberalismus (in seiner amerikanischen Deutung)<br />
besinnen mtiBteh. Die Kluft, die sich auch dieses Mal innerhalb der Partei -zwischen<br />
Jackson's »rainbow coalition« und den gemiiBigteren Demokraten - so verhangnisvolTreproduzierte,<br />
war riichts anderes als jene seit 1968 und 1972 permanent sich<br />
manifestierendeinnerparteiliche Zersetzung auf derkulturellen und sozialen Achse,<br />
nicht jedoch auf der okonomischen. »Liriks« und »rechts« innerhalb der demokratischen<br />
Partei haben seit 1968 viel mehr mit Einstellungen vis a vis Mittelameria, Mittelstrekkenraketen,<br />
okologischen Fragen, Btirgerrechten fUr Homosexuelle, Legalisierung<br />
von Marihuana und anderen nicht-okonomischen Topoi zu tun als mit Fragen<br />
einer progressiven Steuerreform, der Errichtung eines staatlich geleiteten Gesundheitswesens<br />
und eines massiven Ausbaues der offentlichen Bildung. Sowohl innerparteilich<br />
als auch in der amerikanischen Wahlerschaft schlechthin sind Koalitionen<br />
urn diese Topoi eher durchfUhrbar und bestandiger als die ersteren. Wenn es den Demokraten<br />
gerlingen sollte, die Vorteile eines aktiven Staates ffir die sozial Schwachen<br />
hervorzuheben, konnten sie wiederum eine solidarische Politik ffir sich beanspruchen,<br />
und die hatte - so die Befunde - groBe Sympathien einer eindeutigen Mehrheit<br />
der arbeitenden Bevolkerung. Durch eine gezielte Mobilisierung fUr okonomische<br />
Fragen konnte es den Demokraten eventuell gelingen, das Primat der okonomischen<br />
Achse ffir politische Koalitionen wiederherzustellen und damit - so meine These -<br />
eine Prasidentschaftswahl ffir sich entscheiden. Den Kern einer solchen Mobilisierung<br />
konnte meines Erachtens die von den Republikanern mit eindeutig reaktioniiren<br />
Absichten untemommene Defizitpolitik der Reagan-Jahre Hefem. Durch die Aufrechterhaltung<br />
dieses Marnmutdefizites wollten die Republikaner die DurchfUhrung<br />
jeglicher sozialer Reformen fur eine lange Zeit einfach unmoglich machen 16 • Dieser<br />
skandalose Vorgang wurde bis jetzt von den Demokraten kaum angemessen politisiert.<br />
Hier gibt es also sicherlich einen groBen Nachholbedarf. Ferner konnten die Demokraten<br />
in der jetzigen A.ra Gorbatschows, ohne sofort in den Verruf der Volksverrater<br />
und Schwachlinge zu geraten, massiv gegen das Verteidigungsbudget angehen<br />
und dem amerikanischen Yolk des sen enormen »Verdrangungseffekt« gegenuber<br />
sozialen Leistungen klar vor Augen fUhren. Urn es gerafft auszudrticken: Solange es<br />
den Demokraten nicht gelingt, den Diskurs von der sozial-kulturellen auf die okonomische<br />
Achse umzuleiten, werden die Republikaner ihr Monopol im WeiBen Haus<br />
weiterhin behaupten konnen. Bine tiberwiiltigende Mehrheit der amerikanischen Burger<br />
will einen ausgebauten Sozialstaat, erh6hte Sozialleistungen, besser bezahlte und<br />
sichereArbeitsplatze, bessere Schulen und so manches mehr, was man mit dem »Liberalismus«<br />
der Demokraten verbindet. Urn dies zu realisieren, muB die Partei eine<br />
»horizontale« Koalition - also die einer okonomischen Interessensgemeinschaft - zumindest<br />
ffir die Dauer des bedeutenden Urnenganges im November 1992 zusammen-
Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 29<br />
schmieden. Sie muS sich offen(siv) zu ihrer aus Franklin Delano Roosevelts Zeiten<br />
stammenden Starke eines okonomischen Liberalismus bekennen. Ob die Demokraten<br />
dies auch tun werden, vermag zur Zeit niemand - am ,",W"M""'-'H sie selbst - mit<br />
einem MindestmaB an GewiBheit vorauszusagen.<br />
Der Sieg des 32jiihrigen, sehr liberalen Evan Bayh in der Gouvemeurswahl des Bundesstaates Indiana<br />
ist besonders interessant. Sein ebenfalls liberaler Vater, Birch Bayh, wurde von dem jetzigen<br />
Vizeprasidenten der Vereinigten Staaten, Dan Quayle, im Sog des ersten groBen Reagansieges 1980<br />
im Senatorenwahlkampf des Staates iiberraschend hoch geschlagen. Indiana, eine besonders auf<br />
Bundesebene traditionelle Bastion der Republikaner, war in dem Wahlverhalten seiner Biirger sehr<br />
typisch fiir den von mir in diesem Aufsatz geschilderten SpaltungsprozeB zwischen Bundesebene<br />
einerseits und Staats- und Kommunalebene andererseits, den wir immer prononcierter bei Prasidentenwahlen<br />
in den Vereinigten Staaten beobachten konnen. Wiihrend knapp iiber 60 % der Wahler<br />
Indianas Bush Dukakis klar vorzogen, stimmten 54 % fiir den liberalen und jungen Bayh und erteilten<br />
somit dem Bush sehr nahestehenden und ihm auch sehr iihnlichen Govemeurskandidaten der Republikaner<br />
eine elltschiedene Abfuhr.<br />
2 Der Begriff »ethnics« meint stets weiBe Biirger, die hauptsachlich in den urbanen Zentren des Nordostens<br />
wohnen und nicht - wie die WASPS (White Anglo-Saxon Protestant), Skandinavier und<br />
Deutsche - protestantischen und nordeuropaischen Ursprungs sind. »Ethnics« sind also Italo-Amerikaner,<br />
Polen, Iren, Portugiesen, aile Amerikaner ost- und sudeuropmscher Herkunft, wie auch<br />
katholischer und verschiedener christlich-orthodoxer Religionsbekenntnisse. Juden gehOren jedoch<br />
nicht dazu. Die wiederum - wie Schwarze, Hispanics (spanisch sprechende Burger) und andere<br />
Gruppen - sind eine Kategorie fur sich.<br />
3 Sowohl der Kennedy- als auch der Johnson-Sieg symbolisieren fast idealtypisch die zwei groBen<br />
politischen Flugel der von der Rooseveltschen Koalition gepragten »aiten« demokratischen Partei.<br />
Kennedy, als erster nichtprotestantischer Prasident der Vereinigten Staaten, vertrat den niirdlichen<br />
Flugel der Partei, der sich aus den »ethnics« des Nordens, »organized labor«, Industriekapital und den<br />
Bewohnem der niirdlichen Industriezentren des Landes zusarnmensetzte. Johnson wiederum vertrat<br />
als Texaner den sudstaatlichen Flugel der Partei. Es konnte darum eben nur ein Sudstaatler wie Johnson<br />
die graBen Burgerrechtsreforrnen der 60er Jahre durchfiihren, die die amerikanische Offentlichkeit<br />
- wie eben auch die demokratische Partei - grundlegend andem sollten.<br />
4 Fur Dukakis stimmten auBer den Schwarzen im bereits erwiihnten 90:10 Verhaltnis noch die Hispanics<br />
(70:30) und die Juden (65:35). Ansonsten konnte Bush jede andere ethnische Gruppe fiir sich<br />
gewinnen. DaB die Demokraten weiterhin die Partei der Annen sind, belegen folgende Zahlen: Leute<br />
mit einem Farnilienjahreseinkommen unter $ 12500 wiihlten 62.:38 fUr Dukakis, die nachsthohe<br />
Einkommensgruppe ($ 12500 - $ 24999) spaltete sich genau 50:50 zwischen Dukakis und Bush;<br />
danach wiihlten aile Einkommensgruppen fUr Bush. Interessant ist, daB die Hohe der jeweiligen<br />
Unterstutzung fur Bush sich viillig proportional mit dem Einkommensanstieg der jeweiligen Gruppe<br />
verhielt. Leute mit einem Familienjahreseinkommen uber $ 100000 wahlten im Verhaltnis 65:35 fUr<br />
Bush.<br />
5 Obwohl es zuerst den Anschein hatte, daB es mit Dukakis-Bentsen zu einer Wiederbelebung der<br />
letzten fUr die Demokraten so erfoigreichen Massachusetts-Texas Achse durch Kennedy-Johnson<br />
kommen sollte, wurde relativ bald klar, daB Dukakis nie mit denselben strukturellen Vorteilen innerhalb<br />
seiner Partei wie sein Vorganger und »Landsmann« Kennedy rechnen konnte. Nicht nur war der<br />
Suden, der sich noeh zu Kennedys Zeiten fest in den Hiinden der Demokraten befand, den Demokraten<br />
bei Prasidentschaftswahlenlangst abtriinnig geworden. Es gab auch seit Anfang der 70er Jahre keine<br />
der beriihmt-beriichtigten »urban machines« mehr, die - wie im Faile von Richard Daleys Chicago<br />
im Jahre 1960 mit allen legalen und illegalen Mitteln den Demokraten wichtige Wahlsiege einfach
30 Andrei S. Markovils<br />
--------------------------<br />
garantierten. Baley und seine Chicago »machine« wurden u.a. von Jesse Jackson und anderen die<br />
demokratische Partei demokratisierenden post-68er Bewegungen und Reformen endgiiltig aus der<br />
Macht gewiesen. Wie alles in der Politik, hatte auch diese per Saldo sehr positive Entwicklung ihre<br />
negativen Seiten.<br />
6 Der Carter-Sieg im Jahre 1976 war genau so ein historischer Ausnahmefall. Die Legitimitat der Republikaner<br />
war unmittelbar nach dem Watergateskandal, in dem Richard Nixon die Hauptfigur spielte,<br />
einfach zu angeschlagen, urn bei der Prasidentschaftswabl zu reussieren. Trotz Watergate und trotz<br />
der niedrigen Popnlaritat des republikanischen Kandidaten Gerald Ford konnten die Demokraten in<br />
letzter Minute nur einen hauchdiinnen Sieg ins Ziel retten. Bezeichnenderweise - und die historische<br />
Ausnabme noch bekraftigend - war der siegreiche demokratische Kandidat Jimmy Carter Gouverneur<br />
des Staates Georgia, also ein Politiker des sogenannten »tiefen Siidens«. Nur dadurch konnten<br />
die DemokIaten zumindest einige der wichtigen - bei weitem jedoch nieht aile - Siidstaaten fUr sich<br />
gewinnen.<br />
7 Es ist sehr interessanl, daB aueh Jesse Jackson bei den Vorwahlen der demokratischen Partei nur in<br />
fast »schwarzenreinen« Staaten wie Vermont, Wisconsin, Oregon, Washington und Maine eine signifikante<br />
Zabl weiBer Stimmen fUr sich gewinnen konnte. Wahrend ~ackson 92 % der Schwarzen, die<br />
in den Vorwablen die Demokratische Partei wahlten, fiir sich beanspruchen konnte, waren es nur<br />
knappe 12 % der weiBen DemokIaten, die Jackson ihre Stimme gaben.<br />
8 Interessant is!, welche Schwierigkeiten etablierte Linksparteien mit dem richtigen Ansprechen von<br />
Emotionen haben: An Emotionen zu appellieren, sehen sie als »billig«, »demagogisch« und daher als<br />
»unmoralisch« an und iiberlassen dieses wichtige Feld darum lieber den Konservativen und<br />
Rechten.<br />
9 So hatte er z.B. argumentieren konnen, daB es George Bush, nicht Micheal Dukakis war, der unpatriotisch<br />
bzw. »unamerikanisch« handelte, indem er die Rechtssprechung eines rechtsstaatlichen<br />
Gerichtes vollig miBachtete. Ferner tatte Dukakis Bush den Vorwurf machen konnen, daB es eben<br />
sehr »arnerikanisch« sei, den Unterricht in den Schulen pluralistisch zu gestalten und niemandem<br />
gegen seinen Willen einen Eid aufzuzwingen. Er hatte also - den Individualismus politisierend -<br />
Bushs vermeintlichen Patriotismus mit einem sehr »arnerikanischen« Argument angreifen und bloBstellen<br />
kiinnen.<br />
10 Es ware vielleicht nieht unangebracht, dem deutschen Leser an dieser Stelle eine kurze ErkIarung des<br />
arnerikanischen Begriffs »liberal« darzubieten. Obwohf es den Begriff »liberal« in den USA selbstverstandlich<br />
schon vor der Regierungsara Franklin Delano Roosevelts gab, tauchte er in der politischen<br />
Alltagssprache nur sporadisch auf und war relativ unbedeutend. Da er erst von Roosevelt in<br />
wirklich massiver und dann das Wesentliche seines »New Deal« charakterisierender Art eingefiihrt<br />
wurde, brachte die amerikanische Offentiichkeit den Begriff »liberal« seit dieser Zeit hauptsachlich<br />
mit den wichtigsten Topoi Rooseveltscher Reformen in Zusarnmenhang. Foiglich meint »Wirtschaftsliberalismus«<br />
in den Vereinigten Staaten: Staatsinterventionen in die Wirtschaft, keynesianische<br />
Globalsteuerung, aktive Fiskal- und Geldpolitik des Staates, den Ausbau der/s sozialen Sicherung!Netzes,<br />
progressive Steuerpolitik - eben eine Ausbreitung und Vertiefung sozialer Rechte und<br />
okonomischer Gleichheit. 1m okonomischen Bereich ist also das amerikanische »liberal« dem europaischen<br />
»sozialdemokratisch« wablverwandt, wlihrend es im »Uberbau-l;lereich« - also im Bereich<br />
personlicher Freiheiten, Begrenzung willkiirlicher Staatsmacht dem individuellen Biirger gegeniiber,<br />
politischer Kultur und in bezug auf die meisten Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft in der<br />
biirgerlichen Offentlichkeit schlechthin - die zentralen Charakteristika des klassichen europaischen<br />
Liberalismus teilt. Amerikanische Liberale sind also Zwitter: In der Okonomie den europaischen Sozialdemokraten<br />
lihnlich, im »Uberbau« den Liberalen der alten Welt nahestehend. In Europa entstand<br />
der Liberalismus im Kampf um politische Rechte und Freiheiten der Biirger dem absolutistischen<br />
Staat gegeniiber; in Amerika hingegen hatte das, was heute unter dem Begriff >,liberalism« verstanden<br />
wird, seinen Ursprung im Kampf urn grofieren sozialen Schutz und erweiterte wirtschaftliche Recht<br />
fUr die im Wettlauf der »freien Marktwirtschaft« Unterlegenen.<br />
11 So waren z.B. einige Vertreter der osteuropaischen «ethnics» innerhalb del" republikanischen Partei<br />
ehemalige aktive Mitglieder von Organisationen wie der »Eisernen Garde« des faschistischen Rumanien,<br />
der »Pfeilkreuzer« des faschistischen Ungarn und vergleichbarer Organisationen in Bulgarien<br />
und anderen osteuropaischen Uindern. AuBerdem war einer der engsten Bushberater ein gewisser
Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 31<br />
Frederic V. Malek. AufNixons Anweisung hin hatte er alle Juden im Bureau of Labor Statistics, einer<br />
von Nixon wegen ihres - so des sen Originalton - linkslastigen Rufes gehaBten Bundesbehiirde,<br />
namentlich abgezahlt und diese Liste dem Prasidenten dann vorgelegt.<br />
12 Fur diejenigen Leser, die der modemen Konsumgesellschaft mil etwas Abneigung begegnen, seien<br />
die Begriffe »Teflon« und »Velcro« hier kurz erkliirt. Wahrend »Teflon« ein Kunststoff ist, an dem<br />
nichts haften bleibt und von dem alles abprallt, besitzt »Velcro« genau entgegengesetzte Eigenschaften,<br />
denn alles bleibt an ihm kleben. Reagans teflonartige Eigenschaften haben diesen Mann zu einem<br />
in der modemen amerikanischen Geschichte einzigartigen Phanomen gemacht: Kein anderer Prasident<br />
verlieB nach achtjahrigem Amtsbesitz das WeiSe Haus mit einem noch hiiheren Beliebtheitsgrad<br />
als mit dem, den er zu Beginn seiner Amtsperiode schon hatte. AuBerdem war der Beliebtheitswert<br />
Ronald Reagans bei seinem Abgang hiiher als der jedes anderen aus seinem Amt scheidenden Prasidenten.<br />
13 Es sol! hier in Erinnerung gerufen werden, daB es hauptsachlich der linke bzw. gewerkschaftliche<br />
Fluge! der demokratischen Partei ist, der ein griiBeres finanzielles Engagement besonders der reichen<br />
Verbundeten der Vereinigten Staaten - allen voran die B undesrepublik Deutschland und Japan - fUr<br />
ihre eigene Verteidigung erwartet. Im Wahlkampf waren es hauptsach!ich Jesse Jackson und die<br />
bereits friih ausgeschiedene Abgeordnete aus Colorado, Pat Schriider, die auf das ihrer Meinung nach<br />
unsolidarische Verhalten der reichen Japaner und Westdeutschen im Bundnis mit den Vereinigten<br />
Staaten hinwiesen. Wie bereits eingangs erwiihnt, anderten sich die Fronten im Laufe der post-Vietnam-Ara:<br />
ein wichtiger Flugel der Demokratischen Partei entwickelte sich zu Isolationisten, wahrend<br />
die Republikaner wen friiheren Isolationismus gegen einen Interventionismus austauschten.<br />
14 Man kann sich folgendes Szenario vorstellen: Drei groSe B1iicke - Westeuropa unter der eindeutigen<br />
Hegemonie der Bundesrepublik, Nordamerika unter der ebenfalls eindeutigen Vorrangstellung der<br />
USA und Japan mit seinen Markten im Femen Osten - werden sich immer abgeschotteter und miBtrauischer<br />
gegeniiberstehen. Wahrend die blockintemen Wirtschaftsbeziehungen in allen drei Hillen<br />
jeweils einen immer »organischeren« Charakter annehmen, werden die Interblockbeziehungen zunehmend<br />
»kunstlich« bzw. »verwaltet«. Es entwickelt sich eine Wirtschaftsbeziehung, die man auf<br />
Englisch »managed« im Gegensatz zu »integrated« nennt. Dadie Japaner in diesem Schema den weitaus<br />
kleinsten Markt fUr sich in Anspruch nehmen kiinnen, wird diesem Szenario gemaB - die<br />
Zukunft fUr sie am konfliktreichsten und potentiell am schwierigsten.<br />
15 Hier spielen einige Faktoren eine Rolle: Erstens seine antisemitischen Bemerkungen und antijudische<br />
Einstellung, die nicht nur bei jiidischen Wahlem der Partei, sondem auch bei anderen Demokraten<br />
Befremden hervonief. Zweitens seine politische Unerfahrenheit, denn nie in seinem Leben bekleidete<br />
er ein politisches Amt irgendeiner Art, sei es auf nationaler, staatlicher oder lokaler Ebene. Drittens<br />
sein auf dem Charisma des Predigers beruhender politischer Diskurs, der bei vielen »rationalen« und<br />
siikularisierten Zentristen der Partei ein gewisses Unbehagen hervorrief.<br />
16 DaB dies kein paranoides Hirngespinst von Demokraten und progressiv eingestellten Leuten sondem<br />
ein klarer Plan der »Reaganrevolntion« war, ist seit den AuBerungen David Stockmans, des ersten<br />
Budgetdirektors der Reaganregierung, kaum mehr bestreitbar. Stockman muBte auch wegen dieser<br />
Bemerkungen aus dem Reaganteam ausscheiden.
32<br />
wurde im<br />
BOer Jahre<br />
wodurch sich nul' die Akkumulationsstruktur<br />
Finanzinnovationen, stabile Kreditbeziehungen<br />
unterminierende junk del' Aufkauf riesiger Unternehmenskonglomerate<br />
mit einem Vorschuj3 an Eigenkapital sind nur einige Stichworte zu del' unglaublichenAusdehnung<br />
spekulativen All dies sind Zeichen del' Auflosung<br />
des alten monetiiren ohne bereits Strukturen eines neuen ''''''nT"",,<br />
Geldsystems entstanden waren. Die These des Autors: Der Dollar muj3 als Weltgeld<br />
afJ/'1{UIKen. um die Blockaden in del' Weltwirtschaft iiberwinden zu konnen.<br />
Im letzten Jahrzehnt hat sich das Kredit- und Bankensystem in den Vereinigten Staaten<br />
radikal verandert. Inmitten einer tiefen Wirtschaftskrise wurde das Finanzsystem<br />
dereguliert und dadurch vollig neuen Spielregeln unterworfen. Dieser ProzeB hat deshalb<br />
weitreichendeAuswirkungen auf die Struktur und Wachstumsdynamik der amerikanischen<br />
Wirtschaft, weil sich dabei auch die Rolle des Kredits imAkkumulationsprozeB<br />
verandert hat.<br />
Kredit, das Rohmaterial des<br />
ist von grundlegender Bedeutung in einer<br />
Geldwirtschaft. Es liegt ja in der N atur der Warenproduktion, daB die Produzenten ihr<br />
werst investieren miissen, urn es spater durch Profit<br />
zu konnen.<br />
also Geld aus, bevor sie es wieder verdienen. Der Kredit die<br />
""u,,,,!'.,:tu,"u und Einkommen zu tiberwinden. Aber auch Konsumenten<br />
brauchen mitunter entweder urn sich etwas sehr Teures zu kaufen<br />
ein<br />
oder urn iaUivi.'U,", '~UM~'J~H mit Kreditkarten zu decken. Zu<br />
erwahnen ist schlieBlich der<br />
die Tenzu<br />
realisieren oder einfach<br />
SUllpl
Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 33<br />
die Zentralisierung des Kapitals. Sie spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Verteilung<br />
von Ressourcen, da sonst brachliegendes Geld tiber diverse Finanzmarkte fur<br />
bestimmte Investitionszwecke mobilisiert wird.<br />
Als Industrie- und als Finanzkapital nimmt Geld zwei verschiedene Formen an, deren<br />
Beziehungen miteinander recht kompliziert sind. Auf der einen Seite ist das Finanzkapital<br />
mehr oder weniger passive Stiitze des Industriekapitals, indem es entweder<br />
Investitionen zur Ausweitung der Produktionskapazitaten finanzieren hilft oder<br />
die fUr die Profitrealisierung notwendige Nachfrage ankurbelt.<br />
Andererseits istdas Finanzkapital als· (oftattraktivere)· Investititmsaltemativeauch<br />
ein aktiver Konkurrent des Industriekapitals. Vor aHem das in spekulativer Absicht<br />
getragene Handeln mit Papieren auf Finanzmarkten (jiktives Kapital) existiert in relativer<br />
Autonomie von der Mehrwertproduktion in der Industrie.! Diese duale Natur<br />
des Finanzkapitals beztiglich der Akkumulationsdynamik wird nicht zuletzt durch die<br />
Beziehung zwischen Zinssatzen und Profitraten bestimmt.<br />
Letztlich ist das Finanzsystem auch von strategischer Bedeutung als Quelle der GiralgeldschOpfung<br />
durch Kreditgewahrung der Banken. Da die Sparernormalerweise nur<br />
einen kleinen Teil ihrer Guthaben abheben, brauchen die Banken nur einen Bruchteil<br />
ihrer Depositenkonten als Bargeldreserve zur Deckung von Abhebungen bereitzuhalten.<br />
Der Rest ist ein UberschuB, der gegen Zinsen ausgeliehen werden kann. Einzelne<br />
Banken konnen nicht mehr als ihre UberschuBreserven ausleihen und dadurch in<br />
neues Giralgeld umwandeln, da sie sonst Gefahr laufen, ihre Reserven aufzuzehren.<br />
Das Bankensystem als Ganzes kann aber ein Vielfaches der urspriinglichen UberschuBreserven<br />
an neuem Gejd schaffen, weil die als Giralgeld zirkulierenden Schecks<br />
Reserven von einer Bank zur nachsten transferieren. Ich will im weiteren zunachst<br />
einen Uberblick tiber die historischen Regulierungen des Geld- und Kreditsystems<br />
der USA geben, urn dann im weiteren ausfUhrlicher auf die jtingsten Umstrukturierungen<br />
einzugehen. 1m Fall der USA, der Hegemonialmacht der kapitalistischen<br />
Weltwirtschaft seit dem Ende des 2. Weltkrieges, kann sich die geld- und kreditpolitische<br />
Analyse allerdings nicht auf den Bereich des Nationalstaates beschranken.<br />
Urn der Weltgeldrolle des US-Dollars Rechnung zu tragen, ist es notwendig, auch auf<br />
das Zusammenspiel »intemer« und »extemer« geld- und kreditpolitischer Strukturen<br />
einzugehen.<br />
Die staatliche Regulierung des Finanzkapitais<br />
Die Regulierung des Kapitals im politisch-institutionellen Uberbau wurde in der franzosischen<br />
Regulationstheorie als Akkumulationsregime definiert 2 • Weil das Finanzwesen<br />
in der kapitalistischen Wachstumsdynamik und deren Krisentendenzen eine<br />
grundlegende Rolle spielt, ist die staatliche Regulierung des Geldes und des Kredits<br />
offensichtlich wesentlicher Bestandteil einesAkkumulationsregimes. Diese Staatsregulierung<br />
hat verschiedene Dimensionen:
34 Robert Guttmann<br />
(a) Die Zentralbank (seit 1913 die Federal Reserve in den USA) versucht die Giralgeldschopfung<br />
im Bankenwesen durch eine Kontrolle der Bankreserven zu beeinflussen.<br />
Diese Geldpolitik basiert auf der traditionellen Annahme, daB es zwischen der<br />
jeweilig vorhandenen Geldmenge und dem Wirtschaftswachstum eindeutige Zusammenhange<br />
gibt. 3<br />
(b) 1m Rahmen des internationalen Geldsystems ist die Zentralbank auch fUr den Einund<br />
Verkauf fremder Wahrungen, das Manipulieren von Wechselkursen und die Abwicklung<br />
von Zahlungsverpflichtungen mit dem Ausland verantwortlich.<br />
(c)Finanzinstitutionen und -markte werden durGh eine Reihe von Verordnungen geregelt,<br />
wie zurnBeispiel selektive Kreditkontrollen, Regeln zur BegrFllZung destabilierenden<br />
Marktverhaltens und der Differenzierung zwischen verschiedenen Institutionen,<br />
wodurch die Struktur des Finanzsystems bestimmt wird. 4<br />
(d) Die moglicherweise verheerenden Auswirkungen akuter Geld- und Finanzkrisen<br />
konnen durch staatliche Mechanismen der NotJallJinanzierung (»lender of last resort«),<br />
welche bedrohte Institutionen vor dem Konkurs bewahren, verhindert oder zumindest<br />
gemildert werden.<br />
Diese vier Dimensionen staatlicher Regulierung bedtirfen, urn effektiv zu sein, einer<br />
institutionellen Koharenz; zusammengefaBt konnen sie als monetares Regime definiert<br />
werden.<br />
In normalen Perioden, wenn die Wirtschaft sich auf einem stetigen Wachstumspfad<br />
befindet, reicht das jeweilig vorherrschende Regime aus und ist daher kaum Veranderungen<br />
unterworfen. Bestenfalls gibt es begrenzte Verbesserungen. Die historische<br />
Entwicklung des Kapitalismus ist aber durch Phasen von Strukturkrisen und Reorganisationsprozessen<br />
gekennzeichnet. In diesen Situationen bricht das monetare<br />
Regime zusammen und muB daher radikal umgestellt werden. Dies ist in den USA<br />
wahrend des Btirgerkriegs (1860-1865), der GroBen Depression (1929-1938) und<br />
dann wieder seit 1979 geschehen.<br />
Das Papiergeldregime der Nachkriegsperiode<br />
Der Wahlsieg Roosevelts im Jahr 1932 lei tete den sogenannten New Deal ein. Dieses<br />
Programm, das auf ein neues Akkumulationsregime zielte, organisierte die Industrie<br />
in sektorenspezifischen Kartellen, betonte staatliche Beschiiftigungspolitik, ftihrte<br />
Sozial- undArbeitslosenversicherungen ein und starkte die Gewerkschaften. Ein wesentlicher<br />
Aspekt des New Deals war die Wiederbelebung des Kreditsystems durch<br />
eine Serie von Reformen:<br />
- Die Abschaffung des Goldstandards (im »Notstandsgesetz« von 1933 und durch das<br />
Goldreservengesetz von 1934) befreite die Wirtschaft yom Warengeld, das wegen des<br />
exogen fixiertenAngebot des Goldes eine »metallene« Wachstumsschranke darstellteo<br />
Dieser Ubergang zu einem inkonvertiblen Papiergeldstandard wurde durch eine<br />
Starkung der verschiedenen geldpolitischen Instrumente der Federal Reserve (d.h.<br />
Mindestreservebestimmungen, Diskontkredite fUr Banken mit Reservedefiziten,
Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 35<br />
Offenmarktoperationen in staatlichen Schu1denob1igationen) im Bankengesetz von<br />
1935 vervollstandigt.<br />
- Auf den Zusammenbruch des Bankensystems in den friihen 30er Jahren antwortete<br />
die Roosevelt-Regierung zwischen 1933 und 1935 mit einem neuen Typus des Krisenmanagements.<br />
Dieser umfaBte die Ausstattung vie1er zah1ungsunfiihiger Banken<br />
mit frischem Kapita1, die Versicherung der Bankkonten und die Rettung inso1venter<br />
Banken durch die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) sowie den 1eichteren<br />
Zugang zu den Diskontkrediten der Federal Reserve fiir Banken mit Reservedefiziten;<br />
-,- Eine Reihe von neuen Verordnungen fiir Banken wurden mit dem Glass~Steagall<br />
Gesetz von 1933 eingefiihrt. Das Bankensystem wurde in zwei Teile gespalten. Die<br />
Geschiiftsbanken (»commercial banks«) spezialisierten sich auf diverse Sparkonten<br />
als Passiva und auf Kredite fiir Firmen und Konsumenten alsAktiva. Die Investitionsbanken<br />
(»investment banks«) agierten in den Finanzmiirkten fiir Obligationen und<br />
Aktien, wo sie die Neuausgabe von Wertpapieren und Firmenzusammenschltisse finanzierten.<br />
Die geographische Begrenzung der Z weigfilialen von GroBbanken sorgte<br />
dafiir, daB kleine Banken als lokale Monopole in Darfern und Kleinstadten operieren<br />
konnten. Maximale Zinssatze fiir Sparkonten bremsten die oft destabilisierende Konkurrenz<br />
zwischen Banken. Ohne so1che Preiskontrollen tendieren die Banken namlich<br />
dazu, Sparfonds durch hOhere Zinsen anzuziehen und dann in profitablere, aber<br />
auch riskantere Aktivitaten zu investieren.<br />
- Das Wertpapiergesetz von 1933 und das Barsengesetz von 1934 regulierten die<br />
langfristigen Kapitalmiirkte durch das Verbot verschiedenerTechniken der Marktmanipulation,<br />
durch Informationsregeln bei der Neuausgabe von Wertpapieren, mit Prozeduren<br />
fiir Zusammenschltisse und Autkaufofferten zwischen Firmen und durch<br />
Qualifikationsbedingungen fiir Makler und andere Marktteilnehmer. Die neue Securities<br />
Exchange Commission (SEC) wurde mit der Durchsetzung dieser Regeln und<br />
mit der Aufsicht tiber die Finanzmiirkte beauftragt.<br />
1m Jahr 1944 beschlossen die Alliierten unter Ftihrung der USA in Bretton Woods<br />
(New Hampshire, USA) eine Neuordnung des internationalen Geldsystems. Darin,<br />
d.h. in einer Art Golddevisenstandard, funktionierte der Dollar als Weltgeld - ein kla-·<br />
rer Ausdruck der nun unangefochtenen Vormachtstellung der USA auf dem Weltmarkt.<br />
Die USA erkliirten sich bereit, Dollarbestande der Auslander jederzeit zu einem<br />
Fixpreis von $ 35 per Unze gegen ihre Goldreserven auszutauschen. Durch diese<br />
Konvertibilitatsgarantie war der Dollar im internationalen Zahlungsverkehr »so gut<br />
wie Gold«. Die Preisbeziehung zwischen Gold undDollar legte die Grundlage ftirfixe<br />
Wechselkurse zwischen den Wiihrungen.<br />
Diese Serie von Reformen schaffte ein viel flexibleres und stabileres Geldregime als<br />
in der Vorkrisen- und Vorkriegszeit. Die »metal1ene« Wachstumsschranke des Warengeldes,<br />
we1che zuvor regelmiiBig die Uberproduktionstendenz des Industriekapitals<br />
durch ein rigides Goldangebot undmassenhafte Zusammenbriiche tiberspannter Banken<br />
verschiirft hatte, war nun endlich tiberwunden. An seine Stelle trat ein Zahlungssystem,<br />
in dem das yom Staat emittierte Bargeld (d.h. Miinzen der Treasury [Staats-
36 Robert Guttmann<br />
und PaTJiergel,dno der Federal Reserve<br />
der Privatbanken frei miteinander austauschbar waren. Die<br />
formen geschieht durch<br />
im Bankensystem und kann durch Festlegung<br />
der Mindestreserveverpflichtung von der Zentralbank kontrolliert werden.<br />
Anstatt der exogen durch Goldreserven fixierten<br />
haben wir also seit den<br />
30er Jahren ein elastisches<br />
welches endogen durch die gesamtwirtschaftlichen<br />
Kredit- und<br />
bestimmt wird. Wenn Wirtschaftsagenten<br />
mehr Geld<br />
Jener Teil der<br />
liches 'UIJlal!"COll.!.<br />
Ueidsch()ptillng im<br />
neuen<br />
untersttitzte, zusammen mit effektiverem Krisenmanagement<br />
und abgestimmter Geldpolitik, die kontinuierliche Ausdehnung der Privatbanken.<br />
Die dem bargeldlosen Zahlungsverkehr dienenden Guthaben bei Banken, tiber<br />
die per Scheck werden kann, machen heute den GroBteil der zirkulierenden<br />
IJe:Hlrnellge aus.<br />
Dieses elastische Papiergeldregime ermoglichte eine auf groBerer Verschuldung aufgebaute<br />
Beschleunigung des Wirtschaftswachstums in den ersten Nachkriegsjahrzehnten<br />
(1948-1968). Diese Schuldenokonomie wurde von allen okonomischen<br />
Agenten getragen: 5<br />
- Konsumentenkredite, ein wesentlicher Stiitzpfeiler der Massenkonsumtion und<br />
-produktion, erleichterten die Profitrealisierung durch Ankurbelung der Nachfrage<br />
fiir Giiter Hauser, Autos) mit starken Multiplikatoreffekten in weiten Bereichen<br />
der Industrie. Die Schuldenabhangigkeit fungierte auch als subtiles Mittel zur Disziplinierung<br />
der Arbeiter, dadiese jetzt im Fane einer Unterbrechung des Einkommensflusses,<br />
(z.B. wahrend Streiks oder Arbeitsplatzwechsels) mehr zu verlieren hatten.<br />
- Die Industrieunternehmen bevorzugten Schuldenoblikationen als billige Alternative<br />
zur Neuausgabe von Aktien (nicht zuletzt wegen der Steuerabschreibungen fUr<br />
Zinskosten und der Der Weg der vel~SCI1Ul':1urlg<br />
ken relativ zur staatlichen Emission des Bargeldes. Diese Regulierung der Finanzinstitutionen<br />
und -markte war ein zusatzlicher Grund fUr derenraschere Expansion, weil<br />
sie den historischen Trend von direkter zu verrnittelter Finanzierung be-<br />
- Die das Wachstum stimulierenden wurden mit der Geldpolitik verkniipft.<br />
Entscheidend dafiir waren die Uttenma.rktopl~ratlOllen der Federal Reserve.<br />
Ihr Aufkauf von<br />
durch die der Staat seine Defizite finanzierte,<br />
bedeutete namlich ein proportionelles Ansteigen der Bankenreserven als Basis fiir<br />
zusatzliche '-'l"":U"1';vlU~'~ll'JtJl<br />
Das Resultat dieser funktionalen<br />
war eine »Schuldenokonomie«, die<br />
die effektive Nachfrage durch eine kontinuierliche<br />
von UberschuBaus-
Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 37<br />
UGlsetlc1etlzll:e des offentlichen<br />
"'!',vun."u nur einen Wertverlust des fixen<br />
Vel'lcautspre:lse:n der<br />
stimulierte. In den 50er und 60er<br />
Jahren unterstiitzte die Federal Reserve diesen ProzeB durch eine<br />
Geld-<br />
Zu diesem Zweck erlaubte die Zentralbank eine en1tspreC:hend<br />
den USA namlich einen<br />
'Um<br />
in die internationale Zirkulation transferiert werden. Diese<br />
Geldtransfers konnten nur durch andauernde<br />
mit dem Rest<br />
der Welt vollzogen werden. Da die Dominanz des US-amerikanischen sich<br />
in chronis chen Handelsiiberschiissen ausdriickte, konnten die erforderlichen Defizite<br />
nur durch massive Kapitalexporte bewerkstelligt werden. Diese basierten vor aHem<br />
auf weltweiten Militarausgaben der USA (z.B. NATO), Programmen bedingter Wirtschaftshilfe<br />
(z.B. Marshall Plan) und Direktinvestitionen multinationaler Konzerne.<br />
Der Dollarbedarf anderer Lander wurde so durch neo-imperialistische Mittel der USamerikanischen<br />
Machtausdehnung gedeckt. AuBerdem war das Anhaufen von Dollarreserven<br />
im Ausland gleichbedeutend mit der automatischen Finanzierung der<br />
amerikanischen Zahlungsbilanzdefizite durch Auslander. So als einziges Land von<br />
auBenwirtschaftlichen Zwangen befreh, konnten die USA eine auBerst expansive<br />
interne Wirtschaftspolitik betreiben.<br />
Die .""'''
38 Robert Guttmann<br />
lierung bedeutete, daB die den Waren wert senkenden<br />
nicht mehr zu niedrigeren Preisen flihrten als heftige Deflation in<br />
tionskrisen). Statt dessen flossen sie nun teilweise in regulare Lohnerhohungen, die<br />
durch Kollektivvertrage mit den Gewerkschaften geregelt wurden. Dadurch konnten<br />
Angebot und Nachfrage besser balanciert werden. Die Stabilisierung des Wirtschaftswachstums<br />
hatte allerdings einen des Geldwertes zur FoIge: Da die<br />
durch Produktivitiitssteigerungen reduzierten Warenwerte sich nicht Hinger in niedrigeren<br />
Preisen darstellten, reprasentierte dieselbe Geldeinheit (z.B. ein Dollar) eine<br />
immer kleiner werdende Wertsumme. 8<br />
Die<br />
der Preise und Lohne und deren<br />
sche Unterstiitzung (durch Budgetdefizite und elastische Giralgeldschopfung) verwandelt<br />
die Form der Strukturkrise aus einer Depression in eine Stagflation. Durch<br />
Beschleunigung der Inflation konnten bestimmte Produzenten mit starker Marktkontrolle<br />
und/oder unelastischer Nachfrage flir begrenzte Zeit der Stagnation entgegenwirken.<br />
Der Warenverkauf zu iiberdurchschnittlich gestiegenen Preisen brachte ihnen<br />
mehr Einkommen ein als sie beim Verkauf als Wertmenge abgaben. Letztere ist ja<br />
durch die allgemeine Kaufkraft des Geldes bestimmt und wird daher zum durchschnittlichen<br />
Preisniveau gemessen. Dieser ungieiche Austausch war die Basis fUr<br />
Einkommensumverteilungen auf Kosten alljener, die ihre Waren nur zu unterdurchschnittlichen<br />
Preisen verkaufen konnten. AuBerdem bedeutete steigende Inflation,<br />
daB die in der Produktion friiher anfallenden Ausgaben zueinem hoheren Geldwert<br />
(und so als relativ kleinere Geldsummen) gemessen werdenkonnten als die spater zuriickflieBenden<br />
Einkommen. Dadurch entstandenfiktive Buchgewinne, die die Tendenz<br />
fallender Profitraten lange Zeit verhiillten.<br />
Die nominalen Profitzuwachse des Industriekapitals konnten aber nur durch standig<br />
steigende Verschuldung realisiert werden. In einer Periode steigender Preise muBten<br />
die Firmen Absatz, Aktiva und Profite zumindest mit der Durchschnittsrate der Inflation<br />
erhohen, urn ihre finanzielle Position aufrechtzuhalten. Weil die Profite aber<br />
eine geringere Geldsumme ausmachten als der Absatz und das Anlagevermogen,<br />
hatte die all dieser Variablen mit der gleichen Steigerungsrate notwendigerweise<br />
ein relativ kleineres Wachstum des Profitvolumens zur Foige. Diese durch<br />
bestandigen Fall der Profitrate zusatzlich vergraBerte Finanzierungsllicke wurde<br />
dann mittels hOherer Verschuldung und daran gekoppelter Beschleunigung der GiralgeldschOpfung<br />
iiberbriickt. Die Zentralbank unterstiitzte diese Tendenz der nominellen<br />
Akkumulation durch eine expansive Geldpolitik (d.h. negative Realzinsen).9<br />
Die hahere Verschuldung fiihrte jedoch zu einer allmahlichen Schwachung des Inc<br />
dustriekapitals. Die steigende Schuldenbelastung schaffte zusatzliche Fixkosten: Die<br />
Zinsen reduzierten den Reingewinn. Durch die der Kostenstruktur wegen<br />
des hOheren Gewichts der Fixkosten wurde der »break-even point« (d.h. die fur die<br />
Uberwindung der Rentabilitatsschwelle minimal erforderliche Kapazitatsauslastung)<br />
heraufgesetzt. Kleine Anderungen des Umsatzes konnten nun groBere Profitschwankungen<br />
zur FoIge haben, wodurch das Risiko def Untemehmen anstieg.lO<br />
Wahrend die Beschleunigung der Inflation auf der einen Seite die Verschuldung der
Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 39<br />
Industrie vnr'ClmTl<br />
~H'UL"5"A.<br />
schuf sie auf der anderen Seite hahere Risiken und Verluste flir<br />
Die Inflation ist<br />
U5'~HE,~H von Ul;autllgl~m<br />
wenn die Zinssatze hinter der Inflationsrate herhinkten. AuBerdem<br />
mende Unbestandigkeit der Zinsen, d.h. derenheftige Schwankungen, und die abneh<br />
Schuldner<br />
und Kreditverlusten resultierte seit 1966 in<br />
regelmiiBigen Finanzkrisen, die Zyklus heftiger wurden. Die Beschleunigung<br />
der Inflation am Ende der Aufschwungphase veranlaBte die Glaubiger, langfristige<br />
Investitionen zu meiden und ihr Geld statt dessen in spekulativenAktivitaten<br />
mit kurzfristigen Gewinnen<br />
die aus den Preissteigerungen resultierten.<br />
Die so erzeugte Verknappung und Verteuerung des Kredits zwang die Schuldner, ihre<br />
Ausgaben einzuschranken. Immer ausgepragtere Finanzkrisen ftihrten daher zu immer<br />
tieferen Rezessionen (z.B. 1966, 1969/70, 1973-5, 1979-82).12 Diese Destabilisierung<br />
des Kreditsystems durch Stagflation zerstarte zwischen 1971 und 1979 die<br />
Grundpfeiler des die Nachkriegsperiode bestimmenden monetaren Regimes:<br />
(1) Der Zusammenbruch von Bretton Woods: Schon seit den spaten 50erJahrenhatten<br />
die Goldbestande der USAnicht ausgereicht, urn die als Weltgeld zirkulierenden Dollarsummen<br />
zu decken. Diese faktische Inkonvertibilitat der »internationalen Dollars«<br />
konnte tiberbrtickt werden, solange Auslander die Leitwahrung akzeptierten. Nach<br />
1968 begann das Vertrauen in den Dollar aber zu brackeln. Schuld daran war seine<br />
eklatante Uberbewertung, gegentiber dem Gold und gegentiber den »harten« Wahrungen<br />
der allmahlich die USA einholenden Industrielander (vor aHem der DM und<br />
dem Yen). In Reaktion auf immer heftigere Spekulationswellen beendete die Nixon<br />
Regierung dann im August 1971 die Konvertibilitat zwischen Dollar und Gold. 1m<br />
Frtihjahr 1973 brach das Regime fixer Wechselkurse zusammen. Seither haben wir<br />
ein hachst instabiles System von marktbestimmten Wechselkursen und verschiedenen<br />
Weltgeldformen<br />
Gold, Sonderziehungsrechte<br />
des die ECUs).B<br />
(2) Die Schwiichung der Geldpolitik: In den 60er Jahren begannen die Banken, zusatzliche<br />
Sparfonds durch eine Reihe neuer Ausleihinstrumente zu mobilisieren, wie<br />
zum Beispiel iibertragbare<br />
flir Untemehmen (»negotiable certificates<br />
of deposit«), Eurodollarkredite, kurzfristige Kredite zwischen Banken (»Federal<br />
funds«) und Verkauf-Ruckkauf-Abkommen flir ihre Effekten (»repurchase agreements«).<br />
Und in den 70er Jahren sahen wir die neuer (z.B.<br />
NOW, ATS,<br />
funds), die hahere Zinsen trugen und keinen Mindestreservebestimmungen<br />
unterworfen waren. Beide Innovationen erlaubten den Privatbanken,<br />
ihre Kreditgewahrung und Giralgeldschapfung aufJerhalb der Kontrolle der<br />
Zentralbank auszudehnen.
40 Robert Guttmann<br />
JJ .... ~..."UvUH.';e;UlH;e;<br />
immer starker werdenden<br />
der Inflation am Ende der Aufvor<br />
aHem dank >Jl-'v""'UWUVH<br />
. Dies galt vor aHem flir die Preiskontrollen<br />
im Bankenwesen, welche zu Zeiten beschleunigter Inflation regelmaBig<br />
die Ausdehnung der Bankenaktivitaten lahmten.<br />
die vonder Zentralbankfestgelegten Maximalzinsen stiegen, zogen viele Einleger<br />
(Sparer) ihr Geld von den Banken und Sparkassen ab, urn es anderswo rentabler anzulegen.<br />
1m Lauf der 70er Jahre versuchten die Finanzinstitutionen, verschiedene Regulationen<br />
durch Innovationen zu umgehen. Von spezieller Bedeutung war hier der Euromarkt,<br />
ein global integriertes Zahlungs- und Kreditsystem, in welchem die transnationalen<br />
Privatbanken auBerhalb des national begrenzten Kontrollbereiches der<br />
Zentralbanken operieren konnten. Die Banken niitzten daruber hinaus Lucken der<br />
intemen Regulierung, indem sie sich z.B. in relativ wenige regulierte Trusts (»bank<br />
holding companies«) oder Provinzbanken (»state bank charters«) umorganisierten. 15<br />
Krisenmanagement der Federal Reserve zwischen 1979 und 1982<br />
Dieser allmahliche Zerfall des monetaren Nachkriegsregimes erreichte seinen Hohe-<br />
1979. Wie schon im Jahr 1973 war die der<br />
Schutze des amerikanischen Industriekapitals wiederum in massive<br />
gegen<br />
den Donar und eine der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt ausgeartet.<br />
Doch dieses Mal war die Wahrungskrise insofem<br />
als 1973, weil der Monopolstatus<br />
des tatsachlich akut geflihrdet war (durch die Flucht ins Gold,<br />
die einer DM-Zone des Europaischen Wahrungssystems und die<br />
Plane der OPEC, ihre Dollareinnahmen durch einen Wahrungskorb zu ersetzen). 1m<br />
Okotober 1979 reagierte die Federal Reserve auf diese Situation mit einem drastischen<br />
Kurswechsel: Die Niedrigzinspolitik wurde aufgegeben und<br />
zu<br />
einer der durch verschiirfte Kontrolle der Bankreserven.<br />
16<br />
Weil die Banken ihre geldschopfende Kreditgewlihrung durch Quellen auBerhalb der<br />
Zentralbankkontrolle (z.B. Euradollarkredite) fortsetzten, fiihrte die Federal Reserve<br />
im Marz 1980 zum ersten Mal seit 1948 selektive Kreditkontrollen ein. Die Kombi-
Der Strukturwandel des amerikanischen 41<br />
nation von Zinssatzen tiber 20% und verordneten<br />
verursachte<br />
!y,",""lJl\.U,alC~H Fall des 9% per annum im zweiten<br />
Dies veranlaBte die Zentralbank im Sommer 1980<br />
ihrer<br />
!y"';'UlaUUll gegen den<br />
Dollar erzwangen im Frtihsommer 1981 einen neuerlichen<br />
zu einer Po-<br />
»klllaTJpcm Geldes«. Erst diese brachte die Inflation unter Kontrolle und starkte<br />
DUiSH,"'vH den Dollar auf den intemationalen Miirkten.<br />
Dieser »Erfolg« hatte seinen Preis in der Einleitung der tiefsten Wirtschaftskrise seit<br />
den 30er Jahren. Die<br />
aufbis zu 10.8% an. Viele U""-''''U''~H,<br />
hatten<br />
befanden sich in einer stark<br />
deflationaren Uberproduktionskrise. Die rapide Ausbreitung von Verlusten der Industde<br />
und die Zahlungseinstellungen tiberlasteter Schuldner gefahrdeten auch die<br />
HlU'U'j",'" vor aHem tiberspannte Banken und Kostspielige Zusammenbrtiche<br />
verschiedener Finanzinstitutionen Penn Square, und der akute<br />
Ausbruch der Schuldenkrise in den Entwicklungsliindem leiteten im Sommer 1982<br />
die Rtickkehr zu einer akkomodierenden Geldpolitik ein.<br />
Zur selben Zeit untemahm der Kongress auf Drangen der Federal Reserve eine umfassende<br />
Reform del' Finanzverordnungen (im Depository Institutions Deregulation<br />
and Monetary Control Act 1980 und Gam - St. Germain Act 1982). Die Zentralbank<br />
wurde gestarkt, indem der Kreis der Finanzinstitutionen, die von ihren geldpolitischen<br />
Instrumenten direkt bertihrt werden, von ca. 5500 auf tiber 38000 anstieg, und<br />
die neu entstandenen Kontentypen (z.E. NOW, ATS) in die Mindestreservebestimmungen<br />
einbezogen wurden.<br />
Beide Gesetze ersetzten eine Reihe tiberholter Verordnungen. Die Beendigung des<br />
Zentralbankmonopols bei der Organisation des bargeldlosen Zahlungsverkehrs fOrderte<br />
die Ausdehnung privater Abrechnungssysteme und elektronischer Geldformen,<br />
die auf hochautomatisierten Uberweisungen durch<br />
beruhen.<br />
Die Abschaffung der Zinskontrollen beseitigte deren lar:lm(~ncle<br />
ditangebot zu Zeiten Inflation und restaurierte die Preiskonkurrenz im<br />
Bankwesen. Die del' Barrieren zwischen verschiedenen Institutionstypen<br />
gestattete vor aHem und Banken ein Angebot von Fi-<br />
'WJ'UA~U'~H\..'Hund Investitionsmoglichkeiten. Die Schwachung von Kundenschutzbeermoglichte<br />
diskriminierende<br />
zum Nachteil iirmerer<br />
Bevolkerungsgruppen und Kleinfirmen.<br />
Der Wahlsieg im Herbst 1980 einen konservativen Politiker an<br />
die Spitze, mit einem starken das flinf Jahrzehnte aIte Vermachtnis des New<br />
Deal umzusttirzen. Die »Reagan Revolution« konzentrierte sich var aHem auf die<br />
LLO'''''"'I-'\HHH\.17 1m Sommer 1981 gewann die neue Regierung eine Mehrheit im
42 Robert Guttmann<br />
Eine enonne Steuersen-<br />
soUte die Anreize flir<br />
und so das Wachs tum ai1kurbeln. Ein<br />
flir eine radikale<br />
kung, vor aHem flir Reiche und flir<br />
istlm~;spro§;rrumnl, welches die iWUH'~LU'U~,5U'Jv"<br />
grrumm trieb die ohnehin schon wegen der Rezession U"-"'F,'VW,"'U.L,"<br />
rasch in die Hohe $ 39 Milliarden 1980 auf einenRekord von $ 221 Mrd. 1985).<br />
Die Riickkehr zu einer Politik des leichten Geldes und die stimulierende<br />
UU!~'V",'vl'L,1!.v schaff ten die Basis flir einen starken Wirtschaftsaufschwung<br />
Doch dieser war schon bald von einem im Kreditmarkt<br />
bedroht. Eine sii1kende Spameigung (von einem Durchschnitt von 6 % des<br />
personlichen Eii1kommens wahrend der 70er Jahre auf ein Rekordtief von 2,9 % im<br />
Jahr 1985) kollidierte mit einer stark ansteigenden Schuldenabhiingigkeit aller rumerikanischen<br />
Wirtschaftssektoren. Dieser NachfrageuberschuB auf dem Kreditmarkt<br />
wurde durch die Kapitaleinfuhr aus demAusland finanziert, welche aufgrund hoherer<br />
Realzinsen, schnellerem Wachstum und politi scher Stabilitat in der USA bewerkstelligt<br />
werden konnte. Da diese Kapitalbewegungen die Dollar-N achfrage auf den Devisenmarkten<br />
erhOhte, stieg der Dollarkurs (urn 60 % gegentiber anderen starken Wahrungen<br />
zwischen Mitte 1981 undAnfang 1985). Dies wiederum machte Importe in die<br />
USA viel billiger, wahrend US-Exporte sich entsprechend verteuerten. Das US-Handelsdefizitwuchs<br />
von $ 36,2 Mrd. 1980 auf $ 171 Mrd. 1987. Die Nettoexporte in die<br />
USA stimulierten das Wachstum in anderen Landern, wodurch der Wirtschaftsaufschwung<br />
internationalisiert werden konnte.<br />
Dieses Wachstumsmuster hatte widerspriichliche Auswirkungen auf die amerikagische<br />
Wirtschaft: Der hohe Dollar unterdrtickte wegen der niedrigeren Preise auslandischer<br />
Koi1kurrenten und seines deflationaren Effekts auf die Weltmarktpreise fUr<br />
Rohstoffe die Inflation. Billige Importe verschafften den US-Amerikanern starke<br />
Kaufkraftgewinne (trotz stagniel'ender Lohne) und zwangen die vom Welthandel abhiingigen<br />
Industrien del' USA zur Kostensei1kung durch massive Umstrukturierungen.<br />
Auf der anderen Seite<br />
das Handelsdefizit das Wirtschaftswachstum<br />
(von einem Jahresdurchschnitt von ca. 6 % 1983/4 auf weniger als 3 % seitHerbst<br />
1984). Wahrend diese Nachfrageabschwachung ein Uberhitzen der Gesamtwirtschaft<br />
verhindert hat, fUhrte der hohe Dollarkurs zu tiefen Depressionen in Industrien<br />
mit starker internationaler Konkurrenz Landwirtschaft, Energie). Deren Ver<br />
Iuste iibertrugen sich auf ihre Glaubiger, mit def Folge von Bankrotten Hundelter von<br />
Banken und Sparkassen. Der Aufschwung war daher von ungewohnlich starken intersektoralen<br />
Disproportionalitaten, regionalen Ungleichgewichten und akuten Finanzkrisen<br />
gekennzeichnet. Die<br />
Handels- und '-' U'U,",,",Cdefizite<br />
durch Kapitalimporte verwandelte die USA innerhalb weniger Jahre vom<br />
starksten GHiubiger der Welt in den groBten Schuldner. 1m Jahr 1991, so wird geschatzt,<br />
werden die USA dem Rest der Welt $ 1000 Mrd. schulden und daftir jahrlich<br />
tiber $ 100 Mrd. an Zinsen zu zahlen haben.
Der Struktwwandel des amerikanischen 43<br />
Diese naehteiligen<br />
fUhrten 1985 zu wichtigen Korrektursehritten bei<br />
der Defizitbebimpfung. 1m September 1985 besehlossen die sogenannten »G-7«<br />
Lander (USA, England, imPlaza-Abkommen,<br />
den Dollarkurs dureh koordinierte Zentralbankintervention aber sieher<br />
abzusenken. Dies sollte eine allmahliche<br />
des Handelsdefizits<br />
lichen. 1m Dezember 1985 verordnete das<br />
sinkende<br />
Defizitmaxima fUr den Staatshaushalt wenn natig, automatische<br />
gen. Seither haben diese Initiativen beide Defizite je um ca. ein Viertel gesenkt.<br />
den 80er J ahren<br />
Der auf diesem Doppeldefizit beruhende Wirtsehaftsaufschwung der 80er Jahre war<br />
von einer enorrnen Schuldenausdehnung aller Sektoren in den USA begleitet. So<br />
konnte die Stagnationstendenz zumindest vorHtufig im Zaume gehalten werden. Reagans<br />
Fiskalpolitik und die Sozialisierung privater Risiken und Verluste (z.B. durch<br />
Subventionen, Kaufe des affentlichen Sektors und an Investitionen gekntipfte Steuerabschreibungen)<br />
verdoppelten die staatliche Schuld innerhalb von nur 5 Jahren. Wegen<br />
stagnierender oder sogar fallender Reallahne konnten die sozialen Norrnen des<br />
Massenkonsums nur durch Mehrarbeit (d.h. Verlangerung der Arbeitszeit, Zwei-Verdiener-Familien)<br />
und groBere Konsumentenversehuldung aufrecht erhalten werden.<br />
Die Industrieunternehmen borgten mehr, um ihre alten Schulden zu tilgen, Verluste<br />
zu decken, und die oft sehr teure Reorganisierung und Modernisierung vorzunehmen.<br />
Die Finanzinstitutionen benotigten zusatzlichen Kredit sowohl flir die weitere aggressive<br />
Expansion wie auch zur Vermeidung von Zahlungseinstellungen durch die Refinanzierung<br />
alter Schulden.<br />
Tabelle: Wachstum von Bruttosozialprodukt und Kredit (% p.a.)<br />
1960-69 1970-79 1980-85 (Ende 85)<br />
Nominales BSP 6,9 10,1 8,1 3<br />
Kredit<br />
Industriefirrnen 9,4 10,4 1<br />
Konsumenten 8,5 11,4 10,3 3<br />
Finanzinstitutionen 14,9 16,8 15,7 248,9<br />
Bundesstaat 2,0 8,8 15,8 1660,4<br />
Provinzen 7,5 12,5 553,1<br />
Gesamtschulden 7,3 11,1 15,2 8247,5<br />
QueUe: Henry Kaufman (1986)<br />
Diese erhohte Schuldenabhangigkeit sehaffte die Nachfragebasis fUr eine spektakulare<br />
Ausdehnung des Finanzkapitals wahrend der 80er Jahre. Auf def Angebotsseite<br />
wurde dieser Trend durch Strukturveranderungen des Kreditsystems im der
44 Robert Guttmann<br />
Abktihlmechanismus gegen die ~~0v'.H~UH'5<br />
des Kredits. Ohne Kontrollen kann heute die<br />
ge-<br />
»savings certificates«<br />
der Kommerzbanken und Sparkassen, »cash management accounts« der Investitionsbanken).<br />
Wenn die verschiedenen Institutionen ihren ZufluB vergroBem wollen, bieten<br />
sie attraktivere Zinsen ftir diese Konten an. Im Fane einer Erhohung der Zinskosten<br />
auf der Passivseite verteidigen die Banken ihre Profitspannen durch gleichzeitige<br />
ErhOhung ihrer Ausleihzinsen (»spread banking«). AuBerdem haben die meisten<br />
Kredite heute (im Gegensatz zu frtiher) nicht sondem variationsfahige Zinsen,<br />
die je nach den vorherrschenden Bedingungen am Kreditmarkt schwanken. Dadurch<br />
konnen die Banken und andere Glaubiger das Preisrisiko zuktinftiger Zinserhohungen<br />
auf die Schuldner tibertragen.<br />
Diese Strnkturveriinderungen im Kreditsystem haben hohere Realzinsen zur Foige.<br />
In den 80er lahren sie durchschnittlich zwischen 4 % und 6 %, wahrend sie in<br />
den 60er lahren nur zwischen 1,5 % und 2,5 % geschwankt hatten und in den inflationaren<br />
70er Jahren durch die Zinskontrollen und andere Zentralbankeninstrumente<br />
7) waren. des Zinsniveaus war<br />
das Resultat einer Reihe von neuen Faktoren: (a) Die Kombination von starker Kreund<br />
sinkender<br />
schaffte die Marktverhaltnisse fUr hOhere<br />
Selbst<br />
durch die Einfuhr auslan-<br />
Jel(lK[tpIlalS konnte nur durch entsprechend hohe Realzinsen wer-<br />
'-'-"H.,p'VHUJl'..der Federal Reserve muBte daher<br />
Zinssatzdifferential<br />
der USA mit den anderen G-7 -Landern aufrecht urn den auslandischen<br />
U""UlJ15'.'H einen hinreichenden Realgewinn anzubieten. Die Beseitigung der<br />
UQ.H"Cl1,/OH''''''''', dul'ch Konkurrenz auf der Passivseite und<br />
die<br />
auf del' Aktivseite zur<br />
Sicherung der Auf den Finanzmarkten fUr Schuldenobligationen<br />
verJangen die GIaubiger als Kompensation fUr hOhel'e Risiken und wenn<br />
immer sie eine Beschleunigung der Inflation<br />
h6here Nominalzinsen.<br />
Diese strukturell bedingte Zinserhohung hatte widersprtichliche Auswirkungen auf
Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 45<br />
die '-'AvaU~'.VH des<br />
den. Da die Zinssatze in den 80er Jahren relatlv zu den Profitraten hoch waren, war<br />
der Aufkauf und Handel von<br />
oftmals attraktiver als Investitionen in<br />
neue Produktionsmittel. Die so verursachte def Geldfltisse yom Industrie-<br />
'tmmz;kaplt;al erleichterte die Koppelung verschiedener Kredittransak<br />
Geldtransfers. Heute flieBtdas Ueldkapiltai<br />
Hande des el~~entlH;h(':n uvHCHUwelche<br />
einen GroBteil des expanverteilt<br />
die heutzutage h6heren Einkom<br />
dierenden<br />
mt~nsge11V1rme und -verluste tiber ein grCiBeres Volumen finanzieller Transaktionen.<br />
Fiktives '-""""p""" und die Borsenhausse<br />
Die spezifische Expansionsdynamik des Finanzkapitals manifestierte sich am starksten<br />
in der geradezu unglaublichenAusdehnung desfiktivenKapitals seit 1982. Jene<br />
Kapitalform beruht vor aHem auf dem An- und Verkauf von Finanzpapieren, urn von<br />
deren Preisbewegungen zu profitieren. Verschiedene Neuerungen, wie z.B. die Umwandlung<br />
von Krediten in Wertpapiere (»securitization«) oder die Einfiihrung der<br />
»financial futures« (d.h. Terminhandel in Aktien, Staatsobligationen und Wlihrungen),<br />
schaff ten eine Reihe sehr praktischer Instrumente des fiktiven Kapitals und eine<br />
entsprechende Ausdehnung der dafiir erforderlichen Finanzmarkte. 19 Der Handel in<br />
diesen Markten geschieht oft nur mit einem minimalen VorschuB an Eigenkapital,<br />
wodurch die Gewinne vonkorrekt antizipierten Preisbeweungen multipliziert werden<br />
konnen (»leverage factor«). Zum bringt bei einer Kapitaleinlage von 10 %<br />
des eine erwartete (und dann auch Preisanderung von 10%<br />
einen Gewinn von 100 %<br />
den<br />
Verlust des ganzen<br />
dung beruhen,<br />
sie sich oft mit anderen Kreditkanalen zu "-VJlH!-'".,A<br />
OTl,~rtF'n Strukturen von Schulden. In diesen ki::innen sich Verluste und<br />
rungen sehr rasch vervielfachen.<br />
Das fiktive Kapital also<br />
Preisbewegungen von abo Solange die def<br />
kulanten weit ist, heben sich ihre Aktionen gegenseitig auf und bleiben die<br />
Preise auf den Finanzmarkten recht stabil. Wenn aber die Mehrheit der '-'jJ'-'l'ULUQH",U<br />
zur selben<br />
"I:'111LLll,.,. Bis vor kurzem war<br />
zumeist ein ~ r'.'HC'~H U'A.HU)',",~<br />
welches sich<br />
auf die Periode be:,crliellmgtE~r<br />
des Aufschwungs Heute aber ist diese Aktivitat wesentlich be~mlIldIgel<br />
nicht zuletzt in Reaktion auf die wegen der Deregulation von Wechselkursen und<br />
Zinsen viel<br />
auf den Finanzmarkten.
46 Robert Guttmann<br />
Diese Neigung zur permanenten Spekulation war in den 80er Jahren besonders deutlich<br />
an der Barse. Zwischen August 1982 und August 1987 stiegen die Aktienkurse<br />
in den USA im Durchschnitt urn 370 %. war dieser Anstieg vor aHem eine<br />
Korrektur der chronis chen Unterbewertung der Aktien in der Stagflationskrise der<br />
Aufschwungs. Dann zwangen verscharfte il1tematiol1ale Konkurrel1z und bestiindige<br />
UberschuBkapazitiitel1 eine massive Umstrukturierung des Industriekapitals. Jene<br />
nahm vor aHem die Form von Firmenzusarnmenschltissen und -umgruppierungen,<br />
vermittelt durch den an, nicht zuletzt wei! die 80-<br />
wohl eine aktive als auch eine der Anti·Trust Gesetze<br />
zur Kontrolle der Monopolisierung ablehnte. Diese Aufkaufe von Firmen beschleunigten<br />
die Borsenhausse. Einerseits entfernten sie Aktien yom Markt, wodurch sich<br />
das Angebot dieser Wertpapiere dramatisch verkleinerte (urn $ 440 Mrd. zwischen<br />
1984 und 1988). Andererseits wurden die Aktionare in diesen Aufkaufen mit Bargeld<br />
ausgezahlt, welches sie am Aktienmarkt reinvestierten und so die Nachfrage weiter<br />
anheizten.<br />
In diesemProzeB spielten die Investitionsbanken als Firmenberaterund als Financiers<br />
von Aktienaufkaufen eine entscheidende Rolle. 1983 begannen diese Institutionen<br />
(vor aHem Drexel) Aktienkaufe mittels Neuausgabe von junk bonds zu finanzieren.<br />
Diese Schuldenobligationen, die wegen ihres niedrigen Qualitatsgrades entsprechend<br />
hohe Zinsen (d.h. eine zusatzliche Risikopramie von 3-5 %) tragen, wuchsen von $<br />
5 Mrd. 1980 aufiiber $ 150 Mrd. im Jahre 1988. Sogenannte corporate raiders (auf<br />
Unternehmenskaufe spezialisierte Firmen) borgten auf diesem Markt Milliarden, urn<br />
riesige Aktienpakete groBer Industrieunternehmen aufzukaufen. Solche Attacken<br />
endeten zumeist in Riickkaufen der Aktien zu viel haheren Preisen (»green-mail«)<br />
oder mit erfolgreicher Ubernahme. Die »raiders« spalteten dann die aufgekauften<br />
Firmen in verschiedene Teile, die entweder wiederverkauft, abgeschrieben oder umorganisiert<br />
wurden. So konnten sie ihre hohe Schuldenlast bewaltigen. Die Aktiva der<br />
attakkierten Firmen fungierten als Btirgschaft bei der Neuausgabe von »junk bonds«.<br />
Solange hahere Aktienpreise diese Aktiva aufwerteten, war dieser ProzeB quasi<br />
selbstfinanzierend.<br />
Die Dominanz der »raiders« hatte weitreichendeAuswirkungen: Um moglichenAttacken<br />
der »raiders« vorzubeugen, flihrten viele Firmen ihre eigenen Reorganisierungsplane<br />
durch. Diese zielten auf eine rasche Erhohung ihrer Aktienpreise, kostspielige<br />
Verteidigungsmanover (»poison pills«) und Umgruppierung ihrer Aktiva.<br />
Kurzfristige Manipulationen tiberwogen so eine langfristige Planung. Oft versuchten<br />
Firmen den »raiders« zu entgehen, indem sie sich durch hahere Verschuldung und aggressives<br />
Aufkaufen anderer Firmen bewuBt weniger attraktiv machten. Die Investitionsbanken<br />
dehnten den Markt ftir »junk bonds« (und so auch ihre eigenen Profite)<br />
durch verschiedene Praktiken der Marktmanipulation aus. Von entscheidender Bedeutung<br />
war dabei die Herstellung einer Interessenkoalition zwischen »raiders« und<br />
den risk arbitrageurs. Letztere kaufenAktien von Firmen, die maglicherweise schon<br />
bald Ziel eines Aufkaufversuchs sein konnten, urn dann von deren Aufwertung im
Del' Strukturwandel des amerikanischen 47<br />
einer solchen Attacke zu<br />
Bald schon gaben die Investitionsbanken<br />
diesen Information tiber die von den »raiders« (»insider<br />
trading«). Als Entgelt flir diese<br />
ihres Risikos erkliirten sich die» risk<br />
arbitrageurs« bereit, die» junk bonds« der »raiders« zu fixierten Preisen zu kaufen. 1m<br />
Herbst 1986 flog diese verbotene Praxis im Skandal« auf.<br />
Firmenzusammenschliissen und -aufkaufen<br />
als $ 40 Mrd. 1982 auf tiber<br />
$ 240 Mrd. im Jahre anderte die ftir die Aktien. Wahrend<br />
deren Preise normalerweise von langfristigen Profiterwartungen abhangen, wurden<br />
sie in den 80er Jahren immer mehr vom poterltle;Hen pmllO~;ungs'wen<br />
der Firmenaktiva bestimmt. Diese rein<br />
eine der vom Realwert des Inclustri'~kapitals.<br />
1m August 1987 erreichten die Aktienpreise ihren Gipfel (2722 fUr den DOW Jones)<br />
und begannen dann ihren Niedergang. Am 19. Oktober fiel del' DOW Jones urn 508<br />
Punkte (d.h. 22 %). Dieser Borsenkrach war ein klassisches Beispiel ftir das Zerplatzen<br />
einer Spekulationsblase. Ein wachsender Pessimismus als Reaktion auf die steigenden<br />
US-Handelsdefizite und Zinsen war dieser Krise vorangegangen. Die Panik<br />
am 19. Oktober wurde durch automatische Computerprogramme wesentlich verschlimmert,<br />
weil diese (wegen der immer groBeren Preisdifferenz zwischen Aktien<br />
und »stock index futures«) Millionen von Aktien zum Verkauf auf den Markt warfen.<br />
Die Federal Reserve stoppte den Zusammenbruch am nachsten Tag durch Inszenierung<br />
einer massiven und effektiven Rettungsaktion, die aufPreismanipulationen und<br />
Finanzhilfen zur Verlustdeckung abzielte. 20 Bald danach niitzte die Zentralbank die<br />
Gelegenheit, sowohl den Dollarkurs als auch die Zinsen zu senken. Die dadurch bewirkte<br />
Ankurbelung half der Industrie, den Borsenkrach ohne allzu groBen Schaden .<br />
zu iiberstehen.<br />
Die<br />
Wir erleben heute einen Ubergang zu einem neuen monetaren Regime. Dieser ProzeB<br />
begann mit der Deregulierung des Bankwesens zwischen 1980 und 1982. Seine erfolgreiche<br />
Beendigung hangt von zusatzlichen Reformen ab, welche das Kreditsystem<br />
stabiliseren und eine das Wachstum fOrdernde Balance zwischen Industrie- und<br />
llHUlL'''''J!:,,,,:n gewahrleisten konnen. Beziiglich aller vier Dimensionen eines solchen<br />
Regimes stehen die staatlichen Instanzen unter akuten Handlungszwangen, die den<br />
Hintergrund fUr Reforminitiativen bilden.<br />
(1) Management der Finanzkrisen: Seit der GroBen Rezession (1979-82) hat sich das<br />
Krisenmanagement wesentlich ausgedehnt. Wahrend zwischen 1940 und 1982 hOchstens<br />
10 Banken pro Jahr untergingen, muBte die FDIC seither 100 bis 200<br />
Banken retten. Viele Banken mit potentiell hohen Verlusten wegen starker Kreditkonzentration<br />
im Energiesektor, in der Landwirtschaft oder in Entwicklungslandern)<br />
konnten nm durch besondere HilfsmaBnahmen ihren Bankrott vermeiden.<br />
Diese Unterstiitzung betrafvor aHem die Verringerung ihrer erforderlichen Mindestkapitaleinlage<br />
und eine Reihe besonderer Buchhaltungsregeln, mit denen eigentlich
48 Robert Guttmann<br />
und ,,.,,,,,011'1>L11<br />
somit hirlaulsg,ezijgc~rt werden konnten. Noch dramatischer ist die<br />
Situation fUr die :Sp:arkass:en, von denen ein Drittel tiber 1 effektiv insolvent<br />
Untef)2;anlg bedroht sind. Diese werden letztendlich nur durch<br />
Dilemma.<br />
Ohne Zweifel yLUUn's<br />
Bankrottverfahren die auf diese Weise<br />
hinlau:sge:hell1de Finanzkri<br />
entwickeln. Bis-<br />
nte~rvlenl:10l1s]:'ral(t1I(en<br />
Finanzinstitutionen<br />
LV'U"'YU, Sparkassen, und seit Marz 1980 auch die "'LU"J'~'H<br />
zu riskanteren Investitionen. Wenn<br />
Wenn sie aber schief gehen, hilft der Staat. Diese beneidenswerte Position, Gewinne<br />
verbuchen zu durfen und zur selben Zeit Verluste sozialisieren zu aVHH'vU,<br />
fOrdert Verantwortungslosigkeit. Hinzu kommt, daB die immer<br />
und<br />
weitreichendere Verkniipfung von Finanztransaktionen dazu fuhrt, daB ursprunglich<br />
nur lokal begrenzte Insolvenzen und ZahlungsstOrungenjetzt oft wie ein Lauffeuer im<br />
Kreditsystem verbreitet werden. Das hat sich hOchst dramatisch schon in einigen<br />
Fallen gezeigt: etwa beim Zusammenbruch zweier GroBbanken (Seafirst 1983, Continental<br />
Illinois 1984), bei dem die Liquidation einer winzigen Bank (Penn Square<br />
1982) geniigte, oder bei den Riesenschaden flir Banken und Sparkassen infolge des<br />
Bankrotts einer kleinen Maklerfirma (E.M.S. 1985).<br />
Die Behorden haben auf dieses Problem zu reagieren begonnen. Auf der einen Seite<br />
versuchen sie, die<br />
zu verbessern. So wurden zum Beispiel die Informationserfordernisse<br />
und der Banken zwischen 1987 et-<br />
Hche Male wesentlich verscharft. Dnd im Iuli 1988 machte die Federal Reserve das<br />
erforderliche lVH"U'~~ der Banken von dem n.i'''''-'V),;l ihrer Aktiva aUJ!
Der Strukturwandel des amerikanischen 49<br />
Vel"onimmgen. Dabei karn ihnen die ""-V'''jJ'LvP,,, H'H"~U""LJ'UlJlM ZWlund<br />
konkurrierenden<br />
des<br />
~~v5U'UU,VH des Finanzwesens LU"W,HUJ,t','"<br />
a!-,LH"'~Uv '-''''MU"LU~U1J'M der Bankfilialen kann heute massiv umgangen<br />
zuletzt weil sowohl der FDIC auch die Provinzbankkommissionen Zusammenschliisse<br />
zwischen Institutionen verschiedener Einzelstaaten erleichtert haben. Dies<br />
prp"",>n und elektronisch inteaT1,~rtf'n<br />
Bankenkombinationen welche als neue MC)llopOLtOI<br />
H~5"H'~'" der USA dominieren.<br />
der sogenannten<br />
»limited service die aIle Kommerzbankfunktionen Firrnenkredite)<br />
auf nationaler Ebene ausiiben konnen. Mittels dieser LSBs konnten auch andere<br />
Finanzinstitutionen ,und sogar Industriefirmen ins Bankengeschaft eintreten.<br />
Erst 1987 verbot Kongress diese neue Bankenforrn. Andererseits erlaubten Ge<br />
IHL~UaH"'1'cV"ll,U!~"lLl11vll, und die Federal Reserve den KC)mlmerzt)arlken,<br />
in bislang verbotene Bereiche der Investionsbanken und Versicherungen einzudringen.<br />
1m J ahr 1988 hat der Kongress endlich auf diese chaotische Situation reagiert und<br />
Gesetzesvorschlage flir eine langfristige Neuregelung der Bankstruktur zu diskutieren<br />
begonnen. Diese zielen vor aHem auf eine Aufuebung der zwischen<br />
Kommerz- und Investitionsbanken, urn die Konkurrenzfahigkeit del' arnerikanischen<br />
Banken gegen die oft groBeren und besser integrierten Banken anderer Industrielander<br />
zu starken. 21 AuBerdem gibt es derzeit eine spannungsgeladene Diskussion im<br />
Kongress und zwischen zustiindigen Behorden hinsichtlich einer Neuregelung des<br />
Aktienmarktes, urn eine Wiederholung des Borsenkrachs zu verrneiden (oder wenigstens<br />
zu mildem). Erste Schritte in diese Richtung beinhalteten groBere Strafen flir<br />
»insider trading«,<br />
der auf »stock-index futures« basierenden Computerprograrnme<br />
und dieAussetzung des Handels in Situationen groBer Preis schwan-<br />
(3 )Die Engpasse Trotz der der !',vL'l>fJ'-'H<br />
seit 1980 ist die Funktion der Zentralbank in den 80er Iahren viel<br />
geworden.<br />
Ein Grund daflir ist die<br />
del' Zinskontrollen, die frtiher als automatische<br />
Schranke gegen ein Uberhitzen der GeldschOpfung und Kreditgewahrung<br />
im Bankwesen gewirkt hatten. AuBerdem haben massive Transfers zwischen traditionellen<br />
Bankkonten und neuen Kontoforrnen (Giralgeldschopfung in Reaktion auf<br />
Zinsbewegungen) die Beziehung zwischen Bankreserven und Geldmenge viel unbe-<br />
0'~"~'5v' gemacht. Wegen der Explosion von Finanztransaktionen, der Geldzu- und<br />
-abfltisse vom bzw. ins Ausland im Zuge der US-Handelsdefizite und ',,"U'!-,HC-UL'uaH,"<br />
tiberschiisse und des dauernd schwankenden Mix von deflationaren und inflationaren<br />
Erwartungen ist auch die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes viel weniger vorhersagbar.<br />
Aus all diesen Grunden hat die Federal Reserve (seit Oktober 1982) die Rolle der<br />
Geldmenge als Zielvariable der Geldpolitik immer mehr abgebaut. Geldpolitik kon-
50 Robert Guttmann<br />
zentriert sich heute fast ausschlieBlich auf die<br />
der Zinskontrollen eine widerspruchliche<br />
Einerseits ist das<br />
neue Regime der variablen Konten- und Kreditzinsen flexibler und daher bis zu einem<br />
bestimmten Grade selbstregulierend. Zu schnelles Wirtschaftswachstum erweckt inflationare<br />
und flihrt so zu hoheren Zinsen<br />
leichten Bremsung der<br />
Diese breiten sich<br />
ganze Kreditsystem aus und haben daher eine r"Q{'h,~rp<br />
umgekehrt im Fane sinkender Zinsen. Andererseits besteht die daB schon relativ<br />
wegen ihrer beschleunigten Verbreitung und def hohen<br />
"vlJcunnW'5 eine Rezession verursachen konnen.<br />
~'-"U~JV
Der Strukturwandel des amerikanischen 51<br />
Seit dem Louvre Abkommen im Februar 1987 halten die »G-7« Lander ihre Wechselkurse<br />
innerhalb recht breiter und flexibler gehandhabter Zielkorridore. 1m Zuge<br />
dieser Kooperation haben die Federal Reserve, Bundesbank und Bank of Japan schon<br />
mehrere Male ihre Diskontzinsen gleichzeitig gesenkt. Doch die Beseitigung der Ungleichgewichte<br />
in Handel und Kapitalverkehr zwischen diesen Uindem, eine Vorbedingung<br />
flir die Stabilisierung der Wechselkurse, bedarf einer viel starkeren Koordination<br />
vor aHem einer besserenAbstimmung der Fiskalpolitik.<br />
Dies ist eine schwierige Aufgabe, weil die IndustrieHinder ganz klare<br />
flikte hinsichtlich der Aufteilung der Anpassungslasten haben. 1m Mai 1988 0v,uUiSVU<br />
die USA vor, daB »G-7« Lander bei zu starken<br />
von regelmaBig vereinbarten<br />
ZielgroBen flir ihre Wirtschaft entsprechende Korrekturen erwagen. Dieser<br />
Vorschlag ist nicht ohne Heuchelei, weil bislang die Last der Anpassung durch ihre<br />
Sttitzungskaufe von Dollars hauptslichlich auf die Zentralbanken Japans und Westeuropas<br />
gefallen ist. Solange diese Situation andauert, konnen die USA eine schmerzliche<br />
Anpassung durch eine Ausnutzung ihrer Seigniorage vermeiden.<br />
Erst durch eine grundlegende Reform des intemationalen Geldsystems, welche den<br />
Dollar als Weltgeld ersetzt und die Wlihrungskurse stabil halt, kann ein der polyzentrischen<br />
Weltwirtschaft angemessenes Regime entstehen. Ob die dafilr notwendige<br />
Kooperation zwischen den Wirtschaftsmachten vor Ausbruch einer Weltwirtschaftskrise<br />
moglich ist, muB angesichts der Zuspitzung ihrer Rivalitat allerdings bezweifelt<br />
werden.<br />
Anmerkungen<br />
Orthodoxe Wirtschaftstheorien bescmanken sich zumeist auf die passive Sttitzfunktion des Kredits,<br />
was sich am klarsten in deren Annahme einer (ex post) Gleichheit zwischen Sparen und Investitionen<br />
widerspiegelt. Die aktive Konkurrenz zwischen Finanz- und Industriekapital ist daher die Domane<br />
»heterodoxer« Theoretiker: Wie zum Beispiel die Diskussion des »fiktiven Kapitals« bei Karl Marx<br />
(1971, Kapital24 und 29-32) oder die Unterscheidung zwischen »speculation« und »enterprise« von<br />
John Maynard Keynes (1936, 12. Kapitel).<br />
2 Die franzosische Regulationstheorie leistet einen wichtigen Beitrag zum Verstandnis der »Iangen<br />
Wellen« in der kapitalistischen Entwicklungsdynamik. Ihr Konzept des »Akkumulationsregimes«<br />
umfaBt all jene spezifischen Strukturen und Institutionen, welche in einer bestimmten Periode die fijr<br />
die stabile Reproduktion des Kapitals notwendigen Schliisselbalancen (z.B. zwischen Lohn und<br />
Produktivitat, zwischen Zins und Profit) sicherstellen. Wesentliche Publikationen (auf Englisch) von<br />
Vertretern dieser Schule sind Michel Aglietta (1979), Robert Boyer (1979), Alain Lipietz (1985,<br />
] 987) nnd Pascal Petit (1986). (Dentschsprachige Uberblicksliteratur: Mahnkopf 1988, Hiibner 1989<br />
- Anm. der Red.)<br />
3 Monetaristen, wie zum Beispiel Milton Friedman (1956; 1968) oder Harry Johnson (1962), betonen<br />
eine direkte Kausalitat zwischen Geldsumme und Preisniveau. Darans leiten sie dann eine passive<br />
Geldpolitik ab, die sich darauf bescmankt, die Geldmenge langfiistig im Einklang mit dem »natiirlichen«<br />
Wachstumspotential der Volkswirtschaft wachsen zu lassen. Der Keynesianismus, eine neoklassische<br />
Reinterpretation J. M. Keynes (1936), (siehe hier z.B. John Hicks, 1937 oder Alvin Hansen,<br />
1953), betont hingegen eine aktive Geldpolitk, die darauf abzielt, die kurzfristigen Schwingungen des<br />
Wirtschaftszyklus zu mindern.
52 Robert Guttmann<br />
4 Sparkassen, zum Beispiel, wurden in den USA durch bestimmte Regeln und Steuervorteile dazu<br />
gebracht, ihre Sparfonds zumeist in Hypotheken zu investieren. Regulierung verpflichtete sogenannte<br />
»credit unions« und »finance companies«, sich auf Konsumentenkredit zu spezialisieren. Ich kiinnte<br />
hier noch viele andere Beispiele anflihren; denn jede Art von Finanzinstitution hat in den USA ihre<br />
spezifischen Regeln, die Finanzierungsquellen und Investitionsmoglichkeiten bestimmen.<br />
5 Siehe Robert Guttmann (1984) flir eine detaillierte Analyse dieser »Schuldeniikonomie« in der<br />
Nachkriegsperiode.<br />
6 In den 20er J ahren wurde die HiUfte aller Kredite durch Vermittlung verschiedener Finanzinstitutionen<br />
mobilisiert, wiihrend die andere Halfte direkt von Gliiubigern zu Schuldnem floss. Der Anteil<br />
verrnittelter Finanzierung war in den 50er Jahren auf 80 % angewachsen und tiberstieg 90 % in den<br />
60er Jahren.<br />
7 Die Zentralbank bestimmt Zinssatz fiir ihe Diskontkredite und (vor 1980) das Zinsm&'(imum der<br />
Guthaben in Banken und Sparkassen. Sie hat auch direkten EinfluB auf andere Zinsen, wie zum<br />
Beispiel flir ,>Federal fund« (d.h. kurzfristige Kredite zwischen Banken), fUr kommerzielle Bankenkredite<br />
(durch gtitliches Zureden) und flir die staatlichen Obligationen (durch ihre Offenmarktopera-<br />
~~. /<br />
8 Das Warengeld hatte seinen eigenen Wert, der durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit in<br />
der Goldproduktion bestimmt war. Der Wert des Papiergeldes hingegen wird rein extern dureh seine<br />
Kaufkraft bestimmt, d. h. durch die von einer gegebenen Geldeinheit (z.B. ein Dollar) zirkulierten<br />
Wertmenge in der Warenwelt. Reduzierung des Warenwerts ohne entsprechende Preissenkung bedeutet<br />
dann, daB die Geldeinheit weniger Wert reprasentiert und daher an Kautkraft verliert.<br />
9 Die Geldpolitik der Federal Reserve war daher Resultat (und institutionelle Vorbedingung) beschleunigter<br />
Inflation, und nieht, wie die Monetaristen behaupten, deren Ursache. Ihre Hypothese einer<br />
einseitigen Kausalbeziehung von Geldmenge und Inflation basiert auf der absurden Annahme, daB<br />
Geld ohne Wert zirkuliert und Waren ohne Preise in den Marktaustausch eintreten.<br />
10 Ein kritischer Punkt der Uberspannung wurde dann erreicht, wenn die Verschuldungskosten schneller<br />
zu wachsen beginnen als das Einkommen und daher nur durch zusatzliche Schulden gedeckt werden<br />
konnen. Hyman Minsky (1975, 1982) hat diese Situation als >,Ponzi financing« charakterisiert und sie<br />
als den Hauptgrund fiir die UnbesHindigkeit des Kreditsystems identifiziert.<br />
11 In inflationaren Perioden steigen die Nominalzinsen. Altere Obligationen, die ursprtinglieh zu niedrigeren<br />
Zinsen herausgegeben wurden, kiinnen dann nur durch einen niedrigeren Marktpreis mit den<br />
neuen und hiihere Zinsen tragenden Obligationen konkurrieren. Zinserhiihungen flihren auch zu<br />
niedrigeren Aktienpreisen, weil diese die zukiinftigen Profite der Untemehmen herabsetzten, die<br />
Kreditfinanzierung der Aktienkiiufe verteuert, und Schuldenobligationen attraktiver maehte.<br />
12 Eine ausgezeichnete Analyse dieser Finanzkrisen naeh 1966 kann man im Buch von Martin Wolfson<br />
(1986) finden.<br />
13 In Robert Guttmann (1985) habe ieh diesen Zusammenbruch des Bretton Woods Systems wie auch<br />
die strukturellen Sehwaehen des nach 1973 existierenden Systems von f1exiblen Wechselkursen und<br />
verschiedenen inadequaten Weltgeldformen naher untersucht. Diese Publikation beinhaltet auch einen<br />
detaillierten Reformvorschlag flir eine neue intemationale Kreditgeldform.<br />
14 Diese prozyklische Eingrenzung der Geldpolitik zeugt von der Tatsache, daB die Zentralbank die<br />
Geldmenge nicht vo!lstandig kontrollieren kann. Durch die Mittel der Geldpolitik (d.h. Mindestreservebestimmungen,<br />
Offenmarktoperationen und Diskontkredite) kann die Federal Reserve die (UberschuB)Reserven<br />
der Banken bestimmen. Dadurch kontrolliert sie die Fahigkeit der Banken, Kredit zu<br />
gewiihren und so die Geldzirkulation auszudehnen. Die Giralgeldsch6pfung hangt aber aueh von den<br />
Profitmotiven der Banken und ihrer Kunden ab, welche die Zentralbank bestenfalls nur indirekt (tiber<br />
Zinssatzschwankungen) beeinflussen kann. Ohne Naehfrage nach Bankkrediten und Bereitschaft der<br />
Banken, ihre Uberschu13reserven auszuleihen, wird kein neues Geld geschaffen. In der Formulienmg<br />
ihrer Geldpolitik agiert die Zentralbank daher reaktiv auf die Kreditaktivitat im Bankenwesen.<br />
15 Zwischen 1970 und 1981 wuchs die Anzahl der als Trust organisierten Banken von 121 (mit einem<br />
Marktanteil von 16,2 %) auf 3 500, die zusammen <strong>74</strong>,1 % alief Bankkonten kontrollierten. Diese<br />
Trusts genossen einen griiBeren geographischen Spielraum und hatten eine weitere Auswahl an erlaubten<br />
Aktivitaten. Die Mitgliedschaft im Federal Reserve System fiel von 6221 Banken (mit 83 %<br />
alief Bankkonten) 1965 auf 5585 (und 72 %) im Jahre 1978. Die Banken konnten sich der Kontrolle
Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 53<br />
der Zentralbank entziehen, indem sie sich von den einzelnen Bundesstaaten lizenzieren und regulieren<br />
lassen. Letztere hatten im allgemeinen weniger strenge Verordnungen und auch geringere Macht als<br />
die Federal Reserve.<br />
16 Dieser historische Umschwung der Geldpolitik wird von der Mehrheit der Okonomenals Sieg des<br />
Monetarlsmus tiber den Keynesianismus bezeichnet. Obwohl der wachsende EinfluB des Monetarismus<br />
in den 70er Jahren als Reaktion auf die Stagflation unbestritten ist, darf nicht verges sen werden,<br />
daB die Zentralbank diese Richtungsandernng in Reaktion auf eine immer schlimmer werdende Krise<br />
untemahm. Wie William Greider (1988) iiberzeugend zeigt, benutzte die Federal Reserve den Monetarismus<br />
als Feigenblatt, als ideologische Legitimierung ihrer Strategie der Inflationsbekiimpfung<br />
durch hohe Zinsen.<br />
17 Andere Aspekte der »ReaganRevolutioii« waren eine breite Offensive gegen die Gewerkschaften<br />
(z.B.die Massenentlassung streikender Fluglotsen 1981) und die Entlastung der Untemehmen von<br />
vielen Verordnungen zum Schutz der Arbeiter, Konsumenten oder der Umwelt.<br />
18 Diese Begtinstigung des Zinseinkommens kam nur in beschr1inktem AusmaB aus dem Profitanteil des<br />
Industriekapitals. Reagan's Fiskalpolitik und die Umstrukturierungsbemtihungen der Industrie verursachten<br />
niimlich eine gleichzeitige Einkommensumverteilung von Lohnen zu Profiten.<br />
19 Die 1981 eingefiihrten »mortgage-backed securities« (d.h. Umwandlung von Hypotheken in handelsfahige<br />
Obligationen) sindheute ein Marktvon tiber $ 120 Mrd. pro Jahr. Transaktionen in sogenannten<br />
»stock-index futures«, durch die man auf zukiinftige Aktienmarktbewegungen spekulieren kann,<br />
machen heute tiber 40 % des Borseiihandels aus. »Swap«-Geschiifte, in denen Finanzinstitutionen<br />
Wiihrungen oder Schuldenscheine miteinander austauschen, belaufen sich heute in den USA auf mindestens<br />
$ 400 Mrd. pro Jahr. Diese fiktiven Kapitalformen konnten sich nicht zuletzt so rasch ausdehnen,<br />
weil sie auf relativ kleinen Geldtransaktionen beruhen.<br />
20 Eine ausgezeichnete Analyse der verschiedenen Schritte zur Krisenbewiiltigung, die den Kampf<br />
zwischen Panik und Rettungsaktionen chronologisch darstellt, hat Tim Metz (1988) vorgelegt.<br />
21 Fiir Details dieser verschiedenen Gesetzesvorschliige, die alle spezifische Reformstrategien und<br />
Interessenkoalitionen repriisentieren, siehe Robert Guttmann (1987).<br />
Literatur<br />
Aglietta, M. (1979), A Theory of Capitalist Regulation: The US Experience (New Left Books: London).<br />
Boyer, R. (1979), »Wage Formation in Historical Perspective: The French Experience,« Cambridge<br />
Journal of Economics, 3(1), S. S. 98-118.<br />
Friedman, M. (1956), »The Quantity Theory of Money: A Restatement«, in M. Friedman (ed.) Studies in<br />
the Quantity Theory of Money (University of Chicago Press: Chicago).<br />
Friedman, M. (1968), »The Role of Monetary Policy,« American Economic Review, 58(1), S. S. 1-17.<br />
Greider, W. (1988), Secrets of the Temple: How the Federal Reserve Runs the Country (Simon & Schuster:<br />
New York).<br />
Guttmann, R. (1984), »Stagflation and Credit-Money in the USA«, British Review of Economic Issues,<br />
8(15), S. S. 79-119.<br />
Guttmann, R. (1985), Crisis and Reform of the International Monetary System (Thames Papers in Political<br />
Economy: London).<br />
Guttmann, R. (1987), »Changing of the Guard at the Fed«, Challenge, NovemberlDecember, S. 4-9.<br />
Hansen, A. (1953), A Guide To Keynes (McGraw Hill: New York).<br />
Hicks,J. (1937), »Mr. Keynes and the >Classics
54<br />
Lipietz, A. (1985), The Enchanted World: Inflation, Credit and the World Crisis (Verso Books: London).<br />
Lipietz, A. (1987), Mirages and Miracles: The Crises of Global Fordism (Verso Books: London).<br />
Mahnkopf, B. (1988) (Hrsg.): Der gewendete Kapitalismus, Kritische Beitriige zur Theorie der Regulation,<br />
(Westfalisches Damptboot: Miinster)<br />
Marx, K. (1971), Das Kapital, Dritter Band (Dietz Verlag: Berlin, DDR); Erstausgabe (von F. Engels)<br />
in Hamburg 1894.<br />
Metz, T. (1988), Black Monday: The Catastrophe of October 19.1987 ... and Beyond, (William Morrow:<br />
New York).<br />
Minsky, H. (1975), John Maynard Keynes (Columbia University Press: New York).<br />
Minsky, H. (1982), Can >It< Happen Again? (M.E. Sharpe: Wbite Plains, NY).<br />
Petit,P. (1986), SlbwGrowth and the Service Economy (Frances Pinter: London).<br />
Wolfson, M. (1986), Financial Crises: Understanding the Postwar U.S. Experience (M.E. Sharpe:<br />
Armonk, NY).
Remco van Capelleveen<br />
Give me your tired, your poor, and your huddled masses? *<br />
>Dritte WeltDritten Welt< waren weniger gem gesehen. Erst die Reformierung<br />
der Einwanderungsgesetze 1965 fiihrte - ungewollt - zu einer dramatischen<br />
Zunahme der Einwanderer aus der >Dritten Welt Entdeckem< faIschlicherweise<br />
Indianer genannten Ureinwohner Amerikas Einwanderer, die vor etwa 12000 Jahren<br />
tiber die Bering-StraBe yom asiatischen Festland kamen und den gesamten nordamerikanischen<br />
Kontinent besiedelten.<br />
Die U~A als Nation of Immigrants •.•<br />
Aber erst die Jahrhunderte spater stattfindende Besiedlung durch europaische Einwanderer<br />
wird als der eigentliche Beginn der amerikanischen (Einwanderungs-)Geschichte<br />
verstanden. Wahrend der gesamten »kolonialen Periode« war die Zahl der<br />
Einwanderer relativ gering. Zwischen der Grtindung der ersten englischen Siedlung<br />
* Inschrift auf der Freiheitsstatue von New York
56 Remco van Capel/eveen<br />
Jamestown im Jahr 1607 und dem Verfassungskonvent der neuen unabhangigen Republik<br />
in Philadelphia 1787 blieb die Zahl der Siedler, die von Europa nach Nordamerika<br />
kamen, insgesamt unter einer Million. Dennoch zlihlte die neue Nation 1790<br />
schon knapp 3,2 Millionen Einwohner (europaischer Herkunft), deren groBe Mehrheit<br />
Einwanderer der zweiten und dritten Generation, d.h. in der »Neuen Welt«<br />
geboren waren.<br />
Zu den ersten Einwanderem wahrend der Kolonialzeit gehorten auch jene, die in der<br />
Einwanderungshistoriographie in der Regel nicht beriicksichtigt werden und deren<br />
Schicksal ehet verschamt in einem anderen, vermeintlich der Vergangenheit angehorenden<br />
Kapitel der amerikanischen GeschiChte abgehandelt wird: die Menschen und<br />
Volker Afrikas, die von europaischen Handlem und Seefahrem gewaltsam versklavt<br />
und als Arbeitskrafte fiir die kolonialen Plantagenwirtschaften auf den nordamerikanischen<br />
Kontinent und in die Karibik verschleppt wurden. 1619, ein Jahr bevor die<br />
»Pilgervater« an Bord der Mayflower bei Plymouth landeten und mehr als ein Jahrhundert<br />
nachdem die ersten afrikanischen Sklaven nach Hispaniola (dem heutigen<br />
Haiti) in der Karibik gebracht worden waren (1501), verkaufte eine hollandische Fregatte<br />
20 Afrikaner an englische Siedler in Jamestown. In der Folge wurde etwa eine<br />
halbe Million afrikanischer Sklaven auf die Baumwoll-, Tabak-, Zucker-, Reis- und<br />
Hanfplantagen in Britisch-Nordamerika und Franzosisch-Louisiana zwangsverschleppt.<br />
Zwanzig mal so viele, ca. 10 Millionen Afrikaner, kamen insgesamt in die<br />
»Neue Welt«, vor allem auf die Zuckerplantagen in der Karibik und im heutigen<br />
Brasilien. Und ein Mehrfaches der tatsachlich in die Kolonien verfrachteten afrikanischen<br />
Sklaven hat die brutale und qualvolle Atlantikiiberquerung nicht iiberlebt<br />
(Curtin 1969).<br />
Bei der Inauguration der neuen Republik - am 4. Marz 1789 trat die Verfassung in<br />
Kraft und George Washington wurde zurn ersten Prasidenten gewlihlt - waren mehr<br />
als 750000 oder 20 % ihrer Einwohner afrikanischer Herkunft, 4/5 von ihnen in der<br />
»Neuen Welt« geboren. Gleichwohl galten die von den »Griindungsvatem« ausgearbeitete<br />
Verfassung und die in dieser sowie der Unabhangigkeitserklarung und der Bill<br />
of Rights niedergelegten Menschen- und Biirgerrechte nicht fiir die Menschen afrikanischer<br />
Herkunft. Damit die »weiBen Herren«, insbesondere die Plantagenbesitzer<br />
des amerikanischen Siidens, im KongreB aber nicht unterreprasentiert sein wiirden,<br />
wurden Afroamerikaner als »Dreifiinftel Personen« gezlihlt. Ebensowenig konnten<br />
sie, gleichgiiltig ob Sklaven oder >freie< Schwarze (die es auch gab), Staatsbiirger der<br />
USA sein. Auch dies war nur »freien weiBen Personen« vorbehalten (Holt 1980).<br />
Seitdem haben weit iiber 50 Millionen Menschen »freiwillig« ihre Heimat verlassen,<br />
urn voriibergehend oder standig auf dem Gebiet der heutigen USA zu leben.! War die<br />
Einwanderung wlihrend der Kolonialzeit noch vergleichsweise gering, entwickelte<br />
sie sich im zweiten Drittel des 19. J ahrhunderts zu einer wirklichen Massenbewegung.<br />
In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts stieg die Nettoeinwanderung auf<br />
zwei Millionen (pro Dekade) bis sie zwischen 1900 und 1910 auf iiber 6 Millionen<br />
Einwanderer emporschnellte. Allein zwischen 1880 und 1924 kamen 25 Millionen<br />
Menschen in die USA (von denen allerdings viele wieder in ihre Heimat zurUckkehr-
Dritte Weltnur< 19 %<br />
aus Nord- und Westeuropa. Diese »neue« Einwanderung hielt an, bis die Periode der<br />
(fUr Europlier) praktisch uneingeschrlinkten Einwanderung in den 20er Jahren zu<br />
Ende ging. 1m Mai 1921 verabschiedete der KongreB das erste sogenannte Quotengesetz<br />
(Johnson Act), das die jiihrliche Zahl der Einwanderer auf drei Prozent der bei<br />
der Volksziihlung von 1910 bereits in den USA anslissigen Einwohner aus dem jeweiligen<br />
Land begrenzte. Ein weiteres Einwanderungsgesetz von 1924 (Johnson<br />
Reid Act) verschlirfte die Quotenregelung: es setzte eine Gesamtobergrenze von<br />
165000 Einwanderern pro Jahr fest - das waren weniger als ein Funftel der jiihrlichen<br />
Einwanderung vor 1914 -.und begrenzte die Quoten auf zwei Prozent von den bei der<br />
Volkszlihlung von 1890 erfaBten Immigranten aus dem jeweiligen Land. 2 Damit<br />
wurde die Zahl der Einwanderer, die nicht aus Nord- und Westeuropa, sondem vorwiegend<br />
aus Ost- und Sudeuropa stammten, drastisch gesenkt - von durchschnittlich<br />
685500 pro Jahr zwischen 1907 und 1914 (im Vergleich zu 177000 aus Nord- und<br />
Westeuropa)aufjahrlich 158400nach 1921 (Nord-undWesteuropa: 198100)undnur<br />
noch 20900 pro Jahr nach 1924 (Nord- und Westeuropa: 141000).3 Diese Phase restriktiver<br />
Einwanderungspolitik, die im wesentlichen bis in die 60er Jahre angehalten<br />
hat, fUhrte nicht nur zu einem substantiellen Ruckgang der Zahl der Einwanderer<br />
insgesamt sondern signalisierte auch eine eindeutige Prliferenz fUr Immigranten aus<br />
Nord- und Westeuropa.<br />
Die massiven Einwanderungsbewegungen des 19. Jahrhunderts waren sicherlich<br />
»freiwillig« im Vergleich zu der gewaltsamen und physisch-brutalen Verschleppung<br />
afrikanischer Menschen und VOlker. Zugleich waren sie aber nicht primlir Folge der<br />
Attraktivitlit der »Neuen Welt«, sondern eine aus der Not geborene Massenvertreibung,<br />
ein AbstoBen von Surplus-Populationen im Interesse der Umschichtung von<br />
landwirtschaftlicher in industrielle Produktion innerhalb der »atlantischen Okono-
58 Remco van Capelleveen<br />
mie« (Krippendorff 1978). Dies schloB allerdings nicht aus, daB fur zahlreiche Einwanderer<br />
die (tatsachliche oder vermeintliche) Attraktivitiit der»Neuen Welt« bzw.<br />
politische, religiose und kulturelle Grunden im Vordergrund standen.<br />
Andererseits kontrastierte die offene Einwanderungspolitik gegenuber europliischen<br />
Migranten im 19. J ahrhundert rriit dem schon bald nach Abschaffung der Sklaverei<br />
sich neu formierenden Rassismus (nicht nur der >einheimischen< Amerikaner, sondern<br />
auch der europaischen Immigranten). Wlihrend fast 4 Millionen >befreiter< Sklayen<br />
der faktischen Wiederversklavung durch Sharecropping und Tenant Farming im<br />
Suden der USA durch Nord- oder Westwanderung zu entgehen versuchten, organisierte<br />
der KongreB die Einwanderung von (im Vergleieh mit den Afroamerikanern<br />
teureren) Arbeitskraften aus Nord- und Westeuropa fUr die verarbeitende Industrie,<br />
die Eisenbahngesellschaften und andere Unternehmen des sich industrialisierenden<br />
N ordens. Allein zwischen 1865 und 1869 kamen uber eine Million europliischer Immigranten<br />
in die USA. Zwischen 1860 und 1879 nahm die im Ausland geborene Bevo1kerung<br />
in den USA netto urn 1,5 Millionen zu, warnend die Nettomigration von<br />
Afroamerikanern aus dem Suden in den Norden und Westen nur 10000 betrug. Faktisch<br />
waren samtliche Industrien und Handwerkszweige, insbesondere im Norden;<br />
den afroamerikanischen Arbeitern verschlossen. Und wo der bloBe AusschluB von<br />
bezahlter Beschliftigung nicht ausreichte, tat offener und blutiger Terror das seine, urn<br />
die >befreiten< Schwarzen auf den Plantagen des Siidens zu halten (Allen o.J.) .<br />
... aber Immigrant ist nicht gleich Immigrant<br />
Trotz des massiven Ubergewichts der Einwanderer aus Europa sind von Anfang an<br />
aber auch Menschen aus cler sogenannten > Dritten Welt< in die USA eingewandert. 4<br />
Aus Asien kamen seit Mitte des 19. J ahrhunderts zunachst Chinesen an die Westkiiste,<br />
die vor allem als Kontraktarbeiter in den Goldminen und spater beim Eisenbahnbau<br />
arbeiteten. Urn die Jahrhundertwende folgten ihnen Japaner, von denen viele in der<br />
Landwirtschaft beschliftigt wurden. Obwohl die Zahl der Einwanderer aus Asien vergleichsweise<br />
sehr klein war, kamen bis 1930 immerhin knapp 378000 Chinesen<br />
(322000 allein zwischen 1850 und 1882), 277000 Japaner, 9400 Inder und 36000<br />
Migranten aus anderen asiatischenLandern in die usA. Nichtalle dieser Einwanderer<br />
blieben, viele kehrten in ihre Heimat zuruck. Zwischen 1890 und 1920 ging z.B die<br />
chinesische Bevo1kerung in den USA von 107000 auf 43500 zuruck.<br />
Die groBte Gruppe von >Dritte Welt
Dritte WeltDritte WeltDritten We1t< extreme Formen von Rassismus und Xenophobie aus, die sich in<br />
drastischen Verschlirfungen der Einwanderungsbedingungen bis zum totalen Einwanderungsstopp<br />
fiir Asiaten niederschlugen. 1882 wurde nach jahrelanger Feindseligkeit<br />
gegen chinesische Migranten mit Untersttitzung der Gewerkschaften der<br />
Chinese Exclusion Act verabschiedet, der die Einwanderung chinesischer Arbeiter<br />
verbot und die etwa 105000 in den USA lebenden Chinesen von der Moglichkeit zur<br />
Einbtirgerung ausschloB. 1885 und 1888 folgten weitere Gesetze, die die organisierte<br />
Rekrutierung von ungelemten Kontraktarbeitem verboten und ihnen die Deportation<br />
androhten. 1891 wurde die Einfuhr von Kontraktarbeitem weiter eingeschrlinkt und<br />
eine obligatorische lirztliche Untersuchung bei der Einreise vorgeschrieben, die flexibel<br />
als Abweisungsgrund gehandhabt werden konnte. 1902 wurde der Chinese ExclusionActaufunbestimmteZeitverllingert,<br />
und 1907/8 wurde die Einwanderung aus<br />
Japan durch das sogenannte Gentlemen'sAgreement unterbunden. 1917 wurde, neben<br />
der Einfiihrung von Lese- und Schreibtests und einer »Kopfsteuer« von $ 8 fiir prospektive<br />
Immigranten, die Einwanderung aus der sogenannten Asiatic Barred Zone<br />
verboten.? 1m Jahr 1924 verabschiedete der KongreB schlieBlich den Oriental ExclusionAct,<br />
durch den - nach dem Vorbild des Chinese Exclusion Act von 1882 - jegliche<br />
Einwanderung von Asiaten aufgrund ihrer »RassenzugehOrigkeit« verboten wurde.<br />
Obwohl auch die Einschrlinkung der Einwanderung aus der westlichen Hemisphlire<br />
im KongreB diskutiert wurde, kam es zu keinen entsprechenden Restriktionen. Zum<br />
einen wurden insbesondere Mexikaner als billigeArbeitskrlifte in der Landwirtschaft<br />
des Stidwestens gebraucht. Zum anderen konnte die Einwanderung von »unerwtinschten<br />
Elementen« je nach Arbeitskrlifteerfordemissen reglementiert werden.<br />
Wlihrend der GroBen Depression wurde die Einwanderung aus Mexiko entsprechend
60 Remco van Capel/eveen<br />
emgei;chrarlln; zwischen 1929 und 1935 wurden tiber 80000 Mexikaner des Landes<br />
Die Zeiten andem sich ... ein biB chen<br />
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt die restriktive Starrheit und relative<br />
Undurchliissigkeit der amerikanischen Einwanderungspolitik zunehmend Locher,<br />
durch die auch eine wachsende Anzahl von Einwanderern aus der >Dritten Welt<<br />
schltipfen konnte. Es stand einer Nation, die sich gerade angeschickt hatte, die<br />
Menschheit von der Barbarei des Faschismus zu befreien, schlecht an, Menschen<br />
aufgrund ihrer »Rassenzugehorigkeit« die Aufnahem zu verweigern. Erste Schritte<br />
der der Einwanderungsgesetzgebung begann als der vollige<br />
AusschluB chinesischer Migranten aufgehoben und ihnen eine Quote von 105 Personen<br />
pro J ahr sowie Recht auf Einbtirgerung zugestanden wurde. 1946 erhielten<br />
Indien und die aber und ahnliche Quoten 100),<br />
und Einwanderern aus diesen Landern wurde ebenfalls das Recht auf Einbtirgerung<br />
gewahrt. AuBerdem durften Ehegatten und Kinder von us-amerikanischen Soldaten<br />
auBerhalb der Quoten einwandern Brides Act von 1945). Weitere Lockerungen<br />
brachten der Displaced Persons Act von 1948 bzw. 1950, der die Aufnahme von mehr<br />
ills 400000 stid- und osteuropaischen<br />
auBerhalb der Quoten ermoglichteo<br />
Allerdings stand die Aufnahme<br />
aus lllC:nt··eUT01Jalsctlen<br />
Landern nicht zur Debatte.<br />
1952 wurde die Einwanderungsgesetzgebung mit dem McCarran-Walter Act insgesamt<br />
>erneuert
Dritte U;.wm';~~ in die USA 61<br />
lonien der<br />
Lander auf 100 Personen pro J ahr begrenzt 8 Dies zielte einauf<br />
die zunehmende Zahl schwarzer aus def Karibik,<br />
die bisher unter der groBziigigen Quote GroBbritanniens einwandern konnten. Aber<br />
das Gesetz enthielt auch >liberale< Elemente. So wurde das generelle Verbot der Einaus<br />
Asien und kleine Quoten ca. 100 fUr die<br />
Lander des Asian Pacific<br />
Ebenfalls wurde allen Einwanderern das<br />
Recht auf Einbiirgerung<br />
asiatischer Herdie<br />
in Landern der westlichen<br />
und deren Biirger waren,<br />
auf die uberdies schon kleinen<br />
der asiatischen Linder an:ger'eCI1lle~t<br />
In der zweiten Halfte der 50er und in den fruhen 60er J ahren wurde das<br />
durch verschiedene Ausnahmeregelungen weiter unterminiert Unter dem<br />
Act von 1953 kamen weitere 214000 Fliichtlinge in die USA, vorwiegend<br />
. aus der Sowjetunion und anderen Teilen aber auch mehrere tausend aus<br />
Asien und dem Mittleren Osten. In der Folge wurden Fli.ichtliche aus Ungarn, Hol<br />
Hinder aus Indonesien, aber auch Chinesen yom Festland und aus Hongkong<br />
aufgenommen. Diverse Fliichtlingsgesetze zwischen 1945 und 1960 erlaubten die<br />
Einreise von ca. 700000 Menschen auBerhalb der Quotenregelgung, von denen die<br />
tiberwiegende Mehrheit aus Europa kam. Diese Gesetze sowie diverse Erlasse des<br />
amerikanischen Prasidenten zur Aufnahme von politischen Fltichtlingen (parole<br />
power) gewahrten aber auch mehreren tausend Fltichtlingen aus asiatischen Landern<br />
EinlaB in die USA. In den Jahren 1948-1964 kamen insgesamt tiber 30000 Chinesen<br />
und ca. 34000 Filipinos, 1952-1964 tiber 62000 Japaner und 14000 Koreaner in die<br />
USA. Seit 1957 verzeichneten die Einwanderungsbehordenjedes Jahr eine Gesamteinwanderung<br />
aus Asien von tiber 20000 Personen, obwohl die meisten Lander tiber<br />
Quoten von lediglich 100 verfiigten. Die meisten asiatischen Einwanderer in dieser<br />
Zeit (1943-1965) kamen aus Japan, China, den Philippinen und Korea; sie kamen aber<br />
auch aus Indien, Indonesien, Thailand, Pakistan und anderen Landern des Fernen und<br />
Mittleren Ostens. Viele dieser Einwanderer waren hochl=lU
62 Remco van Capel/eveen<br />
massenhaften Einwanderung »illegaler« Migranten aus Mexiko, der sogenannten<br />
mojados. 1m Unterschied zu vielen anderen Einwanderern der unmittelbaren Nachkriegszeit<br />
waren die mexikanischen Migranten in ungelernteArbeitskrafte,<br />
die vor aHem in der Landwirtschaft,<br />
aber auch im Bergbau und<br />
in der verarbeitenden Industrie beschiiftigt wurden.<br />
1m Vergleich mit den Einwanderungsbewegungen aus Mexiko und die<br />
jeweils 11 % bzw. 15 % der Gesamteinwanderung in den zwei Dekaden nach Beendigung<br />
des Zweiten Weltkriegs ausmachten, war die Migration aus der Karibik und<br />
anderen Teilen Lateinamerikas<br />
1945-1964 kamen aus der Karibik<br />
ca. 249000 oder 5 % der gesamten in die der<br />
groBte Teil davon aus Kuba. Aus allen anderen lateinamerikanischen Landern zusammen<br />
kamen im gleichen Zeitraum 413 000 Einwanderer bzw. 9 % der Gesamtmigration.<br />
Wenngleich die Zahl der vor 1965 gekommenen Einwanderer aus der >Dritten Welt<<br />
insgesamt nicht sehr hoch war (Ausnahme: Mexiko), sollten ihnen doch eine bedeutende<br />
Rolle flir die zuktinftigen Wanderungsbewegungen zukommen. Die Einwanderercommunities<br />
in den USA bildeten die Basis flir die nach 1965 kommenden Migranten,<br />
denen sie nicht nur Informationen und materielle Zuwendungen zukommen<br />
lieBen, sondern flir die sie auch als wichtige Verbindung und Anlaufstelle fungierten.<br />
»This lst not a revolutionary bill«:<br />
die Reform del' Einwanderungsgesetzgebung von 1965 ...<br />
Anfang der 60er Jahre kamen 2/3 alIer Einwanderer auBerhalb der Quotenregelung in<br />
die USA, die Halfte davon aus Landern der westlichen Hemisphare. Angesichts eines<br />
>liberaleren< gesellschaftlichen Klimas - die Btirgerrechtsbewegung hatte 1964/65<br />
zur Verabschiedung des ersten wirksamen Civil Rights Act und des Voting Rights Act<br />
zur Beendigung offener rassistischer Diskriminierungen geflihrt - stand eine Reform<br />
der Immigrationsgesetze auf der politischen Tagesordnung. Ais 1964 Lyndon Johnson<br />
die Prasidentschaftswahlen gewonnen und die Demokratische Partei im KongreB<br />
einen deutlichen Sieg errungen hatte, verabschiedete der KongreB 1965 nach jahrelanger<br />
Auseinandersetzung und verhementer Opposition schlieBlich ein neues Einwanderungsgesetz,<br />
das insgesamt jedoch restriktiver war als die schon von der Kennedy-Regierung<br />
gemachten und von Johnson tibemommenen Vorschlage. 10 Das neue<br />
Einwanderungsgesetz (Hart-Cellar Act), das am 1. Juli 1968 in Krafttrat, schaffte die<br />
zwei wichtigsten PfeHer der bisherigen Restriktionspolitik ab - das national origins<br />
system und die besonderen Bestimmungen flir das Asia-Pacific-Triangle - und ersetzte<br />
es zugunsten eines auf Familienbeziehungen und, weniger prominent,<br />
auf Arbeitsmarkterfordernisse ausgerichteten Praferenzsystems. Flir die ostliche<br />
Hemisphare wurde eine jahrliche Obergrenze von insgesamt 170000 und 20000 Personen<br />
pro Land festgelegt. Unmittelbare Familienangehorige (Kinder unter 21 Jahren,<br />
Ehepartner und Eltern) von amerikanischen Staatsblirgem waren ausgenommen.
Dritte Welte-Migration in die USA 63<br />
Der groBte Teil- <strong>74</strong> % - der<br />
wurde ftir sonstige Familienangehorige<br />
von Amerikanem bzw. von Einwanderern mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis<br />
residents) reserviert. Die Praferenzen umfaBten im einzelnen:<br />
1. Praferenz: unverheiratete Kinder iiber 21 Jahre von US-Biirgern (hochstens 20 % aller Einwanderer);<br />
2. Praferenz: Ehepartner und unverheiratete Kinder von Einwanderern (20 % plus unausgeschopftes<br />
Kontingent der 1. Praferenz);<br />
3. Praferenz: hochqualifizierte Fachkriifte wie Wissenschaftler, Kiinstler, Ante, etc. (10 %);<br />
4. Praferenz: verheiratete Kinder iiber 21 Jahre von US-Biirgern (10 %);<br />
5. Praferenz: Geschwister von US-Biirgern (24 % plus unausgeschopfte Kontingente der 1.-3. Priiferenz);'<br />
,<br />
6. Priiferenz: Facharbeiter und un-/angelerente Arbeiter, sofem Knappheit an solchen Arbeitskraften<br />
besteht (10 %);<br />
7. Priiferenz: Fliichtlinge (6 % oder maximal 10200 Personen).12<br />
Zum ersten Mal wurde auch eine Obergrenze fUr die westliche Hemisphare festgesetzt<br />
- 120000 Einwanderer insgesamt pro Jahr. Bis 1976 existierten hier jedoch<br />
weder Praferenzen noch nationale Begrenzungen. 1978 wurde die weltweite Obergrenze<br />
fUr aIle Einwanderer auf290000 Personen festgelegt und ein einheitliches Praferenzsystem<br />
ftir beide Hemispharen eingefiihrt.<br />
Ein erklartes Ziel des neuen Gesetztes war die Abschaffung der Benachteiligung von<br />
Einwanderem aus Siid- und Osteuropa sowie deroffenen Diskriminierung asiatischer<br />
Einwanderer. Zugleich waren sich KongreB und Regierung tiber den gemaBigten<br />
Charakter der Gesetzesreform einig, deren symbolischer Stellenwert zwar hoch<br />
veranschlagt, von der aber auBer der Zunahme von Migranten aus Stid- und Osteuropa<br />
keine radikalen Veranderungen erwartet wurden. Prasident J ohnsons Feststellung bei<br />
der Unterzeichnung des Gesetzes - »this is not a revolutionary bill« - drtickte die<br />
Einschatzung und Erwartungen der meisten Beteiligten aus. Und auch der langjahrige<br />
Verfechter der Gesetzesreform, der KongreBabgeordnete Emanuel Celler, hatte seinen<br />
Kollegen versichert, daB nur »wenige Asiaten oder Afrikaner in dieses Land kommen<br />
'" da die Menschen aus Asien und Afrika sehr wenige Verwandte hier<br />
haben.« Diese Einschatzung wurde auch von der seriO sen Presse geteilt. Dartiber hinaus<br />
setzte das neue Gesetz zum ersten Mal eine Obergrenze flir Einwanderungen aus<br />
der westlichen Hemisphare und zielte damit explizit auf die Einschrankung der zunehmenden<br />
Migrationsstrome aus Landern sudlich der Grenze. Flir die karibischen<br />
Kolonien wurden Quoten von 200 (seit 1976: Personen festgesetzt, die allerdings<br />
durch die politische Unabhangigkeit eines GroBteils der Karibik rasch an Bedeutung<br />
verloren.<br />
'" nnd ihre<br />
Trotz ihres dezidiert gemaBigten Charakters ftihrte die neue Gesetzgebung insgesamt<br />
zu einem gravierenden Anstieg der Immigrationsbewegungen. Obwohl die Einwanderung<br />
aus Europa in den 70er J ahren immer mehr zurtickging, wurden die festgesetzten<br />
Gesamtobergrenzen weit tiberschritten. Die Gesamteinwanderung stieg von 2,5<br />
Millionen in den Jahren 1951-1960 auf 4,5 Millionen in den Jahren 1971-1980 und
64 Remco van Capelleveen<br />
nochmal3,5 Millionen in den J ahren 1981-1986 13 • Dariiber hinaus - und dies geschah<br />
gegen die expliziten Intentionen der »Gesetzesvater« - veranderte sich die nationale<br />
und ethnische Zusammensetzung der Einwanderungspopulationen dramatisch zugunsten<br />
der Einwanderer aus der >Dritten WeltDritten Welt
Dritte WeltDritten Welt< gestellt, und auch hier ist der Trend steigend.<br />
Schatzungen der UNO zufolge gibt es auf der ganzen Welt etwa 12 Millionen »Vertriebene«,<br />
die nach einer neuen Heimat suchen.<br />
Definierte<br />
immer noch als »escapees from<br />
~VHHHUH1C'Hr", wirdmit dem Act von 1980 die UNO-Definition !'.v,'''',"CU'.H<br />
festgeschrieben, derzufolge ist, wer drohender Verfolgung -<br />
»wegen seiner Rasse, Religion, Nationalitat, Mitgliedschaft in einer besonderen sozialen<br />
Gruppe oder seinerpolitischen Meinung« - seine Heimat verlassen muBte bzw.<br />
nicht in sie zurlickkehren kann. Gleichwohl hat sich seitdem die grundsatzlich antikommunistische<br />
Aufnahmepraxis von Fltichtlingen nicht geiindert, wie insbesondere<br />
Fliichtlinge aus Haiti, aber auch aus El Salvador oder Guatemala bitter erfahren<br />
muBten. Die tiberwiegende Mehrheit der unter der Reagan-Regierung aufgenommenenpolitischen<br />
Fltichtlinge kam weiterhin aus Kuba, der Sowjetunion, osteuropaischen<br />
Uindem und aus Indochina, einige wenige aus Afghanistan und (auf Druck des<br />
Black Caucus) aus Athopien, aber praktisch keine aus Haiti, El Salvador oder Guatemala.<br />
Ein weiterer (falsch eingeschatzter) Aspekt der zunehmenden Einwandererzahlen<br />
waren die vonjeglicher Begrenzung ausgenommenen unmittelbaren FamilienangehOrigen<br />
(Kinder unter 21 Jahren, Ehepartner und Eltem) von amerikanischen Staatsblirgem.<br />
Auch dieses Gruppe von Immigranten nahm viel rapider zu als von Experten<br />
angenommen worden war. Kamen 1970 noch weniger als 80000 Einwanderer als<br />
unmittelbare Familienangehorige auBerhalb der numerischen Begrenzung, so waren<br />
es 1980 schon tiber 150000 und 1986 gar 217000 Personen, die tiberwiegende Mehrheit<br />
von ihnen aus Landem der >Dritten Welt
66 Remco van Capelleveen<br />
In gewisser Weise sind aber aIle diese Aspekte vordergrlindig, selbst nur Ausdruck<br />
eiues grundlegenderen Wandels des Verhiiltnisses der USA zur >Dritten WeltDritten Welt< ftihren<br />
wird.<br />
nicht schlicht von sta.gnler,en(len<br />
Kel·un.gs'waCh:stum in der >Dritten Welt< erzeugt Es sind namgraB<br />
ten BevOlkerungszuwachsen, aus<br />
denen die meisten Menschen auswandern. Im Gegenteil, die Wachstumsraten des<br />
Bruttosozialprodukts und der Beschiiftigung in den wichtigsten AuswanderungsHindern<br />
sowohl in Asien als auch in Lateinamerika und der Karibik sind wiihrend der<br />
gesamten 70er Jahre relativ hoch gewesen. Aber fast aIle diese Lander sind tiber<br />
intensive wirtschaftliche Beziehungen eng mit den USA verflochten. Dies verweist<br />
auf die Bedeutung amerikanischer Wirtschaftsaktivitaten flir die massenhaften<br />
Wanderungsbewegungen (Sassen-Koob 1984a; Vuskovic 1980). Insbesondere die<br />
rapide zunehmenden US-Investitionen im Bereich der exportorientierten industriellen<br />
Produktion (export processing zones) scheinen mittlerweile die bisher von der auf<br />
Export ausgerichteten Landwirtschaft wahrgenommene Rolle der Zersetzung der traditionellen<br />
Arbeits- und Lebensstrukturen tibernommen zu haben. Dazu kommen die<br />
Dominanz der amerikanischen Handelsbeziehungen, die Abhangigkeit von Nahrungsmittelimporten,<br />
die Auswirkungen des Tourismus, die politisch-militiirischen<br />
Verflechtungen und nicht zuletzt der EinfluB amerikanischer >Kultur< in Form von<br />
Fernsehen, Radio und Konsumglitern, die die Distanz zu den USA objektiv und subjektiv<br />
verringert haben,17 Solange diese (tiber schnelle und relativ billige Verkehrsverbindungen<br />
zudem intensivierte)<br />
zwischen Zentrum und >Peripherie<<br />
die Teilnahme am »amerikanischen Traum« in den Bereich des Moglichen<br />
rticken werden potentielle jede Anstrengung unternehmen, urn<br />
ins »gelobte Land« zu kommen, selbst wenn dies Verzicht, Diskriminierung und sogar<br />
Ausweisungsgefahr bedeutet.<br />
Die bei der Verabschiedung des Hart-Cellar Act allenthalben gehegte Meinung, daB<br />
dieses kein revolutioniires Gesetz war zwar nicht falsch. Wahl aber wurde iibersehen,<br />
daB die Verhiiltnisse sich geiindert hatten. Die >Peripherie< des internationalen<br />
kapitalistischen Systems liiBt sich nicht passiv yom Zentrum durchdringen<br />
(und ausbeuten). Sie fordert ihren Preis auch dadurch, daB immer groBere Teile der<br />
>peripheren< Populationen ins Zentrum und diese fragen so wenig, ob sie<br />
willkommen wie einst Cortez oder Pizarro auch United<br />
Kellog oder Alcoa) gefragt haben, ob sie willkommen waren.
Dritte Welte-Migration in die USA<br />
67<br />
Die >Dritte Welt< kommt in die Gro8stadte:<br />
»Neueste« Immigranten in New York City<br />
1980 waren tiber 14 Millionen oder 6 % der gesamten Bevolkerung in den USA im<br />
Ausland geboren - 36,5 % von ihnen in Europa und der UdSSR, 18 % in Asien, 9 %<br />
in der Karibik und 22 % in Zentral- und Stidamerika, aber nur 1,4 % in Afrika. 18 In den<br />
GroBstadten war der Anteil der Auslander, insbesondere jener aus der > Dritten Welt
68 Remco van Capelleveen<br />
schwund waren die weiBen New Yorker<br />
Sie nahmen urn<br />
Millionen Personen oder mehr als 26 % ab, wahrend die afroamerikanische Be-<br />
\ I..-LJH"I..,HHvJJ11vH der afrokaribischen urn 168400 oder 11 die<br />
Latinos (einschlieBlich der<br />
urn 12<strong>74</strong>00 oder 10 % und die asiatische<br />
Bevolkerung urn 185000 oder 160 % anstieg. Zahlt man die 860000 Puertorikaner<br />
und die etwa 750000 in New York City lebenden »illegalen«<br />
dann hat<br />
der Anteil der Auslander an der New Yorker Gesamtbevolkerung % betragen<br />
\""'vU,vW'~VIJL 1986: 15). Wahrend die in Europa geborenen New Yorker in der Regel<br />
vor 1960 nach waren, kam die Mehrheit der<br />
aus der Lateinamerika und aus Asien nach 1965. Wie in den USA<br />
insgesamt hat sich auch in New York die der<br />
volkerung<br />
> Dritten Welt< verschoben. New York City ist zunehmend zu<br />
einer karibischen, lateinamerikanischen und asiatischen Stadt geworden.<br />
Innerhalb New York Citys haben sich die verschiedenen Migrantengruppen in besti:mnl1ten<br />
Stadtvierteln konzentriert. Die bekannteste Konzentration asiatischer New<br />
Yorker ist Manhattans Chinatown, das sich aufgrund des starken Zustroms neuer Migranten<br />
in den letzten zwei Jahrzehnten liber seine traditionellen Grenzen hinaus in<br />
das benachbarte Little Italy, die jiidische Lower East Side und die puertorikanische<br />
Loisada ausbreitete. Zugleich ist eine Reihe von neuen asiatischen neighborhoods in<br />
anderen Teilen der Stadt entstanden, z.B. Koreatown an den Randem des Textil-Zentrums<br />
in Midtown Manhatten mit ca. 350 koreanischen GroBhandels- und Importgeschaften,<br />
drei Zweigstellen slidkoreanischer Banken, zahlreichen Restaurants und<br />
aaderen Geschaften. Aber auch die andel'en Boroughs weisen groBere Konzentrationen<br />
von asiatischen Einwanderem auf, insbesondere Queens, wo 57 % der Inder,<br />
60 % del' Koreaner und 45 % der Filipinos wohnen. Abgesehen von Manhattans Chinatown<br />
sind die Asiaten in New York aber weniger konzentriert als z.E. die Migranten<br />
aus der Karibik und Lateinamerika. Darliber hinaus foigen die inter-asiatischen Verteilungen<br />
ehef den<br />
als ethnischen und nationalen<br />
(Waldinger 1987: 5 Von allen »neuesten« Einwanderem sind die afrokaribischen<br />
ULU,UU'HVU, die<br />
die Puel'torikaner<br />
in Spanish del' Lower East Side und ebenfalls in der Siidbronx.<br />
Die Zunahme del' >Dritte Welt
Dritte Welt Dritten Welt< in der<br />
deutlich und sinnlich wahmehmbar<br />
werden.<br />
besonders<br />
ul~!ti(men auf dem New Yorker Arbeitsmarkt<br />
Auf den ersten Blick sind die Be:scll1aftigungslTIoglichkeiten der >Dritte Welt
70 Remco van Capelleveen<br />
zwar, nahm aber 1977-1985 urn 32 % zu York State of Labor).<br />
Zu<br />
kam die Finanzkrise und der mit den pr,,{'hont_<br />
ten finanziellen Ressourcen einhergehende Verfall der Infrastruktur. Gleichwohl<br />
blieb New York City filr die Entwicklung des kapitalistischen Weltmarkts und die<br />
Reorganisation der Okonomie in def weiterhin bedeutsam - rus Reservoir<br />
von physischen und sozialen Infrastrukturen, vergleichbar mit der »industriellen<br />
Reservearmee« potentieller Arbeitskrafte 1981; RosslTrachte 1983).<br />
Wenn die Daten ftir den okonomischen Niedergang New York Citys genauer aufgeschltisselt<br />
sich, daB dieser spezifische Wachstumspotentiale<br />
umfaBte<br />
1983: 191 ff.). Erstens waren nicht aIle Teile der verarbeitenden<br />
Industrie von der in der Bekleidungsindustrie,<br />
der bedeutendsten aller verarbeitenden Industrien in New York City,<br />
waren es nur die groBeren Firmen mit standardisierten Produktionsmethoden, wiihrend<br />
die kleineren Betriebe sowie<br />
und Design-Agenturen in der Stadt<br />
blieben. Dartiber hinaus haben verschiedene Formen der rechtswidrigen Beschaftigung<br />
in sweatshops und in der industriellen Heimarbeit - deutlich zugenommen<br />
(Webb 1982, Mattera 1981). Zweitens gab es deutliche Wachstumsraten in den hochentwickelten<br />
Dienstleistungsindustrien fUr GroBunternehmen (»advanced producer<br />
service«) wie z.B. im Finanz- und Versicherungswesen, in der Wirtschafts-, Rechtsund<br />
Managementberatung, im Bau- und Immobiliengeschaft, im Computer Service<br />
etc. (Mollenkopf 1986). Und drittens haben auch die Dienstleistungen im Konsumbereich<br />
zugenommen yom Gesundheitswesen tiberfastfood-Etablissements bis zu<br />
personlichen (einschlieBlich informellen bzw. Untergrunds~) Dienstleistungen als<br />
StraBenhiindler, >Hausmiidchenunternehmungsperipheren< Populationen<br />
eine wichtige Rolle gespielt. Der anhaltende und wachsende Zustrom von Immigranten<br />
aus der >Dritten Welt< ist selbst eine Bedingung fUr die Expansion der
Dritte WeltKleinstuntemehmer< betatigen. Auch im offentlichen Sektor hat die drastische<br />
L~U.>~LH>5 staatlicher Dienstleistungen zusatzliche (informeHe bzw. verbo-<br />
Besehaftigungsformen wie die rapide Zunahme von »gypsy cabs«<br />
und Kleinbusuntemehmen vor aHem in den Outer als sozusagen<br />
private Subvention der offentliehen Verkehrsmittel, zeigen.<br />
Dartiber hinaus ist New York City trotz aIler Arbeitsplatzverluste immer noch eines<br />
der groBten Zentren der verarbeitenden Industrie geblieben - an dritter Stelle hinter<br />
Chicago und Los Angeles. Zu einem erheblichen Teil basiert diese Industrie auf der<br />
Besehaftigung von niedrig bezahlten Arbeitsmigranten aus Lateinamerika, der Karibik<br />
und Asien. Wahrend weiBe einheimische Arbeiter zunehmend die verarbeitende<br />
Industrie verlassen haben und groBe Teile der sehwarzen us-amerikianisehen BevOlkemng<br />
ganz aus dem ProduktionsprozeB gedrangt worden sind, haben die Immigranten<br />
ihre Uberreprasentanz in der verarbeitenden Industrie und in manuellen Tatigkeiten<br />
behauptet und verstarkt. 1980 waren 28,4 % aller weibliehen Lohnabhangigen und<br />
48,3 % der mannlichen Lohnabhiingigen in New York City in manuellen Tatigkeiten<br />
besehiiftigt. Bei den Migranten insgesamt betrug der Antei155,3 % flir Frauen und<br />
62,6 % fUr Manner, bei den Einwanderern aus Lateinamerika sogar 68 % bzw. 78 %.<br />
Legale und »illegale« Migranten zusammen machten mehr als 40 % aller manuellarbeitenden<br />
Lohnabhangigen in New York aus, wobei die Halfte davon aus<br />
Lateinamerika kam (Marshall 1983: 34).<br />
Dariiber hinaus waren 1980 ca. 35 % aller (legalen) Einwanderer und 48 % aller (legalen)<br />
lateinamerikanischen Immigranten in New York City in der verarbeitenden<br />
Industrie beschaftigt (im Unterschied zu nur 17 % der gesamten erwerbstatigen Bevolkerung);<br />
von den »illegalen« Migranten sogar 41 %,4/5 von Ihnen in der Leichtindustrie.<br />
Diese (Uber-)Konzentration in der verarbeitenden Industrie ist noeh ausgepragter<br />
flir weibliche Migranten, die groBtenteils in der Bekleidungsindustrie und<br />
versehiedenen anderen Verbrauchsgtiterindustrien arbeiten. 1980 waren z.B. 60,2 %<br />
der Frauen aus der Dominikanisehen Republik und 63,5 % der chinesichen Frauen als<br />
(ungelemte) Fabrikarbeiterinnen beschiiftigt. 1m Unterschied dazu hat knapp die<br />
Halfte der Frauen aus del' anglophonen Karibik im Dienstleistungsbereich (allein 32<br />
% als Krankenschwestem(hilfen) und mindestens 9 % als Haus- und Kindenmadehen
72 Remco van Capelleveen<br />
stungsbereich, insbesondere in def Gastronomie, beschiiftigt waren (Marshall 1983:<br />
34, Mollenhauer 1986: 21, New York Department of City Planning 1985: 6).<br />
Die<br />
in denen Migranten typischerweise beschiiftigt sind und die deshalb<br />
»Einwandererindustrien« worden sind (wie z.B. die Bekleidungs-, Textil-,<br />
Kunststoff- und verschiedene andere<br />
sind zum<br />
Teil nur deswegen konkurrenzfahig geblieben, weil sie ihre Produktivitat nicht durch<br />
"-V,'L~Ii-JlC;l1l'>C;) technologische sondem durch den Rekurs auf traditionelle<br />
Methoden der Arbeitsintensivierung (wie sie idealtypisch in sweatshops zu fin-<br />
Das<br />
daB diese Industrien ohne die Prasenz und<br />
L'V.''''''''''''HU1, zu extrem Lahnen<br />
lange Arbeitszeiten in Kauf zu nicht waren.<br />
Aber nicht aIle >Dritte WeltDritten Welt< sich je nach Herkunft,<br />
mitgebrachten Qualifikationen und Arbeitsmarktpositionen unterscheiden, sind sie<br />
insgesamt ein bedeutender Faktor in der jiingsten Restrukturierung der Wirtschaft<br />
New York gewesen. Dartiber hinaus haben sie sehr wesentlich zum Erhalt und<br />
zur Wiederherstellung sozialer Infrastrukturen und zur Senkung der Reproduktionskasten<br />
ihrer Arbeitskraft beigetragen. Zum einen haben die Einwanderercommunities<br />
durch den Einsatz von Arbeitskraft und geringerem MaBe) finanziellen Ressourcen<br />
zur Erhaltung von ganzen Stadtvierteln beigetragen, die ohne den Zustrom<br />
und die Selbsthilfe def »neuesten« Einwanderer verfallen waren. Zum zweiten haben<br />
die >Investitionen< der Migranten Beschaftigungsmaglichkeiten (in Form diverser<br />
wie<br />
Service, etc.)<br />
geschaffen, die oftmals in den Bereich der »Schattenwirtschaft« fallen. Zum dritten<br />
haben die von den Einwanderern<br />
Giiter lind Dienstleistungen entscheidend<br />
zur Senkung der Lebenshaltungskosten beigetragen und es damit groBen<br />
Teilen der >peripheren< Populationen allererst ermoglicht, trotz niedrigster Lahne in
Dritte WeltPeriphere< Kultur in der Metropole: Westinder in New York City<br />
Die"massenhafte Prasenzvon >Dritte Weltperipheren< Population in New York City, der afrokaribischen<br />
oder westindischen community aufzeigen. 20 Uber 70 % aller westindischen Einwanderer<br />
in den USAhaben sich in New York City niedergelassen, mehr als 4/5 von ihnen<br />
wahrend der letzten zwanzig Jahre (New York City Department of City Planning 0.1.,<br />
CAMS 1986). Gegenwartig hat New York City mindestens eine Million afrokaribischer<br />
Einwohner. Damit ist New York City die Stadt mit den meisten karibischen<br />
Einwohnem auf der ganzen Welt, sozusagen metropolitane AuBenstelle des karibischen<br />
Archipels.<br />
Wahrend historisch Where westindische Einwanderer in New York sich vorwiegend<br />
in den afroamerikanischen communities in Harlem und Bedford Stuyvesant niederlieBen<br />
(und in gewisser Weise auch integrierten), sind die neuen westindischen Einwanderer<br />
vorwiegend nach Zentral-Brooklyn, aber auch, in geringerem MaBe, nach<br />
Siidost-Queens und in die nordliche Bronx gezogen und demonstrieren offen ihre<br />
westindische Herkunft. Interessanterweise haben sie sich nicht voneinander, gemliB<br />
ihrer nationalen Herkunft, separiert, wohl aber von den Latinos und schwarzen US<br />
Amerikanern (von den weiBen New Yorkern auch, aber das ist nicht subjektiven Praferenzen,<br />
sondern dem immer noch weit verbreiteten Rassismus geschuldet).<br />
Die massenhafte Prasenz der neuen afrokaribischen Einwanderer hat zu einer spezifischen<br />
»Westindianisierung« New York Citys gefiihrt, die sich in der Infusion karibischer<br />
Lebensformen und -stile in das Sozialgefiige der Stadt zeigt. Die karibischen<br />
neighborhoods bieten den Neuankommlingen nicht nur Schutz und Unterstiitzung<br />
und ein StUck Heimat »fern der Heimat«. Sie haben sich zunehmend zum Zentrum<br />
einer internationalen afrokaribischen Kultur entwickelt. N achbarschaftsinstitutionen<br />
wie Kirchen, Schulen und Kindergarten, aber auch street corners als informelle Orte
<strong>74</strong> Remco van Capelleveen<br />
der Zusammenkunft haben in wachsendem MaBe afrokaribische Ztige angenommen.<br />
Westindische und haitianische Lebensmittelgeschafte, Backereien und Restaurants,<br />
Reisebiiros, barber shops und beauty salons als soziale Treffpunkte, Nachtc1ubs und<br />
Schallplattenladen samt dazugeh6render Calypso-, Soca- und Reggaeklange und vor<br />
allem die Prasenz afrokaribischer Menschen auf den StraBen, inklusive der obligatorischen<br />
Rastas und Dominospieler, haben eine Atmosphlire erzeugt, die weite Teile<br />
Brooklyns auch sinnlich wahrnehmbar zur >Peripherie< in der Metropole werden laBt<br />
(Kasinitz 1987, Marshall 1985).<br />
Die»Westindianisierung« New YorkCitys zeigt sich aber nicht nur in derkommunalen<br />
Alltagskultur. Auch im Bereich der Kunst, des Theaters und des intellektuellen<br />
Lebens hat sich die karibische Prasens bemerkbar gemacht. Institutionen wie das Caribbean<br />
Cultural Center, das Caribbean Research Center am Medgar Evers College<br />
oder die C.U.N.Y. Association of Caribbean Studies und ihre (1985 gegrtindete)<br />
Zeitschrift Cimarron zeugen von der enormen Expansion des ktinstlerischen und wissenschaftlichen<br />
Interesses an der Karibik.<br />
Ein weiterer Indikator fiir die» Westindianisierung« New York Citys ist die Entwicklung<br />
einer westindischen Presse. Die Wochenzeitung New York Carib News und das<br />
Monatsmagazins Everybody's zum Beispiel, die sich explizit als »voice of the Caribbean-American<br />
community« verstehen und sowohl ausfiihrlich tiber Vorgange in der<br />
Karibik als auch tiber Ereignisse und Probleme in New York City berichten, erscheinen<br />
in einer relativ groBen Auflage und werden von vielen Einwanderem gelesen.<br />
Und selbst Zeitungen, die auf die afroamerikanische Bevolkerung insgesamt abzielen,<br />
wie z.B. der Daily Challenge, berichten ebenfaHs an prominenter Stelle tiber die<br />
Karibik und machen kein Geheimnis aus der westindischen Herkunft der Herausgeber.<br />
Dariiber hinaus gibt es mindestens drei Radiostationen, die vor aHem am Wochenende<br />
ausschlieBlich karibische Musik und Informationen senden.<br />
In dem MaBe, wie Einwanderer aus der gesamten englischsprachigen Karibik, aber<br />
auch aus Haiti in denselben neighborhoods leben und taglich Umgang rniteinander<br />
pflegen, verstlirkt die Migrationserfahrung eine kollektive westindische bzw. afrokaribische<br />
Ethnizitat und Kultur, nicht aber den Rekurs auf die jeweilige nationale<br />
. Herkunft. Bevolkerungsgruppen, die vor ihrer Einwanderung nach New York oft<br />
sehr wenig Kontakt untereinander hatten, wurden (und werden) in New York City<br />
raumlich und sozial zusammengebracht und generieren in der Folge eine~spezifisch<br />
afrokaribische Kultur und Identitat. In bestimmter Weise haben erst der WanderungsprozeB<br />
und das konzentrierte Zusarnmenleben in New York City eine umfassende<br />
westindische bzw. afrokaribische Ethnizitatund Kultur erzeugt, ein umfassendes<br />
afrokaribisches BewuBtsein unter den Einwanderem, das die traditioneHen insularen<br />
Begrenzungen tiberwunden hat. Die westindische Forderation mag in der Karibik<br />
gescheitert seil1, in Brooklyn ist sie zunehmend erfolgreich (Lewis 1982).<br />
Die Existenz und Bedeutung einer so1chen intemationalen afrokaribischen Ethnizitat<br />
und Kultur zeigt sich auch und besonders in dem afrokaribischen Ereignis in der<br />
Metropole, dem westindischen Karneval, der jedes Jahr in Brooklyn stattfindet. Der<br />
West Indian American Day Carnival (wie dieser Karneval offiziell heiBt) bringt jedes
Dritte WeltKrawallen< verboten wurde. Weil das Gros der westindischen Einwanderer<br />
seit Mitte der'60er Jahre sich in Brooklyn niedergelassen hatte, verlagerte sich<br />
der westindische Kameval dorthin. Wegen der schlechten Reputation und staatlicher<br />
Repressalien wurde er zuniichst nur inoffiziell in kleinen SeitenstraBen in Form von<br />
Blockparties gefeiert, seit 1969 jedoch mit amtlicher Genehmigung auf dem Eastern<br />
Parkway, wo er trotz zeitweiliger >Krawalle< und Gewaltausbruche sowie verschiedener,<br />
allerdings fehlgeschlagener Versuche, dem Kameval eine groBere »Respektabilitiit«<br />
und »Professionalitiit« durch die Verlegung nach Manhatten zu verleihen,<br />
seitdem verblieben ist und sich zum groBten ethnisch-kulturellen Spektakel Nordamerikas<br />
entwickelt hat.<br />
Obwohl der Brooklyn-Kameval der Form nach immer noch trinidadisch gepriigt ist,<br />
haben die nicht"trinidadischen Elemente im Laufe der Zeit zugenommen; so hort man<br />
neben Calypso und Soca immer hiiufiger Ska und Reggae aus Jamaika, Merengue aus<br />
Haiti oder Spouge aus Barbados. Insgesamt hat der Brooklyn-Kameval sich immer<br />
mehr zu einem pan-westindischen bzw. afrokaribischen Ereignis entwickelt und die<br />
Loyalitiiten zu den jeweiligen Inseln unter der Hand in ein neues Gefiihl westindischer<br />
Solidaritiit transformiert (Hill/Abramson 1979: 83). Damit hat das traditionelle Karnevals-Motto<br />
»All of we is one« tiber die symbolische Verkehrung und Einebnung<br />
sozialer Hie'rarchien und Unterschiede hinaus die Bedeutung der Egalisierung der<br />
nationalen und insularen Herkunft angenommen. Statt Flaggen und Symbole nationaler<br />
Identitiit dominieren Masken und Kostiime, deren egalisierende Formen und Inhalte<br />
sozusagen zum Symbol westindischer Einheit geworden sind (Kasinitz/Freidenberg-Herbstein<br />
1987: 343).<br />
Symbolisiert der Brooklyn-Kameval einerseits in besonderer Weise, die sich zunehmend<br />
herausbildende ethnisch-kollektive Identitiit der afrokaribischen Einwanderercommunity<br />
in New York City, so hat er auch das ambivalente Verhiiltnis der Westinder
76 Remco van Capelleveen<br />
Trotz der vielfachen Beto<br />
der Sklaverei<br />
zur schwarzen us-amerikanischen<br />
nung schwarzer Einheit und der 1S"OJLH"lH,.a"'''H<br />
der Karneval eine Form der kollektiven LU"W.uU,L,<br />
stimmten Tradition New York<br />
ethms:che, eben als westindische definiert<br />
und karibische und nordamerikanische Afroamerikaner auseinanderdividiert. Eine<br />
soIche ist jedoch angesichts der Subsumtion der Westinder unter das rassische<br />
Etikett »schwarz« durch das mainstream<br />
die damit einm:O"),;""'C;HU'C;,<br />
allen Afroamerikanern hvJlHI,.,HW<br />
VL"'vUUWl0'-",b Es ist daher nicht £,U,,minderwertigen<<br />
Status der us-amerikanischen Schwarzen zu vermeiden, indem sie ihre<br />
Unterschiedlichkeit und westindische Herkunft betont haben. Andererseits haben die
Dritte WeltDritten<br />
Welt< in den letzten 20 Jahren wurde - wie schon so oft vorher die Frage nach der<br />
»amerikanischen Identitat« aufgcworfcn, d.h. ob die neuesten Migrationsbewegungcn<br />
die Identitat der amerikanischen Gesellschaft verandem oder gar gefahrden wiirden.<br />
Damit stellt sich aber zunachst die Frage, was denn untcr »amcrikanischer Identitat«<br />
zu verstehcn ist (Gleason 1980).<br />
In der neueren (d.i. N achkriegs-)Literatur zu dieser Frage tauchen zwei Themen immer<br />
wieder auf: Zum einen der wesentlich ideologische Charakter der »amerikanischen<br />
Identitat« - das was die »amerikanische Idee« (Kallen 1956), die »civil religion«<br />
das American of Life (Herb stein 1955) oder das »amerikanische Credo von<br />
Freiheit,<br />
Gerechtigkeit und gleichen Chancen fUr jedermann« (Myrdal<br />
1944) genannt worden ist. Zum anderen die herausragende Bedeutung der Immigradie<br />
These, daB der der Prototyp des Amerikaners deshalb sei, weil er<br />
- wie aIle Amerikaner- sich von der »alten« Gesellschaft losgerissen habe und durch<br />
seine in die »neue« Gesellschaft die »amerikanische Erfah-<br />
.£.Jell,,,'''H •• '' stehen diese beiden Themen - die »Idee Amerika« als ein<br />
5V"'Lvii~'-'H Werten und Wahrheiten und die Realitat<br />
~U'OU,HH,"v,aw~"i'i. Gerade weil die USA eine »nation<br />
ein Land von<br />
Menschen unterschiedlichster und nationaler Herkunft des sen<br />
Grenzen zudem lange Zeit im FluB waren, ist »Amerika« ein vor aHem moralisches<br />
das bestimmte an die seine<br />
sein woHten. »Ein Amerikaner zu sein« bemerkte schon der deutsch-amerikanische<br />
Politikwissenschaftler Carl<br />
ein Franzose zu sein uuiS"i", .... u<br />
aber eben ein das powahrend<br />
ein Auslander niemals ein<br />
>richtiger<<br />
Mischung von universell-moralischer und zu etwas Neuem gei>cnim()lZem~r<br />
schon in Michel-Guillaume Jean de Cn§vecoeurs beriihmten
78 Remco van Capelleveen<br />
"L"'VULV!.lV""H) Letters From an American Farmer an. »Was ist<br />
nun<br />
dieser neue Mann?« fragte Crevecoeur und fuhr fort: »Er ist ein<br />
Amerikaner, der aIle alten Vorurteile und Verhaltensweisen hinter sich laBt und neue<br />
errlpr.anls{ durch die neue<br />
die er angenammen hat ... Er wird ein Ameindem<br />
er in den breiten SchaB unserer graBen Alma Mater uU.L5'dL,""'!JlHI..,H<br />
wird. Hier werden Individuen zu einer neuen Menschenrasse zu:sarnnlerlge:sc.hrrlolzen<br />
...« in Gleason 1980: waren Indianer und Afraamerikaner<br />
nicht Teil dieser »neuen<br />
auBerhalb der »amerikanischen<br />
Identitat«.<br />
Mit der Zunahme der<br />
zur »amerikanischen Identitat« auch flir bestimmte<br />
scher Einwanderer verscharft. Der sich neu fonnierende Nativismus richtete sich vor<br />
aHem gegen katholischen insbesondere die und erreichte seinen<br />
den 50er J ahren des 19. J ahrhunderts jm sogenannten »Know-Nothingism«.<br />
Urn die Jahrhunderwende kam eS zu einem neuen<br />
von Nativismus und<br />
Fremdenfeindlichkeit, diesmal vor aHem gegen die Einwanderer aus Ost- und Stideuropa<br />
Er erreichte seinen in dem Red Scare naeh dem ersten<br />
Weltkrieg und in der restriktiven Einwanderungspolitik der 20er Jahre dieses Jahrhunderts<br />
(Higham 1955). Zugleich war dies die Hochzeit des auf Herbert Spencers<br />
Konzepte der »natlirliehen Auslese« und des »survival of the fittest« und die Mendelsche<br />
Genetik zurtickgehenden >wissensehaftlichen< Rassismus, demzufolge die<br />
Uberlegenheit der »angelsachsischen Rasse« biologisch und physisch-anthropologisch<br />
begrtindet sei.<br />
Andererseits flihrten die massiven Einwanderungsbewegungen zu einer neuen Di8-<br />
kussion urn das Verhaltnis von »Ethnizitat« und »amerikaniseher Identitat«, die zwei<br />
bis heute einfluBreiche Konzepte hervorgebracht hat: Zum einen die schon bei Crevecoeur<br />
angedeutete, aber erst durch Israel Theatersttick The Melting Pot<br />
(1909) benannte und Idee der Fusionierung der verschiedenen Immigrantengruppen<br />
zu einer neuen amerikanischen spezies. Allerdings forderte der melting<br />
pot von den Einwanderern, sich zu verandern, zu »neuen Menschen« zu werden,<br />
kurz: sich zu assimilieren. Und es gab immer noeh jene Kategorie von »Personen«,<br />
die von vornherein als nicht assimilierungsfahig angesehen wurden, neben den Indianern<br />
und Afroamerikanern mittlerweile auch die >farbigen< Einwanderer aus Asien,<br />
der Karibik und Lateinamerika. Zum anderen wurde - gegen die melting pot-These<br />
- eine Interpretation von Ethnizitat und amerikanischer Identitat entwickelt, die unter<br />
der Bezeichnung »kultureller Pluralismus« bekannt wurde (Kallen 1924), allerdings<br />
in ihrer ursprtinglichen Fonn weder die people of color miteinschloB noch als eurozentrische<br />
Idee massenwirksam wurde.<br />
Der zweite Weltkrieg brachte zwei wichtige Veranderungen im Hinblick auf die Diskussion<br />
urn die Frage der »amerikanischen Identitat« hervor.Erstens generierte »das<br />
groBe gemeinsame Erlebnis« des Krieges eine neue Variante des amerikanischen Nationalismus,<br />
der (zum ersten Mal in der Geschichte der USA) alle Amerikaner eura-
Dritte Welt
80 Remco van Capelleveen<br />
Zu den folgenden statistischen Zahlen siehe U.S. Bureau of the Census 1975; Taeuberrraeuber 1958;<br />
Easterlin 1980; B urehe!! 1977.<br />
2 1927 wurde das Gesetz noch einmal revidiert. Die Gesamtzahl def Einwanderer wurde auf 150000<br />
pro Jahr herabgesetzt; und def Umfang jeder Nationalitatengruppe richtete sieh nach dem prozentualen<br />
Anteil der bei der Volkszahlung von 1920 bereits in den USA ansassigen Einwanderem ans dem<br />
jeweiligen Land.<br />
3 Nach 1927 pendelte sie sich beijahrlich 23200 ein, im Vergleich zu 127300 aus Nord- und Wes!<br />
europa.<br />
4 Zuden folgenden statistischen Zahlen siehe auch U.S. Bureau of the Census 1975, Bogue 1985,<br />
Reimers 1985.<br />
5 Die Gebiete der heutigen Bundesstaaten Kalifomien, Nevada, Arizona, Neu Mexico, Texas, die Halfte<br />
ColOl'ados und kleinere Teile von Utah und Oklahoma gehiiIten alle zu Mexiko.<br />
6 Diese Zahlen sind jedoch sehr unzuverlassig, weil bis 1908 die siidliche Grenze der USA kaum kontrolliert<br />
wurde und auch spater viele Migranten zwischen Mexiko und den USA hin undher pendelten.<br />
Dariiber hinaus kamen zahlreiche Mexikaner ohne Einreisepapiere in die USA. Manche Experten<br />
gehen davon aus, daB allein in den 20er Jahren eineinhalb Millionen Mexikaner »illegal« tiber die<br />
Grenze kamen (Cardoso 1980: Kap. 5).<br />
7 Diese Zone umfaBte Indien, Indochina, Afghanistan, Arabien und andere kleinere asiatische Lander,<br />
nieht jedoch China und Japan, deren Migranten durch andere Gesetze restringiert wurden.<br />
8 Als Jamaica und Trinidadrrobago 1962 die politisehe Unabhangigkeit erhielten, blieben die Quoten<br />
von 100 bestehen.<br />
9 Senator McCarran befiirchtete, daB ohne eine solehe Anrechnung ca. 2 Millionen Asiaten zur Einwanderung<br />
in die USA berechtigt sein wiirden.<br />
10 1m Unterschied zum 1965 verabschiedeten Gesetz lehnte die Kennedy-Johnson-Regierung Einwanderungsquoten<br />
in der westlichen Hemisphare abo 1m Hinblick auf Praferenzen in der iistlichen Hemisphare<br />
favorisierte sie berufliche Qualifikationen gegentiber Familienbeziehungen.<br />
11 1976 wurde das Mindestalter der betreffenden US-Staatsbiirger vom KongreB auf 21 Jahre festgesetzt.<br />
12 Fliichtlinge wurden als »conditional entrants« aufgenommen und konnten nach zwei Jahren Einwandererstatus<br />
(permanent residency) beantragen. Als F1iiehtling wurde anerkannt, wer der Verfolgung<br />
in kommunistischen oder Landem des mittleren Ostens zu entgehen suchte.<br />
13 Zu den folgenden statistischen Zahlen siehe U.S.Bureau of the Census 1988, 1982; Bogue 1985.<br />
14 Seriiise Schiitzungen veranschlagen die Zahl »illegaler« Migranten in den USA zwischen 3 und 6<br />
Millionen; die iiberwiegende Mehrheit stammt aus Mexiko, aber auch eine zunehmende Zahl aus der<br />
Karibik und Asien.<br />
15 Als Foige einer gerichtlichen Klage verschiedener humanitarer Organisationen muBte Prasident<br />
Carter schlieBlich doch zahlreichen F1iichtlingen aus Haiti Asyl gewahren. Allerdings hat dies an der<br />
prinzipiellen Einschatzung der Haitianer als »Wirtschaftsfliichtlinge« nichts geandert.<br />
16 Asyl unterscheidet sich rechtlich vom Fliichtlingsstatns und ist sehr viel schwieriger zu erhalten.<br />
17 DaB die Einwanderung aus Afrika relativ gering geblieben ist, hangt damit zusammen, daB die Verflechtungen<br />
zwischen den USA und Afrika bisher noch nieht so eng sind wie die mit Lateinamerika,<br />
der Karibik und Asien.<br />
18 Zu den folgenden statistischen Daten siehe U.S. Bureau of the Census 1986, Bogue 1985, Kraly 1987.<br />
19 Zum folgenden siehe auch van Capelleveen 1985.<br />
20 Die tiberwiegende Mehrheit def karibischen Migranten in New York City kommt aus der englischsprachigen<br />
Karibik, deren Beviilkerung mehrheitlich Nachfahren afrikaniseher Sklaven sind (Ausnahme:<br />
Trinidad und Guyana). Die einzige zahlenmaBig relevante afrokaribisehe Population, die<br />
nicht aus dem anglophonen Teil def Karibik stamm!, sind die Migranten aus Haiti. Insofem benutze<br />
ieh die Begriffe »afrokaribisch« und »westindisch« synonym, Zum folgenden siehe auch van Capelleveen<br />
1989.
Dritte Welt
82<br />
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16. Febr. 1982
83<br />
die Stationen der<br />
del'<br />
Reagan-Administration seit der 80er Jahre. Dabei werden nicht nul' die<br />
dieser Palilik sondern auch ihre lYIywnf}!Julf<br />
Vor knapp 15 Jahren der flir Lateinamerika zustandige Staatssekretar William<br />
D. Rogers seinem Chef im US State Departement, Henry Kissinger, die bilaterale<br />
Finanzhilfe flir die Lander Mittelamerikas ganz einfach liber Nacht zu streichen. An<br />
diesen erinnerte sich der ehemalige Staatssekretar wahrend eines Symposiums<br />
zum aufschluBreichen Thema »Die mittelamerikanische Krise und die westlicheAllianz«.<br />
Rogers gab zu daB er im State Departement sicherlich<br />
weniger als·drei Prozent seiner Arbeitszeit damit zugebracht habe, »liber Zentralamerika<br />
nachzudenken«. Allerdings erwahnte der frtihere Mitarbeiter Kissingers mit<br />
keiner Silbe, wer Anfang der 70er Jahre daflir sargte, daB »unsere Interessen so gut<br />
beschiitzt waren«, urn die 50 Mio. Dollar anjahrlicher Finanzhilfe problemlos streichen<br />
zu konnen (vgl. Ciricione 1985, S. 11). Aber wie sich die Zeiten doch andem:<br />
1m Jahre 1983 saB Rogers zusammen mit seinem friiheren Chef aus dem US-AuBenministerium<br />
in einer von Reagan gebildeten Beratergruppe mit dem offiziellen Titel<br />
»N ational Bipartisan Commission on CentralAmerica«, kurz Kissinger-Kommission<br />
genannt. Diese »tiberparteiliche« Kommission, die im J anuar 1984 ihren Bericht vorlegte,<br />
hatte vor aHem symbolische Bedeutung flir die geographischeAdjustierung gen<br />
Sliden in der amerikanischen AuBenpolitikdebatte. Kissinger hatte sich nie flir die<br />
Nord-Slid Debatte oder die Problematik Lateinamerikas interessiert (von den flinf<br />
kleinen mittelamerikanischen Uindem ganz zu schweigen). Den AuBenminister der<br />
chilenischen Frei-Regierung, Gabriel Valdez, beispielsweise belehrte Kissinger im<br />
Juni 1969 in bekannt arroganter Manier: »Herr Minister, Sie hielten eine merkwlirdige<br />
Rede. Sie kamen hierher, urn tiber Lateinamerika zu sprechen, aber das ist nicht<br />
wichtig. Nichts Wichtiges kommt aus dem Sliden. 1m Sliden ist niemals Geschichte<br />
gemacht worden. Die Achse der Geschichte beginnt in Moskau, geht nach Bonn,<br />
kommt hertiber nach Washington und geht dann nach Tokyo.« (Hersh 1983, S. 263).<br />
Scheinbar wurde im Sliden plOtzlich doch Geschichte gemacht...<br />
Innerhalb weniger Jahre nach der nicht durchgeflihrten Rogers-Empfehlung wurde<br />
die mittelamerikanische Region zum Thema Nummer Eins in Washington. Einige der<br />
»Beschlitzer« amerikanischer Interessen waren offenkundig in eine Sackgasse geraten.<br />
Das galt insbesondere flir die Somoza-Diktatur in Nicaragua, die im Juli 1979 von<br />
der sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) gesttirzt wurde. In El Salvador muBte<br />
von US-amerikanischer Seite ahnliches befiirchtet werden. 50 Jahre lang hatten
84 Horst Heitmann<br />
diverse Militiirregimes dort flir >Ruhe und Ordnung< gesorgt. Anfang der 80er Jahre<br />
war die Oligarchie El Salvadors ernsthaft von einer sozialen Revolution bedroht. Die<br />
_ Kissinger-Kommission gab der Reagan-Administration in ihrem 1 32seitigen Bericht<br />
einen Blankoscheck fiir die Politik gegenuber El Salvador!. Zwar konnte sich die<br />
Kommission nicht auf einen geschlossenen, aber dennoch auf einen gemeinsamen<br />
Standpunkt zu Reagans Contra-Politik verstandigen, aber dennoch war man sich in<br />
der Bewertung des sandinistischen Nicaraguas durchaus einig: Das Land wurde als<br />
Bedrohung fiir die Lander in der Region und somit flir die legitimen Sicherheitsinteressen<br />
der USAdargestellt. Die Mitgliederder Kissinger-Kommissionhatten tlbrigens<br />
nur wenige Stunden in Nicaragua zugebracht, jedoch stimmten sie schnell darin<br />
uberein, daB die Bevolkerung Nicaraguas einer totalitaren Repression ausgesetzt sei<br />
(vgl. The Nation, 28.1.1984). Kurzum; der Begriffvon einem »zweiten Kuba« hatte<br />
in Washington spatestens seit demAmtsantritt der Reagan-Administration die Runde<br />
gemacht.<br />
Die Reagan-Doktrin<br />
Die Sandinistas waren gerade ein knappes Jahr an der Macht, als im Juli 1980 in<br />
Detroit der Wahiparteitag der Republikaner stattfand. Bekanntlich wurde Ronald<br />
Reagan zum Kandidaten flir das Prasidentschaftsamt nominiert und er gewann die<br />
Wahl beinahe erdrutschartig gegen den amtierenden Prasidenten Carter. Ein Mitarbeiter<br />
des erzkonservativen Senators Jesse Helms aus North Carolina sorgte daflir,<br />
daB das offizielle Programm der Republikaner einen Passus zu Nicaragua aufnahm.<br />
Die republikanische Partei gelobte darin ihre Untersrutzung flir die» Bemuhungen des<br />
nicaraguanischen Volkes, eine freie und unabhangige Regierung zu etablieren« (vgl.<br />
Gutman 1988, S. 20). Das GelObnis der Republikaner, die Sandinisten zu stiirzen, war<br />
durchaus ernst zu nehmen. Schon wlihrend der Vorwahlkampagne hatte der Kandidat<br />
Reagan die Carter-Administration wiederholt flir den »Verlust« Nicaraguas verantwortlich<br />
gemacht. Nachdem Reagan im Januar 1981 ins WeiBe Haus eingezogen war,<br />
entpuppte sich Nicaragua sehr schnell als ein Testfall flir die agressive AuBenpolitik<br />
der neuen republikanischen Regierung.<br />
Uber die USA schwappte 1979/80 eine neo-nationalistische Welle, auf der Reagan<br />
erfolgreich ins WeiBe Haus getragen wurde. Die sowjetische Invasion Afghanistans<br />
und das Geiseldrama in der US-Botschaft im Iran hatten eine neue Periode des Kalten<br />
Krieges eingelautet. Reagan war immer ein scharfer Widersacher der amerikanischen<br />
Entspannungspolitik gewesen. Er reprasentierte wie kein anderer Politiker den<br />
rechten hard-liner Flugel innerhalb der republikanischen Partei. U nzlihlige Male hatte<br />
Reagan dem Wahlvolk verkundet, daB seine Administration weltweit eine Politik der<br />
Starke betreiben wiirde. Ein schwaches Amerika und das sogenannte »Vietnam<br />
Syndrom« sollten endlich der Vergangenheit angehoren. Reagans auBenpolitische<br />
»Philosophie« konnte kurz und bundig in zwei Worte zusammengefaBt werden:<br />
Globaler Antikommunismus. Die Strategie der Reagan-Administration umfaBte fol-
Reagans PaUtik gegenuber Nicaragl_w ___________________ B_5<br />
drei wesentliche Elemente: durch ein intensiviertes<br />
programm sollte die absolute militarische Vorherrschaft der USA<br />
werden. Zweitens sollten<br />
Gewinne« der Sowjetunion in der Dritten<br />
Welt<br />
und drittens weitere »VorstOBe« des kommunisti-<br />
LU'-'V"Ji'i','''-'''''AL Besessenheit keinen Unbe'Ne:gurlge:n<br />
in der Dritten Welt<br />
und seine Ideologen gab es keinen<br />
Wandel nicht in den ausgesondern<br />
direkt von Moskau und Havanna<br />
wird. Das Ost -West Feindbild stimmte wieder. Die Crutersche Menschenrechtspolitik<br />
war ohnehin schon geraume Zeit vor Reagans Amtsiibernahme<br />
gerauschlos begraben worden. Reagans erster<br />
der friihere NATO-<br />
Oberbefehlshaber General Haig, kiindigte sofort eine<br />
Prioritatsverlagerung<br />
in Richtung internationaler Terrorismusbekampfung an. Der selbsternannte<br />
»Vikar« Reaganscher AuBenpolitik argumentierte namlich, daB nicht Regierungen,<br />
sondern »Terroristen« die groBten Menschenrechtsverletzer seien (vgl. NACLA<br />
1981, S. 26). Folgt man dieser Logik, dann kann die Unterstiitzung »autoritarer Regime«<br />
(Kirkpatrick 1979) als wichtiger Beitrag im Kampf flir die Verteidigung der<br />
Menschenrechte angesehen werden. Die angeblich von Moskau gelenkten Befreiungsbewegungen,<br />
wie z.B. die Frente Sandinista oder die FMLN in El Salvador, wurden<br />
von der Reagan-Administration selbstverstlindlich mit dem Etikett des Terrorismus<br />
versehen. Die andere Seite der Medaille von Reagans AuBenpolitik gegeniiber<br />
der Dritten Welt bestand in der »rollback« Rhetorik, die man aus der Mottenkiste des<br />
Kalten Krieges hervorgekramt hatte. Das militarische Gerede vom Zuriickdrangen<br />
des sowjetischen EinfluBgebiets wurde jedoch sehr schnell als praktische Politik implementiert.<br />
Die »roll-back« Rhetorik legte den Grundstein flir eineAuBenpolitik, die<br />
inzwischen als Reagan-Doktrin bekannt ist.<br />
Die Reagan-Doktrin hatte eine klare Gestalt angenommen, als die<br />
Publizistik in den USA dies en<br />
setzte. Der Journalist Charles Krauthammer<br />
hat 1985 zum erstenmal in einem Essay in dem N achrichtenmagazin TIME<br />
von einer<br />
gesprochen. Es geht dabei ganz einfach urn die Unterstiitzung<br />
der anlerikanischen Regierung flir antikommunistische GueriHakampfer.<br />
Reagans ehemaliger<br />
William Casey, hat die Doktrin wie folgt<br />
auf den Begriff gebracht: »roll-back by proxy«. Casey wuBte wovon er sprach. Bis zu<br />
seinem Tode im Jahre 1987 war er Direktor der CIA. Der Geheimdienst spielte eine<br />
zentrale Rolle bei der amerikanischen Hilfe flir die von Reagan haufig als »Freiheitskampfer«<br />
bezeichneten die den Umsturz sozialrevolutionarer Regierungen<br />
betrieben. Die<br />
warf in diesem Zusammenhang immer fiinf<br />
Lander del' Dritten Welt in einen Afghanistan, Angola, Athiopien, Kanlpuchea<br />
und natiirlich Nicaragua. Foigte man Casey, so handelte es sich bei dieser Gruppe urn<br />
»besetzte« Lander, die mit Hilfe der USA befl'eit werden mliBten (vgl. Gutmann 1988,<br />
S. 271-273). Der Washington Postlournalist Bob Woodward schrieb in seinem Buch
86 Horst Heitmann<br />
iiber die geheimen<br />
der CIA zur Zeit der L,""a5UH"·"".H"HU~U''''WJH,<br />
Casey aIle antikommunistischen<br />
(Woodward 1987, S. 426). In der amerikanischen<br />
einheitlichen Widerstandes sollte wohl das auBenpolitische Vermachtnis<br />
Administration liegen 2 •<br />
dieses UH!';vV"vH<br />
Die<br />
Fur die der ein<br />
symbolisches Zeichen fiir den der lag dieses<br />
Land doch im »weichen Unterleib Amerikas« (so der Abgeordnete Jack Kemp auf<br />
dem Parteitag der Republikaner 1980 in Detroit). In einem zu Beginn der Reagan<br />
verOffentlichten Artikel stellte die fruhere UNO-Botschafterin J. Kirkpatrick die<br />
rhetorische Frage, was denn die Carter-Regierung in Nicaragua eigentlich gemacht<br />
habe. Ihre Antwort lautete lapidar, »sie sttirzte das Somoza-Regime« (Commentary,<br />
Januar 1981). Unerwahnt blieb in den republikanischen Attacken gegen Carters<br />
»Verlust« von Nicaragua, daB die USA 1979 bis zuletzt versucht hatten, die Machtiiberuahme<br />
der Sandinistas zu verhindern. An erster Stelle stand dabei das vergebliche<br />
Unternehmen, die somozistische Nationalgarde quasi in letzter Minute als Institution<br />
zu retten. N ach der Revolution in Nicaragua war es in derTat der demokratische Prasident<br />
Jimmy Carter, der ihre Destabilisierung in Angriff nahm. 1m Grunde genommen<br />
begann die von den USA organisierte Konterrevolution am 19. Juli 1979, dem Tag des<br />
sandinistischen Triumpfes in Managua. An diesem Tag landete eine amerikanische<br />
DC-8 in der Hauptstadt Nicaraguas, urn Kommandeure der Nationalgarde Somozas<br />
nach Miami auszufliegen. In den darauffolgenden Tagen kamen noch weitere US<br />
Militarmaschinen nach Managua. Die Flugzeuge waren iibrigens als Transporte des<br />
Roten Kreuzes getarnt (vgl. Kornbluh 1987, S. 21). Die USAkiimmerten sich urn die<br />
Restbestande einer Militiirtruppe, die sie fiinfzig Jahre zuvor selbst aufgebaut hatten,<br />
urn die eigenen Marines endlich aus Nicaragua abziehen zu konnen. Die Ex-Nationalgardisten<br />
begannen alsbald damit, Riickkehrpl1ine zu schmieden. Als Reagan im<br />
J anuar 1981 die Amtsgeschafte im WeiBen Haus tibernahm, hatte Carters Regierung<br />
schon 1 Mio. Dollar tiber die CIA nach Nicaragua transferiert, urn die Organisation<br />
von Oppositionsgruppen gegen die revolutionare Regierungsjunta zu finanzieren.<br />
Wenige Tage vor dem Ende seiner Prasidentenschaft suspendierte Carter auch noch<br />
die US-Wirtschaftshilfe an Nicaragua 3 •<br />
Die Reagan-Administration lieB das geheime CIA-Programm von Carter bereits zwei<br />
Monate nach dem Regierungswechsel auf 19,5 Mio. Dollar aufstocken. Reagan unterbreitete<br />
den zustandigen KongreBausschtissen ein sogenanntes »Presidential Finding«<br />
zu den geplanten Aktionen in Nicaragua. Der US-Prasident bekundete darin,<br />
erstens, daB diese Geldmittel »gemaBigteren« Gegnern der Sandinistas zuflieBen soHten.<br />
Zweitens berichtete Reagan an die beiden Geheimdienstausschtisse des Kongresses,<br />
daB die Sandinistas den Waffennachschub fur revolutionare Gruppen in den
Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 87<br />
Nachbarlandem El Honduras und Guatamala betreiben. Reagans »Presidential<br />
forderte deshalb eine Politik zur Abriegelung dieser Waffenlieferungen<br />
(»arms interdiction program«), Kombluh, S. 23). Die Geheimdienstausschusse<br />
von und Senat tagen hinter verschlossenen<br />
Turen. Die amerikanische<br />
Marz 1981 nichts von<br />
dem geheimen<br />
Ausschtissen des<br />
vorgelegt hatte 4 •<br />
Der traditionelle Hinterhof der USA diente der Reagan-Regierung als internationale<br />
Schaublihne flir ihre neue PoUtik der Starke. Deshalb wurde die ~L
88 Horst Heitmann<br />
volutionaren Nicaragua. Der eigentliche Grund dieser Presseerklarung des State<br />
Departements vom 1981 endgiiltige ~tflelCIi1ur!g<br />
der US-Wirtschaftshilfe flir die Sandinistas. Der amerikanische Botschafter in Managua,<br />
Lawrence hatte zwar der Regierungsjunta noch im Januar erkHirt, daB<br />
~u,uU.b'U·U die wieder aufnehmen falls die Sandinistas<br />
ihren Beistand flir die Revolutionare in El Salvador einstellten. Genau das<br />
hatten die Sandinistas offensichtlich getan und daflir wurden sie nun mit dem Verlust<br />
von 75 Mio. Dollar belohnt 5 • Der US-Botschafter in Managua war mit der drastischen<br />
MaBnahme nicht<br />
aberer wurde ohnehin bald von der Keag:m-Ke<br />
rung Das war<br />
back«<br />
Die Contras<br />
Die Schrauben gegen Nicaragua wurden allmahlich fester angezogen. Reagan unterzeichnete<br />
am 23. November 1981 eine Entscheidung seines nationalen Sicherheitsrats<br />
(NSC), die spater als »Directive 17« bekannt wurde. In dieser Entscheidung wurde<br />
die CIA autorisiert, eine 500-Mann starke paramilitarische Truppe aufzubauen, die<br />
offiziell die Waffenlieferungen von Nicaragua nach El Salvador unterbinden sollte ...<br />
In dem erforderlichen Bericht an die Geheimdienstausschtisse, dem »Presidential<br />
Finding«, sprach Reagan von begrenzten Operationen der CIA-Truppe (vgl. Leo<br />
Grande 1987, S. 203). Die KongreB-Ausschtisse belieBen es bei dieser Fiktion. Die<br />
US-Parlamentarier versuchten nicht, die bevorstehende Eskalation gegen Nicaragua<br />
zu ul1terbinden. Offentlich diskutiert wurde die Destabilisierungspolitik ohnehin<br />
nicht. AuBerdem war die Reagan-Administration sowieso schon krliftig dabei, die<br />
somozistischen Nationalgardisten zu reorganisieren. Langst bevor Reagan seinen<br />
zweiten geheimdienstlichen Befund tiber Nicaragua wurden die exilierten<br />
Nationalgardisten in amerikanischen Trainingscamps fit gemacht. In Honduras<br />
bereiteten argentinische Militars die bald als Contras bekannten Verhande auf ihre<br />
terroristischen Aktionen gegen Ziele in Nicaragua vor. Die Offiziere der<br />
schen Militardiktatur bildeten 1981 ca. 1000 Nicaraguaner aus. Die<br />
hatte die CIA tibemommen. Das sogenannte<br />
gentinien, Honduras) funktionierte bis<br />
1982, als sich die<br />
bilateralen Beziehungen zwischen den USA undArgentinien pltitzlich rapide abktihlten.<br />
Zu diesem tibemahm die CIA direkt das del' Contras. Die von<br />
der Reagan-Doktrin anvisierten »Freiheitskampfer« in Nicaragua wurden also von<br />
den USAin die Welt gesetzt. Frtihere Nationalgardisten der Somoza-Diktatur wurden<br />
zusammen mit geflohenen, bzw. entflihrten Bauem in<br />
Banden gesteckt.<br />
Training, Bewaffnung, N achschub \ VL"~'_'H""""'HvH<br />
re und »Soldaten«)<br />
der Terroraktionen waren in den Randen der CIA.<br />
Die Contras waren nichts anderes als eine US-SOldnertruppe. Sie verwandelten das<br />
stidliche Grenzgebiet in Honduras zu einem regelrechten Aufmarschterritorium ge-
Reagans Politik gegenuber Nicaragua 89<br />
gen Nicaragua. Erste »Erfolge« konnten die Contras im Friihjahr 1982 verbuchen:<br />
Mordanschllige gegen Zivilisten, sandinistische Staatsbedienstete sowie gegen einen<br />
kubanischen Berater. 1m Mlirz 1982 wurden zum erstenmal wichtige Briicken in Nicaragua<br />
gesprengt (vgl. Kornbluh, S. 24-25). Der unerkllirte Krieg der USA gegen Nicaragua<br />
hatte nun endgultig begonnen.<br />
Die Diplomatische Front<br />
Wlihrend die· Reagan-Administration den Terror gegen Niearaguaorganisierte, betrieb<br />
das State Departement die diplomatische Konfrontation. Eine VerhandlungslOsung<br />
der Probleme USA-Nicaragua war naturlich im Interesse der Sandinistas.<br />
Nach der erfolglos verlaufenen Endoffensive der FMLN in El Salvador war die sandinistische<br />
Revolution in Nicaragua isolierter denn je zuvor. Eine ganz andere Frage<br />
war es aber, obden USA uberhaupt an einer diplomatischen L6sung gelegen war. 1m<br />
August 1981 fanden in Nicaragua mehrere Treffen zwischen den sandinistischen<br />
Commandantes und dem mit Lateinamerika beauftragten Staatssekretlir Enders statt.<br />
Der US-Staatssekretlir beschuldigte die Sandinistas, die Sicherheit ihrer mittelamerikanischen<br />
N achbarlander zu bedrohen. Enders offerierte Nicaragua das folgende Verhandlungspaket:<br />
Die Sandinistas sollten ihre Unterstutzung flir die Revolutionlire in<br />
El Salvador sofort einstellen und die eigene »Aufriistung« beenden. 1m Gegenzug<br />
wurden die USA ihr Neutralitatsgebot hinsichtlich der versprengten Exil-Nicaraguaner<br />
beachten. Die Hardliner der Reagan-Administration begannen nach Enders Ruckkehr<br />
in die amerikanische Hauptstadt die ohnehin vage Aussicht einer VerhandlungslOsung<br />
zu hintertreiben. Dem Staatssekretlir wurde vorgeworfen, daB er bei seinen<br />
Gesprlichen in Nicaragua die Notwendigkeit einer »Demokratisierung«6 des Landes<br />
nicht ausreichend genug betonthabe (vgl. Gutman, S. 66 f., Goodfellow 1987, S. 145).<br />
Nicaraguas Botschafter Cruz erhielt im September ein erstes Dokument yom State<br />
Departement. Arturo Cruz, der ein paar Jahre spliter zur zivilen Contra-Fiihrung stieB,<br />
verglich den Inhalt des Papiers mit den Bedingungen einer Siegermacht (vgl. Gutman,<br />
S. 71). Das State Departement forderte eine de facto Entwaffnung der sandinistischen<br />
Armee (z.B. sollte Nicaragua sich verpflichten, diverse Waffen, Hubschrauber usw.<br />
nicht zu erwerben). Der Ruckexport von 15 sowjetischen Panzern wurde zu einer<br />
Vorbedingung flir weitere Verhandlungen gemacht. Die bilaterale Diplomatie kam<br />
endgiiltig zum Stillstand, als die Sandinistas ihrerseits forderten, daB die USA die<br />
Trainingslager fiir Exil-Nicaraguaner in den USA aufl6sen miiBten, bevor die Verhandlungen<br />
fortgesetzt werden k6nnen. Diese kurzlebige Episode im Sommer des<br />
Jahres 1981 machte klar, daB es der Reagan-Administration nicht darum ging, einen<br />
modus vivendi mit dem revolutionliren Nicaragua zu finden: eine Isolierung des sandinistischen<br />
Regimes reichte ihr nicht aus.<br />
1m April 1982 fand eine zweite Verhandlungsrunde mit Nicaragua statt, die auf Initiative<br />
Mexikos zustandegekommen war. Die USA forderten nun explizit ein pluralistisches<br />
politisches System, ein gemischtes Wirtschaftssystem undeine paktfreie (!)
90 Horst Heitmann<br />
AuBenpolitik Nicaraguas. Das State Department hatte ein 8-Punkte Papier unterbreitet,<br />
woraufhin Nicaragua sich dialogbereit erkHme und einen Gegenvorschlag nach<br />
Washington schickte. Aber dieser zweite AufguB der Enders-Verhandlungen verlief<br />
schon nach wenigen Wochen im Sande. Den eigentlichen Zweck fUr die diplomatischen<br />
Gespdiche mit den Sandinistas enthiillte ein Papier des nationalen Sicherheitsrates<br />
(NSC), das spater der Presse zugespielt wurde (vgl. NYT, 704.83). In zynischer<br />
Offenheit forderte das NSC-Papier eine aktive diplomatische Kampagne der USA,<br />
urn z.B. Mexiko und westeuropiiische Sozialdemokraten zu beeinflussen. Der NSC<br />
stellte fest, daB die Sandinistas wegen des Terrors der Contras (»our covert efforts«)<br />
unter Druck geraten seien. Dieser Druck auf Nicaragua und. Kuba mtisse verstarkt<br />
werden, urn den Preis ihres »Interventionismus« in der Region nach oben zu schrauben.<br />
Die Reagan-Administration mtisse den Verhandlungsaspekt auch deswegen aufrechterhalten,<br />
urn den US-KongreB beeinflussen zu konnen (vgl. Goodfellow, S. 148).<br />
Die amerikanischen Scheinverhandlungen mit den Sandinistaswaren in erster Linie<br />
an die Adresse des amerikanischen Kongresses gerichtet. Die US-Regierung beftirchtete,daB<br />
der Geldhahn fUr die Contras zugedreht werden konnte.<br />
Nicaragua hatte immer direkte Verhandlungen mit den USA gefordert. 1m Oktober<br />
1983 besuchte AuBenminister d'Escoto Washington und bot eine Reihe von Zugestandnissen<br />
an. Nicaragua war beispielsweise bereit, tiber den Abzug von Militiirberatem<br />
und das Verbot von auslandischen Basen zu verhandeln. Die US-Regierung<br />
lehnte dieses Angebot einfach ab und verwies auf die Contadora -Initiative (vgl. Smith<br />
1987). Scheinbar rechneten die USA nicht damit, daB Nicaragua die Contadora-Empfehlungen<br />
akzeptieren wiirde. Erst als die Reagan-Administration Probleme mit der<br />
Contra-Finanzierung bekam, begab sichAuBenminister Shultz wieder auf das diplomatische<br />
Gleis 7 • Wiihrend eines zweisttindigenAufenthalts auf dem Flughafen von<br />
Managua machte der amerikanische AuBenminister Daniel Ortega am 1. Juni 1984<br />
den Vorschlag, direkte Gesprache aufzunehmen. Diese Verhandlungen begannen im<br />
Juniin Manzanillo (Mexiko), wurden aber im November 1984 von den USA aufgektindigt.<br />
Es war das letzte Mal, daB die Reagan-Administration direkte Verhandlungen<br />
mit den Sandinistas fUhrte. Als Reagan im Friihjahr 1985 yom amerikanischen<br />
KongreB eine Wiederaufnahme der finanziellen Untersttitzung der Contras forderte,<br />
schrieb er einen offiziellen Brief an den Senat.·Er versprach darin, die bilateralen Verhandlungen<br />
mit derRegierung Nicaraguas neu zu beleben. Einige Monate spater forderten<br />
die Contadora-AuBenminister Nicaragua und die USA auf, ihre direkten Gesprache<br />
fortzusetzen. Die Sandinistas stimmten sofort zu, aber Reagan reagierte nicht<br />
auf diese Empfehlung (vgl. Smith, S. 99). Das Contra-Paket war inzwischen verabschiedet.<br />
Die Reagan-Administration forderte seit 1985 von der Regierung Nicaraguas<br />
die Aufnahme direkter Verhandlungen mit den Contras.<br />
Am 1. Mai 1985 verordnete Reagan einen totalen Handelsboykott gegen Nicaragua.<br />
Der Boykott ist seitdemjiihrlich emeuert worden. Die Sandinistas hielten trotzdem an<br />
ihrer Forderung nach Verhandlungen mit den USA fest. Die Nicaraguapolitik der<br />
USA bestand von nun an nur noch in der bedingungslosen Unterstiitzung der Contras.<br />
ImJuli 1985 wurde der Hardliner ElliotAbrams im State Departement zum ftir Latein-
Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 91<br />
amerika zustiindigen Staatssekretar ernannt. Abrams wichtigster Job im amerikanischen<br />
AuBenministerium war das Management der Contra-Politik ..<br />
Organisierter Terror<br />
1m Herbst 1982, einJahrnachdemReagan»Directive 17« unterzeichnethatte, waraus<br />
dem geplanten 500-Mann starken CIA-Team zur Unterbindung der sandinistischen<br />
Waffenhilfe fiir die FMLN eine Kleinarmee von ca. 4000 Klimpfern geworden. Die<br />
im amerikanischen Sold stehenden Contras waren bereits dreimal so groB wie die<br />
CIA-trainierten Exil-Kubaner, die 1961 in der Schweinebucht gelandet wareh.Reagans<br />
Contra-Politik war zum gr6Bten CIA-Unternehmen seit Bestehen des Geheimdienstes<br />
geworden. Die in Honduras operierenden Contras wurden von dem letzten<br />
Militarattache des Somoza-Regimes in Washington, Oberst Enrique Bermudez, kommandiert.<br />
Die Contras in Honduras nannten sich Demokratische Front Nicaraguas<br />
(FDN). Die FDN war im August 1981 auf Initiative der CIA in Guatemala-City<br />
gegriindet worden. Die Griindung der FDN fand zum gleichen Zeitpunkt statt, als sich<br />
Staatssekretar Enders zu Verhandlungen mit den Sandinistas in Managua aufhielt. In<br />
Costa Rica operierte zu Beginn der achtziger Jahre eine andere Contra-Fraktion, die<br />
Revolutionar-Demokratische Allianz (ARDE). Diese Organisation stand nicht unter<br />
der Fiihrung von Ex -Somozisten, sondern wurde von dem ehemaligen Sandinista<br />
Eden Pastora und einem friiheren Mitglied der revolutionaren Regierungsjunta in<br />
Nicaragua, dem Geschaftsmann Alfonso Robelo, geleitet. Die CIA unterstiitzte auch<br />
diesen Ableger der Konterrevolution, urn die sogenannte Siidfront aufzubauen. Presseberichten<br />
zufolge erhielten die ARDE-Contras zeitweilig eine monatliche Hilfe in<br />
H6he von 400000 Dollar (vgl. Armstrong 1987, S. 55). Eden Pastora bot sich als<br />
»saubere« Erglinzung zu den Ex -Somozisten an. Aber Pastora widerstand dem Druck<br />
der CIA, seine Truppe mit der gr6Beren FDN in Honduras zu vereinigen. Er wollte<br />
nicht direkt mit den Ex -Somozisten kooperieren. 1m Mai 1984 wurde auf Pastora ein<br />
Attentat veriibt, bei dem mehrere ausllindische Journalisten getOtet und schwer verletzt<br />
wurden 8 • Ein Jahr spater sorgte die Reagan-Administration dafiir, daB die Contras<br />
eine neue militiirische Fiihrung bekamen. Eine Dachorganisation namens UNO<br />
(Vereinigte Nicaraguanische Opposition) wurde gegriindet. Ihre Spitze bestand aus<br />
dem FDN-Fiihrer A. Calero und zwei ehemaligen Verbiindeten der Sandinistas, A.<br />
Cruz undA. Robelo. Diese Organisation sollte den somozistischen Contras die n6tige<br />
demokratische Legitimation verschaffen. Ais Reagan in einer seiner vielen Propagandareden<br />
zu Gunsten der Konterrevolutionare vor der Presse ausrief, »I'm a contra<br />
too«, standen die frischgebackenen UNO-Fiihrer neben ihrem Arbeitgeber. Calero<br />
stieB ein unvergeBliches »Viva Reagan« aus. Der Contra-Zirkus naherte sich seinem<br />
Washingtoner H6hepunkt.. ... (vgl. Cockburn 1987, S. 249). Wie sich spater herausstellte,<br />
wurden die drei Fiihrungsfiguren damals von einem Beamten des NSC auf die<br />
Gehaltsliste eines Contra-Spendensammlers gesetzt9• Als »Angestellte« der US-Regierung<br />
hatten die drei den Terror der Contras an die Abgeordneten des Kongresses<br />
zu vermarkten. Cruz trat relativ schnell von seinem Posten zuriick. Robelo geh6rt seit
92 Horst Heitmann<br />
mehr als einem Jahr nicht mehr zur Contra-Fiihrung, die zur Zeit aus einem 7-kopfigen<br />
Direktorium besteht.<br />
Die Contras intensivierten Ende 1982/ Anfang 1983 ihren Terror gegen Ziele im Osten<br />
und Innem Nicaraguas. Der Terror wurde zu einem alWiglichen Ereignis. Viele Zivilisten<br />
wurden in Uberfallen und Hinterhalten errnordet. Die angeblichen »Freiheitskiimpfer«<br />
griffen insbesondere kleine Ortschaften, staatlich organisierteAgrarkooperativen<br />
sowie landliche Sozial- und Gesundheitseinrichtungen an. Die Contra-Uberfalle<br />
hinterlieBen groBe okonomische Schaden. Viele Brlicken, Stromgeneratoren<br />
usw.wUJ:den zerstort. Diese Terroraktionen wurdeIl zeitweilig durch selektive CIA<br />
Anschlage in Iames-Bond"Manier erganzt. Zwischen September 1983 und April<br />
1984 wurden mehr als zwanzig Sabotageuntemehmen ausgefiihrt. Zum Beispiel: 1m<br />
September 1983 griffen mehrere Schnellboote nicaruaganische Hafen an und zerstOrten<br />
diverse Anlagen, einschlieBlich einer Ol-Pipeline. 1m Oktober desselben Jahres<br />
attackierten CIA-Kommandos Corinto, den wichtigsten Handelshafen Nicaraguas.<br />
Morser und Granaten zerstorten u.a. fiinf groBe 01- und Benzinlager, wobei 3,4 Mio.<br />
Gallonen in die Luft gejagt wurden. Das Feuer war zwei Tage lang auBer Kontrolle,<br />
so daB 25000 Einwohner evakuiert werden muBten. Neben dem okonomischen<br />
Schaden gab es mehr als hundert Verletzte (vgl. Kombluh, S. 28-30). Reagans Autorisierung<br />
von »Directive 17« schloB ausdrticklich eine direkte Rolle der CIA in Operationen<br />
ein, die besondere Ziele in Nicaragua betrafen (WP, 8.5.1983). Die von CIA<br />
Experten durchgefiihrten Aktionen gingen offiziell auf das Konto der Contras. Die<br />
Contra-Fiihrung iibemahm jeweils offentlich die Verantwortung. Dem amerikanischen<br />
KongreB sollte vorgetauscht werden, daB die Contras eine effektive Streitmacht<br />
seien, die die Sandinistas emsthaft bedrohen konne.<br />
Die Contras waren in dem inzwischen sieben Jahre andauemden Terrorkrieg nie in der<br />
Lage, sogenannte »befreite Zonen« zu errichten. Die Art ihrer Kriegsfiihrung schloB<br />
eipe nennenswerte Unterstiitzung seitens der landlichen Bevoikerung aus. Reagans<br />
»Freiheitskiimpfer« machten nur durch eine endlose Anzahl von scheuBlichen Menschenrechtsverletzungen<br />
auf sich aufmerksam. Selbst der friihere CIA -Direktor Turner<br />
bezeichnete die Contras als staatlich unterstiitzte Terroristen lO • Ein ehemaliger<br />
Mitarbeiter der CIA erlauterte vor dem Intemationalen Gerichtshof in Den Haag das<br />
ursprlingliche Konzept des US-Geheimdienstes: Die CIA-Planer erwarteten, daB die<br />
von Honduras ausgehende Infiltration der Contras die Sandinistas zu Grenzattacken<br />
provozieren wiirde. Damit ware die angebliche Aggressivitiit der nicaraguanischen<br />
Revolutionare gegen ihre N achbarlander demonstriert. Z weitens hoffte man, daB Nicaragua<br />
angesichts des Contra-Terrors biirgerliche Freiheitsrechte einschriinken wiirde.<br />
Diese Strategie sollte die Sandinistas also zu dem machen, was sie in der Rhetorik<br />
der Reagan-Administration schon immer waren: Repressiv im Innem und aggressiv<br />
nach auBen (vgl. Kombluh, S. 23). Als die Regierung Nicaraguas mit den Contras im<br />
Frlihjahr 1988 schlieBlich einen vorlaufigen Waffenstillstand vereinbart hatte, waren<br />
dem Terrorkrieg mehr als 26000 Menschen zum Opfer gefallen. Die Regierung bezifferte<br />
die okonomischen Kriegsschaden auf ca. 3,6 Mrd. Dollar (vgl. NYT, 6.7.88).
Reagans Politik gegenuber Nicaragua 93<br />
»u.s.s. Honduras«<br />
Nicaraguas nordliches N achbarland Honduras wurde nicht allein flir die Contras zum<br />
HUJlH1!b~- und Aufmarschgebiet. Die USA verwandelten Honduras durch enorme<br />
Den von Honduras wurde tiber einen Zeitraum von 35 lahren (1946-<br />
1981) insgesamt ca. 39,5 Mio. Dollar an Militarhilfe von den USA gewahrt. Innerhalb<br />
von nur flinf Jahren (1982-1987) erhielt Honduras eine Gesamtsumme von 346,8<br />
Mio. Dollar Militarhilfc NACLA S. Die US-Prioritaten hatten sich<br />
merklich verschoben und die honduranischen Generale lieBen sich ihre lialst~(elJ'en'o<br />
Ie fUr die Contras flirstlich belohnen. Die USA stationierten in Honduras erstmals ca.<br />
200 Soldaten auf ihrem zentralen U "HLI-'WlHU Der stellvertretende US-<br />
Verteidigungsminister Richard Annitage berichtete einem SenatsausschuB im<br />
1987, daB die »vorUiufige« Stationierung der US-Truppen erst dann beendet werden<br />
wenn die Sandinistas keine Bedrohung mehr flir die »wirklichen Demokratien<br />
in derRegion« sind (vgl. NACLA 1988. S. 20/21).1983 fanddas erste groBangelegte<br />
amerikanische Manover (»Big Pine«) staH, zu dem auch Verteidigungsminister Caspar<br />
Weinberger extra aus Washington angereistkam. Die US-Navy probte vor den Ktisten<br />
Nicaraguas und in Honduras landeten mehrere Tausend Soldaten amerikanischer<br />
Bodentruppen. Diese gemeinsame Ubung von See-, Luft- und Bodentruppen wurde<br />
tiber einen Zeitraum von sechs Monaten gestreckt. Es war die erste Invasionseinschtichterung<br />
Nicaraguas, die parallel zum Contra- und CIA-Terror ablief. Viele gemeinsame<br />
US-honduranische Militartibungen folgten. Diese Manover dienten indirekt<br />
auch immer der Contra-Hilfe, da das US-Militar in der Regel diverse Materialien<br />
in Honduras belieB, die an die Contras weitergeleitet werdenkonnten (vgl. Gold 1987,<br />
S.41).<br />
Velrm:!l1U,ng de. Hafen<br />
~~L"'vI-'Ul'lAL in der US-Contra-Politik war die Verminung der<br />
1984 international wurde. Ein Dutzend Schiffe<br />
wurden zwei nicaruaganische Seeleute und fiinfzehn vp,'lpt'7t<br />
darunter fiinf aus der UdSSR. Nach der<br />
der Hafen rief die sandinistische<br />
Regierung 1984 den Internationalen Gerichtshof in Den an. Die<br />
forderte den Gerichtshof die US-Untersttitzung der Contras und die<br />
l'v
94 Horst Heitmann<br />
ihr Werk darzustellen. Der '-'l"~""Uli':;v Contra-Fiihrer<br />
spater, daB er um 2 Uhr nachts geweckt wurde und eine<br />
im besten<br />
'-'1-',""1,''-''' zu:ge~;{e';K[ bekam. Die Venninung der niearuaganischen Hafen muBte so<br />
schnell wie moglich tiber die Contra-Radiostation in Honduras verkiindet<br />
offensichtlich um<br />
der Sandinistas zuvorzukommen (vgl. New Re-<br />
5.8.1985). Die FDN-Radiostation warnte sogar in daB die<br />
internationale Handelsschiffahrt die venninten Hafen nicht mehr anlaufen sollte.<br />
Scheinbar hegten die amerikanischen Planer dieser Aktion die Hoffnung, daB Nicaerwies<br />
sich als<br />
Fehlkalkulation. Die internationale Handelsschiffahrt lief die Hafen weiterhin an. Der<br />
Plan zur Venninung der Hafen war in yom State der CIA<br />
und dem Nationalen Sicherheitsrat gemeinsam ausgearbeitet worden. Reagan bewilligte<br />
den der ihm von CIA-Chef William Casey vorgelegt wurde. Shultz Stellungnahme<br />
zu der geplanten Minenlegung lautete kurz und biindig: »Fine« (vgl.<br />
Woodward, S. 316-317). Die Verminungsaktion wurde auf internationaler Biihne<br />
scharf kritisiert. Selbst die Thatcher-Regierung bezeichnete die US-Aktion als Bedrohung<br />
fUr die Freiheitder internationalen Seeschiffahrt. Frankreich bot del' nicaraguanischen<br />
Regierung die Entsendung von Minensuchbooten an (allerdings unter<br />
der einschrankenden Voraussetzung, daB sich ein weiteres westeuropaisches Land an<br />
diesem Unternehmen beteiligen wiirde - letzteres geschah nicht). Richard Burt,<br />
damals im State Departement fUr Westeuropa zustandig, solI nach dieser Offerte dem<br />
franzi:isischen Botschafter erklart haben, daB die US-Regierung Wirtschaftshilfe an<br />
die Sandinistas noch tolerieren konne, militarische Unterstlitzung aber nicht. Die<br />
amerikanische Position faBte er so zusammen: »This is our hemisphere« (vgl. Gutman,<br />
S. 201). Das State Department leugnete jedoch anfanglieh jede amerikanische<br />
Beteiligung an der Venninung. Diese Schutzbehauptung wurde nicht einmal von den<br />
konserva.tiven Reagan-Unterstiitzern im US-KongreB als bare Munze an die Offentlichkeit<br />
weitergegeben. Selbst der rechte Republikaner allseits »Mr. Conservative«<br />
bezeichnete die amerikanische Verminungsaktion als Bruch des<br />
VOlkerrechts undkriegerischenAkt, der nieht verteidigt werden konne (vgl. Gutman,<br />
S. 194-203). Senat und Reprasentantenhaus verurteilten die Venninung der Hafen.<br />
Reagans unerkliirter gegen die Sandinistas stieB allmahlich aufWiderstand bei<br />
der politischen Opposition im KongreB sowie in del' amerikanischen Offentlichkeit.<br />
Der<br />
bekommt kalte :Fu6e<br />
Reagans offizielle Begriindung fiir den Beginn des schmutzigen Krieges, die Unterbindung<br />
von Waffentransporten nach El Salvador, war schon immer eine Fiktion gewesen.<br />
Aber als die US-Presse im Jahre 1982 Reportagen uber die wirklichen Aktivitaten<br />
del' Contras veroffentlichte, konnte selbst die Reagan-Administration ihre<br />
eigene Fiktion nicht mehr aufrechterhalten. 1m Herbst 1982 wurde dem KongreB mitgeteilt,<br />
daB die Contras nicht direkt den Waffennachschub in Richtung El Salvador
Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 95<br />
sollten. Es ginge vielmehr Nicaragua fUr die der<br />
Guerillas in El Salvador zu bestrafen. Durch dies en Druck wiirden die Sandinistas<br />
gezwungen, ihre Hilfe fUr die FMLN einzustellen (vgl. LeoGrande, S. 204).<br />
Erst im Frtihjahr 1983, als die amerikanische Presse wiederholt tiber die Intensivierung<br />
des Contra-Krieges und die Rolle der USA berichtete, kam es im KongreB zu ei·<br />
ner deutlichen<br />
gegen diese Politik. Die Abgeordneten Boland und Zablocki<br />
legten einen Gesetzesantrag vor,<br />
sei es direktoder indirekt,<br />
von militiirischen, bzw. paramilitarischen Operationen gegen Nicaragua mit einem<br />
Verbot<br />
1m Juli 1983 wurde diese Initiative<br />
debattiert und erstmals stimmte die Mehrheit des<br />
gegen Reagans<br />
Contra-Politik(vgl.Armstrong, S. 34). Dieses Votum war nur derAuftakt fUr unzahlige<br />
Debatten undAbstimmungen des Kongresses zum Thema Contras und Nicaragua.<br />
Reagan hatte im April 1983 vor beiden Hausem des Kongresses eine Rede zu<br />
seiner Zentralamerikapolitik gehalten. Es war das erste Mal, daB ein amerikanischer<br />
Prasident vor dem KongreB eine auBenpolitische Rede hielt, die ausschlieBlich der<br />
US-Politik vis-a-vis Zentralamerika gewidmet war. Die Rede wurde live von den gra<br />
Ben amerikanischen Femsehanstalten iibertragen. Reagan nannte die Sandinistas eine<br />
diktatorische Junta, die nicht vor der Wut ihrer eigenen BevOlkerung geschtitzt werden<br />
sollte ll . Er versicherte, daB die USA die Sandinistas nicht sttirzen woHten. Es sei<br />
aber im amerikanischen Interesse, daB Nicaragua seine Nachbarn nicht durch den<br />
Export von Subversion und Gewaltansteckt (vgl. Gutman, S. 131). Der Werbefeldzug<br />
zum Verkauf der Contras als »Freiheitskiimpfer« an die amerikanischen Femsehkonsumenten<br />
hatte spatestens mit dieser Rede begannen. Nach der ersten MiBbilligung<br />
.der Contra-PoUtik im KongreB versuchte die Reagan-Administration, einen tiberparteilichen<br />
Konsens zu schmieden, um nicht die Initiative zu verlieren. In diesem Zusammenhang<br />
ist auch die Etablierung der Kissinger-Kommission zu sehen.<br />
Die Verminung der nicaraguanischen Hafen ftihrte zum vorlaufigen Ende der Besoldung<br />
der Contras durch den amerikanischen KongreB. Kurz bevor der Skandal aufflog,<br />
forderte die Administration in einem Nachtragshaushalt noch weitere 21 Mia.<br />
Dollar flir die Contras. Dies wurde yom KongreB wenig spater abgelehnt. Dariiber<br />
hinaus erlangte das zweite »Boland-Amendment« Gesetzeskraft, nachdem auch der<br />
Senat diesen Antrag nach der Minenaffare verabschiedet hatte. Der US-Regierung<br />
war es damit vorerst gesetzlich untersagt, Unterstiitzung flir militarische oder paramilitarische<br />
Operationen gegen Nicaragua zu gewahren. Die Administration muBte<br />
sich also nach alternativen Financiers fUr ihre Contra-Politik umsehen.<br />
Die I:ran-Cont:ra Affare<br />
Der amerikanische J ustizminister Meese gab am 25 . November 1986 auf einer kurzfristig<br />
einberufenen Pressekonferenz bekannt, daB ein Teil der Ertrage aus den geheimen<br />
Waffenverkaufen an den Iran zu den nicaruaganischen Contras geflossen war.<br />
Jahrelang hatte die Reagan-Administration den Iran, neben Libyen, als verabscheu-
96 Horst Heitmann<br />
ungswtirdigen Terroristenstaat verdammt. Gleichwohl hatten Beamte des NSC, unter<br />
Vermittlung der Israelis, geheime Kontakte zu den Iranern aufgenommen. Kurzum,<br />
die USA lieferten den Iranern mehrere TOW und Hawk Raketen, urn im<br />
Gegenzug US-Geiseln aus Beirut freizubekommen. Reagan hatte das politische Geschaft<br />
mit dem Iran hochstpersonlich genehmigt. Dieser Waffen-filr-Geiseln Deal<br />
(mit dem Decknamen »The Enterprise«) wurde allerdings nicht von den regularen<br />
US-Regierungsbehorden abgewickelt, sondern von privaten Waffenhandlern und<br />
Geschaftsleuten, die langjahrige Geheimdienstverbindungen hatten. Es handelte sich<br />
urn Geflechtvon Briefkastenfirmensowie zahlreichen<br />
SchweizerundOff-Shore-Bankkonten. '-'~,"-,~u,~,<br />
waren die<br />
auf seiten der Reagan-Administration. AuBen- und<br />
Verteidigungsminister waren nicht an dieser Sache beteiligt (Shultz und Weinberger<br />
hatten intern gegen den Deal mit dem Iran votiert). Die Privatisierung der amerikanischenAuBenpolitik<br />
war komplett, als man die vom KongreB trockengelegten Contras<br />
mit Milionenbetragen versorgte. Dazu paBte ins Bild, daB es die »Enterprise«-Hintermanner<br />
waren, die den »Freiheitskampfern« die benotigten Waffen usw. verkauften.<br />
Sie stellten auch Flugzeuge fUr den Luftnachschub tiber Nicaragua zur Verftigung.<br />
Der nach der Aufdeckung des Skandals gefeuerte Oberstleutnant North leitete<br />
in seinem Btiro im KellergeschoB des WeiBen Hauses die logistische Versorgungsarbeit<br />
fUr die Contras. Der UntersuchungsausschuB des Kongresses konnte nicht feststellen,<br />
daB Reagan von dem Transfer der iranischen Gelder an die Contras gewuBt<br />
hat. Sein zurtickgetretener Sicherheitsberater Admiral Pointdexter bezeugte, daB er<br />
dem Prasidenten davon keine Mitteilung gemacht habe ... CIA-Chef Casey war kurz<br />
vor Beginn der Anhorungen des Iran-Contra-Ausschusses gestorben ... (zum Iran<br />
Contra Skandal vgl. Armstrong 1987 und Tower 1987).<br />
1m Rahmen des Iran-Contra Skandals wurden noch weitere Finanzquellen aufgedeckt,<br />
die amerikanische Regierungsbeamte angezapft hatten, urn das »Boland<br />
Amendment« zu umgehen. So wurde beispiel weise enthtillt, daB der ehemalige<br />
Sicherheitsberater von Reagan, Robert McFarlane, schon im Mai 1984 vom Botschafter<br />
Saudi Arabiens in den USA eine Zusage tiber eine Million Dollar monatlich<br />
fUr die Contras erhalten hatte. Der KongreBausschuB steHte fest, daB die Saudis bis<br />
zum Frtihjahr 1986 insgesamt 31 Mia. Dollar tiberwiesen hatten. Auch Taiwan<br />
begltickte die Contras mit einer Millionenspende.<br />
Private Spendenaktionen fUr die Contras wurden zu einer gefeierten Sache von rechten<br />
Evangelisten und anderen hardline Reagan-Untersttitzern. Der Ftihrereiner Organisation<br />
namens »World Anti-Communists League«, General John Singlaub, war<br />
einer der effektivsten Spendensammler. Singlaub behauptete Ende 1984, daB er monatlich<br />
500000 Dollar zusammenbekam (vgl. Kornbluh, S. 32). Die Spendenkonnten<br />
tibrigens von der Steuer abgesetzt werden. Von der »Moral Majority« tiber den Fernsehprediger<br />
und Prasidentschaftbewerber Pat Robertson bis hin zur Vereinigungskirche<br />
des Koreaners Moon beteiligten sich alle ultrarechten Organisationen in den<br />
USA an dieser Kampagne. Reagan selbst rief die amerikanische Bev61kerung mehrmals<br />
zur privaten Hilfe filr die Contras auf. Der Prasident hielt Reden bei sogenannten
Reagans PoUtik gegeniiber Nicaragua 97<br />
»fund-raising« Essen und empfing GroBspender wie z.B. den Bierbrauer Joseph<br />
Coors personlich im WeiBen Haus. Die von Reagan hofierte Spendenkampagne war<br />
symptomatisch fUr die reaktionare politische Kultur der 80er Jahre in den USA. Selbst<br />
in der »New York Times« wurde beispielsweise in ganzseitigenAnzeigen zu »humanitaren«<br />
Contra-Spenden aufgerufen. Der friihere Finanzminister William Simon,<br />
Schauspieler Charlton Heston etc. unterschrieben diese nicht ganz preiswerten Annoncen.<br />
ZusammengefaBt kann man sagen, daB die Reagan-Administration und ihre<br />
rechten Sympathisanten alles daran setzten, die Contras politisch und finanziell am<br />
. Lebenzuerhalten.FiiFdie Reaganisten waren diese»Freiheitskampfer« zu einer emotionalen<br />
Sache geworden.<br />
»KriegserkHirung« des Kongresses<br />
Ais im November 1986 die Iran-ContraAfHire die amerikanische Presse wochenlang<br />
beschaftigte und das WeiBe Haus praktisch lahmlegte, hatte der KongreB die Finanzierung<br />
der Contras Hingst wieder abgesegnet. Nach mehreren erfolglosenAnlaufen<br />
war es Reagan im Juni 1985 endlich gelungen, eine Mehrheit im Reprasentantenhaus<br />
fUr die Contra-Besoldung zu finden. Reagan hatte zwischenzeitlich eine noch nicht<br />
dagewesene Lobbyierung einzelner Abgeordneter betrieben. Dariiber hinaus beutete<br />
Reagan den Moskaubesuch Daniel Ortegas propagandistisch aus. In der Zeit nach<br />
Reagans Abstimmungsniederlage im April war Nicaraguas Prasident zu einem<br />
Staatsbesuch nach Moskau geflogen. Ortega war schon mehrmals in der sowjetischen<br />
Hauptstadt gewesen, aber dieser Besuch entfachte einen politischen Feuersturm im<br />
rechten Lager Washingtons, einschlieBlich vieler US-Medien. Innerhalb weniger Wochen<br />
bekehrte der republikanische Prasident viele Abgeordnete zu einer Ja-Stimme<br />
fUr die Contras.<br />
Reagans nachsteparlamentarische Contra-Schlacht fand ein Jahr spater statt, als ihm<br />
das Reprasententenhaus zuerst eineAbfuhr erteilte. 1m Marz 1986lehnte das Haus ein<br />
100-Mio.-Dollar-Paket an Militarhilfe mit 222 zu 210 Stimmen abo Aber drei Monate<br />
spater bekam Reagan griines Licht fUr die Contra-Gelder (die Abstimmung lautete<br />
221-209). Mit der Autorisierung der 100 Mio. Dollar wurden auch gleichzeitig aIle<br />
Restriktionen beztiglich der offiziellen Involvierung der CIA in die Kriegsfiihrung der<br />
Contras aufgehoben. Es war das erste Mal, daB der US-KongreB die CIA mit der Implementierung<br />
eines solchen Programms beauftragte. Die anfanglichen Destabilisierungsprogramme<br />
Anfang der 80er Jahre waren alle in geheimgehaltenen Haushaltsfonds<br />
der Agency versteckt gewesen und nie offen im KongreB debattiert worden. Es<br />
war in der Tat hOchst ironisch, daB die amerikanischen Parlamentarier der Militarhilfe<br />
zu einem Zeitpunkt zustimmten, als der Rechnungshof des Kongresses gerade herausgefunden<br />
hatte, daB mehr als fiinfzig Prozent der »humanitaren« 27 Mio. Dollar aus<br />
dem vorigen Haushaltsjahr unauffindbar und z.B. auf Off-Shore Konten in der Karibik<br />
verschwunden waren. Die amerikanische Presse erganzte diese Korruptionsstories<br />
tiber Reagans »Freiheitskampfer« mit Reportagen tiber die Verbindungen der
98 Horst Heimann<br />
Contras zum intemationalen Drogen- und Waffenhandel (vgl. LeoGrande). Nicaraguas<br />
Prasident Ortega nannte das Abstimmungsergebnis praktisch eine Kriegserklarung<br />
der USAgegen sein Land (vgl. NYT, 29.6.86). Zwei Tage nach der Bewilligung<br />
der Militarhllfe hatte in Den Haag der Intemationale Gerichtshof sein Urteil zur CIA<br />
Hafenverminung und Contra-Unterstiitzung verkiindet. Es wurde festgestellt, daB die<br />
USA mit ihrer Contra-Politik die Charta der UNO verletzt hatten und Reparationen<br />
an NicaraguazahlenmiiBten (vgl. UN Security Council, S/18221). Das State Department<br />
wiederholte die imperiale Position der Reagan-Administration, die dem Gerichtshof·schroff<br />
jedeLegitimation zur Behandlung dieses·Konflikts absprach.· Die<br />
Meinung des Intemationalen Gerichtshofs schlen auch die Mehrheit des Kongresses<br />
nicht zu interessieren. Ein derartiges Urteil war offensichtlich erwartet worden, aber<br />
seit der Monroe-Doktrin galt die Auffassung, die R. Burt dem franz6sischen Botschafter<br />
mit auf den Weg gegeben hatte: »This is ourhemisphare«.<br />
Torpedierung der Contadora-Initiative<br />
In ihrer Caraballeda-Erklarung hatten die vier Lander der Contadora-Initiative (Kolumbien,<br />
Mexiko, Panama und Venezuela) zusammen mit der neugebildeten Unterstiitzergruppe<br />
(Argentinien, Brasilien, Peru und Uruguay) die USA im Januar 1986<br />
explizit aufgerufen, ihre Unterstiitzung der Contras einzustellen (vgl. Goodfellow,<br />
S. 152). Seit Beginn des Jahres 1983 versuchten die Contadora-Staaten, eine friedliche<br />
Lasung im Konflikt zwischen den USA und Nicaragua zu finden. Die AuBenminister<br />
der inzwischen »Gruppe der Acht« genannten Initiative wandten sich Anfang<br />
1986 direkt an US-AuBenminister Shultz, urn die Contra-Politik der USA zu stoppen.<br />
Das Ersuchen der Acht wurde von Shultz und seinem Lateinamerika-Staatssekretar<br />
Abrams briisk abgelehnt (vgl. Smith, S. 101). Wenige Tage spater beantragte Reagan<br />
offiziell 100 Mio. Dollar an Contra-Hilfe vom KongreB. Die Isolierung der USA in<br />
Lateinamerika im Hinblick auf die Contra-Politik konnte kaum gr6Ber sein.<br />
Die Reagan-Administration hatte immer behauptet, den Contadora-FriedensprozeB<br />
zu unterstiitzen. Doch dieses Bekenntnis war nichts weiter als eine standig wiederholte<br />
diplomatische Sprechblase. Am 7. September 1984legten die Contadora-Staaten<br />
in Panama-City ihren ersten unterschriftsreifen Vertragsentwurf vor. In Erwartung<br />
einer Ablehnung Nicaraguas sprach Georg Shultz daraufhin in einem Brief an die EG<br />
AuBenminister von einem wichtigen Schritt nach vom. Zwei Wochen spater erklarte<br />
sich die Regierung Nicaraguas zur sofortigen Unterzeichnung der »Contadora-Act«<br />
bereit. Diese Nachricht traf das State Department v611ig unvorbereitet. P16tzlich wurde<br />
der Vertragsentwurf als »unbefriedigend« und »einseitig« bezeichnet. Die Reagan<br />
Administration startete sofort intensive »Konsultationen« mit El Salvador, Honduras<br />
und Costa Rica. Es war keine groBe Uberraschung, daB diese Lander wenig spater eine<br />
Revision des Textes forderten. Die Contadora-Initiative war vorerst erfolgreich blokkiert<br />
worden (vgl. Goodfellow, S. 149 f.). Ein Jahr spater unterbreiteten die Contadora-Staaten<br />
einen zweiten Entwurf, der z.B. militansche Ubungen der USA in
Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 99<br />
Mittelamerika unter bestimmten Bedingungen zulieB. Nicaragua weigerte sieh, die<br />
neue »Contadora-Aet« zu unterschreiben. Die Sandinistas befiirchteten, einseitig<br />
eine Reduzierung von Truppenstlirke und Bewaffnung angesichts der US-ContraAggression<br />
hinnehmen zu miissen. Nachdem im April 1986 in Washington ein rechter<br />
Proteststurm gegen Reagans damaligen Mittelamerika-Sonderbotschafter Habib ausbrach,<br />
anderte sieh die Position Nicaraguas. Habib hatte einem KongreB-Abgeordneten<br />
schriftlich mitgeteilt, daB die USAgemaB dem neuen Contadora-Text ihre Contra<br />
Hilfe nach Unterzeichnung des Vertrags einstellen miiBten 12 (vgl. Gutman, S. 330).<br />
Uberraseht von der Entriistung der hartnackigen Contra-Unterstiitzer in Washington,<br />
erkUirte sich Nicaraguas J>rasident Ortega am 27. Mai 1986 bereit, den Vertragsentwurf<br />
doch zu unterzeichnen. Die weitere Entwicklung zeigte dann emeut, daB die<br />
USA immer weiter von derContadora-Initiative abriickten je positiver sich Nicaragua<br />
zu Mm konkreten Text auBerte. Reagan besehuldigte die Sandinistas sofort, daB sie<br />
nur deswegen zur Unterschrift bereit seien, um seine Contra-Hilfe im KongreB zu kippen.<br />
Die US-Administration sprach plotzlich nur noch von einer Unterstiitzung des<br />
Contadora-Prozesses, wenn dieser eine »wirkliche Demokratie« in Nicaragua zur<br />
Folge Mtte (vgl. Goodfellow, S. 154). Diese »wirkliche Demokratie« wurde natiirlieh<br />
in Washington definiert. Der neue Entwurf der »Gruppe der Acht« wurde nie unterzeichnet.<br />
Die Reagan-Administration hatte den Contadora-ProzeB erfolgreieh zu<br />
Grabe getragen, weil diese lateinamerikanische Initiativ~ mit dem eigentlichen Ziel<br />
der USA kollidierte. 1m Gegensatz zur Reagan-Administration akzeptierten die Contadora-Staaten<br />
die sandinistische Revolution in Nicaragua.<br />
Unterminierung des Arias-Plans<br />
Mitte 1986 hatte die Reagan-Administration mit Hilfe ihrer anti-sandinistischen<br />
»Alliierten« Costa Rica, El Salvador und Honduras den Contadora FriedensprozeB de<br />
facto zum Scheitem gebracht. Doch kurze Zeit spater fiillte der Iran-Contra Skandal<br />
die Schlagzeilen der Presse und die drei Naehbarstaaten Nicaraguas bekamen kalte<br />
FiiBe. Trotz der gerade bewilligten 100 Mio. Dollar schien das Schicksal der Contras<br />
besiegelt zu sein. Das Contra-Programm sehien nach den Enthiillungen der Affare<br />
erstrnal auf ein Abstellgleis geraten zu sein. Fiir die Reagan-Administration ging es<br />
Anfang des Jahres 1987 vor allem um politische Schadensbegrenzung. Gleichzeitig<br />
war im Mai 1986 in Costa Rica der Sozialdemokrat Oscar Arias Prasident geworden.<br />
Er entwarf einen regionalen Friedensplan, der zwar auch die Guerillakriege in EI<br />
Salvador und Guatemala lOsen sollte, aber zweifellos auf Nicaragua zugesehnitten<br />
war. Der kurze Plan wieh nur unwesentlich von den urnfangreichen Contadora-Entwiirfen<br />
ab, jedoch legte Arias das Schwergewicht auf die Probleme »Nationale Versohung«<br />
und »Int~me Demokratie« (vgl. Procedimiento 1987). Arias enthiillte den<br />
Text seines Plans, als er sich im Februar 1987 mit drei anderen Prasidenten aus der<br />
zentralamerikanischen Region traf. Nicaraguas Prasident Ortega hatte man nieht hinzugebeten.<br />
Aber nach diesem Vierer-Treffen wurde Nicaragua zu einer regionalen
100 Horst Heitmann<br />
Friedenskonferenz cWl5ICiaU'v1l, die nach Hi~;UlJ'Hallb'C;Hl Aufschub<br />
1987 stattfand.<br />
Am 7. August konnten sich die flinf zentralamerikanischen Prasidenten in<br />
las<br />
einigen. Noch in letzter Minute hatte die Reaeines<br />
solchen Plans zu<br />
dieren. Nur zwei Tage vor dem Treffen der flinf Prasidenten in wurde in<br />
Washington der<br />
vorgestellt. Der Prasident<br />
des<br />
hatte zusammen mit der Reatu",rt"n<br />
der im wesentlichen<br />
Partei lehnten<br />
ab.Die<br />
Treffens in Guatemala ohnehin unbeachtet. Unmittelbar nach del' Annahme des von<br />
Costa Ricas Prasidenten Arias vorgeschlagenen<br />
erkliirte der Prasident<br />
des<br />
seine volle<br />
Reagan-Administration schien plOtzlich wieder isoliert zu sein, nachdem der<br />
sche Schaden des Iran-Contra Skandals gerade erfolgreich beseitigt war. Reagan gab<br />
ein lauwarmes Bekenntnis zum Esquipulas-Plan ab und machte zugleich deutlich, daB<br />
seine »Freiheitskampfer« nicht ungeschiitzt bleiben dtirften. Wenige Wochen nach<br />
der Verabschiedung des Esquipulas-Plans verktindete AuBenminister Shultz, daB die<br />
Administration yom KongreB 270 Mia. Dollar an Contra-RiIfe fordem werde. Die<br />
Reagan-Administration setzte alles daran, Punkt 5 des Plans zu unterlaufen (=Einstellung<br />
der Hilfe fUr »irreguliire Krafte und Rebellen«, Procedimiento). Es kam aber<br />
nicht sofort zu einem formalenAntrag an den KongreB, wei! die Administration nicht<br />
tiber die notwendigen Stimmen verftigte.<br />
Schon bald nach dem Inkrafttreten des Esquipulas-Plans geriet Nicaragua zunehmend<br />
unter politischen Druck seitens der Mitunterzeichner des Plans und durch Politiker<br />
der Demokratischen Partei in den USA. Die<br />
die re-<br />
Friedensinitiative ohnehin ausschlieBlich als<br />
gesehen. Die<br />
IJUH";:"""lI""l Vor·galJen des Plans durch die anderen Lander Zenmen.<br />
Der nicaruaganische Kardinal Obando y Bravo als Mittelsmann bei<br />
diesen<br />
die Ende 1987 in Santo J..J~Hwa",:.v<br />
stattfanden. Die<br />
wollte ausschlieBlich tiber einen Waffenstillstand<br />
mit den Contras verhandeln. Das wurde von H.vUF,'uw<br />
abgelehnt. Sie woHten Gesprache ftihren. Eine ihrer Forderungen war beispielsweise<br />
die Auflosung der landwirtschaftlichen Kooperativen in Nicaragua. Die
Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 101<br />
mittelamerikanischen Pdisidenten<br />
Treffen<br />
schrieb Daniel<br />
Prasident unterstrich u.a. die Bereitschaft seiner Parbilden.<br />
Letzteres<br />
er auch dem US-Prasidenten in einem<br />
NYT<br />
Die n.\.-a):;,ClH-.n.LHm,l1lC'UOCUU'l1 hatte Sicherheitsberater Colin Powell und Staatssekretar<br />
Abrams vor dem Treffen der zentralamerikanischen Prasidenten in die vier NachbarHinder<br />
Nicaraguas entsandt. Die US-Regierung wollte eine offentliche<br />
Nicaraguas erzwingen. Das geschah zwar aber die »Alliierten«<br />
na.;:'UJll1):;"Vll'" vor aHem El Salvador und Honduras, heBen sich aufkeine neuen Uberraschungen<br />
ein. Die Verifikationskommission des Esquipulas-Plans wurde z.B. kurzerhand<br />
aufgelOst. Auf einer Pressekonferenz unmittelbar nach dem Gipfeltreffen<br />
hatte Ortega bekannt gegeben, daB die Sandinistas den Ausnahmezustand sofort aufheben<br />
und direkte Gesprache mit den Konterrevolutionaren beginnen wiirden. Nicaragua<br />
hatte plOtzlich wichtige einseitige Zugestandnisse gemacht, obwohl beispielsweise<br />
Honduras durch die Beherbergung der Contras den Friedensplan systematisch<br />
miBachtete. Die Reagan-Administration dachte nicht im geringsten daran, ihrenAntrag<br />
auf Contra-Hilfe beim KongreB zurlickzuziehen. Die US-Regierung sprach neuerdings<br />
von einer »Versicherungspolitik« im Hinblick auf die Contra-Unterstiitzung,<br />
d.h. Nicaragua sei nur wegen des Drucks der Contras verhandlungsbereit. Am 3.<br />
Februar drei Wochennach lehnteder<br />
KongreB mit nur acht Stimmen Mehrheit ,,,,-,,"!",,uw<br />
konnten auch nicht von dem alternativen Plan der Demokratischen Partei IJHHHlvl'COll,<br />
in Hi:ihe von 30 Mio. Dollar<br />
"U""HJ.llUUl1,~,,,,,uaHUVH von rechten<br />
und liberalen Demokraten<br />
Marz 1988 mit 216 zu 208 gegen diesen<br />
gen hatten die<br />
des demokratischen<br />
Militarhilfe enthielt. Dieser lubel<br />
sorgungsschwierigkeiten und muBten sich verstarkt aus ihrem<br />
Innern<br />
zurlickziehen. Unterdessen waren direkte<br />
den Sandinistas und der<br />
worden.<br />
Reagans Nicaraguapolitik erhielt einen neuen Riickschlag, als sich die Fuhrer der<br />
Contras und die Sandinistas am 23. Marz 1988 in dem<br />
Grenzort
102 Horst Heitmann<br />
konnten. Die nVUlS"urnua~u.ur<br />
hpr,.."Qf'ht als man auf US-amerikanischen Femsehschirmen<br />
wie Sandinistas und Contras<br />
die Nationalhymne sangen.<br />
Bei den Contras fiihrte das 9-Punkte<br />
schlieBlich zu einer inaus<br />
der schlieBlich<br />
Bermudez gestarkt<br />
Der schon immer von der CIA Oberst war gegen den Waffenstillstand<br />
von gewesen. Er selbst hatte an den Verhandlungen nicht teilgenommen.<br />
Sandinistas und Contras hatten in Sapoa beschlossen, in einer Serie von weiteren<br />
~HU5'~
Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 103<br />
den USA.<br />
~~,",U5'''H0 Contra-Politik<br />
sind sicherlich keine Freunde der Sandinistas. Aber viele US-Politiker haben immer<br />
beftirchtet, daB die LUllH,akonnen<br />
in<br />
der GroBenordnung der Contra-Aktion letztlich vor niemandem geheimgehalten werden.<br />
Die Menschen in Nicaragua bekamen dieAuswirkungen der US-Politik sehr bald<br />
direkt zu Als der KongreB nach des Verminungsskandals die<br />
weitere des vorerst Reagans Helfer<br />
endgtiltig in den »Untergrund«. Sie brachen bewuBt eine gesetzliche Auflage des<br />
Kongresses, die ausdrticklich die Untersttitzung der Contras durch die amerikanische<br />
Regierung mit einem Verbot belegt hatte. VOl' den zustandigen KongreBausschtissen<br />
leugneten die Regierungsbeamten ihre pro-Contra-Aktivitaten (vgl. Tower-Commission).<br />
Die dann folgende Iran-Contra Affaire verdeutlichte, daB Reagan selbst Opfer<br />
jenes »Syndroms« geworden war, das er wahrend seiner Prasidentschaft haufig fUr<br />
geheilt erkllirt hatte. Das »Vietnam Syndrom« reflektiert nichts weiter als die Abwesenheit<br />
eines gesellschaftlichen und tiberparteilichen Konsenses in bezug auf US<br />
Interventionen in der Dritten Welt. Viele konservative Politiker glauben bis heute, daB<br />
der Vietnamkrieg nicht in Stidostasien, sondern wegen der Anti-Kriegsbewegung in<br />
den USA verloren wurde. Die eigene Bevolkerung bildet eine potentielle Gefahr fUr<br />
die Durchsetzung des amerikanischen »Willens« in der Dritten Welt (vgl. Sharp<br />
1987). Analog der Nixon-Doktrin wollte die Reagan-Administration die mnelljJotltJ<br />
schen Kosten ihres militarischen Eingreifens in Nicaragua kalkulierbar gering<br />
d.h. insbesondere keine US-Btirger an Kriegshandlungen teilnehmen lassen. Eine von<br />
Washington finanzierte Stellvertretergruppe sollte die US-Kontrolle tiber Nicaragua<br />
zurUckgewinnen.<br />
Die Nicaraguapolitik der Reagan" Administration war auf innenpolitischer Ebene von<br />
Anfang an ein Tauschungsmanover gewesen. Der KongreB und die US-Offentlichkeit<br />
muBten mit pro-Contra und anti-Sandinista Informationen manipuliert werden, um<br />
die Politik der Reagan-Administration zu legitimieren. Dazu hatte CIA-Direktor<br />
Casey im Sommer 1983 Spezialisten aus der Werbebranche zu einem Brainstorming<br />
in sein Btiro geladen (vgl. Parry + Kornbluh 1988, S. 10). Die Fiktion von den Contras<br />
als Waffenstopp-Verbiinde muBte ohnehin schnell ad acta gelegt werden. Kurz darauf<br />
wurde der Contra-Krieg selbst Gegenstand der Tauschungs-, bzw. Propagandakampagne.<br />
Die terroristischen CIA-Attacken gegen Nicaragua zwischen 1982 und 1984<br />
wurden als Taten der Contras verkauft, urn deren angebliche militarische Effizienz zu<br />
demonstrieren. Der US-organisierte Terror war spatestens Mitte 1982 keine echte
104 Horst Heitmann<br />
so<br />
liber die militader<br />
Contras belogen werden muBten. Damit sonte naturlich eine<br />
weitere<br />
werden. Die CIA organisierte nicht nur den<br />
der Contras in Nicaragua. Der Geheimdienst beriet die Contra-Fuhrer auch in<br />
gst
Reagans Politik gegenuber Nicaragua 105<br />
Kontakt mit Regierungsbeamten wie z.B. NSC-Mitarbeiter Oliver North und Staatssekretar<br />
Elliot Abrams standen (vgl. Parry + Kombluh, S. 21 f.). Zur Einschtichterung<br />
von oppositionellen Organisationen und Gruppen gehorte scheinbar auch eine<br />
Serie von bislang unaufgekliirten Einbruchen im Watergate-Stil. Anfang 1987 fand in<br />
einem UnterausschuB des Kongresses ein Hearing zu dieser mysteriosen Einbruchsserie<br />
statt (vgl. NYT, 19.2.87). Annlihemd ftinfzig Btiros von kirchlichen Organisationen,<br />
Solidaritlitsgruppen, Forschungsinstituten, Zeitschriften usw. wurden seit Beginn<br />
der achtziger Jahre durch Einbriiche beschlidigt 15 • All diese Btiros hatten eines<br />
gemeinsam: Sie waren mit Organisationen verbunden, die zu den aktiven Gegnem<br />
von Reagans Zentralamerika-Politik zlihlten.<br />
Schlu6bemerkung<br />
Die ehemaligen AuBenminister Kissinger und Vance bedauerten in einem gemeinsamen<br />
Artikel tiber die zuktinftige AuBenpolitik der USA, daB Zentralamerika in den<br />
letzten Jahren ein ausgesprochen gutes Beispiel fUr die Abwesenheit einer klaren<br />
nationalen Zielsetzung gewesen sei (vgl. KissingerNance 1988). Diese These kann<br />
nur auf Nicaragua gemtinzt sein, denn die US-Untersrutzung ftir Duarte in EI Salvador<br />
wurde von einer breiten tiberparteilichen Koalition getragen. Die beiden Ex-AuBenminister<br />
haben die Reagan-Doktrin anscheinend miBverstanden. Es war zweifellos<br />
das Ziel der Reagan-Administration, die Sandinistas zu sttirzen. 1m Februar 1985<br />
meinte Reagan ganz offen, die Sandinistas sollten sich ergeben (»say uncle«) und die<br />
Contras in die Regierung bitten (vgl. Gutman, S. 2<strong>74</strong>). Diese selten artikulierte<br />
Zielsetzung ist abernicht erreicht worden. Reagan wollte im »weichen Unterleib« der<br />
USA mehr als nur Muskeln zeigen. Die Geschichte der US-Nicaraguapolitik hat aber<br />
gezeigt, daB der militarische Interventionismus yom KongreB ein wenig gezlihmt<br />
werden konute. Es ist der US-Regierung in den letzten acht Jahre jedoch gelungen,<br />
dem sozialrevolutionaren Experiment der Sandinistas erheblichen Schaden zuzuftigen.<br />
Nicaraguas Okonomie befindet sich in einer schweren Krise 16 • Die schwierige<br />
okonomische Lage hat Nicaraguas Regierung im letzten J ahr sicherlich zu ihren politischen<br />
Zugestlindnissen gezwungen, insbesondere zur Aufnahme direkter Verhandlungen<br />
mit den Konterrevolutionaren. Die Reagan-Administration hat zumindest die<br />
vorlliufige Zerstorung eines Modells unabhlingiger Entwicklung in Mittelamerika erreicht.<br />
Der Terrorkrieg der US-besoldeten Contras hat aber nicht zum Sturz der sandinistischen<br />
Regierung geftihrt. Daniel Ortega wird noch imAmt sein, wenn Ex-Prlisident<br />
Reagan Washington llingst den Rucken zugekehrt und sich auf seinem Ruhesitz<br />
im Nobelviertel Bel Air in Los Angeles niedergelassen hat.
106 Horst Heitmann<br />
Analog Kennedys »Allianz flir den FOltschritt« schlug die Kissinger-Kommission ein 5-jahriges<br />
Wirtschaftshilfeprogramm von 8 Mrd Dollar flir die gesamte Region vor, auBerdem natiirlich eine<br />
substantielle Aufstockung der bilateralen Militarhilfe.<br />
2 Die US-Hilfe flir die afghanischen Rebellen war beispieisweise unumstritten. Sie wurde vom KongreB<br />
bereitwillig mitgetragen. Die Waffenlieferungen begannen schon wiihrend der Carter-Administration.<br />
Reagan setzte in diesem Fall nur noch ein paar Hundert Mio. Dollar fiir die afghanischen<br />
»Freiheitskiimpfer« drauf, die yom US-KongreB enthusiastisch bewilligt wurden. 1m Sinne von Casey<br />
konnte man im Hinblick auf Afghanistan wohl von einem besetzten Land sprechen. Deshalb gab es<br />
auch einen statken tiberparteilichen Konsens im KongreB.<br />
3 Der reaktionare Charakter dieser US-Hilfe fUr die Sandinistas war offensichtlich gewesen. Es handelte<br />
sich urn Wiederaufbaukredite in Hohe von 75 Mio. Dollar (davon 70 Mio. als Volldarlehen und<br />
nur 5 Mio. in der Form eines Znschusses). Der KongreB hatte sichergestellt, daB sechzig Prozent der<br />
Gelder an den privaten Sektor in Nicaragua flieBen muBten. Insgesamt hatten die USA das Finanzpaket<br />
mit 16(!) Bedingungen versehen, u.a. durften die Kredite ausschlieBlich fur den Ankauf amerikanischer<br />
Produkte ausgegeben werden. Die Gelder konnten z.B. nicht ftiT die Ausbildungsprojekte<br />
benutzt werden, in denen kubanische Staatsangehorige beteiligt sind usw. Eine weitere Bedingung<br />
war, daB ein hozent der gewiihrten Mittel in Nicaragua fUr die iiffentliche Propagierung US-amerikanischer<br />
Generositat auszugeben seien ... Zu guter Letzt hatte der KongreB noch verlangt, daB der US<br />
Prasident vor der jeweiligen Auszahlung der Kredite beglaubigen muB, daB die Sandinistas ihre Revolution<br />
nicht exportieren ... (vgl. NACLA 1985, S. 23).<br />
4 Nach der iiffentlichen Aufdeckung diverser CIA-Operationen Mitte der 70er Jahre wurden die beiden<br />
Ausschusse im Rahmen der post-Vietnam, bzw. post-Watergate Refonnen gebildet. Sie sollten die<br />
Aktivitaten der CIA uberwachen. Deshalb ist der US-Prasident verpflichtet, sie tiber geplante Operationen<br />
durch ein »Presidential Finding« vertraulich zu unterrichten (vgl. Sharpe 1987).<br />
5 Auch Kuba stellte die Waffenlieferungen fur die Guerillas in El Salvador ein. Fidel Castro gab<br />
gegenuber H.J. Wischnewski zu, daB Kuba der FMLN ftir die Jannar-Offensive Waffen geliefert<br />
hatte. Er bestand aber im April 1981 darauf, daB diese Art von Hilfe beendet sei. Reagans erster<br />
AuBenminister, A. Haig, hat diese Behauptung in seinem Buch »Cavet« indirekt bestatigt (vgl. Smith,<br />
S.90-92).<br />
6 Die spater immer wieder vorgebrachte Forderung nach Demokratisierung ist der reine Hohn. Fast<br />
ftinfzig Jahre lang hatten die USA die Somoza-Diktatur gestiitzt. Der friihere US-Prasident F.D.<br />
Roosevelt hatte bekanntlich tiber den ersten Somoza gesagt, »he is a son of a bitch but he is our son<br />
of a bitch.« Ais die Sandinistas im November 1984 die wirklich ersten demokratischen Wahlen in der<br />
Gesehichte des Landes abhielten, wurden diese von der Reagan-Administration als Betrugsmanover<br />
verurteilt. Arturo Cruz z.B. hatte seine Kandidatur auf Anweisnng der USA zurtickgezogen. Die Wahl<br />
sollte von Anfang an als undemokratisch dargestellt werden. Deshalb schied der aussichtslose Cruz<br />
»unter Protest« aus dem Rennen, denn es stand ein Sieg des FSLN-Kandidaten Ortega bevor. Das<br />
konnte es in der US-Logik jedoch nicht geben.<br />
7 Lateinamerika-Staatssekretar Thomas Enders war im Mai 1983 von Reagan gefeuert worden, weil er<br />
den Hardlinem Casey, Meese, Clark und Kirkpatrick nieht konservativ genug war (vgl. Gutman,<br />
S. 129 f.). Es war derselbe Enders, der wahrend der Endphase des Vietnam-Kriegs flir Henry Kissinger<br />
die geheimgehaltene Bombardierung von Kambodscha koordinierte.<br />
8 Pastora tiberlebte den Anschlag, aber zwei Jahre spater gab er den Kampf gegen die sandinistische<br />
Regierung anf. Ein groBer Teil seiner Contra-Bande stieB zusammen mit Robelo zur FDN, die ohnehin<br />
den weitaus groBten Anteil der CIA-Unterstiitzung erhielt.<br />
9 Wahrend des Iran-Contra Skandals wurde bekannt, daB Calero mindestens ein 200000,- Dollar Jahresgehalt<br />
verbuchte. Robelo erhielt 120000,- und Cruz 84000,- Dollar (vgl. Cockbum S. 249).<br />
10 Carters CIA-Direktor Admiral Stansfield Turner benutzte diesen Begriff am 16.4.85 bei einem<br />
Hearing des US-Reprasentenhauses. Ende 1984 wurde bekannt, daB Caseys CIA ein Handbuch tiber<br />
»Psychological Operations in Guerilla Warfare« fUr die Ausbildung der Contras verteilen lieB. Das<br />
Handbuch gab jede Menge Anweisungen fUr die Counterinsurgency-Kriegsftihrung. Es rief u.a. zur<br />
Ennordung von Sympathisanten der Sandinistas auf. Das WeiBe Haus muBle unverztiglich demen-
Politik 107<br />
lieren, daB das Handbuch von def US-Regiemng gebilligt werde. GemaB »Executiv Order« Nr 12333<br />
ist es US-Regiemngsbehiirden gesetzlieh verboten, Attentate zu planen oder auszufUhren ... (vgl.<br />
Kornbluh).<br />
11 Die Reagan-Administration hat nattirlich nie erkHiren konnen, wieso die Sandinistas zum Schutz<br />
gegen den Contra-Terror Waffen an die Landbevolkerung verteilen konnten, ohne daB diese gegen<br />
die angeblich so totalitare Regierung gerichtet wurden .... Die Wut richtete sich wohl eher gegen<br />
Reagans Soldner. 1m ubrigen wurde in den USA immer verschwiegen, daB die Sandinistas einen Teil<br />
der Bevolkerung bewaffnet hatten. Letzteres paBte nicht in das Propagandabild von Nicaragua, das<br />
auch von der US-Presse nicht entkr1lftet wurde.<br />
12 Das WeiSe Haus ersetzte spater die Formel >mach Unterzeichnung« durch >mach Implementierung«.<br />
Ein riesiger Unterschied, waren die USA doch selbsl einer der Richter uber die Einhaltung des<br />
Contadora-Vertrags gewesen.<br />
13 Die Reagan Administration war natiirlich nieht an einer Einigung zwischen Sandinistas und Contras<br />
interessiert. Die plumpe Schuldzuweisung an Nicaragua fUr den Zusammenbruch der Gesprache<br />
sollte nm der P.R. Kampagne gegeniiber dem KongreB fUr neue Contra-Militarhilfe dienen. Sandinista-Berater.H.-l.<br />
Wischnewski meinte gegeniiber dem SPIEGEL, daB Bennudez bei den Verhandlungen<br />
die Interessen seiner Geldgeber in Washington vertreten habe. Der SPD-Politiker sagte: »Als<br />
Angestellter ist er weisungsgebunden« (vgl. DER SPIEGEL, Nr. 25/1988).<br />
14 DaB die CIA in Nicaragua ohnehin nicht tatenlos herumsaB, zeigte sich im Juli 1988, als es bei einer<br />
Demonstration gegen die Regierung in der Stadt Nandaime zu gezielten Gewalttatigkeiten gegen sandinistische<br />
Ordnungskrafte kam. Am Tag darauf wurden der US-Botschafter Melton und sieben<br />
weitere Diplomaten ausgewiesen. Zwei Monate nach den Ereignissen in Nandaime beschuldigte der<br />
Demokrat Jim Wright die Reagan-Administration und die CIA, die gewalWitigen Auseinandersetzungen<br />
pravoziert zu haben (vgl. NYT 21.9.88).<br />
15 Eingebrochen wurde u.a. im Bura des »Intemationa! Center for Development Policy« in Washington.<br />
Dieses Institut wird von Carters friiherem Botschafter in EI Salvador, Robert White, geleitet. Aueh<br />
in den New Yorker Redaktionsraumen von NACLA (North American Congress on Latin America)<br />
wurde eingebrochen. Das FBI stl·itt jede Verbindung zu dieser Einbruchsserie abo Es muB daran<br />
erinnert werden, daB FBI-Agenten noch Anfang der achtziger Jahre in Buras eines EI Salvador Solidaritatskomites<br />
(CISPES) eingedrungen waren. Die amerikanische Bundespolizei gab spater zn, daB<br />
es CIS PES wegen Terrorismusverdacht observiert habe ... (vgl. NYT 19.2.87).<br />
16 Der Top-Wirtschaftsplaner der Sandinistas rechnete fUr 1988 mit einem 35 %igen Produktionsriickgang<br />
im Vergleich zum Vorjahr! Diese Wirtschaftskrise driickt sich z. B. durch eine Hyperinflation<br />
aus. Die Inflationsrate lag 1987 bei ca. 1800 Prozent (vgl. CSM, 16.2.88). Die imFebruar 1988 durchgefuhrte<br />
radikale Wtihrungsreform konnte die Inflation nieht bremsen. Zur Zeit liegt sie bei mehreren<br />
tausend Prozent. Die Armut steigt rapide. Doch die »New York Times« muBte eingestehen, daB die<br />
armen Bevolkerungschichten in Nicaragua, dank derSozialpolitik der Sandinistas, besser versorgt<br />
werden als z.B. in Honduras oder Guatemala. Dennoch befUrchtet die Regierung eine Erosion in der<br />
politischen Unterstiitzung durch die BevOlkerung. Innenminister Tomas Borge gab zu, daB man durch<br />
den anhaltenden Krieg Unterstiitzung eingebiiBt habe (vgl. NYT 16.10.88). Die Reagan-Administration<br />
kann also einen TeiJerfolg verbuchen, denn auch sie erreichte in Nicaragua, was Nixon im Jahre<br />
1970 seinem CIA-Direktor Helms in Sachen Chile auftrug: »Make the economy scream'< (vgl. Hersh).<br />
Literatur<br />
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Christion Science Monitor (CSM)<br />
Commentary<br />
DERSPlEGEL<br />
The New Republic<br />
The Nation<br />
TIME Magazine<br />
The New York Times (NYT)<br />
Washington Post (WP)
109<br />
tionsweise diese Versuche scheiterten. Seit 1980 vollzieht sich ein Bruch mit den<br />
KPU1Jlnr,nn von Arbeit und<br />
umdie<br />
Die US-Wirtschaft befindet sich in einel' Umbruchsphase. Die Konturen del' neuen<br />
Strukturen erscheinen widerspruchlich und gebenAnlaB zu kontroversen Interpretationen.<br />
Manche malen das BUd eines Kasino-Kapitalismus, bei dem »paper enterpreneurs«<br />
auf der Wall Street die produktive Basis der USA verscherbeln und »hollow<br />
corporations« ubrig lassen, die bloB noch als Marketingorganisationen flir auslandische<br />
Produkte dienen. Andere zeichnen das Szenario vom Durchbruch neuer Produktionskonzepte,<br />
wie die »flexible Spezialisierung« oder die »Satum«maBige Nutzbarmachung<br />
des Produzentenwissens, auf deren Basis, und mit Hilfe des nun mehr<br />
realistisch bewerteten US-Dollars, eine<br />
gestartet wird. Kann also<br />
ausgegangen wer-<br />
ein neues<br />
Dieser<br />
gen, deren wesentlichen hier werden sollen. Branchenstudien<br />
konnen zwar zur US-Volkswirtschaft entnommen VV'-'JLUC,Jll.<br />
aber sie vermitteln einen tieferen und somit differenzierteren Einblick in die Umbauprozesse<br />
der USA als dies eine Gesamtiibersicht leisten konnte.<br />
Beide Branchen werden seit Ende der 50er Jahre von der auslandischen Konkurrenz<br />
bedrangt und haben mit unterschiedlichen<br />
Ein dieser bzw.<br />
die<br />
geben.<br />
dem abgesicherte inwieweit die miteinander<br />
kompatibel sind und sich verfestigen konnten.<br />
Die Ergebnisse dieser Studie zu den Fragen nach dem Verlauf der Transformations-
11 0 Scherrer<br />
prozesse, ihren Determinanten und der<br />
lassen sich in drei Thesen zusammenfassen:<br />
1. Der gesamte ArlPalSSllili~splro;~eI5<br />
mal'ktes<br />
der bisher eneichten<br />
VOJrae:l'glmIJ:G stand. Vel'suche einer wirklichen<br />
den ~"""/",LUi U,"','~H<br />
erst<br />
Die US-Auto- und Stahlindustrie auf der Suche nach dem Goldenen Vlies 111<br />
Auto- und WHHH'U'-"'''L'v. Die KegulatlOlllS!()mlen dieser Industrien "1-"'v,",,',HvU die<br />
zentralen Wesensmerkmale des Fordismus wider: senioritatsorientierte industrielle<br />
des hohe vertikale Integration, staatliche<br />
aUG Riicklagen und Orientierung<br />
auf den Binnenmarkt.<br />
$ (1967)<br />
10,-------------------------------------------------,<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
04-~~~~-L~J-~~-L~~~J-~~-L~_r~J-~~<br />
1960 1965 1960<br />
1966 1970 1976 1980 1986<br />
Ford<br />
--j-. Stahl i ndustrie<br />
Quellen: bereohnet anhend AISI,<br />
Ford Annual<br />
AIle ProduktionsarbeiterInnen der GroBkonzerne in beiden Branchen waren in der<br />
Produktivitatswachstum der<br />
wurde bis 1982 in den<br />
orientierten sich die realen Lohnzuwachse<br />
beitsstunde der rascher<br />
Produktivitatszuwachsen in der Autoindustrie<br />
blieben die realen Stiicklohnkosten weitgehend konstant<br />
Stahlindustrie bestand kein so daB die der<br />
realen Lohnkosten starker von Krafteverhaltnissen<br />
gepragt wurde. Insgesamt stiegen die realenLohnkosten aber von 1950 bis 1981 eben-
112 Christoph Scherrer<br />
v.H.an Schaubild Stark von der burldesrepublikanischen<br />
Praxis<br />
wurde der Arbeitseinsatz geregelt. Zwar wurden<br />
den Gewerkschaften und ihren das Recht auf in der Unternehmenspolitik<br />
aber der unternehmerische bei per-<br />
JV,'U'..,V"HHJv"vU und zum Teil bei<br />
wurde<br />
durch formale Regelungen erheblich<br />
Die ge-<br />
ULL,HAAHv.die in der Literatur mit dem irrefiihrenden ~-'b"'''.j<br />
control bezeichnet werden (vgl. Piore Katz<br />
ten:erstens der tarIIven:rai~H
Die US-Auto- und Stahlindustrie aUf der Suche nach dem Goldenen Vlies<br />
113<br />
somit stark davon<br />
schwerdesysem Gebrauch machten.<br />
Neben diesen personalpolitischen<br />
bestanden noch Vereinbarungen<br />
die der Produktionsnormen. war in der Autoindustrie die<br />
Zeitvorgabe dem Management freigestellt, sie soUte jedoch dem Grundsatz einer normalenArbeitsbelastung<br />
entsprechen. Flir die Beschaftigten, die sich ungerechtfertigten<br />
Zeitvorgaben ausgesetzt sahen, bestand die MCiglichkeit der Beschwerdefiihrung.<br />
Diese Beschwerdefalle waren von der Schlichtung ausgenommen, so daB, wenn keine<br />
Einigung zwischen der Geschliftsflihrung und der UAW zustande kam, die betriebliche<br />
Gewerkschaftsfiihrung ihrem Anliegen mit einem Streik Nachdruck verleihen<br />
konnte. Ein solcher Streik konnte jedoch nur nach einer festgesetzten Frist und nach<br />
Absprache mit der UAW-Zentrale begonnen werden. Unzufriedenheit mit den langen<br />
Fristen war hliufig AnlaB fiir wilde Streiks (Herding 1980: 82). In der Stahlindustrie<br />
wurde den betrieblichen Gewerkschaftssektionen erst 19<strong>74</strong> ein Streikrecht zugestanden.<br />
Gegen willklirliche Arbeitsbedingungen (ArbeitsgruppengraBe, Pausen etc.)<br />
festschrieb, solange nicht der zugrundeliegende ProduktionsprozeB verandert wurde<br />
(Betheil1978).<br />
Durch diese tarifvertraglichen Regelungen verlor das Management wichtige Belohnungs-<br />
und Sanktionsmaglichkeiten zur betrieblichen Herrschaftsauslibung. Eine<br />
hahere Leistungsbereitschaft konnte weder durch individuelle Gratifikationen noch<br />
durch BefOrderung (es sei denn zur Aufsichtsperson, supervisor) motiviert werden.<br />
Die Betriebsftihrungen muBten deshalb zu anderen Formen der H~,~v>.'LUI"'''<br />
greifen. Dazu geharte erstens, im Sinne der Taylorismusdebatte, die Ubertragung der<br />
Kontrolle in den ArbeitsprozeB, was arn sinnbildlichsten in der Taktgeschwindigkeit<br />
des FlieBbandes zum Ausdruck kan1. Zweitens karn es zu einem vermehrten Einsatz<br />
von Zeitnehmern und zu einem Kompetenzzuwachs fiir die industrial engineering<br />
Abteilungen. Drittens wurde versucht, die Kontrolle liber die Arbeitsverausgabung<br />
durch einen vergleichsweise hohen Einsatz von Aufsichtspersonen zu erreichen<br />
(Jefferys 1986: 154).<br />
Die aus bundesdeutscher Sicht iibenaschende Einwilligung des Managements in Beschrankungen<br />
seiner Weisungsmacht erklart sich zum einen dadurch, daB die rigide,<br />
festgeschriebene Arbeitsteilung insofern nicht besonders problematisch war, als das<br />
vorherrschende Rationalisierungsparadigma auf eine feinteilige Arbeitszerlegung
114 Scherrer<br />
und Produktionslaufe abzielte Zumanderen<br />
erschienen die senioritatsorientierten Schutzrechte der Belegschaften gegentiber<br />
def Alternative standiger Kleinkriege vorteilhafter. In vielen Betrieben hatten<br />
sich namlich die<br />
wahrend der Phase der gewerkschaftlichenAnerkennung<br />
ein hohes MaS an Kontrolle tiber Leistungsstandards und anderen der<br />
Betriebsorganisation erkampft und sahen es von daher als an,<br />
zur Leistungssteigerung mit spontanen Arbeitsniederlegungen oder gar mit SabotagerLKte:nzu<br />
beantworten (vgl. Gartman 1986: 263-291; Walker 1976).<br />
war die tarifvertragliche Einschrankung der unternehmerischen<br />
KOlmyJromil:l, der durchaus den Interessen des M,ma.gelments nvV~HH..w11S<br />
nicht notwendigerweise als wurde. wurde urn die konkrete<br />
Ausgestaltung des Kompromisses standig gerungen (vgl. Gershuny 1982,<br />
Herding 1980).<br />
Die Gewahrung stetiger Reallohnerhohungen wurde durch die oligopolistische Kontrolle<br />
der Preise ermoglicht. Einige wenige, vertikal integrierte Konzerne organisierten<br />
die Produktionsprozesse und beherrschten den Markt. In der Stahlindustrie beruhte<br />
die Macht der groBen Konzerne auf extrem hohen Markteintrittsbarrieren, die<br />
zum einen den hohen Kapitalaufwendungen flir ein effizientes Stahlwerk und zum anderen<br />
der Kontrolle tiber die Rohstoffversorgung entsprangen. Zur Begrenzung der<br />
Konkurrenz untereinander dienten eine Reihe von Praktiken. Ein relativ freiztigiger<br />
Technologietransfer verhinderte das Entstehen gewichtiger technologischer Vorspriinge<br />
(Lynn 1982: 124 f., 131). Die gemeinsamen Tarifverhandlungen mit der<br />
USW und das einheitliche Eingruppierungssystem trugen eben so zur Homogeniseriung<br />
der Produktionskosten bei (vgl. Brody 1987: 22 f.). SchlieBlich schuf der fUr<br />
US-Verhahnisse ungewohnlich koharente Stahlunternehmerverband, das American<br />
Iron and Steel Institute (AISI), viele Moglichkeiten der Interessenabstimmung<br />
1954: Scherer 1970; Der offensichtliche Effekt des Zusammenspiels<br />
dieser verschiedenen Regulationsformen war die Preispolitik des »mark-up«.<br />
Wie viele empirische Studien nachgewiesen zeigten die Stahlpreise nur gem~~u"'Fov,a.<br />
Die Preise spiegelten stattdessen die<br />
Kostenentwicklung<br />
wider (Crandall 1981 : 3 In der Autoindustrie eriibrigten der kleine<br />
Kreis von Anbietern und die tibersichtliche Zahl der Produkte<br />
der Vielzahl von Kaufern nicht individuell verhandelbar<br />
Systeme der Preisabsprache.<br />
Das hohe AusmaB vertikaler Integration diente nicht nur<br />
der Markteinsondern<br />
schlitzte auch vor »opportunistischem« Verhalten von Zulieferbetrieben<br />
in Form iiberhohter unzuverlassiger oder der Weitergabe<br />
an die Konkurrenz. So woHten sich die Stahlkonzerne<br />
gegen die ebenfalls hoch konzentrierten<br />
HClon1pilasen extreme<br />
hatten durchsetzen konnen<br />
1985: Auch in der Autoindustrie bedurfte es eines sicheren Planungshorizonts,<br />
damit durch lange Produktionslaufe hohe Skalenertrage erzielt werden konnten.<br />
Die Furcht vor unvorhersehbaren Unterbrechungen der Produktion aufgrund von
Die US-Auto- und Stahlindustrie Suche nach dem Goldenen Vlies 115<br />
bis Ende der 60er Jahre auch<br />
zwischenbetrieblichen Lohndifferentiale (BLS Bull. Die<br />
zur vertikalen<br />
M,lrktbe:he:rrsl~htmg und vertikaler Integra<br />
VV'-"Ali'''-'',''-',Ut;'"", Verhiiltnis: zur Aufrechterhaltung der<br />
Marktkontrolle war eine Kontrolle<br />
Produktionsstufen notwendig, die<br />
gleichzeitig wiederum durch die Marktkontrolle ermoglicht wurde. Das Pendant zur<br />
hierarchischen Kontrole des<br />
war ein relativ ULO'LUlH"L'vL<br />
HICUJ:l.LU~'LVb""!lv" Verhilltnis zu den selbstandigen Zulieferern. Die Autokonzerne<br />
sorgten bewuBt fUr Konkurrenz unter ihren Zulieferem. Der technische Austausch<br />
zwischen der Konzernzentrale und den Zulieferem beschrankte sich weitgehend auf<br />
Abstimmungsprobleme bei den jeweiligen Entwicklungen und erstreckte sich in den<br />
seltensten Hillen auf eine von vornherein gemeinsam durchgefiihrte Produktentwicklung<br />
1987). Das geringe Niveau der technischen Zusammenarbeit stand<br />
durchaus nicht im Widerspruch zu dem herrschenden Rationalisierungsparadigma.<br />
Da die Kernkonfiguration des Automobils unverandert gelassen wurde, konzentrierten<br />
sich die Optimierungsstrategien auf inkrementale, prozeB-orientierte Innovationen.<br />
Diese konnten unter zentraler Vorgabe, mit nur geringer horizontaler Absprache,<br />
arbeitsteilig auf einzelne Bearbeitungsvorgange bezogen,<br />
werden (vgl.<br />
Abernathy 1978).<br />
Die Absicherung gegenuber »opportunistischem« Verhalten der Zulieferer<br />
entsprach dem unterentwickelten Stand globaler Lieferbeziehungen, die den Konzernen<br />
nicht erlaubte, inlandische durch auslandische Zulieferer unter Druck zu setzen.<br />
Sofern sie nicht der<br />
dienten (Stahl), bestanden zwischen den inund<br />
auslandischen Produktionsstatten nur geringe Lieferverflechtungen. Die Binnenmarktorientierung<br />
wurde auch durch die geringe Exporttatigkeit unterstrichen; im<br />
Unterschied zur Vorkriegszeit wurde der Export in der Nachkriegszeit nur aIs Zusatzgeschiift<br />
angesehen, das keiner besonderenAufmerksamkeit bedurfte (Tiffany 1988:<br />
9,178; Wilkins/Hill1964: 376).<br />
Neben den bekannten staatlichen MaBnahmen zur Forderung des fordistischen Konsummodells<br />
versuchte der Staat im Sinne einer countervailing power (Galbraith) die<br />
Kapitalzentralisierungstendenzen, die Preistiberwalzungsmoglichkeit und das AusmaB<br />
der MiBachtung der Konsumenten (und der Umwelt etc.) zu begrenzen. Der Staat<br />
trat somit in einem gewissen MaBe an die Stelle der weitgehend auBer Kraft gesetzten<br />
Konkurrenzmechanismen.
116 Christoph Scherrer<br />
~U""'_'V_"'L' waren also die<br />
in beiden Industrien eng miteinander<br />
verflochten und haben sich gegenseitig verstarkt Das Zusammenspiel hat sich allernicht<br />
von selbst Der zentrale ergab sich aus der nicht<br />
zwischen den<br />
und den<br />
schaften sowie den multi-fraktionellen<br />
Staates. In ihrer Gesamtheit<br />
die Teilhabe<br />
ders filr General Motors zutraf ,L(lHL,UHJCll<br />
Stahlindustrie fiel in den 50er Jahren eher durchschnittlich aus<br />
1988: 40), und betmg bereits in den 60er Iahren nur noch die Halfle des<br />
Durchschnitts des verarbeitenden Gewerbes 185: 131).<br />
Die Rentabilitatsschwache der Stahlindustrie in den 60er Jahren deutete bereits Krisentendenzen<br />
an, die dann allerdings erst Ende der 70er Jahre in eine akute Krise<br />
mundeten. Das Jahr 1966 markierte einen Wendepunkt im Wachstumstrend beider<br />
Branchen. Das Wachstum des StahlausstoBes blieb hinter dem des ge:,arme:n rp'T",'hpl_<br />
tenden Gewerbes wruck, und das der Autoindustrie glich sich letzterem an<br />
1985: 143). Gleichzeitig erhohte sich der Marktanteil der auslandischen Hersteller<br />
spmnghaft: in der Stahlindustrie von 7,3 v.H. im Jahre 1964 auf 16,7 v.H. im Jahre<br />
1968, und in der Autoindustrie von 6 v.H. auf v.H. CAISI, MVMA).<br />
Die erste Phase der AlJlpasslmg:sstralteglen<br />
Fiir einen Kepn)(illktlOflszus,lmme:nhan:g,<br />
erwies sich der<br />
als auBerst bedrohlich. Als erste<br />
Reaktion auf diese<br />
Iahrzehnt zuvor entstandenen fordistischen LClhnkomlJrom<br />
im Zusammenhang mit den senioritatsorientierten Schutzrechten bestehenden RatioaHem<br />
die Klausel zu Der daraus 1959 resultierende<br />
116tagige Streik endete in einer Patt -Situation 1961: Die<br />
Belegschaften erwiesen sich als zu ihr Widerstand erschien auch im Lichte der<br />
vv ndU'-'''I';vH in den anderen Kembranchen als 1m Sinne der "''''v H~,,'HlHr<br />
HM"Cn,>,.,.t war, setzten die Stahlindustriellen auf eine Moder-<br />
IV~'U"UVU"QlH"'5VH. Es gelang<br />
Produktivitatsfortschritte<br />
im Verhaltnis zum<br />
zu erzielen. Dazu hatte erstens u~","'Vuu<br />
gen, daB der Stand der Verfahrenstechnikkeine dramatischen Produktivitatsgewinne<br />
ermoglichte und die erzielten,<br />
der<br />
erkauft werden mui3ten. Zweitens haben es vor aHem die Stahl-
Die US-Auto- und Stahlindustrie aUf der Suche nach d~~m,-G=--o,-,ld:cce,,-n--,-en,-,-VI,,-ie:.::.s _______ ----=l~17<br />
der Bltitezeit des tiber zu den Machtapparaten<br />
(Bauer u.a. 1972). Gleichzeitig wurde das Investitionsvolumen auf<br />
ein MaB reduziert, das nicht mehr die<br />
des gesamten Kapitalstockes gewlihrleistete.<br />
Beide MaBnahmen ftihrten zu einer Erholung der Kapitalrentabilitlit, die<br />
durch den weltweiten Stahlboom von 1972 bis 19<strong>74</strong> noch beschleunigt wurde. In dieser<br />
finanziell weniger angespannten Situation versuchten die Konzerne durch einen<br />
Produktivitatspakt mit der USW, die Intensivierung der Arbeit voranzutreiben. 1m<br />
Gegenzug zum Verzicht auf das Streikrecht und der Bereitschaft, sich an MaBnahmen<br />
zur Arbeitsintensivierung zu beteiligen, wurden der USW jahrliche Reallohnsteigerungen<br />
in Hohe von 3 v.H. angeboten (Betheill978). Die explizite Anerkennung des<br />
fordistischen<br />
vollzog sich somit erst in der sich abzeichnenden<br />
Krise der Stahlindustrie.<br />
in der Lohnrunde von<br />
zusammen mit der zunehmenden<br />
des US-Dollars, die
118 Scherrer<br />
gel' Price die im des Stahlbooms ausgesetzt worden waren.<br />
Dartiber hinaus kam es zu ersten Werksschliefiungen, Fusionen und der versHirkten<br />
Suche nach alternativen Verwertungsfeldem (Acs 1984).<br />
In der Autoindustrie waren die<br />
zunachst<br />
VV".hV'H"'UU'~UV<br />
konnte die erste<br />
drangt und die Zweite Ende der 60er Jahre ."'UHH'Uv~' vU'F,,,",UUlUHH<br />
auch innerhalb des tayloristischen<br />
hohe Produktivitatszuwachse zu erziedie<br />
die realen Stticklohnkosten konstant hielten (siehe Schaubild<br />
wurdendiese Zuwachse Mitte der 70er Jahre vor aHem durch eine<br />
der<br />
durch die teilweise Wl,edt~rh(~rs1,e<br />
schwung emanzipativer Bewegungen verlorengegangenen betrieblichen V"''''~HH'<br />
und durch die Vernachlassigung der Verarbeitungsqualitiit sowie der Produktinnovation.<br />
DaB die Autoindustrie weniger von der allgemeinen Wachstums-, Produktivitats-<br />
und Rentabilitatsschwache ab Ende der 60er Jahre erfaBt wurde, hing wohl in<br />
erster Linie von der tiefen Verankerung des Automobils im Konsummodell der USA<br />
abo So gaben die privaten Haushalte einen gleichbleibenden Anteil ihres verftigbaren<br />
Einkommens flir den privaten Transport mit dem Pkw aus. Die Vorliebe flir groBe, geraumige<br />
Pkw's, der die US-Konsumenten, dank der staatlichen Energiepolitik, bald<br />
nach den ersten Olpreisschocks wieder nachgehen konnten, gewahrte den US-Herstellern<br />
sicheren Schutz vor der auslandischen Konkurrenz. Die hohen Gewinnmargen<br />
auf ihre »StraBenkreuzer« (vergroBert durch die Einsparungen bei der Verarbeitungsqualitat)<br />
kompensierten die nieddgen Margen, bzw. Verluste im hochgradig<br />
kompetitiven Kleinwagengeschaft. Die bereits wahrend der Hochkonjunktur beginnende<br />
Krise des Chrysler Konzems, dem drittgroBten Hersteller in den USA, kann im<br />
nachhineinjedoch als Vorbote flir das baldige Ende dieser Abschirmung von den allgemeinen<br />
Krisentendenzen angesehen werden.<br />
1m Gegensatz zur Stahlindustrie versuchten die Autokonzerne, vor aHem General<br />
Motors, aus dem Korsett der senioritatsorientierten industriellen Beziehungen auszubrechen,<br />
und zwar durch die systematische Verlagerung def Teileproduktion zu neuen<br />
Werken in den gewerkschaftsfreien Sliden der USA.8 Doch gelang es der UAW in<br />
relativ kurzer diese Werke gewerkschaftlich zu organisieren. Dabei kam der<br />
U A W zugute, daB durch Druck in den bereits organisierten Betrieben General Motors<br />
bei den gewerkschaftlichenAnerkennungswahlen zur Neutralitat verpflichtet werden<br />
konnte (Katz 1985:90).9<br />
Kurz vor Ende der 70er Jahre unterschieden sich somit beide Industrien in mehrfacher<br />
Hinsicht. Wahrend die Stahlindustrie bereits staatlicher Hilfe bedurfte und ihren Produktionsrekord<br />
zuletzt 1973 erzielte, hatte die Autoindustrie ihr Rekordjahr 1978.<br />
Letztere verftigte auch tiber eine hahere Kapitalmobilitiit und tiber eine multinationa<br />
Ie Prasenz. Das Stahlmanagement verhandelte zwar mit einer kooperationsbereiteren<br />
Gewerkschaftsflihrung, aber diese wurde von der Basis herausgefordert. Insgesamt<br />
zeichnet sich diese Periode durch Anpassungsstrategien aus, die im wesentlichen die<br />
fordistischen Regulationsformen unangetastet lieBen. Eine Zuspitzung, aber auch
Die US-Auto- und Stahlindustrie auf der Suche nach dem Goldenen Vlies 119<br />
zugleieh ihren Wendepunkt, fanden diese Strategien wiihrend der Carter-Administration<br />
Ende der 70er Jahre.<br />
Tripartistische Krisenregulierungsversuche<br />
Zurpolitischen Invervention sah sieh die Carter-Administration ab 1977 gezwungen,<br />
als zunachst in der Stahlindustrie Massenentlassungen vorgenommen wurden und<br />
sich Ende 1978 eine Liquiditatskrise beim Chrysler-Konzern abzeichnete, die die Arbeitsplatze<br />
von tiber 100000 Beschiiftigten bei Chrysler selbst und weiteren 100000<br />
bei Zulieferern und Handlern bedrohte. In beiden Fallen zeigte sieh die Carter-Administration<br />
zu einer fUr den Fordismus typischen Form der Krisenregulation, niimlich<br />
dem Tripartismus oder auch Neokorporatismus (vgl. Esser u.a. 1983), bereit. 1m FaIle<br />
von Chrysler wurde dieser Weg auch beschritten. Unter der Federftihrnng des Staates,<br />
der zum Uberleben des Konzerns Kreditgarantien stellte, wurden die jeweiligen Anteile<br />
an den Sanierungslasten zwischen den Beteiligten, d.h. Belegschaft, Banken, Zulieferer<br />
etc. ausgehandelt. Dabei konnte gegentiber den Belegschaften nieht nur ein<br />
drastischer Arbeitsplatzabbau durchgesetzt werden, sondern auch die AuBerkraftsetzung<br />
derproduktivitiitsorientierten Tarifprinzipien (vgl. Reieh/Donahue 1985). In der<br />
Stahlindustrie karn es zu der Griindung eines Steel Tripartite Advisory Committee,<br />
aber das Stahlkapital weigerte sieh in einen Austausch mit dem Staat und den Gewerkschaften<br />
zu treten, der tiber Verhandlungen urn protektionistischen MaBnahmen<br />
hinausging. Sogar staatliche Subventionen wurden abgelehnt. Da sieh die Stahlindustrie<br />
zu diesem Zeitpunkt nicht in einer dem Chrysler-Konzern vergleiehbaren akuten<br />
Notlage befand, hatte eine Zusarnmenarbeit mit der Gewerkschaft die weitere Beachtung<br />
der Belegschaftsinteressen bedeutet, das hellit, die Erhaltung eines hohen Beschiiftigungsniveaus<br />
unter weitgehender Beibehaltung der gewohnten Lohnhohe.<br />
Jedes tripartistische Krisenmanagement hatte, wie die Sanierung von Chrysler nahelegt,<br />
zudem die Diversifikationsstrategien der Konzerne in Frage gestellt. Aus der<br />
Sicht des Stahlmanagements bedeutete mithin die Teilnahme an einer tripartistischen<br />
Krisenregulierung die Fortsetzung einer akkomodierenden Politik, die sie als Ursache<br />
ihrer Wettbewerbsschwache ansah. Demgegentiber versprach eine Politik »gegen«<br />
den Staat eine Verbesserung der Verwertungsbedingungen auf dessen Kosten und<br />
gleichzeitig die Freiheit, MaBnahmen zur Schwachung der Gewerkschaften zu ergreifen,<br />
oder, falls diese sieh erfolglos erweisen sollten, einenAusstieg aus der Stahlproduktion<br />
zu vollziehen (Scherrer 1987). Wenngleich nicht mit der selben Nachdriicklichkeit<br />
wie das Stahlmanagement, forderten auch die Konzernleitungen von<br />
General Motors und Ford einen »Rtickzug« des Staates aus der Wirtschaft. Die zweite<br />
OlpreiserhOhungsrunde hatte die produkt- und prozeBtechnischen Versaumnisse<br />
offen zutage treten lassen; die auslandische Konkurrenz verftigte nicht nur tiber den<br />
neuen Bezinpreisen angemessenere Modelle, sondern auch tiber einen Produktionskostenvorteil<br />
von ungefahr $ 2000 pro vergleichbarem Fahrzeug (Altshuler u.a.<br />
1984). Das Automanagement stand somit auch unter Handlungsdruck.
120 Christoph Scherrer<br />
Bruch mit den fordistischen Kegul!atilonst"o!I'll!len<br />
der Zurtickdran-<br />
»KI"Y!leS:larllsl:m~n« Staates eine emstzunehmende zukommen. Die<br />
HvU"'~'u zum Prasidenten der USA drlickte die neue Koalition zwischen<br />
den in den 70er Jahren stark<br />
auBerhalb der fordistinationale<br />
Konkurrenz in<br />
Konzeme. Die au-<br />
Benpolitischen<br />
der Sturz des Schahs und der Somozas sowie der sowjetische<br />
Einmarsch<br />
lieBen schlieBlich das multinational-orientierte<br />
auf einen Hochrtistungskurs und damit in diese neue Koalition einschwenken<br />
(Ferguson!Rogers 1986: 264-269). Auf der Basis einer nationalistischen Demagogie,<br />
demAnknlipfen an die ideologische Tradition des Individualismus und dem Versprechen,<br />
die Steuerlast zu reduzieren, ohne wesentliche Programme des Wohlfahrtsstaates<br />
zu streichen, gelang es diesem kapitalfraktionellen realignment, subalteme<br />
Schichten bis in die Arbeiterklasse hinein flir ein Programm der Zurticknahme<br />
staatlicher Zustandigkeit flir einzelne Marktergebnisse zu gewinnen. Diesem Projekt<br />
kam die mangelnde institutionelle Verankerung der Arbeiterschaft und anderer subaltemer<br />
Interessen in den politischen Herrschaftsapparaten sowie ihre geringe politische<br />
Koharenz und Organisationsfiihigkeit entgegen (Kuttner 1986). Somit konnten<br />
die VertreterInnen dieser Gruppen rasch aus dem Staatsapparat entfemt werden, so<br />
daB in der monetaristisch-induzierten Rezession von 1981/82 Forderungen nach einer<br />
Vollbeschaftigungspolitik oder MaBnahmen zur Abfederung des Strukturbruches<br />
weitgehend zurtickgewiesen werden konnten.<br />
Diese staatliche Abstinenzreichte auch ohne<br />
Initiativen zur Einschran"<br />
der<br />
Krafteverhaltnisse in beiden Branchen zu errl1O~;llc:nelll. Denn ohne die Durchset-<br />
IJV'.U",'-'" die ,,-aIJjL'UWU~'~j"'H<br />
se verschaffte namlich den integrierten Stahlhiitten als Ersatz einer raumlichen Kasie<br />
starker von den Autokonzernen<br />
die<br />
der<br />
zwischen einzelnen Betriebsstellen<br />
UH5V,.HvU",U direkten<br />
in der Stahlindustrie<br />
und der<br />
wurden namlich die emlzeme:n<br />
entweder traditionelle Schutzrechte aU'Lui5'-'L''-'U<br />
Belegschaft zu verlieren, die zu solchen<br />
mit Hinweisen<br />
Investitionsressourcen und den Verlage-
D_I_'e_U_S_~_u_to_-_u_n_d_S_w_hl_in_d_u_st_ri_e_au~if_d_er_S_u_c_he_n_a_c_h_d_ern __ G_o_~_en_e_n_V_lz_'es _________________ 121<br />
SV'''V>H'''H~'_H''.''''''fJ"C;lC;l1 der Belegschaften durch das Verhalten der Gewerkschaftsdie<br />
diese Taktik duldete. Die noch in den 70er J ahren besonders in der Stahlindustrie<br />
breite<br />
sich nicht in<br />
der Lage, in ausreichendem MaBe eine zu Einerseits war<br />
die<br />
Militanz in den drei J ahrzehnten langen Auseinandersetzungen mit<br />
dem Management und zermiirbt andererseits hatten<br />
sich ihre auf die und das AusmaB der<br />
,",wcU".5«LJULJ!5 beschrlinkt und nicht das "'''JJH''H''H'''~H''' AUlsb,eutun:gssysl:em<br />
ches in Frage gestellt. Den<br />
die der »Logik« des Marktes entsprangen,<br />
konnten sie auf dieser<br />
entgegensetzen (vgl.<br />
Jefferys 1986). Dariiber hinaus wirkte ihre Orientierung am Status Quo angesichts der<br />
breiten Koalition von Beftirwortem einer Transformation der bisherigen betrieblichen<br />
Austauschlogik, die von der akademischen Wissenschaft bis hin zur Gewerkschaftsftihrung<br />
reichte, und der auch erfahrbaren Uberlegenheit des japanischen<br />
Produktionssystems innerhalb der Belegschaften nur begrenzt iiberzeugend.<br />
Die »rationale« Tyrannei der KapitalmobiliUit stieB jedoch auch an Grenzen. An nicht<br />
eingehaltenen Versprechungen und groben VerstoBen gegeniiber traditionellen<br />
Grundsatzen entziindeten sich immer wieder Pro teste, die dann von der Fiihrung<br />
mitgetragen wurden, wenn ihr iibergreifendes Konzept zur Sicherung des Organisationsbestandes<br />
gefiihrdet erschien. Neben der erfolgreichen Abwehr der Southern<br />
Strategy, konnte beispielsweise die USW durch einen langen Streik gegen Wheeling<br />
Pittsburgh die einseitige Aufkiindigung des Tarifvertrages durch den Konkursrichter<br />
verhindem (Rusen 1987). Ein sechs Monate andauemder Streik gegen den Stahlkonzem<br />
USX hielt diesen von iiberdurchschnittlichen Lohnkiirzungen ab und zwang<br />
das AusmaB der von Auftragen zu reduzieren 1987). Die<br />
schaft des GM-Werkes in Van Kalifomien, konnte durch eine mit<br />
den sozialen Bewegungen<br />
die vargesehene<br />
SchlieBung ihres Werkes abwenden 1988). Die in diesenAuseinandersetzungen<br />
errungenen<br />
neben der Fiihigkeit zum kollektiven<br />
HU''''',"'"'', aus dem daB selbst in der Krise der des solange<br />
es sich in diesen Branchen stofflich, wenn auch auf reduzierter Basis verwerten<br />
wollte, nicht grenzenlos war. Aufgrund der bestehenden Pensionsverpflichtungen<br />
war auch cler Marktaustritt mit hohen Kosten verbunden. Modernisierte Werke, die<br />
gute Autokonjunktur, die Vorteile einer marktnahen<br />
die groBere Storan-<br />
Risiken bei einer der Produk -<br />
p,",,,rU'n"'1pn nicht sofort re~)ro,du;~le]rba.ren<br />
die die Gewerkschaften ausnutzen konnten.<br />
Diese, in den letzten Jahren zunehmende Gegenwehr, aber auch die eindrucksvollen<br />
Erfahrungen mit NUMMI, dem Gemeinschaftswerk von Toyota und GM (siehe unten),<br />
haben einen zweitenAbschnitt in der Abkehr von den fordistischen Regulations-
122 Christoph Scherrer<br />
formen eingeleitet,<br />
der Arbeits<br />
Vl~;alJll"'lW_1ll und nicht nur des Abbaus bisheriger Rechte. Das neue Schlagwort def<br />
industriellen Beziehungen in den USA ist das<br />
Bei NUMMI bedeutet<br />
das<br />
daB die Belegschaft in Kleingruppen von 4 bis 8 ArbeiterInnen unterteilt<br />
wobei diese jeweils von einer/m Teamleaderln werden, die<br />
einen Teil der ehemaligen Aufgaben der Aufsichtspersonen ausftihren. Flir die ProduktionsarbeiterInnen<br />
bestehen keine job classifications. Stattdessen werden die<br />
Teammitglieder angehalten, aIle Arbeitsausfiihrungen zu erlernen. hahere<br />
""1'".,.,,,,rl der kuram<br />
auszufiihren sind. In der Tat sind die individuellen<br />
ger als in herkommlichen Werken, da die ArbeiterInnen bei jedem Arbeitszyklus die<br />
Arbeitsschritte exakt wiederholen miissen (Chethik 1987). Verbesserungen an der Arbeitsmethode<br />
konnen nicht individuell vorgenommen, sondern mlissen bei den Teambesprechungen<br />
am Ende der Schicht eingebracht werden. Experimenteller Spielraum<br />
besteht eigentlich nur in der Anlaufzeit eines neuen Modells. Dann kann auch die<br />
Schnur zum Anhalten des Bandes gezogen werden. Sind jedoch die einzelnen Arbeitsschritte<br />
definiert und miteinander abgestimmt, dann soUte es tunlichst vermieden<br />
werden, das Band anzuhalten, auch wenn die vorgegebene Taktzeit nicht eingehalten<br />
werden kann. Die Aufgabenintegration bezieht sich bloB auf eine begrenzte Qualitatskontrolle<br />
und leichte Aufraumarbeiten am Ende der Schicht. Wenn ein Fehler entdeckt<br />
wird, so wird dieser von denen behoben, die fUr ihn verantwortlich waren, und<br />
zwar zumeist in den Reparaturbuchten.<br />
Die Gewerkschaft verftigt lediglich tiber Informationsrechte. Die Vertrauensleute<br />
mlissen ihre Vertretungsarbeit in den Pausen ausfiihren. Gegen Produktionsstandards<br />
kann nicht mehr gestreikt werden. Insgesamt sind bei NUMMI die Belohnungsund<br />
Sanktionsspielraume gegeniiber herkommlichen GM -Werken stark vergroBert<br />
worden, und zwar vor aHem durch die Moglichkeit, teamleader auszuwahlen, die wiederum<br />
ihren Teammitgliedern Arbeitspliitze zuweisen konnen. Der die persanlichen<br />
Fehlzeiten zu minimieren, der allein schon dadurch entsteht, daB der Teamleader<br />
und nicht jemand aus einem allgemeinen Springerpool die Arbeit wahrend der<br />
Abwesenheit iibernimmt, wird durch ein striktes Absentismuskontrollprogramm zusatzlich<br />
verscharft (Parker/Slaughter 1988: 100-122). Mit diversen Abanderungen<br />
scheinen die Autokonzerne ein solches Teamkonzept auch in ihren anderen Werken<br />
einfiihren zu wollen (Ibid). Selbst in der Stahlindustrie sind Bemlihungen in<br />
gekommen, mit teamorientierten Arbeitsorganisationen zu expelimentieren.<br />
Unges:i.cillerlte .. ,,'Ji' .. !'.HHJiU .... del" neuen Kegullatilonst"o,rwlen<br />
Eine Analyse der Reproduktionsfiihigkeit der bisher erreichten Veranderungen im<br />
Regulationsgeflecht beider Branchen muB berlicksichtigen, daB sich verschiedene<br />
Produktionskonzepte und Regulationsformen des Lohnverhaltnisses andeuten. Sie
Die US-Auto- und Stahlindustrie aUf der Suche /lach dem Goldenen Vlies 123<br />
»rigide<br />
sowie<br />
und andererseits in die Modelle USX, Saturn und NUMMI als Redes<br />
Lohnverhaltnisses.<br />
Die Regulationsformen des Lohnverhaltnisses unterscheiden sich hinsichtlich dem<br />
AusmaB der Vericinderung und der<br />
der Gewel'kschaft: die partizipative<br />
Einbindung der Gewel'kschaften und del' Belegschaften in ein team-orientiertes Arbeitseinsatzkonzept<br />
die autoritare gewerkschaftlicher<br />
Schutzrechte ohne neue Arbeitseinsatzfonnen<br />
und<br />
gewissennaBen als<br />
mit einer untergeordneten Rolle fUr die Gewerkschaften \1" ULt·""<br />
schiedenen Modelle einen jedoch folgende Ziele:<br />
Reduzierung oder Beseitigung der job classifications und demarcations<br />
des Geltungsbereichs der Senioritatsregeln, insbesondere bei der<br />
Neue Aufgaben fUr das AufsichtspersonaL<br />
Verpflichtung der einzelnen ArbeiterInnen, zur erhOhten Effiziens beizutragen.<br />
Ausweitung der Belohnungs- und Sanktionsmoglichkeiten zur Reduzierung von<br />
Fehlzeiten.<br />
Die Strategie der »ErschOpfung des Kapitalstocks« wird vomehmlich in der Stahlindustrie<br />
verfolgt. Sie bedeutet das »Fahren« der Anlagen bis zu ihrer physischen Erschopfung,<br />
wobei nur die notwendigsten Erneuerungs- und Instandhaltungsinvestitionen<br />
vorgenommen werden. Damit einhergehend werden meistens die bisherigen<br />
gewerkschaftlichen Schutzrechte einseitig aufgektindigt, wobei hier der Stahlkonzem<br />
USX am weitesten ging. Bei einem um fast die Halfte niedrigeren Investitionsvolumen<br />
(1980-85 vs 19<strong>74</strong>-79), konnten wesentlich hOhere ProduktivWitszuwachse<br />
erzielt werden, namlich durchschnittlich pro Jahr v.H. (statt 1,4 GemaB<br />
einer Studie von Thomas DuBois (1985) tiber die Stahlindustrie im Nordwesten von<br />
Indiana, dem heutigen Stahlzentrum der USA, haben neue Produktionsanlagen nur zu<br />
6,5 v.H. zum Produktivitatswachstum beigetragen. Als wesentlich bedeutsamer erwiesen<br />
sich Veranderungen in der Produktpalette (17,7 v.H.), die Erh6hung der<br />
Fremdvergabe (20,8 die Stillegung alter Anlagen (23,3 v.H.) und die Intensivierung<br />
der Al'beit (31,6 v.H.). So sollen 1986 die US-Htitten, trotz alteren Kapitalstocks,<br />
10 das Produktivitatsniveau der japanischen Hiitten fast erreicht haben (USITC<br />
1987: 16). Langerfristigjedoch gewahrleistet die Kombination aus »ErschOpfung des<br />
Kapitalstocks« und dem Modell USX nur dann die Reproduktion del' US-Stahlindustrie,<br />
wenn del' cash-flow aus diesen mittelfristig einer SchlieBung zuzuftihrenden<br />
Betriebsteile fUr die Modemisierung der Kemproduktionsstatten genutzt<br />
wird. Neben ihrer »nattirlichen« Grenze, namlich der Ersch6pfung alIer Kapazitaten,<br />
stehen dieser Strategie die hohen stillegungsbedingten PensionsrUckstellungen entgegen.<br />
Fur eine noch bl'eitere Anwendung dieser Strategie bedarf es deshalb einer<br />
Sozialisierung der Altersversicherung. Dariiber hinaus schlieBt diese Strategie die<br />
Moglichkeit aus, Konkurrenzvorteile durch technologische Vorsprunge zu erzielen.
124 Scherrer<br />
,:ro"()rh"l~pn von auslandischen Technikem<br />
In den Kleinstahlwerken hat sich ein<br />
Ie Arbeitsvertrage Die Mini-Mills konnten ihren Anteil an der i',v'>UIJLHI.-"<br />
0.cnUIJIVUWU"-'H von 3. v.H. im Jahre 1960 auf 21 v.H. im Jahre 1985 erh6hen. Die<br />
der Kleinstahlwerke<br />
erwiesen ~'~H" __ ~'_H<br />
n-n,p.nT',p".r
Die US-Auto- und Stahlindustrie auf der Suche nach dem Goldenen Vlies 125<br />
blem wird durch die Auslagerung der Produktionsvorstufen noch akzentuiert. Es kann<br />
aber nicht ausgeschlossen werden, daB die zwar mittelfristig weniger erfolgreiche,<br />
kapital- und forschungsaufwendige Strategie von General Motors, sich langfristig<br />
gegentiber dem Minirnalinvestitionsverhalten von Chrysler als tiberlegen erweist. 12<br />
Eine bessere Kapazitiitsauslastung hatte bereits 1987 den Gewinn von GM deutlich<br />
erhOht.<br />
Das Produktionskonzept »majJvolle Automatisierung« beinhaltet einen partiellen Zugriff<br />
auf das Produzentenwissen, das auf der Grundlage der tayloristischen Trennung<br />
von Konzeption und Ausftihrung kontinuierlich in die Steuerung des Produktionsablaufes<br />
.einflieBt. Dabei wird auch eine betriebstibergreifende, systemische Integration<br />
des gesamten Produktionsprozesses angestrebt. Eine Anwendung findet dieses Konzept<br />
bei NUMMI, sowie in den anderen Direktinvestitionen japanischer Hersteller.<br />
Soweit die japanischen Konzerne zusammen mit einem US-amerikanischen Partner<br />
diese Werke leiten (Mazda, Mitsubishi), gilt flir den Bereich des Personaleinsatzes das<br />
Teamkonzept mit einer untergeordneten Rolle ffir die Gewerkschaften, also das<br />
Modell NUMMI. In den allein geftihrten Werken konnte bisher die UA W fern gehalten<br />
werden (Honda, Nissan).<br />
Dieses und andere Werke japanischer Hersteller in den USA weisen eine deutlich hohere<br />
Arbeitsproduktivitat und Verarbeitungsqualitat als vergleichbare traditionelle<br />
US-Werke aus (Krafcik 1986). Die hohe Effizienz verdankt sich zwar im wesentlichen<br />
dem Toyota Produktionskonzept (incl. »lagerlose« Fertigung), jedoch dOOten,<br />
gemaB Daniel Luria, aufgrund der weniger restriktiven industriellen Beziehungen<br />
Kosteneinsparungen gegentiber einem traditionellen GM-Werk in Hohe von $ 70 bis<br />
$ 100 pro Fahrzeug angefallen sein (197: 20). GleichzeitigfanddasNUMMI-Konzept<br />
Anerkennung bei den Beschaftigten, vor allem bei den born-again workers, die von<br />
den Entbehrungen jahrerlanger Arbeitslosigkeit gezeichnet waren. Trotz hOherer Arbeitsbelastung<br />
wollen diese Beschaftigten den NUMMI-Arbeitsplatz nicht gegen<br />
einen in einem anderen GM-Werk tauschen. Kritik entztindete sich eher daran, daB die<br />
Betriebsleitung nicht immer gemaB der selbst verktindeten Unternehmensphilosophie<br />
handelt. Zugunsten hOherer Produktionsziffern kam es auch bei NUMMI vor,<br />
daB sich die defekten Autos in den Reparaturbuchten ttirmten und wegen Oberbeanspruchung<br />
die Teambesprechungen ausfielen (Chethik 1987).<br />
Gegentiber der Strategie der »extremen Automatisierung« verspricht die »mafivolle<br />
Automatisierung« aufgrund einer geringeren Kapitalbindung eine groBere Anpassungsfahigkeit<br />
an produktspezifische und volumensmaBige Absatzveranderungen.<br />
Ihr Erfolg hangt jedoch von der Kooperationsbereitschaft der Beschaftigten und der<br />
Zulieferer abo Diese Bereitschaft kann langerfristig nicht nur durch negative Sanktionen<br />
erzeugt werden, sondern bedarf gewisser Gegenleistungen in Form von Beschaftigungs-<br />
und Auftragsgarantien. Der verscharfte Konkurrenzkampf, der distributive<br />
Ziele vorrangig werden laBt, die Ausweichmoglichkeiten auf andere Standorte sowie<br />
Verwertungsfelder und die Dominanz der kurzfristig-orientierten Kapitalmarkte<br />
(siehe unten) stellen strukturelle Hindernisse ffir solche vertrauensbildende MaBnahmen<br />
dar.
126 Christoph Scherrer<br />
Sowohl die extreme als auch die moderate<br />
lieGe sich mit<br />
dem Modell Saturn<br />
das im Unterschied zum Modell NUMMI der Gewerkschaft<br />
starkere einraumt Marcello<br />
Das Saturn-Werk von General Motors befindet sich<br />
noch im Aufbau.<br />
Dem Modell Saturn Mltbt~stlmrnUl1g,;re(;hte konnte die USW beim<br />
98Uigigen Streik und im Gegenzug zu<br />
erheblichen durchsetzen. Die bisherige daB<br />
das Management noch nicht bereit ist,<br />
ritatischen Kommissionen zu diskutieren<br />
Austauschformen<br />
Die Reproduktionsfahigkeit der jeweiligen<br />
von der<br />
der mit ihnen verbundenen ;:"\..'bUHU1Vl,1~HJ'<br />
men des Lohnverhaltnisses abo Von den drei richtungsweisenden Konzepten ist das<br />
Mode II Saturn am wenigsten in die vorherrschenden Regulationsformen und Krafteverhaltnisse<br />
eingebettet. Die mangelnde gesetzlicheAbsicherung partizipativer Austauschformen<br />
wiegt angesichts des fehlenden gesellschaftlichen Konsensus urn so<br />
schwerer (vgl. Heckscher 1988: 134-136). Auch ist die Gewerkschaftsbewegung zu<br />
schwach, urn solche Mitspracherechte dem Kapital abtrotzen zu konnen. 13 Zwar<br />
verspricht das Modell Saturn flexible Reaktionsmoglichkeiten auf veranderte Marktbedingungen,<br />
aber es beinhaltet auch einige Verpflichtungen, wie beispielsweise<br />
Standorterhaltung und Beschaftigungssicherheit filr eine Kernbelegschaft, die die<br />
Optionen des Managements filr einen Ausstieg aus der jeweiligen Produktion beschriinken.<br />
Ahnlich wie der in den 70er Jahren ausgehandelte Streikverzicht in der<br />
Stahlindustrie, konnte sich das Modell Saturn zu einem spateren Zeitpunkt, angesichts<br />
der unsicheren Konkurrenzbedingungen, als ein zu hoher Preis flir das Ziel<br />
erhohter Flexibilitat im Personaleinsatz herausstellen. So verminderte sich denn auch<br />
das Interesse des Managements an Saturn in dem MaBe, wie durch NUMMI bewiesen<br />
wurde, daB eine hohe Leistungsbereitschaft auch mit geringeren Zugestandnissen an<br />
die Gewerkschaft erzielt werden kann. Ursprtinglich mit viel Medieneinsatz angektindigt,<br />
sollte das Saturn-Projekt einen Neuanfang der US-Kleinwagenherstellung.<br />
markieren. Versprochen wurde eine Jahresproduktion von 500000 Fahrzeugen und<br />
eine hohe Fertigungstiefe. Mitte 1988 wurde nur noch eine Jahresproduktion von<br />
150000 Mittelklassefahrzeugen anvisiert, und es soIl in einem erheblichen MaBe auf<br />
Zulieferbetriebe zuriickgegriffen werden, scheinbar vor aHem auf Betriebe unter europaischer<br />
Leitung (Andrea u.a. 1988: 9). Die Kleinwagenproduktion wurde stattdessen<br />
den japanischen und koreanischen Partnern iiberlassen.<br />
Wahrend eine rein autoritare Gestaltung der industriellen Beziehungen durchaus mit<br />
den gesetzlichen Rahmenbedingungen und den gesellschaftlichen Krafteverhaltnissen<br />
kompatibel ist, so erwies sie sich bisher sowohl hinsichtlich des konkreten Krafteverhaltnisses<br />
in beiden Branchen als auch beztiglich der anvisierten Arbeitsorganisa-
Die US-Auto- und Stahlindustrie auf der Suche nach dem Goldenen Vlies 127<br />
tion als problematisch. Bei allzu krassen<br />
des Tarifvertrages und der bisherigenAustauschlogik<br />
zeigten sich die GewerkschaftsfUhrungen, ebenso wie einzelne<br />
konfliktbereit und konnten zumindest eine teilweise Zurlicknahme der<br />
MaBnahmen erzwingen (siehe oben).<br />
GroBere unternehmerische Freiheit und eine Reduzierung kollektiv ausgetragener<br />
Arbeitskonflikte<br />
das Modell NUMMI. Voraussetzung fUr die passive<br />
Duldung dieses seitens der Beschaftigten scheint allerdings zu daB<br />
das Management seine eigenen Grundsatze<br />
einhalt und ingenieufsmaBig<br />
in der den Produktionsablauf Desweidieses<br />
Modells<br />
abo Da<br />
,-r'.'-V'.'''~d'H_, im zu den japanischen Neuansiedlungen, das<br />
kationsprofil nicht durch eine sorgfaltige Personalauslese der einzelnen Belegschaften<br />
gunstig beeinflussen konnen, sind sie darauf angewiesen, ihre Beschaftigten<br />
durch Fortbildungsseminare in der gewunschten Weise zu schulen. Wenig k01TIPatlbel<br />
mit solchen Bemuhungen erweisen sich dabei einerseits die fehlenden industriepolitischen<br />
Planungskompetenzen des Staates und andererseits wiederum die erhohte<br />
Macht der Kapitalmarkte und ihre kurzfristige Gewinnorientierung. Bisher fand dementsprechend<br />
in der Stahlindustrie keine betriebliche Weiterbildungsoffensive statt,<br />
und auch in der Autoindustrie blieben die tatsachlich durchgefUhrten MaBnahmen<br />
weit hinter den Ankundigungen wruck (vgl. Lee 1988: 96).<br />
Die makro-okonomischen Effekte der verschiedenen Madelle zur Regulation des<br />
Lohnverhaltnisses ergeben sich aus dem ihnen gemeinsamen Versuch, einen wachsenden<br />
Anteil des Lohnes an den Unternehmensgewinn zu koppeln.14 Dies konnte<br />
sich in zweierlei Hinsicht negativ auf den gesamten Wirtschaftskreislauf und damit<br />
flir die Stabilitat eines Akkumulationsregimes auswirken. Zum einen konnen von<br />
einer gewinnorientierten Lohnpolitik Destabilisierungseffekte ausgehen. Ein Ruckgang<br />
der Unternehmergewinne wtirde automatisch eine Verminderung der Reallohne<br />
ausli:isen, die wiederum einen N achfrageausfall bedingen und somit eine Rezessionseinleiten<br />
k6nnten. Einer solchen Entwicklung konnte allerdings durch eine<br />
Finanz- und<br />
werden. Zum anderen besteht<br />
die Gefahr eines strukturellen N achfrageausfalles aufgrund dessen, daB die Lohne<br />
nicht mehr automatisch<br />
mit dem Produktivitatswachstum Schritt<br />
halten. 15 Eine Reihe von Mechanismen konnen jedoch verhindern, daB eine solche<br />
htrage~1ti(;ke entsteht. Erstens kann<br />
so daB<br />
zuruck gedrangt werden. Zweitens konnen die Produktivitatsgewinne<br />
uber sinkende Preise<br />
werden. Drittens konnen Kapitalinvestitionen<br />
eine sinkende Nachfrage der privaten Haushalte<br />
Und schlieBlich kann<br />
ein vermindertes reales Einkommen durch die<br />
des Staates und der<br />
vaten Haushalte kompensiert werden.<br />
Die bisherige daB alle wr<br />
Wirkung kamen, wobei die Zunahme der offentlichen und privaten Verschuldung<br />
wahl am starksten einem kumulativen Nachfrageausfall entgegenwirkte. 16 Importub:stltutJonspl-ozesE;e<br />
konnten pmtiell fUr die Kleinstahlwerke beobachtet werden
128 Christoph Scherrer<br />
(Markusen 1985: 161). Die anderen Konzeme verteidigten bisher hochstens den Status-Quo<br />
gegeniiber den auslandischen Herstellem. Die weitere Entwicklung hangt<br />
nicht zuletzt yom Dollarkurs abo In der Stahlindustrie sind die Produktivitatsgewinne<br />
in Form sinkender Preise weitergegeben worden; in der Autoindustrie jedoch<br />
kaum. 17 Eine deutliche Erhohung des realen Investitionsvolumens fand in der Autoindustrie<br />
statt. In Relation zu den angehiiuften Verlusten fielen auch in der Stahlindustrie<br />
die Investitionen relativ hoch aus. Von daher ist aus der Sicht beider Branchen<br />
eine Reproduktion auf der Basis einer gewinnorientierten Lohnpolitik denkbar,<br />
'3:l1erdings biMler~nur- UIiterder Annahmeweiterer Verschuldungsmoglichkeiten der<br />
privaten __ Haushalte und_des _Staates.<br />
Almlich ungewiB sind die Folgenwirkungen der neuen Wirtschaftspolitik. Abgesehen<br />
davon, daB die Reaganomics dem programmatischenAnspruch, staatliche Politik auf<br />
die Sicherung der Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation zu reduzieren,<br />
nicht gerecht geworden sind, stellen die weiterhin gewahrten sektoralen Sonderbegiinstigungen<br />
keine planvolle Strukturpolitik dar. IS Sie richten sich vielmehr nach<br />
den kurzfristigen Profitinteressen des Kapitals und belassen diesem groBtmogliche<br />
Entscheidungsspielraume. Durch diese steuerungspolitsche Abstinenz werden automatisch<br />
kurzfristig orientierte Kapitalstrategien begiinstigt. Und zwar einerseits dadurch,<br />
daB die Kosten langfristiger Investitionen (z.B. Berufsausbildung) nur mangelhaft<br />
sozialisiert werden. Andererseits kann angenommen werden, daB, wenn den<br />
Untemehmen eine groBe Entscheidungsfreiheit gelassen wird, sie sich fUr die kurzfristigeren<br />
und somit sichererenAltemativen entscheiden. Dies wird besonders an der<br />
Reagan'schen Energiepolitik deutlich, wie den Autokonzemen den Verkauf groBvolumiger,<br />
profittrachtiger Fahrzeuge erlaubte. 19 Eine neuerliche Verknappung des<br />
RohOlangebots konnte deshalb aufgrund der nur ungeniigend vorgenommenen Umstellung<br />
auf benzinsparende Modelle lihnliche Schockwirkungen wie 19<strong>74</strong> und 1979<br />
bewirken.<br />
Ironischerweise fiihrte zudem die Politik der Ausweitung kapitalistischer Herrschaftsraume<br />
zu einem Autonomieverlust des Managements gegeniiber den Kapitalmlirkten.<br />
Die Entwicklung eines Kapitalmarktes fUr risikoreiche Schuldverschreibungen hat<br />
selbst die groBten Konzeme zu p6tentiellen Zielen »feindlicher« Ubemahmemanover<br />
werden lassen (Lee 1988: 193). Zur bisher erfolgreichenAbwehr so1cher Ubemahrnen<br />
muBte das Auto- und Stahlmanagement darauf achten, daB Investitionen, die sich erst<br />
langerfristig auszahlen, nicht zu sehr die momentane Gewinnlage belasten, und es muBte<br />
Banken undinstitutionelleAnleger laufend von derTragfahigkeit seiner Uniemehmensstrategien<br />
iiberzeugen. Reaganomics begiinstigen somit eher diejenigen Produktionsparadigmen<br />
undRegulationsformen des Lohnverhliltnisses, die nicht auf eine langfristige<br />
Orientierung angewiesen sind.<br />
Als Resume dieser Komatibilitatsiiberlegungen kann festgehalten werden, daBAkkumulationsstrategien,<br />
die auf eine langfristig angelegte l\:ooperationsbereitschaft angewiesen<br />
sind, nur ungeniigend von den bisher entwickelten Formen der Regulation<br />
der Konkurrenz, des politischen Austauschs und der Kapital-Allokation abgesichert<br />
sind. Von diesen Strategien erscheint noch am wahrscheinlichsten das NUMMI-
Die US-Auto- und Stah/industrie auf der Suche nach dem Goldenen Vlies 129<br />
wobei auch flir dieses die n,"~lHlil ..":UlUlH<br />
mit anderen '''''J'"uaUV'H~lVl<br />
noch nicht "'~"~~Hv'<br />
UH5'-"U'-'U"'U Stand der Krafteverhaltnis<br />
,"Ul~'lJ'"auf eineex-<br />
!-'VH",,,,,,Hv und soziale<br />
Der hier verwendete Begriffsapparat ist der franzosischen Regulationsschule entlehnt (vgl. Lipietz<br />
1985). EinAkkumulationsregime ist ein dynamisch konzipieltes Reproduktionsschema, das Veranderungen<br />
sowohl der Produktionsbedingungen als auch in den Bedingungen des Endverbrauchs mitberiicksichtigt.<br />
Eine Akkumulationsstrategie ist die spezifisehe Art und Weise wie einzelne Kapitalien<br />
ihre Akkumulation betreiben (Produktionsorganisation, Marktverhalten ets.). Innerhalb eines Akkumulationsregimes<br />
konnen unterschiedliehe Akkumulationsstrategien neben einander existieren. Regulationsformen<br />
sind Praktiken und Institutionen mit einem »regelmaBigen« Charakter. Eine Regulationsweise<br />
stellt die Gesamtheit aner Regulationsformen dar, die die Vereinbarkeit von Verhaltensweisen<br />
innerhalb eines spezifisehen Akkumulationsregimes siehert.<br />
2 Hinsichtlich des Begriffes Fordismus besteht eine gewisse Konfusion. Selbst Aglietta verwendet diesen<br />
Begriff einmal industrie-soziologisch, namlich als Methode (vor allem durch das FlieBband) zur<br />
Bestimmung des Arbeitsrhythmus und der Arbeitsgeschwindigkeit und einmal makrookonomisch.<br />
Hier soli Fordismus nur als Bezeichnung fUr ein Vergesellschaftungsmodell dienen.<br />
3 Taylorismus beinhaltet die Rationalisierung der Produktion auf der Grundlage einer feinstgliedrigen<br />
Arbeitsteilung und einer definitiven Trennung verschiedener Funktionsbereiche (insbesondere Leitung<br />
versus AusfUhrung).<br />
4 Hatte sich die Lohnentwicklung strikt an diese zwei Regeln orientiert, dann hatte def durchschnittliche<br />
Stundenlohn 1981 $ 11,11 betragen sollen. Tatsachlieh lag er 1981 nicht weit davon entfemt, namlich<br />
bei $ 11,45 (Katz 1985: 20).<br />
5 Dieser Ausdruck vermittelt namlich den falschen Eindruck von »craft control« (fachliche, handwerkliche<br />
Kontrolle tiber den ArbeitsprozeB) oder »workers' control« (Arbeitermacht; vgl. Jefferys 1986:<br />
14). Was alsjob control bezeichnet wird, hat sich hauptsachlich in solchen Industrien durchgesetzt,<br />
in denen die Facharbeiter Hingst nicht mehr den ArbeitsprozeB selbst bestimmten, und in denen die<br />
l10eh in der Bauindustrie wei! verbreitete Kontrolle liber den Arbeitsmark! dureh Zutrittsbeschrankung<br />
nicht mehr griff. Gegen eine Charakterisierung def Verhaltensweisen von def UAW und der<br />
USW als job control unionsm spricht auch die Tatsache, daB in dem MaBe wie die informelle Kontrolle<br />
der Lohnabhangigen liber den ArbeitsprozeB, also etwa Taktzeiten und Besetzungsregeln, abgebaut<br />
wurden, die hier gemeiutenjob controls an Bedeutung gewannen (Dohse 1979: 143).<br />
6 GemaB Robert Crandall wiesen die Auto- und Lastwagenhersteller im Zeitraum von 1947 bis 1965<br />
eine durchschnittliche Kapitalrentabilitat von 20,2 v.H. aus, wahrend die Teilehersteller nur 13 ,8 v.H.<br />
vorweisen konnten (1968: 63-67).<br />
7 1m Zeitraum von 1964 bis 1967 wurden die Investitionskosten fiir eine zusatz!iche Tonne Rohstahlkapazitat<br />
in Japan auf $ 85, in def BRD auf $ 218 und in den USA auf $ 399 beziffert (Thorn 1975:<br />
8).<br />
8 Der Anteil der Automobi1beschiiftigung in den Slidstaaten und den Mountain-Staaten an def gesamten<br />
Beschaftigung in der US-Automobilindustrie erhohte sich zwischen 1973 und 1980 urn 50 v.H.<br />
(berechnet anhand MVMA 1981, 19<strong>74</strong>).
130 Christoph Scherrer'<br />
9 1m Siiden gingen im allgemeinen viele Anerkennungswahlen deshalb verloren, weil die Untemehmensseite<br />
mit legalen und illegalen Methoden versuchte, die Belegschaften einzuschiichtern (Goldfled<br />
1987).<br />
10 So lag 1987 der Ausstattungsgrad der US-Hiitten mit dem modernen StrangguBverfahren nur bei 58,8<br />
v.H. gegeniiber 93,3 v.H. in Japan (Iron & Steelmaking Juli 1988: 8).<br />
11 GemiiB einem Mitarbeiter des Stahlverbandes (AISI) sei die Gruppe der Stahlforscher so klein<br />
geworden, daB sie nur noch versuchen k5nnen, den Stand der japanischen Forschung zu verfolgen und<br />
deren Entwicklungen zu erklaren.<br />
12 Es gelang Chrysler zwar, auf der Basis eines Fahrzeugrahmens (K car) acht unterschiedliche Fahrzeugtypen<br />
zu entwickeln, die sich optisch starker unterschieden als viele GM-Modelle, aber mittlerweile<br />
wurde die veraltete Grundkonstruktion von den Konsumenten bemerkt. Mit einem neuen<br />
Rahmen kann nicht vor 1992 gerechnet werden, ebenso wird ein neuer Motor erst Ende 1989 erhiiltlich<br />
sein (Taylor 1988).<br />
13 Vor dem Hintergrund der bisherigen Schutzrechte hat die Gewerkschaftslinke berechtigterweise<br />
Saturn kritisiert (vgl. Meyer 1986). Gegeniiber den Alternativen USX und NUMMI bietet Saturn der<br />
Gewerkschaft allerdings wesentlich mehr Mitspracherechte.<br />
14 Einen hohen Anteil des Gesamtjahreslohnes nimmt die Gewinnbeteiligung bei einigen nicht-gewerkschaftlich<br />
organisierten Kleinstahlwerken ein; in der Autoindustrie und bei den integrierten Hiittenwerken<br />
iibersteigt sie selbst bei den profltabelsten Unternehmen zur Zeit nicht einen Anteil von 10<br />
v.H ..<br />
15 Wiihrend sich in der Autoindustrie die realen Lohnkosten nach dem Kriseneinschnitt wiederum gemiiB<br />
den Produktivitiiszuwiichsen entwickelten, wurden in der Stahlindustrie die Beschiiftigen nicht<br />
mehr am Produktivitiitswachstum beteiligt (siehe Schaubild 2).<br />
16 Der Anteil der 5ffentlichen Schulden am BSP stieg von 34,2 v.H. im Jahre 1980 auf 53.7 v.H. im Jahre<br />
1987. Der Anteil der Konsumentenkredite am pers5nlich verfiigbaren Einkommen wuchs von 18,4<br />
v.H. auf 23,6 v.H. an (Statistical Abstract 1988: 291, 481).<br />
17 Die Stahlpreise stiegen von 1981 bis 1986 urn nur 5 v.H. (USITC 1987: 49) und die Arbeitsproduktivitiit<br />
urn 26,7 v.H .. In der Autoindustrie sind die Preise eines durchschnittlichen PKW's urn 22 v.H.<br />
erh5ht worden (berechnet anhand MVMA 1988: 40), wiihrend die Produktivitiitszuwiichse 32,4 v.H.<br />
betrugen.<br />
18 Beide Industrien kamen in den GenuB von Importbeschriinkungen (Hufbauer u.a. 1986: 172,257),<br />
von Riistungsauftriigen (von 1980 bis 1985 stieg der Anteil des Riistungsgeschiiftes am Gesamtumsatz<br />
von 6 v.H. auf 12 v.H. in der Stahlindustrie; Henry/Oliver 1987: 3,6) und dem Aufschub von<br />
Auflagen beziiglich Produktsicherheit, Umweltschutz und Energieverbrauch (Goodman/Wrightson<br />
1987). Die Autoindustrie profitierte zusiitzlich bei Werksneubauten von hohen einzelstaatlichen Subventionen<br />
(LeRoy 1985). Die Stahlindustrie konnte Ubergangsregelungen bei den Steuerreformen<br />
durchsetzen, die ihr Einsparungen in Milliardenh5he brachten (CBO 1987: 15-20). Die staatliche<br />
Versicherung fiir private Pensionfonds, die Pension Benefit Guaranty Corp., muBte fur mehrere<br />
Milliarden nicht ausreichend finanzierte Pensionsfonds einzelner Stahlkonzerne iibernehmen (Flora<br />
1987).<br />
19 Von den Modelljahren 1982 bis 1988 verminderte sich der durchschnittliche Benzinverbrauch<br />
lediglich urn insgesamt 3,7 v.H. (berechnet anhand MVMA 1988: 75).<br />
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134<br />
Constantine V. Vaitsos<br />
Radikale Technologische Veranderungen und die neue<br />
»Ordnung« der Weltwirtschaft *<br />
ZusammenJassung: Die neuen technologischen Umwiilzungen werden die Beziehungen<br />
zwischen den Industrieliindern und die »Nord-Sild«-Konflikte aUf eine vollig<br />
neue Grundlage stellen und die weltwirtschaftlichen Strukturen nachhaltig revolutionieren.<br />
Vaitsos kontrastiert die Deregulierungsanstrengungen in den nationalen Okonomien<br />
der kapitalistischen M etropolen und die dort vorherrschenden ideologischen<br />
Liberalisierungsdebatten mit den zunehmenden protektionistischen Tendenzen in der<br />
Weltwirtschaft und verweist auf die Notwendigkeit neuer institutioneller Regulierungen<br />
aufinternationaler Ebene zur Kontrolle der gegenwiirtigen technologischen Umstrukturierungen.<br />
Die »Neue Ordnung der Weltwirtschaft« wird das internationale<br />
Macht- undReichstumsgefiille der Bretton Woods-Ara veriindern-die Gewinner und<br />
Verlierer stehen jedoch noch nicht fest.<br />
Einleitung<br />
Das gegenwartige Jahrzehnt erlebt einen zwar selektiven, aber dennoch wichtigen<br />
Schub in Richtung »Liberalisierung« von Schltisselsektoren der internationalen<br />
Wirtschaft. Weltweit manifestiert sich dies in vielfaItigen sektoralen und politischen<br />
Initiativen von Liindern, die - unter der Ftihrung der USA - an der neuen Verhandlungsrunde<br />
des GATTbeteiligt sind, sowie in groBen technologischen und organisatorischen<br />
Innovationen, die dazu gefiihrt haben, sektoraleAktivitaten zu translokalisieren.<br />
Besonders evident ist dies im Dienstleistungssektor und hier speziell bei<br />
Finanzgeschtiften, dem DatenfluB tiber die Grenzen hinweg sowie dem ganzen Gebiet<br />
der Telematik.<br />
Auf regionaler Ebene hat sich die EG verpflichtet, bis Ende 1992 allgemeine institutionelle<br />
Abkommen zu treffen, urn die starker liberalisierte interne Marktintegration<br />
ihrer zwOlf MitgliedsHinder zu ermoglichen. Auf nationaler Ebene zeichnen sich erhebliche<br />
Einfltisse von Deregulierung, Privatisierung und ahnlicher Politiken auf<br />
Struktur, Eigentumsverteilung, Verhalten und Allokationsregeln verschiedener sektoraler<br />
Markte abo Durch den Druck neoliberaler Philosophien der Parteien, die in den<br />
groBeren Liindern an der Macht sind, wurde dieser ProzeB noch intensiviert. Diese<br />
Praktiken haben sich ausgebreitet und bestimmen nun explizit die Art und Weise, wie<br />
* Dies ist eine revidierte und gekiirzte Version eines Papiers mit dem Titel »The New International<br />
Economics of Major Technological Changes«, das lirspriinglich fiir die UNCTAD im Rahmen der<br />
multilateralen Handelsverhandlungen erstellt wurde.
Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« del' Weltwirtschaft 135<br />
sich multilaterale<br />
Finanzinstitutionen<br />
ten. Zur seJben<br />
kennzeichnet dieses lahrzehnt den seit der Krise der drei-<br />
Biger Jahre<br />
Es werden emsthafte<br />
Handelsgefechte gefUhrt und die Drohung oder Gefahr ausgeweiteter<br />
erscheint bereits am dtisteren okonomischen Horizont. Dartiber hinaus wenn<br />
auch unter dem Deckmantel neoliberaler<br />
Staatsinterventionen in vielen<br />
zentralen Bereichen zu. Die Rolle des Staates ist tUllo,unlem:al,<br />
technologischen<br />
und ihren Anwendungen in okonomischen Aktivitaten<br />
sowie bei<br />
verschiedener Schltisselsektoren<br />
zu sein.!<br />
Durch<br />
"LUL00VlH" und die selektive Kontrolle von Universitaten und<br />
0v~"UH!S~- und wirken direkte<br />
l"-"'''~HVUHIM~,uubei der Festsetzung von Prioritiiten<br />
im Rahmen der Produktion von Wissen.<br />
Die Krise und der Umgang<br />
Ungleichgewichten der Weltwirtschaft<br />
haben VergeltungsmaBnahmen und direkte Staatsinterventionen in den Mittelpunkt<br />
weltwirtschaftlicher Geschehnisse geruckt. Selbst wenn bei entsprechenden Geschiiften<br />
vorwiegend Interessen privater Akteure involviert sind, spielt der staatliche<br />
Sektor eine gewichtige Rolle. Die institutionellen Absicherungen des »offentlichen<br />
Interesses« haben sich wahrend des letzten J ahrzehnts signifikant verandert. Dies gilt<br />
in besonderem MaBe fUr die Bewertung von Antitrust- und Antimonopol-Praktiken,<br />
die im Licht gegenwartiger technologischer und okonomischer Realitaten wie auch<br />
aufgrund nationaler politischer Praferenzen heute anders als frtiher ausfiillt.<br />
Tatsachlich wei sen die heutigen nationalen und intemationalen Wirtschaftsbeziehungen<br />
extrem widerspruchliche Fonnen des Konfliktverhaltens auf. Dies wird noch<br />
verstiirkt durch eine multipolare, jedoch gleichzeitig stark oligopolistische wirtschaftliche<br />
Machtbasis. Solche offenen Widerspruche konnen erst dann verstanden<br />
und richtig interpretiert werden, wenn man explizit die Implikationen in Betracht<br />
ziehl, die sich aus der<br />
zweier strategischer Krafte ergeben, die den Unternehmens-<br />
und zugrundeliegen: strukturelle Ungleichgewichte<br />
in der Weltwirtschaft (welche von vielen als das Ende eines groBeren und langfristigen<br />
technologischen und okonomischen angesehen werden) und (ii) radikale Innovationen,<br />
die den Beginn einer neuen technologischen Ara der Weltwirtschaft markieren<br />
2 •<br />
Die neuen internationalen<br />
Der entstandene Zusammenhang intemationaler Wirtschaftsbeziehungen beruht auf<br />
drei<br />
Schltisselelementen:<br />
(l)Einer Ideologie und neuen Fonnen eines sel~ktiven und aktiven Liberalismus in<br />
der Weltwirtschaft, der den Zugang zu ausliindischen Miirkten zu verbessem<br />
sucht. Diese Politik wird in verschiedenen Schattierungen von Regierungen mit<br />
unterschiedlicher politischer Philosophie verfolgt.
136 Constantine v. Vaitsos<br />
nen, im besonderen (a) wiihrend<br />
neuer Tech-<br />
HV1Vf,H .. d.1, neuer Produkte und neuer sowie bei der Bewaltigung<br />
struktureller<br />
im sektoralen und makrookonomischen Kontext.<br />
C
Radikale technologische Veranderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 137<br />
sundheitswesen usw.) und einer signifikanten Tertiarisierung von Aktivitaten der<br />
verarbeitenden Industrie (»software«-Leistungen und andere Produzenten-Dienstleistungen).3<br />
Unter dem vereinfachenden Banner der Liberalisierung der Markte wird die Komplexitat<br />
dieses neuen Szenarios leichter gerechtfertigt und verstanden. Die politische<br />
Botschaft dieses Themas beruht nicht auf seinem Medium (welches technisch und<br />
analytisch ziemlich komplex sein kann), sondem auf seiner Einfachheit.<br />
1m Gegensatz zu den ideologischen undpolitischen Grundsatzen der Liberalisierung<br />
. derMiirkte in intemationalemMaBstabverweist das zweite Schliisselelementauf die<br />
zahlreichen. neuen und aktiveren. Funktionen von Regierungen und Staatssektor.<br />
Sowohl die urspriinglichen Schrittmacher (USA) als auch die erfolgreichen Nachziigler<br />
(Japan, einige EG-Lander, Siidkorea, Brasilien) haben, urn - unter anderen Zielen<br />
- die nationale Entwicklung zu fordem und urn konterproduktive Krafte einzuschranken,<br />
starke protektionistische MaBnahmen ergriffen.<br />
Solche protektionistischen Strategien beinhalten auBer Zollschranken im allgemeinen<br />
das ganze Spektrum nicht-tarifarer MaBnahmen, die sich im besonderen aufEinkaufspraktiken<br />
nationaler Produkte (speziell bei offentlichen Auftragen und Aktivitaten<br />
nationaler Monopole wie in den Bereichender Telekommunikation, Raurnfahrt,<br />
Energie und Verteidigung) erstrecken. 4 Sie schlieBen Praktiken ein wie: (a) direkte<br />
Subventionen fiir die Entwicklung von Technologien, Produkten und Fabriken,<br />
(b) diverse Formen von Finanzhilfen und Biirgschaften flir Risikokapital zur kommerziellen<br />
Ausbeutung neuer Technologien, Ausriistungs- und Konsumgiiter, (c) industrielle<br />
Zielsetzungen, die integrierte Regierungs- und Wirtschaftsvereinbarungen<br />
miteinschlieBen, (d) eine mit Staatshilfe finanzierte industrielle Forschungsinfrastruktur<br />
sowie Exportsubventionen, (e) explizit oder implizit umfassende Verbote flir<br />
die auslandische Beteiligung an inlandischen Untemehmen. Angesichts der Batterie<br />
von in groBem MaBstab untemommenen Staatsinterventionen und protektionistischenPraktiken<br />
durch den Staatssektor, hauptsachlich der industrialisierten Lander,<br />
erscheint die Strategie einiger Entwicklungslander, Importsubventionen flir traditionellere<br />
Industrie- und Dienstleistungsaktivitiiten zu vergeben, als ein schiichtemer<br />
und begrenzter Versuch, die lokale Entwicklung der Produktion zu fordem. Und<br />
schlieBlich findet gegenwiirtig eine weitreichende intemationale wie nationale institutionelle<br />
und rechtliche Restrukturierung statt, urn so den Erfordemissen der tiefgreifenden<br />
okonomischen Veranderungen, die der technologische Wandel mit sich<br />
gebracht hat, gerecht zu werden. Der Gebrauch der Macht, die Unzulanglichkeit vieler<br />
existierenderund iiberalterter rechtlicher und institutioneller Einrichtungen, aber<br />
auch das Streben, eine gute Startposition in einer sich verandemden intemationalen<br />
Arbeitsteilung einzunehmen, haben zu emeuten Initiativen im Zusammenhang mit<br />
der Regulierung der neuen intemationalen Wirtschaftsbeziehungen geflihrt. Ein<br />
bahnbrechender Fall, der in ziemlich koharenter und konsistenter Weise die zugrundeliegenden<br />
Interessen und Initiativen der technologischen Schrittmacher beispielhaft<br />
aufzeigt, stellt die amerikanische »Trade and Tariff Act« von 1984 dar. 5<br />
Die oben angesprochenen Erwagungen und Initiativen werden mit hoher Geschwin-
138 Constantine v. Vaitsos<br />
wenndiese<br />
nologischen und sie<br />
baut sich doch schnell ein neues weltweites institutionelles System von<br />
Normen wirtschaftlichen Verhaltens auf.<br />
so<br />
und<br />
nnd institutioneUe Initiativen<br />
Wandels flir die intemationalen Wirtschaftsbeziesollen<br />
im in auf drei Kombinationen und institutioneller<br />
Belange untersucht werden. Letztere beinhalten (a) die Eigentumsverteilung<br />
oder andere Formen von Kontrolle der Produktionsmittel und -agenten<br />
ausHindische Direktinvestitionen und Aktivitiiten transnationaler<br />
die der von Produkten und anderen<br />
Materialien (z.B. verschiedeneFormen und Inhalte von Handelsbeziehungen) und<br />
die Eigentumsverteilung und andere Kontrolle von Information und Wissen im allgemeinen<br />
(z.B. die aufkommenden Initiativen in intellektuellen/industriellen Eigentumsfragen).<br />
I. AusHindische Investitionen nnd intemationale .....,.."....",,,.<br />
Um die Auswirkungen wichtiger technologischer Veranderungen flir die in diesem<br />
Abschnitt angesprochenen Entwicklungen angemessen analysieren zu konnen, mtissen<br />
zunachst die zentralen Unterschiede herausgearbeitet werden, die die zwei<br />
verschiedenen Kategorien sektoraler Aktivitaten kennzeichnen. Die erste Differenz<br />
betrifft die Untergruppen der verarbeitenden Industrie und des Dienstleistungssektors,<br />
in deren produktiven Prozessen die neuen Technologien entwickelt und direkt<br />
in spezifische okonomische Aktivitaten und Produkte umgesetzt werden. Sie kons!ituieren<br />
die sektoralen »upstremn
Radikale technologische Veranderungen und die neue »Ordnung« del' Weltwirtschaft 139<br />
LOW~'H',"H auf nationaler und intemationaler<br />
-JU"vLlvW"Ul~vll tiberschneiden. In diesem Fall ist<br />
eine<br />
Um die Situation klarer zu und um uns aufbestimmte Schltisselmerkmale<br />
sollen im folgenden<br />
V""AjLUll!",~- und Entwicklungsintensitat verschiedener industrieller Aktivitaten<br />
von Teilsektoren im Bereich der OECD verwenden. 8 Benutzt man als Krlterium<br />
das Verhaltnis und zu den Produk-<br />
"n'''w'rl~", lassen sich der verarbeitenden Industrie der OECD-<br />
Mitgliedslander urn drei<br />
von Teilsektoren gruppieren:<br />
Die erste Kategorie enthalt eine im Vergleich zum hohe Forschungs- und<br />
zu Beginn der achtziger Jahre namlich durchschnittlich wesentlich<br />
mehr als 10 %. Diese beinhaltetAktivitaten im Bereich der Luft- und<br />
Raumfahrt (mit Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen im Verhaltnis zum<br />
»output« von 22,7 Computer und Btiromaschinen (17,5 %), elektronische Artikel<br />
und Komponenten (10,4 %) bis hinunter zu wissenschaftlichen Geraten und elektronischen<br />
Maschinen (4-5 %). Die zweite Kategorie mit mittlerer Forschungs- und<br />
Entwicklungsintensitiit weist in den meisten Hillen Aufwendungen von ein bis zwei<br />
Prozent auf. Hier finden wir Teilsektoren wie die Autoindustrie, Chemie, nicht-elektrische<br />
Maschinen,<br />
nicht-eisenhaltige Metalle, usw. SchlieBlich gibt<br />
es noch die dritte Kategorie mit relative niedriger Forschungs- und Entwicklungsintensitat<br />
(weniger aJs 1 %), welche so verschiendenartige teilsektorale AktiviUiten wie<br />
Textilien, Schuh- und Lederindustrie, Schiffbau,<br />
Eisenverarbeitung,<br />
Nahrungsmittel und Getriinke, Tabak einschlieBt.<br />
Wie sieht nun die sich abzeichnende »Kartographie« dieser drei<br />
aus?<br />
Wiihrend der siebziger Jahre entfielen auf die Kategorie mit hoher Forschungs- und<br />
Entwicklungsintensitatmehr als 50 %<br />
.new"!""'u,,,, flir und wiihrend sie nur etwas mehr als 10 % des<br />
gesamten Produktionswertes der verarbeitenden Industrie steHte. konnte<br />
die der niedrigen Intensitat ungefahr 57 % des gesamten Produktionswertes<br />
und die der mittleren Intensitat etwas als ein Drittel wobei<br />
von den industriellen Forschungs- der OECD<br />
32 % auf die Kategorie mitmittlerer und 17 % auf die Ka.te~~or!e<br />
tiit entfiel.<br />
uy'lCulm"AJ, .... Verlauf von Direktinvestitionen und damit<br />
U,""""LHFi"''' ein ganz anderes<br />
Bird. Was den internationalen Handel so hat die mit relativ hoher<br />
Forschungs- und<br />
die hochsten Zuwachsraten und schneidet<br />
bei der Bewaltigung von sektoralen Krisen und okonomischen Rezessionen am besten<br />
abo In der ersten Halfte der achtziger Jahre entfielen auf die entsprechenden Teilsektoren<br />
20 % des industriellen Exports der OECD die USA waren es mehr als
140 Constantine v. Vaitsos<br />
wobei es 1975 noch<br />
als 14 % waren. Dariiber hinaus beeinfluBt diese<br />
uw IS"'.V"' und<br />
cher der neuen<br />
sind.<br />
'I.ol'''H,LColHiS aber wei sen die Teilsektoren mit hoher<br />
intensitat<br />
relativ niedrigere auslandische Direktinvestitionen auf. Der<br />
GroBteil der auslandischen Direktinvestitionen findet<br />
der n.Cltv),Ul<br />
eCJ1l1C)iogle,n im<br />
intemationalen Geschaft. Die Teilsektoren mit relativ UHA-llIIS'_l Vli)"ll.UHiS~- und<br />
Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 141<br />
,<br />
Wirtschaft gerade von den technologisch flihrenden Llindem aufgezwungen wird.<br />
Diese wiederurn sind durch widerstreitende Interessen in den eigenen Reihen und<br />
okonomische Risiken gekennzeichnet. 1m ganzen ist es eine sehr lebhafte Szene, in<br />
der die wichtigsten okonomischen und politischen Darsteller mitwirken und nach verschiedenen<br />
»Drehbiichem« spielen, die jedoch zum selben urnfassenden »Stiick«<br />
gehoren, das durch Veranderungen im Stand des produktiven »know-how« stlindig<br />
urngeschrieben wird.<br />
Die techuologischen»upstream«.Produktionsvorgange<br />
Der okonomische Raurn flir die Entwicklung und direkte Anwendung neuer Technologien<br />
- ihr Arbeitsplatz sozusagen - ist in extremer Weise geographisch festgelegt.<br />
Zur Zeit gibt es einige institutionelle Initiativen, urn eineAufiosung dieser geographischen<br />
WissenskonZentration und infonbationsintensiven Produktionsvorglinge einzuschranken.<br />
In Ubereinstimmung damit wird der entsprechende okonomisch Raum<br />
durch recht explizite Uberlegungen beim Aufbau des relevanten nationalen und betrieblichen<br />
Handlungsrahmens der technologischen Schrittrnacher bestimmt.<br />
Die oben angesprochenen Uberlegungen beziehen ihre Konzepte aus dem Kanon<br />
okonomischer Entwicklungstheorien, soweit diese flirrelativ fortgeschrittene Gesellschaften<br />
verwendbar und flir den Kontext modemer technologischer Durchbriiche<br />
umzuarbeiten sind. Der exteme Sektor (AuBenhandel, Direktinvestitionen, Technologie<br />
und andere intemationale Bewegungen von Faktoren und Nicht-Faktoren) ist<br />
von hOchster Bedeutung; er ist jedoch denZielsetzungen der Entwicklungspolitik von<br />
Industrie und Dienstleistungsbereich instrumentell untergeordnet. Bei den praktischen<br />
Umsetzungen der Ziele wird den Erfordemissen von »leaming by doing«, den<br />
Erwagungen zu steigenden Skalenertragen und deren strategischen Implkationen als<br />
auch den Verbindungen und Verkniipfungen zwischen Wissensbildung, Wissensanwendung<br />
und Produktionsvorglingen besonderes Gewicht beigemessen.<br />
Auf allgemeiner Ebene und besonders mit Blick auf die Tatsache, daB modeme Technologien<br />
die Produktzyklen betrachtlich verkiirzt haben, miissen sowohl die Unternehmen<br />
als auch die nationalen Okonomien ihr entwicklungspolitisches Verhalten<br />
grundlegend lindem. Sie sind dazu genotigt, wollen sie im RestrukturierungsprozeB<br />
der intemationalen Arbeitsteilung erfolgreich sein oder - wie in einzelnen Fallen -<br />
trotz der Weltkonkurrenz iiberleben.<br />
Der Erfolg einer Reorientierung in der Formulierung okonomischer Strategien<br />
scheint wiederum von der Entwicklung einer Reihe zentraler institutioneller und wissensintensiver<br />
Fahigkeiten abzuhlingen. Einige dieser Fahigkeiten sind weder ersetzbar<br />
noch direkt durch Handel zu erwerben. Dazu zahlen die Fahigkeiten, Technologien<br />
zubeherrschen und zu nutzen, Verlinderungen in den Technologien zu meistem<br />
sowie Fahigkeiten, selbst Fahigkeiten zu akkurnulieren.<br />
1m Rahmen der hier diskutierten technologischen Veranderungen verweisen die Erfordemisse,<br />
solche technische, institutionelle und marktspezifische Vorteile und Fli-
142 Constantine v. Vaitsos<br />
higkeiten zu schaffen, auf eine Reihe zentraler und miteinander verbundener Entwicklungen,<br />
die alle grundsatzlich den neoliberalen Ansatzen widersprechen, die im<br />
Fall der »downstream«-Aktivitaten befolgt werden. In der Entwicklung technologischer<br />
»upstream«-Aktivitaten handelt es sich dabei urn:<br />
a) die wichtige und bestimmende Rolle von Staatsinterventionen beim Funktionieren<br />
der Markte mit urnfassenden expliziten und impliziten protektionistischen<br />
MaBnahmen, Inanspruchnahme offentlicher Gelder sowie der Bereitstellung von<br />
Institutionen und einer entsprechenden Infrastruktur auf nationaler und intemationaler<br />
Ebene;<br />
b} die Entwicklung interner betrieblicher Ressourcen .und Fahigkeiten,.urn dieVerwertungsmoglichkeiten,<br />
die die neuen Technologien bei der Neuordnung der intemationalen<br />
Arbeitsteilung bieten, zu fOrdem, zu meistem und auszunutzen; und<br />
c) eine Langzeitstrategie, die verschiedene Formen der Planung und Zusammenarbeit<br />
zwischen Regierung und Industrie verlangt, sowie, basierend auf solch einem<br />
Zeithorizont, eine Evaluation der Marktdaten (Umfang und Preise).<br />
Was die intemationale Marktwirtschaft und die daraus resultierende geographische<br />
Verteilung der technologischen »upstream«-Produktionsvorgange betrifft, laBt sich<br />
eine allgemeine SchluBfolgerung ziehen: Rauptziel ist es, den Ubergangspunkt von<br />
direkt und indirekt produktivitatssteigemden Verbreitungen technischer Neuerungen<br />
auf spezifische nationale und betriebliche okonomische Raume einzugrenzen. Somit<br />
wird die Aufrechterhaltung dieser Konzentration zu einem zentralen nationalen Politikziel,<br />
welches den Bedtirfnissen und entsprechenden Fahigkeiten anderer Unternehmen<br />
und Lander, die Konkurrenten, insbesondere in einem Kontext von kurzen<br />
Produktionszyklen, technologisch und produktiv hinter sich zu lassen, entgegengesetzt<br />
ist.<br />
So gesehen gibt es zwei Ziele, die mit der Eingrenzung der »upstream«-Produktion<br />
verfolgt werden: Erstens wird versucht, den Profit des ganzen Entwicklungsprozesses<br />
zu internalisieren, indem »learning by doing«- und »learningby learning«-Prozesse<br />
genutzt werden, aber es geht auch urn die vielfaItigen Extemalitaten, die aus den Vorteilen<br />
der Konzentration und der Verkntipfung entspringen und dem neuen »knowhow«<br />
inharent sind. Zweitens wird versucht, die Moglichkeiten anderer Untemehmen<br />
und Lander, sich durch eigene Lemprozesse zu entwickeln oder andere technologisch<br />
einzuholen, einzuschranken.<br />
Zwei wichtige Faktoren untersttitzen die betriebliche und nationale Eingrenzung der<br />
Produktion. Erstens und vor allem wird sie durch Regierungsauftrage, Regierungssubventionen<br />
sowie regulierende und interventionistische Regierungspolitik gefordert.<br />
Alle wichtigen Sektorstudien, die von offiziellen und nicht-offiziellen Institutionen<br />
durchgeftihrt wurden, gelangen zu einer gemeinsamen SchluBfolgerung: Die<br />
Rohe, Art und Verteilung von Staatshilfen an hochtechnologische Industrien ist ein<br />
bestimmender Faktor fUr Wachstum und KonkurrenzHihigkeit der entsprechenden<br />
privaten oder anderen Unternehmen. Diese Staatsrolle wird noch gesttitzt durch explizite<br />
Anerkennung, politischen Anspruch auf und Gebrauch von Staatsmacht im<br />
Verhalten modemer und industriell fortgeschrittener Okonomien. Urn ein Beispiel zu
Radikale technologiscile Veranderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 143<br />
geben: die<br />
US-Regierungsauftrage flir hochtechnologische<br />
Waren und Dienstleistungen nicht weit zuruck hinter dem Gesamtvolumen<br />
des an hochtechnologischen Gutern aller OEeD-Lander in den Rest der<br />
Welt (1983 rund 55 Milliarden 10 In Aktivitaten bestimmter Teilsektoren wie der<br />
Raumfahrtindustrie oder der<br />
def H-"V'~V"."H'mu.fi.UUV",<br />
befiihigt die wachsende der Ausgaben bestimmte dazu,<br />
eine stetig groi3ere Rolle in der Entwicklung def inHindischen Industrie zu spielen,<br />
ohne starke Interferenzen mit anderen internationalen Verpflichtungen (wie des<br />
zu haben.ll<br />
UH'U~"'M zwischen dem einheimischen Markt und der Rolle der<br />
dient in und kleinen als Antrieb flir<br />
eine allgemeine technologische und industrielle Entwicklung. Zum Beispiel hat die,<br />
dem Industrieministerium unterstellte, schwedische BehOrde fur Raumfahrt als wichtigstes<br />
Ziel fUr Schwedens Raumfahrtprogramm die Forderung der allgemeinen Entwicklung<br />
und Verbreitung fortgeschrittener Technoiogien in der ganzen Industrie<br />
dieses Landes definiert.<br />
Bestimmte Lander verfligen uber groBe interne Markle, welche aktiv fUr die inliindische<br />
technalogische und industrielle Entwicklung genutzt werden. Die verschiedenen<br />
Beziehungen zwischen Produzent und Endverbraucher (zwischenbetrieblich<br />
aber auch zwischen Regierung und Industrie) werden in Anspruch genommen, selbst<br />
wenn es sich nicht urn offentliches Eigentum handelt. Natlirliche Monopolsituationen<br />
(wie im Telekommunikationssektor), nationale strategische Belange (besonders in<br />
der Militiirindustrie), von Regierungsseite geftirderte Forschung und Entwicklung<br />
und andere Subventionen flir private Unternehmen, Regulierungen und Standards<br />
spielen eine zentrale Rolle. Dies gilt sawahl flir den Fall der USA und Japan als auch<br />
fUr die groBeren westeuropaischen Lander. Es ist bezeichnend, daB eine einzige Gesellschaft,<br />
Hughes Aircraft, welche einen Marktanteil von ungefahr 30 % des zivilen<br />
amerikanischen Satellitenmarktes halt, einen Umsatz hat, der Frankreichs gesamtes<br />
Raumfahrtbuget betrachtlich ubersteigt. Flir die technologischen Schrittmacher ist<br />
folglich der inlandische Markt und die Moglichkeiten zur nationalen L""UmJLV,'iL~'~Hindustriellen<br />
Entwicklung ausschlaggebend.<br />
Dies bringt uns zur zweiten<br />
welche die Eingrenzung der Produktion<br />
von »upstream«-Produkten im Breich bestimmter betrieblicher und nationaler Einheiten<br />
verlangt und gleichzeitig hervorbringt. Trotz der Hel'ausfol'derungen<br />
innovativel' Ideen und dynamischer Geschaftssituationen - odeI' gerade wegen ihnen<br />
_. fOl'dern die gerade entstehenden industriellen Strukturen das stiindig steigende<br />
Gewicht von Marktzutrittsschranken.<br />
der Produktion wird<br />
Schranke. DieErder<br />
und frlihen die Kombination von Arbeit<br />
Einzelner oder kleiner Teams mit Risikokapital zu auBerst profitablen Geschaften auf<br />
den Gebieten der Mikroelektronik und del' Biotechnoiogie werden gegenwartig<br />
von neuen Entwicklungen in den entsprechenden Markten uberholt. Ihr Platz<br />
wird nun von gewaltigen Kapitalvorschlissen, komplexel' interdisziplinarer Arbeit
144 Constantine v. Vaitsos<br />
eUlge:nomrne][l, urn sich effektiver<br />
einstellen zu konnen. 12<br />
von Advanced Micro Devider<br />
onUKltlOllSj:Jrozef;sen. Derdurchschnittliche<br />
Umsatzeinheit hat sich in der US-amerikanischen Halbleiterindustrie<br />
zwischen 1978 und 1981 verdoppelt und in Japan, wo bereits frtiher Nachdruck<br />
auf Automation in diesem Bereich gelegt urn 50 % erhOht. 14 Die lLOI.IHl'UlU'l',lsche<br />
Konkurrenz anderer Firmen - insbesondere<br />
drastischer<br />
Weise auch die Forschungs- und Entwicklungsressourcen. In den computerperipheren<br />
Industrien und damit zusammenhangenden Dienstleistungen, MeB- und Kontrolleinrichtungen,<br />
Luft-<br />
Halbleiter u.s. w. tiberschreitet die durchschnitt<br />
Hche Hohe der Ressourcen fUr F & E die H6he des ausgewiesenen Profits oder betragt<br />
sogar ein Vielfaches davon. 15<br />
Die so entstehende Kombination aus (a) Produktionsumfang ftir diverse und unabhangige<br />
Investitionsvorhaben zur Entwicklung und kommerziellen Ausbeutung neuer<br />
Produkte und (b) der schnelle technologische Wandel, der die entsprechenden<br />
Produktionszyklen signifikant verklirzt, bilden einen starken Druck filr schnelle<br />
Amortisierungszeitraume des Kapitals. So wird eine betrachtliche zusatzliche Eingangsbarriere<br />
geschaffen, urn national aber besonders international das Auftauchen<br />
neuer Konkurrenten zu vermeiden. Betriebliche Strategieziele sind entsprechend:<br />
vertikale Integration und Marktkonzentration, stark kontrollierte Auftragsvorgange<br />
hlllgren:lurig oder Restriktionen<br />
von Wissen. Sie spielen auch<br />
eine zentrale Rolle in Regierungspolitiken, besonders seit betrachtliche Summen 0[-<br />
fentlicher Ressourcen aktiv<br />
des ganzen Prozesses<br />
gung neuen produktiven Wissens und seiner Anwendung in der Industrie eingehen.<br />
SchlieBlich rufen die gleichen<br />
bei den technologischen Schrittma<br />
-::hern starke betriebliche und nationale Aversionen gegen Imitatoren die<br />
versuchen, sie technologisch zu<br />
indem sie Teile des gerade geschaffenen<br />
Wissens kopieren. In solchen Fallen wird eine Todsiinde begangen, die nach internationalen<br />
Vergeltungs- und StrafmaBnahmen wenn ein Neuer das elfte Gebot<br />
bricht: »Du sollst nicht was Dein Nachbar macht.« 1m letzten Teil dieses<br />
Aufsatzes werden wiruns mit dem ganzen Gebiet del' intellektuellen Urheber- und Eigeltltulm~;re,chl:e<br />
befassen.<br />
1m Handel zwischen den technologischen Schrittmachern bestimmt die Marktsegementierung,<br />
vor aHem durch vielfaltige und effektive nicht-tarifare MaBnahmen die<br />
allgemeine Tauschstruktur. Auf den Rest der Welt wird jedoch starker Druck ausgelibt,<br />
urn die Markte fUr auslandische Giiter und Dienstleistungen zu offnen. Filr den
Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 145<br />
Fall, daB die Konkurrenz in technologisch weniger entwickelten Gebieten (we1che<br />
ftir bestimmte hochtechnologische Produkte auch Westeuropa einschlieBen) so stark<br />
wird, daB sie den Interessen der Exporteure entgegenwirkt, zogem die technologischen<br />
Schrittmacher weder auf der betrieblichen noch auf der Regierungsebene, Vereinbarungen<br />
tiber intemationale Zusammenarbeit oder iihnliches zu treffen.<br />
Eines der schlagendsten Beispiele hierftir sind die Teilsektoren der Halbleiter und<br />
Schaltsysteme. Trotz heftiger Konkurrenz auf Drittmarkten (besonders in Westeuropa)<br />
halten die USA und Japan ein ziemlich niedriges Verhaltnis von Importund Veroralien<br />
alifihrefieigenen Ihlandsmlirktehalifrecht Die folgenden Daten(ftir
146 Constantine v. Vaitsos<br />
------------------------------------------------------<br />
stehen Firmen,<br />
verbundene Aktivitaten in anderen Landern planen.<br />
Fur technologische<br />
von Teilsektoren jedoch sieht die Situation<br />
v6llig anders aus. Das die Produktionsaktivitaten einzugrenzen, trans formiert<br />
den Inhalt<br />
sowohl aufbetrieblicher als<br />
auch auf nationaler Ebene. Vorrangige Themen dieser Beziehungen sind die von def<br />
effektiven technologischen Verbreitung herruhrenden betrieblichen Risiken, dasAuftauchen<br />
neuer Konkurrenten sowie die auf interne Entwicklung abzielende protektionistische<br />
Die hiennit sind ahnlich<br />
'~~"Hp.vA wie im Bereich des Handels -<br />
im Grunde<br />
recht einfach ist - und verlangen daher eine Reihe qualifizierender Anmerktmgen.<br />
Was die ins Ausland gehenden Direktinvestitionen anbelangt, so ist - relativ gesehen<br />
- die damit verbundene Internationalisierung der Produktionsstandorte nicht allzu<br />
umfangreich. Die wichtigsten Hersteller siedeln im eigenen Land nicht nur die Forschungs-<br />
und Entwicklungsaktivitaten an, wie dies auch flir weniger forschungsintensive<br />
Sektoren gilt, sondern dariiber hinaus auch den Hauptanteil der Produktion<br />
selbst. 1m Ausland hingegen fOrdern sie schwerpunktmaBig geschiiftliche Verbindungen<br />
und Filialen. Ihre Grundhaltung zielt darauf ab, mit der Moglichkeit der Zusammenarbeit,<br />
insbesondere mit Firmen mit vergleichsweise gleichem technologischem<br />
Stand, ihre Unabhangigkeit zu wahren: Wahrend die Beziehungen zwischen Anbietern<br />
undAbnehmern enger werden, nimmt zur gleichen Zeit die Zahl der Forschungsund<br />
Entwicklungskooperationen zu.<br />
Internationale Geschafte werden somit in einem anderen Rahmen gesehen und zielen<br />
vorwiegend auf die Durchdringung von Drittmarkten durch Exportaktivitaten.<br />
1m Zentrum solcher Operationen steht die Eingrenzung der Produktion. Wichtigste<br />
Absicht ist es dabei, yom LernprozeB der technologischen Aktivitaten und Produktionsvorgange<br />
zu profitieren. Gleichzeitig wird eine Anzahl strategischer Initiativen<br />
unternommen, urn die Verbreitung des »know-how« und das Entstehen neuer Konkurrenten<br />
einzuschranken. Die Politik der Internalisierung wird nicht im transnationalen<br />
Kontext sondern nationalund aufbetrieblicher Ebene verfolgt. Das Ziel ist nicht<br />
so sehr, Vorteile der Spezialisierung und der Austauschbeziehungen zu internalisieren<br />
(obwohl auch diese offensichtlich vorhanden sondern von def Internalisierung<br />
direkter Lern- und Produktionsvorgange zu profitieren. Die Hauptgriinde hierfiir liegen<br />
in den Erfordernissen der Entwicklung okonomischer<br />
die eher im<br />
Kontext sich schnell andernder neuer Technologien als in reifen Industrien mit langen<br />
Produktzyklen entstehen.<br />
Sucht man in den althergebrachten industriellen Teilsektoren einen Vergleichsfall flir<br />
die neue »upstream«-Hochtechnologie, so laBt sich am besten auf die Maschinenwerkzeugindustrie<br />
verweisen. Dieser Teilsektor stellt einen weiteren Bereich technologischer<br />
»upstream«-Aktivitaten dar, den die entsprechenden technologischen<br />
Schrittmacher unter Kontrolle zu halten suchen. In dies em Fall »(...) hatten bis vor<br />
kurzem auslandische Direktinvestitionen und die Ubernahme von lokalen durch auslandische<br />
Unternehmen nur geringe Bedeutung«I7. Das internationale Engagement
Radikale technologische Veranderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 147<br />
der Maschinenwerkzeugindustrie ist jedoch nicht mit Hilfe der Theorie der Intemalisierung<br />
zu erkHiren, welche intemationale Transaktionen nur im Kontext der Beziehungen<br />
zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften oder starkkontrollierten auslandischen<br />
Konzemgesellschaften stattfinden sondem orientierte sich im Gegentei!<br />
an dem Modell der Vereinbarungen zwischen mehr oder weniger unabhangigen<br />
Untemehmen. Es handelt sich hierbei vorwiegend urn Lizenzvereinbarungen, die sich<br />
aufKonstruktionsiibemahmen, Marketing-Abmachungen und »know-how«-Vereinbarungen<br />
flir die weitgehend unabhiingige Fertigung und Montage von Produkten<br />
beziehen.<br />
Doch auch bei relativ<br />
in drei Fallen auslandische<br />
Direktinvestitionen. Das wichtigste Motiv ist der Zutritt zu ausHindischen<br />
Markten (z.E. mit Hilfe der sich im auslandischen Besitz befindlichen Tochterunternehmen<br />
oder »joint ventures«, die im Ausland gegriindet wurden, urn als nationale<br />
Hersteller anerkannt zu werden und so offentliche Auftrage zu erhalten). Die Bemtihungen<br />
der USA und Japans, ihre Beteiligung am westeuropaischen Markt zu verbessem,<br />
stellen den GroBteil dieser Investitionen. Dariiber hinaus hat die drohende<br />
Gefahr von Handelsrestriktionen die japanischen Untemehmen veranlaBt, Direktinvestitionen<br />
im US-Markt vorzunehmen; dies gilt auch flir den Fall der Sektoren mit<br />
relativ geringerer technologischer Intensitat wie z.B. der Automobilindustrie. Durch<br />
die Ubemahme lokaler Untemehmen und dasAngebot, die in den USAangesiedelten<br />
japanischen Tochteruntemehmen als »Geiseln« zu betrachten, hoffen die japanischen<br />
transnationalen Gesellschaften, eine langfristige und unbehinderte Prasenz auf dem<br />
nordamerikanischen Markt zu erreichen.<br />
Der zweite Typ auslandischer Direktinvestitionen betrifft bestimmte, mit »upstream«-Operationen<br />
verbundene arbeitsintensive Zulieferaktivitaten. Zu Beginn<br />
der siebziger Jahre wurde diese Politik von nordamerikanischen transnationalen Gesellschaften<br />
verfolgt. Sie suchten die Vorteile von NiedriglOhnen in Entwicklungslandem<br />
Stidostasiens und der westlichen Hemisphare auszunutzen. 1m Gegensatz dazu<br />
wahlten die J apaner die Strategie der starkeren Automatisierung von Produktion und<br />
Montage zu Hause. Es steHte sich heraus, daB die Strategie Japans flir seine eigenen<br />
transnationalen Gesellschaftert von Vorteil war, da sie die Qualitatskontrolle und ZuverHissigkeit<br />
der Produkte verbesserte und somit zu einer Steigerung der Ertrage<br />
flihrte. ls Spater begannen die US-Finnen ihre eigenen Aktivitaten wieder in die inlandische<br />
Okonomie zurtickzuverlagern, wodurch das relative Gewicht vergleichbarer<br />
Auslandsinvestitionen vermindert wurde.<br />
SchlieBlich gab es noch den Fall von Investitionsaktivitaten einiger westeuropaischer<br />
Lander in den USA, die das Ziel hatten, die USA technologisch einzuholen. Sie versuchten,<br />
bereits etablierte und »know-how«-intensive Untemehmen zu tibemehmen,<br />
um ihren eigenen Nachholbedarf auf dem Gebiet der neuen Technologie schneller<br />
abzubauen.<br />
Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, ist der Stellenwert auslandischer Investitionen<br />
in hochtechnologischen »upstream«-Sektoren unter fortgeschrittenen Okonomien<br />
relativ begrenzt. Wie bereits angemerkt, wird mehr Nachdruck auf Unab-
148 Constantine v, Vaitsos<br />
lIalll",J,,,,"'''H und zwischenbetriebliche Zusammenarbeit Die Produktion im<br />
Inland zu halten und die selektive und aktive von l'ivlnnrtF'n in Drittmarkte<br />
scheinen fUr betriebliches Verhalten zumindest wahrend der Jahre<br />
die<br />
zu sein.<br />
Zwei unterschiedliche<br />
1S"'lSC,UUU'01 dem fluB auslandischer Direktinvestitionen<br />
o-rp',rr,pn ersten zeichnet<br />
sich durch den extremen Fall eines kOlmp'letten Verbots solcher Investitionen<br />
wahrend langer<br />
in<br />
verbundenen industriellen und Vl1emme:lSlun,gs<br />
te strikte Kontrollen del' verbundener Importe<br />
urn die Infrastruktur wahrend der »take-off«-Phase seines<br />
Marktes zu schiitzen. Technologie aus u"",,,,.-,u,,,,,,,,,,-,<br />
kontrollierte Lizenzvertrage zu bekommen. Auch Zusatzal)kclmlmen,<br />
t'-'UUH/""U ausgeiibt waren so gestaltet,<br />
daB sie sowohl Lizenznehmer als auch Lizenzgeber betrafen. Sobald diese »jungen«<br />
japanischen Industrien zu erfolgreichen Konkurrenten auf dem Weltmarkt geworden<br />
waren, wurden diese total restriktiven Strategien, oft unter hartem<br />
und<br />
okonomischen Druck yom Ausland, teilweise gelockert.<br />
Zusatzlich zu protektionistischen MaBnahmen, die auf die inlandischen Technologien<br />
und Produktionsentwicklung abzielten, achten die neuen Strategien auch auf die<br />
Anteile am nationalen Markt. Dies zeigt sich in dem vor kurzem entstandenen Konflikt<br />
zwischen GroBbritannien und Japan, bei dem es um die erfolglosen Versuche<br />
von Cable und Wireless Ltd. ging, tiber Auslandsinvestitionen in den japanischen<br />
Telekommunikationsmarkt einzudringen. Auch die EG wurde aufgefordert, Druck<br />
auf Japan auszutiben. Die offensichtliche Frage nach dem Grad des Zugangs der<br />
britischen Cable und Wireless in Frankreich, Westdeutschland oder Holland wurde<br />
hingegen nie Die Antwort hierauf ist selbstredend: Der ~U,5U'"'5<br />
AV'"'"'F,VH industriell entwickelten Landem der EG ist trotz der HHvI",Jl
Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 149<br />
zwischen den Partnem durch ein Schllisseldilemma gekennzeichnet: rascher Zugang<br />
zu bestimmten hochtechnologischen »inputs« in der Hand ausUindischer Tochteruntemehmen<br />
oder »joint ventures« bedeuten gleichzeitig ausUindischen Zutritt zum in<br />
Hindischen Markt. Es ist auBerst nlitzlich, den Problemen, die aus diesem Dilemma<br />
entstehen, nachzugehen. So1che Investitionen und' entsprechende Ubemahmen von<br />
Technologie konnen, ohne die Erganzung eines inlandischen Entwicklungsprogramms,<br />
»( ... ) nur ein Notbehelfund ein Faktor sein, die intemationale Konkurrenzfahigkeit<br />
srnrken zu helfen.«19 Eine wichtige SchluBfolgerung hierzu, die in einer<br />
Publikation des OECD-Sekretariats zu finden ist, hart sich wie eine lateinamerikanische<br />
»dependencia«-Position an: »Die exzessive und fortdauemdeAbhangigkeit<br />
vom Technologie-Transfer amerikanischer und japanischer Firmen konnte die langfristige<br />
Konkurrenzfahigkeit (der entsprechenden hochtechnologischen Produkte<br />
Westeuropas) vermindem.«20<br />
Die technologischen »downstream«-Produktionsprozesse<br />
Was das allgemeine intemationale okonomische Verhalten angeht, so unterscheidet<br />
sich der Fall der »downstream«-Aktivitaten in zwei wichtigen Bereichen von den vorher<br />
analysierten Sachverhalten. .<br />
Als erstes und vor allem was die Zielsetzungen betrifft, verlangt die von den technologisch<br />
flihrenden Landem angestrebte intemationale Arbeitsteilung eine aktive Prasenz<br />
auf Drittmarkten. Die Ausweitung des okonomischen Raums auf eine intemationale<br />
Ebene befahigt sie, aus der Anwendung des neuen »know-how« eine hohere<br />
Rendite zu schopfen. Hierbei geht es sowohl urn Uberlegungen zu Mengen, urn Profite<br />
aus Skalenertragen, sowie urn Angelegenheiten, die das Management und die<br />
Festsetzung von Handelsbedingungen in der Weltwirtschaft betreffen.<br />
pie physische Prasenz von Tochtergesellschaften und anderen vom Ausland kontrollierten<br />
Untemehmen wird zu einer Notwendigkeit, urn, unter den gegebenen<br />
sektoralen Besonderheiten, die erforderliche Durchdringung von Drittmarkten durch<br />
»downstream«-Aktivitaten zu erreichen. Somit werden die Absicherung des »Rechts<br />
auf Niededassung« in anderen Landem und die notigen Bedingungen flir Geschaftsoperationen<br />
flir »downstream«-Aktivitaten zu zentralen institutionellen Zielen bei<br />
der Verwendung der neuen Technologien.<br />
Zieht man allerdings (a) die Besonderheiten wichtiger Segmente der Endverbraucher<br />
(z.B. Regierungsabteilungen und offentliche Gesellschaften mit speziellenAuftragspraktiken)<br />
sowie (b) die sektoralen Merkmale der Produktionsvorgange, in we1chen<br />
die neuen Technologien angewandt werden (insbesondere den Dienstleistungsbereich),<br />
in Betracht, so reicht allein die physische Prasenz eines Untemehmens nicht<br />
aus, den Zutritt zu Drittmarkten zu sichem. GleichermaBen bedeutsam ist die Garantie,<br />
auslandische Gliter, Dienstleistungen, Personal und ahnliche »inputs« wie inlandische<br />
zu behandeln. Der Versuch, Dritte-Welt-Lander zu offnen, geht demnach liber<br />
die traditionellen Schranken von Handels- und Kapitalbewegungen hinaus, indem<br />
auch Entscheidungsprozesse der Untemehmen mit eingeschlossen sind. In Anbe-
150 Constantine v. Vaitsos<br />
tracht der politischen Natur bestimmter nicht-tarWirer Barrieren in relevanten Teilsektoren,<br />
bedeutet der Zugang zu ausHindischen Miirkten auch, bei den Regierungen<br />
der DrittHinder die Voraussetzungen fUr einen entsprechenden EntscheidungsprozeB<br />
zu schaffen.<br />
Aus oben Gesagtem ergeben sich die Argumente fUr einen umfassenden Druck, der<br />
von den technologischen Schrittmachern auf die Gemeinschaft der Weltwirtschaft<br />
ausgetibt wird, urn sich dernotigen institutionellenAnpassungen der Gesetze, Politik,<br />
Entscheidungsprozesse und Praktiken zu versichern, welche alle darauf abzielen, die<br />
Chancen und die Mechanismen fUr die Durchdringung der Miirkte von DrittHindern<br />
zusichern undzu fOrdern;<br />
In den VorschUigen der USA (und nachtraglich auch von Japan) fUr die neue Runde<br />
der mulitlateralen GATT-Verhandlungen ist diese Logik explizit zum Vorschein gekommen.<br />
Sie bestimmt auch bereits unterzeichnete umfassende bilaterale Abkommen<br />
zwischen einzelnen Industrielandern, besondere Ubereinktinfte zwischen Japan<br />
und den USA, und einer Reihe von Entwicklungslandern, aber auch die ganze Philosophie,<br />
die einigen wichtigen nationalen legislativen und politischen Initiativen im<br />
GECD-Bereich zugrunde liegt. Diese Praktiken haben wiederum die Politik wichtiger<br />
multilateraler Finanzinstitutionen, wie der Weltbank, stark beeinfluBt.<br />
Der zweite wichtige Unterschied im Vergleich zum Fall der in den vorhergehenden<br />
Teilen diskutierten »upstream«-Aktivitaten liegt in der Erkenntnis, daB »downstream«-Aktivitaten<br />
nicht auf bestimmte teilsektorale Gebiete beschriinkt sind,<br />
sondern daB sich die neuen Technologien auf einem sehr groBen Spektrum des Produktionssystems<br />
immer weiter verbreiten. Die damit verbundenenAuswirkungen betreffen<br />
das ganze Gebiet traditioneller auslandischer Investitionen und internationaler<br />
Handelsbeziehungen im Gtiter- und Dienstleistungsbereich. Folglich vermischen<br />
sich die, durch den technologischen Wandel eingeleiteten, »flows« von neuen Technologien<br />
mit bereits existierenden und traditionelleren Prozessen und hangen von ihnen<br />
ab (so z.E. die Telematik in Bankgeschiiften, die Informatik in Qualitats- und Inventarkontrollen<br />
bei Textilien, Telekommunikation im Handel und Tourismus, mit<br />
Computern hergestellte Konstruktionen in der Maschinenproduktion, Verarbeitungstechnologie<br />
in der pharmazeutischen und Nahrungsmittelindustrie). Sie sind auch<br />
mit sektoralen und bestimmten strukturellen Anpassungsstrategien fUr die gesamte<br />
Volkswirtschaft verbunden, wie sie von Regierungen in Bereichen, die nicht direkt<br />
mit den neuen Technologien in Bezug stehen, verfolgt werden.<br />
Wiihrend der achtziger Jahre unternahm die US-Regierung eine Reihe wichtiger und<br />
miteinander verkntipfter Initiativen, deren zentrales Ziel es war, die Rolle, die sich<br />
ausweitende Prasenz sowie die okonomische und nicht -okonomische Macht der<br />
transnationalen Firmen in der Weltwirtschaft zu stiirken. Auf multilateraler Ebene<br />
wurden entsprechende politische Ziele als konkrete Vorschliige wiihrend der GATT<br />
Verhandlungen in derUruguay-Runde prasentiert. Eine Anzahl von Ihnen wurde<br />
unter dem allgemeinen Titel Trade-Related-Investment-Measures (TRIMs) veroffentlicht.<br />
Diese Initiativen wurden in einer Terminologie verfaBt, in der es vermieden<br />
wird, aufbestimmte okonomischeAgenten wie die transnationalen Unternehmen di-
Radikale technologische Veranderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 151<br />
rekt Bezug zu nehmen. Stattdessen konzentriert sich die ganze Anstrengung auf die<br />
Rolle des privaten Sektors zur Forderung der und Entwicklung der Weltwirtschaft.<br />
Durch und bestimmter Sektoren der Weltwirtschaft<br />
wird ein verbessertes Investitionsklima - vor aHem fUr technologische<br />
»downstream«-Aktivitaten- angestrebt. Das Ziel des ganzen Bestrebens besteht dar··<br />
das Zentrum fUr Entscheidungsgewalt und strategische Initiativen (fUr<br />
die nationale und weltweite<br />
von Industrie und Dienstleistungen) in den<br />
betrieblichen Raum der transnationalen Untemehmen hineinzuverlegen. Die strate-<br />
Rolle der<br />
als storend "p'·""r'''",'<<br />
Wesen der gegenseitigen Erganzung und der aktiven Symbiose, wie sie zwischen<br />
staatlichen und privaten Initiativen in technologischen »upstream«-Operationen<br />
etabliert wurden, weit entfemt.<br />
DaB die USA besonderen N achdruck auf »fairen« Handel im Unterschied zu» freiem«<br />
Handellegen, zeigen die Aktivitaten der US-Regierung. Mit »fairem Handel« wird<br />
die Besorgnis angesprochen, die aus den enormen US-Ungleichgewichten in den okonomischen<br />
Beziehungen mit anderen IndustrieHindern rlihrt. Der Begriff reflektiert<br />
ferner die Implikationen, die ein stlirkeres multipolares Wirtschaftssystem fUr die<br />
USA und andere Lander nach sich ziehen (einschlieBlich eines Effekts der Verdrangung<br />
einiger Hersteller in spezifischen Produktmarkten, welche durch einige dynamische<br />
Okonomien mit entwickelten Markten, aber auch neu industrialisierten Llindern<br />
eingeleitet wurden).21 Zum anderen weist de~ Nachdruck auf »fairen« Handel<br />
darauf hin, mit welcher Entschiedenheit die US-Regierung bereit ist, tiber traditionelle<br />
GATT-Positionen zu Handelsschranken hinauszugehen. Sie unterstiitzt die 1nstitutionalisierung<br />
von de novo internationalen Regeln in wichtigen strategischen<br />
Bereichen, wie z.B. dem Feld ausHindischer Direktinvestitionen.<br />
Die des Wortes »Handel« istjedoch einexpliziter Hinweis, daB das GATT<br />
System als wichtiges institutionelles Mittel flir Initiativen zu multilateralen Regeln in<br />
Investitionsfragen bevorzugt in Anspruch genommen werden solI. Der Grund hierftir<br />
liegt groBenteils in der Tatsache, daB es innerhalb des GATT-Rahmens die Moglichkeit<br />
internationaler DurchsetzungsmaBnahmen gibt (z.B. obligatorische Beratungen<br />
mit zeitlicher Festlegung zu Durchflihrung, Sanktionen und VergeltungsmaBnahmen).<br />
In anderen multilateralen Abkommen und Verhaltensregeln tiber Direktinvestitionen<br />
und Angelegenheiten des Technologiehandels sind entsprechende Praktiken<br />
nicht zu finden.<br />
In diesen multilateralen Verhandlungen ist die Hauptintention, vor allern der USA und<br />
Japans, den TRIMs-Fall als Startbasis zu benutzen, um ein internationales Investitionsregime<br />
zu schaffen und so die Bedingungen flir eine Durchdringung der Markte<br />
von Drittlandern zu verbessern. 22 Vor dem Hintergrund der Transnationalisierung,<br />
die viele moderne okonomischeAktivitaten erfaBthat, verfolgen die vorgeschlagenen<br />
intemationalen Regeln auf operationeller Ebene zwei Ziele: Erstens soIl das Gleichgewicht<br />
zwischen den Verhandlungspartnem zugunsten der transnationalen Unter-
152 Constantine v. Vaitsos<br />
nehmen und zuungunsten der entwickelten oder unterentwickelten Gastgeberlander<br />
verandert werden. Die Position der Untemehmen wird verstarkt, indem sie ihre eigenen<br />
Zutritts- und Operationsbedingungen diktieren konnen und indem der Verhandlungsspielraum<br />
der Gastgeberlander durch multilaterale Regeln beschrlinkt wird, ohne<br />
daB die entsprechenden Bereiehe der Untemehmensgeschlifte berUhrt wurden."<br />
Somit verandem sieh die Bedingungen des intemationalen Tauschs zugunsten bestimmter<br />
wirtschaftlieher und politischer Akteure in der intemationalen Wirtschaft.<br />
Z weitens durchlochert die Etablierung eines so1chen Investitionsregimes den okonomischen<br />
Raum der nationalen Staaten und verstlirkt die entsprechende untemehmerische<br />
Ebene. In dieser Hinsieht werden nicht nur.Schutz- und Uberwachungsvorgange<br />
emsthaft reduziert, indem die Bedingungen fUr Geschliftsvorgange modifiziert<br />
werden, urn sie den zentralen Entwicklungszielen anzupassen, sondem die gesamte<br />
Rolle der Regierungen fUr die Entwicklung wird durch spezifische intemationale Regeln<br />
beschnitten.<br />
Zusatzlich zu den» TRIMs«-Themen, die oben diskutiert wurden, zielt eine andere<br />
neue Initiative im Kontext der multilateralen Verhandlungen des GATT auf die Liberalisierung<br />
des »Handels mit Dienstleistungen« abo Dieser Sektor stellt einen der<br />
wichtigsten »downstream«-Abnehmer groBer technologischer Neuerungen dar. Er<br />
urnfaBt 40-45 % des Gesamtumfangs an auslandischen Direktinvestitionen der wichtigsten<br />
auslandischen Investitionslander in der Weltwirtschaft. 23<br />
In Anbetracht der Natur und Besonderheiten von Dienstleistungen als produktive<br />
Aktiv~taten, verlangt die Durchdringung auslandischer Markte die expliziteAnerkennung<br />
von Problemen, die fUr diesen Sektor und seine Teilsektoren spezifisch sind. Sie<br />
beziehen sieh auf verschiedene Arten protektionistischer MaBnahmen, die sowohl<br />
von industrialisierten als auch Entwieklungslandem unterschiedlich stark angewandt<br />
werden, urn den Grad der Durchdringung ihrer inlandischen Markte durch auslandische<br />
Untemehmen in verschiedenen Teilsektorendes Dienstleistungsbereiehs zu begrenzen.So1che<br />
MaBnahmen beinhalten:24<br />
a) Bedingungen fUr betriebliehe Niederlassungen (so auch fUr Teile des Bankwesens<br />
und der Versieherungsindustrie),<br />
b) Bedingungen, die mit den Betriebsbedingungen zusammenhangen und vorwiegend<br />
die Kosten fUr die Geschliftstatigkeit betreffen,<br />
c) Bedingungen, die sieh auf Zugang oder GroBe des Geschlifts beziehen (Quoten,<br />
AusschluB von offentliehen Auftragen, Verbot, bestimmte Geschlifte zu tatigen<br />
wie z.B. die Annahme von Spareinlagen fUr auslandische Banken usw.) und<br />
d) MaBnahmen, die nieht primar aufbestimmte Teilsektoren bezogen sind, sondem<br />
fUr das Funktionieren einiger von ihnen zentral sein konnen (z.B. Kontrolle der<br />
Wechselkurse, Personalangelegenheiten, tiber die Grenzen gehende DatenflUsse).<br />
Die vorangehenden Betrachtungen erklaren die umfassende Natur und weitreichenden<br />
Implikationen der Politik vieler entwickelter Okonomien wlihrend der GATT<br />
Verhandlungen, die zum Teil falschlicherweise als Problem der Liberalisierung des<br />
»Handels« mit Dienstleistungen bezeichnet werden. Der ganze Vorgang steht in<br />
scharfem Gegensatz zu den hartenArgumenten fUr die oben angesprochene Eingren-
Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 153<br />
zung der Produktion und der p".nV"'UU'HW Positionen bei »mn
154 Remco van Capelleveen<br />
Reihe wichtiger Fragen des intellektuellen Eigentums entschieden werden mtissen. In<br />
einer Zeitspanne von vielleicht ein paar Jahren werden diese Initiativen ziemlich<br />
sicher die intemationalen Wirtschaftsbeziehungen flir alte und neue Aktivitaten in<br />
diesem Bereich neu definieren. Die daraus sich ergebenden Anderungen werden entsprechende<br />
Geschliftspraktiken, insbesondere die der transnationalen Gesellschaft,<br />
auf Jahrzehnte hinaus beeinflussen.<br />
Die USA behalten in bezug auf diese neuen institutionellen und strategischen Initiativen<br />
die unbestrittene Flihrung in verschiedenen Bereichen, die bereits die nationale<br />
Gesetzgebung in einigen anderen entwickelten MarktOkonomien (wie Japan und<br />
Frankreich), aber auch einigen weniger entwickelten Landern, (wie Brasilien und<br />
Siidkorea) beeinfluBt haben. Die Grundgedankeil dieser Initiativen bahnen sich nun<br />
ihren Weg auf multilaterale Foren, insbesondere seit der neuen Runde der GATT-Verhandlungen.<br />
Innerhalb einer Periode von weniger als flinf Jahren fiihrten die USA eine Sperre ein,<br />
die aus wichtigen, invieler Hinsicht grundlegend neuen, nationalen, legalen und institutionellen<br />
MaBnahmen besteht, die sich auf den ganzen Bereich intellektueller Eigentumsangelegenheiten<br />
erstrecken. Einige von ihnen kollidieren mit der von den<br />
USA tiber Jahrzehnte hinweg verfolgten Politik, wlihrend andere vollig neue Dimensionen<br />
und Sichtweisen hinzufiigen. Solche Initiativen schlieBen ein:<br />
a) die 1980 erfolgte Novellierung der »CopyrightAct« von 1976, in der flir die Software<br />
explizit der Schutz des Urheberrechts eingefiihrt wird;26<br />
b) die »Semiconductor Chip Protection Act« von 1984, wo in Abschnitt 902 eine zentrale<br />
»Gegenseitigkeits-Klausel« eingefiihrt wird, die im Gegensatz zum Prinzip<br />
der »nationalen Behandlung« steht, wie sie auf andere US- und multilaterale Vorgauge<br />
angewandt wird;<br />
c) die »Intemational Software Protection Act« von 1985, die ebenfalls eine Gegenseitigkeitsklausel<br />
enthalt.<br />
Abgesehen von technischen Besonderheiten folgt die Gesetzgebung dem umfassenden<br />
politischen Rahmen, dfr durch die» US Trade and Tariff Act« sowie die» National<br />
Productivity and Innovation Act« 1984 gesetzt wurde. Dieses Paket beeindruckender<br />
und einzigartig integrierter Strategien der USA stellt die Grundlage fUr die gegenwartigen<br />
multilateralen Initiativen dar.<br />
Der gegenwlirtige radikale technologische Wandel ruft auBerst komplexe okonomische<br />
Folgen hervor, die zweifellos ein Labyrinth von Fachausdriicken und Sachkenntnissen<br />
im System intellektuellen Eigentums nach sich ziehen werden. Es ist jedoch<br />
notig, die wesentlichen Probleme zu verstehen, urn die unterschiedliche Angemessenheit<br />
der entstehenden neuen Institutionen und Geschaftspraktiken beurteilen zu<br />
konnen. Die technologischen Schrittmacher bauen in diesem Bereich ein System mit<br />
vier Schichten auf:<br />
(a) In Anbetracht des erhOhten Wertes, der auf Information und Wissen in allen Bereichen<br />
gegenwlirtigen Lebens gelegt wird, wird als Hauptziel die Absicherung eines<br />
weitest moglichen Spektrums verschiedener kognitiver Elemente mit dem Netz der<br />
Eigentumsrechte verfolgt und zwar mit zivilen, aber in bestimmten Fallen sogar kri-
Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« del' Weltwirtschaft 155<br />
minellen Mitteln. Es wird nach effektivenjuristischen und administrativen Verfahren<br />
urn die Verhaltensstandards solcher Eigentumsnutzung<br />
tions- und Wissenselemente zu definieren und z~ kontrollieren. Ein groBes Dilemma<br />
ergibt sich aus der N otwendigkeit der UnterstUtzung und Forderung von Investitionen<br />
HU.UUHS''-d auf der einen<br />
flir die Verbreitung von neuartigem »know-how« auf der anderen.<br />
Die neuen Schli.isselbereiche, in denen Monopolprivilegien durch intellektuelle Eigentumsrechte<br />
werden, betretten<br />
erweiterte UrhcberrechtsMaBnahmen zum Schutz von<br />
Datenbanken<br />
und ahnlichen funktionalen ITH,'),.n,,,<br />
sui Schutz<br />
vieler Aktivitaten von verarbeitenden Endverbrauchem beeinfluBt,<br />
Patentschutz in biotechnologischen Prozessen und Produkten, einschlieBlich Mikroorganismen<br />
sowie ein erweiterter Schutz flir pharmazeutische und<br />
sche Prozesse und Produkte und<br />
Schutz von Handelsgeheimnissen durch die Ausweitung von Eigentumsrechten in<br />
einer Vielzahl anderer technischer und betrieblicher Informationsbereiche.<br />
(b) Ein zentrales Merkmal des sich entwickelnden Systems besteht darin, die zivilrechtlichen<br />
Mittel auszudehnen und urn Elemente del' inlandischen Handelsgesetze<br />
und Grenzkontrollen zu erweitem. Da es ein zentrales Ziel der Technologiebesitzer<br />
ist, die intemationale Verteilung wichtiger okonomischer Aktivitaten institutionell zu<br />
beeinflussen und zu kontrollieren, \vird der beabsichtigte Schutz nicht nur an der<br />
»Quelle« (d.h. am Ort der Produktion), sondern auch auf der Ebene des intemationalen»<br />
Verbrauchs« (z.B. Importe in »Dritt«-Lander) gesucht.<br />
(c) Die dritte Schicht der Struhur des neuen Systems beinhaltet eine neue Ausstattung<br />
mit Durchsetzungsmechanismen, die in die amerikanische Gesetzesstruktur<br />
(durch oben genannte Gegenseitigkeitsklauseln) eingeflihrt wurden und dabei sind,<br />
durch spezielle neue Mechanismen in den international en Instrumentenkasten aufgenommen<br />
zu werden. Dazu gehoren Vorschlage, die Erfiillung von Vertragen abzusichern<br />
durch:<br />
Verfahren zur Beilegung von<br />
Streitflillen<br />
sanktionierte<br />
im von anderen Produkten<br />
und Dienstleistungen zu bestimmten Markten mit der Bedingung flir »verbesserte<br />
Verhaltensstandards« von Drittlandem flir intellektuelles Eigentum verbindet.<br />
Die letzte wichtige Schicht bezieht sich auf eine neue Betrachtungsweise relevanter<br />
Antimonopol- und Antitrust-Praktiken, welche auf intellektuelle .w~C'Vl1'Ul.U'Yangewandt<br />
werden konnen. Wiihrend der Jahre haben besonders<br />
in der<br />
und -Praxis wichtige Veranderungen in Richtung<br />
auf eine bedeutende Reduktion von Konfliktfeldern zwischen Antitrust-Praktiken<br />
und intellektuellen Eigentumsprivilegien stattgefunden. Dieser Wandel in strategischenAngelegenheiten<br />
und zentralenAntimonopol-Prinzipien zielt auf eine Verstarkung<br />
der Rechte der Technologiebesitzer und ihrer Verkaufs- und Nutzungsbedingungen<br />
abo
156 Constantine v. Vaitsos<br />
Abschlie8ende Hejmerklllnl~en<br />
Die gegenwiirtige in steHt in auf international<br />
vereinbarte Normen und okonomisches Verhalten eine neue historische Phase in der<br />
Weltwirtschaft dar. In dieser Phase wird<br />
und Sanktionen<br />
flir die Nichterfiillung<br />
auf eine Reihe neuer Gebiete auszudehnen.<br />
Die<br />
Griinde flir die multilateralen Initiativen auf diesen neuen Gebieten<br />
der von einer industriellen<br />
in<br />
reifen rec:nnOH)glscflen Industrien bewirkt besonders in Zeiten okonomischer<br />
Krise und/oder langsamen Wachstums,<br />
die fundamentalen und strukturellen Veranderungen, die weltweit durch die fadikalen<br />
technologischen Innovationen in der Produktionsstruktur hervorgerufen<br />
wurden und<br />
(iii) die von der US-Administration wahrend des letzten lahrzehnts gefilliten politischen<br />
Entscheidungen und politOkonomischen Initiativen. Die Hauptsorge der<br />
USA galt der Notwendigkeit, die relative Position ihrer Volkswirtschaft im weltweiten<br />
Kontext erneut zu behaupten, besonders inAnbetracht wachsenderTrends<br />
in Richtung okonomische Multipolaritat, die vor aHem auflangfristig hOhere Produktivitatsraten<br />
in anderen entwickelten Marktwirtschaften und der daraus resultierenden<br />
ernsthaften Konkurrenzbedrohung der okonomischen und anderen Interessen<br />
der USA zuruckzuftihren sind.<br />
Die den meisten Problemen zugrundeliegenden Spannungen beziehen sich weit mehr<br />
auf »Nord-Nord«- denn auf »Nord-Siid«-Konflikte. Trotzdem wird die Beilegung<br />
dieser Konflikte unter bestimmten institutionellen Ubereinkiinften die Interessen der<br />
Entwicklungslander signifikant beeinflussen. Wie es schon in friiheren Perioden geschah,<br />
deren Merkmal die grundlegende<br />
von<br />
war, werden Technologie und Politik die Basis und das Funktionieren der Weltwirtschaft<br />
verandem.<br />
1 Fur die Computerindustrie in den USA, Europa und Japan vgl. Flamm (1987).<br />
2 Zu den Implikationen fill die Entwicklungslander vgl. Perez (1985).<br />
3 S. Vaitsos (1986).<br />
4 VgL z.B. OECD (l984a) und OECD (l985a).<br />
5 Vgl. Rodriguez Mendoza (1986).<br />
6 Vgl. zum Thema »leading industries« Nelson (1984) S. <strong>74</strong> ff.<br />
7 Zu »transformative technologies« vgL Cohen/Zysman (1987).<br />
8 Wenn keine andere Angabe erfolgt, stammen die Daten fill diesen Teil aus OECD (1985b).<br />
9 Fur Referenzen fur spezifische Sektoren, vgl. verschiedene Studien, die yom OECD-Sekretariat im<br />
ganzen Breich der Hochtechnologie, insbesondere der »Halbleiterindustrie« (1984b), der »Raum-
Radikale technologische Veranderungen und die neue »Ordnung« del' Weltwirtschaft 157<br />
fahrtindustrie« (l985c) der »pharmazeutischen Industrie« (1984c) und der »Maschinenwerkzeugindustrie«<br />
(1984d) durchgefilhrt wurden.<br />
10 S. OECD (l985b) S. 34.<br />
11 Das US-Militiirbudget betrug 1970 nur die Halfte des NASA-Budgets. In den friihen achtziger Jahren<br />
hatte es dieses jedoch betrachtlich liberholt (vgL OECD 1985a). Dariiber hinaus ist das US-Verteidigungsministerium<br />
die wichtigste Quelle filr Forschungs- und Entwicklungsgelder fliT die amerikanische<br />
Telekommunikationsindustrie (vgl. unter anderem Savage/Catoe /Caughran 1983).<br />
12 In def Halbleiterproduktion waren filr die Herstellung von elektronischen Mikroplattchen 100000 $<br />
- 500000 $ als Minimalinvestition am Ende der sechziger Jahre erforderlich. 1978 lag die entsprechende<br />
Summe bei 10 Mill. Dollar, wahrend die Gesamtinvestition fijr die Fertigungsanlagen 198260<br />
Mill. Dollar liberstiegen, vgl. Truel (o.D.).<br />
13 Financial Times, 1. Mai, 1987.<br />
14 S. O'Connor (1987).<br />
15 s. »R&D Scoreboard«, in: Business Week, 1982 and 1983.<br />
16 S. entsprechende Hinweise in Herald Tribune, 4.10.87, S. 11 und Financial Times, 10.8.86.<br />
17 S. OECD (l984d) S. 25.<br />
18 S. UN-CTC (1983) S. 207 ff.<br />
19 s. OECD (1984a) S. 59.<br />
20 Idem S. 61.<br />
21 Innerhalb des GATT betraf die erste Initiative auf diesem Gebiet einen Konflikt zwischen den USA<br />
und Kanada. Vgl. GATT (1984).<br />
22 Die Positionen der USA und Japans konzentrieren sich auf drei mit dem Handel verbundene Gebiete<br />
von Investition'smaBnahmen, in welchen Handlungen der gastgebenden Regierungen als mit den<br />
intemationalen Regeln unvereinbar betrachtet werden:<br />
A. F orderungen fur lokale Beschrankungen (anwendbar auf verschiedene Produktions- und V erkaufseinrichtungen,<br />
Handelsausgleich, Stammaktien, Praktiken der Technologie-Vermarktung,<br />
verschiedene Lizenzabkommen, Strategien filr Geschaftsanreize, Angelegenheiten der<br />
Zahlungsbilanz, Restriktionen flir Geldliberweisungen, usw.), welche direkt, indirekt oder<br />
sogar potentiell den Verkauf oder Gebrauch importierter Produkte begrenzen.<br />
B. Produktions- und Verkaufsforderungen, welche die Fahigkeit anderer Lander beschranken, in<br />
ein flir bestimmte auslandische Investitionen und/oder Technologieunternehmungen offenes<br />
Gastgeberland zu exportieren.<br />
C. Forderungen, die sich auf Handel, Technologie und Lizenzen, diverse Produktion, Aktien und<br />
Geldliberweisungen beziehen sowie Strategien flir Geschaftsanreize, welche einen steigenden<br />
Export aus den Gastgeberlandern »erzwingen«.<br />
S. Multilateral Trade Negotiations, Uruguay Runde, GATT (1987a und 1987b).<br />
23 S. UN-CTC (1987).<br />
24 S. Marwick (1986).<br />
25 S. Office of TEchnology Assessment (1985). Flir eine Analyse vom Standpunkt der Entwicklungslander<br />
aus, s. Borges Bardosa (1987).<br />
26 Flir vorbereitende Kommentar zu dieser Initiative s. Kolle (1977).<br />
Literai'uT<br />
Borges Bardosa, Denis, The Intellectual Property System, Brasilia, 1987, Vortrag, gehaJten bei der SELA<br />
Konferenz in Caracas liber »The World Economy and Latin American Development: Problems and<br />
Prospects«, 1987.<br />
Business Week, R&D Scoreboard, 1982 und 1983.<br />
Cohen, S.S. und J. Zysman, Manufacturing Matters: The Myth of the Post-Industrial Economy (Basic<br />
Books: New York) 1987.<br />
Financial Times, 10.8.86.<br />
Financial Times, 01.8.87
158<br />
Flamm, K., Targeting The Computer: Government Support and International Competition (The Brookings<br />
Institution: Washipgton, D.C.) 1987.<br />
GATT, Special Planel Report, L/5504 und BISD/30S/140, Genf, 7. Februar 1984.<br />
GATT Secretariat, Submission by the United States,<br />
MTN/GNG/NG12/W/4, Genf, 11. Juni, 1987a.<br />
GATT Secretariat, Submission by the Japanese Government, MTN/GNG/NG 12/W/7, 23. Juni 1987b.<br />
Herald Tribune, 4.10.87, S. 11.<br />
Kolle, Computer Software Protection: Present Situation and Future Prospects, in: Copyright, No. 13,<br />
1977.<br />
Marwick, Peat, A Typology of Barriers to Trade in Services, mimeo, Juli, 1986.<br />
Nelson, R., High-technology Policies: afive nation comparison, (American Enterprise Institute for Public<br />
Policy Research: Washington D.C. and London) 1984.<br />
O'Connor, C.C., Changing Patterns of International Production in the Semiconductor Industry: The Role<br />
of Transnational Corporations, mirn., Mai, 1983.<br />
OECD, Trade in High-Technology Products in the Semi-conductor Industry: Industrial Structures and<br />
Government Policies, Secretariat, Paris, Mai, 1984a.<br />
OECD, Semiconductor Industry, Secretariat, DSTI/SPR/83.104, Paris, 9. Mai 1984b.<br />
OECD, Pharmaceutical Industry, Secretariat, DSTI/SPR/83.10l, Paris, 15. Marz, 1984c.<br />
OECD, Machine Tool Industry, Secretariat, DSTI/SPR/83.102, Paris, 22. Marz 1984d.<br />
OECD, Trade in High-Technology Products: The Space Products Industry, Secretariat, Paris, Marz<br />
J985a.<br />
OECD, An Initial Contribution to the Statistical Analysis of Trade Patterns in High Technology Products,<br />
Directorate for Science, Technology and Industry, DSTI/SPR/84.66 and IND/84.60, Paris, 30. Januar<br />
1985b.<br />
OECD, Space Products Industry, Secretariat, DSTI/SPR/83.32, Paris, Marz 6 J985c.<br />
Office of Technology Assessment, Intellectual Property Rights in anAge of Electronics and Information,<br />
U.S. Congress,<br />
Perez, Carlota, Microelectronics, Long Waves and World Structural Change: New Perspectives for<br />
Developing Countries, in: World Development, Marz 1985,44-463.<br />
Rodriguez Mendoza, M., Lating America and the U.S. Trade and Tariff Act, in: Journal of World Trade<br />
Law, Vol. 20, No.1, Jan./Feb., 1986.<br />
Savage, M., C. Catoe und P.M. Canghran, Manned Space Station Relevance to Commercial Televommunicatiol1<br />
Satellites: A Prospectus to Year 2000, AIAA/NASA Symposium, Arlington, Virginia, Juli,<br />
1983.<br />
Truel, J.L.,L 'industrie mondiale des semi-conducteurs, These de Troisieme Cycle, Universite de paris IX.<br />
UN-CTC, Transnational Corporations in the Semi-conductor Industry, New York, 1983.<br />
UN-CTC, Role of transnationale corporations in services, including transborder data flows, e/C.lO/<br />
1987/11, New York, 26. Januar 1987.<br />
Vaitsos, Constantine V., Transnational rendering fo services, national development and the role of<br />
TNCs, Special Paper UNDP/UNCTAD/ECLA Project (RLA/82/0l2/, Genf, Mai, 1986.
159<br />
Zu den Autoren<br />
A. Markovits lehrt Politologie am »Center for European Studies« in Harvard.<br />
Robert Guttmann lehrt Okonomie an der Hofstra University in New York.<br />
Remco· van Capelleveen lehrt am John F. Kennedy Institut der Freien Universitat<br />
Berlin.<br />
Horst Heitmann ist Politologe und Doktorand am Otto-Stlhrclnstitut derFreien<br />
Universitat Berlin.<br />
Christoph Scherrer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Otto-Suhr-Institut der<br />
Freien Universitat Berlin.<br />
Constantine v. Vaitsos lehrt an der Universitat von Athen und ist langjiihriger Berater<br />
unterschiedlicher UN -Organisationen.
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