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Volltext Prokla 74

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19. Jahrgang . Marz 1989 . A 20275 F<br />

PROKLA <strong>74</strong><br />

Zeitschrift fiir politische Okonomie<br />

und sozialistische Politik<br />

PROKLA Redaktion . Pladoyer filr einen linken Antiamerikanismus<br />

Andrei S. Markovits . Die Prasidentschaftswahlen 1988<br />

Robert Guttmann· Der US-Finanzmarkt<br />

Remco van Capellevon . »Dritte Welt« Migration in die USA<br />

Horst Heitmann· Reagans Politik in Nicaragua<br />

Christoph Scherrer' US-Stahl - und Autoindustrie auf neuen Wegen<br />

Constantine V. Vaitsos . Neue Technologien lind die Weltwirtschaft<br />

Rotbuch Verlag


<strong>Prokla</strong> <strong>74</strong> 19. 1989 Nr. 1<br />

Redaktion: Elmar Altvater, Heiner Ganf3mann, Michael Heinrich, Kurt Hubner, Birgit MahnkoJ!f<br />

(geschaftsfiihrend), Dirk Messner, Gerald Wolf:<br />

Die <strong>Prokla</strong> erscheint regelmiiBig mit vier Nummem im lahr, Gesamtumfang 640 Seiten jiihrlich. Jedes<br />

Heft kostet im lahresabonncment 3.-, im Einzelverkauf 16,-. Abonnement tiber cine Buchhandlung<br />

oder tiber den Verlag, Wenn Sic tiber den Verlag abonnieren. erhalten Sie von einer Versandbuchhandlung,<br />

die mit dem Verlag kooperiert, eine Vorausrechnung fiir die niichsten Hefte (52,- DM plus Porto).<br />

Nach Bezahlung erhalten Sie die Hefte jeweils soforl nach Erscheincn zugeschickt.<br />

Verlagsadresse: Rotbuch Verlag GmbH, Postdamer Str. 98,1000 Berlin 30, Telefon 030/261 II 96 (den<br />

Verlag und Vertrieb filr alle frUheren Hefle; <strong>Prokla</strong> 1-21, hat der Verlag OBe & Wolter, Postfach 4310.<br />

lOOO Berlin 30 Ubernommen.)<br />

Redaktionsadresse: Postfach 100529, lOOO Berlin 10, Telefon 030/336 18 85<br />

Die Redaktion Hidt zur Einsendung von Manuskripten ein, Bitte Rtickporto beilegen. Eine Haftung kann<br />

nicht iibernommen werden.<br />

<strong>Prokla</strong><br />

- erscheint einmal vierteljahrlich<br />

wird herausgegeben von der »Vereinigung zur Krilik del' politis chen Okonomie e.V.«, die jahrlich in<br />

ihrer Vollversammlung die Redaktion der Zeitschrift wiihlt<br />

- presserechtlich verantwortlich fUr diese Nummer: Birgit Mahnkopf, Kurt I-fiibner<br />

© 1988 Rotbuch Verlag Berlin. Aile Rechte, auch das der<br />

Satz: Montania GmbH, Dortmund - Druck: CARO Druck, Frankfurt<br />

ISBN 3-88022-5<strong>74</strong>-5<br />

vorbehalten<br />

Beilagenhinweis: Dieser Ausgabe liegen Prospekte des Rotbuch Verlages und des Kirschkern-Buchversandes<br />

bei.


<strong>Prokla</strong>-Redaktion: Editorial<br />

Andrei S. Markovits: Die Prasidentschaftswahl1988:<br />

Eine Skizze ........................................................................................ 11<br />

Robert Guttmann: Der Strukturwandel des amerikanischen ...... 32<br />

Remco van nnPII'''lH'PYI' Give me your your poor, and your<br />

huddled masses? »Dritte Welt«-Migration in die USA ..................................... 55<br />

Horst Heitmann: Reagans Politik gegeniiber Nicaragua ..................................... 83<br />

Christoph Scherrer: Die US-Auto- und Stahlindustrie auf der Suche<br />

nach dem Goldenen Vlies der Wettbewerbsfahigkeit ........................................ 109<br />

Constantine v. Vaitsos: Radikale technologische Vel'anderungen<br />

und die neue del' Weltwirtschaft.. ...... , ................................................. 134<br />

Autorenverzeichnis ............................................................................................. 159


2<br />

Wlihrend die 6. Flotte im Mittelmeer auf Weise fUr geht in<br />

ein urn, das des Antiamerikanismus. Inzwischen soH es<br />

sogar eine linke Variante des<br />

abwohl Antiamerikanismus an sich<br />

schon etwas Kurioses ist. 1m<br />

zu anderen Ismen und ihren Antipoden<br />

bezieht er sich vom N amen her auf einen scheinbar rliumlich, aber ansonsten schlecht<br />

definierten Gegenstand. Das »Amerika« imAntiamerikanismus bezieht sich nicht auf<br />

das geographische Objekt, den Kontinent, sondem auf die USA. Antiamerikanismus<br />

richtet sich gegen deren Politik und den American way of life, an sich und als Exportartikel.<br />

Castro sind in diesem SinneAntiamerikaner, obwohlAmerigo<br />

Vespucci nicht am Plymouth Rock gelandet ist. Castro und Ortega haben das Pech,<br />

sich als Politiker mit Souverlinitlitsanspruch in Regionen zu betlitigen, die die USA<br />

schlicht rus ihren Besitz definiert haben: »our backyard«. So werden Lateinamerikaner<br />

zuAntiamerikanem. Was janur heiBen kann, daB sie keineAmerikaner sind, selbst<br />

wenn sie Baseballmlitzen tragen und Basketball spielen. Offenbar geht es bei der<br />

Nicht-Anerkennung als Amerikaner nicht nur urn das Wohngebiet oder Eigenheiten<br />

des Lebensstils, sondern urn die Aberkennung der politischen Souveranitat. Durch<br />

wen? Dureh die Amerikaner nattirlich.<br />

Wie aber werden dann Bundesdeutsche zu Antiamerikanern? Der Vergleich mit Kubanern<br />

oder Nicaraguanern zeigt, daB die Bundesdeutschen in h6herem AusmaB<br />

Amerikaner sind als viele »bedauemswerte« Lateinamerikaner. Zwar nicht vom<br />

Wohngebiet her, auch wenn das mane her vergiBt, wenn er mit allradgetriebenem Jeep<br />

Marlboro-rauchend tiber einen westdeutsehen GroBstadtboulevard<br />

Music hart und von Monument Valley trliumt. Wohl aber was die politische Souveranitlit<br />

angeht: Kein kein Stroessner, kein Somoza, statt dessen freie Wahlen,<br />

Wenn wir es, obsehon als<br />

geschafft haben, fast so amerikanisch wie die Amerikaner zu woher dann der<br />

Antiamerikanismus?<br />

»Amerika, du hast es besser« - solange dieser Seufzer geplagter Alteuroplier deren<br />

politische Orientierung bestimmt, flillt es sich in den US-amerikanischer<br />

Politik einzuordnen: man will was die vorgeblich schon<br />

haben, und glaubt es zu bekommen durch Teilhabe am Unternehmen USA. Bei naherer<br />

Kenntnis dieses Unternehmens aber schwindet die<br />

daB sieh dureh<br />

Adaption bzw. Adoption des American way of life die eigene Lebensweise wirklich<br />

verbessern lieBe. Das Empire hat sein Zentrum. Wir sitzen unweigerlich an der Peripherie.<br />

Das Empire schreibt der Peripherie eine bestimmte Rolle bei seiner Bestandserhaltung/erweiterung<br />

zu. Man kann sie akzeptieren und dafUr ein Honorara erwar-


Editorial 3<br />

ten. Wir konnen sie negieren und mtissen daftir mit Sanktionen rechnen. Der Schwanz<br />

kann aber nieht mit dem Hund wackeln.<br />

Vielleicht liegt in der Erkenntnis dieser Differenz zumindest eine QueUe des bundesdeutschen<br />

Antiamerikanismus? Er ware dann nieht, wie bei den Lateinamerikanem,<br />

Ergebnis der Aberkennung, sondem der Beobachtung der durch die USA gesetzten<br />

Grenzen der eigenen, nieht nur politischen Souveranitiit. Politisch gehOren wir Bundesdeutsche<br />

zu den »friends and allies« der USA. DaB es sieh dabei nicht urn die Rolle<br />

eines gleiehberechtigten Partners handelt, zeigt nieht nur die (Griindungs-)Geschichte<br />

der Bundesrepublik, sondem schon die simple Tatsache, daB die USA hier<br />

ABC-Waffen stationiert haben, tiber die im Emstfall die USA und niemand sonst verfUgen.<br />

Wenn es in diesem Sinne Souveranitatsdefizite der Bundesrepublik gibt und<br />

wenn der Antiamerikanismus eine Begleiterscheinung des Strebens nach nationaler<br />

politischer Souveranitat ist, was ware dann so schlimm daran? Warum wird er (von<br />

wem?) als moralisch zu miBbilligende Einstellung gehandelt?<br />

Neben der begrenzten politischen Souveranitat gibt es eine weitere, wiehtigeDimension,<br />

in der demAmerikanischwerden der Bundesrepublik Grenzen gesetzt sind, die<br />

deshalb zu einer QueUe von Antiamerikanismus werden kann. Der American way of<br />

life ist - entgegen allen Nachahmungsversuchen - nieht universell nachlebbar. 1m<br />

Grunde handelt es sich, wie der US-amerikanische Historiker w'A. Williams formuliert<br />

hat, um »empire as a way of life«: das Ergebnis der Unfiihig- oder Unwilligkeit,<br />

im Rahmen seiner eigenen Mittel zu leben. Alltagsleben und Politik in den USA sind<br />

dernnach gepragt durch eine grundsatzlich vorwiirts blickende, expansive, progressive,<br />

ehrgeizige, am Modell des individualistischen Pioniers orientierte Haltung. Deren<br />

SchOnheitsfehler bestehen in der Unfahigkeit, aus der eigenen Geschiehte zu lemen<br />

(kein Wunder, daB die Neu-Deutschen hier ihre Vorbilder suchen), in der Unfiihigkeit,<br />

mit den eigenen Mitteln auszukommen, und in der Unfiihigkeit, etwas anderes als den<br />

American way of life sieh tiberhaupt vorzustellen, geschweige denn zu akzeptieren.<br />

Aber der American way of life wird erstermoglicht durch die imperiale Position der<br />

USA, zu der nieht nur die militiirische und okonomische Fiihrungsrolle gehOren.<br />

Diese selbst wird durch immense natiirliche Ressourcen gestiitzt, wahrend der natiirliche,<br />

erarbeitete und eroberte Reiehtum der USA wiederum schier endlose Strome<br />

von hoffnungsfrohen, ehrgeizigen und arbeitswilligen Einwanderem angelockt hat<br />

und anlockt. Sie wollen fUr sich den A~erican dream verwirkliehen. DaB sie inzwischen<br />

mehr und mehr zu dessen Gefangenen geworden sind (M. Davis), zeigt<br />

schon innerhalb der USA selbst, daB der American way of life fUr den Rest derWelt<br />

nicht nachvollziehbar ist. Die Enttauschung dariiber fUhrt zu Distanzierung und<br />

Kritik. Wenn das eine zweite QueUe des Antiamerianismus ist, warum ware er dann<br />

verwerflich?<br />

Problematisch wird der Antiamerikanismus wohl vor allem dann, wenn er seine<br />

Wurzeln nieht in der in vielerlei Hinsieht berechtigten Distanzierung von dem<br />

Unternehmen USA hat, sondem in dem (versteckten) Wunsch, selbst die hegemonia­<br />

Ie, imperiale Stellung der Amerikaner einzunehmen und fiir sieh selbst den American<br />

way of life zu verwirklichen. Der (behauptete) Antiamerikanismus der Linken laBt


PROKLA-Redaktion<br />

sich jedoch kaum auf<br />

Geltiste zurtickflihren. Kann er dennoch aus<br />

einer Art Neid !!e[)onm sein? Auf jeden Fall kann er sich gegen falsche Objekte<br />

richten.<br />

Ob es sich um einen Fall von Neid handelt, laBt sich durch eine Verstandigung dartiber<br />

klaren, was den American way oflife so attraktiv macht. Neben Reichtum,<br />

»coolness & cuteness« (F. dtirfte die demokratische AHtagskultur eine der<br />

Hauptattraktionen ausmachen. Attraktionen solI ten jedoch nicht blind machen gegentiber<br />

ihrer Kehrseite. Zum Reichtum gehOren<br />

und Verschwendung, zu<br />

»coolness & cuteness« und zur demokratischen Alldie<br />

und mitunter abenteuerliche Militiir-<br />

AuBenpolitik. Aber auch in dieser kann man tibertreiben. Lauft ein bundesdeutscher<br />

linker Antiamerikanismus Gefahr, sich auf falsche Objekte zu richten, Kinder<br />

mit dem Bade auszuschtitten?<br />

Wie erfrischend und vorbildlich erscheinen im Vergleich zu den deutschen Gesinnungstraditionen<br />

der autorWiren StaatsgHiubigkeit und Gemeinschaftsduselei der<br />

Antietatismus und Individualismus der Amerikaner, die Selbstverstandlichkeit des<br />

gleichberechtigten Umgangs miteinander, die politsche Mobilisierungsfiihigkeit an<br />

den »grass roots«, etwa in der Btirgerrechtsbewegung, die Moglichkeit, immer wiedereineArtAufbruchstimmung<br />

zu erzeugen. Dabei geht es nicht so sehr um den Staat<br />

und seine demokratische Gestaltung in bestimmten Institutionen als um die Mikroebene<br />

des Alltagslebens. Diese Mikroebene wird traditionsgemaB als ein staatsfreier,<br />

wenngleich nicht unpolitischer Raum angezielt.<br />

DaB es solche Riiume in den usA (noch) gibt, oder in einem anderen MaBe gibt als<br />

gerade in Deutschland, darin liegt wohl nach wie vor die Faszination des American<br />

way of life. Denn die Amerikaner interessieren sich nicht sonderlich flir den Staat. Sie<br />

sind von rechts bis links antietatistisch eingestellt, gegen Blirokratie und jegliche<br />

Form von staatlicher Einmischung in »ihre« Angelegenheiten. Gleichwohl hat die<br />

insofem sie z.B. die<br />

demokratische<br />

lokaler Selbstverwaltungsaufgaben, die Beteiligung<br />

an Basisaktivitaten aller Art beinhaltet. greift der abgesehen vom Notigsten<br />

(Steuem, Militiir), kaum in diese Privatsphiire ein. Das Motto flir dieses AraUl~'All'vj'H<br />

konnte in der Tat lauten: der Staat hiilt sich aus unseren<br />

hemus, und wir halten uns aus seinen Angelegenheiten hemus (auBer denen, die uns<br />

unmittelbar angehen). In der demokratisch angereicherten Privatsphare werden, so<br />

scheint es, die politischen Energien absorbiert. Das hat dann zur Folge, daB die sag.<br />

hoheren Ebenen der Politik, insbesondere<br />

den Politikem iiberlassen<br />

bleiben.<br />

Die Amerikaner selbst sind mit dieser Konstellation: Privatpolitik an der Basis, Staat<br />

als fremde<br />

Die Attraktivitat des American way<br />

oflife hat jedenfalls sicher viel mit dem geringen Grad an Durchstaatlichung des Alltagslebens<br />

zu tun. Die spannende ist, wie diese Binnenverhaltnisse mit der imperialen<br />

AuBenprojektion der US-Gesellschaft zusammenhangen.<br />

Von Cecil Rhodes (1853-1902) stammt der Ausspruch: »Man muB Imperialist sein,


Editorial 5<br />

um den Btirgerkrieg zu vermeiden«. Demnach ware die Weltmacht- und Weltmarktrolle<br />

der USA ein Mittel, die internen Konflikte so klein zu halten, daB sie mit demokratischen<br />

Mitteln abgearbeitet werden konnen. Dieser Gedanke mag richtig sein. Er<br />

erkliirt uns aber nicht, wie die Entkopplung zweier politischer Spharen, von Alltagsbzw.<br />

Basisdemokratie und Staat, moglich ist, die wiederum die imperiale AuBenrolle<br />

der USA ermoglicht.<br />

Wie auch immer diese Entkopplung erkliirt werden kann, als Tatsache ist sie wichtig<br />

ftir die Einschiitzung des Antiamerikanismus. Weil im Antiamerikanismus insbesonderedie<br />

imperiale Rolle der US-Gesellschaft hervorgehoben,die demokratischen<br />

BinnenverhaItnissehingegen vernachlassigt werden, kann er leicht alsFehlwahrnehmung,<br />

Einseitigkeit usw., kritisiert werden. Ftir all diejenigen, die nicht in den USA<br />

leben, ist jedoch die flir den Antiamerikanismus charakteristische (und vielleicht konstitutive)<br />

Abstraktion von den Binnenverhaltnissen durchaus legitim.<br />

Einerseits hat das mit der einfachen Tatsache zu tun, daB man als Nichtamerikaner<br />

unweigerlich in die Umwelt der US-Gesellschaft gehOrt, deshalb von ihr in der Form<br />

von AuBenrelationen, AuBendarstellungen betroffen ist. Andererseits vollzieht man<br />

mit der Behandlung der US-Gesellschaft als einer »black box« nur jene Entkopplung<br />

nach, die ftir diese Gesellschaft charakteristisch ist.<br />

Deshalb kann man mit einigem Recht davon abstrahieren, wie die US-Amerikaner<br />

leben, wie sie »wirklich« sind. Nicht, daB wir nichts mit ihnen zu tun hiitten. 1m Gegenteil,<br />

wir haben eher zu viel mit ihnen zu tun. Aber: Leben mtissen wir hier mit dem,<br />

was aus den USA zu uns kommt, seien es Touristen, cruise missiles, »Dallas«, »blue<br />

jeans«, Charlie Parker, Chandler oder die Parsons'sche Theorie. Warum es zu uns<br />

kommt, warum in der jeweiligen Form, we1che Alternativen es gabe, ist demgegentiber<br />

sekundar: das Bild, das sich die Umwelt von der US-Gesellschaft macht, wird<br />

weitgehend davon bestimmt, wie sich diese GeseHschaft nach auBen projiziert. N atiirlich<br />

kann man sich auch »von auBen« daftir interessieren, wie es zu dieser Projektion<br />

kommt, we1che Alternativen dabei verschtittet werden, wie sozusagen die System<br />

(USA)-Umwelt (wir)-Beziehungen selegiert und gesteuert werden und wo Veranderungsmoglichkeiten<br />

sitzen. Aber niichtern zu konstatieren bleibt vor aHem und zuallererst<br />

der tatsachliche »grenziiberschreitende Verkehr«.<br />

Urn das Argument zu verdeutlichen (nicht um die BRD mit Nicaragua zu vergleichen):<br />

Es muB einen Bauern in Nicaragua, der durch die US-finanzierten Contras<br />

Ernte, Haus oder Angehorige verloren hat, nicht interessieren, ob die Oppositon in den<br />

USA gegen die Contra-Finanzierung machtvoH, gutwillig, religios motiviert usw.<br />

war. Es muB den Bauern noch nicht einmal interessieren, ob die Finanzierung offiziell<br />

oder inoffiziell erfolgte. Zunachst interessiert das factum brutum, daB die Yanquis<br />

hinter der Zerst5rung stecken. Und womoglich wird er sich erinnern, sofern so1ches<br />

Wissen in seiner Gesellschaft tradiert wird, daB es in den letzten 150 Jahren viele<br />

militiirische Interventionen der USA in Nicaragua gab (nach einerfliichtigen Ziihlung<br />

und ohne quantitative Gewichtigkeit zu beriicksichtigen kommt man auf 10 Interventionen<br />

zwischen 1853 und 1933). Ob sich die US-Amerikaner vor und nach diesen Interventionen<br />

dariiber gestritten haben, kann den Opfern ziemlich ega! sein.


6 <strong>Prokla</strong>-Redaktion<br />

fUr uns: Es ist filr die Konstitution des<br />

rikabildes<br />

daB Millionen US-Amerikaner gegen die<br />

und cruise-missiles, fUr den >>lluc1ear freeze« waren, daB sie mit den Senvon<br />

Radio Free nicht einverstanden waren, wenn sie sie kennen wurdaB<br />

es bessere Fernsehserien als »Dallas« oder» Denver« Zunachst baut sich<br />

die AuBenansicht der US-Gesellschaft auf den Tatsachen daB die Pershings<br />

und cruise missiles hier stationiert werden oder daB ein GroBteil des bundesdeutschen<br />

Fernsehprogramms aus schwachsinnigen US-Serienproduktionen besteht.<br />

Wen interessiert daB es den Amerikanern in Small Middle<br />

sie ein vorbildlich reges, demokratisches Gemeindeleben<br />

daB sie nachbarschaftliche Solidariat<br />

keine Schwarzen<br />

in die Nachbarschaft ziehen - dagegen muB man schon aus rein okonomischen<br />

Grunden wegen des drohenden Verfalls der Immobilienpreise sein). Solange dieses<br />

vorbildliche demokratische Alltagsleben nach auBen zu nichts anderem als zu<br />

den bekannten Kontinuitaten der<br />

braucht man sich dafUr auch von<br />

auBen nicht zu interessieren.<br />

Allerdings setzt hier das Problem ein, daB die Attraktionen des American way of life<br />

propagandistisch ausgewertet werden. Einerseits gibt es interessierte Importeure: Der<br />

StationierungsbeschluB fUr die Pershings und cruise missiles ist schlieBlich im Deutschen<br />

Bundestag gefaBt worden, und niemand zwingt die bundesdeutschen Fernsehsender,<br />

Fertigware in Hollywood einzukaufen. Andererseits gilt insbesondere das basisdemokratische<br />

Politikmodell offiziell als expartfahig (faktisch ist es wahl eher fUr<br />

den (auch noch selektiven) US-Hausgebrauch reserviert). Der Versuch seiner Nachahmung<br />

fUhrt allerdings zu Pathologien. Da werden die merkwurdigsten mimetischen<br />

Anstrengungen unternommen, urn etwas zu erreichen, was nicht zu erreichen ist,<br />

namlich die Ubertragbarkeit des American way of life, seine HerauslOsung aus dem<br />

natiirlichen, geographischen, historischen Kontext der Landnahme in Nordamerika.<br />

Auf derlei Anstrengungen folgt jedoch unausweichlich die Erfahrung, daB Teilhabe<br />

durch Identifikation, Authentizitat durch N achahmung nicht zu haben sind. Dennoch<br />

bleiben immer noch genUgend Unbelehrbare und entsprechende tmOOJ[(-l::\X1JOIT-}\nin<br />

SachenAmerican way oflife; von Cowboy-Clubs bis zu Ivy-Leaguegeschadigten<br />

Professoren einig in dem es so zu machen wie die groBen<br />

Bruder und Schwestem.<br />

Mit dem Hinweis auf die Vergeblichkeit solcher<br />

solI nicht bestritten<br />

werden, daB Gesellschaften voneinander lernen, daB Politikformen und Lebensstile<br />

werden konnen und daB dafUr die wechselseitige Wahrnehmung der Binnenverhaltnisse<br />

niitzlich sein mag. Bestritten werden soIl aber, daB es unter allen Umstanden<br />

geboten ist, die Binnenverhaltnisse einer Gesellschaft wahrzunehmen, urn<br />

sich das fUr das eigene Handeln adaquate BUd von ihr zu machen. Sicherlich, die<br />

Kenntnis der Binnenverhaltnisse ist niitzlich und notwendig, will man begrundet<br />

antizipieren, was aus den USA auf uns zukommt. DafUr ware aber eine weitere Voraussetzung,<br />

daB man den Zusammenhang von Binnenverhaltnissen und AuBenprojektion<br />

kennt. Genau an diesem Punkt hapert es.


Editorial 7<br />

Offensiehtlieh kann man weder von den rechtsstaatlich-demokratischen BinnenverhaItnissen<br />

auf eine an die Grundsatze des Volkerrechts gebundene AuBenpolitik<br />

schlieBen, noch urngekehrt von der imperialistischenAuBenpolitik auf machtstaatlieh<br />

geregelte BinnenverhaItnisse. Es scheint sieh vielmehr um eine sozusagen schizophrene<br />

Gesellschaft zu handeln, bei der Innen- und AuBenverhaltnisse nicht nur verschieden,<br />

sondern gespalten und widersprtichlieh sind. Sozialwissenschaftlieh ware<br />

es sicherlich interessant zu wissen, wie der Zusammenhang von soleh widerspriichlichen<br />

Elementen rekonstruierbar ist. Aber ist es auch politisch interessant?<br />

Was hat man politisch gewonnen, wenn man weiB, daB die US-Amerikaner »nicht<br />

sosind«, wie siesich nach auBen, militiirisch, politisch, okonomisch dem Rest der<br />

. Welt von Vietnam bis Grenada, Libyen und Nicaragua darstellen? Wohlgemerkt, es<br />

geht nieht darum, ein hermetisches Feindbild der USA zu zeiehnen, indem man auf<br />

den SiindenfaIlen ihrer AuBenpolitik ~erumreitet. Aber es geht darum, in Rechnung<br />

zu stellen, daB diese AuBenpolitik selbst eine Abstraktion und Verselbstiindigung gegen<br />

die BinnenverhaItnisse der US-Gesellschaft darstellt. Wenn sich diese Gesellschaft<br />

selbst eine derartige Verselbsilindigung ihrer AuBenprojektion gegentiber<br />

ihren Binnenverhaltnissen leisten kann, warum solI man sie von auBen nicht mitmachen?<br />

Sie mitzumachen heiBt, sich fiir den Umgang mit der US-Gesellschaft rein an ihrer<br />

AuBenprojektion zu orientieren. Einerseits ist das eine drastische Vereinfachung. Andererseits<br />

entgeht man dadurch der Gefahr, tiber der Schokoladenseite der USA, tiber<br />

der Faszination durch die unzweifelhaft vorhandenenAttraktionen des American way<br />

of life die imperiale AuBenseite zu vernachlassigen. Z.B. gehOrt zum Abbau rassistischer<br />

Diskriminierung und zurn Aufbau sozialstaatlicher Institutionen in Lyndon<br />

B. Johnsons Great Society die Eskalation des Vietnamkriegs. Wie beides zusammenhiingt,<br />

bedarf noch der niiheren Erkliirung. Aber nach zweihundert Jahren AuBenpolitik<br />

der Vereinigten Staaten ist der Verdacht nicht abwegig, daB Demokratie im<br />

Innern und imperiale Anspriiche nach auBen·funktional aufeinander bezogen sind.<br />

Solange dieser Verdacht nieht ausgeraumt ist, bleibt jedenfalls die Anempfehlung des<br />

basisdemokratischen way of life fUr den Export ohne Uberzeugungskraft. Es konnte<br />

ja sein, daB die Sucht, jede politische Aktivitat an den grass-roots zu organisieren, den<br />

Eingriff aufhOheren Organisationsebenen, wo es um die wichtigen Sachen geht, blokkiert.<br />

Wenn dem so ware,konnte man auf die schone Innenansieht der US-Gesellschaft<br />

verziehten, weil man auf Basisdemokratie als Beschiiftigungstherapie verziehten<br />

kann. (Zwar heiBt einem bekannten politischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts<br />

zufolge »radikal sein« »die Sache an der Wurzel fassen«, aber urn an die Radieschen<br />

zu kommen, muB man oben am Griinen ziehen).<br />

Wenn es stimmt, daB die US-Gesellschaft in gewisser Weise schizophren ist, wie solI<br />

man von auBen praktisch mit ihr umgehen? Nach wie vor empfiehlt sieh der alte einfache<br />

Grundsatz: An ihren Friichten sol1t ihr sie erkennen. Wenn man einen Richard<br />

Perle oder Caspar Weinberger bei einer »wehrkundlichen Tagung« hort, kommt man<br />

natiirlieh nieht auf die Idee, daB dies der Abgesandte friedliebender, demokratischer<br />

US-Biirger sein solI. »Von auBen« fiingt man dann mit der Produktion von Vorurteilen


8 <strong>Prokla</strong>-Redaktion<br />

tiber »die Amerikaner« an: ein waffenstarrendes Yolk von<br />

usf. Das sind sie natiirlich<br />

Paranoikern usw.<br />

die es verdient. DaB ein solcher Grundsatz<br />

sollten die Deutschen am besten wissen: EI' soIl<br />

daB slch die<br />

den aus der<br />

in die Rolle des<br />

elg;emCllcn in unserem Fall gegendiese Identifikation - auBer daB<br />

man sich daflir den Vorwurf des Anti-Amerikanismus einhandeln kann? Die Identifikation<br />

ist nlchts weiter als eine<br />

der AuBenprojektion der US­<br />

Gesellschaft. OdeI' wollte man einen Franzosen einer antideutschen Einstellung be­<br />

"~llU"Jlbvll, der behauptet, Bundeskanzler Kohl sei eine adaquate Darstellung der<br />

politischen Gesinnungslage der Bundesdeutschen? N atlirlich gibt es eine signifikante<br />

Minderheit, die flir eine andere Politik als die Kohlsche ist. Aber die Minderheit ist<br />

eben dies, die Minderheit Sie hat mit der Wahl nich! nur das formale sondern<br />

VV'-'H1O'vllC,UU auch die faktischen Moglichkeiten zur AuBendarstellung der Gesellschaft<br />

verloren.<br />

Was also soU der Vorwurf des Antiamerikanismus? Er klinkt natiirlich nicht erst dann<br />

ein, wenn die AuBenprojektion der US-Gesellschaft mit ihren Binnenverhaltnissen<br />

identifiziert wird. Tatsachlich setzt man sich dem Vorwurf schon aus, wenn<br />

konstatiert. D.h. im wesentlichen: wenn man die n.U'Jv.n,_n<br />

dem Stichwort die Binnenverhaltnisse hingegen<br />

als demokratisch-rechtstaatliche beschreibt auch immer weit sie von der<br />

idealer<br />

entfernt sein mogen). Wenn man schon<br />

als Anti-Amerikaner gilt, wei! man daB die<br />

Sachen Freiheit und Demokratie sich gegen<br />

den Vorwurf zu wehren. DaB es bei dieser Politik urn ein - nur auf den amerikanischen<br />

Kontinent beschranktes<br />

laBt sich deren offiziellen Selbstbe~;cnrelbUllg(m<br />

entnehmen ebenso wie man vom deutschen Kaiser horen<br />

daB am deutschen Wesen die Welt genesen<br />

Es bleibt also als relevanter Vorwurf der der<br />

Identifikation der<br />

mit den Binnenverhaltnissen. Die Amerikaner sind nicht so, wie<br />

man von auBen vermuten konnte. Das aber es ist Sache die<br />

durch die<br />

Wahrscheinlichkeit ihrer<br />

von auBen durch eine Korrektur dieser Politik zu vermindern. Die sozialen Prozesse,<br />

in denen diese Politik und ihre Akteure selegiert sind US-interne


Editorial 9<br />

von auBen nicht steuer- und kaum auch sie flir den Rest der Welt<br />

sind. Was ntitzt es, wenn man sich von auBen - und noch dazu als<br />

Bundesdeutscher - den dartiber was die alles zu<br />

rH.ll'-"H;.,:mc", wie die des Historikers W.A.<br />

daraus resultieren.<br />

Welche Rolle kann der dieses Problems sog. Anti-Amerikanismus<br />

Eine Funktion wurde bereits benannt: Der Anti-Amerikanismus erlaubt lJa'JlM.·ualL-<br />

""''''''-'11!;, von einem Teil aufs z.B. von der der »Contras«<br />

auf den Zustand der US-Gesellschaft. Sofern diese »auBen« unternommene Zurech­<br />

Nwe"",,". d.h. von den<br />

Krafte erhOhen.<br />

Eine weitere Funktion ist defensiv. Der Uv''-'H.'5U01'i;;,0HY'' ....<br />

mKl(;htlmg<br />

untergehelld(~I Sonne wer sich also dem missionarischen des American<br />

way of life darf schon als Antiamerikaner In diesem Sinne<br />

nalisiertAnti-Amerikanismus eine nwmH'CP<br />

kann. Insofem ist<br />

schon wer wertkonservativ ist.<br />

Unter diesen Umstanden man sich dem Vorwurf des Antiamerikanismus gar<br />

nicht entziehen. J ede den intemen Zustanden in den an der F>.UC!J .... u'-Hr<br />

litik der USA kann dem Label wehren? Fur<br />

Interessen den Sheriff flir den Rest der<br />

Welt zu ist. d.h. schnell und nach VLF''-'H.vH<br />

zwischen gut bose unterscheidend. Wenn amerikanische Politiker derart riskant<br />

laBt sich das zur Not sowohl dadurch daB die USA die


10<br />

'A)",1Jl1''-'lH Territorium nicht t;'-"lla'"'H<br />

mc)aemc:il Kriegen relativ geringe<br />

11~'b'-'11"JIH'Ul-'V"HHJH einbrachte. Urn so unverstandlicher wird jedoch die Ander<br />

hiesigen »Atlantiker«: Wer sich hinter dem<br />

der mit militarischer Starke flir<br />

sorgen<br />

der<br />

und ihrer Vorgeschichte nichts<br />

Art bundesdeutscher Amerikafreunde nur, auf die urmosmlon<br />

dem Vorwurf des Antiamerikanismus zu reagieren.


11<br />

die strukturellen Ursachen der Niederlage<br />

der Demokratischen Partei bel den (lS)'(1pnr,\'cnOT[SW,(1nwn vom November 1988,<br />

die zu erwartenden Konturen der<br />

haltnisse den USA am Ende<br />

oder<br />

tiell<br />

Mitte-Links-Koalition aus, wenn es den Demokraten geliinge,<br />

offensiv fur soziale und okonomische<br />

zu mobilisieren.<br />

Der wahrscheinlich urn unfairsten geftihrte, vom intellektuellen Inhalt her niveauloseste<br />

Wahlkampf der neueren amerikanischen Geschichte endete mit einem klaren<br />

Erfolg des republikanischen Kandidaten George Bush. Mit 54 % der abgegebenen<br />

Stimmen und 426 von 538 Wahlmannern/frauen im Electoral College konnte Bush<br />

einen tiberzeugenden Sieg fUr sich verbuchen. Doch anders als sein Amtsvorganger<br />

und ideologischer Ziehvater Ronald Reagan, del' besonders durch seinen 1980 - aber<br />

auch vier Jahre danach - errungenen Wahlsieg mit einer gewissen Legitimitat davon<br />

sprechen konnte, daB ihm das amerikanische Yolk durch die Urne ein »Mandat« verliehen<br />

habe, vermochte Bush niemals auch nur aImlich hachtrabende Weihen fiir sich<br />

in Anspruch zu nehmen. Obwahl Bushs Wahlsieg iiberzeugend ausfiel, erbrachte die<br />

Prasidentenwahl im November 1988 weder ein klares Regierungsmandat fUr den 41.<br />

Prasidenten des Landes noch ein sogenanntes »realignment« - also eine Restrukturierung<br />

- der Parteienlandschaft und der politischen<br />

des Landes. Wahrend<br />

auf der einen Seite der konservative Bush die Oberhand konnten die sicherlich<br />

viel<br />

Demokraten ihren bereits var dem 8. November vorhandenen<br />

Vorsprung in beiden Hausern des Kongresses noch erheblich ausbauen. Niemals<br />

zuvor in der Geschichte des 20. J ahrhunderts muBte ein zum erstmals zum Prasidenten<br />

gewiihlter Republikaner Verluste seiner Partei in beiden Hausern des Kongresses in<br />

Kauf nehmen. Urn der Sache noch groBere<br />

zu verleihen: Der eUlde:utlge<br />

Bush-Sieg, den man<br />

als einen schlichten Rechtsruck der amerikanischen<br />

Politik deuten war begleitet von den vielleicht noch iiberzeugenderen<br />

und tiberraschenden ausgesprochen liberaler Senataren wie Metzenbaum<br />

(Ohio), Lautenberg Jersey) (Michigan), von Siegen der Gouverneure<br />

Kunin (Vermont) und Bayh (Indiana)l, und vieler der 262 demokratischen Kon-<br />

" Dieser Aufsatz wurde Anfang Dezember 1988 verfaBt


12 Andrei S. Markovits<br />

elS,abj~ec,rdnel:en Wenn man dazu noch die hunderter kommunaler und<br />

auf bundesstaatlicher Ebene begrenzter Referenda auswertet,<br />

kein Bild eines klaren denn eines !.lVJIU"'...."<br />

Mandates flir die nachsten vier Jahre.<br />

Man konnte die amerikanische» Uniibersichtlichkeit« velrkiilfzl: folg,:ndlennal;)en<br />

zieren: Bushs ist in erster Linie eine UCOM''''lE;!LH/';<br />

sonlichen Charisma Ronald<br />

ist es<br />

~V'Hn'Hv Charisma institutionell zu verankem und in ein dauerhaftes<br />

Vermachtnis zu schmieden. Auf<br />

Seite wurde die bereits 1982 sich<br />

anbahnende<br />

Starke Ronald Reagans<br />

einerseits und der andauemden Schwache del'<br />

Partei andererseits<br />

eher noch vertieft. Die Demokraten bleiben in einem 3:2 Verhaltnis weiterhin die<br />

starkere der zwei Parteien. Wir haben es hier mit einer<br />

zu tun, die sich<br />

30er Jahren mit nur ganz<br />

Jnter[JreIChllllj;en - in der<br />

Topo:graphie der amerikanischen Parteienlandschaft zu LvO'UF',vH scheint. GleichllalJllQ,H<br />

tr!.'S'-''', ihre Zahl<br />

ist auf nationaler Ebene bereits<br />

zahlreichen<br />

Kommunen sogar die der Demokraten.<br />

Neben dieser »Zersetzung« traditioneller Gefolgschaft der zwei amerikanischen<br />

GroBparteien ist ein immer ausgeprligteres Stimmensplitting zu beobachten, das bislang<br />

immer zum Sieg der Republikaner in Prlisidentschaftswahlen<br />

wlihrend<br />

die Demokraten die Macht in den zwei Hausem des Kongresses auf lange Zeit<br />

gepachtet zu haben scheinen. So lliBt sich zwar von einem »de-alignment« jedoch<br />

nicht von einem »re-alignment« der amerikanischen Parteienkonstellation sprechen.<br />

Ein wahres Paradigma der Post-Modeme also! Dennoch muB meines Erachtens die<br />

Gretchenfrage der amerikanischen<br />

beantwortet werden: Woran liegt es<br />

daB die Demokraten flinf der letzten sechs sieben der letzten Prasidentschaftswahlen<br />

- vier davon mit<br />

hohen Wlihlerverlusten - verloren<br />

haben? Dem Versuch diese zu erortem mochte ich den ersten Teil meines<br />

1m<br />

erwartenden innen- und U'-"'Jv"f.'V'HU"'-"'VH<br />

der LUlfi.UIH !,",-',lL vv l'-'''JUJlllS'Altischen<br />

Partei bildet den SchluBteil dieses Aufsatzes.<br />

Die Demokraten in stmkturellen "'Clrl.wlerl.gil~enen:<br />

Ein bitteres Vermachtnis del' 60er und del' 68er Jahre<br />

~'.'H"'VHder<br />

indertlunaesI'epubllK~vu,c,vH'~'u<br />

pliischer Lander haben auch in den USA die au:gelneme<br />

verschiedenen politisierten der 60er Jahre ein sehr "vU'~"'.u"v0 Vermachtnis<br />

und ein schier unlosbares Dilemma fUr die<br />

Lan-


Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 13<br />

des - also in unserem Fall die Demokraten - hinterlassen. Diese zentrifugale Entwicklung,<br />

die ihren Hohepunkt bei den Parteitagen der Demokraten 1968 und 1972 erreichte,<br />

zerstorte ein fili allemal das yom New Deal Franklin Delano Roosevelts<br />

zusammengeschmiedete Gebilde der alten Demokratischen Partei, ohne ihr bis heute<br />

ein neues, auch nur anniihernd vergleichbar stabiles Geriist verleihen zu konnen.<br />

Dieses aus den 30er Jahren stammende »liberale« Gebilde scharte eine Koalition aus<br />

fortschrittlichem Kapital, den Gewerkschaften (»organized labor«), Schwarzen, Juden<br />

und den sogenannten »ethnics«2 des Nordens urn eine wachsturns- und konsurntionsbetonte<br />

keynesianische Politik, in der dem Staat eineaktiv gestaltende Rolle in<br />

der Sozial- und Wirtschaftspolitik eingeraumt wurde. Diese Koalition traf dann ein<br />

wichtiges politisches Abkommen mit dem seit dem Biirgerkrieg des 19. Jahrhunderts<br />

weiterhin rassistischen, feudalen und separatistischen, siidstaatlichen Teil der Demokratischen<br />

Partei: Fili die legislative Unterstiitzung des liberalen Rooseveltschen<br />

Programms im KongreB und seine spatere Durchsetzung auf nationaler Ebene blieben<br />

die Siidstaaten in ihrem rassistischen und feudalen Lebensstil yom Bund zunachst<br />

unangetastet. Dieses von Roosevelt etablierte Gebilde blieb bis Mitte der 60er Jahre<br />

erhalten und gereichte der Demokratischen Partei zu manchen Erfolgen, sowohl im<br />

Bereich der legislativen (KongreB) als auch in dem der exekutiven (Prasident) Politik.<br />

In der Innenpolitik war fili diese Partei eine Reformneigung in der Sozial- und<br />

Wirtschaftspolitik kennzeichnend, wlihrend sie in der AuBenpolitik dem starken Isolationismus<br />

der Republikaner ein betont interventionistisches und »engagiertes«Auftreten<br />

der Vereinigten Staaten entgegensetzte. Der letzte groBe Sieg dieser Demokratischen<br />

Partei war dervon 1964, als Lyndon B. Johnson den Demokraten den bis dahin<br />

groBten Wahlsieg der Nachkriegsgeschichte bescherte. Danach sollte es nie mehr so<br />

werden wie es seit der Rooseveltschen Ara war 3 • (Fili eine graphische Darstellung der<br />

Rooseveltschen New Deal Koalition der Demokraten, siehe Schaubild 1)<br />

Die vom Rooseveltschen New Deal gepragte Koalition zerschellte im Laufe der 60er<br />

Jahre an den Klippen der von den Demokraten zumindest miterbauten Felsen. Einerseits<br />

ging der bis dahin absolut sichere Siiden den Demokraten langsam verloren -<br />

wegen ihres sehr beachtlichen Engagements auf Seiten der Biligerrechtsbewegung.<br />

Mit Kennedy begann eine, und von seinem Nachfolger Johnson fortgesetzte, in der<br />

amerikanischen Geschichte beispiellos aktive und insbesondere in der Gesetzgebung<br />

erfolgreiche, progressive Reformtatigkeit der 60er Jahre, die die Demokraten in der<br />

amerikanischen Offentlichkeit zur Partei der Schwarzen abstempelte. Mittlerweile ist<br />

der Sliden zu einer Hochburg der Republikaner bei den Prasidentschaftswahlen geworden.<br />

Tatsachlich wiihlten wiederum fast 90 % der zur Urne schreitenden schwarzen<br />

Amerikaner, trotz des breit publizierten Zwistes zwischen Michael Dukakis und<br />

Jesse Jackson, fur den demokratischen Kandidaten -lihnlich viele wie schon zuvor<br />

fUr Humphrey, Mc Govern, Carter und Mondale gestimmt hatten. Keine andere ethnische<br />

Gruppe, geschweige denn ein sonstiges Kollektiv (sei es einer Klasse, Region<br />

oder Religion) wiihlte auch nur anniihernd mit solch regelmliBig iiberwliltigenden<br />

Mehrheiten den Kandidaten stets einer Partei, wie es die Schwarzen im Falle des jeweiligen<br />

demokratischen Prasidentschaftsanwmers taten. 4


14 Andrei S. Markovits<br />

Schaubild 1<br />

Die Loge vor der Umschichfung im Laufe der 60-er Jahre<br />

Kultureller und Sozialer Liberalismus<br />

,. OstkOStenkonservatlve des Nordens<br />

2. etabllerte 'wasps· des Ostens<br />

unci desMllte .. estens<br />

,. weisse Llberale des Nordens<br />

2. Juden<br />

3. weisse "ethnics' des Nordens<br />

dar alte von F.D.R.<br />

, .......... 9. ego nl. ndete. demo-<br />

~ krotlsche Block<br />

4, 'organlzed labor"<br />

5. Schwarze<br />

Okonomlsche ... I--__________ -t-t-_______ -t-__<br />

Ungleichheit<br />

,Okonomische<br />

Gleichheit<br />

1. stotusunslchere' "wasps' des<br />

Mllte .. estens<br />

2. Weisse der SOdstaaten<br />

1. Weisse der SOdstaaten<br />

2. Populisten des Mlttelwestens und<br />

dar sogenannten Grenzstaaten<br />

Ku~ureller und Sozlaler lIIiberalismus<br />

Die alte Rooseveltsche Koalition zerbrach auch an den Folgen des bereits erwrumten<br />

auBenpolitischen Interventionismus der Demokraten und an dem, ihrer modernistischen<br />

Tradition entsprechenden, technokratischen Fortschrittsglauben. Der Vietnamkrieg<br />

war eben auch ein Produkt dieses von den Demokraten vertretenen, iiberheblichen,<br />

technokratischen Liberalismus, der nicht nur vorgab, alles zu wissen, alles zu<br />

kannen und zu 16sen, sondern auch der festen Meinung war, der amerikanischen und<br />

globalen Offentlichkeit damit einen allgemein benatigten und stark vernachllissigten<br />

Liebesdienst erweisen zu kannen. Diese techno-optimistische Haltung der »Best and<br />

the Brightest« wurde auf den Schlachtfeldern Vietnams, in den brennenden Ghettos<br />

von Detroit und Newark und auf dem Campus, von Berkeley, Columbia und Wisconsin<br />

um 1968 endgiiltig demaskiert. Die Parteitage in Chicago 1968 und in Miami<br />

1972 bedeuteten den endgiiltigen Verfall der Rooseveltschen Koalition. An ihrer Stel:<br />

Ie hat sich auf nationaler Ebene - also gerade auf der Ebene jedes Prasidentschaftswahlkampfes<br />

- bis heute nichts herauskristallisieren kannen, was auch nur annahernd<br />

von liquivalenter Dauer ware. Dieser massive Wandel fiihrte zu einer gewaltigen programmatischen<br />

und sozialen Umschichtung der Partei, deren schmerzlichste Folge<br />

der anscheinend permanente Verlust der Prlisidentschaft ffir die Demokraten zu sein<br />

scheint. In der AuBenpolitik z.B. fUhrte diese programmatische UmwaIzung zu einer


Die Prasidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 15<br />

an die frtihere """HctUVll"'ll''-''''Wleu''b der ,',",,'fJUUHJ'caH'-" erinnernde Vorsicht und Abstinenz<br />

der Dernokraten; ohne sie ware es in neuerer Zeit verrnutlich zu einer vom<br />

KongreB untersttitzten militarischen Intervention der Vereinigten Staaten in Mittelamerika<br />

gekommen. Die durch die Vietnamerfahrung verbrannten Finger der Demokraten<br />

machten diese Partei zu einer stets aufVorsicht bedachten und jedes auBenpolitische<br />

mit betrachtenden Stimme in der amerikanischen Politik.<br />

Bei groBen Teilen der amerikanischen Offentlichkeit tragt die Partei freilich auch das<br />

groBe Manko des Vietnamverlierers, des UnverHissigen, des Schwachen und des Vaterlandverraters.<br />

Die<br />

belastetdie Demokraten bis heute mit dem<br />

'"nr1rrnn einer arnerikanischen !J'JLC,U"'lVM"~b\';'H'l


16 Andrei S. Markovits<br />

Indianern<br />

und nattirlich noch in starkerem MaBe von Schwarzen an sie<br />

als Vertreterin del' sozial Schw1khel'en adressiert wurde. Zu dem »overload« der Partei<br />

natiirlich auch ihre weiteren ihrel' aus den 30er<br />

Jahren stammenden »alten« Klientel<br />

den<br />

ni(;ht-plrotest:antischl~n »ethnics« der nordlichen Industriestaaten und den armeren oft<br />

fundamentalistisch pn)testantlscllen des landlichen Stidens zusammensetzt.<br />

einem Minimum an<br />

mit<br />

)UJ:cnlseltzulng;s1iihlgkeit erforderlicher Legitimitat.<br />

Wohl kaum eine andere flv1ul",",ubedeutende Institution des Landes VP1'Ir()rnp'rt<br />

im politisch-reprasentativen Sinn das Phanomen des »hyphenatedAmerican«<br />

American, Afro-American, Asian-American, aber eben neuerdings auch de facto<br />

Gay -American, Female-American etc.) mit demselben Ernst - nattirlich auch mit den<br />

dazugehorigen Kosten wie die Demokratische Partei. Die meist korrupten<br />

aber hoch<br />

auf eine Koalition der »ethnics« sich stiitzenden »urban machines«,<br />

in denen eine HandvoH<br />

Parteibonzen Stadte wie Chicago,<br />

Philadelphia, Boston, New York - ohne groBen Aufwand del' nationalen Partei - an<br />

Wahltag den Demokraten automatisch sind Hingst den demC)KratHoVe;rgleOJj,errlClen<br />

}\~etIDrrnbl~mtihun,gender 68er und ihrer N achfahren zum<br />

fer gefallen 5 • Wahrend die<br />

dieser »machines« - genau wie die WASPS<br />

der Stidstaaten - inzwischen mehr oder mindel' en bloc bei Prasidentschaftswahlen fUr<br />

die UU1.l"-'UU,'''-'''''-' Partei su-mrnelrJ., der demokratischen<br />

Partei diese alten nicht ersetzen. es der Partei<br />

nicht<br />

die eben erwahnten Partikularismen<br />

ein der Partei zu gut wie sehen die<br />

Chancen der<br />

das WeiSe Haus nicht nur per Zufall oder aus ganz besonderen<br />

historischen Ausnahmefiillen<br />

schlecht aus 6 . Vor aHem sind die<br />

Demokraten eines noch immer die nationale Politik bestimmenden strukturellen<br />

Rassismus. So konnte kein demokratischer Kandidat seit Johnsons<br />

im Jahre 1964 mehr als 40 % der Stimmen weiBel' Wahler auf sich<br />

COl e;HUb,",J". Die durch die flVIf.JUjj~"~vH-jQ.'''HM,W\,'Hv<br />

gen Gouverneurs<br />

denen weiBen Wahler<br />

ten seit 1968 nie mehr<br />

und schwarzer Wahler hat Hw'm,Hv'.~, alJge:sel1en


Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 17<br />

gen Ressentiments und ethnischen Gegensatzen, sehr viel mit politischen Topoi zu<br />

tun, die von diesen zwei Gruppen unterschiedlich eingeschatzt werden. So betrachten<br />

beispielsweise Schwarze in weiterhin liberwiiltigendem MaBe die aktive Rolle des<br />

Staates als wichtig ffir ihr Gemeinwohl, wiihrend WeiBe, die sich in einer iihnlichen<br />

Lage befmden wie die Schwarzen, dem Staat und seiner gesellschaftIichen Rolle viel<br />

skeptischer, meist sogar offen ablehnend gegenliberstehen.<br />

Wenn daruber hinaus noch die Ergebnisse der Wahl 1988 nach dem Faktor »Ethnizitat«<br />

untersucht werden, faUt auf, wie sehr die Rassenfrage das Wahlverhalten in Amerikabestimmtundwiedies<br />

insbesondere die Lage der demokratischen Partei erc<br />

schwert. George Bush gewann58 % derweiBen Stimmen, abernur 8 % derSchwarzen<br />

im mittleren Westen des Landes. 1m Stiden fiel das VerhaItnis mit 67:12 % ffir die<br />

Demokraten fast gleichschlecht aus. In den westIichen Staaten errang Bush nur 13 %<br />

der schwarzen Wahler, wahrend er 58 % der WeiBen fUr sich gewinnen konnte. Und<br />

sogar der oft von der Norm abweichend eingeschiitzte Osten blieb diesem Schema<br />

treu: Bush bekam 54% der WeiBen, wahrend nur 12% der Schwarzen ffir ihnstimmten.<br />

Von den 10 Staaten, die Dukakis ffir sich verbuchen konnte, hat mit Ausnahme<br />

des Staates New York kein anderer eine signifikante schwarze Minoritat. Konkret<br />

heiBt dies, daB liberall, wo der schwarz-weiBe Konflikt eine Realitiit ist, der GroBteil<br />

der WeiBen die Republikaner wahlt. Demokraten konnen anscheinend nur praktisch<br />

»schwarzenfreie« Staaten wie Oregon, Wisconsin, Washington, Hawaii, West Virginia,<br />

Minnesota, Iowa und Massachusetts ffir sich gewinnen, wiihrend sie in all den<br />

Staaten, in denen eigentIich ihre loyalsten Untersttitzer - eben die Schwarzen - beheimatet<br />

sind, in den letzten Prasidentschaftswahlen regelmaBig von den Republikanern<br />

besiegt wurden 7 • New York ist da allein die regelbestatigende Ausnahme: Ein<br />

disproportional hoher Anteil der weiBen Stimmen stammt in diesem Bundesstaat von<br />

Juden - also einer anderen, den Demokraten loyalen Gruppe. Dieses Dilemma kann<br />

von den Demokraten nur in ihrem Sinn gelOst werden, wenn es ihnen gelingt, den<br />

Schwarz-WeiB Konflikt durch das Hervorheben anderer Grenzlinien, wie z.B. dem<br />

der Klasse-und damit okonomischer Gemeinsamkeiten beider Gruppen - wennnicht<br />

voll zu ersetzen, so doch zumindt~st zu entscharfen.<br />

1m Gegensatz zu Europa, wo das Primat der Klasse nicht nur objektiv sondern vor<br />

allem subjektiv die Wasserscheide der politis chen Auseinandersetzungen des 20.<br />

J ahrhunderts bestimmte, war und blieb in den Vereinigten Staaten bis heute die Frage<br />

der Ethnizitat entscheidend. Da die Demokraten als Partei der Schwarzen betrachtet<br />

werden - was sie unter anderem auch sind - beginnen sie jede Prasidentschaftswahl<br />

mit einem unerhOrten Manko in vielen, vom wahltechnischem Standpunkt aus gesehen<br />

sehr wichtigen Teilen des Landes. Nirgendwo ist dies prononcierter der Fall als<br />

im Sliden, wo die Demokraten die letzten Prasidentschaftswahlkiimpfe mit einem<br />

Handicap von 138 Wahlmiinnern starteten. Das ist ein gigantischer VorschuB und<br />

automatischer Bonus ffir die Republikaner, der etwas mehr als die Hiilfte der 270 zum<br />

Sieg notigen Wahlmanner/frauen ausmachtund der bis 1964 fast genauso geschlossen<br />

den Demokraten zugute kam. Konkret heiBt dies, daB die Demokraten, urn zu gewinnen,<br />

anderorts einen perfekten, fehlerlosen Wahlkampfftihren mlissen. Das aber taten


18 Andrei S. Markovits<br />

sie 1988 ganz und gar nicht. Zu den im ersten Teil dieses Aufsatzes erorterten<br />

strukturellen Schwierigkeiten der demokratischen Partei kamen bei dem letzten<br />

Wahlkampf gewichtige taktische Schnitzerund strategische Fehlkalkulationen hinzu.<br />

Sie haben Michael Dukakis den moglich scheinenden Sieg gekostet.<br />

Der verpatzte Dukakis-Wahlkampf<br />

Ineinem Fernsehinterview am Wahlabend charakterisierte Roger Ailes, der Medienkoordinator<br />

der Bush-Kampagne, in der meines Erachtens pointiertesten Weise das<br />

Wesentliche eines modernen Wahlkampfes in den Vereinigten Staaten. Es zahlten, so<br />

Ailes zu dem Interviewer, nur vier Dinge im Zeitalter des Fernsehwahlkampfes: Angriffe,<br />

Fehler, Umfragen, schone Bilder. Den Rest konne man ruhig vergessen. Bush<br />

und sein Team begriffen dies von Anfang an, wahrendDukakis und seine Mannschaft<br />

diese Realitiit bis zur letzten Woche vor der Wahl, falls iiberhaupt, entweder nicht<br />

wahrnahmen oder, was auf das Gleiche hinausHiuft, nicht wahmehmen wollten.<br />

Bevor ich eine Bewertung der Dukakis 'schen Wahlstrategie in Verbindung mit den im<br />

ersten Teil behandelten strukturellen Schwierigkeiten der demokratischen Partei versuche,<br />

seien hier kurz ein paar taktische Fehler erwiihnt, die sich als sehr kostspielig<br />

fur das Endresultat der Kampagne erwiesen.<br />

(1) Die Wahlkampfunerfahrenheit des Dukakis-Teams: 1m Gegensatz zum Bush­<br />

Team, in dem erstklassige Profis mit viel Erfahrung aus friiheren Prasidentschaftswahlkii.mpfen<br />

der Republikaner - hauptsachlich aus den Reaganwahlkampfen 1980<br />

und 1984 - auf allen Ebenen vertreten waren, verlieB sich Dukakis ausschlieBlich auf<br />

eine ihm gut vertraute »Massachusetts Mafia«, aus deren Spitzenreihe niemand W­<br />

here Wahlkampferfahrung mitbrachte. Typischerweise blieb auch das Hauptquartier<br />

der Dukakis Mannschaft in dem fiir diesen Fall provinziellen Boston, anstatt - wie<br />

Bush - aus der Hauptstadt des Landes effizienter und zentraler zu operieren. Zahlreiche<br />

Kenner beider Lager meinten auch, daB die interne Organisation der Bush­<br />

Mannschaft urn vieles besser und problernloser verlief als die des Dukakis-Teams.<br />

(2) Das Unverstandnis der Dukakis-Leute fUr das Fernsehen als Wahlmedium: Ahnlich<br />

der wahltechnisch schlechten Wahlplakate der SPD im Bundestagswahlkampf<br />

1983, die, da kompliziert getextet und zusatzlich mit kleiner Schrift versehen, viel zu<br />

»intellektuell« und »kalt


Die Prasidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 19<br />

Nachder m.,",uv",1S von Dukakis zum Kandidaten der Demokraten Mitte Iuti 1988<br />

schien sich der Gouverneur auf seinen Lorbeeren und einem fast 20punktigen Vorsprung<br />

gegenuber Bush, den ihm aIle zu dieser Zeit auszuruhen.<br />

Er verschwand bald nach dem demokratischen Parteitag in Atlanta von der<br />

BildfHiche und tauchte nur bei relativ AnHissen in seinem<br />

Bundesstaat Massachusetts auf. Es wird wahrscheinlich fiir immer unklar U"dL"~ll,<br />

was man sich<br />

wahrend Bush<br />

allabendlich den vom Fernsehen dazu<br />

»Wahlraum« mit seinen Angriffen<br />

auf Dukakis fiiIlte. So kam es daB bereits Mitte - also unmittelbar<br />

New Orleans - nach den Umiibernahm<br />

und bis zum 8. November nicht mehr<br />

abgab. Eine flir Dukakis und seine naive<br />

vielsagende Erklarung<br />

des »August gap« daB der demokratische Kandidat brav bis Anfang '-'CiIJL'V1Udem<br />

traditionsgemaBen Auftakt frtiherer<br />

abwartete und die rasant<br />

sich andernden Entwicklungen des<br />

unterschiitzte.<br />

Die<br />

von Bushs »streetfighter«-QualiUiten: Als Bush in einigen<br />

Debatten der republikanischen Kandidaten noch vor Beginn der »primaries« etwas<br />

zogernd und unentschlossen wirkte, stempel ten ihn die allmachtigen Medien als einen<br />

«Waschlappen« (wimp) abo Seine tiberraschend hohe Niederlage anfang Februar<br />

1988 in den »caucuses« von Iowa bestarkte dieses Image. P16tzlich waren seine derben<br />

Manieren und sein Machostil, die er beispielsweise in seiner Debatte gegen Geraldine<br />

Ferraro vier I ahre zuvor so erfolgreich an den Tag gelegt hatte, vollig vergessen.<br />

Dukakis glaubte anscheinend bis Mitte September mit einem Schwachling konfrontiert<br />

zu sein, nicht aber mit einem mit allen Wassern gewaschenen und von Polit- und<br />

Medienprofis umgebenen Kandidaten, der keine Luge und Verleumdung scheut. Er<br />

merkte nicht, daB die Bushkampagne drauf und dran war, ihn personlich, seine Kandidatur<br />

und die Demokraten als Partei durch konstantes Diffamieren in das politische<br />

Abseits zu rticken. Bushs Schmiertaktik war auf vier Ebenen erfolgreich:<br />

1. Die rassistische Ebene: Als Gouverneur von Massachusetts rich tete Michael Dukakis<br />

ein Hafturlaubsprogramm ein. Wahrend eines dieser Urlaube verlieB ein gewisser<br />

Willie Horton Massachusetts, brach in einem Villenvorort von Washington in ein<br />

Haus ein, vergewaltigte die Frau des Hauses und terrorisierte ihren Freund -, der von<br />

Bushs Wahlpropaganda bezeichnenderweise stets als ihr Ehemann dargestellt wurde,<br />

obwohl das Paar zur Zeit des Verbrechens noch nicht verheiratet war. Wichtig an der<br />

ganzen Geschichte ist nur eines: Willi Horton ist schwarz! Zu spat erkannte Dukakis,<br />

daB es hier in Wirklichkeit um eine ganz harte »law and order«-Taktik mit einer gehOrigen<br />

Portion strukturellem Rassismus ging. Zu spat und viel zu zaghaft kamen seine<br />

Beteuerungen, daB solche Hafturlaube im B und und auch in anderen Staaten - so z.B.<br />

Kalifornien, wo sie von einem Gouverneur namens Ronald Reagan eingeftihrt wurden<br />

- gang und gabe waren, und daB es dabei auch regelmiiBig zu kriminellen Handlungen<br />

seitens der Beurlaubtenkarne. Sie konnten dem von Bush erwiinschten und auf<br />

Resentiments und Angst begriindeten »backlash« der WeiBen nicht mehr gebtihrend<br />

gegensteuern.


20 Andrei S. Markovits<br />

2. Die Ebene: Ebenfalls in seiner Funktion als Gouvemeur von Massachusetts<br />

entschied sich Michael Dukakis, einen<br />

des obersten Gerichtshofes,<br />

der es Lehrem<br />

Rezitieren des Fahneneides<br />

of allegiance) zu in seinem Staat in die Praxis umzusetzen. Bush<br />

steHte Dukakis als einen besseren Vaterlandsverrater der weder die Fahne zu<br />

schiitzen wtiSte, noch es flir wichtig den Kindem in der Schule amerikanische<br />

Werte zu vermitteln. Auch hier wehrte sich Dukakis<br />

waren seine Argumente, da rein technokratisch und velrre1chl:licht,<br />

Indem er sich dauemd nur auf die<br />

3. Die konservative Ebene: Wie tiber eine Million Amerikaner ist auch Michael Dukakis<br />

Mitglied der »American Civil Liberties Union« (ACLU), einer sehr aktiven und<br />

erfolgreichen Vereinigung, die Rede-<br />

bis<br />

zu Kommunisten, von Pomographen bis zu Teufelsanbetem - gegentiber staatlichen<br />

Angriffen verteidigt. Seiner Schmierkampagne gemiiB griff Bush Dukakis unaufhorlich<br />

als ein »card-carrying member« der ACLU an. Indem der republikanische Kandidat<br />

die adjektivische Formulierung »card-carrying member« vor der Abktirzung<br />

ACLU immer wieder betonte, erweckte er in Gehim und GehOr von Millionen Amerikanem<br />

das Gebilde »card-calTying member of the CommunistParty«. Diese explizit<br />

McCarthy'sche Taktik von Bush zielte einzig auf eine Diffamiemng von Dukakis<br />

zumindest als eines Linken, wenn schon nicht eines expliziten Kommunistenfreundes<br />

oder gar eines Kommunisten. Dazu kam Bushs Sperrfeuer gegen das Wort »1iberal«<br />

- oder das »L-Wort«, wie es nach den unaufhorlichen Angriffen bald genannt wurde JO •<br />

Dukakis, so Bush, sei nur ein alter Liberaler, der den Leuten durch zu hohe Steuem<br />

das Geld aus der Tasche zoge, die Wirtschaft durch zu viel Staat zerstOre, den Kommunisten<br />

nie die Stime bieten konne, Verbrecher frei herumlaufen HeBe undAmerikas<br />

Flihrungsrolle sicherlich verspielen wlirde. Wiederum kam Dukakis' Gegenwehr,<br />

geschweige denn Gegenangriff, viel zu und vor aHem viel zu spat. So versaumte<br />

er beispielsweise auf die<br />

faschistischen und antisemitischen<br />

Elemente in der Bushentourage hinzuweisen 11.<br />

daB<br />

selbst Leute wie Mac Arthur und Eisenhower Mjltgllle


Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 21<br />

4. Die okologische Ebene: Da sogar die Republikaner erkannt haben, daB man mit<br />

okologischen Themen Wiihlerstimmen gewinnen kann, entpuppte sich George Bush<br />

bereits am Anfang seines Wahlkampfes mit Dukakis als engagierter Okologe. Wahrscheinlich<br />

urn die acht Jahre explizit anti-okologischen Handelns der Reaganregierung<br />

besser zu vertuschen, nahm Bush in diesen Fragen eine sogar fUr ihn sehr aggressive<br />

Haltung ein: Er besuchte den Bostoner Hafen und erkHirte ihn zum schmutzigsten<br />

der Vereinigten Staaten. Wiederum blieb Dukakis wie gebannt. Er startete eben nicht<br />

den gebotenen Gegenangriff. Statt gegeniiber der Offentlichkeit kIar zu stellen, daB<br />

erdiese okologischen MiBstande des Bostoner Hafens von seinen Vorgangern geerbt<br />

hatte,. er aber mehr fUr die Sauberung des Hafens tat - und.noch tun wiirde .,.-.als jeder<br />

andere Gouverneur in der Geschichte Massachusetts', konterte Dukakis mit zwar<br />

zahlreichen, doch viel zu abstraktem und technokratischen Materialien, die nur wenige<br />

Menschen verstanden.<br />

Kurzum: Dukakis' Taktik war in diesem Bereich - wie in allen anderen - hOlzem, leblos,<br />

urnstandlich, legalistisch, technokratisch - und deshalb wirkungslos. Mit seiner<br />

Unerfahrenheit und der seines Teams allein laBt sich dies nicht erkIaren. Vielmehr<br />

handelte es sich hier um eine strategische Fehleinschatzung des Wahlkampfes und<br />

letztlich des politischen Verhaltens der amerikanischen Offentlichkeit.<br />

Seine Stategie artikulierte Dukakis bereits wahrend der langen Monate des Vorwahlkampfes<br />

klar und deutlich: So wenig wie moglich sich engagieren! So wenig wie<br />

moglich auffallen! Statt durch offensive und politische Argurnente Leute an sich zu<br />

binden, eher von den Fehlem anderer profitieren. Dieses »Minimax «-Modell, das sich<br />

schon bei den Vorwahlen - besonders im erbitterten Zweikampf mit Jesse JacksonfUr<br />

viele Demokraten als zu oberflachlich, seicht und verwundbar entpuppte, wurde<br />

bei dem EmennungskongreB der Partei Mitte Juli in Atlanta fUr die kommende Auseinandersetzung<br />

mit Bush nur noch weiter verfestigt. In einer ansonsten fiirDukakis<br />

ungewohnt temperamentvoll gehaltenen und sowohl inhaltlich bewegenden als auch<br />

intellektuell anspruchsvollen Rede zumAbschluB des Parteikongresses benannte der<br />

Kandidat die Eckpfeiler seiner Strategie vor Millionen Amerikanem ganz unmiBverstandlich:<br />

Es ging, so Dukakis, in dieser Wahl nicht um Ideologien, sondem um<br />

Kompetenz. Klarer hatte man ein Bekenntnis zum Primat technokratischer Losungsmethoden<br />

als Leitfaden politischen Handelns kaum formulieren konnen. Somit war<br />

Dukakis' explizit anticharismatische Wahlstrategie - fiir jedermann ersichtlich - von<br />

Anfang an kIar gekennzeichnet. Als ob acht Jahre Ronald Reagan - von John F.<br />

Kennedy, Dwight D. Eisenhower, Franklin Delano Roosevelt, um nur einige zu nennen,<br />

ganz zu schweigen - in der neueren Geschichte der Vereinigten Staaten nie existiert<br />

hatten, glaubte Dukakis die Prasidentschaftswahl »entideologisieren« und dem<br />

amerikanischen Wahler technokratische Kompetenz vor politisch-ideologischem<br />

Engagement schmackhaft machen zu konnen.<br />

Wahrend Bush den genau entgegengesetzten Weg beschritt und sich vom Image eines<br />

technokratisch kompetenten aber politisch lauwarmen »Waschlappens« zu einem<br />

hochideologischen Kampfer fiir den rechten Fliigel des amerikanischen politischen<br />

Spektrums entwickelte, blieb Dukakis seiner Strategie des redlichen Technokraten


22 Andrei S. Markovits<br />

treu: Er weigerte sich von Anfang an, eine klare politische Stellung zu beziehen und<br />

sie dann entschieden zu vertreten. Es war die Strategie der drei C' s - cool, competent,<br />

conventional-, die Dukakis bis knapp vor der Wahl daran hinderten, Bushs unaufhorlichem<br />

Sperrfeuer gegen »Liberale, Liberalismus« - kurz: seiner »L-Wort« Diffamierung<br />

- erstens sich zu stellen, zweitens zu der liberalen Tradition der Demokraten sich<br />

voll zu bekennen und drittens einen gehOrigen Gegenangriff zu starten. DaB Dukakis'<br />

»Wischiwaschi«-Strategie von Anfang an zum Scheitem verurteilt war, liillt sich<br />

daran erkennen, daB ihr Gegenteil wahrend der letzten zwei Wochen vor der Wahl<br />

sofortige Wirkungzeigte: Ais Dukakis sich endlich verzweifelt angesichts des von<br />

jedermann vorausgesagten Debakels seiner Kan:didatur als ein zum Liberalismus seiner<br />

Partei stehender »fighting Mike« entpuppte, ging bei siirntlichen Umfragen die<br />

Unterstiitzung fUr die Demokraten nach oben. Sein neuer Slogan, »1 am on your side«<br />

- nebenbei von der erfolgreichen Kandidatur Howard Metzenbaums, des liberalsten<br />

Senatsmitgliedes der Vereinigten Staaten, wortwortlich kopiert - kam bei vielen Teilen<br />

der zersplitterten Klientel der Demokraten zumindest insoweit an, als Dukakis in<br />

bereits verloren gegebenen Staaten einige Stimmenverluste wettmachen konnte.<br />

Die von Dukakis eingeschlagene Strategie der «technokratischen Entmobilisierung«<br />

hat also zu einem neuerlichen Verlust des Prasidentenamtes fiir die Demokraten bei- .<br />

getragen. Man muB diese Unentschlossenheit jedoch in das von mir bereits erorterte<br />

strukturelle Dilemma der demokratischen Partei einordnen, urn ein klares Bild der<br />

von Dukakis eingeschlagenen und verfehlten Strategie zu bekommen. Das wie versteinert<br />

anmutende Verhalten von Dukakis muG in folgendem strukturellem Zusammenhang<br />

gesehen werden: Ein Linksruck des Kandidaten hatte unter Umstanden die<br />

weiGen »ethnics« der Partei in noch hOherem MaGe abtriinnig werden lassen. Ein<br />

Rechtsruck wiederum hiitte zum massenweisen Fembleiben der schwarzen Wahler<br />

gefiihrt.· Die daraus resultierende versteinerte Pattsituation wurde noch durch eine<br />

zusatzliche Dimension belastet: Wenn es schon zu einem Linksruck kommen soUte,<br />

galt zuentscheiden,entlang welcher Achse - der okonomischen, der kulturell-sozialen<br />

oder beider? - dies geschehen soUte.<br />

Diese ihre Existenz beriihrende Frage wird die Demokraten in den nachsten vier J ahren<br />

weiterhin beschiiftigen. Denn eines ist nach dem verlorenen Dukakiswahlkampf<br />

klar: Was immer die Demokraten tun, sie miissen in erhohtem MaBe die Offensive<br />

ergreifen, mutig mobilisieren und von Anfang an Farbe bekennen. Welche Tonung<br />

diese Farbe erhalten wird, ist ein Politikum, das sich durch die konkreten Auseinandersetzungen<br />

der nachsten Jahre entscheidet. Der Erorterung dieses Problembereiches<br />

werde ich die letzten zwei Teile dieses Aufsatzes widmen.<br />

Die voraussichtlichen Konturen der Bushjahre<br />

Wiihrend Reagan zurecht als »Teflonprasident« in die neuere politische Geschichte<br />

der Vereinigten Staaten einging, scheint Bush auf dem besten Wege, sich zu einem<br />

»Velcroprasidenten« zu entwickeln 12 • Wie bereits zu Anfang meiner Ausfiihrungen


Die Prasidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 23<br />

erwahnt, besitzt George Bush weder das<br />

gangers, noch kann er irgendein »Mandat« filr sich<br />

das die amerikanischen<br />

Wahler ihm hatten. 1m Gegensatz zu Reagans erster Amtsperiode<br />

wird Bush mit einem ihm feindlich demokratischen KongreB heftige<br />

Kampfe urn die wichtigsten<br />

Entscheidungen des Landes filhren mtissen.<br />

Zum Teil sind diese<br />

da die gegensatzlichen Interessen des<br />

tenllrrlmlmente:n Charakter teils spielen<br />

"VIHU,HvRessentiments einiger demokratischer Senatoren und<br />

"'''"'-'''""1-'''5'1'"' gegen Dukakis<br />

Rolle. Es bleibt<br />

ob<br />

U"VUJo;JlvlJ zu einem<br />

menden Dauerkrieg oder bloB zu einer Reihe spektakularer Einzelschlachten filhren<br />

wird.<br />

Genauso unklar bleibt, welch en George Bush die amerikanische Offentlichkeit in den<br />

nachsten vier lahren zu Gesicht bekommen wird: den alteren, pragmatisch konservativen,<br />

oder den neueren, aus dem Wahlkampf hervorgegangenen ideologischen Vorkampfer<br />

rechtsradikaler Stromungen. Wahrend Reagan aus tiefer Uberzeugung Prasident<br />

sein wollte, um einer von ihm vertretenen politischen Richtung an die Macht<br />

zu verhelfen, bleibt dies bei dem chamaleonhaften Bush unklar. Sicherlich nimmt<br />

Bush, im Gegensatz zu Reagans missionarischem Verhaltnis zum Amt des Prasidenten,<br />

eine viel instrumentalere Beziehung zu seiner Position ein. Doch bleibt es eine<br />

empirische Frage, ob sich das als Vor- oder Nachteil erweisen wird. Aller Voraussicht<br />

nach wird die Bushregierung ein Hybrid aus Pragmatik und ideologischem Engagement<br />

verkorpem, wobei Pragmatik die AuBen- und Verteidigungspolitik des Landes,<br />

ideologisches Engagement aber die Sozial- und Rechtspolitik der nachsten vier Jahre<br />

bestimmen werden.<br />

In der wichtigen Beziehung zur Sowjetunion wird Bush die in den letzten zwei Jahren<br />

der zweiten Amtszeit Reagans eingeschlagene Entspannungspolitik zah aber unentwegt<br />

weiterftihren. Da Detente und ihre politischen Folgen sich bei einer tiberzeugenden<br />

Mehrheit der amerikanischen Offentlichkeit einer groBen Beliebtheit erfreuen,<br />

wird Bush - trotz seiner heftigen »Falkenrhetorik« im Wahlkampf, die er sehr effektiv<br />

bentitzte, um Dukakis in die illegitime Ecke des Schwachlings und Kommunistenfreundes<br />

zu verbannen - auf allen Ebenen bilateraler Beziehungen der zwei Weltmachte<br />

Verstandigung mit Gorbatschow anstreben. So wird es sicherlich ernstzunehmende<br />

Verhandlungen zur weiteren Reduzierung von Mittelstreckenwaffen wie auch<br />

erstmalige Versuche des Abbaus strategischer Waffen geben. Kurzum: das Verhaltnis<br />

zur Sowjetunion wird in den nachsten Jahren von einer Atmosphare der »managed<br />

rivalry« beherrscht werden - also einer gezugelten, geordneten undkalkulierbaren im<br />

Gegensatz zu einer ideologisch und missionarisch bestimmten, Rivalitat -. Auf der<br />

Linie einer ideologischen Entspannung liegt auBerdem - wofilr die Person James<br />

Bakers stellvertretend btirgt - die entschiedene Deeskalierung des von Reagan und<br />

dem rechten Fltigel der republikanischen Partei mit viel ideologischem Elan gestarteten<br />

SDI -Projektes. Eine ahnliche Einschatzung scheint mir hinsichtlich der vermin-


24 Andrei S. Markovits<br />

derten Unterstiitzung der Contras in Nicaragua berechtigt. Zentrale auBenpolitische<br />

Probleme wird die Bushregierung meines Erachtens vor allem in den Beziehungen<br />

mit den Verbundeten der Vereinigten Staaten, allen voran Japan und Westeuropa,<br />

haben. Die Spannungen im westlichen Bundnis unterliegen strukturellen Bedingungen,<br />

die weder Bush noch irgendein anderer Prasident maBgeblich beeinflussen<br />

konnten. Die Verschlirfung okonomischer Rivalitaten hat bereits zu beachtlichen Irritationen<br />

im Verhliltnis der Vereinigten Staaten zu Japan und zum sich zusammenschlieBendem<br />

Westeuropa gefUhrt, und sie werden in den USA - aber auch in Westeuropa-'-<br />

dieStimmender·»Isolationisten« ·und·,,>Protektionisten« verstlirken auf<br />

Kosten derjenigen, diefiir »Integration«·und» Freihandel« pladieren. Derstark demokratisch<br />

besetzte KongreB wird versuchen, Bush in eine den Europaern und Japanern<br />

gegenuber kompromiBlosere Position bezuglich ihrer Handels- und Verteidigungspolitik<br />

zu zwingen. Konkrete politische MaBnahmen in diese Richtung wird es wohl von<br />

heute auf morgen nicht geben. Doch lliBt sich bereits heute eine wachsende Stromung<br />

in verschiedenenTeilen des Landes ausmachen, die darauf besteht, eine amerikanische<br />

Beteiligung am westlichen Biindnis (Japan inbegriffen) von erheblich hOheren<br />

Verteidigungsausgaben der westlichen Verbundeten und von einem stlirkeren Abbau<br />

ihrer Exportiiberschiisse in die USA abhlingig zu machen 13 • Da das gigantische Zwillingsdefizit<br />

die Margenjeder auBenpolitischen Handlung des Prasidenten in groBem<br />

Umfang und einschrankend bestimmen wird, ist abzusehen, daB sich die Beziehungen<br />

der Vereinigten Staaten zu Westeuropa und Japan in den nachsten Jahren - unabhlingig<br />

von der Person Bush - fUr alle Beteiligten hochst kompliziert, konfliktreich<br />

und unangenehm gestalten werden 14 •<br />

Der ideologische, dem rechtefl Flugel der republikanischen Partei verbunden George<br />

Bush wird sich meines Erachtens viel mehr im innen- als im auBenpolitischen Geschehen<br />

des Landes zeigen. Bush wird alles daransetzen, den massiven Rechtsruck<br />

seines Amtsvorglingers in der Rechtspolitik zumindest fortzusetzen, wenn nicht sogar<br />

zu verschlirfen. Das Justizministerium, vor Reagans Amtszeit auch unter den Prasidenten<br />

Nixon und Ford ein Hort der Verteidigung und Erweiterung der Rechte sozial<br />

schwacher Gruppen (durch das rigorose Durchsetzen von »affirmative action« besonders<br />

schwarzer, weiblicher und spanischsprechender Burger), wird unter dem<br />

Justizminister Thornburgh zwar die skandalumwitterte, offen sich rechtsradikal bekennende<br />

Haltung seines Vorglingers Meese nicht wiederholen, wird aber ebenfalls<br />

das von Reagan eingeschlagene massive »rollback« gegen sozial Schwache in der<br />

Rechtssprechung weiterfuhren. »Affirmative action« und alle damit verbundenen,<br />

aus der Johnson-Zeit stammenden, progressiven Reformen werden es unter einer<br />

Bush-Regierung kaum leichter haben als in den acht Jahren von Reagans Machtausubung.<br />

Von besonderer Wichtigkeit werden in diesem Zusammenhang Bushs Ernennungen<br />

fUr die Bundesgerichtsbarkeit sein; sein Vorglinger Reagan hatte ja bereits<br />

durch weit uber hundert Ernennungen fUr die nachsten zwanzig Jahre eine rechtslastige<br />

Zeitbombe in die Rechtssprechung des Landes eingebaut: Yom Prasidenten<br />

ernannte Bundesrichter konnen ihr Amt im Richterstuhl bis zu ihremAbleben behalten<br />

und tun dies in der Regel auch. Obwohl es in dem wahrscheinlich groBten Sieg des


Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 25<br />

demokratisch kontrollierten Senates tiber die Reaganregierung gelang, Robert Bork,<br />

einen fast am faschistischen Rand des politischen Spektrums sich bewegenden<br />

RechtsauBen und Reagans Lieblingsrichter, entschieden abzuweisen, konnte Reagan<br />

durch andere Ernennungen die im Grunde genommen aus der New Deal-AraFranklin<br />

Delano Roosevelts stammende liberale Tradition des obersten Bundesgerichtes<br />

endgiiltig in eine konservative Richtung wenden. Bush wird alles daransetzen, diesen<br />

zur Zeit noch prekiir vorhandenen konservativen Vorsprung durch eine gezielte Personalpolitik<br />

erheblich und fiir die nachsten 20 Jahre unwiderruflich zu verfestigen.<br />

Nurdas weitere Beharreri der bereits gesundheitlich Hidierten und tibel: 80jahrigen<br />

liberalen Troika der Richter Marshall,·· Blackmun· und· Brennan und natiirlichder<br />

demokratische Senat konnen Bush von seinem Vorhaben abhalten, die »Reaganrevolution«<br />

in der obersten Etage der amerikanischen Bundesrechtssprechung in den<br />

nachsten Jahren noch weiter auszubauen.<br />

Bush wird Reagans extrem antjgewerkschaftliche Haltung fortsetzen und damit die<br />

allgemein antigewerkschaftliche Atmosphiire der 80er Jahre weiterhin legitimieren.<br />

Aus lihnlichem ideologischen Eck werden die weiteren Einschrlinkungen der Sozialleistungen<br />

stammen. Ferner muB man mit einem frontalen Angriff gegen die Legalisierung<br />

der Abtreibung und gegen ihre staatliche finanzielle Untersttitzung fiir Frauen<br />

aus armen Schichten rechnen, da dieser Angriffspunkt seit J ahren das wahrscheinlich<br />

zentralste Anliegen der innerhalb der republikanischen Partei sich artikulierenden<br />

»neuen Rechten« ist. Bush wird sich bemtihen, dem Mandat des neuen republikanischen<br />

Blocks gerecht zu werden, indem er danach trachten wird, viele seiner resp. des<br />

Blocks Wiinsche, die sich vornehmlich entlang der sozio-kulturellen Achse meines<br />

Schemas bewegen, so weit wie moglich zu erftillen. Ob ihm die weitere Durchsetzung<br />

des Reaganschen rollbacks der Sozial- und Rechtspolitik gelingen wird, bleibt nicht<br />

zuletzt auch eine Frage der Kampffahigkeit und -bereitschaft des demokratisch<br />

dominierten Kongresses.<br />

Nichts jedoch wird brisanter fiir Bush und seine politische Zukunft als das immer<br />

akuter werdende Problem der bereits erwlihnten und stlindig wachsenden Zwillingsdefizite.<br />

Wohl selten driickte sich ein Politiker so klar und wiederholt wie Bush in seinem<br />

Wahlversprechen aus: »Keine neuen Steuern« beteuerte er landauf und landab.<br />

»Read my lips«, forderte er seine Zuseher auf, indem er die Worte »no new taxes«<br />

ohne Ton aber mit urn so prononcierterer Mimik nachahmte. Dieses Versprechen zu<br />

halten, wird Tag fiir Tag schwieriger, da immer mehr Fachleute und Politiker aus<br />

beiden Parteien, den Ernst der Lage klar erkennend, Steuern fiir die partielle Begleichung<br />

des gigantischen Haushaltsdefizits fordern. Bushjedoch beharrt weiterhin<br />

auf der von seinem Vorganger beschworenen und auch nach ihm benannten vermeintlichen<br />

Heilungskraft der »Reaganomics«, die Bush selbst (in seinem 1980 erfolglos<br />

gegen Reagan gefiihrten Wahlkampf) zurecht als »voodoo economics« bezeichnet<br />

hatte. Meines Erachtens wird es zu einem KompromiB in dem Sinne kommen, daB im<br />

zweiten Jahr der Bush-Regierung sein Versprechen, jegliche SteuererhOhung zu vermeiden,<br />

als ein Versprechen gegen die Erhohung individueller Einkommenssteuern<br />

ausgelegt wird, urn so die Einftihrung anderer Steuererhebungen zu ermoglichen. Wie


26 Andrei S. Markovits<br />

immer dies auch ausgehen mag: Es besteht die groBe Chance, daB sich Bush hier in<br />

ein unlOsbares und fUr ibn schlieBlich potentiell verhangnisvolles Dickicht verrennt.<br />

Wenn er einersdts gezwungen wird, entgegen seinen Beteuerungen Steuererhohungen<br />

durchzufUhren, verliert er viel von seiner Legitimit1it und wird somit in erheblichern<br />

MaBe politisch verwundbar. Steht er aber zu seinem Wahlversprechen, konnte<br />

es zu einem fUr das Land folgenschweren okonomischen Desaster kommen, welches<br />

fUr Bush ebenfalls zum politischen Verhangnis werden konnte. In beiden Hillen<br />

mtiBten die Demokraten die groBten NutznieBer dieser prekliren Lage werden, da -<br />

fallssie die Bedingungen politisch richtig umsetzen und sodann gehOrig ihre Klientel<br />

mobilisieren - mit einem gehorigen Bedeutungszuwachs der okonomischen Achse<br />

meines Schemas zu rechnen ist. Wie bereits erwiihnt, wiirde eine solche Konstellation<br />

den Demokraten zugute kommen. Ob sie dies dann fUr ihre Zwecke auch vorteilhaft<br />

ausniitzen konnen, bleibt eine rein empirische Frage, deren Beantwortung von den<br />

nachsten Schritten der demokratischen Partei bestimmt wird.<br />

Fur die Demokraten: Was tun?<br />

Der Demokratischen Partei stehen sehr schwierige und konfliktgeladene Jahre bevor.<br />

Die Partei muB sich wieder mit ihrer »Oppositionsrolle« im KongreG abfinden. Damit<br />

sind zwei Gefahren verbunden: Falls sie sich als zu engstirnige und kleinkarierte<br />

Opposition gegen die Bushregierung erweist, konnte sie als eine schlechte Verliererin<br />

und Spielverderberin in der Offentlichkeit diskreditiert und sogar fUr die<br />

Fehlleistungen der Regierung verantwortlich gemacht werden. Andererseits darf sie<br />

sich aufkeinen Fall von Bush einschiichtern lassen. Sie muG, ganz im Gegensatz dazu,<br />

vielmehr stets danach trachten, der Regierung auf allen politisch wichtigen Ebenen<br />

gehOrig Paroli zu bieten - seies als eine Fortsetzung des bereits in der Reaganlira<br />

relativ effektiv angewendetem »check« der Regierung in ihrer Mittelamerikapolitik,<br />

oder als »balance« zu Bushs konservativen Vorhaben in der Rechts- und Sozialpolitik:Dieses<br />

bereits sehr schwierige Unterfangen wird den Demokraten auch deswegen<br />

schwer fallen, weil die Gruppierungen dieser Partei in den kommenden vier Jahren<br />

weder verschwinden noch sich zu einer harmonischen Einheit zusammenfinden<br />

werden. Die zentrifugalen Fliigelklimpfe, die dt


Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 27<br />

Selbstverstandlich bedeuten<br />

Charisma viel in<br />

der doch sie sind - Roger Ailes's Fonnalismus zum Trotz - auch<br />

in einem amerikanischem Wahlkampf bei weitem nicht alles. Wie ich zu zeigen verhat<br />

gerade der letzte<br />

bestatigt, daB Inhalte und Ideologien weiterhin<br />

eine groBe Rolle Allerdings muB man sie den auch effektvoll<br />

vennitteln konnen. In den letzten drei<br />

das Problem<br />

der Demokraten daB sie weder auf dem Gebiet der Fonnen noch auf dem der<br />

Inhalte einen den Republikanem ebenbiirtigen Gegner abgaben. Nur wenn es ihnen<br />

bereits die aktiv filr das Geschehen zu mobilisich<br />

gelltllch auch<br />

-- solange die<br />

Demokraten dabei nur das seit 1980 von den Republikanem dominierte politische<br />

Feld wieder zurtickgewinnen. Ihre NachzUglerrolle im politischen Diskurs werden<br />

die Demokraten in den nachsten Jahren nur durch eine aktive Mobilisierung verandem<br />

konnen. DaB eine solche Mobilisierungsstrategie kein Phantom wurde durch<br />

die letzten zwei Wochen des Dukakiswahlkampfes, in dem es einem mobiliserenden<br />

Dukakis fast noch gelungen ware, die Kohlen aus dem Feuer zu holen, klar bestatigt.<br />

Die Demokraten konnen sich Drtickebergertum nicht langer leisten, sie miissen kIar<br />

Farbe bekennen. Dazu aber wird sie nur eine offensive Strategie der Mobilisierung<br />

bringen; solche Prozesse, mit Nachdruck durchgefiihrt, haben noch immer zur Prazisierung<br />

politischer Inhalten entscheidend beigetragen.<br />

Konkret heiBt dies, daB es den Demokraten wiederum gelingen muE, fUr die Dauer des<br />

Wahlgangs im Herbst 1992 eine Klassenkoalition zusammenzuschmieden. Sie mtissen<br />

erreichen, daB anne WeiBe, Schwarze, »hispanics«, Juden und »organized labor«<br />

sich zu einer Wahlkoalition zusammenfinden, die progressive Refonnen in der 80-<br />

zial-, Rechts- und Wirtschaftspolitik befUrwortet. Soziologisch gesprochen konnen<br />

die Demokraten ihr Wahlschicksal nicht einer Tragerschicht der amerikanischen BevOlkerung<br />

allein iiberlassen. Sie mtissen pluralistisch vorgehen, indem sie bewuBt die<br />

universalistischen Dimensionen von Klasse den zentrifugalen und partikularistischen<br />

Eigenschaften von EthnizWit gegentiberstellen. Sie mtissen also einer starken Grundstromung<br />

amerikanischer Politik entgegensteuem, was sicherlich kein leichtes Unterfangen<br />

sein wird. Mir schwebt hier eine bereits von Jesse Jackson begonnene Strategie<br />

der »rainbow coalition« VOf, jedoch eines auch die Mitte des politischen Parteispektrums<br />

der Demokraten beinhaltenden Regenbogens - was zwangslaufig gegen<br />

eine Kandidatur Jesse Jacksons spricht. Obwohl sicherlich brilliant und historisch<br />

zweifellos mit den positiven Leistungen Martin Luther Kings gleichsetzbar, war die<br />

Person Jacksons - bezeichnenderweise jedoch nicht seine Politik - ftir viele Stammwahler<br />

der Demokraten einfach unakzeptabeps. Moglicherweise konnte ein etwas<br />

zentristischerer Jackson (vielleicht der aus<br />

sehr populiire<br />

schwarze Kongressabgeordnete und derzeitige Vorsitzende des Finanzausschusses<br />

William Gray oder der New Jersey reprasentierende und sich groBer Popularitat erfreuende<br />

Senator Bill Bradley) diese »Regenbogenkoalition der Mitte« mit all ihren<br />

wichtigen sozialen Bestandteilen - d.h. den Gruppen aus der von Jackson mobilisier-


28 Andrei S. Markovits<br />

ten »rainbow coalition« einerseits und den der gemaBigteren Tradition der Partei<br />

angehorigen Teilen andererseits - geschickt zusammenschweiBen. Wie die SPD, so<br />

brauchen auch die Demokraten ffir einen Wahlsieg auf nationaler Ebene eben beide<br />

Fltigel ihrer gegensiitzlichen Stromungen.<br />

Inhaltlich hieBe dies, daB sich die Demokraten unzweideutig auf ihre alten Werte<br />

eines Primates von okonomischem Liberalismus (in seiner amerikanischen Deutung)<br />

besinnen mtiBteh. Die Kluft, die sich auch dieses Mal innerhalb der Partei -zwischen<br />

Jackson's »rainbow coalition« und den gemiiBigteren Demokraten - so verhangnisvolTreproduzierte,<br />

war riichts anderes als jene seit 1968 und 1972 permanent sich<br />

manifestierendeinnerparteiliche Zersetzung auf derkulturellen und sozialen Achse,<br />

nicht jedoch auf der okonomischen. »Liriks« und »rechts« innerhalb der demokratischen<br />

Partei haben seit 1968 viel mehr mit Einstellungen vis a vis Mittelameria, Mittelstrekkenraketen,<br />

okologischen Fragen, Btirgerrechten fUr Homosexuelle, Legalisierung<br />

von Marihuana und anderen nicht-okonomischen Topoi zu tun als mit Fragen<br />

einer progressiven Steuerreform, der Errichtung eines staatlich geleiteten Gesundheitswesens<br />

und eines massiven Ausbaues der offentlichen Bildung. Sowohl innerparteilich<br />

als auch in der amerikanischen Wahlerschaft schlechthin sind Koalitionen<br />

urn diese Topoi eher durchfUhrbar und bestandiger als die ersteren. Wenn es den Demokraten<br />

gerlingen sollte, die Vorteile eines aktiven Staates ffir die sozial Schwachen<br />

hervorzuheben, konnten sie wiederum eine solidarische Politik ffir sich beanspruchen,<br />

und die hatte - so die Befunde - groBe Sympathien einer eindeutigen Mehrheit<br />

der arbeitenden Bevolkerung. Durch eine gezielte Mobilisierung fUr okonomische<br />

Fragen konnte es den Demokraten eventuell gelingen, das Primat der okonomischen<br />

Achse ffir politische Koalitionen wiederherzustellen und damit - so meine These -<br />

eine Prasidentschaftswahl ffir sich entscheiden. Den Kern einer solchen Mobilisierung<br />

konnte meines Erachtens die von den Republikanern mit eindeutig reaktioniiren<br />

Absichten untemommene Defizitpolitik der Reagan-Jahre Hefem. Durch die Aufrechterhaltung<br />

dieses Marnmutdefizites wollten die Republikaner die DurchfUhrung<br />

jeglicher sozialer Reformen fur eine lange Zeit einfach unmoglich machen 16 • Dieser<br />

skandalose Vorgang wurde bis jetzt von den Demokraten kaum angemessen politisiert.<br />

Hier gibt es also sicherlich einen groBen Nachholbedarf. Ferner konnten die Demokraten<br />

in der jetzigen A.ra Gorbatschows, ohne sofort in den Verruf der Volksverrater<br />

und Schwachlinge zu geraten, massiv gegen das Verteidigungsbudget angehen<br />

und dem amerikanischen Yolk des sen enormen »Verdrangungseffekt« gegenuber<br />

sozialen Leistungen klar vor Augen fUhren. Urn es gerafft auszudrticken: Solange es<br />

den Demokraten nicht gelingt, den Diskurs von der sozial-kulturellen auf die okonomische<br />

Achse umzuleiten, werden die Republikaner ihr Monopol im WeiBen Haus<br />

weiterhin behaupten konnen. Bine tiberwiiltigende Mehrheit der amerikanischen Burger<br />

will einen ausgebauten Sozialstaat, erh6hte Sozialleistungen, besser bezahlte und<br />

sichereArbeitsplatze, bessere Schulen und so manches mehr, was man mit dem »Liberalismus«<br />

der Demokraten verbindet. Urn dies zu realisieren, muB die Partei eine<br />

»horizontale« Koalition - also die einer okonomischen Interessensgemeinschaft - zumindest<br />

ffir die Dauer des bedeutenden Urnenganges im November 1992 zusammen-


Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 29<br />

schmieden. Sie muS sich offen(siv) zu ihrer aus Franklin Delano Roosevelts Zeiten<br />

stammenden Starke eines okonomischen Liberalismus bekennen. Ob die Demokraten<br />

dies auch tun werden, vermag zur Zeit niemand - am ,",W"M""'-'H sie selbst - mit<br />

einem MindestmaB an GewiBheit vorauszusagen.<br />

Der Sieg des 32jiihrigen, sehr liberalen Evan Bayh in der Gouvemeurswahl des Bundesstaates Indiana<br />

ist besonders interessant. Sein ebenfalls liberaler Vater, Birch Bayh, wurde von dem jetzigen<br />

Vizeprasidenten der Vereinigten Staaten, Dan Quayle, im Sog des ersten groBen Reagansieges 1980<br />

im Senatorenwahlkampf des Staates iiberraschend hoch geschlagen. Indiana, eine besonders auf<br />

Bundesebene traditionelle Bastion der Republikaner, war in dem Wahlverhalten seiner Biirger sehr<br />

typisch fiir den von mir in diesem Aufsatz geschilderten SpaltungsprozeB zwischen Bundesebene<br />

einerseits und Staats- und Kommunalebene andererseits, den wir immer prononcierter bei Prasidentenwahlen<br />

in den Vereinigten Staaten beobachten konnen. Wiihrend knapp iiber 60 % der Wahler<br />

Indianas Bush Dukakis klar vorzogen, stimmten 54 % fiir den liberalen und jungen Bayh und erteilten<br />

somit dem Bush sehr nahestehenden und ihm auch sehr iihnlichen Govemeurskandidaten der Republikaner<br />

eine elltschiedene Abfuhr.<br />

2 Der Begriff »ethnics« meint stets weiBe Biirger, die hauptsachlich in den urbanen Zentren des Nordostens<br />

wohnen und nicht - wie die WASPS (White Anglo-Saxon Protestant), Skandinavier und<br />

Deutsche - protestantischen und nordeuropaischen Ursprungs sind. »Ethnics« sind also Italo-Amerikaner,<br />

Polen, Iren, Portugiesen, aile Amerikaner ost- und sudeuropmscher Herkunft, wie auch<br />

katholischer und verschiedener christlich-orthodoxer Religionsbekenntnisse. Juden gehOren jedoch<br />

nicht dazu. Die wiederum - wie Schwarze, Hispanics (spanisch sprechende Burger) und andere<br />

Gruppen - sind eine Kategorie fur sich.<br />

3 Sowohl der Kennedy- als auch der Johnson-Sieg symbolisieren fast idealtypisch die zwei groBen<br />

politischen Flugel der von der Rooseveltschen Koalition gepragten »aiten« demokratischen Partei.<br />

Kennedy, als erster nichtprotestantischer Prasident der Vereinigten Staaten, vertrat den niirdlichen<br />

Flugel der Partei, der sich aus den »ethnics« des Nordens, »organized labor«, Industriekapital und den<br />

Bewohnem der niirdlichen Industriezentren des Landes zusarnmensetzte. Johnson wiederum vertrat<br />

als Texaner den sudstaatlichen Flugel der Partei. Es konnte darum eben nur ein Sudstaatler wie Johnson<br />

die graBen Burgerrechtsreforrnen der 60er Jahre durchfiihren, die die amerikanische Offentlichkeit<br />

- wie eben auch die demokratische Partei - grundlegend andem sollten.<br />

4 Fur Dukakis stimmten auBer den Schwarzen im bereits erwiihnten 90:10 Verhaltnis noch die Hispanics<br />

(70:30) und die Juden (65:35). Ansonsten konnte Bush jede andere ethnische Gruppe fiir sich<br />

gewinnen. DaB die Demokraten weiterhin die Partei der Annen sind, belegen folgende Zahlen: Leute<br />

mit einem Farnilienjahreseinkommen unter $ 12500 wiihlten 62.:38 fUr Dukakis, die nachsthohe<br />

Einkommensgruppe ($ 12500 - $ 24999) spaltete sich genau 50:50 zwischen Dukakis und Bush;<br />

danach wiihlten aile Einkommensgruppen fUr Bush. Interessant ist, daB die Hohe der jeweiligen<br />

Unterstutzung fur Bush sich viillig proportional mit dem Einkommensanstieg der jeweiligen Gruppe<br />

verhielt. Leute mit einem Familienjahreseinkommen uber $ 100000 wahlten im Verhaltnis 65:35 fUr<br />

Bush.<br />

5 Obwohl es zuerst den Anschein hatte, daB es mit Dukakis-Bentsen zu einer Wiederbelebung der<br />

letzten fUr die Demokraten so erfoigreichen Massachusetts-Texas Achse durch Kennedy-Johnson<br />

kommen sollte, wurde relativ bald klar, daB Dukakis nie mit denselben strukturellen Vorteilen innerhalb<br />

seiner Partei wie sein Vorganger und »Landsmann« Kennedy rechnen konnte. Nicht nur war der<br />

Suden, der sich noeh zu Kennedys Zeiten fest in den Hiinden der Demokraten befand, den Demokraten<br />

bei Prasidentschaftswahlenlangst abtriinnig geworden. Es gab auch seit Anfang der 70er Jahre keine<br />

der beriihmt-beriichtigten »urban machines« mehr, die - wie im Faile von Richard Daleys Chicago<br />

im Jahre 1960 mit allen legalen und illegalen Mitteln den Demokraten wichtige Wahlsiege einfach


30 Andrei S. Markovils<br />

--------------------------<br />

garantierten. Baley und seine Chicago »machine« wurden u.a. von Jesse Jackson und anderen die<br />

demokratische Partei demokratisierenden post-68er Bewegungen und Reformen endgiiltig aus der<br />

Macht gewiesen. Wie alles in der Politik, hatte auch diese per Saldo sehr positive Entwicklung ihre<br />

negativen Seiten.<br />

6 Der Carter-Sieg im Jahre 1976 war genau so ein historischer Ausnahmefall. Die Legitimitat der Republikaner<br />

war unmittelbar nach dem Watergateskandal, in dem Richard Nixon die Hauptfigur spielte,<br />

einfach zu angeschlagen, urn bei der Prasidentschaftswabl zu reussieren. Trotz Watergate und trotz<br />

der niedrigen Popnlaritat des republikanischen Kandidaten Gerald Ford konnten die Demokraten in<br />

letzter Minute nur einen hauchdiinnen Sieg ins Ziel retten. Bezeichnenderweise - und die historische<br />

Ausnabme noch bekraftigend - war der siegreiche demokratische Kandidat Jimmy Carter Gouverneur<br />

des Staates Georgia, also ein Politiker des sogenannten »tiefen Siidens«. Nur dadurch konnten<br />

die DemokIaten zumindest einige der wichtigen - bei weitem jedoch nieht aile - Siidstaaten fUr sich<br />

gewinnen.<br />

7 Es ist sehr interessanl, daB aueh Jesse Jackson bei den Vorwahlen der demokratischen Partei nur in<br />

fast »schwarzenreinen« Staaten wie Vermont, Wisconsin, Oregon, Washington und Maine eine signifikante<br />

Zabl weiBer Stimmen fUr sich gewinnen konnte. Wahrend ~ackson 92 % der Schwarzen, die<br />

in den Vorwablen die Demokratische Partei wahlten, fiir sich beanspruchen konnte, waren es nur<br />

knappe 12 % der weiBen DemokIaten, die Jackson ihre Stimme gaben.<br />

8 Interessant is!, welche Schwierigkeiten etablierte Linksparteien mit dem richtigen Ansprechen von<br />

Emotionen haben: An Emotionen zu appellieren, sehen sie als »billig«, »demagogisch« und daher als<br />

»unmoralisch« an und iiberlassen dieses wichtige Feld darum lieber den Konservativen und<br />

Rechten.<br />

9 So hatte er z.B. argumentieren konnen, daB es George Bush, nicht Micheal Dukakis war, der unpatriotisch<br />

bzw. »unamerikanisch« handelte, indem er die Rechtssprechung eines rechtsstaatlichen<br />

Gerichtes vollig miBachtete. Ferner tatte Dukakis Bush den Vorwurf machen konnen, daB es eben<br />

sehr »arnerikanisch« sei, den Unterricht in den Schulen pluralistisch zu gestalten und niemandem<br />

gegen seinen Willen einen Eid aufzuzwingen. Er hatte also - den Individualismus politisierend -<br />

Bushs vermeintlichen Patriotismus mit einem sehr »arnerikanischen« Argument angreifen und bloBstellen<br />

kiinnen.<br />

10 Es ware vielleicht nieht unangebracht, dem deutschen Leser an dieser Stelle eine kurze ErkIarung des<br />

arnerikanischen Begriffs »liberal« darzubieten. Obwohf es den Begriff »liberal« in den USA selbstverstandlich<br />

schon vor der Regierungsara Franklin Delano Roosevelts gab, tauchte er in der politischen<br />

Alltagssprache nur sporadisch auf und war relativ unbedeutend. Da er erst von Roosevelt in<br />

wirklich massiver und dann das Wesentliche seines »New Deal« charakterisierender Art eingefiihrt<br />

wurde, brachte die amerikanische Offentiichkeit den Begriff »liberal« seit dieser Zeit hauptsachlich<br />

mit den wichtigsten Topoi Rooseveltscher Reformen in Zusarnmenhang. Foiglich meint »Wirtschaftsliberalismus«<br />

in den Vereinigten Staaten: Staatsinterventionen in die Wirtschaft, keynesianische<br />

Globalsteuerung, aktive Fiskal- und Geldpolitik des Staates, den Ausbau der/s sozialen Sicherung!Netzes,<br />

progressive Steuerpolitik - eben eine Ausbreitung und Vertiefung sozialer Rechte und<br />

okonomischer Gleichheit. 1m okonomischen Bereich ist also das amerikanische »liberal« dem europaischen<br />

»sozialdemokratisch« wablverwandt, wlihrend es im »Uberbau-l;lereich« - also im Bereich<br />

personlicher Freiheiten, Begrenzung willkiirlicher Staatsmacht dem individuellen Biirger gegeniiber,<br />

politischer Kultur und in bezug auf die meisten Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft in der<br />

biirgerlichen Offentlichkeit schlechthin - die zentralen Charakteristika des klassichen europaischen<br />

Liberalismus teilt. Amerikanische Liberale sind also Zwitter: In der Okonomie den europaischen Sozialdemokraten<br />

lihnlich, im »Uberbau« den Liberalen der alten Welt nahestehend. In Europa entstand<br />

der Liberalismus im Kampf um politische Rechte und Freiheiten der Biirger dem absolutistischen<br />

Staat gegeniiber; in Amerika hingegen hatte das, was heute unter dem Begriff >,liberalism« verstanden<br />

wird, seinen Ursprung im Kampf urn grofieren sozialen Schutz und erweiterte wirtschaftliche Recht<br />

fUr die im Wettlauf der »freien Marktwirtschaft« Unterlegenen.<br />

11 So waren z.B. einige Vertreter der osteuropaischen «ethnics» innerhalb del" republikanischen Partei<br />

ehemalige aktive Mitglieder von Organisationen wie der »Eisernen Garde« des faschistischen Rumanien,<br />

der »Pfeilkreuzer« des faschistischen Ungarn und vergleichbarer Organisationen in Bulgarien<br />

und anderen osteuropaischen Uindern. AuBerdem war einer der engsten Bushberater ein gewisser


Die Priisidentschaftswahl1988: Eine analytische Skizze 31<br />

Frederic V. Malek. AufNixons Anweisung hin hatte er alle Juden im Bureau of Labor Statistics, einer<br />

von Nixon wegen ihres - so des sen Originalton - linkslastigen Rufes gehaBten Bundesbehiirde,<br />

namentlich abgezahlt und diese Liste dem Prasidenten dann vorgelegt.<br />

12 Fur diejenigen Leser, die der modemen Konsumgesellschaft mil etwas Abneigung begegnen, seien<br />

die Begriffe »Teflon« und »Velcro« hier kurz erkliirt. Wahrend »Teflon« ein Kunststoff ist, an dem<br />

nichts haften bleibt und von dem alles abprallt, besitzt »Velcro« genau entgegengesetzte Eigenschaften,<br />

denn alles bleibt an ihm kleben. Reagans teflonartige Eigenschaften haben diesen Mann zu einem<br />

in der modemen amerikanischen Geschichte einzigartigen Phanomen gemacht: Kein anderer Prasident<br />

verlieB nach achtjahrigem Amtsbesitz das WeiSe Haus mit einem noch hiiheren Beliebtheitsgrad<br />

als mit dem, den er zu Beginn seiner Amtsperiode schon hatte. AuBerdem war der Beliebtheitswert<br />

Ronald Reagans bei seinem Abgang hiiher als der jedes anderen aus seinem Amt scheidenden Prasidenten.<br />

13 Es sol! hier in Erinnerung gerufen werden, daB es hauptsachlich der linke bzw. gewerkschaftliche<br />

Fluge! der demokratischen Partei ist, der ein griiBeres finanzielles Engagement besonders der reichen<br />

Verbundeten der Vereinigten Staaten - allen voran die B undesrepublik Deutschland und Japan - fUr<br />

ihre eigene Verteidigung erwartet. Im Wahlkampf waren es hauptsach!ich Jesse Jackson und die<br />

bereits friih ausgeschiedene Abgeordnete aus Colorado, Pat Schriider, die auf das ihrer Meinung nach<br />

unsolidarische Verhalten der reichen Japaner und Westdeutschen im Bundnis mit den Vereinigten<br />

Staaten hinwiesen. Wie bereits eingangs erwiihnt, anderten sich die Fronten im Laufe der post-Vietnam-Ara:<br />

ein wichtiger Flugel der Demokratischen Partei entwickelte sich zu Isolationisten, wahrend<br />

die Republikaner wen friiheren Isolationismus gegen einen Interventionismus austauschten.<br />

14 Man kann sich folgendes Szenario vorstellen: Drei groSe B1iicke - Westeuropa unter der eindeutigen<br />

Hegemonie der Bundesrepublik, Nordamerika unter der ebenfalls eindeutigen Vorrangstellung der<br />

USA und Japan mit seinen Markten im Femen Osten - werden sich immer abgeschotteter und miBtrauischer<br />

gegeniiberstehen. Wahrend die blockintemen Wirtschaftsbeziehungen in allen drei Hillen<br />

jeweils einen immer »organischeren« Charakter annehmen, werden die Interblockbeziehungen zunehmend<br />

»kunstlich« bzw. »verwaltet«. Es entwickelt sich eine Wirtschaftsbeziehung, die man auf<br />

Englisch »managed« im Gegensatz zu »integrated« nennt. Dadie Japaner in diesem Schema den weitaus<br />

kleinsten Markt fUr sich in Anspruch nehmen kiinnen, wird diesem Szenario gemaB - die<br />

Zukunft fUr sie am konfliktreichsten und potentiell am schwierigsten.<br />

15 Hier spielen einige Faktoren eine Rolle: Erstens seine antisemitischen Bemerkungen und antijudische<br />

Einstellung, die nicht nur bei jiidischen Wahlem der Partei, sondem auch bei anderen Demokraten<br />

Befremden hervonief. Zweitens seine politische Unerfahrenheit, denn nie in seinem Leben bekleidete<br />

er ein politisches Amt irgendeiner Art, sei es auf nationaler, staatlicher oder lokaler Ebene. Drittens<br />

sein auf dem Charisma des Predigers beruhender politischer Diskurs, der bei vielen »rationalen« und<br />

siikularisierten Zentristen der Partei ein gewisses Unbehagen hervorrief.<br />

16 DaB dies kein paranoides Hirngespinst von Demokraten und progressiv eingestellten Leuten sondem<br />

ein klarer Plan der »Reaganrevolntion« war, ist seit den AuBerungen David Stockmans, des ersten<br />

Budgetdirektors der Reaganregierung, kaum mehr bestreitbar. Stockman muBte auch wegen dieser<br />

Bemerkungen aus dem Reaganteam ausscheiden.


32<br />

wurde im<br />

BOer Jahre<br />

wodurch sich nul' die Akkumulationsstruktur<br />

Finanzinnovationen, stabile Kreditbeziehungen<br />

unterminierende junk del' Aufkauf riesiger Unternehmenskonglomerate<br />

mit einem Vorschuj3 an Eigenkapital sind nur einige Stichworte zu del' unglaublichenAusdehnung<br />

spekulativen All dies sind Zeichen del' Auflosung<br />

des alten monetiiren ohne bereits Strukturen eines neuen ''''''nT"",,<br />

Geldsystems entstanden waren. Die These des Autors: Der Dollar muj3 als Weltgeld<br />

afJ/'1{UIKen. um die Blockaden in del' Weltwirtschaft iiberwinden zu konnen.<br />

Im letzten Jahrzehnt hat sich das Kredit- und Bankensystem in den Vereinigten Staaten<br />

radikal verandert. Inmitten einer tiefen Wirtschaftskrise wurde das Finanzsystem<br />

dereguliert und dadurch vollig neuen Spielregeln unterworfen. Dieser ProzeB hat deshalb<br />

weitreichendeAuswirkungen auf die Struktur und Wachstumsdynamik der amerikanischen<br />

Wirtschaft, weil sich dabei auch die Rolle des Kredits imAkkumulationsprozeB<br />

verandert hat.<br />

Kredit, das Rohmaterial des<br />

ist von grundlegender Bedeutung in einer<br />

Geldwirtschaft. Es liegt ja in der N atur der Warenproduktion, daB die Produzenten ihr<br />

werst investieren miissen, urn es spater durch Profit<br />

zu konnen.<br />

also Geld aus, bevor sie es wieder verdienen. Der Kredit die<br />

""u,,,,!'.,:tu,"u und Einkommen zu tiberwinden. Aber auch Konsumenten<br />

brauchen mitunter entweder urn sich etwas sehr Teures zu kaufen<br />

ein<br />

oder urn iaUivi.'U,", '~UM~'J~H mit Kreditkarten zu decken. Zu<br />

erwahnen ist schlieBlich der<br />

die Tenzu<br />

realisieren oder einfach<br />

SUllpl


Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 33<br />

die Zentralisierung des Kapitals. Sie spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Verteilung<br />

von Ressourcen, da sonst brachliegendes Geld tiber diverse Finanzmarkte fur<br />

bestimmte Investitionszwecke mobilisiert wird.<br />

Als Industrie- und als Finanzkapital nimmt Geld zwei verschiedene Formen an, deren<br />

Beziehungen miteinander recht kompliziert sind. Auf der einen Seite ist das Finanzkapital<br />

mehr oder weniger passive Stiitze des Industriekapitals, indem es entweder<br />

Investitionen zur Ausweitung der Produktionskapazitaten finanzieren hilft oder<br />

die fUr die Profitrealisierung notwendige Nachfrage ankurbelt.<br />

Andererseits istdas Finanzkapital als· (oftattraktivere)· Investititmsaltemativeauch<br />

ein aktiver Konkurrent des Industriekapitals. Vor aHem das in spekulativer Absicht<br />

getragene Handeln mit Papieren auf Finanzmarkten (jiktives Kapital) existiert in relativer<br />

Autonomie von der Mehrwertproduktion in der Industrie.! Diese duale Natur<br />

des Finanzkapitals beztiglich der Akkumulationsdynamik wird nicht zuletzt durch die<br />

Beziehung zwischen Zinssatzen und Profitraten bestimmt.<br />

Letztlich ist das Finanzsystem auch von strategischer Bedeutung als Quelle der GiralgeldschOpfung<br />

durch Kreditgewahrung der Banken. Da die Sparernormalerweise nur<br />

einen kleinen Teil ihrer Guthaben abheben, brauchen die Banken nur einen Bruchteil<br />

ihrer Depositenkonten als Bargeldreserve zur Deckung von Abhebungen bereitzuhalten.<br />

Der Rest ist ein UberschuB, der gegen Zinsen ausgeliehen werden kann. Einzelne<br />

Banken konnen nicht mehr als ihre UberschuBreserven ausleihen und dadurch in<br />

neues Giralgeld umwandeln, da sie sonst Gefahr laufen, ihre Reserven aufzuzehren.<br />

Das Bankensystem als Ganzes kann aber ein Vielfaches der urspriinglichen UberschuBreserven<br />

an neuem Gejd schaffen, weil die als Giralgeld zirkulierenden Schecks<br />

Reserven von einer Bank zur nachsten transferieren. Ich will im weiteren zunachst<br />

einen Uberblick tiber die historischen Regulierungen des Geld- und Kreditsystems<br />

der USA geben, urn dann im weiteren ausfUhrlicher auf die jtingsten Umstrukturierungen<br />

einzugehen. 1m Fall der USA, der Hegemonialmacht der kapitalistischen<br />

Weltwirtschaft seit dem Ende des 2. Weltkrieges, kann sich die geld- und kreditpolitische<br />

Analyse allerdings nicht auf den Bereich des Nationalstaates beschranken.<br />

Urn der Weltgeldrolle des US-Dollars Rechnung zu tragen, ist es notwendig, auch auf<br />

das Zusammenspiel »intemer« und »extemer« geld- und kreditpolitischer Strukturen<br />

einzugehen.<br />

Die staatliche Regulierung des Finanzkapitais<br />

Die Regulierung des Kapitals im politisch-institutionellen Uberbau wurde in der franzosischen<br />

Regulationstheorie als Akkumulationsregime definiert 2 • Weil das Finanzwesen<br />

in der kapitalistischen Wachstumsdynamik und deren Krisentendenzen eine<br />

grundlegende Rolle spielt, ist die staatliche Regulierung des Geldes und des Kredits<br />

offensichtlich wesentlicher Bestandteil einesAkkumulationsregimes. Diese Staatsregulierung<br />

hat verschiedene Dimensionen:


34 Robert Guttmann<br />

(a) Die Zentralbank (seit 1913 die Federal Reserve in den USA) versucht die Giralgeldschopfung<br />

im Bankenwesen durch eine Kontrolle der Bankreserven zu beeinflussen.<br />

Diese Geldpolitik basiert auf der traditionellen Annahme, daB es zwischen der<br />

jeweilig vorhandenen Geldmenge und dem Wirtschaftswachstum eindeutige Zusammenhange<br />

gibt. 3<br />

(b) 1m Rahmen des internationalen Geldsystems ist die Zentralbank auch fUr den Einund<br />

Verkauf fremder Wahrungen, das Manipulieren von Wechselkursen und die Abwicklung<br />

von Zahlungsverpflichtungen mit dem Ausland verantwortlich.<br />

(c)Finanzinstitutionen und -markte werden durGh eine Reihe von Verordnungen geregelt,<br />

wie zurnBeispiel selektive Kreditkontrollen, Regeln zur BegrFllZung destabilierenden<br />

Marktverhaltens und der Differenzierung zwischen verschiedenen Institutionen,<br />

wodurch die Struktur des Finanzsystems bestimmt wird. 4<br />

(d) Die moglicherweise verheerenden Auswirkungen akuter Geld- und Finanzkrisen<br />

konnen durch staatliche Mechanismen der NotJallJinanzierung (»lender of last resort«),<br />

welche bedrohte Institutionen vor dem Konkurs bewahren, verhindert oder zumindest<br />

gemildert werden.<br />

Diese vier Dimensionen staatlicher Regulierung bedtirfen, urn effektiv zu sein, einer<br />

institutionellen Koharenz; zusammengefaBt konnen sie als monetares Regime definiert<br />

werden.<br />

In normalen Perioden, wenn die Wirtschaft sich auf einem stetigen Wachstumspfad<br />

befindet, reicht das jeweilig vorherrschende Regime aus und ist daher kaum Veranderungen<br />

unterworfen. Bestenfalls gibt es begrenzte Verbesserungen. Die historische<br />

Entwicklung des Kapitalismus ist aber durch Phasen von Strukturkrisen und Reorganisationsprozessen<br />

gekennzeichnet. In diesen Situationen bricht das monetare<br />

Regime zusammen und muB daher radikal umgestellt werden. Dies ist in den USA<br />

wahrend des Btirgerkriegs (1860-1865), der GroBen Depression (1929-1938) und<br />

dann wieder seit 1979 geschehen.<br />

Das Papiergeldregime der Nachkriegsperiode<br />

Der Wahlsieg Roosevelts im Jahr 1932 lei tete den sogenannten New Deal ein. Dieses<br />

Programm, das auf ein neues Akkumulationsregime zielte, organisierte die Industrie<br />

in sektorenspezifischen Kartellen, betonte staatliche Beschiiftigungspolitik, ftihrte<br />

Sozial- undArbeitslosenversicherungen ein und starkte die Gewerkschaften. Ein wesentlicher<br />

Aspekt des New Deals war die Wiederbelebung des Kreditsystems durch<br />

eine Serie von Reformen:<br />

- Die Abschaffung des Goldstandards (im »Notstandsgesetz« von 1933 und durch das<br />

Goldreservengesetz von 1934) befreite die Wirtschaft yom Warengeld, das wegen des<br />

exogen fixiertenAngebot des Goldes eine »metallene« Wachstumsschranke darstellteo<br />

Dieser Ubergang zu einem inkonvertiblen Papiergeldstandard wurde durch eine<br />

Starkung der verschiedenen geldpolitischen Instrumente der Federal Reserve (d.h.<br />

Mindestreservebestimmungen, Diskontkredite fUr Banken mit Reservedefiziten,


Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 35<br />

Offenmarktoperationen in staatlichen Schu1denob1igationen) im Bankengesetz von<br />

1935 vervollstandigt.<br />

- Auf den Zusammenbruch des Bankensystems in den friihen 30er Jahren antwortete<br />

die Roosevelt-Regierung zwischen 1933 und 1935 mit einem neuen Typus des Krisenmanagements.<br />

Dieser umfaBte die Ausstattung vie1er zah1ungsunfiihiger Banken<br />

mit frischem Kapita1, die Versicherung der Bankkonten und die Rettung inso1venter<br />

Banken durch die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) sowie den 1eichteren<br />

Zugang zu den Diskontkrediten der Federal Reserve fiir Banken mit Reservedefiziten;<br />

-,- Eine Reihe von neuen Verordnungen fiir Banken wurden mit dem Glass~Steagall<br />

Gesetz von 1933 eingefiihrt. Das Bankensystem wurde in zwei Teile gespalten. Die<br />

Geschiiftsbanken (»commercial banks«) spezialisierten sich auf diverse Sparkonten<br />

als Passiva und auf Kredite fiir Firmen und Konsumenten alsAktiva. Die Investitionsbanken<br />

(»investment banks«) agierten in den Finanzmiirkten fiir Obligationen und<br />

Aktien, wo sie die Neuausgabe von Wertpapieren und Firmenzusammenschltisse finanzierten.<br />

Die geographische Begrenzung der Z weigfilialen von GroBbanken sorgte<br />

dafiir, daB kleine Banken als lokale Monopole in Darfern und Kleinstadten operieren<br />

konnten. Maximale Zinssatze fiir Sparkonten bremsten die oft destabilisierende Konkurrenz<br />

zwischen Banken. Ohne so1che Preiskontrollen tendieren die Banken namlich<br />

dazu, Sparfonds durch hOhere Zinsen anzuziehen und dann in profitablere, aber<br />

auch riskantere Aktivitaten zu investieren.<br />

- Das Wertpapiergesetz von 1933 und das Barsengesetz von 1934 regulierten die<br />

langfristigen Kapitalmiirkte durch das Verbot verschiedenerTechniken der Marktmanipulation,<br />

durch Informationsregeln bei der Neuausgabe von Wertpapieren, mit Prozeduren<br />

fiir Zusammenschltisse und Autkaufofferten zwischen Firmen und durch<br />

Qualifikationsbedingungen fiir Makler und andere Marktteilnehmer. Die neue Securities<br />

Exchange Commission (SEC) wurde mit der Durchsetzung dieser Regeln und<br />

mit der Aufsicht tiber die Finanzmiirkte beauftragt.<br />

1m Jahr 1944 beschlossen die Alliierten unter Ftihrung der USA in Bretton Woods<br />

(New Hampshire, USA) eine Neuordnung des internationalen Geldsystems. Darin,<br />

d.h. in einer Art Golddevisenstandard, funktionierte der Dollar als Weltgeld - ein kla-·<br />

rer Ausdruck der nun unangefochtenen Vormachtstellung der USA auf dem Weltmarkt.<br />

Die USA erkliirten sich bereit, Dollarbestande der Auslander jederzeit zu einem<br />

Fixpreis von $ 35 per Unze gegen ihre Goldreserven auszutauschen. Durch diese<br />

Konvertibilitatsgarantie war der Dollar im internationalen Zahlungsverkehr »so gut<br />

wie Gold«. Die Preisbeziehung zwischen Gold undDollar legte die Grundlage ftirfixe<br />

Wechselkurse zwischen den Wiihrungen.<br />

Diese Serie von Reformen schaffte ein viel flexibleres und stabileres Geldregime als<br />

in der Vorkrisen- und Vorkriegszeit. Die »metal1ene« Wachstumsschranke des Warengeldes,<br />

we1che zuvor regelmiiBig die Uberproduktionstendenz des Industriekapitals<br />

durch ein rigides Goldangebot undmassenhafte Zusammenbriiche tiberspannter Banken<br />

verschiirft hatte, war nun endlich tiberwunden. An seine Stelle trat ein Zahlungssystem,<br />

in dem das yom Staat emittierte Bargeld (d.h. Miinzen der Treasury [Staats-


36 Robert Guttmann<br />

und PaTJiergel,dno der Federal Reserve<br />

der Privatbanken frei miteinander austauschbar waren. Die<br />

formen geschieht durch<br />

im Bankensystem und kann durch Festlegung<br />

der Mindestreserveverpflichtung von der Zentralbank kontrolliert werden.<br />

Anstatt der exogen durch Goldreserven fixierten<br />

haben wir also seit den<br />

30er Jahren ein elastisches<br />

welches endogen durch die gesamtwirtschaftlichen<br />

Kredit- und<br />

bestimmt wird. Wenn Wirtschaftsagenten<br />

mehr Geld<br />

Jener Teil der<br />

liches 'UIJlal!"COll.!.<br />

Ueidsch()ptillng im<br />

neuen<br />

untersttitzte, zusammen mit effektiverem Krisenmanagement<br />

und abgestimmter Geldpolitik, die kontinuierliche Ausdehnung der Privatbanken.<br />

Die dem bargeldlosen Zahlungsverkehr dienenden Guthaben bei Banken, tiber<br />

die per Scheck werden kann, machen heute den GroBteil der zirkulierenden<br />

IJe:Hlrnellge aus.<br />

Dieses elastische Papiergeldregime ermoglichte eine auf groBerer Verschuldung aufgebaute<br />

Beschleunigung des Wirtschaftswachstums in den ersten Nachkriegsjahrzehnten<br />

(1948-1968). Diese Schuldenokonomie wurde von allen okonomischen<br />

Agenten getragen: 5<br />

- Konsumentenkredite, ein wesentlicher Stiitzpfeiler der Massenkonsumtion und<br />

-produktion, erleichterten die Profitrealisierung durch Ankurbelung der Nachfrage<br />

fiir Giiter Hauser, Autos) mit starken Multiplikatoreffekten in weiten Bereichen<br />

der Industrie. Die Schuldenabhangigkeit fungierte auch als subtiles Mittel zur Disziplinierung<br />

der Arbeiter, dadiese jetzt im Fane einer Unterbrechung des Einkommensflusses,<br />

(z.B. wahrend Streiks oder Arbeitsplatzwechsels) mehr zu verlieren hatten.<br />

- Die Industrieunternehmen bevorzugten Schuldenoblikationen als billige Alternative<br />

zur Neuausgabe von Aktien (nicht zuletzt wegen der Steuerabschreibungen fUr<br />

Zinskosten und der Der Weg der vel~SCI1Ul':1urlg<br />

ken relativ zur staatlichen Emission des Bargeldes. Diese Regulierung der Finanzinstitutionen<br />

und -markte war ein zusatzlicher Grund fUr derenraschere Expansion, weil<br />

sie den historischen Trend von direkter zu verrnittelter Finanzierung be-<br />

- Die das Wachstum stimulierenden wurden mit der Geldpolitik verkniipft.<br />

Entscheidend dafiir waren die Uttenma.rktopl~ratlOllen der Federal Reserve.<br />

Ihr Aufkauf von<br />

durch die der Staat seine Defizite finanzierte,<br />

bedeutete namlich ein proportionelles Ansteigen der Bankenreserven als Basis fiir<br />

zusatzliche '-'l"":U"1';vlU~'~ll'JtJl<br />

Das Resultat dieser funktionalen<br />

war eine »Schuldenokonomie«, die<br />

die effektive Nachfrage durch eine kontinuierliche<br />

von UberschuBaus-


Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 37<br />

UGlsetlc1etlzll:e des offentlichen<br />

"'!',vun."u nur einen Wertverlust des fixen<br />

Vel'lcautspre:lse:n der<br />

stimulierte. In den 50er und 60er<br />

Jahren unterstiitzte die Federal Reserve diesen ProzeB durch eine<br />

Geld-<br />

Zu diesem Zweck erlaubte die Zentralbank eine en1tspreC:hend<br />

den USA namlich einen<br />

'Um<br />

in die internationale Zirkulation transferiert werden. Diese<br />

Geldtransfers konnten nur durch andauernde<br />

mit dem Rest<br />

der Welt vollzogen werden. Da die Dominanz des US-amerikanischen sich<br />

in chronis chen Handelsiiberschiissen ausdriickte, konnten die erforderlichen Defizite<br />

nur durch massive Kapitalexporte bewerkstelligt werden. Diese basierten vor aHem<br />

auf weltweiten Militarausgaben der USA (z.B. NATO), Programmen bedingter Wirtschaftshilfe<br />

(z.B. Marshall Plan) und Direktinvestitionen multinationaler Konzerne.<br />

Der Dollarbedarf anderer Lander wurde so durch neo-imperialistische Mittel der USamerikanischen<br />

Machtausdehnung gedeckt. AuBerdem war das Anhaufen von Dollarreserven<br />

im Ausland gleichbedeutend mit der automatischen Finanzierung der<br />

amerikanischen Zahlungsbilanzdefizite durch Auslander. So als einziges Land von<br />

auBenwirtschaftlichen Zwangen befreh, konnten die USA eine auBerst expansive<br />

interne Wirtschaftspolitik betreiben.<br />

Die .""'''


38 Robert Guttmann<br />

lierung bedeutete, daB die den Waren wert senkenden<br />

nicht mehr zu niedrigeren Preisen flihrten als heftige Deflation in<br />

tionskrisen). Statt dessen flossen sie nun teilweise in regulare Lohnerhohungen, die<br />

durch Kollektivvertrage mit den Gewerkschaften geregelt wurden. Dadurch konnten<br />

Angebot und Nachfrage besser balanciert werden. Die Stabilisierung des Wirtschaftswachstums<br />

hatte allerdings einen des Geldwertes zur FoIge: Da die<br />

durch Produktivitiitssteigerungen reduzierten Warenwerte sich nicht Hinger in niedrigeren<br />

Preisen darstellten, reprasentierte dieselbe Geldeinheit (z.B. ein Dollar) eine<br />

immer kleiner werdende Wertsumme. 8<br />

Die<br />

der Preise und Lohne und deren<br />

sche Unterstiitzung (durch Budgetdefizite und elastische Giralgeldschopfung) verwandelt<br />

die Form der Strukturkrise aus einer Depression in eine Stagflation. Durch<br />

Beschleunigung der Inflation konnten bestimmte Produzenten mit starker Marktkontrolle<br />

und/oder unelastischer Nachfrage flir begrenzte Zeit der Stagnation entgegenwirken.<br />

Der Warenverkauf zu iiberdurchschnittlich gestiegenen Preisen brachte ihnen<br />

mehr Einkommen ein als sie beim Verkauf als Wertmenge abgaben. Letztere ist ja<br />

durch die allgemeine Kaufkraft des Geldes bestimmt und wird daher zum durchschnittlichen<br />

Preisniveau gemessen. Dieser ungieiche Austausch war die Basis fUr<br />

Einkommensumverteilungen auf Kosten alljener, die ihre Waren nur zu unterdurchschnittlichen<br />

Preisen verkaufen konnten. AuBerdem bedeutete steigende Inflation,<br />

daB die in der Produktion friiher anfallenden Ausgaben zueinem hoheren Geldwert<br />

(und so als relativ kleinere Geldsummen) gemessen werdenkonnten als die spater zuriickflieBenden<br />

Einkommen. Dadurch entstandenfiktive Buchgewinne, die die Tendenz<br />

fallender Profitraten lange Zeit verhiillten.<br />

Die nominalen Profitzuwachse des Industriekapitals konnten aber nur durch standig<br />

steigende Verschuldung realisiert werden. In einer Periode steigender Preise muBten<br />

die Firmen Absatz, Aktiva und Profite zumindest mit der Durchschnittsrate der Inflation<br />

erhohen, urn ihre finanzielle Position aufrechtzuhalten. Weil die Profite aber<br />

eine geringere Geldsumme ausmachten als der Absatz und das Anlagevermogen,<br />

hatte die all dieser Variablen mit der gleichen Steigerungsrate notwendigerweise<br />

ein relativ kleineres Wachstum des Profitvolumens zur Foige. Diese durch<br />

bestandigen Fall der Profitrate zusatzlich vergraBerte Finanzierungsllicke wurde<br />

dann mittels hOherer Verschuldung und daran gekoppelter Beschleunigung der GiralgeldschOpfung<br />

iiberbriickt. Die Zentralbank unterstiitzte diese Tendenz der nominellen<br />

Akkumulation durch eine expansive Geldpolitik (d.h. negative Realzinsen).9<br />

Die hahere Verschuldung fiihrte jedoch zu einer allmahlichen Schwachung des Inc<br />

dustriekapitals. Die steigende Schuldenbelastung schaffte zusatzliche Fixkosten: Die<br />

Zinsen reduzierten den Reingewinn. Durch die der Kostenstruktur wegen<br />

des hOheren Gewichts der Fixkosten wurde der »break-even point« (d.h. die fur die<br />

Uberwindung der Rentabilitatsschwelle minimal erforderliche Kapazitatsauslastung)<br />

heraufgesetzt. Kleine Anderungen des Umsatzes konnten nun groBere Profitschwankungen<br />

zur FoIge haben, wodurch das Risiko def Untemehmen anstieg.lO<br />

Wahrend die Beschleunigung der Inflation auf der einen Seite die Verschuldung der


Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 39<br />

Industrie vnr'ClmTl<br />

~H'UL"5"A.<br />

schuf sie auf der anderen Seite hahere Risiken und Verluste flir<br />

Die Inflation ist<br />

U5'~HE,~H von Ul;autllgl~m<br />

wenn die Zinssatze hinter der Inflationsrate herhinkten. AuBerdem<br />

mende Unbestandigkeit der Zinsen, d.h. derenheftige Schwankungen, und die abneh­<br />

Schuldner<br />

und Kreditverlusten resultierte seit 1966 in<br />

regelmiiBigen Finanzkrisen, die Zyklus heftiger wurden. Die Beschleunigung<br />

der Inflation am Ende der Aufschwungphase veranlaBte die Glaubiger, langfristige<br />

Investitionen zu meiden und ihr Geld statt dessen in spekulativenAktivitaten<br />

mit kurzfristigen Gewinnen<br />

die aus den Preissteigerungen resultierten.<br />

Die so erzeugte Verknappung und Verteuerung des Kredits zwang die Schuldner, ihre<br />

Ausgaben einzuschranken. Immer ausgepragtere Finanzkrisen ftihrten daher zu immer<br />

tieferen Rezessionen (z.B. 1966, 1969/70, 1973-5, 1979-82).12 Diese Destabilisierung<br />

des Kreditsystems durch Stagflation zerstarte zwischen 1971 und 1979 die<br />

Grundpfeiler des die Nachkriegsperiode bestimmenden monetaren Regimes:<br />

(1) Der Zusammenbruch von Bretton Woods: Schon seit den spaten 50erJahrenhatten<br />

die Goldbestande der USAnicht ausgereicht, urn die als Weltgeld zirkulierenden Dollarsummen<br />

zu decken. Diese faktische Inkonvertibilitat der »internationalen Dollars«<br />

konnte tiberbrtickt werden, solange Auslander die Leitwahrung akzeptierten. Nach<br />

1968 begann das Vertrauen in den Dollar aber zu brackeln. Schuld daran war seine<br />

eklatante Uberbewertung, gegentiber dem Gold und gegentiber den »harten« Wahrungen<br />

der allmahlich die USA einholenden Industrielander (vor aHem der DM und<br />

dem Yen). In Reaktion auf immer heftigere Spekulationswellen beendete die Nixon­<br />

Regierung dann im August 1971 die Konvertibilitat zwischen Dollar und Gold. 1m<br />

Frtihjahr 1973 brach das Regime fixer Wechselkurse zusammen. Seither haben wir<br />

ein hachst instabiles System von marktbestimmten Wechselkursen und verschiedenen<br />

Weltgeldformen<br />

Gold, Sonderziehungsrechte<br />

des die ECUs).B<br />

(2) Die Schwiichung der Geldpolitik: In den 60er Jahren begannen die Banken, zusatzliche<br />

Sparfonds durch eine Reihe neuer Ausleihinstrumente zu mobilisieren, wie<br />

zum Beispiel iibertragbare<br />

flir Untemehmen (»negotiable certificates<br />

of deposit«), Eurodollarkredite, kurzfristige Kredite zwischen Banken (»Federal<br />

funds«) und Verkauf-Ruckkauf-Abkommen flir ihre Effekten (»repurchase agreements«).<br />

Und in den 70er Jahren sahen wir die neuer (z.B.<br />

NOW, ATS,<br />

funds), die hahere Zinsen trugen und keinen Mindestreservebestimmungen<br />

unterworfen waren. Beide Innovationen erlaubten den Privatbanken,<br />

ihre Kreditgewahrung und Giralgeldschapfung aufJerhalb der Kontrolle der<br />

Zentralbank auszudehnen.


40 Robert Guttmann<br />

JJ .... ~..."UvUH.';e;UlH;e;<br />

immer starker werdenden<br />

der Inflation am Ende der Aufvor<br />

aHem dank >Jl-'v""'UWUVH<br />

. Dies galt vor aHem flir die Preiskontrollen<br />

im Bankenwesen, welche zu Zeiten beschleunigter Inflation regelmaBig<br />

die Ausdehnung der Bankenaktivitaten lahmten.<br />

die vonder Zentralbankfestgelegten Maximalzinsen stiegen, zogen viele Einleger<br />

(Sparer) ihr Geld von den Banken und Sparkassen ab, urn es anderswo rentabler anzulegen.<br />

1m Lauf der 70er Jahre versuchten die Finanzinstitutionen, verschiedene Regulationen<br />

durch Innovationen zu umgehen. Von spezieller Bedeutung war hier der Euromarkt,<br />

ein global integriertes Zahlungs- und Kreditsystem, in welchem die transnationalen<br />

Privatbanken auBerhalb des national begrenzten Kontrollbereiches der<br />

Zentralbanken operieren konnten. Die Banken niitzten daruber hinaus Lucken der<br />

intemen Regulierung, indem sie sich z.B. in relativ wenige regulierte Trusts (»bank<br />

holding companies«) oder Provinzbanken (»state bank charters«) umorganisierten. 15<br />

Krisenmanagement der Federal Reserve zwischen 1979 und 1982<br />

Dieser allmahliche Zerfall des monetaren Nachkriegsregimes erreichte seinen Hohe-<br />

1979. Wie schon im Jahr 1973 war die der<br />

Schutze des amerikanischen Industriekapitals wiederum in massive<br />

gegen<br />

den Donar und eine der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt ausgeartet.<br />

Doch dieses Mal war die Wahrungskrise insofem<br />

als 1973, weil der Monopolstatus<br />

des tatsachlich akut geflihrdet war (durch die Flucht ins Gold,<br />

die einer DM-Zone des Europaischen Wahrungssystems und die<br />

Plane der OPEC, ihre Dollareinnahmen durch einen Wahrungskorb zu ersetzen). 1m<br />

Okotober 1979 reagierte die Federal Reserve auf diese Situation mit einem drastischen<br />

Kurswechsel: Die Niedrigzinspolitik wurde aufgegeben und<br />

zu<br />

einer der durch verschiirfte Kontrolle der Bankreserven.<br />

16<br />

Weil die Banken ihre geldschopfende Kreditgewlihrung durch Quellen auBerhalb der<br />

Zentralbankkontrolle (z.B. Euradollarkredite) fortsetzten, fiihrte die Federal Reserve<br />

im Marz 1980 zum ersten Mal seit 1948 selektive Kreditkontrollen ein. Die Kombi-


Der Strukturwandel des amerikanischen 41<br />

nation von Zinssatzen tiber 20% und verordneten<br />

verursachte<br />

!y,",""lJl\.U,alC~H Fall des 9% per annum im zweiten<br />

Dies veranlaBte die Zentralbank im Sommer 1980<br />

ihrer<br />

!y"';'UlaUUll gegen den<br />

Dollar erzwangen im Frtihsommer 1981 einen neuerlichen<br />

zu einer Po-<br />

»klllaTJpcm Geldes«. Erst diese brachte die Inflation unter Kontrolle und starkte<br />

DUiSH,"'vH den Dollar auf den intemationalen Miirkten.<br />

Dieser »Erfolg« hatte seinen Preis in der Einleitung der tiefsten Wirtschaftskrise seit<br />

den 30er Jahren. Die<br />

aufbis zu 10.8% an. Viele U""-''''U''~H,<br />

hatten<br />

befanden sich in einer stark<br />

deflationaren Uberproduktionskrise. Die rapide Ausbreitung von Verlusten der Industde<br />

und die Zahlungseinstellungen tiberlasteter Schuldner gefahrdeten auch die<br />

HlU'U'j",'" vor aHem tiberspannte Banken und Kostspielige Zusammenbrtiche<br />

verschiedener Finanzinstitutionen Penn Square, und der akute<br />

Ausbruch der Schuldenkrise in den Entwicklungsliindem leiteten im Sommer 1982<br />

die Rtickkehr zu einer akkomodierenden Geldpolitik ein.<br />

Zur selben Zeit untemahm der Kongress auf Drangen der Federal Reserve eine umfassende<br />

Reform del' Finanzverordnungen (im Depository Institutions Deregulation<br />

and Monetary Control Act 1980 und Gam - St. Germain Act 1982). Die Zentralbank<br />

wurde gestarkt, indem der Kreis der Finanzinstitutionen, die von ihren geldpolitischen<br />

Instrumenten direkt bertihrt werden, von ca. 5500 auf tiber 38000 anstieg, und<br />

die neu entstandenen Kontentypen (z.E. NOW, ATS) in die Mindestreservebestimmungen<br />

einbezogen wurden.<br />

Beide Gesetze ersetzten eine Reihe tiberholter Verordnungen. Die Beendigung des<br />

Zentralbankmonopols bei der Organisation des bargeldlosen Zahlungsverkehrs fOrderte<br />

die Ausdehnung privater Abrechnungssysteme und elektronischer Geldformen,<br />

die auf hochautomatisierten Uberweisungen durch<br />

beruhen.<br />

Die Abschaffung der Zinskontrollen beseitigte deren lar:lm(~ncle<br />

ditangebot zu Zeiten Inflation und restaurierte die Preiskonkurrenz im<br />

Bankwesen. Die del' Barrieren zwischen verschiedenen Institutionstypen<br />

gestattete vor aHem und Banken ein Angebot von Fi-<br />

'WJ'UA~U'~H\..'Hund Investitionsmoglichkeiten. Die Schwachung von Kundenschutzbeermoglichte<br />

diskriminierende<br />

zum Nachteil iirmerer<br />

Bevolkerungsgruppen und Kleinfirmen.<br />

Der Wahlsieg im Herbst 1980 einen konservativen Politiker an<br />

die Spitze, mit einem starken das flinf Jahrzehnte aIte Vermachtnis des New<br />

Deal umzusttirzen. Die »Reagan Revolution« konzentrierte sich var aHem auf die<br />

LLO'''''"'I-'\HHH\.17 1m Sommer 1981 gewann die neue Regierung eine Mehrheit im


42 Robert Guttmann<br />

Eine enonne Steuersen-<br />

soUte die Anreize flir<br />

und so das Wachs tum ai1kurbeln. Ein<br />

flir eine radikale<br />

kung, vor aHem flir Reiche und flir<br />

istlm~;spro§;rrumnl, welches die iWUH'~LU'U~,5U'Jv"<br />

grrumm trieb die ohnehin schon wegen der Rezession U"-"'F,'VW,"'U.L,"<br />

rasch in die Hohe $ 39 Milliarden 1980 auf einenRekord von $ 221 Mrd. 1985).<br />

Die Riickkehr zu einer Politik des leichten Geldes und die stimulierende<br />

UU!~'V",'vl'L,1!.v schaff ten die Basis flir einen starken Wirtschaftsaufschwung<br />

Doch dieser war schon bald von einem im Kreditmarkt<br />

bedroht. Eine sii1kende Spameigung (von einem Durchschnitt von 6 % des<br />

personlichen Eii1kommens wahrend der 70er Jahre auf ein Rekordtief von 2,9 % im<br />

Jahr 1985) kollidierte mit einer stark ansteigenden Schuldenabhiingigkeit aller rumerikanischen<br />

Wirtschaftssektoren. Dieser NachfrageuberschuB auf dem Kreditmarkt<br />

wurde durch die Kapitaleinfuhr aus demAusland finanziert, welche aufgrund hoherer<br />

Realzinsen, schnellerem Wachstum und politi scher Stabilitat in der USA bewerkstelligt<br />

werden konnte. Da diese Kapitalbewegungen die Dollar-N achfrage auf den Devisenmarkten<br />

erhOhte, stieg der Dollarkurs (urn 60 % gegentiber anderen starken Wahrungen<br />

zwischen Mitte 1981 undAnfang 1985). Dies wiederum machte Importe in die<br />

USA viel billiger, wahrend US-Exporte sich entsprechend verteuerten. Das US-Handelsdefizitwuchs<br />

von $ 36,2 Mrd. 1980 auf $ 171 Mrd. 1987. Die Nettoexporte in die<br />

USA stimulierten das Wachstum in anderen Landern, wodurch der Wirtschaftsaufschwung<br />

internationalisiert werden konnte.<br />

Dieses Wachstumsmuster hatte widerspriichliche Auswirkungen auf die amerikagische<br />

Wirtschaft: Der hohe Dollar unterdrtickte wegen der niedrigeren Preise auslandischer<br />

Koi1kurrenten und seines deflationaren Effekts auf die Weltmarktpreise fUr<br />

Rohstoffe die Inflation. Billige Importe verschafften den US-Amerikanern starke<br />

Kaufkraftgewinne (trotz stagniel'ender Lohne) und zwangen die vom Welthandel abhiingigen<br />

Industrien del' USA zur Kostensei1kung durch massive Umstrukturierungen.<br />

Auf der anderen Seite<br />

das Handelsdefizit das Wirtschaftswachstum<br />

(von einem Jahresdurchschnitt von ca. 6 % 1983/4 auf weniger als 3 % seitHerbst<br />

1984). Wahrend diese Nachfrageabschwachung ein Uberhitzen der Gesamtwirtschaft<br />

verhindert hat, fUhrte der hohe Dollarkurs zu tiefen Depressionen in Industrien<br />

mit starker internationaler Konkurrenz Landwirtschaft, Energie). Deren Ver­<br />

Iuste iibertrugen sich auf ihre Glaubiger, mit def Folge von Bankrotten Hundelter von<br />

Banken und Sparkassen. Der Aufschwung war daher von ungewohnlich starken intersektoralen<br />

Disproportionalitaten, regionalen Ungleichgewichten und akuten Finanzkrisen<br />

gekennzeichnet. Die<br />

Handels- und '-' U'U,",,",Cdefizite<br />

durch Kapitalimporte verwandelte die USA innerhalb weniger Jahre vom<br />

starksten GHiubiger der Welt in den groBten Schuldner. 1m Jahr 1991, so wird geschatzt,<br />

werden die USA dem Rest der Welt $ 1000 Mrd. schulden und daftir jahrlich<br />

tiber $ 100 Mrd. an Zinsen zu zahlen haben.


Der Struktwwandel des amerikanischen 43<br />

Diese naehteiligen<br />

fUhrten 1985 zu wichtigen Korrektursehritten bei<br />

der Defizitbebimpfung. 1m September 1985 besehlossen die sogenannten »G-7«<br />

Lander (USA, England, imPlaza-Abkommen,<br />

den Dollarkurs dureh koordinierte Zentralbankintervention aber sieher<br />

abzusenken. Dies sollte eine allmahliche<br />

des Handelsdefizits<br />

lichen. 1m Dezember 1985 verordnete das<br />

sinkende<br />

Defizitmaxima fUr den Staatshaushalt wenn natig, automatische<br />

gen. Seither haben diese Initiativen beide Defizite je um ca. ein Viertel gesenkt.<br />

den 80er J ahren<br />

Der auf diesem Doppeldefizit beruhende Wirtsehaftsaufschwung der 80er Jahre war<br />

von einer enorrnen Schuldenausdehnung aller Sektoren in den USA begleitet. So<br />

konnte die Stagnationstendenz zumindest vorHtufig im Zaume gehalten werden. Reagans<br />

Fiskalpolitik und die Sozialisierung privater Risiken und Verluste (z.B. durch<br />

Subventionen, Kaufe des affentlichen Sektors und an Investitionen gekntipfte Steuerabschreibungen)<br />

verdoppelten die staatliche Schuld innerhalb von nur 5 Jahren. Wegen<br />

stagnierender oder sogar fallender Reallahne konnten die sozialen Norrnen des<br />

Massenkonsums nur durch Mehrarbeit (d.h. Verlangerung der Arbeitszeit, Zwei-Verdiener-Familien)<br />

und groBere Konsumentenversehuldung aufrecht erhalten werden.<br />

Die Industrieunternehmen borgten mehr, um ihre alten Schulden zu tilgen, Verluste<br />

zu decken, und die oft sehr teure Reorganisierung und Modernisierung vorzunehmen.<br />

Die Finanzinstitutionen benotigten zusatzlichen Kredit sowohl flir die weitere aggressive<br />

Expansion wie auch zur Vermeidung von Zahlungseinstellungen durch die Refinanzierung<br />

alter Schulden.<br />

Tabelle: Wachstum von Bruttosozialprodukt und Kredit (% p.a.)<br />

1960-69 1970-79 1980-85 (Ende 85)<br />

Nominales BSP 6,9 10,1 8,1 3<br />

Kredit<br />

Industriefirrnen 9,4 10,4 1<br />

Konsumenten 8,5 11,4 10,3 3<br />

Finanzinstitutionen 14,9 16,8 15,7 248,9<br />

Bundesstaat 2,0 8,8 15,8 1660,4<br />

Provinzen 7,5 12,5 553,1<br />

Gesamtschulden 7,3 11,1 15,2 8247,5<br />

QueUe: Henry Kaufman (1986)<br />

Diese erhohte Schuldenabhangigkeit sehaffte die Nachfragebasis fUr eine spektakulare<br />

Ausdehnung des Finanzkapitals wahrend der 80er Jahre. Auf def Angebotsseite<br />

wurde dieser Trend durch Strukturveranderungen des Kreditsystems im der


44 Robert Guttmann<br />

Abktihlmechanismus gegen die ~~0v'.H~UH'5<br />

des Kredits. Ohne Kontrollen kann heute die<br />

ge-<br />

»savings certificates«<br />

der Kommerzbanken und Sparkassen, »cash management accounts« der Investitionsbanken).<br />

Wenn die verschiedenen Institutionen ihren ZufluB vergroBem wollen, bieten<br />

sie attraktivere Zinsen ftir diese Konten an. Im Fane einer Erhohung der Zinskosten<br />

auf der Passivseite verteidigen die Banken ihre Profitspannen durch gleichzeitige<br />

ErhOhung ihrer Ausleihzinsen (»spread banking«). AuBerdem haben die meisten<br />

Kredite heute (im Gegensatz zu frtiher) nicht sondem variationsfahige Zinsen,<br />

die je nach den vorherrschenden Bedingungen am Kreditmarkt schwanken. Dadurch<br />

konnen die Banken und andere Glaubiger das Preisrisiko zuktinftiger Zinserhohungen<br />

auf die Schuldner tibertragen.<br />

Diese Strnkturveriinderungen im Kreditsystem haben hohere Realzinsen zur Foige.<br />

In den 80er lahren sie durchschnittlich zwischen 4 % und 6 %, wahrend sie in<br />

den 60er lahren nur zwischen 1,5 % und 2,5 % geschwankt hatten und in den inflationaren<br />

70er Jahren durch die Zinskontrollen und andere Zentralbankeninstrumente<br />

7) waren. des Zinsniveaus war<br />

das Resultat einer Reihe von neuen Faktoren: (a) Die Kombination von starker Kreund<br />

sinkender<br />

schaffte die Marktverhaltnisse fUr hOhere<br />

Selbst<br />

durch die Einfuhr auslan-<br />

Jel(lK[tpIlalS konnte nur durch entsprechend hohe Realzinsen wer-<br />

'-'-"H.,p'VHUJl'..der Federal Reserve muBte daher<br />

Zinssatzdifferential<br />

der USA mit den anderen G-7 -Landern aufrecht urn den auslandischen<br />

U""UlJ15'.'H einen hinreichenden Realgewinn anzubieten. Die Beseitigung der<br />

UQ.H"Cl1,/OH''''''''', dul'ch Konkurrenz auf der Passivseite und<br />

die<br />

auf del' Aktivseite zur<br />

Sicherung der Auf den Finanzmarkten fUr Schuldenobligationen<br />

verJangen die GIaubiger als Kompensation fUr hOhel'e Risiken und wenn<br />

immer sie eine Beschleunigung der Inflation<br />

h6here Nominalzinsen.<br />

Diese strukturell bedingte Zinserhohung hatte widersprtichliche Auswirkungen auf


Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 45<br />

die '-'AvaU~'.VH des<br />

den. Da die Zinssatze in den 80er Jahren relatlv zu den Profitraten hoch waren, war<br />

der Aufkauf und Handel von<br />

oftmals attraktiver als Investitionen in<br />

neue Produktionsmittel. Die so verursachte def Geldfltisse yom Industrie-<br />

'tmmz;kaplt;al erleichterte die Koppelung verschiedener Kredittransak­<br />

Geldtransfers. Heute flieBtdas Ueldkapiltai<br />

Hande des el~~entlH;h(':n uvHCHUwelche<br />

einen GroBteil des expanverteilt<br />

die heutzutage h6heren Einkom­<br />

dierenden<br />

mt~nsge11V1rme und -verluste tiber ein grCiBeres Volumen finanzieller Transaktionen.<br />

Fiktives '-""""p""" und die Borsenhausse<br />

Die spezifische Expansionsdynamik des Finanzkapitals manifestierte sich am starksten<br />

in der geradezu unglaublichenAusdehnung desfiktivenKapitals seit 1982. Jene<br />

Kapitalform beruht vor aHem auf dem An- und Verkauf von Finanzpapieren, urn von<br />

deren Preisbewegungen zu profitieren. Verschiedene Neuerungen, wie z.B. die Umwandlung<br />

von Krediten in Wertpapiere (»securitization«) oder die Einfiihrung der<br />

»financial futures« (d.h. Terminhandel in Aktien, Staatsobligationen und Wlihrungen),<br />

schaff ten eine Reihe sehr praktischer Instrumente des fiktiven Kapitals und eine<br />

entsprechende Ausdehnung der dafiir erforderlichen Finanzmarkte. 19 Der Handel in<br />

diesen Markten geschieht oft nur mit einem minimalen VorschuB an Eigenkapital,<br />

wodurch die Gewinne vonkorrekt antizipierten Preisbeweungen multipliziert werden<br />

konnen (»leverage factor«). Zum bringt bei einer Kapitaleinlage von 10 %<br />

des eine erwartete (und dann auch Preisanderung von 10%<br />

einen Gewinn von 100 %<br />

den<br />

Verlust des ganzen<br />

dung beruhen,<br />

sie sich oft mit anderen Kreditkanalen zu "-VJlH!-'".,A<br />

OTl,~rtF'n Strukturen von Schulden. In diesen ki::innen sich Verluste und<br />

rungen sehr rasch vervielfachen.<br />

Das fiktive Kapital also<br />

Preisbewegungen von abo Solange die def<br />

kulanten weit ist, heben sich ihre Aktionen gegenseitig auf und bleiben die<br />

Preise auf den Finanzmarkten recht stabil. Wenn aber die Mehrheit der '-'jJ'-'l'ULUQH",U<br />

zur selben<br />

"I:'111LLll,.,. Bis vor kurzem war<br />

zumeist ein ~ r'.'HC'~H U'A.HU)',",~<br />

welches sich<br />

auf die Periode be:,crliellmgtE~r<br />

des Aufschwungs Heute aber ist diese Aktivitat wesentlich be~mlIldIgel<br />

nicht zuletzt in Reaktion auf die wegen der Deregulation von Wechselkursen und<br />

Zinsen viel<br />

auf den Finanzmarkten.


46 Robert Guttmann<br />

Diese Neigung zur permanenten Spekulation war in den 80er Jahren besonders deutlich<br />

an der Barse. Zwischen August 1982 und August 1987 stiegen die Aktienkurse<br />

in den USA im Durchschnitt urn 370 %. war dieser Anstieg vor aHem eine<br />

Korrektur der chronis chen Unterbewertung der Aktien in der Stagflationskrise der<br />

Aufschwungs. Dann zwangen verscharfte il1tematiol1ale Konkurrel1z und bestiindige<br />

UberschuBkapazitiitel1 eine massive Umstrukturierung des Industriekapitals. Jene<br />

nahm vor aHem die Form von Firmenzusarnmenschltissen und -umgruppierungen,<br />

vermittelt durch den an, nicht zuletzt wei! die 80-<br />

wohl eine aktive als auch eine der Anti·Trust Gesetze<br />

zur Kontrolle der Monopolisierung ablehnte. Diese Aufkaufe von Firmen beschleunigten<br />

die Borsenhausse. Einerseits entfernten sie Aktien yom Markt, wodurch sich<br />

das Angebot dieser Wertpapiere dramatisch verkleinerte (urn $ 440 Mrd. zwischen<br />

1984 und 1988). Andererseits wurden die Aktionare in diesen Aufkaufen mit Bargeld<br />

ausgezahlt, welches sie am Aktienmarkt reinvestierten und so die Nachfrage weiter<br />

anheizten.<br />

In diesemProzeB spielten die Investitionsbanken als Firmenberaterund als Financiers<br />

von Aktienaufkaufen eine entscheidende Rolle. 1983 begannen diese Institutionen<br />

(vor aHem Drexel) Aktienkaufe mittels Neuausgabe von junk bonds zu finanzieren.<br />

Diese Schuldenobligationen, die wegen ihres niedrigen Qualitatsgrades entsprechend<br />

hohe Zinsen (d.h. eine zusatzliche Risikopramie von 3-5 %) tragen, wuchsen von $<br />

5 Mrd. 1980 aufiiber $ 150 Mrd. im Jahre 1988. Sogenannte corporate raiders (auf<br />

Unternehmenskaufe spezialisierte Firmen) borgten auf diesem Markt Milliarden, urn<br />

riesige Aktienpakete groBer Industrieunternehmen aufzukaufen. Solche Attacken<br />

endeten zumeist in Riickkaufen der Aktien zu viel haheren Preisen (»green-mail«)<br />

oder mit erfolgreicher Ubernahme. Die »raiders« spalteten dann die aufgekauften<br />

Firmen in verschiedene Teile, die entweder wiederverkauft, abgeschrieben oder umorganisiert<br />

wurden. So konnten sie ihre hohe Schuldenlast bewaltigen. Die Aktiva der<br />

attakkierten Firmen fungierten als Btirgschaft bei der Neuausgabe von »junk bonds«.<br />

Solange hahere Aktienpreise diese Aktiva aufwerteten, war dieser ProzeB quasi<br />

selbstfinanzierend.<br />

Die Dominanz der »raiders« hatte weitreichendeAuswirkungen: Um moglichenAttacken<br />

der »raiders« vorzubeugen, flihrten viele Firmen ihre eigenen Reorganisierungsplane<br />

durch. Diese zielten auf eine rasche Erhohung ihrer Aktienpreise, kostspielige<br />

Verteidigungsmanover (»poison pills«) und Umgruppierung ihrer Aktiva.<br />

Kurzfristige Manipulationen tiberwogen so eine langfristige Planung. Oft versuchten<br />

Firmen den »raiders« zu entgehen, indem sie sich durch hahere Verschuldung und aggressives<br />

Aufkaufen anderer Firmen bewuBt weniger attraktiv machten. Die Investitionsbanken<br />

dehnten den Markt ftir »junk bonds« (und so auch ihre eigenen Profite)<br />

durch verschiedene Praktiken der Marktmanipulation aus. Von entscheidender Bedeutung<br />

war dabei die Herstellung einer Interessenkoalition zwischen »raiders« und<br />

den risk arbitrageurs. Letztere kaufenAktien von Firmen, die maglicherweise schon<br />

bald Ziel eines Aufkaufversuchs sein konnten, urn dann von deren Aufwertung im


Del' Strukturwandel des amerikanischen 47<br />

einer solchen Attacke zu<br />

Bald schon gaben die Investitionsbanken<br />

diesen Information tiber die von den »raiders« (»insider<br />

trading«). Als Entgelt flir diese<br />

ihres Risikos erkliirten sich die» risk<br />

arbitrageurs« bereit, die» junk bonds« der »raiders« zu fixierten Preisen zu kaufen. 1m<br />

Herbst 1986 flog diese verbotene Praxis im Skandal« auf.<br />

Firmenzusammenschliissen und -aufkaufen<br />

als $ 40 Mrd. 1982 auf tiber<br />

$ 240 Mrd. im Jahre anderte die ftir die Aktien. Wahrend<br />

deren Preise normalerweise von langfristigen Profiterwartungen abhangen, wurden<br />

sie in den 80er Jahren immer mehr vom poterltle;Hen pmllO~;ungs'wen<br />

der Firmenaktiva bestimmt. Diese rein<br />

eine der vom Realwert des Inclustri'~kapitals.<br />

1m August 1987 erreichten die Aktienpreise ihren Gipfel (2722 fUr den DOW Jones)<br />

und begannen dann ihren Niedergang. Am 19. Oktober fiel del' DOW Jones urn 508<br />

Punkte (d.h. 22 %). Dieser Borsenkrach war ein klassisches Beispiel ftir das Zerplatzen<br />

einer Spekulationsblase. Ein wachsender Pessimismus als Reaktion auf die steigenden<br />

US-Handelsdefizite und Zinsen war dieser Krise vorangegangen. Die Panik<br />

am 19. Oktober wurde durch automatische Computerprogramme wesentlich verschlimmert,<br />

weil diese (wegen der immer groBeren Preisdifferenz zwischen Aktien<br />

und »stock index futures«) Millionen von Aktien zum Verkauf auf den Markt warfen.<br />

Die Federal Reserve stoppte den Zusammenbruch am nachsten Tag durch Inszenierung<br />

einer massiven und effektiven Rettungsaktion, die aufPreismanipulationen und<br />

Finanzhilfen zur Verlustdeckung abzielte. 20 Bald danach niitzte die Zentralbank die<br />

Gelegenheit, sowohl den Dollarkurs als auch die Zinsen zu senken. Die dadurch bewirkte<br />

Ankurbelung half der Industrie, den Borsenkrach ohne allzu groBen Schaden .<br />

zu iiberstehen.<br />

Die<br />

Wir erleben heute einen Ubergang zu einem neuen monetaren Regime. Dieser ProzeB<br />

begann mit der Deregulierung des Bankwesens zwischen 1980 und 1982. Seine erfolgreiche<br />

Beendigung hangt von zusatzlichen Reformen ab, welche das Kreditsystem<br />

stabiliseren und eine das Wachstum fOrdernde Balance zwischen Industrie- und<br />

llHUlL'''''J!:,,,,:n gewahrleisten konnen. Beziiglich aller vier Dimensionen eines solchen<br />

Regimes stehen die staatlichen Instanzen unter akuten Handlungszwangen, die den<br />

Hintergrund fUr Reforminitiativen bilden.<br />

(1) Management der Finanzkrisen: Seit der GroBen Rezession (1979-82) hat sich das<br />

Krisenmanagement wesentlich ausgedehnt. Wahrend zwischen 1940 und 1982 hOchstens<br />

10 Banken pro Jahr untergingen, muBte die FDIC seither 100 bis 200<br />

Banken retten. Viele Banken mit potentiell hohen Verlusten wegen starker Kreditkonzentration<br />

im Energiesektor, in der Landwirtschaft oder in Entwicklungslandern)<br />

konnten nm durch besondere HilfsmaBnahmen ihren Bankrott vermeiden.<br />

Diese Unterstiitzung betrafvor aHem die Verringerung ihrer erforderlichen Mindestkapitaleinlage<br />

und eine Reihe besonderer Buchhaltungsregeln, mit denen eigentlich


48 Robert Guttmann<br />

und ,,.,,,,,011'1>L11<br />

somit hirlaulsg,ezijgc~rt werden konnten. Noch dramatischer ist die<br />

Situation fUr die :Sp:arkass:en, von denen ein Drittel tiber 1 effektiv insolvent<br />

Untef)2;anlg bedroht sind. Diese werden letztendlich nur durch<br />

Dilemma.<br />

Ohne Zweifel yLUUn's<br />

Bankrottverfahren die auf diese Weise<br />

hinlau:sge:hell1de Finanzkri­<br />

entwickeln. Bis-<br />

nte~rvlenl:10l1s]:'ral(t1I(en<br />

Finanzinstitutionen<br />

LV'U"'YU, Sparkassen, und seit Marz 1980 auch die "'LU"J'~'H<br />

zu riskanteren Investitionen. Wenn<br />

Wenn sie aber schief gehen, hilft der Staat. Diese beneidenswerte Position, Gewinne<br />

verbuchen zu durfen und zur selben Zeit Verluste sozialisieren zu aVHH'vU,<br />

fOrdert Verantwortungslosigkeit. Hinzu kommt, daB die immer<br />

und<br />

weitreichendere Verkniipfung von Finanztransaktionen dazu fuhrt, daB ursprunglich<br />

nur lokal begrenzte Insolvenzen und ZahlungsstOrungenjetzt oft wie ein Lauffeuer im<br />

Kreditsystem verbreitet werden. Das hat sich hOchst dramatisch schon in einigen<br />

Fallen gezeigt: etwa beim Zusammenbruch zweier GroBbanken (Seafirst 1983, Continental<br />

Illinois 1984), bei dem die Liquidation einer winzigen Bank (Penn Square<br />

1982) geniigte, oder bei den Riesenschaden flir Banken und Sparkassen infolge des<br />

Bankrotts einer kleinen Maklerfirma (E.M.S. 1985).<br />

Die Behorden haben auf dieses Problem zu reagieren begonnen. Auf der einen Seite<br />

versuchen sie, die<br />

zu verbessern. So wurden zum Beispiel die Informationserfordernisse<br />

und der Banken zwischen 1987 et-<br />

Hche Male wesentlich verscharft. Dnd im Iuli 1988 machte die Federal Reserve das<br />

erforderliche lVH"U'~~ der Banken von dem n.i'''''-'V),;l ihrer Aktiva aUJ!


Der Strukturwandel des amerikanischen 49<br />

Vel"onimmgen. Dabei karn ihnen die ""-V'''jJ'LvP,,, H'H"~U""LJ'UlJlM ZWlund<br />

konkurrierenden<br />

des<br />

~~v5U'UU,VH des Finanzwesens LU"W,HUJ,t','"<br />

a!-,LH"'~Uv '-''''MU"LU~U1J'M der Bankfilialen kann heute massiv umgangen<br />

zuletzt weil sowohl der FDIC auch die Provinzbankkommissionen Zusammenschliisse<br />

zwischen Institutionen verschiedener Einzelstaaten erleichtert haben. Dies<br />

prp"",>n und elektronisch inteaT1,~rtf'n<br />

Bankenkombinationen welche als neue MC)llopOLtOI<br />

H~5"H'~'" der USA dominieren.<br />

der sogenannten<br />

»limited service die aIle Kommerzbankfunktionen Firrnenkredite)<br />

auf nationaler Ebene ausiiben konnen. Mittels dieser LSBs konnten auch andere<br />

Finanzinstitutionen ,und sogar Industriefirmen ins Bankengeschaft eintreten.<br />

Erst 1987 verbot Kongress diese neue Bankenforrn. Andererseits erlaubten Ge­<br />

IHL~UaH"'1'cV"ll,U!~"lLl11vll, und die Federal Reserve den KC)mlmerzt)arlken,<br />

in bislang verbotene Bereiche der Investionsbanken und Versicherungen einzudringen.<br />

1m J ahr 1988 hat der Kongress endlich auf diese chaotische Situation reagiert und<br />

Gesetzesvorschlage flir eine langfristige Neuregelung der Bankstruktur zu diskutieren<br />

begonnen. Diese zielen vor aHem auf eine Aufuebung der zwischen<br />

Kommerz- und Investitionsbanken, urn die Konkurrenzfahigkeit del' arnerikanischen<br />

Banken gegen die oft groBeren und besser integrierten Banken anderer Industrielander<br />

zu starken. 21 AuBerdem gibt es derzeit eine spannungsgeladene Diskussion im<br />

Kongress und zwischen zustiindigen Behorden hinsichtlich einer Neuregelung des<br />

Aktienmarktes, urn eine Wiederholung des Borsenkrachs zu verrneiden (oder wenigstens<br />

zu mildem). Erste Schritte in diese Richtung beinhalteten groBere Strafen flir<br />

»insider trading«,<br />

der auf »stock-index futures« basierenden Computerprograrnme<br />

und dieAussetzung des Handels in Situationen groBer Preis schwan-<br />

(3 )Die Engpasse Trotz der der !',vL'l>fJ'-'H<br />

seit 1980 ist die Funktion der Zentralbank in den 80er Iahren viel<br />

geworden.<br />

Ein Grund daflir ist die<br />

del' Zinskontrollen, die frtiher als automatische<br />

Schranke gegen ein Uberhitzen der GeldschOpfung und Kreditgewahrung<br />

im Bankwesen gewirkt hatten. AuBerdem haben massive Transfers zwischen traditionellen<br />

Bankkonten und neuen Kontoforrnen (Giralgeldschopfung in Reaktion auf<br />

Zinsbewegungen) die Beziehung zwischen Bankreserven und Geldmenge viel unbe-<br />

0'~"~'5v' gemacht. Wegen der Explosion von Finanztransaktionen, der Geldzu- und<br />

-abfltisse vom bzw. ins Ausland im Zuge der US-Handelsdefizite und ',,"U'!-,HC-UL'uaH,"­<br />

tiberschiisse und des dauernd schwankenden Mix von deflationaren und inflationaren<br />

Erwartungen ist auch die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes viel weniger vorhersagbar.<br />

Aus all diesen Grunden hat die Federal Reserve (seit Oktober 1982) die Rolle der<br />

Geldmenge als Zielvariable der Geldpolitik immer mehr abgebaut. Geldpolitik kon-


50 Robert Guttmann<br />

zentriert sich heute fast ausschlieBlich auf die<br />

der Zinskontrollen eine widerspruchliche<br />

Einerseits ist das<br />

neue Regime der variablen Konten- und Kreditzinsen flexibler und daher bis zu einem<br />

bestimmten Grade selbstregulierend. Zu schnelles Wirtschaftswachstum erweckt inflationare<br />

und flihrt so zu hoheren Zinsen<br />

leichten Bremsung der<br />

Diese breiten sich<br />

ganze Kreditsystem aus und haben daher eine r"Q{'h,~rp<br />

umgekehrt im Fane sinkender Zinsen. Andererseits besteht die daB schon relativ<br />

wegen ihrer beschleunigten Verbreitung und def hohen<br />

"vlJcunnW'5 eine Rezession verursachen konnen.<br />

~'-"U~JV


Der Strukturwandel des amerikanischen 51<br />

Seit dem Louvre Abkommen im Februar 1987 halten die »G-7« Lander ihre Wechselkurse<br />

innerhalb recht breiter und flexibler gehandhabter Zielkorridore. 1m Zuge<br />

dieser Kooperation haben die Federal Reserve, Bundesbank und Bank of Japan schon<br />

mehrere Male ihre Diskontzinsen gleichzeitig gesenkt. Doch die Beseitigung der Ungleichgewichte<br />

in Handel und Kapitalverkehr zwischen diesen Uindem, eine Vorbedingung<br />

flir die Stabilisierung der Wechselkurse, bedarf einer viel starkeren Koordination<br />

vor aHem einer besserenAbstimmung der Fiskalpolitik.<br />

Dies ist eine schwierige Aufgabe, weil die IndustrieHinder ganz klare<br />

flikte hinsichtlich der Aufteilung der Anpassungslasten haben. 1m Mai 1988 0v,uUiSVU<br />

die USA vor, daB »G-7« Lander bei zu starken<br />

von regelmaBig vereinbarten<br />

ZielgroBen flir ihre Wirtschaft entsprechende Korrekturen erwagen. Dieser<br />

Vorschlag ist nicht ohne Heuchelei, weil bislang die Last der Anpassung durch ihre<br />

Sttitzungskaufe von Dollars hauptslichlich auf die Zentralbanken Japans und Westeuropas<br />

gefallen ist. Solange diese Situation andauert, konnen die USA eine schmerzliche<br />

Anpassung durch eine Ausnutzung ihrer Seigniorage vermeiden.<br />

Erst durch eine grundlegende Reform des intemationalen Geldsystems, welche den<br />

Dollar als Weltgeld ersetzt und die Wlihrungskurse stabil halt, kann ein der polyzentrischen<br />

Weltwirtschaft angemessenes Regime entstehen. Ob die dafilr notwendige<br />

Kooperation zwischen den Wirtschaftsmachten vor Ausbruch einer Weltwirtschaftskrise<br />

moglich ist, muB angesichts der Zuspitzung ihrer Rivalitat allerdings bezweifelt<br />

werden.<br />

Anmerkungen<br />

Orthodoxe Wirtschaftstheorien bescmanken sich zumeist auf die passive Sttitzfunktion des Kredits,<br />

was sich am klarsten in deren Annahme einer (ex post) Gleichheit zwischen Sparen und Investitionen<br />

widerspiegelt. Die aktive Konkurrenz zwischen Finanz- und Industriekapital ist daher die Domane<br />

»heterodoxer« Theoretiker: Wie zum Beispiel die Diskussion des »fiktiven Kapitals« bei Karl Marx<br />

(1971, Kapital24 und 29-32) oder die Unterscheidung zwischen »speculation« und »enterprise« von<br />

John Maynard Keynes (1936, 12. Kapitel).<br />

2 Die franzosische Regulationstheorie leistet einen wichtigen Beitrag zum Verstandnis der »Iangen<br />

Wellen« in der kapitalistischen Entwicklungsdynamik. Ihr Konzept des »Akkumulationsregimes«<br />

umfaBt all jene spezifischen Strukturen und Institutionen, welche in einer bestimmten Periode die fijr<br />

die stabile Reproduktion des Kapitals notwendigen Schliisselbalancen (z.B. zwischen Lohn und<br />

Produktivitat, zwischen Zins und Profit) sicherstellen. Wesentliche Publikationen (auf Englisch) von<br />

Vertretern dieser Schule sind Michel Aglietta (1979), Robert Boyer (1979), Alain Lipietz (1985,<br />

] 987) nnd Pascal Petit (1986). (Dentschsprachige Uberblicksliteratur: Mahnkopf 1988, Hiibner 1989<br />

- Anm. der Red.)<br />

3 Monetaristen, wie zum Beispiel Milton Friedman (1956; 1968) oder Harry Johnson (1962), betonen<br />

eine direkte Kausalitat zwischen Geldsumme und Preisniveau. Darans leiten sie dann eine passive<br />

Geldpolitik ab, die sich darauf bescmankt, die Geldmenge langfiistig im Einklang mit dem »natiirlichen«<br />

Wachstumspotential der Volkswirtschaft wachsen zu lassen. Der Keynesianismus, eine neoklassische<br />

Reinterpretation J. M. Keynes (1936), (siehe hier z.B. John Hicks, 1937 oder Alvin Hansen,<br />

1953), betont hingegen eine aktive Geldpolitk, die darauf abzielt, die kurzfristigen Schwingungen des<br />

Wirtschaftszyklus zu mindern.


52 Robert Guttmann<br />

4 Sparkassen, zum Beispiel, wurden in den USA durch bestimmte Regeln und Steuervorteile dazu<br />

gebracht, ihre Sparfonds zumeist in Hypotheken zu investieren. Regulierung verpflichtete sogenannte<br />

»credit unions« und »finance companies«, sich auf Konsumentenkredit zu spezialisieren. Ich kiinnte<br />

hier noch viele andere Beispiele anflihren; denn jede Art von Finanzinstitution hat in den USA ihre<br />

spezifischen Regeln, die Finanzierungsquellen und Investitionsmoglichkeiten bestimmen.<br />

5 Siehe Robert Guttmann (1984) flir eine detaillierte Analyse dieser »Schuldeniikonomie« in der<br />

Nachkriegsperiode.<br />

6 In den 20er J ahren wurde die HiUfte aller Kredite durch Vermittlung verschiedener Finanzinstitutionen<br />

mobilisiert, wiihrend die andere Halfte direkt von Gliiubigern zu Schuldnem floss. Der Anteil<br />

verrnittelter Finanzierung war in den 50er Jahren auf 80 % angewachsen und tiberstieg 90 % in den<br />

60er Jahren.<br />

7 Die Zentralbank bestimmt Zinssatz fiir ihe Diskontkredite und (vor 1980) das Zinsm&'(imum der<br />

Guthaben in Banken und Sparkassen. Sie hat auch direkten EinfluB auf andere Zinsen, wie zum<br />

Beispiel flir ,>Federal fund« (d.h. kurzfristige Kredite zwischen Banken), fUr kommerzielle Bankenkredite<br />

(durch gtitliches Zureden) und flir die staatlichen Obligationen (durch ihre Offenmarktopera-<br />

~~. /<br />

8 Das Warengeld hatte seinen eigenen Wert, der durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit in<br />

der Goldproduktion bestimmt war. Der Wert des Papiergeldes hingegen wird rein extern dureh seine<br />

Kaufkraft bestimmt, d. h. durch die von einer gegebenen Geldeinheit (z.B. ein Dollar) zirkulierten<br />

Wertmenge in der Warenwelt. Reduzierung des Warenwerts ohne entsprechende Preissenkung bedeutet<br />

dann, daB die Geldeinheit weniger Wert reprasentiert und daher an Kautkraft verliert.<br />

9 Die Geldpolitik der Federal Reserve war daher Resultat (und institutionelle Vorbedingung) beschleunigter<br />

Inflation, und nieht, wie die Monetaristen behaupten, deren Ursache. Ihre Hypothese einer<br />

einseitigen Kausalbeziehung von Geldmenge und Inflation basiert auf der absurden Annahme, daB<br />

Geld ohne Wert zirkuliert und Waren ohne Preise in den Marktaustausch eintreten.<br />

10 Ein kritischer Punkt der Uberspannung wurde dann erreicht, wenn die Verschuldungskosten schneller<br />

zu wachsen beginnen als das Einkommen und daher nur durch zusatzliche Schulden gedeckt werden<br />

konnen. Hyman Minsky (1975, 1982) hat diese Situation als >,Ponzi financing« charakterisiert und sie<br />

als den Hauptgrund fiir die UnbesHindigkeit des Kreditsystems identifiziert.<br />

11 In inflationaren Perioden steigen die Nominalzinsen. Altere Obligationen, die ursprtinglieh zu niedrigeren<br />

Zinsen herausgegeben wurden, kiinnen dann nur durch einen niedrigeren Marktpreis mit den<br />

neuen und hiihere Zinsen tragenden Obligationen konkurrieren. Zinserhiihungen flihren auch zu<br />

niedrigeren Aktienpreisen, weil diese die zukiinftigen Profite der Untemehmen herabsetzten, die<br />

Kreditfinanzierung der Aktienkiiufe verteuert, und Schuldenobligationen attraktiver maehte.<br />

12 Eine ausgezeichnete Analyse dieser Finanzkrisen naeh 1966 kann man im Buch von Martin Wolfson<br />

(1986) finden.<br />

13 In Robert Guttmann (1985) habe ieh diesen Zusammenbruch des Bretton Woods Systems wie auch<br />

die strukturellen Sehwaehen des nach 1973 existierenden Systems von f1exiblen Wechselkursen und<br />

verschiedenen inadequaten Weltgeldformen naher untersucht. Diese Publikation beinhaltet auch einen<br />

detaillierten Reformvorschlag flir eine neue intemationale Kreditgeldform.<br />

14 Diese prozyklische Eingrenzung der Geldpolitik zeugt von der Tatsache, daB die Zentralbank die<br />

Geldmenge nicht vo!lstandig kontrollieren kann. Durch die Mittel der Geldpolitik (d.h. Mindestreservebestimmungen,<br />

Offenmarktoperationen und Diskontkredite) kann die Federal Reserve die (UberschuB)Reserven<br />

der Banken bestimmen. Dadurch kontrolliert sie die Fahigkeit der Banken, Kredit zu<br />

gewiihren und so die Geldzirkulation auszudehnen. Die Giralgeldsch6pfung hangt aber aueh von den<br />

Profitmotiven der Banken und ihrer Kunden ab, welche die Zentralbank bestenfalls nur indirekt (tiber<br />

Zinssatzschwankungen) beeinflussen kann. Ohne Naehfrage nach Bankkrediten und Bereitschaft der<br />

Banken, ihre Uberschu13reserven auszuleihen, wird kein neues Geld geschaffen. In der Formulienmg<br />

ihrer Geldpolitik agiert die Zentralbank daher reaktiv auf die Kreditaktivitat im Bankenwesen.<br />

15 Zwischen 1970 und 1981 wuchs die Anzahl der als Trust organisierten Banken von 121 (mit einem<br />

Marktanteil von 16,2 %) auf 3 500, die zusammen <strong>74</strong>,1 % alief Bankkonten kontrollierten. Diese<br />

Trusts genossen einen griiBeren geographischen Spielraum und hatten eine weitere Auswahl an erlaubten<br />

Aktivitaten. Die Mitgliedschaft im Federal Reserve System fiel von 6221 Banken (mit 83 %<br />

alief Bankkonten) 1965 auf 5585 (und 72 %) im Jahre 1978. Die Banken konnten sich der Kontrolle


Der Strukturwandel des amerikanischen Finanzkapitals 53<br />

der Zentralbank entziehen, indem sie sich von den einzelnen Bundesstaaten lizenzieren und regulieren<br />

lassen. Letztere hatten im allgemeinen weniger strenge Verordnungen und auch geringere Macht als<br />

die Federal Reserve.<br />

16 Dieser historische Umschwung der Geldpolitik wird von der Mehrheit der Okonomenals Sieg des<br />

Monetarlsmus tiber den Keynesianismus bezeichnet. Obwohl der wachsende EinfluB des Monetarismus<br />

in den 70er Jahren als Reaktion auf die Stagflation unbestritten ist, darf nicht verges sen werden,<br />

daB die Zentralbank diese Richtungsandernng in Reaktion auf eine immer schlimmer werdende Krise<br />

untemahm. Wie William Greider (1988) iiberzeugend zeigt, benutzte die Federal Reserve den Monetarismus<br />

als Feigenblatt, als ideologische Legitimierung ihrer Strategie der Inflationsbekiimpfung<br />

durch hohe Zinsen.<br />

17 Andere Aspekte der »ReaganRevolutioii« waren eine breite Offensive gegen die Gewerkschaften<br />

(z.B.die Massenentlassung streikender Fluglotsen 1981) und die Entlastung der Untemehmen von<br />

vielen Verordnungen zum Schutz der Arbeiter, Konsumenten oder der Umwelt.<br />

18 Diese Begtinstigung des Zinseinkommens kam nur in beschr1inktem AusmaB aus dem Profitanteil des<br />

Industriekapitals. Reagan's Fiskalpolitik und die Umstrukturierungsbemtihungen der Industrie verursachten<br />

niimlich eine gleichzeitige Einkommensumverteilung von Lohnen zu Profiten.<br />

19 Die 1981 eingefiihrten »mortgage-backed securities« (d.h. Umwandlung von Hypotheken in handelsfahige<br />

Obligationen) sindheute ein Marktvon tiber $ 120 Mrd. pro Jahr. Transaktionen in sogenannten<br />

»stock-index futures«, durch die man auf zukiinftige Aktienmarktbewegungen spekulieren kann,<br />

machen heute tiber 40 % des Borseiihandels aus. »Swap«-Geschiifte, in denen Finanzinstitutionen<br />

Wiihrungen oder Schuldenscheine miteinander austauschen, belaufen sich heute in den USA auf mindestens<br />

$ 400 Mrd. pro Jahr. Diese fiktiven Kapitalformen konnten sich nicht zuletzt so rasch ausdehnen,<br />

weil sie auf relativ kleinen Geldtransaktionen beruhen.<br />

20 Eine ausgezeichnete Analyse der verschiedenen Schritte zur Krisenbewiiltigung, die den Kampf<br />

zwischen Panik und Rettungsaktionen chronologisch darstellt, hat Tim Metz (1988) vorgelegt.<br />

21 Fiir Details dieser verschiedenen Gesetzesvorschliige, die alle spezifische Reformstrategien und<br />

Interessenkoalitionen repriisentieren, siehe Robert Guttmann (1987).<br />

Literatur<br />

Aglietta, M. (1979), A Theory of Capitalist Regulation: The US Experience (New Left Books: London).<br />

Boyer, R. (1979), »Wage Formation in Historical Perspective: The French Experience,« Cambridge<br />

Journal of Economics, 3(1), S. S. 98-118.<br />

Friedman, M. (1956), »The Quantity Theory of Money: A Restatement«, in M. Friedman (ed.) Studies in<br />

the Quantity Theory of Money (University of Chicago Press: Chicago).<br />

Friedman, M. (1968), »The Role of Monetary Policy,« American Economic Review, 58(1), S. S. 1-17.<br />

Greider, W. (1988), Secrets of the Temple: How the Federal Reserve Runs the Country (Simon & Schuster:<br />

New York).<br />

Guttmann, R. (1984), »Stagflation and Credit-Money in the USA«, British Review of Economic Issues,<br />

8(15), S. S. 79-119.<br />

Guttmann, R. (1985), Crisis and Reform of the International Monetary System (Thames Papers in Political<br />

Economy: London).<br />

Guttmann, R. (1987), »Changing of the Guard at the Fed«, Challenge, NovemberlDecember, S. 4-9.<br />

Hansen, A. (1953), A Guide To Keynes (McGraw Hill: New York).<br />

Hicks,J. (1937), »Mr. Keynes and the >Classics


54<br />

Lipietz, A. (1985), The Enchanted World: Inflation, Credit and the World Crisis (Verso Books: London).<br />

Lipietz, A. (1987), Mirages and Miracles: The Crises of Global Fordism (Verso Books: London).<br />

Mahnkopf, B. (1988) (Hrsg.): Der gewendete Kapitalismus, Kritische Beitriige zur Theorie der Regulation,<br />

(Westfalisches Damptboot: Miinster)<br />

Marx, K. (1971), Das Kapital, Dritter Band (Dietz Verlag: Berlin, DDR); Erstausgabe (von F. Engels)<br />

in Hamburg 1894.<br />

Metz, T. (1988), Black Monday: The Catastrophe of October 19.1987 ... and Beyond, (William Morrow:<br />

New York).<br />

Minsky, H. (1975), John Maynard Keynes (Columbia University Press: New York).<br />

Minsky, H. (1982), Can >It< Happen Again? (M.E. Sharpe: Wbite Plains, NY).<br />

Petit,P. (1986), SlbwGrowth and the Service Economy (Frances Pinter: London).<br />

Wolfson, M. (1986), Financial Crises: Understanding the Postwar U.S. Experience (M.E. Sharpe:<br />

Armonk, NY).


Remco van Capelleveen<br />

Give me your tired, your poor, and your huddled masses? *<br />

>Dritte WeltDritten Welt< waren weniger gem gesehen. Erst die Reformierung<br />

der Einwanderungsgesetze 1965 fiihrte - ungewollt - zu einer dramatischen<br />

Zunahme der Einwanderer aus der >Dritten Welt Entdeckem< faIschlicherweise<br />

Indianer genannten Ureinwohner Amerikas Einwanderer, die vor etwa 12000 Jahren<br />

tiber die Bering-StraBe yom asiatischen Festland kamen und den gesamten nordamerikanischen<br />

Kontinent besiedelten.<br />

Die U~A als Nation of Immigrants •.•<br />

Aber erst die Jahrhunderte spater stattfindende Besiedlung durch europaische Einwanderer<br />

wird als der eigentliche Beginn der amerikanischen (Einwanderungs-)Geschichte<br />

verstanden. Wahrend der gesamten »kolonialen Periode« war die Zahl der<br />

Einwanderer relativ gering. Zwischen der Grtindung der ersten englischen Siedlung<br />

* Inschrift auf der Freiheitsstatue von New York


56 Remco van Capel/eveen<br />

Jamestown im Jahr 1607 und dem Verfassungskonvent der neuen unabhangigen Republik<br />

in Philadelphia 1787 blieb die Zahl der Siedler, die von Europa nach Nordamerika<br />

kamen, insgesamt unter einer Million. Dennoch zlihlte die neue Nation 1790<br />

schon knapp 3,2 Millionen Einwohner (europaischer Herkunft), deren groBe Mehrheit<br />

Einwanderer der zweiten und dritten Generation, d.h. in der »Neuen Welt«<br />

geboren waren.<br />

Zu den ersten Einwanderem wahrend der Kolonialzeit gehorten auch jene, die in der<br />

Einwanderungshistoriographie in der Regel nicht beriicksichtigt werden und deren<br />

Schicksal ehet verschamt in einem anderen, vermeintlich der Vergangenheit angehorenden<br />

Kapitel der amerikanischen GeschiChte abgehandelt wird: die Menschen und<br />

Volker Afrikas, die von europaischen Handlem und Seefahrem gewaltsam versklavt<br />

und als Arbeitskrafte fiir die kolonialen Plantagenwirtschaften auf den nordamerikanischen<br />

Kontinent und in die Karibik verschleppt wurden. 1619, ein Jahr bevor die<br />

»Pilgervater« an Bord der Mayflower bei Plymouth landeten und mehr als ein Jahrhundert<br />

nachdem die ersten afrikanischen Sklaven nach Hispaniola (dem heutigen<br />

Haiti) in der Karibik gebracht worden waren (1501), verkaufte eine hollandische Fregatte<br />

20 Afrikaner an englische Siedler in Jamestown. In der Folge wurde etwa eine<br />

halbe Million afrikanischer Sklaven auf die Baumwoll-, Tabak-, Zucker-, Reis- und<br />

Hanfplantagen in Britisch-Nordamerika und Franzosisch-Louisiana zwangsverschleppt.<br />

Zwanzig mal so viele, ca. 10 Millionen Afrikaner, kamen insgesamt in die<br />

»Neue Welt«, vor allem auf die Zuckerplantagen in der Karibik und im heutigen<br />

Brasilien. Und ein Mehrfaches der tatsachlich in die Kolonien verfrachteten afrikanischen<br />

Sklaven hat die brutale und qualvolle Atlantikiiberquerung nicht iiberlebt<br />

(Curtin 1969).<br />

Bei der Inauguration der neuen Republik - am 4. Marz 1789 trat die Verfassung in<br />

Kraft und George Washington wurde zurn ersten Prasidenten gewlihlt - waren mehr<br />

als 750000 oder 20 % ihrer Einwohner afrikanischer Herkunft, 4/5 von ihnen in der<br />

»Neuen Welt« geboren. Gleichwohl galten die von den »Griindungsvatem« ausgearbeitete<br />

Verfassung und die in dieser sowie der Unabhangigkeitserklarung und der Bill<br />

of Rights niedergelegten Menschen- und Biirgerrechte nicht fiir die Menschen afrikanischer<br />

Herkunft. Damit die »weiBen Herren«, insbesondere die Plantagenbesitzer<br />

des amerikanischen Siidens, im KongreB aber nicht unterreprasentiert sein wiirden,<br />

wurden Afroamerikaner als »Dreifiinftel Personen« gezlihlt. Ebensowenig konnten<br />

sie, gleichgiiltig ob Sklaven oder >freie< Schwarze (die es auch gab), Staatsbiirger der<br />

USA sein. Auch dies war nur »freien weiBen Personen« vorbehalten (Holt 1980).<br />

Seitdem haben weit iiber 50 Millionen Menschen »freiwillig« ihre Heimat verlassen,<br />

urn voriibergehend oder standig auf dem Gebiet der heutigen USA zu leben.! War die<br />

Einwanderung wlihrend der Kolonialzeit noch vergleichsweise gering, entwickelte<br />

sie sich im zweiten Drittel des 19. J ahrhunderts zu einer wirklichen Massenbewegung.<br />

In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts stieg die Nettoeinwanderung auf<br />

zwei Millionen (pro Dekade) bis sie zwischen 1900 und 1910 auf iiber 6 Millionen<br />

Einwanderer emporschnellte. Allein zwischen 1880 und 1924 kamen 25 Millionen<br />

Menschen in die USA (von denen allerdings viele wieder in ihre Heimat zurUckkehr-


Dritte Weltnur< 19 %<br />

aus Nord- und Westeuropa. Diese »neue« Einwanderung hielt an, bis die Periode der<br />

(fUr Europlier) praktisch uneingeschrlinkten Einwanderung in den 20er Jahren zu<br />

Ende ging. 1m Mai 1921 verabschiedete der KongreB das erste sogenannte Quotengesetz<br />

(Johnson Act), das die jiihrliche Zahl der Einwanderer auf drei Prozent der bei<br />

der Volksziihlung von 1910 bereits in den USA anslissigen Einwohner aus dem jeweiligen<br />

Land begrenzte. Ein weiteres Einwanderungsgesetz von 1924 (Johnson­<br />

Reid Act) verschlirfte die Quotenregelung: es setzte eine Gesamtobergrenze von<br />

165000 Einwanderern pro Jahr fest - das waren weniger als ein Funftel der jiihrlichen<br />

Einwanderung vor 1914 -.und begrenzte die Quoten auf zwei Prozent von den bei der<br />

Volkszlihlung von 1890 erfaBten Immigranten aus dem jeweiligen Land. 2 Damit<br />

wurde die Zahl der Einwanderer, die nicht aus Nord- und Westeuropa, sondem vorwiegend<br />

aus Ost- und Sudeuropa stammten, drastisch gesenkt - von durchschnittlich<br />

685500 pro Jahr zwischen 1907 und 1914 (im Vergleich zu 177000 aus Nord- und<br />

Westeuropa)aufjahrlich 158400nach 1921 (Nord-undWesteuropa: 198100)undnur<br />

noch 20900 pro Jahr nach 1924 (Nord- und Westeuropa: 141000).3 Diese Phase restriktiver<br />

Einwanderungspolitik, die im wesentlichen bis in die 60er Jahre angehalten<br />

hat, fUhrte nicht nur zu einem substantiellen Ruckgang der Zahl der Einwanderer<br />

insgesamt sondern signalisierte auch eine eindeutige Prliferenz fUr Immigranten aus<br />

Nord- und Westeuropa.<br />

Die massiven Einwanderungsbewegungen des 19. Jahrhunderts waren sicherlich<br />

»freiwillig« im Vergleich zu der gewaltsamen und physisch-brutalen Verschleppung<br />

afrikanischer Menschen und VOlker. Zugleich waren sie aber nicht primlir Folge der<br />

Attraktivitlit der »Neuen Welt«, sondern eine aus der Not geborene Massenvertreibung,<br />

ein AbstoBen von Surplus-Populationen im Interesse der Umschichtung von<br />

landwirtschaftlicher in industrielle Produktion innerhalb der »atlantischen Okono-


58 Remco van Capelleveen<br />

mie« (Krippendorff 1978). Dies schloB allerdings nicht aus, daB fur zahlreiche Einwanderer<br />

die (tatsachliche oder vermeintliche) Attraktivitiit der»Neuen Welt« bzw.<br />

politische, religiose und kulturelle Grunden im Vordergrund standen.<br />

Andererseits kontrastierte die offene Einwanderungspolitik gegenuber europliischen<br />

Migranten im 19. J ahrhundert rriit dem schon bald nach Abschaffung der Sklaverei<br />

sich neu formierenden Rassismus (nicht nur der >einheimischen< Amerikaner, sondern<br />

auch der europaischen Immigranten). Wlihrend fast 4 Millionen >befreiter< Sklayen<br />

der faktischen Wiederversklavung durch Sharecropping und Tenant Farming im<br />

Suden der USA durch Nord- oder Westwanderung zu entgehen versuchten, organisierte<br />

der KongreB die Einwanderung von (im Vergleieh mit den Afroamerikanern<br />

teureren) Arbeitskraften aus Nord- und Westeuropa fUr die verarbeitende Industrie,<br />

die Eisenbahngesellschaften und andere Unternehmen des sich industrialisierenden<br />

N ordens. Allein zwischen 1865 und 1869 kamen uber eine Million europliischer Immigranten<br />

in die USA. Zwischen 1860 und 1879 nahm die im Ausland geborene Bevo1kerung<br />

in den USA netto urn 1,5 Millionen zu, warnend die Nettomigration von<br />

Afroamerikanern aus dem Suden in den Norden und Westen nur 10000 betrug. Faktisch<br />

waren samtliche Industrien und Handwerkszweige, insbesondere im Norden;<br />

den afroamerikanischen Arbeitern verschlossen. Und wo der bloBe AusschluB von<br />

bezahlter Beschliftigung nicht ausreichte, tat offener und blutiger Terror das seine, urn<br />

die >befreiten< Schwarzen auf den Plantagen des Siidens zu halten (Allen o.J.) .<br />

... aber Immigrant ist nicht gleich Immigrant<br />

Trotz des massiven Ubergewichts der Einwanderer aus Europa sind von Anfang an<br />

aber auch Menschen aus cler sogenannten > Dritten Welt< in die USA eingewandert. 4<br />

Aus Asien kamen seit Mitte des 19. J ahrhunderts zunachst Chinesen an die Westkiiste,<br />

die vor allem als Kontraktarbeiter in den Goldminen und spater beim Eisenbahnbau<br />

arbeiteten. Urn die Jahrhundertwende folgten ihnen Japaner, von denen viele in der<br />

Landwirtschaft beschliftigt wurden. Obwohl die Zahl der Einwanderer aus Asien vergleichsweise<br />

sehr klein war, kamen bis 1930 immerhin knapp 378000 Chinesen<br />

(322000 allein zwischen 1850 und 1882), 277000 Japaner, 9400 Inder und 36000<br />

Migranten aus anderen asiatischenLandern in die usA. Nichtalle dieser Einwanderer<br />

blieben, viele kehrten in ihre Heimat zuruck. Zwischen 1890 und 1920 ging z.B die<br />

chinesische Bevo1kerung in den USA von 107000 auf 43500 zuruck.<br />

Die groBte Gruppe von >Dritte Welt


Dritte WeltDritte WeltDritten We1t< extreme Formen von Rassismus und Xenophobie aus, die sich in<br />

drastischen Verschlirfungen der Einwanderungsbedingungen bis zum totalen Einwanderungsstopp<br />

fiir Asiaten niederschlugen. 1882 wurde nach jahrelanger Feindseligkeit<br />

gegen chinesische Migranten mit Untersttitzung der Gewerkschaften der<br />

Chinese Exclusion Act verabschiedet, der die Einwanderung chinesischer Arbeiter<br />

verbot und die etwa 105000 in den USA lebenden Chinesen von der Moglichkeit zur<br />

Einbtirgerung ausschloB. 1885 und 1888 folgten weitere Gesetze, die die organisierte<br />

Rekrutierung von ungelemten Kontraktarbeitem verboten und ihnen die Deportation<br />

androhten. 1891 wurde die Einfuhr von Kontraktarbeitem weiter eingeschrlinkt und<br />

eine obligatorische lirztliche Untersuchung bei der Einreise vorgeschrieben, die flexibel<br />

als Abweisungsgrund gehandhabt werden konnte. 1902 wurde der Chinese ExclusionActaufunbestimmteZeitverllingert,<br />

und 1907/8 wurde die Einwanderung aus<br />

Japan durch das sogenannte Gentlemen'sAgreement unterbunden. 1917 wurde, neben<br />

der Einfiihrung von Lese- und Schreibtests und einer »Kopfsteuer« von $ 8 fiir prospektive<br />

Immigranten, die Einwanderung aus der sogenannten Asiatic Barred Zone<br />

verboten.? 1m Jahr 1924 verabschiedete der KongreB schlieBlich den Oriental ExclusionAct,<br />

durch den - nach dem Vorbild des Chinese Exclusion Act von 1882 - jegliche<br />

Einwanderung von Asiaten aufgrund ihrer »RassenzugehOrigkeit« verboten wurde.<br />

Obwohl auch die Einschrlinkung der Einwanderung aus der westlichen Hemisphlire<br />

im KongreB diskutiert wurde, kam es zu keinen entsprechenden Restriktionen. Zum<br />

einen wurden insbesondere Mexikaner als billigeArbeitskrlifte in der Landwirtschaft<br />

des Stidwestens gebraucht. Zum anderen konnte die Einwanderung von »unerwtinschten<br />

Elementen« je nach Arbeitskrlifteerfordemissen reglementiert werden.<br />

Wlihrend der GroBen Depression wurde die Einwanderung aus Mexiko entsprechend


60 Remco van Capel/eveen<br />

emgei;chrarlln; zwischen 1929 und 1935 wurden tiber 80000 Mexikaner des Landes<br />

Die Zeiten andem sich ... ein biB chen<br />

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt die restriktive Starrheit und relative<br />

Undurchliissigkeit der amerikanischen Einwanderungspolitik zunehmend Locher,<br />

durch die auch eine wachsende Anzahl von Einwanderern aus der >Dritten Welt<<br />

schltipfen konnte. Es stand einer Nation, die sich gerade angeschickt hatte, die<br />

Menschheit von der Barbarei des Faschismus zu befreien, schlecht an, Menschen<br />

aufgrund ihrer »Rassenzugehorigkeit« die Aufnahem zu verweigern. Erste Schritte<br />

der der Einwanderungsgesetzgebung begann als der vollige<br />

AusschluB chinesischer Migranten aufgehoben und ihnen eine Quote von 105 Personen<br />

pro J ahr sowie Recht auf Einbtirgerung zugestanden wurde. 1946 erhielten<br />

Indien und die aber und ahnliche Quoten 100),<br />

und Einwanderern aus diesen Landern wurde ebenfalls das Recht auf Einbtirgerung<br />

gewahrt. AuBerdem durften Ehegatten und Kinder von us-amerikanischen Soldaten<br />

auBerhalb der Quoten einwandern Brides Act von 1945). Weitere Lockerungen<br />

brachten der Displaced Persons Act von 1948 bzw. 1950, der die Aufnahme von mehr<br />

ills 400000 stid- und osteuropaischen<br />

auBerhalb der Quoten ermoglichteo<br />

Allerdings stand die Aufnahme<br />

aus lllC:nt··eUT01Jalsctlen<br />

Landern nicht zur Debatte.<br />

1952 wurde die Einwanderungsgesetzgebung mit dem McCarran-Walter Act insgesamt<br />

>erneuert


Dritte U;.wm';~~ in die USA 61<br />

lonien der<br />

Lander auf 100 Personen pro J ahr begrenzt 8 Dies zielte einauf<br />

die zunehmende Zahl schwarzer aus def Karibik,<br />

die bisher unter der groBziigigen Quote GroBbritanniens einwandern konnten. Aber<br />

das Gesetz enthielt auch >liberale< Elemente. So wurde das generelle Verbot der Einaus<br />

Asien und kleine Quoten ca. 100 fUr die<br />

Lander des Asian Pacific<br />

Ebenfalls wurde allen Einwanderern das<br />

Recht auf Einbiirgerung<br />

asiatischer Herdie<br />

in Landern der westlichen<br />

und deren Biirger waren,<br />

auf die uberdies schon kleinen<br />

der asiatischen Linder an:ger'eCI1lle~t<br />

In der zweiten Halfte der 50er und in den fruhen 60er J ahren wurde das<br />

durch verschiedene Ausnahmeregelungen weiter unterminiert Unter dem<br />

Act von 1953 kamen weitere 214000 Fliichtlinge in die USA, vorwiegend<br />

. aus der Sowjetunion und anderen Teilen aber auch mehrere tausend aus<br />

Asien und dem Mittleren Osten. In der Folge wurden Fli.ichtliche aus Ungarn, Hol­<br />

Hinder aus Indonesien, aber auch Chinesen yom Festland und aus Hongkong<br />

aufgenommen. Diverse Fliichtlingsgesetze zwischen 1945 und 1960 erlaubten die<br />

Einreise von ca. 700000 Menschen auBerhalb der Quotenregelgung, von denen die<br />

tiberwiegende Mehrheit aus Europa kam. Diese Gesetze sowie diverse Erlasse des<br />

amerikanischen Prasidenten zur Aufnahme von politischen Fltichtlingen (parole<br />

power) gewahrten aber auch mehreren tausend Fltichtlingen aus asiatischen Landern<br />

EinlaB in die USA. In den Jahren 1948-1964 kamen insgesamt tiber 30000 Chinesen<br />

und ca. 34000 Filipinos, 1952-1964 tiber 62000 Japaner und 14000 Koreaner in die<br />

USA. Seit 1957 verzeichneten die Einwanderungsbehordenjedes Jahr eine Gesamteinwanderung<br />

aus Asien von tiber 20000 Personen, obwohl die meisten Lander tiber<br />

Quoten von lediglich 100 verfiigten. Die meisten asiatischen Einwanderer in dieser<br />

Zeit (1943-1965) kamen aus Japan, China, den Philippinen und Korea; sie kamen aber<br />

auch aus Indien, Indonesien, Thailand, Pakistan und anderen Landern des Fernen und<br />

Mittleren Ostens. Viele dieser Einwanderer waren hochl=lU


62 Remco van Capel/eveen<br />

massenhaften Einwanderung »illegaler« Migranten aus Mexiko, der sogenannten<br />

mojados. 1m Unterschied zu vielen anderen Einwanderern der unmittelbaren Nachkriegszeit<br />

waren die mexikanischen Migranten in ungelernteArbeitskrafte,<br />

die vor aHem in der Landwirtschaft,<br />

aber auch im Bergbau und<br />

in der verarbeitenden Industrie beschiiftigt wurden.<br />

1m Vergleich mit den Einwanderungsbewegungen aus Mexiko und die<br />

jeweils 11 % bzw. 15 % der Gesamteinwanderung in den zwei Dekaden nach Beendigung<br />

des Zweiten Weltkriegs ausmachten, war die Migration aus der Karibik und<br />

anderen Teilen Lateinamerikas<br />

1945-1964 kamen aus der Karibik<br />

ca. 249000 oder 5 % der gesamten in die der<br />

groBte Teil davon aus Kuba. Aus allen anderen lateinamerikanischen Landern zusammen<br />

kamen im gleichen Zeitraum 413 000 Einwanderer bzw. 9 % der Gesamtmigration.<br />

Wenngleich die Zahl der vor 1965 gekommenen Einwanderer aus der >Dritten Welt<<br />

insgesamt nicht sehr hoch war (Ausnahme: Mexiko), sollten ihnen doch eine bedeutende<br />

Rolle flir die zuktinftigen Wanderungsbewegungen zukommen. Die Einwanderercommunities<br />

in den USA bildeten die Basis flir die nach 1965 kommenden Migranten,<br />

denen sie nicht nur Informationen und materielle Zuwendungen zukommen<br />

lieBen, sondern flir die sie auch als wichtige Verbindung und Anlaufstelle fungierten.<br />

»This lst not a revolutionary bill«:<br />

die Reform del' Einwanderungsgesetzgebung von 1965 ...<br />

Anfang der 60er Jahre kamen 2/3 alIer Einwanderer auBerhalb der Quotenregelung in<br />

die USA, die Halfte davon aus Landern der westlichen Hemisphare. Angesichts eines<br />

>liberaleren< gesellschaftlichen Klimas - die Btirgerrechtsbewegung hatte 1964/65<br />

zur Verabschiedung des ersten wirksamen Civil Rights Act und des Voting Rights Act<br />

zur Beendigung offener rassistischer Diskriminierungen geflihrt - stand eine Reform<br />

der Immigrationsgesetze auf der politischen Tagesordnung. Ais 1964 Lyndon Johnson<br />

die Prasidentschaftswahlen gewonnen und die Demokratische Partei im KongreB<br />

einen deutlichen Sieg errungen hatte, verabschiedete der KongreB 1965 nach jahrelanger<br />

Auseinandersetzung und verhementer Opposition schlieBlich ein neues Einwanderungsgesetz,<br />

das insgesamt jedoch restriktiver war als die schon von der Kennedy-Regierung<br />

gemachten und von Johnson tibemommenen Vorschlage. 10 Das neue<br />

Einwanderungsgesetz (Hart-Cellar Act), das am 1. Juli 1968 in Krafttrat, schaffte die<br />

zwei wichtigsten PfeHer der bisherigen Restriktionspolitik ab - das national origins<br />

system und die besonderen Bestimmungen flir das Asia-Pacific-Triangle - und ersetzte<br />

es zugunsten eines auf Familienbeziehungen und, weniger prominent,<br />

auf Arbeitsmarkterfordernisse ausgerichteten Praferenzsystems. Flir die ostliche<br />

Hemisphare wurde eine jahrliche Obergrenze von insgesamt 170000 und 20000 Personen<br />

pro Land festgelegt. Unmittelbare Familienangehorige (Kinder unter 21 Jahren,<br />

Ehepartner und Eltern) von amerikanischen Staatsblirgem waren ausgenommen.


Dritte Welte-Migration in die USA 63<br />

Der groBte Teil- <strong>74</strong> % - der<br />

wurde ftir sonstige Familienangehorige<br />

von Amerikanem bzw. von Einwanderern mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis<br />

residents) reserviert. Die Praferenzen umfaBten im einzelnen:<br />

1. Praferenz: unverheiratete Kinder iiber 21 Jahre von US-Biirgern (hochstens 20 % aller Einwanderer);<br />

2. Praferenz: Ehepartner und unverheiratete Kinder von Einwanderern (20 % plus unausgeschopftes<br />

Kontingent der 1. Praferenz);<br />

3. Praferenz: hochqualifizierte Fachkriifte wie Wissenschaftler, Kiinstler, Ante, etc. (10 %);<br />

4. Praferenz: verheiratete Kinder iiber 21 Jahre von US-Biirgern (10 %);<br />

5. Praferenz: Geschwister von US-Biirgern (24 % plus unausgeschopfte Kontingente der 1.-3. Priiferenz);'<br />

,<br />

6. Priiferenz: Facharbeiter und un-/angelerente Arbeiter, sofem Knappheit an solchen Arbeitskraften<br />

besteht (10 %);<br />

7. Priiferenz: Fliichtlinge (6 % oder maximal 10200 Personen).12<br />

Zum ersten Mal wurde auch eine Obergrenze fUr die westliche Hemisphare festgesetzt<br />

- 120000 Einwanderer insgesamt pro Jahr. Bis 1976 existierten hier jedoch<br />

weder Praferenzen noch nationale Begrenzungen. 1978 wurde die weltweite Obergrenze<br />

fUr aIle Einwanderer auf290000 Personen festgelegt und ein einheitliches Praferenzsystem<br />

ftir beide Hemispharen eingefiihrt.<br />

Ein erklartes Ziel des neuen Gesetztes war die Abschaffung der Benachteiligung von<br />

Einwanderem aus Siid- und Osteuropa sowie deroffenen Diskriminierung asiatischer<br />

Einwanderer. Zugleich waren sich KongreB und Regierung tiber den gemaBigten<br />

Charakter der Gesetzesreform einig, deren symbolischer Stellenwert zwar hoch<br />

veranschlagt, von der aber auBer der Zunahme von Migranten aus Stid- und Osteuropa<br />

keine radikalen Veranderungen erwartet wurden. Prasident J ohnsons Feststellung bei<br />

der Unterzeichnung des Gesetzes - »this is not a revolutionary bill« - drtickte die<br />

Einschatzung und Erwartungen der meisten Beteiligten aus. Und auch der langjahrige<br />

Verfechter der Gesetzesreform, der KongreBabgeordnete Emanuel Celler, hatte seinen<br />

Kollegen versichert, daB nur »wenige Asiaten oder Afrikaner in dieses Land kommen<br />

'" da die Menschen aus Asien und Afrika sehr wenige Verwandte hier<br />

haben.« Diese Einschatzung wurde auch von der seriO sen Presse geteilt. Dartiber hinaus<br />

setzte das neue Gesetz zum ersten Mal eine Obergrenze flir Einwanderungen aus<br />

der westlichen Hemisphare und zielte damit explizit auf die Einschrankung der zunehmenden<br />

Migrationsstrome aus Landern sudlich der Grenze. Flir die karibischen<br />

Kolonien wurden Quoten von 200 (seit 1976: Personen festgesetzt, die allerdings<br />

durch die politische Unabhangigkeit eines GroBteils der Karibik rasch an Bedeutung<br />

verloren.<br />

'" nnd ihre<br />

Trotz ihres dezidiert gemaBigten Charakters ftihrte die neue Gesetzgebung insgesamt<br />

zu einem gravierenden Anstieg der Immigrationsbewegungen. Obwohl die Einwanderung<br />

aus Europa in den 70er J ahren immer mehr zurtickging, wurden die festgesetzten<br />

Gesamtobergrenzen weit tiberschritten. Die Gesamteinwanderung stieg von 2,5<br />

Millionen in den Jahren 1951-1960 auf 4,5 Millionen in den Jahren 1971-1980 und


64 Remco van Capelleveen<br />

nochmal3,5 Millionen in den J ahren 1981-1986 13 • Dariiber hinaus - und dies geschah<br />

gegen die expliziten Intentionen der »Gesetzesvater« - veranderte sich die nationale<br />

und ethnische Zusammensetzung der Einwanderungspopulationen dramatisch zugunsten<br />

der Einwanderer aus der >Dritten WeltDritten Welt


Dritte WeltDritten Welt< gestellt, und auch hier ist der Trend steigend.<br />

Schatzungen der UNO zufolge gibt es auf der ganzen Welt etwa 12 Millionen »Vertriebene«,<br />

die nach einer neuen Heimat suchen.<br />

Definierte<br />

immer noch als »escapees from<br />

~VHHHUH1C'Hr", wirdmit dem Act von 1980 die UNO-Definition !'.v,'''',"CU'.H<br />

festgeschrieben, derzufolge ist, wer drohender Verfolgung -<br />

»wegen seiner Rasse, Religion, Nationalitat, Mitgliedschaft in einer besonderen sozialen<br />

Gruppe oder seinerpolitischen Meinung« - seine Heimat verlassen muBte bzw.<br />

nicht in sie zurlickkehren kann. Gleichwohl hat sich seitdem die grundsatzlich antikommunistische<br />

Aufnahmepraxis von Fltichtlingen nicht geiindert, wie insbesondere<br />

Fliichtlinge aus Haiti, aber auch aus El Salvador oder Guatemala bitter erfahren<br />

muBten. Die tiberwiegende Mehrheit der unter der Reagan-Regierung aufgenommenenpolitischen<br />

Fltichtlinge kam weiterhin aus Kuba, der Sowjetunion, osteuropaischen<br />

Uindem und aus Indochina, einige wenige aus Afghanistan und (auf Druck des<br />

Black Caucus) aus Athopien, aber praktisch keine aus Haiti, El Salvador oder Guatemala.<br />

Ein weiterer (falsch eingeschatzter) Aspekt der zunehmenden Einwandererzahlen<br />

waren die vonjeglicher Begrenzung ausgenommenen unmittelbaren FamilienangehOrigen<br />

(Kinder unter 21 Jahren, Ehepartner und Eltem) von amerikanischen Staatsblirgem.<br />

Auch dieses Gruppe von Immigranten nahm viel rapider zu als von Experten<br />

angenommen worden war. Kamen 1970 noch weniger als 80000 Einwanderer als<br />

unmittelbare Familienangehorige auBerhalb der numerischen Begrenzung, so waren<br />

es 1980 schon tiber 150000 und 1986 gar 217000 Personen, die tiberwiegende Mehrheit<br />

von ihnen aus Landem der >Dritten Welt


66 Remco van Capelleveen<br />

In gewisser Weise sind aber aIle diese Aspekte vordergrlindig, selbst nur Ausdruck<br />

eiues grundlegenderen Wandels des Verhiiltnisses der USA zur >Dritten WeltDritten Welt< ftihren<br />

wird.<br />

nicht schlicht von sta.gnler,en(len<br />

Kel·un.gs'waCh:stum in der >Dritten Welt< erzeugt Es sind namgraB<br />

ten BevOlkerungszuwachsen, aus<br />

denen die meisten Menschen auswandern. Im Gegenteil, die Wachstumsraten des<br />

Bruttosozialprodukts und der Beschiiftigung in den wichtigsten AuswanderungsHindern<br />

sowohl in Asien als auch in Lateinamerika und der Karibik sind wiihrend der<br />

gesamten 70er Jahre relativ hoch gewesen. Aber fast aIle diese Lander sind tiber<br />

intensive wirtschaftliche Beziehungen eng mit den USA verflochten. Dies verweist<br />

auf die Bedeutung amerikanischer Wirtschaftsaktivitaten flir die massenhaften<br />

Wanderungsbewegungen (Sassen-Koob 1984a; Vuskovic 1980). Insbesondere die<br />

rapide zunehmenden US-Investitionen im Bereich der exportorientierten industriellen<br />

Produktion (export processing zones) scheinen mittlerweile die bisher von der auf<br />

Export ausgerichteten Landwirtschaft wahrgenommene Rolle der Zersetzung der traditionellen<br />

Arbeits- und Lebensstrukturen tibernommen zu haben. Dazu kommen die<br />

Dominanz der amerikanischen Handelsbeziehungen, die Abhangigkeit von Nahrungsmittelimporten,<br />

die Auswirkungen des Tourismus, die politisch-militiirischen<br />

Verflechtungen und nicht zuletzt der EinfluB amerikanischer >Kultur< in Form von<br />

Fernsehen, Radio und Konsumglitern, die die Distanz zu den USA objektiv und subjektiv<br />

verringert haben,17 Solange diese (tiber schnelle und relativ billige Verkehrsverbindungen<br />

zudem intensivierte)<br />

zwischen Zentrum und >Peripherie<<br />

die Teilnahme am »amerikanischen Traum« in den Bereich des Moglichen<br />

rticken werden potentielle jede Anstrengung unternehmen, urn<br />

ins »gelobte Land« zu kommen, selbst wenn dies Verzicht, Diskriminierung und sogar<br />

Ausweisungsgefahr bedeutet.<br />

Die bei der Verabschiedung des Hart-Cellar Act allenthalben gehegte Meinung, daB<br />

dieses kein revolutioniires Gesetz war zwar nicht falsch. Wahl aber wurde iibersehen,<br />

daB die Verhiiltnisse sich geiindert hatten. Die >Peripherie< des internationalen<br />

kapitalistischen Systems liiBt sich nicht passiv yom Zentrum durchdringen<br />

(und ausbeuten). Sie fordert ihren Preis auch dadurch, daB immer groBere Teile der<br />

>peripheren< Populationen ins Zentrum und diese fragen so wenig, ob sie<br />

willkommen wie einst Cortez oder Pizarro auch United<br />

Kellog oder Alcoa) gefragt haben, ob sie willkommen waren.


Dritte Welte-Migration in die USA<br />

67<br />

Die >Dritte Welt< kommt in die Gro8stadte:<br />

»Neueste« Immigranten in New York City<br />

1980 waren tiber 14 Millionen oder 6 % der gesamten Bevolkerung in den USA im<br />

Ausland geboren - 36,5 % von ihnen in Europa und der UdSSR, 18 % in Asien, 9 %<br />

in der Karibik und 22 % in Zentral- und Stidamerika, aber nur 1,4 % in Afrika. 18 In den<br />

GroBstadten war der Anteil der Auslander, insbesondere jener aus der > Dritten Welt


68 Remco van Capelleveen<br />

schwund waren die weiBen New Yorker<br />

Sie nahmen urn<br />

Millionen Personen oder mehr als 26 % ab, wahrend die afroamerikanische Be-<br />

\ I..-LJH"I..,HHvJJ11vH der afrokaribischen urn 168400 oder 11 die<br />

Latinos (einschlieBlich der<br />

urn 12<strong>74</strong>00 oder 10 % und die asiatische<br />

Bevolkerung urn 185000 oder 160 % anstieg. Zahlt man die 860000 Puertorikaner<br />

und die etwa 750000 in New York City lebenden »illegalen«<br />

dann hat<br />

der Anteil der Auslander an der New Yorker Gesamtbevolkerung % betragen<br />

\""'vU,vW'~VIJL 1986: 15). Wahrend die in Europa geborenen New Yorker in der Regel<br />

vor 1960 nach waren, kam die Mehrheit der<br />

aus der Lateinamerika und aus Asien nach 1965. Wie in den USA<br />

insgesamt hat sich auch in New York die der<br />

volkerung<br />

> Dritten Welt< verschoben. New York City ist zunehmend zu<br />

einer karibischen, lateinamerikanischen und asiatischen Stadt geworden.<br />

Innerhalb New York Citys haben sich die verschiedenen Migrantengruppen in besti:mnl1ten<br />

Stadtvierteln konzentriert. Die bekannteste Konzentration asiatischer New<br />

Yorker ist Manhattans Chinatown, das sich aufgrund des starken Zustroms neuer Migranten<br />

in den letzten zwei Jahrzehnten liber seine traditionellen Grenzen hinaus in<br />

das benachbarte Little Italy, die jiidische Lower East Side und die puertorikanische<br />

Loisada ausbreitete. Zugleich ist eine Reihe von neuen asiatischen neighborhoods in<br />

anderen Teilen der Stadt entstanden, z.B. Koreatown an den Randem des Textil-Zentrums<br />

in Midtown Manhatten mit ca. 350 koreanischen GroBhandels- und Importgeschaften,<br />

drei Zweigstellen slidkoreanischer Banken, zahlreichen Restaurants und<br />

aaderen Geschaften. Aber auch die andel'en Boroughs weisen groBere Konzentrationen<br />

von asiatischen Einwanderem auf, insbesondere Queens, wo 57 % der Inder,<br />

60 % del' Koreaner und 45 % der Filipinos wohnen. Abgesehen von Manhattans Chinatown<br />

sind die Asiaten in New York aber weniger konzentriert als z.E. die Migranten<br />

aus der Karibik und Lateinamerika. Darliber hinaus foigen die inter-asiatischen Verteilungen<br />

ehef den<br />

als ethnischen und nationalen<br />

(Waldinger 1987: 5 Von allen »neuesten« Einwanderem sind die afrokaribischen<br />

ULU,UU'HVU, die<br />

die Puel'torikaner<br />

in Spanish del' Lower East Side und ebenfalls in der Siidbronx.<br />

Die Zunahme del' >Dritte Welt


Dritte Welt Dritten Welt< in der<br />

deutlich und sinnlich wahmehmbar<br />

werden.<br />

besonders<br />

ul~!ti(men auf dem New Yorker Arbeitsmarkt<br />

Auf den ersten Blick sind die Be:scll1aftigungslTIoglichkeiten der >Dritte Welt


70 Remco van Capelleveen<br />

zwar, nahm aber 1977-1985 urn 32 % zu York State of Labor).<br />

Zu<br />

kam die Finanzkrise und der mit den pr,,{'hont_<br />

ten finanziellen Ressourcen einhergehende Verfall der Infrastruktur. Gleichwohl<br />

blieb New York City filr die Entwicklung des kapitalistischen Weltmarkts und die<br />

Reorganisation der Okonomie in def weiterhin bedeutsam - rus Reservoir<br />

von physischen und sozialen Infrastrukturen, vergleichbar mit der »industriellen<br />

Reservearmee« potentieller Arbeitskrafte 1981; RosslTrachte 1983).<br />

Wenn die Daten ftir den okonomischen Niedergang New York Citys genauer aufgeschltisselt<br />

sich, daB dieser spezifische Wachstumspotentiale<br />

umfaBte<br />

1983: 191 ff.). Erstens waren nicht aIle Teile der verarbeitenden<br />

Industrie von der in der Bekleidungsindustrie,<br />

der bedeutendsten aller verarbeitenden Industrien in New York City,<br />

waren es nur die groBeren Firmen mit standardisierten Produktionsmethoden, wiihrend<br />

die kleineren Betriebe sowie<br />

und Design-Agenturen in der Stadt<br />

blieben. Dartiber hinaus haben verschiedene Formen der rechtswidrigen Beschaftigung<br />

in sweatshops und in der industriellen Heimarbeit - deutlich zugenommen<br />

(Webb 1982, Mattera 1981). Zweitens gab es deutliche Wachstumsraten in den hochentwickelten<br />

Dienstleistungsindustrien fUr GroBunternehmen (»advanced producer<br />

service«) wie z.B. im Finanz- und Versicherungswesen, in der Wirtschafts-, Rechtsund<br />

Managementberatung, im Bau- und Immobiliengeschaft, im Computer Service<br />

etc. (Mollenkopf 1986). Und drittens haben auch die Dienstleistungen im Konsumbereich<br />

zugenommen yom Gesundheitswesen tiberfastfood-Etablissements bis zu<br />

personlichen (einschlieBlich informellen bzw. Untergrunds~) Dienstleistungen als<br />

StraBenhiindler, >Hausmiidchenunternehmungsperipheren< Populationen<br />

eine wichtige Rolle gespielt. Der anhaltende und wachsende Zustrom von Immigranten<br />

aus der >Dritten Welt< ist selbst eine Bedingung fUr die Expansion der


Dritte WeltKleinstuntemehmer< betatigen. Auch im offentlichen Sektor hat die drastische<br />

L~U.>~LH>5 staatlicher Dienstleistungen zusatzliche (informeHe bzw. verbo-<br />

Besehaftigungsformen wie die rapide Zunahme von »gypsy cabs«<br />

und Kleinbusuntemehmen vor aHem in den Outer als sozusagen<br />

private Subvention der offentliehen Verkehrsmittel, zeigen.<br />

Dartiber hinaus ist New York City trotz aIler Arbeitsplatzverluste immer noch eines<br />

der groBten Zentren der verarbeitenden Industrie geblieben - an dritter Stelle hinter<br />

Chicago und Los Angeles. Zu einem erheblichen Teil basiert diese Industrie auf der<br />

Besehaftigung von niedrig bezahlten Arbeitsmigranten aus Lateinamerika, der Karibik<br />

und Asien. Wahrend weiBe einheimische Arbeiter zunehmend die verarbeitende<br />

Industrie verlassen haben und groBe Teile der sehwarzen us-amerikianisehen BevOlkemng<br />

ganz aus dem ProduktionsprozeB gedrangt worden sind, haben die Immigranten<br />

ihre Uberreprasentanz in der verarbeitenden Industrie und in manuellen Tatigkeiten<br />

behauptet und verstarkt. 1980 waren 28,4 % aller weibliehen Lohnabhangigen und<br />

48,3 % der mannlichen Lohnabhiingigen in New York City in manuellen Tatigkeiten<br />

besehiiftigt. Bei den Migranten insgesamt betrug der Antei155,3 % flir Frauen und<br />

62,6 % fUr Manner, bei den Einwanderern aus Lateinamerika sogar 68 % bzw. 78 %.<br />

Legale und »illegale« Migranten zusammen machten mehr als 40 % aller manuellarbeitenden<br />

Lohnabhangigen in New York aus, wobei die Halfte davon aus<br />

Lateinamerika kam (Marshall 1983: 34).<br />

Dariiber hinaus waren 1980 ca. 35 % aller (legalen) Einwanderer und 48 % aller (legalen)<br />

lateinamerikanischen Immigranten in New York City in der verarbeitenden<br />

Industrie beschaftigt (im Unterschied zu nur 17 % der gesamten erwerbstatigen Bevolkerung);<br />

von den »illegalen« Migranten sogar 41 %,4/5 von Ihnen in der Leichtindustrie.<br />

Diese (Uber-)Konzentration in der verarbeitenden Industrie ist noeh ausgepragter<br />

flir weibliche Migranten, die groBtenteils in der Bekleidungsindustrie und<br />

versehiedenen anderen Verbrauchsgtiterindustrien arbeiten. 1980 waren z.B. 60,2 %<br />

der Frauen aus der Dominikanisehen Republik und 63,5 % der chinesichen Frauen als<br />

(ungelemte) Fabrikarbeiterinnen beschiiftigt. 1m Unterschied dazu hat knapp die<br />

Halfte der Frauen aus del' anglophonen Karibik im Dienstleistungsbereich (allein 32<br />

% als Krankenschwestem(hilfen) und mindestens 9 % als Haus- und Kindenmadehen


72 Remco van Capelleveen<br />

stungsbereich, insbesondere in def Gastronomie, beschiiftigt waren (Marshall 1983:<br />

34, Mollenhauer 1986: 21, New York Department of City Planning 1985: 6).<br />

Die<br />

in denen Migranten typischerweise beschiiftigt sind und die deshalb<br />

»Einwandererindustrien« worden sind (wie z.B. die Bekleidungs-, Textil-,<br />

Kunststoff- und verschiedene andere<br />

sind zum<br />

Teil nur deswegen konkurrenzfahig geblieben, weil sie ihre Produktivitat nicht durch<br />

"-V,'L~Ii-JlC;l1l'>C;) technologische sondem durch den Rekurs auf traditionelle<br />

Methoden der Arbeitsintensivierung (wie sie idealtypisch in sweatshops zu fin-<br />

Das<br />

daB diese Industrien ohne die Prasenz und<br />

L'V.''''''''''''HU1, zu extrem Lahnen<br />

lange Arbeitszeiten in Kauf zu nicht waren.<br />

Aber nicht aIle >Dritte WeltDritten Welt< sich je nach Herkunft,<br />

mitgebrachten Qualifikationen und Arbeitsmarktpositionen unterscheiden, sind sie<br />

insgesamt ein bedeutender Faktor in der jiingsten Restrukturierung der Wirtschaft<br />

New York gewesen. Dartiber hinaus haben sie sehr wesentlich zum Erhalt und<br />

zur Wiederherstellung sozialer Infrastrukturen und zur Senkung der Reproduktionskasten<br />

ihrer Arbeitskraft beigetragen. Zum einen haben die Einwanderercommunities<br />

durch den Einsatz von Arbeitskraft und geringerem MaBe) finanziellen Ressourcen<br />

zur Erhaltung von ganzen Stadtvierteln beigetragen, die ohne den Zustrom<br />

und die Selbsthilfe def »neuesten« Einwanderer verfallen waren. Zum zweiten haben<br />

die >Investitionen< der Migranten Beschaftigungsmaglichkeiten (in Form diverser<br />

wie<br />

Service, etc.)<br />

geschaffen, die oftmals in den Bereich der »Schattenwirtschaft« fallen. Zum dritten<br />

haben die von den Einwanderern<br />

Giiter lind Dienstleistungen entscheidend<br />

zur Senkung der Lebenshaltungskosten beigetragen und es damit groBen<br />

Teilen der >peripheren< Populationen allererst ermoglicht, trotz niedrigster Lahne in


Dritte WeltPeriphere< Kultur in der Metropole: Westinder in New York City<br />

Die"massenhafte Prasenzvon >Dritte Weltperipheren< Population in New York City, der afrokaribischen<br />

oder westindischen community aufzeigen. 20 Uber 70 % aller westindischen Einwanderer<br />

in den USAhaben sich in New York City niedergelassen, mehr als 4/5 von ihnen<br />

wahrend der letzten zwanzig Jahre (New York City Department of City Planning 0.1.,<br />

CAMS 1986). Gegenwartig hat New York City mindestens eine Million afrokaribischer<br />

Einwohner. Damit ist New York City die Stadt mit den meisten karibischen<br />

Einwohnem auf der ganzen Welt, sozusagen metropolitane AuBenstelle des karibischen<br />

Archipels.<br />

Wahrend historisch Where westindische Einwanderer in New York sich vorwiegend<br />

in den afroamerikanischen communities in Harlem und Bedford Stuyvesant niederlieBen<br />

(und in gewisser Weise auch integrierten), sind die neuen westindischen Einwanderer<br />

vorwiegend nach Zentral-Brooklyn, aber auch, in geringerem MaBe, nach<br />

Siidost-Queens und in die nordliche Bronx gezogen und demonstrieren offen ihre<br />

westindische Herkunft. Interessanterweise haben sie sich nicht voneinander, gemliB<br />

ihrer nationalen Herkunft, separiert, wohl aber von den Latinos und schwarzen US­<br />

Amerikanern (von den weiBen New Yorkern auch, aber das ist nicht subjektiven Praferenzen,<br />

sondern dem immer noch weit verbreiteten Rassismus geschuldet).<br />

Die massenhafte Prasenz der neuen afrokaribischen Einwanderer hat zu einer spezifischen<br />

»Westindianisierung« New York Citys gefiihrt, die sich in der Infusion karibischer<br />

Lebensformen und -stile in das Sozialgefiige der Stadt zeigt. Die karibischen<br />

neighborhoods bieten den Neuankommlingen nicht nur Schutz und Unterstiitzung<br />

und ein StUck Heimat »fern der Heimat«. Sie haben sich zunehmend zum Zentrum<br />

einer internationalen afrokaribischen Kultur entwickelt. N achbarschaftsinstitutionen<br />

wie Kirchen, Schulen und Kindergarten, aber auch street corners als informelle Orte


<strong>74</strong> Remco van Capelleveen<br />

der Zusammenkunft haben in wachsendem MaBe afrokaribische Ztige angenommen.<br />

Westindische und haitianische Lebensmittelgeschafte, Backereien und Restaurants,<br />

Reisebiiros, barber shops und beauty salons als soziale Treffpunkte, Nachtc1ubs und<br />

Schallplattenladen samt dazugeh6render Calypso-, Soca- und Reggaeklange und vor<br />

allem die Prasenz afrokaribischer Menschen auf den StraBen, inklusive der obligatorischen<br />

Rastas und Dominospieler, haben eine Atmosphlire erzeugt, die weite Teile<br />

Brooklyns auch sinnlich wahrnehmbar zur >Peripherie< in der Metropole werden laBt<br />

(Kasinitz 1987, Marshall 1985).<br />

Die»Westindianisierung« New YorkCitys zeigt sich aber nicht nur in derkommunalen<br />

Alltagskultur. Auch im Bereich der Kunst, des Theaters und des intellektuellen<br />

Lebens hat sich die karibische Prasens bemerkbar gemacht. Institutionen wie das Caribbean<br />

Cultural Center, das Caribbean Research Center am Medgar Evers College<br />

oder die C.U.N.Y. Association of Caribbean Studies und ihre (1985 gegrtindete)<br />

Zeitschrift Cimarron zeugen von der enormen Expansion des ktinstlerischen und wissenschaftlichen<br />

Interesses an der Karibik.<br />

Ein weiterer Indikator fiir die» Westindianisierung« New York Citys ist die Entwicklung<br />

einer westindischen Presse. Die Wochenzeitung New York Carib News und das<br />

Monatsmagazins Everybody's zum Beispiel, die sich explizit als »voice of the Caribbean-American<br />

community« verstehen und sowohl ausfiihrlich tiber Vorgange in der<br />

Karibik als auch tiber Ereignisse und Probleme in New York City berichten, erscheinen<br />

in einer relativ groBen Auflage und werden von vielen Einwanderem gelesen.<br />

Und selbst Zeitungen, die auf die afroamerikanische Bevolkerung insgesamt abzielen,<br />

wie z.B. der Daily Challenge, berichten ebenfaHs an prominenter Stelle tiber die<br />

Karibik und machen kein Geheimnis aus der westindischen Herkunft der Herausgeber.<br />

Dariiber hinaus gibt es mindestens drei Radiostationen, die vor aHem am Wochenende<br />

ausschlieBlich karibische Musik und Informationen senden.<br />

In dem MaBe, wie Einwanderer aus der gesamten englischsprachigen Karibik, aber<br />

auch aus Haiti in denselben neighborhoods leben und taglich Umgang rniteinander<br />

pflegen, verstlirkt die Migrationserfahrung eine kollektive westindische bzw. afrokaribische<br />

Ethnizitat und Kultur, nicht aber den Rekurs auf die jeweilige nationale<br />

. Herkunft. Bevolkerungsgruppen, die vor ihrer Einwanderung nach New York oft<br />

sehr wenig Kontakt untereinander hatten, wurden (und werden) in New York City<br />

raumlich und sozial zusammengebracht und generieren in der Folge eine~spezifisch<br />

afrokaribische Kultur und Identitat. In bestimmter Weise haben erst der WanderungsprozeB<br />

und das konzentrierte Zusarnmenleben in New York City eine umfassende<br />

westindische bzw. afrokaribische Ethnizitatund Kultur erzeugt, ein umfassendes<br />

afrokaribisches BewuBtsein unter den Einwanderem, das die traditioneHen insularen<br />

Begrenzungen tiberwunden hat. Die westindische Forderation mag in der Karibik<br />

gescheitert seil1, in Brooklyn ist sie zunehmend erfolgreich (Lewis 1982).<br />

Die Existenz und Bedeutung einer so1chen intemationalen afrokaribischen Ethnizitat<br />

und Kultur zeigt sich auch und besonders in dem afrokaribischen Ereignis in der<br />

Metropole, dem westindischen Karneval, der jedes Jahr in Brooklyn stattfindet. Der<br />

West Indian American Day Carnival (wie dieser Karneval offiziell heiBt) bringt jedes


Dritte WeltKrawallen< verboten wurde. Weil das Gros der westindischen Einwanderer<br />

seit Mitte der'60er Jahre sich in Brooklyn niedergelassen hatte, verlagerte sich<br />

der westindische Kameval dorthin. Wegen der schlechten Reputation und staatlicher<br />

Repressalien wurde er zuniichst nur inoffiziell in kleinen SeitenstraBen in Form von<br />

Blockparties gefeiert, seit 1969 jedoch mit amtlicher Genehmigung auf dem Eastern<br />

Parkway, wo er trotz zeitweiliger >Krawalle< und Gewaltausbruche sowie verschiedener,<br />

allerdings fehlgeschlagener Versuche, dem Kameval eine groBere »Respektabilitiit«<br />

und »Professionalitiit« durch die Verlegung nach Manhatten zu verleihen,<br />

seitdem verblieben ist und sich zum groBten ethnisch-kulturellen Spektakel Nordamerikas<br />

entwickelt hat.<br />

Obwohl der Brooklyn-Kameval der Form nach immer noch trinidadisch gepriigt ist,<br />

haben die nicht"trinidadischen Elemente im Laufe der Zeit zugenommen; so hort man<br />

neben Calypso und Soca immer hiiufiger Ska und Reggae aus Jamaika, Merengue aus<br />

Haiti oder Spouge aus Barbados. Insgesamt hat der Brooklyn-Kameval sich immer<br />

mehr zu einem pan-westindischen bzw. afrokaribischen Ereignis entwickelt und die<br />

Loyalitiiten zu den jeweiligen Inseln unter der Hand in ein neues Gefiihl westindischer<br />

Solidaritiit transformiert (Hill/Abramson 1979: 83). Damit hat das traditionelle Karnevals-Motto<br />

»All of we is one« tiber die symbolische Verkehrung und Einebnung<br />

sozialer Hie'rarchien und Unterschiede hinaus die Bedeutung der Egalisierung der<br />

nationalen und insularen Herkunft angenommen. Statt Flaggen und Symbole nationaler<br />

Identitiit dominieren Masken und Kostiime, deren egalisierende Formen und Inhalte<br />

sozusagen zum Symbol westindischer Einheit geworden sind (Kasinitz/Freidenberg-Herbstein<br />

1987: 343).<br />

Symbolisiert der Brooklyn-Kameval einerseits in besonderer Weise, die sich zunehmend<br />

herausbildende ethnisch-kollektive Identitiit der afrokaribischen Einwanderercommunity<br />

in New York City, so hat er auch das ambivalente Verhiiltnis der Westinder


76 Remco van Capelleveen<br />

Trotz der vielfachen Beto­<br />

der Sklaverei<br />

zur schwarzen us-amerikanischen<br />

nung schwarzer Einheit und der 1S"OJLH"lH,.a"'''H<br />

der Karneval eine Form der kollektiven LU"W.uU,L,<br />

stimmten Tradition New York<br />

ethms:che, eben als westindische definiert<br />

und karibische und nordamerikanische Afroamerikaner auseinanderdividiert. Eine<br />

soIche ist jedoch angesichts der Subsumtion der Westinder unter das rassische<br />

Etikett »schwarz« durch das mainstream<br />

die damit einm:O"),;""'C;HU'C;,<br />

allen Afroamerikanern hvJlHI,.,HW<br />

VL"'vUUWl0'-",b Es ist daher nicht £,U,,minderwertigen<<br />

Status der us-amerikanischen Schwarzen zu vermeiden, indem sie ihre<br />

Unterschiedlichkeit und westindische Herkunft betont haben. Andererseits haben die


Dritte WeltDritten<br />

Welt< in den letzten 20 Jahren wurde - wie schon so oft vorher die Frage nach der<br />

»amerikanischen Identitat« aufgcworfcn, d.h. ob die neuesten Migrationsbewegungcn<br />

die Identitat der amerikanischen Gesellschaft verandem oder gar gefahrden wiirden.<br />

Damit stellt sich aber zunachst die Frage, was denn untcr »amcrikanischer Identitat«<br />

zu verstehcn ist (Gleason 1980).<br />

In der neueren (d.i. N achkriegs-)Literatur zu dieser Frage tauchen zwei Themen immer<br />

wieder auf: Zum einen der wesentlich ideologische Charakter der »amerikanischen<br />

Identitat« - das was die »amerikanische Idee« (Kallen 1956), die »civil religion«<br />

das American of Life (Herb stein 1955) oder das »amerikanische Credo von<br />

Freiheit,<br />

Gerechtigkeit und gleichen Chancen fUr jedermann« (Myrdal<br />

1944) genannt worden ist. Zum anderen die herausragende Bedeutung der Immigradie<br />

These, daB der der Prototyp des Amerikaners deshalb sei, weil er<br />

- wie aIle Amerikaner- sich von der »alten« Gesellschaft losgerissen habe und durch<br />

seine in die »neue« Gesellschaft die »amerikanische Erfah-<br />

.£.Jell,,,'''H •• '' stehen diese beiden Themen - die »Idee Amerika« als ein<br />

5V"'Lvii~'-'H Werten und Wahrheiten und die Realitat<br />

~U'OU,HH,"v,aw~"i'i. Gerade weil die USA eine »nation<br />

ein Land von<br />

Menschen unterschiedlichster und nationaler Herkunft des sen<br />

Grenzen zudem lange Zeit im FluB waren, ist »Amerika« ein vor aHem moralisches<br />

das bestimmte an die seine<br />

sein woHten. »Ein Amerikaner zu sein« bemerkte schon der deutsch-amerikanische<br />

Politikwissenschaftler Carl<br />

ein Franzose zu sein uuiS"i", .... u<br />

aber eben ein das powahrend<br />

ein Auslander niemals ein<br />

>richtiger<<br />

Mischung von universell-moralischer und zu etwas Neuem gei>cnim()lZem~r<br />

schon in Michel-Guillaume Jean de Cn§vecoeurs beriihmten


78 Remco van Capelleveen<br />

"L"'VULV!.lV""H) Letters From an American Farmer an. »Was ist<br />

nun<br />

dieser neue Mann?« fragte Crevecoeur und fuhr fort: »Er ist ein<br />

Amerikaner, der aIle alten Vorurteile und Verhaltensweisen hinter sich laBt und neue<br />

errlpr.anls{ durch die neue<br />

die er angenammen hat ... Er wird ein Ameindem<br />

er in den breiten SchaB unserer graBen Alma Mater uU.L5'dL,""'!JlHI..,H<br />

wird. Hier werden Individuen zu einer neuen Menschenrasse zu:sarnnlerlge:sc.hrrlolzen<br />

...« in Gleason 1980: waren Indianer und Afraamerikaner<br />

nicht Teil dieser »neuen<br />

auBerhalb der »amerikanischen<br />

Identitat«.<br />

Mit der Zunahme der<br />

zur »amerikanischen Identitat« auch flir bestimmte<br />

scher Einwanderer verscharft. Der sich neu fonnierende Nativismus richtete sich vor<br />

aHem gegen katholischen insbesondere die und erreichte seinen<br />

den 50er J ahren des 19. J ahrhunderts jm sogenannten »Know-Nothingism«.<br />

Urn die Jahrhunderwende kam eS zu einem neuen<br />

von Nativismus und<br />

Fremdenfeindlichkeit, diesmal vor aHem gegen die Einwanderer aus Ost- und Stideuropa<br />

Er erreichte seinen in dem Red Scare naeh dem ersten<br />

Weltkrieg und in der restriktiven Einwanderungspolitik der 20er Jahre dieses Jahrhunderts<br />

(Higham 1955). Zugleich war dies die Hochzeit des auf Herbert Spencers<br />

Konzepte der »natlirliehen Auslese« und des »survival of the fittest« und die Mendelsche<br />

Genetik zurtickgehenden >wissensehaftlichen< Rassismus, demzufolge die<br />

Uberlegenheit der »angelsachsischen Rasse« biologisch und physisch-anthropologisch<br />

begrtindet sei.<br />

Andererseits flihrten die massiven Einwanderungsbewegungen zu einer neuen Di8-<br />

kussion urn das Verhaltnis von »Ethnizitat« und »amerikaniseher Identitat«, die zwei<br />

bis heute einfluBreiche Konzepte hervorgebracht hat: Zum einen die schon bei Crevecoeur<br />

angedeutete, aber erst durch Israel Theatersttick The Melting Pot<br />

(1909) benannte und Idee der Fusionierung der verschiedenen Immigrantengruppen<br />

zu einer neuen amerikanischen spezies. Allerdings forderte der melting<br />

pot von den Einwanderern, sich zu verandern, zu »neuen Menschen« zu werden,<br />

kurz: sich zu assimilieren. Und es gab immer noeh jene Kategorie von »Personen«,<br />

die von vornherein als nicht assimilierungsfahig angesehen wurden, neben den Indianern<br />

und Afroamerikanern mittlerweile auch die >farbigen< Einwanderer aus Asien,<br />

der Karibik und Lateinamerika. Zum anderen wurde - gegen die melting pot-These<br />

- eine Interpretation von Ethnizitat und amerikanischer Identitat entwickelt, die unter<br />

der Bezeichnung »kultureller Pluralismus« bekannt wurde (Kallen 1924), allerdings<br />

in ihrer ursprtinglichen Fonn weder die people of color miteinschloB noch als eurozentrische<br />

Idee massenwirksam wurde.<br />

Der zweite Weltkrieg brachte zwei wichtige Veranderungen im Hinblick auf die Diskussion<br />

urn die Frage der »amerikanischen Identitat« hervor.Erstens generierte »das<br />

groBe gemeinsame Erlebnis« des Krieges eine neue Variante des amerikanischen Nationalismus,<br />

der (zum ersten Mal in der Geschichte der USA) alle Amerikaner eura-


Dritte Welt


80 Remco van Capelleveen<br />

Zu den folgenden statistischen Zahlen siehe U.S. Bureau of the Census 1975; Taeuberrraeuber 1958;<br />

Easterlin 1980; B urehe!! 1977.<br />

2 1927 wurde das Gesetz noch einmal revidiert. Die Gesamtzahl def Einwanderer wurde auf 150000<br />

pro Jahr herabgesetzt; und def Umfang jeder Nationalitatengruppe richtete sieh nach dem prozentualen<br />

Anteil der bei der Volkszahlung von 1920 bereits in den USA ansassigen Einwanderem ans dem<br />

jeweiligen Land.<br />

3 Nach 1927 pendelte sie sich beijahrlich 23200 ein, im Vergleich zu 127300 aus Nord- und Wes!­<br />

europa.<br />

4 Zuden folgenden statistischen Zahlen siehe auch U.S. Bureau of the Census 1975, Bogue 1985,<br />

Reimers 1985.<br />

5 Die Gebiete der heutigen Bundesstaaten Kalifomien, Nevada, Arizona, Neu Mexico, Texas, die Halfte<br />

ColOl'ados und kleinere Teile von Utah und Oklahoma gehiiIten alle zu Mexiko.<br />

6 Diese Zahlen sind jedoch sehr unzuverlassig, weil bis 1908 die siidliche Grenze der USA kaum kontrolliert<br />

wurde und auch spater viele Migranten zwischen Mexiko und den USA hin undher pendelten.<br />

Dariiber hinaus kamen zahlreiche Mexikaner ohne Einreisepapiere in die USA. Manche Experten<br />

gehen davon aus, daB allein in den 20er Jahren eineinhalb Millionen Mexikaner »illegal« tiber die<br />

Grenze kamen (Cardoso 1980: Kap. 5).<br />

7 Diese Zone umfaBte Indien, Indochina, Afghanistan, Arabien und andere kleinere asiatische Lander,<br />

nieht jedoch China und Japan, deren Migranten durch andere Gesetze restringiert wurden.<br />

8 Als Jamaica und Trinidadrrobago 1962 die politisehe Unabhangigkeit erhielten, blieben die Quoten<br />

von 100 bestehen.<br />

9 Senator McCarran befiirchtete, daB ohne eine solehe Anrechnung ca. 2 Millionen Asiaten zur Einwanderung<br />

in die USA berechtigt sein wiirden.<br />

10 1m Unterschied zum 1965 verabschiedeten Gesetz lehnte die Kennedy-Johnson-Regierung Einwanderungsquoten<br />

in der westlichen Hemisphare abo 1m Hinblick auf Praferenzen in der iistlichen Hemisphare<br />

favorisierte sie berufliche Qualifikationen gegentiber Familienbeziehungen.<br />

11 1976 wurde das Mindestalter der betreffenden US-Staatsbiirger vom KongreB auf 21 Jahre festgesetzt.<br />

12 Fliichtlinge wurden als »conditional entrants« aufgenommen und konnten nach zwei Jahren Einwandererstatus<br />

(permanent residency) beantragen. Als F1iiehtling wurde anerkannt, wer der Verfolgung<br />

in kommunistischen oder Landem des mittleren Ostens zu entgehen suchte.<br />

13 Zu den folgenden statistischen Zahlen siehe U.S.Bureau of the Census 1988, 1982; Bogue 1985.<br />

14 Seriiise Schiitzungen veranschlagen die Zahl »illegaler« Migranten in den USA zwischen 3 und 6<br />

Millionen; die iiberwiegende Mehrheit stammt aus Mexiko, aber auch eine zunehmende Zahl aus der<br />

Karibik und Asien.<br />

15 Als Foige einer gerichtlichen Klage verschiedener humanitarer Organisationen muBte Prasident<br />

Carter schlieBlich doch zahlreichen F1iichtlingen aus Haiti Asyl gewahren. Allerdings hat dies an der<br />

prinzipiellen Einschatzung der Haitianer als »Wirtschaftsfliichtlinge« nichts geandert.<br />

16 Asyl unterscheidet sich rechtlich vom Fliichtlingsstatns und ist sehr viel schwieriger zu erhalten.<br />

17 DaB die Einwanderung aus Afrika relativ gering geblieben ist, hangt damit zusammen, daB die Verflechtungen<br />

zwischen den USA und Afrika bisher noch nieht so eng sind wie die mit Lateinamerika,<br />

der Karibik und Asien.<br />

18 Zu den folgenden statistischen Daten siehe U.S. Bureau of the Census 1986, Bogue 1985, Kraly 1987.<br />

19 Zum folgenden siehe auch van Capelleveen 1985.<br />

20 Die tiberwiegende Mehrheit def karibischen Migranten in New York City kommt aus der englischsprachigen<br />

Karibik, deren Beviilkerung mehrheitlich Nachfahren afrikaniseher Sklaven sind (Ausnahme:<br />

Trinidad und Guyana). Die einzige zahlenmaBig relevante afrokaribisehe Population, die<br />

nicht aus dem anglophonen Teil def Karibik stamm!, sind die Migranten aus Haiti. Insofem benutze<br />

ieh die Begriffe »afrokaribisch« und »westindisch« synonym, Zum folgenden siehe auch van Capelleveen<br />

1989.


Dritte Welt


82<br />

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16. Febr. 1982


83<br />

die Stationen der<br />

del'<br />

Reagan-Administration seit der 80er Jahre. Dabei werden nicht nul' die<br />

dieser Palilik sondern auch ihre lYIywnf}!Julf<br />

Vor knapp 15 Jahren der flir Lateinamerika zustandige Staatssekretar William<br />

D. Rogers seinem Chef im US State Departement, Henry Kissinger, die bilaterale<br />

Finanzhilfe flir die Lander Mittelamerikas ganz einfach liber Nacht zu streichen. An<br />

diesen erinnerte sich der ehemalige Staatssekretar wahrend eines Symposiums<br />

zum aufschluBreichen Thema »Die mittelamerikanische Krise und die westlicheAllianz«.<br />

Rogers gab zu daB er im State Departement sicherlich<br />

weniger als·drei Prozent seiner Arbeitszeit damit zugebracht habe, »liber Zentralamerika<br />

nachzudenken«. Allerdings erwahnte der frtihere Mitarbeiter Kissingers mit<br />

keiner Silbe, wer Anfang der 70er Jahre daflir sargte, daB »unsere Interessen so gut<br />

beschiitzt waren«, urn die 50 Mio. Dollar anjahrlicher Finanzhilfe problemlos streichen<br />

zu konnen (vgl. Ciricione 1985, S. 11). Aber wie sich die Zeiten doch andem:<br />

1m Jahre 1983 saB Rogers zusammen mit seinem friiheren Chef aus dem US-AuBenministerium<br />

in einer von Reagan gebildeten Beratergruppe mit dem offiziellen Titel<br />

»N ational Bipartisan Commission on CentralAmerica«, kurz Kissinger-Kommission<br />

genannt. Diese »tiberparteiliche« Kommission, die im J anuar 1984 ihren Bericht vorlegte,<br />

hatte vor aHem symbolische Bedeutung flir die geographischeAdjustierung gen<br />

Sliden in der amerikanischen AuBenpolitikdebatte. Kissinger hatte sich nie flir die<br />

Nord-Slid Debatte oder die Problematik Lateinamerikas interessiert (von den flinf<br />

kleinen mittelamerikanischen Uindem ganz zu schweigen). Den AuBenminister der<br />

chilenischen Frei-Regierung, Gabriel Valdez, beispielsweise belehrte Kissinger im<br />

Juni 1969 in bekannt arroganter Manier: »Herr Minister, Sie hielten eine merkwlirdige<br />

Rede. Sie kamen hierher, urn tiber Lateinamerika zu sprechen, aber das ist nicht<br />

wichtig. Nichts Wichtiges kommt aus dem Sliden. 1m Sliden ist niemals Geschichte<br />

gemacht worden. Die Achse der Geschichte beginnt in Moskau, geht nach Bonn,<br />

kommt hertiber nach Washington und geht dann nach Tokyo.« (Hersh 1983, S. 263).<br />

Scheinbar wurde im Sliden plOtzlich doch Geschichte gemacht...<br />

Innerhalb weniger Jahre nach der nicht durchgeflihrten Rogers-Empfehlung wurde<br />

die mittelamerikanische Region zum Thema Nummer Eins in Washington. Einige der<br />

»Beschlitzer« amerikanischer Interessen waren offenkundig in eine Sackgasse geraten.<br />

Das galt insbesondere flir die Somoza-Diktatur in Nicaragua, die im Juli 1979 von<br />

der sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) gesttirzt wurde. In El Salvador muBte<br />

von US-amerikanischer Seite ahnliches befiirchtet werden. 50 Jahre lang hatten


84 Horst Heitmann<br />

diverse Militiirregimes dort flir >Ruhe und Ordnung< gesorgt. Anfang der 80er Jahre<br />

war die Oligarchie El Salvadors ernsthaft von einer sozialen Revolution bedroht. Die<br />

_ Kissinger-Kommission gab der Reagan-Administration in ihrem 1 32seitigen Bericht<br />

einen Blankoscheck fiir die Politik gegenuber El Salvador!. Zwar konnte sich die<br />

Kommission nicht auf einen geschlossenen, aber dennoch auf einen gemeinsamen<br />

Standpunkt zu Reagans Contra-Politik verstandigen, aber dennoch war man sich in<br />

der Bewertung des sandinistischen Nicaraguas durchaus einig: Das Land wurde als<br />

Bedrohung fiir die Lander in der Region und somit flir die legitimen Sicherheitsinteressen<br />

der USAdargestellt. Die Mitgliederder Kissinger-Kommissionhatten tlbrigens<br />

nur wenige Stunden in Nicaragua zugebracht, jedoch stimmten sie schnell darin<br />

uberein, daB die Bevolkerung Nicaraguas einer totalitaren Repression ausgesetzt sei<br />

(vgl. The Nation, 28.1.1984). Kurzum; der Begriffvon einem »zweiten Kuba« hatte<br />

in Washington spatestens seit demAmtsantritt der Reagan-Administration die Runde<br />

gemacht.<br />

Die Reagan-Doktrin<br />

Die Sandinistas waren gerade ein knappes Jahr an der Macht, als im Juli 1980 in<br />

Detroit der Wahiparteitag der Republikaner stattfand. Bekanntlich wurde Ronald<br />

Reagan zum Kandidaten flir das Prasidentschaftsamt nominiert und er gewann die<br />

Wahl beinahe erdrutschartig gegen den amtierenden Prasidenten Carter. Ein Mitarbeiter<br />

des erzkonservativen Senators Jesse Helms aus North Carolina sorgte daflir,<br />

daB das offizielle Programm der Republikaner einen Passus zu Nicaragua aufnahm.<br />

Die republikanische Partei gelobte darin ihre Untersrutzung flir die» Bemuhungen des<br />

nicaraguanischen Volkes, eine freie und unabhangige Regierung zu etablieren« (vgl.<br />

Gutman 1988, S. 20). Das GelObnis der Republikaner, die Sandinisten zu stiirzen, war<br />

durchaus ernst zu nehmen. Schon wlihrend der Vorwahlkampagne hatte der Kandidat<br />

Reagan die Carter-Administration wiederholt flir den »Verlust« Nicaraguas verantwortlich<br />

gemacht. Nachdem Reagan im Januar 1981 ins WeiBe Haus eingezogen war,<br />

entpuppte sich Nicaragua sehr schnell als ein Testfall flir die agressive AuBenpolitik<br />

der neuen republikanischen Regierung.<br />

Uber die USA schwappte 1979/80 eine neo-nationalistische Welle, auf der Reagan<br />

erfolgreich ins WeiBe Haus getragen wurde. Die sowjetische Invasion Afghanistans<br />

und das Geiseldrama in der US-Botschaft im Iran hatten eine neue Periode des Kalten<br />

Krieges eingelautet. Reagan war immer ein scharfer Widersacher der amerikanischen<br />

Entspannungspolitik gewesen. Er reprasentierte wie kein anderer Politiker den<br />

rechten hard-liner Flugel innerhalb der republikanischen Partei. U nzlihlige Male hatte<br />

Reagan dem Wahlvolk verkundet, daB seine Administration weltweit eine Politik der<br />

Starke betreiben wiirde. Ein schwaches Amerika und das sogenannte »Vietnam­<br />

Syndrom« sollten endlich der Vergangenheit angehoren. Reagans auBenpolitische<br />

»Philosophie« konnte kurz und bundig in zwei Worte zusammengefaBt werden:<br />

Globaler Antikommunismus. Die Strategie der Reagan-Administration umfaBte fol-


Reagans PaUtik gegenuber Nicaragl_w ___________________ B_5<br />

drei wesentliche Elemente: durch ein intensiviertes<br />

programm sollte die absolute militarische Vorherrschaft der USA<br />

werden. Zweitens sollten<br />

Gewinne« der Sowjetunion in der Dritten<br />

Welt<br />

und drittens weitere »VorstOBe« des kommunisti-<br />

LU'-'V"Ji'i','''-'''''AL Besessenheit keinen Unbe'Ne:gurlge:n<br />

in der Dritten Welt<br />

und seine Ideologen gab es keinen<br />

Wandel nicht in den ausgesondern<br />

direkt von Moskau und Havanna<br />

wird. Das Ost -West Feindbild stimmte wieder. Die Crutersche Menschenrechtspolitik<br />

war ohnehin schon geraume Zeit vor Reagans Amtsiibernahme<br />

gerauschlos begraben worden. Reagans erster<br />

der friihere NATO-<br />

Oberbefehlshaber General Haig, kiindigte sofort eine<br />

Prioritatsverlagerung<br />

in Richtung internationaler Terrorismusbekampfung an. Der selbsternannte<br />

»Vikar« Reaganscher AuBenpolitik argumentierte namlich, daB nicht Regierungen,<br />

sondern »Terroristen« die groBten Menschenrechtsverletzer seien (vgl. NACLA<br />

1981, S. 26). Folgt man dieser Logik, dann kann die Unterstiitzung »autoritarer Regime«<br />

(Kirkpatrick 1979) als wichtiger Beitrag im Kampf flir die Verteidigung der<br />

Menschenrechte angesehen werden. Die angeblich von Moskau gelenkten Befreiungsbewegungen,<br />

wie z.B. die Frente Sandinista oder die FMLN in El Salvador, wurden<br />

von der Reagan-Administration selbstverstlindlich mit dem Etikett des Terrorismus<br />

versehen. Die andere Seite der Medaille von Reagans AuBenpolitik gegeniiber<br />

der Dritten Welt bestand in der »rollback« Rhetorik, die man aus der Mottenkiste des<br />

Kalten Krieges hervorgekramt hatte. Das militarische Gerede vom Zuriickdrangen<br />

des sowjetischen EinfluBgebiets wurde jedoch sehr schnell als praktische Politik implementiert.<br />

Die »roll-back« Rhetorik legte den Grundstein flir eineAuBenpolitik, die<br />

inzwischen als Reagan-Doktrin bekannt ist.<br />

Die Reagan-Doktrin hatte eine klare Gestalt angenommen, als die<br />

Publizistik in den USA dies en<br />

setzte. Der Journalist Charles Krauthammer<br />

hat 1985 zum erstenmal in einem Essay in dem N achrichtenmagazin TIME<br />

von einer<br />

gesprochen. Es geht dabei ganz einfach urn die Unterstiitzung<br />

der anlerikanischen Regierung flir antikommunistische GueriHakampfer.<br />

Reagans ehemaliger<br />

William Casey, hat die Doktrin wie folgt<br />

auf den Begriff gebracht: »roll-back by proxy«. Casey wuBte wovon er sprach. Bis zu<br />

seinem Tode im Jahre 1987 war er Direktor der CIA. Der Geheimdienst spielte eine<br />

zentrale Rolle bei der amerikanischen Hilfe flir die von Reagan haufig als »Freiheitskampfer«<br />

bezeichneten die den Umsturz sozialrevolutionarer Regierungen<br />

betrieben. Die<br />

warf in diesem Zusammenhang immer fiinf<br />

Lander del' Dritten Welt in einen Afghanistan, Angola, Athiopien, Kanlpuchea<br />

und natiirlich Nicaragua. Foigte man Casey, so handelte es sich bei dieser Gruppe urn<br />

»besetzte« Lander, die mit Hilfe der USA befl'eit werden mliBten (vgl. Gutmann 1988,<br />

S. 271-273). Der Washington Postlournalist Bob Woodward schrieb in seinem Buch


86 Horst Heitmann<br />

iiber die geheimen<br />

der CIA zur Zeit der L,""a5UH"·"".H"HU~U''''WJH,<br />

Casey aIle antikommunistischen<br />

(Woodward 1987, S. 426). In der amerikanischen<br />

einheitlichen Widerstandes sollte wohl das auBenpolitische Vermachtnis<br />

Administration liegen 2 •<br />

dieses UH!';vV"vH<br />

Die<br />

Fur die der ein<br />

symbolisches Zeichen fiir den der lag dieses<br />

Land doch im »weichen Unterleib Amerikas« (so der Abgeordnete Jack Kemp auf<br />

dem Parteitag der Republikaner 1980 in Detroit). In einem zu Beginn der Reagan<br />

verOffentlichten Artikel stellte die fruhere UNO-Botschafterin J. Kirkpatrick die<br />

rhetorische Frage, was denn die Carter-Regierung in Nicaragua eigentlich gemacht<br />

habe. Ihre Antwort lautete lapidar, »sie sttirzte das Somoza-Regime« (Commentary,<br />

Januar 1981). Unerwahnt blieb in den republikanischen Attacken gegen Carters<br />

»Verlust« von Nicaragua, daB die USA 1979 bis zuletzt versucht hatten, die Machtiiberuahme<br />

der Sandinistas zu verhindern. An erster Stelle stand dabei das vergebliche<br />

Unternehmen, die somozistische Nationalgarde quasi in letzter Minute als Institution<br />

zu retten. N ach der Revolution in Nicaragua war es in derTat der demokratische Prasident<br />

Jimmy Carter, der ihre Destabilisierung in Angriff nahm. 1m Grunde genommen<br />

begann die von den USA organisierte Konterrevolution am 19. Juli 1979, dem Tag des<br />

sandinistischen Triumpfes in Managua. An diesem Tag landete eine amerikanische<br />

DC-8 in der Hauptstadt Nicaraguas, urn Kommandeure der Nationalgarde Somozas<br />

nach Miami auszufliegen. In den darauffolgenden Tagen kamen noch weitere US­<br />

Militarmaschinen nach Managua. Die Flugzeuge waren iibrigens als Transporte des<br />

Roten Kreuzes getarnt (vgl. Kornbluh 1987, S. 21). Die USAkiimmerten sich urn die<br />

Restbestande einer Militiirtruppe, die sie fiinfzig Jahre zuvor selbst aufgebaut hatten,<br />

urn die eigenen Marines endlich aus Nicaragua abziehen zu konnen. Die Ex-Nationalgardisten<br />

begannen alsbald damit, Riickkehrpl1ine zu schmieden. Als Reagan im<br />

J anuar 1981 die Amtsgeschafte im WeiBen Haus tibernahm, hatte Carters Regierung<br />

schon 1 Mio. Dollar tiber die CIA nach Nicaragua transferiert, urn die Organisation<br />

von Oppositionsgruppen gegen die revolutionare Regierungsjunta zu finanzieren.<br />

Wenige Tage vor dem Ende seiner Prasidentenschaft suspendierte Carter auch noch<br />

die US-Wirtschaftshilfe an Nicaragua 3 •<br />

Die Reagan-Administration lieB das geheime CIA-Programm von Carter bereits zwei<br />

Monate nach dem Regierungswechsel auf 19,5 Mio. Dollar aufstocken. Reagan unterbreitete<br />

den zustandigen KongreBausschtissen ein sogenanntes »Presidential Finding«<br />

zu den geplanten Aktionen in Nicaragua. Der US-Prasident bekundete darin,<br />

erstens, daB diese Geldmittel »gemaBigteren« Gegnern der Sandinistas zuflieBen soHten.<br />

Zweitens berichtete Reagan an die beiden Geheimdienstausschtisse des Kongresses,<br />

daB die Sandinistas den Waffennachschub fur revolutionare Gruppen in den


Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 87<br />

Nachbarlandem El Honduras und Guatamala betreiben. Reagans »Presidential<br />

forderte deshalb eine Politik zur Abriegelung dieser Waffenlieferungen<br />

(»arms interdiction program«), Kombluh, S. 23). Die Geheimdienstausschusse<br />

von und Senat tagen hinter verschlossenen<br />

Turen. Die amerikanische<br />

Marz 1981 nichts von<br />

dem geheimen<br />

Ausschtissen des<br />

vorgelegt hatte 4 •<br />

Der traditionelle Hinterhof der USA diente der Reagan-Regierung als internationale<br />

Schaublihne flir ihre neue PoUtik der Starke. Deshalb wurde die ~L


88 Horst Heitmann<br />

volutionaren Nicaragua. Der eigentliche Grund dieser Presseerklarung des State<br />

Departements vom 1981 endgiiltige ~tflelCIi1ur!g<br />

der US-Wirtschaftshilfe flir die Sandinistas. Der amerikanische Botschafter in Managua,<br />

Lawrence hatte zwar der Regierungsjunta noch im Januar erkHirt, daB<br />

~u,uU.b'U·U die wieder aufnehmen falls die Sandinistas<br />

ihren Beistand flir die Revolutionare in El Salvador einstellten. Genau das<br />

hatten die Sandinistas offensichtlich getan und daflir wurden sie nun mit dem Verlust<br />

von 75 Mio. Dollar belohnt 5 • Der US-Botschafter in Managua war mit der drastischen<br />

MaBnahme nicht<br />

aberer wurde ohnehin bald von der Keag:m-Ke<br />

rung Das war<br />

back«<br />

Die Contras<br />

Die Schrauben gegen Nicaragua wurden allmahlich fester angezogen. Reagan unterzeichnete<br />

am 23. November 1981 eine Entscheidung seines nationalen Sicherheitsrats<br />

(NSC), die spater als »Directive 17« bekannt wurde. In dieser Entscheidung wurde<br />

die CIA autorisiert, eine 500-Mann starke paramilitarische Truppe aufzubauen, die<br />

offiziell die Waffenlieferungen von Nicaragua nach El Salvador unterbinden sollte ...<br />

In dem erforderlichen Bericht an die Geheimdienstausschtisse, dem »Presidential<br />

Finding«, sprach Reagan von begrenzten Operationen der CIA-Truppe (vgl. Leo­<br />

Grande 1987, S. 203). Die KongreB-Ausschtisse belieBen es bei dieser Fiktion. Die<br />

US-Parlamentarier versuchten nicht, die bevorstehende Eskalation gegen Nicaragua<br />

zu ul1terbinden. Offentlich diskutiert wurde die Destabilisierungspolitik ohnehin<br />

nicht. AuBerdem war die Reagan-Administration sowieso schon krliftig dabei, die<br />

somozistischen Nationalgardisten zu reorganisieren. Langst bevor Reagan seinen<br />

zweiten geheimdienstlichen Befund tiber Nicaragua wurden die exilierten<br />

Nationalgardisten in amerikanischen Trainingscamps fit gemacht. In Honduras<br />

bereiteten argentinische Militars die bald als Contras bekannten Verhande auf ihre<br />

terroristischen Aktionen gegen Ziele in Nicaragua vor. Die Offiziere der<br />

schen Militardiktatur bildeten 1981 ca. 1000 Nicaraguaner aus. Die<br />

hatte die CIA tibemommen. Das sogenannte<br />

gentinien, Honduras) funktionierte bis<br />

1982, als sich die<br />

bilateralen Beziehungen zwischen den USA undArgentinien pltitzlich rapide abktihlten.<br />

Zu diesem tibemahm die CIA direkt das del' Contras. Die von<br />

der Reagan-Doktrin anvisierten »Freiheitskampfer« in Nicaragua wurden also von<br />

den USAin die Welt gesetzt. Frtihere Nationalgardisten der Somoza-Diktatur wurden<br />

zusammen mit geflohenen, bzw. entflihrten Bauem in<br />

Banden gesteckt.<br />

Training, Bewaffnung, N achschub \ VL"~'_'H""""'HvH<br />

re und »Soldaten«)<br />

der Terroraktionen waren in den Randen der CIA.<br />

Die Contras waren nichts anderes als eine US-SOldnertruppe. Sie verwandelten das<br />

stidliche Grenzgebiet in Honduras zu einem regelrechten Aufmarschterritorium ge-


Reagans Politik gegenuber Nicaragua 89<br />

gen Nicaragua. Erste »Erfolge« konnten die Contras im Friihjahr 1982 verbuchen:<br />

Mordanschllige gegen Zivilisten, sandinistische Staatsbedienstete sowie gegen einen<br />

kubanischen Berater. 1m Mlirz 1982 wurden zum erstenmal wichtige Briicken in Nicaragua<br />

gesprengt (vgl. Kornbluh, S. 24-25). Der unerkllirte Krieg der USA gegen Nicaragua<br />

hatte nun endgultig begonnen.<br />

Die Diplomatische Front<br />

Wlihrend die· Reagan-Administration den Terror gegen Niearaguaorganisierte, betrieb<br />

das State Departement die diplomatische Konfrontation. Eine VerhandlungslOsung<br />

der Probleme USA-Nicaragua war naturlich im Interesse der Sandinistas.<br />

Nach der erfolglos verlaufenen Endoffensive der FMLN in El Salvador war die sandinistische<br />

Revolution in Nicaragua isolierter denn je zuvor. Eine ganz andere Frage<br />

war es aber, obden USA uberhaupt an einer diplomatischen L6sung gelegen war. 1m<br />

August 1981 fanden in Nicaragua mehrere Treffen zwischen den sandinistischen<br />

Commandantes und dem mit Lateinamerika beauftragten Staatssekretlir Enders statt.<br />

Der US-Staatssekretlir beschuldigte die Sandinistas, die Sicherheit ihrer mittelamerikanischen<br />

N achbarlander zu bedrohen. Enders offerierte Nicaragua das folgende Verhandlungspaket:<br />

Die Sandinistas sollten ihre Unterstutzung flir die Revolutionlire in<br />

El Salvador sofort einstellen und die eigene »Aufriistung« beenden. 1m Gegenzug<br />

wurden die USA ihr Neutralitatsgebot hinsichtlich der versprengten Exil-Nicaraguaner<br />

beachten. Die Hardliner der Reagan-Administration begannen nach Enders Ruckkehr<br />

in die amerikanische Hauptstadt die ohnehin vage Aussicht einer VerhandlungslOsung<br />

zu hintertreiben. Dem Staatssekretlir wurde vorgeworfen, daB er bei seinen<br />

Gesprlichen in Nicaragua die Notwendigkeit einer »Demokratisierung«6 des Landes<br />

nicht ausreichend genug betonthabe (vgl. Gutman, S. 66 f., Goodfellow 1987, S. 145).<br />

Nicaraguas Botschafter Cruz erhielt im September ein erstes Dokument yom State<br />

Departement. Arturo Cruz, der ein paar Jahre spliter zur zivilen Contra-Fiihrung stieB,<br />

verglich den Inhalt des Papiers mit den Bedingungen einer Siegermacht (vgl. Gutman,<br />

S. 71). Das State Departement forderte eine de facto Entwaffnung der sandinistischen<br />

Armee (z.B. sollte Nicaragua sich verpflichten, diverse Waffen, Hubschrauber usw.<br />

nicht zu erwerben). Der Ruckexport von 15 sowjetischen Panzern wurde zu einer<br />

Vorbedingung flir weitere Verhandlungen gemacht. Die bilaterale Diplomatie kam<br />

endgiiltig zum Stillstand, als die Sandinistas ihrerseits forderten, daB die USA die<br />

Trainingslager fiir Exil-Nicaraguaner in den USA aufl6sen miiBten, bevor die Verhandlungen<br />

fortgesetzt werden k6nnen. Diese kurzlebige Episode im Sommer des<br />

Jahres 1981 machte klar, daB es der Reagan-Administration nicht darum ging, einen<br />

modus vivendi mit dem revolutionliren Nicaragua zu finden: eine Isolierung des sandinistischen<br />

Regimes reichte ihr nicht aus.<br />

1m April 1982 fand eine zweite Verhandlungsrunde mit Nicaragua statt, die auf Initiative<br />

Mexikos zustandegekommen war. Die USA forderten nun explizit ein pluralistisches<br />

politisches System, ein gemischtes Wirtschaftssystem undeine paktfreie (!)


90 Horst Heitmann<br />

AuBenpolitik Nicaraguas. Das State Department hatte ein 8-Punkte Papier unterbreitet,<br />

woraufhin Nicaragua sich dialogbereit erkHme und einen Gegenvorschlag nach<br />

Washington schickte. Aber dieser zweite AufguB der Enders-Verhandlungen verlief<br />

schon nach wenigen Wochen im Sande. Den eigentlichen Zweck fUr die diplomatischen<br />

Gespdiche mit den Sandinistas enthiillte ein Papier des nationalen Sicherheitsrates<br />

(NSC), das spater der Presse zugespielt wurde (vgl. NYT, 704.83). In zynischer<br />

Offenheit forderte das NSC-Papier eine aktive diplomatische Kampagne der USA,<br />

urn z.B. Mexiko und westeuropiiische Sozialdemokraten zu beeinflussen. Der NSC<br />

stellte fest, daB die Sandinistas wegen des Terrors der Contras (»our covert efforts«)<br />

unter Druck geraten seien. Dieser Druck auf Nicaragua und. Kuba mtisse verstarkt<br />

werden, urn den Preis ihres »Interventionismus« in der Region nach oben zu schrauben.<br />

Die Reagan-Administration mtisse den Verhandlungsaspekt auch deswegen aufrechterhalten,<br />

urn den US-KongreB beeinflussen zu konnen (vgl. Goodfellow, S. 148).<br />

Die amerikanischen Scheinverhandlungen mit den Sandinistaswaren in erster Linie<br />

an die Adresse des amerikanischen Kongresses gerichtet. Die US-Regierung beftirchtete,daB<br />

der Geldhahn fUr die Contras zugedreht werden konnte.<br />

Nicaragua hatte immer direkte Verhandlungen mit den USA gefordert. 1m Oktober<br />

1983 besuchte AuBenminister d'Escoto Washington und bot eine Reihe von Zugestandnissen<br />

an. Nicaragua war beispielsweise bereit, tiber den Abzug von Militiirberatem<br />

und das Verbot von auslandischen Basen zu verhandeln. Die US-Regierung<br />

lehnte dieses Angebot einfach ab und verwies auf die Contadora -Initiative (vgl. Smith<br />

1987). Scheinbar rechneten die USA nicht damit, daB Nicaragua die Contadora-Empfehlungen<br />

akzeptieren wiirde. Erst als die Reagan-Administration Probleme mit der<br />

Contra-Finanzierung bekam, begab sichAuBenminister Shultz wieder auf das diplomatische<br />

Gleis 7 • Wiihrend eines zweisttindigenAufenthalts auf dem Flughafen von<br />

Managua machte der amerikanische AuBenminister Daniel Ortega am 1. Juni 1984<br />

den Vorschlag, direkte Gesprache aufzunehmen. Diese Verhandlungen begannen im<br />

Juniin Manzanillo (Mexiko), wurden aber im November 1984 von den USA aufgektindigt.<br />

Es war das letzte Mal, daB die Reagan-Administration direkte Verhandlungen<br />

mit den Sandinistas fUhrte. Als Reagan im Friihjahr 1985 yom amerikanischen<br />

KongreB eine Wiederaufnahme der finanziellen Untersttitzung der Contras forderte,<br />

schrieb er einen offiziellen Brief an den Senat.·Er versprach darin, die bilateralen Verhandlungen<br />

mit derRegierung Nicaraguas neu zu beleben. Einige Monate spater forderten<br />

die Contadora-AuBenminister Nicaragua und die USA auf, ihre direkten Gesprache<br />

fortzusetzen. Die Sandinistas stimmten sofort zu, aber Reagan reagierte nicht<br />

auf diese Empfehlung (vgl. Smith, S. 99). Das Contra-Paket war inzwischen verabschiedet.<br />

Die Reagan-Administration forderte seit 1985 von der Regierung Nicaraguas<br />

die Aufnahme direkter Verhandlungen mit den Contras.<br />

Am 1. Mai 1985 verordnete Reagan einen totalen Handelsboykott gegen Nicaragua.<br />

Der Boykott ist seitdemjiihrlich emeuert worden. Die Sandinistas hielten trotzdem an<br />

ihrer Forderung nach Verhandlungen mit den USA fest. Die Nicaraguapolitik der<br />

USA bestand von nun an nur noch in der bedingungslosen Unterstiitzung der Contras.<br />

ImJuli 1985 wurde der Hardliner ElliotAbrams im State Departement zum ftir Latein-


Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 91<br />

amerika zustiindigen Staatssekretar ernannt. Abrams wichtigster Job im amerikanischen<br />

AuBenministerium war das Management der Contra-Politik ..<br />

Organisierter Terror<br />

1m Herbst 1982, einJahrnachdemReagan»Directive 17« unterzeichnethatte, waraus<br />

dem geplanten 500-Mann starken CIA-Team zur Unterbindung der sandinistischen<br />

Waffenhilfe fiir die FMLN eine Kleinarmee von ca. 4000 Klimpfern geworden. Die<br />

im amerikanischen Sold stehenden Contras waren bereits dreimal so groB wie die<br />

CIA-trainierten Exil-Kubaner, die 1961 in der Schweinebucht gelandet wareh.Reagans<br />

Contra-Politik war zum gr6Bten CIA-Unternehmen seit Bestehen des Geheimdienstes<br />

geworden. Die in Honduras operierenden Contras wurden von dem letzten<br />

Militarattache des Somoza-Regimes in Washington, Oberst Enrique Bermudez, kommandiert.<br />

Die Contras in Honduras nannten sich Demokratische Front Nicaraguas<br />

(FDN). Die FDN war im August 1981 auf Initiative der CIA in Guatemala-City<br />

gegriindet worden. Die Griindung der FDN fand zum gleichen Zeitpunkt statt, als sich<br />

Staatssekretar Enders zu Verhandlungen mit den Sandinistas in Managua aufhielt. In<br />

Costa Rica operierte zu Beginn der achtziger Jahre eine andere Contra-Fraktion, die<br />

Revolutionar-Demokratische Allianz (ARDE). Diese Organisation stand nicht unter<br />

der Fiihrung von Ex -Somozisten, sondern wurde von dem ehemaligen Sandinista<br />

Eden Pastora und einem friiheren Mitglied der revolutionaren Regierungsjunta in<br />

Nicaragua, dem Geschaftsmann Alfonso Robelo, geleitet. Die CIA unterstiitzte auch<br />

diesen Ableger der Konterrevolution, urn die sogenannte Siidfront aufzubauen. Presseberichten<br />

zufolge erhielten die ARDE-Contras zeitweilig eine monatliche Hilfe in<br />

H6he von 400000 Dollar (vgl. Armstrong 1987, S. 55). Eden Pastora bot sich als<br />

»saubere« Erglinzung zu den Ex -Somozisten an. Aber Pastora widerstand dem Druck<br />

der CIA, seine Truppe mit der gr6Beren FDN in Honduras zu vereinigen. Er wollte<br />

nicht direkt mit den Ex -Somozisten kooperieren. 1m Mai 1984 wurde auf Pastora ein<br />

Attentat veriibt, bei dem mehrere ausllindische Journalisten getOtet und schwer verletzt<br />

wurden 8 • Ein Jahr spater sorgte die Reagan-Administration dafiir, daB die Contras<br />

eine neue militiirische Fiihrung bekamen. Eine Dachorganisation namens UNO<br />

(Vereinigte Nicaraguanische Opposition) wurde gegriindet. Ihre Spitze bestand aus<br />

dem FDN-Fiihrer A. Calero und zwei ehemaligen Verbiindeten der Sandinistas, A.<br />

Cruz undA. Robelo. Diese Organisation sollte den somozistischen Contras die n6tige<br />

demokratische Legitimation verschaffen. Ais Reagan in einer seiner vielen Propagandareden<br />

zu Gunsten der Konterrevolutionare vor der Presse ausrief, »I'm a contra<br />

too«, standen die frischgebackenen UNO-Fiihrer neben ihrem Arbeitgeber. Calero<br />

stieB ein unvergeBliches »Viva Reagan« aus. Der Contra-Zirkus naherte sich seinem<br />

Washingtoner H6hepunkt.. ... (vgl. Cockburn 1987, S. 249). Wie sich spater herausstellte,<br />

wurden die drei Fiihrungsfiguren damals von einem Beamten des NSC auf die<br />

Gehaltsliste eines Contra-Spendensammlers gesetzt9• Als »Angestellte« der US-Regierung<br />

hatten die drei den Terror der Contras an die Abgeordneten des Kongresses<br />

zu vermarkten. Cruz trat relativ schnell von seinem Posten zuriick. Robelo geh6rt seit


92 Horst Heitmann<br />

mehr als einem Jahr nicht mehr zur Contra-Fiihrung, die zur Zeit aus einem 7-kopfigen<br />

Direktorium besteht.<br />

Die Contras intensivierten Ende 1982/ Anfang 1983 ihren Terror gegen Ziele im Osten<br />

und Innem Nicaraguas. Der Terror wurde zu einem alWiglichen Ereignis. Viele Zivilisten<br />

wurden in Uberfallen und Hinterhalten errnordet. Die angeblichen »Freiheitskiimpfer«<br />

griffen insbesondere kleine Ortschaften, staatlich organisierteAgrarkooperativen<br />

sowie landliche Sozial- und Gesundheitseinrichtungen an. Die Contra-Uberfalle<br />

hinterlieBen groBe okonomische Schaden. Viele Brlicken, Stromgeneratoren<br />

usw.wUJ:den zerstort. Diese Terroraktionen wurdeIl zeitweilig durch selektive CIA­<br />

Anschlage in Iames-Bond"Manier erganzt. Zwischen September 1983 und April<br />

1984 wurden mehr als zwanzig Sabotageuntemehmen ausgefiihrt. Zum Beispiel: 1m<br />

September 1983 griffen mehrere Schnellboote nicaruaganische Hafen an und zerstOrten<br />

diverse Anlagen, einschlieBlich einer Ol-Pipeline. 1m Oktober desselben Jahres<br />

attackierten CIA-Kommandos Corinto, den wichtigsten Handelshafen Nicaraguas.<br />

Morser und Granaten zerstorten u.a. fiinf groBe 01- und Benzinlager, wobei 3,4 Mio.<br />

Gallonen in die Luft gejagt wurden. Das Feuer war zwei Tage lang auBer Kontrolle,<br />

so daB 25000 Einwohner evakuiert werden muBten. Neben dem okonomischen<br />

Schaden gab es mehr als hundert Verletzte (vgl. Kombluh, S. 28-30). Reagans Autorisierung<br />

von »Directive 17« schloB ausdrticklich eine direkte Rolle der CIA in Operationen<br />

ein, die besondere Ziele in Nicaragua betrafen (WP, 8.5.1983). Die von CIA­<br />

Experten durchgefiihrten Aktionen gingen offiziell auf das Konto der Contras. Die<br />

Contra-Fiihrung iibemahm jeweils offentlich die Verantwortung. Dem amerikanischen<br />

KongreB sollte vorgetauscht werden, daB die Contras eine effektive Streitmacht<br />

seien, die die Sandinistas emsthaft bedrohen konne.<br />

Die Contras waren in dem inzwischen sieben Jahre andauemden Terrorkrieg nie in der<br />

Lage, sogenannte »befreite Zonen« zu errichten. Die Art ihrer Kriegsfiihrung schloB<br />

eipe nennenswerte Unterstiitzung seitens der landlichen Bevoikerung aus. Reagans<br />

»Freiheitskiimpfer« machten nur durch eine endlose Anzahl von scheuBlichen Menschenrechtsverletzungen<br />

auf sich aufmerksam. Selbst der friihere CIA -Direktor Turner<br />

bezeichnete die Contras als staatlich unterstiitzte Terroristen lO • Ein ehemaliger<br />

Mitarbeiter der CIA erlauterte vor dem Intemationalen Gerichtshof in Den Haag das<br />

ursprlingliche Konzept des US-Geheimdienstes: Die CIA-Planer erwarteten, daB die<br />

von Honduras ausgehende Infiltration der Contras die Sandinistas zu Grenzattacken<br />

provozieren wiirde. Damit ware die angebliche Aggressivitiit der nicaraguanischen<br />

Revolutionare gegen ihre N achbarlander demonstriert. Z weitens hoffte man, daB Nicaragua<br />

angesichts des Contra-Terrors biirgerliche Freiheitsrechte einschriinken wiirde.<br />

Diese Strategie sollte die Sandinistas also zu dem machen, was sie in der Rhetorik<br />

der Reagan-Administration schon immer waren: Repressiv im Innem und aggressiv<br />

nach auBen (vgl. Kombluh, S. 23). Als die Regierung Nicaraguas mit den Contras im<br />

Frlihjahr 1988 schlieBlich einen vorlaufigen Waffenstillstand vereinbart hatte, waren<br />

dem Terrorkrieg mehr als 26000 Menschen zum Opfer gefallen. Die Regierung bezifferte<br />

die okonomischen Kriegsschaden auf ca. 3,6 Mrd. Dollar (vgl. NYT, 6.7.88).


Reagans Politik gegenuber Nicaragua 93<br />

»u.s.s. Honduras«<br />

Nicaraguas nordliches N achbarland Honduras wurde nicht allein flir die Contras zum<br />

HUJlH1!b~- und Aufmarschgebiet. Die USA verwandelten Honduras durch enorme<br />

Den von Honduras wurde tiber einen Zeitraum von 35 lahren (1946-<br />

1981) insgesamt ca. 39,5 Mio. Dollar an Militarhilfe von den USA gewahrt. Innerhalb<br />

von nur flinf Jahren (1982-1987) erhielt Honduras eine Gesamtsumme von 346,8<br />

Mio. Dollar Militarhilfc NACLA S. Die US-Prioritaten hatten sich<br />

merklich verschoben und die honduranischen Generale lieBen sich ihre lialst~(elJ'en'o<br />

Ie fUr die Contras flirstlich belohnen. Die USA stationierten in Honduras erstmals ca.<br />

200 Soldaten auf ihrem zentralen U "HLI-'WlHU Der stellvertretende US-<br />

Verteidigungsminister Richard Annitage berichtete einem SenatsausschuB im<br />

1987, daB die »vorUiufige« Stationierung der US-Truppen erst dann beendet werden<br />

wenn die Sandinistas keine Bedrohung mehr flir die »wirklichen Demokratien<br />

in derRegion« sind (vgl. NACLA 1988. S. 20/21).1983 fanddas erste groBangelegte<br />

amerikanische Manover (»Big Pine«) staH, zu dem auch Verteidigungsminister Caspar<br />

Weinberger extra aus Washington angereistkam. Die US-Navy probte vor den Ktisten<br />

Nicaraguas und in Honduras landeten mehrere Tausend Soldaten amerikanischer<br />

Bodentruppen. Diese gemeinsame Ubung von See-, Luft- und Bodentruppen wurde<br />

tiber einen Zeitraum von sechs Monaten gestreckt. Es war die erste Invasionseinschtichterung<br />

Nicaraguas, die parallel zum Contra- und CIA-Terror ablief. Viele gemeinsame<br />

US-honduranische Militartibungen folgten. Diese Manover dienten indirekt<br />

auch immer der Contra-Hilfe, da das US-Militar in der Regel diverse Materialien<br />

in Honduras belieB, die an die Contras weitergeleitet werdenkonnten (vgl. Gold 1987,<br />

S.41).<br />

Velrm:!l1U,ng de. Hafen<br />

~~L"'vI-'Ul'lAL in der US-Contra-Politik war die Verminung der<br />

1984 international wurde. Ein Dutzend Schiffe<br />

wurden zwei nicaruaganische Seeleute und fiinfzehn vp,'lpt'7t<br />

darunter fiinf aus der UdSSR. Nach der<br />

der Hafen rief die sandinistische<br />

Regierung 1984 den Internationalen Gerichtshof in Den an. Die<br />

forderte den Gerichtshof die US-Untersttitzung der Contras und die<br />

l'v


94 Horst Heitmann<br />

ihr Werk darzustellen. Der '-'l"~""Uli':;v Contra-Fiihrer<br />

spater, daB er um 2 Uhr nachts geweckt wurde und eine<br />

im besten<br />

'-'1-',""1,''-''' zu:ge~;{e';K[ bekam. Die Venninung der niearuaganischen Hafen muBte so<br />

schnell wie moglich tiber die Contra-Radiostation in Honduras verkiindet<br />

offensichtlich um<br />

der Sandinistas zuvorzukommen (vgl. New Re-<br />

5.8.1985). Die FDN-Radiostation warnte sogar in daB die<br />

internationale Handelsschiffahrt die venninten Hafen nicht mehr anlaufen sollte.<br />

Scheinbar hegten die amerikanischen Planer dieser Aktion die Hoffnung, daB Nicaerwies<br />

sich als<br />

Fehlkalkulation. Die internationale Handelsschiffahrt lief die Hafen weiterhin an. Der<br />

Plan zur Venninung der Hafen war in yom State der CIA<br />

und dem Nationalen Sicherheitsrat gemeinsam ausgearbeitet worden. Reagan bewilligte<br />

den der ihm von CIA-Chef William Casey vorgelegt wurde. Shultz Stellungnahme<br />

zu der geplanten Minenlegung lautete kurz und biindig: »Fine« (vgl.<br />

Woodward, S. 316-317). Die Verminungsaktion wurde auf internationaler Biihne<br />

scharf kritisiert. Selbst die Thatcher-Regierung bezeichnete die US-Aktion als Bedrohung<br />

fUr die Freiheitder internationalen Seeschiffahrt. Frankreich bot del' nicaraguanischen<br />

Regierung die Entsendung von Minensuchbooten an (allerdings unter<br />

der einschrankenden Voraussetzung, daB sich ein weiteres westeuropaisches Land an<br />

diesem Unternehmen beteiligen wiirde - letzteres geschah nicht). Richard Burt,<br />

damals im State Departement fUr Westeuropa zustandig, solI nach dieser Offerte dem<br />

franzi:isischen Botschafter erklart haben, daB die US-Regierung Wirtschaftshilfe an<br />

die Sandinistas noch tolerieren konne, militarische Unterstlitzung aber nicht. Die<br />

amerikanische Position faBte er so zusammen: »This is our hemisphere« (vgl. Gutman,<br />

S. 201). Das State Department leugnete jedoch anfanglieh jede amerikanische<br />

Beteiligung an der Venninung. Diese Schutzbehauptung wurde nicht einmal von den<br />

konserva.tiven Reagan-Unterstiitzern im US-KongreB als bare Munze an die Offentlichkeit<br />

weitergegeben. Selbst der rechte Republikaner allseits »Mr. Conservative«<br />

bezeichnete die amerikanische Verminungsaktion als Bruch des<br />

VOlkerrechts undkriegerischenAkt, der nieht verteidigt werden konne (vgl. Gutman,<br />

S. 194-203). Senat und Reprasentantenhaus verurteilten die Venninung der Hafen.<br />

Reagans unerkliirter gegen die Sandinistas stieB allmahlich aufWiderstand bei<br />

der politischen Opposition im KongreB sowie in del' amerikanischen Offentlichkeit.<br />

Der<br />

bekommt kalte :Fu6e<br />

Reagans offizielle Begriindung fiir den Beginn des schmutzigen Krieges, die Unterbindung<br />

von Waffentransporten nach El Salvador, war schon immer eine Fiktion gewesen.<br />

Aber als die US-Presse im Jahre 1982 Reportagen uber die wirklichen Aktivitaten<br />

del' Contras veroffentlichte, konnte selbst die Reagan-Administration ihre<br />

eigene Fiktion nicht mehr aufrechterhalten. 1m Herbst 1982 wurde dem KongreB mitgeteilt,<br />

daB die Contras nicht direkt den Waffennachschub in Richtung El Salvador


Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 95<br />

sollten. Es ginge vielmehr Nicaragua fUr die der<br />

Guerillas in El Salvador zu bestrafen. Durch dies en Druck wiirden die Sandinistas<br />

gezwungen, ihre Hilfe fUr die FMLN einzustellen (vgl. LeoGrande, S. 204).<br />

Erst im Frtihjahr 1983, als die amerikanische Presse wiederholt tiber die Intensivierung<br />

des Contra-Krieges und die Rolle der USA berichtete, kam es im KongreB zu ei·<br />

ner deutlichen<br />

gegen diese Politik. Die Abgeordneten Boland und Zablocki<br />

legten einen Gesetzesantrag vor,<br />

sei es direktoder indirekt,<br />

von militiirischen, bzw. paramilitarischen Operationen gegen Nicaragua mit einem<br />

Verbot<br />

1m Juli 1983 wurde diese Initiative<br />

debattiert und erstmals stimmte die Mehrheit des<br />

gegen Reagans<br />

Contra-Politik(vgl.Armstrong, S. 34). Dieses Votum war nur derAuftakt fUr unzahlige<br />

Debatten undAbstimmungen des Kongresses zum Thema Contras und Nicaragua.<br />

Reagan hatte im April 1983 vor beiden Hausem des Kongresses eine Rede zu<br />

seiner Zentralamerikapolitik gehalten. Es war das erste Mal, daB ein amerikanischer<br />

Prasident vor dem KongreB eine auBenpolitische Rede hielt, die ausschlieBlich der<br />

US-Politik vis-a-vis Zentralamerika gewidmet war. Die Rede wurde live von den gra­<br />

Ben amerikanischen Femsehanstalten iibertragen. Reagan nannte die Sandinistas eine<br />

diktatorische Junta, die nicht vor der Wut ihrer eigenen BevOlkerung geschtitzt werden<br />

sollte ll . Er versicherte, daB die USA die Sandinistas nicht sttirzen woHten. Es sei<br />

aber im amerikanischen Interesse, daB Nicaragua seine Nachbarn nicht durch den<br />

Export von Subversion und Gewaltansteckt (vgl. Gutman, S. 131). Der Werbefeldzug<br />

zum Verkauf der Contras als »Freiheitskiimpfer« an die amerikanischen Femsehkonsumenten<br />

hatte spatestens mit dieser Rede begannen. Nach der ersten MiBbilligung<br />

.der Contra-PoUtik im KongreB versuchte die Reagan-Administration, einen tiberparteilichen<br />

Konsens zu schmieden, um nicht die Initiative zu verlieren. In diesem Zusammenhang<br />

ist auch die Etablierung der Kissinger-Kommission zu sehen.<br />

Die Verminung der nicaraguanischen Hafen ftihrte zum vorlaufigen Ende der Besoldung<br />

der Contras durch den amerikanischen KongreB. Kurz bevor der Skandal aufflog,<br />

forderte die Administration in einem Nachtragshaushalt noch weitere 21 Mia.<br />

Dollar flir die Contras. Dies wurde yom KongreB wenig spater abgelehnt. Dariiber<br />

hinaus erlangte das zweite »Boland-Amendment« Gesetzeskraft, nachdem auch der<br />

Senat diesen Antrag nach der Minenaffare verabschiedet hatte. Der US-Regierung<br />

war es damit vorerst gesetzlich untersagt, Unterstiitzung flir militarische oder paramilitarische<br />

Operationen gegen Nicaragua zu gewahren. Die Administration muBte<br />

sich also nach alternativen Financiers fUr ihre Contra-Politik umsehen.<br />

Die I:ran-Cont:ra Affare<br />

Der amerikanische J ustizminister Meese gab am 25 . November 1986 auf einer kurzfristig<br />

einberufenen Pressekonferenz bekannt, daB ein Teil der Ertrage aus den geheimen<br />

Waffenverkaufen an den Iran zu den nicaruaganischen Contras geflossen war.<br />

Jahrelang hatte die Reagan-Administration den Iran, neben Libyen, als verabscheu-


96 Horst Heitmann<br />

ungswtirdigen Terroristenstaat verdammt. Gleichwohl hatten Beamte des NSC, unter<br />

Vermittlung der Israelis, geheime Kontakte zu den Iranern aufgenommen. Kurzum,<br />

die USA lieferten den Iranern mehrere TOW und Hawk Raketen, urn im<br />

Gegenzug US-Geiseln aus Beirut freizubekommen. Reagan hatte das politische Geschaft<br />

mit dem Iran hochstpersonlich genehmigt. Dieser Waffen-filr-Geiseln Deal<br />

(mit dem Decknamen »The Enterprise«) wurde allerdings nicht von den regularen<br />

US-Regierungsbehorden abgewickelt, sondern von privaten Waffenhandlern und<br />

Geschaftsleuten, die langjahrige Geheimdienstverbindungen hatten. Es handelte sich<br />

urn Geflechtvon Briefkastenfirmensowie zahlreichen<br />

SchweizerundOff-Shore-Bankkonten. '-'~,"-,~u,~,<br />

waren die<br />

auf seiten der Reagan-Administration. AuBen- und<br />

Verteidigungsminister waren nicht an dieser Sache beteiligt (Shultz und Weinberger<br />

hatten intern gegen den Deal mit dem Iran votiert). Die Privatisierung der amerikanischenAuBenpolitik<br />

war komplett, als man die vom KongreB trockengelegten Contras<br />

mit Milionenbetragen versorgte. Dazu paBte ins Bild, daB es die »Enterprise«-Hintermanner<br />

waren, die den »Freiheitskampfern« die benotigten Waffen usw. verkauften.<br />

Sie stellten auch Flugzeuge fUr den Luftnachschub tiber Nicaragua zur Verftigung.<br />

Der nach der Aufdeckung des Skandals gefeuerte Oberstleutnant North leitete<br />

in seinem Btiro im KellergeschoB des WeiBen Hauses die logistische Versorgungsarbeit<br />

fUr die Contras. Der UntersuchungsausschuB des Kongresses konnte nicht feststellen,<br />

daB Reagan von dem Transfer der iranischen Gelder an die Contras gewuBt<br />

hat. Sein zurtickgetretener Sicherheitsberater Admiral Pointdexter bezeugte, daB er<br />

dem Prasidenten davon keine Mitteilung gemacht habe ... CIA-Chef Casey war kurz<br />

vor Beginn der Anhorungen des Iran-Contra-Ausschusses gestorben ... (zum Iran­<br />

Contra Skandal vgl. Armstrong 1987 und Tower 1987).<br />

1m Rahmen des Iran-Contra Skandals wurden noch weitere Finanzquellen aufgedeckt,<br />

die amerikanische Regierungsbeamte angezapft hatten, urn das »Boland­<br />

Amendment« zu umgehen. So wurde beispiel weise enthtillt, daB der ehemalige<br />

Sicherheitsberater von Reagan, Robert McFarlane, schon im Mai 1984 vom Botschafter<br />

Saudi Arabiens in den USA eine Zusage tiber eine Million Dollar monatlich<br />

fUr die Contras erhalten hatte. Der KongreBausschuB steHte fest, daB die Saudis bis<br />

zum Frtihjahr 1986 insgesamt 31 Mia. Dollar tiberwiesen hatten. Auch Taiwan<br />

begltickte die Contras mit einer Millionenspende.<br />

Private Spendenaktionen fUr die Contras wurden zu einer gefeierten Sache von rechten<br />

Evangelisten und anderen hardline Reagan-Untersttitzern. Der Ftihrereiner Organisation<br />

namens »World Anti-Communists League«, General John Singlaub, war<br />

einer der effektivsten Spendensammler. Singlaub behauptete Ende 1984, daB er monatlich<br />

500000 Dollar zusammenbekam (vgl. Kornbluh, S. 32). Die Spendenkonnten<br />

tibrigens von der Steuer abgesetzt werden. Von der »Moral Majority« tiber den Fernsehprediger<br />

und Prasidentschaftbewerber Pat Robertson bis hin zur Vereinigungskirche<br />

des Koreaners Moon beteiligten sich alle ultrarechten Organisationen in den<br />

USA an dieser Kampagne. Reagan selbst rief die amerikanische Bev61kerung mehrmals<br />

zur privaten Hilfe filr die Contras auf. Der Prasident hielt Reden bei sogenannten


Reagans PoUtik gegeniiber Nicaragua 97<br />

»fund-raising« Essen und empfing GroBspender wie z.B. den Bierbrauer Joseph<br />

Coors personlich im WeiBen Haus. Die von Reagan hofierte Spendenkampagne war<br />

symptomatisch fUr die reaktionare politische Kultur der 80er Jahre in den USA. Selbst<br />

in der »New York Times« wurde beispielsweise in ganzseitigenAnzeigen zu »humanitaren«<br />

Contra-Spenden aufgerufen. Der friihere Finanzminister William Simon,<br />

Schauspieler Charlton Heston etc. unterschrieben diese nicht ganz preiswerten Annoncen.<br />

ZusammengefaBt kann man sagen, daB die Reagan-Administration und ihre<br />

rechten Sympathisanten alles daran setzten, die Contras politisch und finanziell am<br />

. Lebenzuerhalten.FiiFdie Reaganisten waren diese»Freiheitskampfer« zu einer emotionalen<br />

Sache geworden.<br />

»KriegserkHirung« des Kongresses<br />

Ais im November 1986 die Iran-ContraAfHire die amerikanische Presse wochenlang<br />

beschaftigte und das WeiBe Haus praktisch lahmlegte, hatte der KongreB die Finanzierung<br />

der Contras Hingst wieder abgesegnet. Nach mehreren erfolglosenAnlaufen<br />

war es Reagan im Juni 1985 endlich gelungen, eine Mehrheit im Reprasentantenhaus<br />

fUr die Contra-Besoldung zu finden. Reagan hatte zwischenzeitlich eine noch nicht<br />

dagewesene Lobbyierung einzelner Abgeordneter betrieben. Dariiber hinaus beutete<br />

Reagan den Moskaubesuch Daniel Ortegas propagandistisch aus. In der Zeit nach<br />

Reagans Abstimmungsniederlage im April war Nicaraguas Prasident zu einem<br />

Staatsbesuch nach Moskau geflogen. Ortega war schon mehrmals in der sowjetischen<br />

Hauptstadt gewesen, aber dieser Besuch entfachte einen politischen Feuersturm im<br />

rechten Lager Washingtons, einschlieBlich vieler US-Medien. Innerhalb weniger Wochen<br />

bekehrte der republikanische Prasident viele Abgeordnete zu einer Ja-Stimme<br />

fUr die Contras.<br />

Reagans nachsteparlamentarische Contra-Schlacht fand ein Jahr spater statt, als ihm<br />

das Reprasententenhaus zuerst eineAbfuhr erteilte. 1m Marz 1986lehnte das Haus ein<br />

100-Mio.-Dollar-Paket an Militarhilfe mit 222 zu 210 Stimmen abo Aber drei Monate<br />

spater bekam Reagan griines Licht fUr die Contra-Gelder (die Abstimmung lautete<br />

221-209). Mit der Autorisierung der 100 Mio. Dollar wurden auch gleichzeitig aIle<br />

Restriktionen beztiglich der offiziellen Involvierung der CIA in die Kriegsfiihrung der<br />

Contras aufgehoben. Es war das erste Mal, daB der US-KongreB die CIA mit der Implementierung<br />

eines solchen Programms beauftragte. Die anfanglichen Destabilisierungsprogramme<br />

Anfang der 80er Jahre waren alle in geheimgehaltenen Haushaltsfonds<br />

der Agency versteckt gewesen und nie offen im KongreB debattiert worden. Es<br />

war in der Tat hOchst ironisch, daB die amerikanischen Parlamentarier der Militarhilfe<br />

zu einem Zeitpunkt zustimmten, als der Rechnungshof des Kongresses gerade herausgefunden<br />

hatte, daB mehr als fiinfzig Prozent der »humanitaren« 27 Mio. Dollar aus<br />

dem vorigen Haushaltsjahr unauffindbar und z.B. auf Off-Shore Konten in der Karibik<br />

verschwunden waren. Die amerikanische Presse erganzte diese Korruptionsstories<br />

tiber Reagans »Freiheitskampfer« mit Reportagen tiber die Verbindungen der


98 Horst Heimann<br />

Contras zum intemationalen Drogen- und Waffenhandel (vgl. LeoGrande). Nicaraguas<br />

Prasident Ortega nannte das Abstimmungsergebnis praktisch eine Kriegserklarung<br />

der USAgegen sein Land (vgl. NYT, 29.6.86). Zwei Tage nach der Bewilligung<br />

der Militarhllfe hatte in Den Haag der Intemationale Gerichtshof sein Urteil zur CIA­<br />

Hafenverminung und Contra-Unterstiitzung verkiindet. Es wurde festgestellt, daB die<br />

USA mit ihrer Contra-Politik die Charta der UNO verletzt hatten und Reparationen<br />

an NicaraguazahlenmiiBten (vgl. UN Security Council, S/18221). Das State Department<br />

wiederholte die imperiale Position der Reagan-Administration, die dem Gerichtshof·schroff<br />

jedeLegitimation zur Behandlung dieses·Konflikts absprach.· Die<br />

Meinung des Intemationalen Gerichtshofs schlen auch die Mehrheit des Kongresses<br />

nicht zu interessieren. Ein derartiges Urteil war offensichtlich erwartet worden, aber<br />

seit der Monroe-Doktrin galt die Auffassung, die R. Burt dem franz6sischen Botschafter<br />

mit auf den Weg gegeben hatte: »This is ourhemisphare«.<br />

Torpedierung der Contadora-Initiative<br />

In ihrer Caraballeda-Erklarung hatten die vier Lander der Contadora-Initiative (Kolumbien,<br />

Mexiko, Panama und Venezuela) zusammen mit der neugebildeten Unterstiitzergruppe<br />

(Argentinien, Brasilien, Peru und Uruguay) die USA im Januar 1986<br />

explizit aufgerufen, ihre Unterstiitzung der Contras einzustellen (vgl. Goodfellow,<br />

S. 152). Seit Beginn des Jahres 1983 versuchten die Contadora-Staaten, eine friedliche<br />

Lasung im Konflikt zwischen den USA und Nicaragua zu finden. Die AuBenminister<br />

der inzwischen »Gruppe der Acht« genannten Initiative wandten sich Anfang<br />

1986 direkt an US-AuBenminister Shultz, urn die Contra-Politik der USA zu stoppen.<br />

Das Ersuchen der Acht wurde von Shultz und seinem Lateinamerika-Staatssekretar<br />

Abrams briisk abgelehnt (vgl. Smith, S. 101). Wenige Tage spater beantragte Reagan<br />

offiziell 100 Mio. Dollar an Contra-Hilfe vom KongreB. Die Isolierung der USA in<br />

Lateinamerika im Hinblick auf die Contra-Politik konnte kaum gr6Ber sein.<br />

Die Reagan-Administration hatte immer behauptet, den Contadora-FriedensprozeB<br />

zu unterstiitzen. Doch dieses Bekenntnis war nichts weiter als eine standig wiederholte<br />

diplomatische Sprechblase. Am 7. September 1984legten die Contadora-Staaten<br />

in Panama-City ihren ersten unterschriftsreifen Vertragsentwurf vor. In Erwartung<br />

einer Ablehnung Nicaraguas sprach Georg Shultz daraufhin in einem Brief an die EG­<br />

AuBenminister von einem wichtigen Schritt nach vom. Zwei Wochen spater erklarte<br />

sich die Regierung Nicaraguas zur sofortigen Unterzeichnung der »Contadora-Act«<br />

bereit. Diese Nachricht traf das State Department v611ig unvorbereitet. P16tzlich wurde<br />

der Vertragsentwurf als »unbefriedigend« und »einseitig« bezeichnet. Die Reagan­<br />

Administration startete sofort intensive »Konsultationen« mit El Salvador, Honduras<br />

und Costa Rica. Es war keine groBe Uberraschung, daB diese Lander wenig spater eine<br />

Revision des Textes forderten. Die Contadora-Initiative war vorerst erfolgreich blokkiert<br />

worden (vgl. Goodfellow, S. 149 f.). Ein Jahr spater unterbreiteten die Contadora-Staaten<br />

einen zweiten Entwurf, der z.B. militansche Ubungen der USA in


Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 99<br />

Mittelamerika unter bestimmten Bedingungen zulieB. Nicaragua weigerte sieh, die<br />

neue »Contadora-Aet« zu unterschreiben. Die Sandinistas befiirchteten, einseitig<br />

eine Reduzierung von Truppenstlirke und Bewaffnung angesichts der US-ContraAggression<br />

hinnehmen zu miissen. Nachdem im April 1986 in Washington ein rechter<br />

Proteststurm gegen Reagans damaligen Mittelamerika-Sonderbotschafter Habib ausbrach,<br />

anderte sieh die Position Nicaraguas. Habib hatte einem KongreB-Abgeordneten<br />

schriftlich mitgeteilt, daB die USAgemaB dem neuen Contadora-Text ihre Contra­<br />

Hilfe nach Unterzeichnung des Vertrags einstellen miiBten 12 (vgl. Gutman, S. 330).<br />

Uberraseht von der Entriistung der hartnackigen Contra-Unterstiitzer in Washington,<br />

erkUirte sich Nicaraguas J>rasident Ortega am 27. Mai 1986 bereit, den Vertragsentwurf<br />

doch zu unterzeichnen. Die weitere Entwicklung zeigte dann emeut, daB die<br />

USA immer weiter von derContadora-Initiative abriickten je positiver sich Nicaragua<br />

zu Mm konkreten Text auBerte. Reagan besehuldigte die Sandinistas sofort, daB sie<br />

nur deswegen zur Unterschrift bereit seien, um seine Contra-Hilfe im KongreB zu kippen.<br />

Die US-Administration sprach plotzlich nur noch von einer Unterstiitzung des<br />

Contadora-Prozesses, wenn dieser eine »wirkliche Demokratie« in Nicaragua zur<br />

Folge Mtte (vgl. Goodfellow, S. 154). Diese »wirkliche Demokratie« wurde natiirlieh<br />

in Washington definiert. Der neue Entwurf der »Gruppe der Acht« wurde nie unterzeichnet.<br />

Die Reagan-Administration hatte den Contadora-ProzeB erfolgreieh zu<br />

Grabe getragen, weil diese lateinamerikanische Initiativ~ mit dem eigentlichen Ziel<br />

der USA kollidierte. 1m Gegensatz zur Reagan-Administration akzeptierten die Contadora-Staaten<br />

die sandinistische Revolution in Nicaragua.<br />

Unterminierung des Arias-Plans<br />

Mitte 1986 hatte die Reagan-Administration mit Hilfe ihrer anti-sandinistischen<br />

»Alliierten« Costa Rica, El Salvador und Honduras den Contadora FriedensprozeB de<br />

facto zum Scheitem gebracht. Doch kurze Zeit spater fiillte der Iran-Contra Skandal<br />

die Schlagzeilen der Presse und die drei Naehbarstaaten Nicaraguas bekamen kalte<br />

FiiBe. Trotz der gerade bewilligten 100 Mio. Dollar schien das Schicksal der Contras<br />

besiegelt zu sein. Das Contra-Programm sehien nach den Enthiillungen der Affare<br />

erstrnal auf ein Abstellgleis geraten zu sein. Fiir die Reagan-Administration ging es<br />

Anfang des Jahres 1987 vor allem um politische Schadensbegrenzung. Gleichzeitig<br />

war im Mai 1986 in Costa Rica der Sozialdemokrat Oscar Arias Prasident geworden.<br />

Er entwarf einen regionalen Friedensplan, der zwar auch die Guerillakriege in EI<br />

Salvador und Guatemala lOsen sollte, aber zweifellos auf Nicaragua zugesehnitten<br />

war. Der kurze Plan wieh nur unwesentlich von den urnfangreichen Contadora-Entwiirfen<br />

ab, jedoch legte Arias das Schwergewicht auf die Probleme »Nationale Versohung«<br />

und »Int~me Demokratie« (vgl. Procedimiento 1987). Arias enthiillte den<br />

Text seines Plans, als er sich im Februar 1987 mit drei anderen Prasidenten aus der<br />

zentralamerikanischen Region traf. Nicaraguas Prasident Ortega hatte man nieht hinzugebeten.<br />

Aber nach diesem Vierer-Treffen wurde Nicaragua zu einer regionalen


100 Horst Heitmann<br />

Friedenskonferenz cWl5ICiaU'v1l, die nach Hi~;UlJ'Hallb'C;Hl Aufschub<br />

1987 stattfand.<br />

Am 7. August konnten sich die flinf zentralamerikanischen Prasidenten in<br />

las<br />

einigen. Noch in letzter Minute hatte die Reaeines<br />

solchen Plans zu<br />

dieren. Nur zwei Tage vor dem Treffen der flinf Prasidenten in wurde in<br />

Washington der<br />

vorgestellt. Der Prasident<br />

des<br />

hatte zusammen mit der Reatu",rt"n<br />

der im wesentlichen<br />

Partei lehnten<br />

ab.Die<br />

Treffens in Guatemala ohnehin unbeachtet. Unmittelbar nach del' Annahme des von<br />

Costa Ricas Prasidenten Arias vorgeschlagenen<br />

erkliirte der Prasident<br />

des<br />

seine volle<br />

Reagan-Administration schien plOtzlich wieder isoliert zu sein, nachdem der<br />

sche Schaden des Iran-Contra Skandals gerade erfolgreich beseitigt war. Reagan gab<br />

ein lauwarmes Bekenntnis zum Esquipulas-Plan ab und machte zugleich deutlich, daB<br />

seine »Freiheitskampfer« nicht ungeschiitzt bleiben dtirften. Wenige Wochen nach<br />

der Verabschiedung des Esquipulas-Plans verktindete AuBenminister Shultz, daB die<br />

Administration yom KongreB 270 Mia. Dollar an Contra-RiIfe fordem werde. Die<br />

Reagan-Administration setzte alles daran, Punkt 5 des Plans zu unterlaufen (=Einstellung<br />

der Hilfe fUr »irreguliire Krafte und Rebellen«, Procedimiento). Es kam aber<br />

nicht sofort zu einem formalenAntrag an den KongreB, wei! die Administration nicht<br />

tiber die notwendigen Stimmen verftigte.<br />

Schon bald nach dem Inkrafttreten des Esquipulas-Plans geriet Nicaragua zunehmend<br />

unter politischen Druck seitens der Mitunterzeichner des Plans und durch Politiker<br />

der Demokratischen Partei in den USA. Die<br />

die re-<br />

Friedensinitiative ohnehin ausschlieBlich als<br />

gesehen. Die<br />

IJUH";:"""lI""l Vor·galJen des Plans durch die anderen Lander Zenmen.<br />

Der nicaruaganische Kardinal Obando y Bravo als Mittelsmann bei<br />

diesen<br />

die Ende 1987 in Santo J..J~Hwa",:.v<br />

stattfanden. Die<br />

wollte ausschlieBlich tiber einen Waffenstillstand<br />

mit den Contras verhandeln. Das wurde von H.vUF,'uw<br />

abgelehnt. Sie woHten Gesprache ftihren. Eine ihrer Forderungen war beispielsweise<br />

die Auflosung der landwirtschaftlichen Kooperativen in Nicaragua. Die


Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 101<br />

mittelamerikanischen Pdisidenten<br />

Treffen<br />

schrieb Daniel<br />

Prasident unterstrich u.a. die Bereitschaft seiner Parbilden.<br />

Letzteres<br />

er auch dem US-Prasidenten in einem<br />

NYT<br />

Die n.\.-a):;,ClH-.n.LHm,l1lC'UOCUU'l1 hatte Sicherheitsberater Colin Powell und Staatssekretar<br />

Abrams vor dem Treffen der zentralamerikanischen Prasidenten in die vier NachbarHinder<br />

Nicaraguas entsandt. Die US-Regierung wollte eine offentliche<br />

Nicaraguas erzwingen. Das geschah zwar aber die »Alliierten«<br />

na.;:'UJll1):;"Vll'" vor aHem El Salvador und Honduras, heBen sich aufkeine neuen Uberraschungen<br />

ein. Die Verifikationskommission des Esquipulas-Plans wurde z.B. kurzerhand<br />

aufgelOst. Auf einer Pressekonferenz unmittelbar nach dem Gipfeltreffen<br />

hatte Ortega bekannt gegeben, daB die Sandinistas den Ausnahmezustand sofort aufheben<br />

und direkte Gesprache mit den Konterrevolutionaren beginnen wiirden. Nicaragua<br />

hatte plOtzlich wichtige einseitige Zugestandnisse gemacht, obwohl beispielsweise<br />

Honduras durch die Beherbergung der Contras den Friedensplan systematisch<br />

miBachtete. Die Reagan-Administration dachte nicht im geringsten daran, ihrenAntrag<br />

auf Contra-Hilfe beim KongreB zurlickzuziehen. Die US-Regierung sprach neuerdings<br />

von einer »Versicherungspolitik« im Hinblick auf die Contra-Unterstiitzung,<br />

d.h. Nicaragua sei nur wegen des Drucks der Contras verhandlungsbereit. Am 3.<br />

Februar drei Wochennach lehnteder<br />

KongreB mit nur acht Stimmen Mehrheit ,,,,-,,"!",,uw<br />

konnten auch nicht von dem alternativen Plan der Demokratischen Partei IJHHHlvl'COll,<br />

in Hi:ihe von 30 Mio. Dollar<br />

"U""HJ.llUUl1,~,,,,,uaHUVH von rechten<br />

und liberalen Demokraten<br />

Marz 1988 mit 216 zu 208 gegen diesen<br />

gen hatten die<br />

des demokratischen<br />

Militarhilfe enthielt. Dieser lubel<br />

sorgungsschwierigkeiten und muBten sich verstarkt aus ihrem<br />

Innern<br />

zurlickziehen. Unterdessen waren direkte<br />

den Sandinistas und der<br />

worden.<br />

Reagans Nicaraguapolitik erhielt einen neuen Riickschlag, als sich die Fuhrer der<br />

Contras und die Sandinistas am 23. Marz 1988 in dem<br />

Grenzort


102 Horst Heitmann<br />

konnten. Die nVUlS"urnua~u.ur<br />

hpr,.."Qf'ht als man auf US-amerikanischen Femsehschirmen<br />

wie Sandinistas und Contras<br />

die Nationalhymne sangen.<br />

Bei den Contras fiihrte das 9-Punkte<br />

schlieBlich zu einer inaus<br />

der schlieBlich<br />

Bermudez gestarkt<br />

Der schon immer von der CIA Oberst war gegen den Waffenstillstand<br />

von gewesen. Er selbst hatte an den Verhandlungen nicht teilgenommen.<br />

Sandinistas und Contras hatten in Sapoa beschlossen, in einer Serie von weiteren<br />

~HU5'~


Reagans Politik gegeniiber Nicaragua 103<br />

den USA.<br />

~~,",U5'''H0 Contra-Politik<br />

sind sicherlich keine Freunde der Sandinistas. Aber viele US-Politiker haben immer<br />

beftirchtet, daB die LUllH,akonnen<br />

in<br />

der GroBenordnung der Contra-Aktion letztlich vor niemandem geheimgehalten werden.<br />

Die Menschen in Nicaragua bekamen dieAuswirkungen der US-Politik sehr bald<br />

direkt zu Als der KongreB nach des Verminungsskandals die<br />

weitere des vorerst Reagans Helfer<br />

endgtiltig in den »Untergrund«. Sie brachen bewuBt eine gesetzliche Auflage des<br />

Kongresses, die ausdrticklich die Untersttitzung der Contras durch die amerikanische<br />

Regierung mit einem Verbot belegt hatte. VOl' den zustandigen KongreBausschtissen<br />

leugneten die Regierungsbeamten ihre pro-Contra-Aktivitaten (vgl. Tower-Commission).<br />

Die dann folgende Iran-Contra Affaire verdeutlichte, daB Reagan selbst Opfer<br />

jenes »Syndroms« geworden war, das er wahrend seiner Prasidentschaft haufig fUr<br />

geheilt erkllirt hatte. Das »Vietnam Syndrom« reflektiert nichts weiter als die Abwesenheit<br />

eines gesellschaftlichen und tiberparteilichen Konsenses in bezug auf US­<br />

Interventionen in der Dritten Welt. Viele konservative Politiker glauben bis heute, daB<br />

der Vietnamkrieg nicht in Stidostasien, sondern wegen der Anti-Kriegsbewegung in<br />

den USA verloren wurde. Die eigene Bevolkerung bildet eine potentielle Gefahr fUr<br />

die Durchsetzung des amerikanischen »Willens« in der Dritten Welt (vgl. Sharp<br />

1987). Analog der Nixon-Doktrin wollte die Reagan-Administration die mnelljJotltJ<br />

schen Kosten ihres militarischen Eingreifens in Nicaragua kalkulierbar gering<br />

d.h. insbesondere keine US-Btirger an Kriegshandlungen teilnehmen lassen. Eine von<br />

Washington finanzierte Stellvertretergruppe sollte die US-Kontrolle tiber Nicaragua<br />

zurUckgewinnen.<br />

Die Nicaraguapolitik der Reagan" Administration war auf innenpolitischer Ebene von<br />

Anfang an ein Tauschungsmanover gewesen. Der KongreB und die US-Offentlichkeit<br />

muBten mit pro-Contra und anti-Sandinista Informationen manipuliert werden, um<br />

die Politik der Reagan-Administration zu legitimieren. Dazu hatte CIA-Direktor<br />

Casey im Sommer 1983 Spezialisten aus der Werbebranche zu einem Brainstorming<br />

in sein Btiro geladen (vgl. Parry + Kornbluh 1988, S. 10). Die Fiktion von den Contras<br />

als Waffenstopp-Verbiinde muBte ohnehin schnell ad acta gelegt werden. Kurz darauf<br />

wurde der Contra-Krieg selbst Gegenstand der Tauschungs-, bzw. Propagandakampagne.<br />

Die terroristischen CIA-Attacken gegen Nicaragua zwischen 1982 und 1984<br />

wurden als Taten der Contras verkauft, urn deren angebliche militarische Effizienz zu<br />

demonstrieren. Der US-organisierte Terror war spatestens Mitte 1982 keine echte


104 Horst Heitmann<br />

so<br />

liber die militader<br />

Contras belogen werden muBten. Damit sonte naturlich eine<br />

weitere<br />

werden. Die CIA organisierte nicht nur den<br />

der Contras in Nicaragua. Der Geheimdienst beriet die Contra-Fuhrer auch in<br />

gst


Reagans Politik gegenuber Nicaragua 105<br />

Kontakt mit Regierungsbeamten wie z.B. NSC-Mitarbeiter Oliver North und Staatssekretar<br />

Elliot Abrams standen (vgl. Parry + Kombluh, S. 21 f.). Zur Einschtichterung<br />

von oppositionellen Organisationen und Gruppen gehorte scheinbar auch eine<br />

Serie von bislang unaufgekliirten Einbruchen im Watergate-Stil. Anfang 1987 fand in<br />

einem UnterausschuB des Kongresses ein Hearing zu dieser mysteriosen Einbruchsserie<br />

statt (vgl. NYT, 19.2.87). Annlihemd ftinfzig Btiros von kirchlichen Organisationen,<br />

Solidaritlitsgruppen, Forschungsinstituten, Zeitschriften usw. wurden seit Beginn<br />

der achtziger Jahre durch Einbriiche beschlidigt 15 • All diese Btiros hatten eines<br />

gemeinsam: Sie waren mit Organisationen verbunden, die zu den aktiven Gegnem<br />

von Reagans Zentralamerika-Politik zlihlten.<br />

Schlu6bemerkung<br />

Die ehemaligen AuBenminister Kissinger und Vance bedauerten in einem gemeinsamen<br />

Artikel tiber die zuktinftige AuBenpolitik der USA, daB Zentralamerika in den<br />

letzten Jahren ein ausgesprochen gutes Beispiel fUr die Abwesenheit einer klaren<br />

nationalen Zielsetzung gewesen sei (vgl. KissingerNance 1988). Diese These kann<br />

nur auf Nicaragua gemtinzt sein, denn die US-Untersrutzung ftir Duarte in EI Salvador<br />

wurde von einer breiten tiberparteilichen Koalition getragen. Die beiden Ex-AuBenminister<br />

haben die Reagan-Doktrin anscheinend miBverstanden. Es war zweifellos<br />

das Ziel der Reagan-Administration, die Sandinistas zu sttirzen. 1m Februar 1985<br />

meinte Reagan ganz offen, die Sandinistas sollten sich ergeben (»say uncle«) und die<br />

Contras in die Regierung bitten (vgl. Gutman, S. 2<strong>74</strong>). Diese selten artikulierte<br />

Zielsetzung ist abernicht erreicht worden. Reagan wollte im »weichen Unterleib« der<br />

USA mehr als nur Muskeln zeigen. Die Geschichte der US-Nicaraguapolitik hat aber<br />

gezeigt, daB der militarische Interventionismus yom KongreB ein wenig gezlihmt<br />

werden konute. Es ist der US-Regierung in den letzten acht Jahre jedoch gelungen,<br />

dem sozialrevolutionaren Experiment der Sandinistas erheblichen Schaden zuzuftigen.<br />

Nicaraguas Okonomie befindet sich in einer schweren Krise 16 • Die schwierige<br />

okonomische Lage hat Nicaraguas Regierung im letzten J ahr sicherlich zu ihren politischen<br />

Zugestlindnissen gezwungen, insbesondere zur Aufnahme direkter Verhandlungen<br />

mit den Konterrevolutionaren. Die Reagan-Administration hat zumindest die<br />

vorlliufige Zerstorung eines Modells unabhlingiger Entwicklung in Mittelamerika erreicht.<br />

Der Terrorkrieg der US-besoldeten Contras hat aber nicht zum Sturz der sandinistischen<br />

Regierung geftihrt. Daniel Ortega wird noch imAmt sein, wenn Ex-Prlisident<br />

Reagan Washington llingst den Rucken zugekehrt und sich auf seinem Ruhesitz<br />

im Nobelviertel Bel Air in Los Angeles niedergelassen hat.


106 Horst Heitmann<br />

Analog Kennedys »Allianz flir den FOltschritt« schlug die Kissinger-Kommission ein 5-jahriges<br />

Wirtschaftshilfeprogramm von 8 Mrd Dollar flir die gesamte Region vor, auBerdem natiirlich eine<br />

substantielle Aufstockung der bilateralen Militarhilfe.<br />

2 Die US-Hilfe flir die afghanischen Rebellen war beispieisweise unumstritten. Sie wurde vom KongreB<br />

bereitwillig mitgetragen. Die Waffenlieferungen begannen schon wiihrend der Carter-Administration.<br />

Reagan setzte in diesem Fall nur noch ein paar Hundert Mio. Dollar fiir die afghanischen<br />

»Freiheitskiimpfer« drauf, die yom US-KongreB enthusiastisch bewilligt wurden. 1m Sinne von Casey<br />

konnte man im Hinblick auf Afghanistan wohl von einem besetzten Land sprechen. Deshalb gab es<br />

auch einen statken tiberparteilichen Konsens im KongreB.<br />

3 Der reaktionare Charakter dieser US-Hilfe fUr die Sandinistas war offensichtlich gewesen. Es handelte<br />

sich urn Wiederaufbaukredite in Hohe von 75 Mio. Dollar (davon 70 Mio. als Volldarlehen und<br />

nur 5 Mio. in der Form eines Znschusses). Der KongreB hatte sichergestellt, daB sechzig Prozent der<br />

Gelder an den privaten Sektor in Nicaragua flieBen muBten. Insgesamt hatten die USA das Finanzpaket<br />

mit 16(!) Bedingungen versehen, u.a. durften die Kredite ausschlieBlich fur den Ankauf amerikanischer<br />

Produkte ausgegeben werden. Die Gelder konnten z.B. nicht ftiT die Ausbildungsprojekte<br />

benutzt werden, in denen kubanische Staatsangehorige beteiligt sind usw. Eine weitere Bedingung<br />

war, daB ein hozent der gewiihrten Mittel in Nicaragua fUr die iiffentliche Propagierung US-amerikanischer<br />

Generositat auszugeben seien ... Zu guter Letzt hatte der KongreB noch verlangt, daB der US­<br />

Prasident vor der jeweiligen Auszahlung der Kredite beglaubigen muB, daB die Sandinistas ihre Revolution<br />

nicht exportieren ... (vgl. NACLA 1985, S. 23).<br />

4 Nach der iiffentlichen Aufdeckung diverser CIA-Operationen Mitte der 70er Jahre wurden die beiden<br />

Ausschusse im Rahmen der post-Vietnam, bzw. post-Watergate Refonnen gebildet. Sie sollten die<br />

Aktivitaten der CIA uberwachen. Deshalb ist der US-Prasident verpflichtet, sie tiber geplante Operationen<br />

durch ein »Presidential Finding« vertraulich zu unterrichten (vgl. Sharpe 1987).<br />

5 Auch Kuba stellte die Waffenlieferungen fur die Guerillas in El Salvador ein. Fidel Castro gab<br />

gegenuber H.J. Wischnewski zu, daB Kuba der FMLN ftir die Jannar-Offensive Waffen geliefert<br />

hatte. Er bestand aber im April 1981 darauf, daB diese Art von Hilfe beendet sei. Reagans erster<br />

AuBenminister, A. Haig, hat diese Behauptung in seinem Buch »Cavet« indirekt bestatigt (vgl. Smith,<br />

S.90-92).<br />

6 Die spater immer wieder vorgebrachte Forderung nach Demokratisierung ist der reine Hohn. Fast<br />

ftinfzig Jahre lang hatten die USA die Somoza-Diktatur gestiitzt. Der friihere US-Prasident F.D.<br />

Roosevelt hatte bekanntlich tiber den ersten Somoza gesagt, »he is a son of a bitch but he is our son<br />

of a bitch.« Ais die Sandinistas im November 1984 die wirklich ersten demokratischen Wahlen in der<br />

Gesehichte des Landes abhielten, wurden diese von der Reagan-Administration als Betrugsmanover<br />

verurteilt. Arturo Cruz z.B. hatte seine Kandidatur auf Anweisnng der USA zurtickgezogen. Die Wahl<br />

sollte von Anfang an als undemokratisch dargestellt werden. Deshalb schied der aussichtslose Cruz<br />

»unter Protest« aus dem Rennen, denn es stand ein Sieg des FSLN-Kandidaten Ortega bevor. Das<br />

konnte es in der US-Logik jedoch nicht geben.<br />

7 Lateinamerika-Staatssekretar Thomas Enders war im Mai 1983 von Reagan gefeuert worden, weil er<br />

den Hardlinem Casey, Meese, Clark und Kirkpatrick nieht konservativ genug war (vgl. Gutman,<br />

S. 129 f.). Es war derselbe Enders, der wahrend der Endphase des Vietnam-Kriegs flir Henry Kissinger<br />

die geheimgehaltene Bombardierung von Kambodscha koordinierte.<br />

8 Pastora tiberlebte den Anschlag, aber zwei Jahre spater gab er den Kampf gegen die sandinistische<br />

Regierung anf. Ein groBer Teil seiner Contra-Bande stieB zusammen mit Robelo zur FDN, die ohnehin<br />

den weitaus groBten Anteil der CIA-Unterstiitzung erhielt.<br />

9 Wahrend des Iran-Contra Skandals wurde bekannt, daB Calero mindestens ein 200000,- Dollar Jahresgehalt<br />

verbuchte. Robelo erhielt 120000,- und Cruz 84000,- Dollar (vgl. Cockbum S. 249).<br />

10 Carters CIA-Direktor Admiral Stansfield Turner benutzte diesen Begriff am 16.4.85 bei einem<br />

Hearing des US-Reprasentenhauses. Ende 1984 wurde bekannt, daB Caseys CIA ein Handbuch tiber<br />

»Psychological Operations in Guerilla Warfare« fUr die Ausbildung der Contras verteilen lieB. Das<br />

Handbuch gab jede Menge Anweisungen fUr die Counterinsurgency-Kriegsftihrung. Es rief u.a. zur<br />

Ennordung von Sympathisanten der Sandinistas auf. Das WeiBe Haus muBle unverztiglich demen-


Politik 107<br />

lieren, daB das Handbuch von def US-Regiemng gebilligt werde. GemaB »Executiv Order« Nr 12333<br />

ist es US-Regiemngsbehiirden gesetzlieh verboten, Attentate zu planen oder auszufUhren ... (vgl.<br />

Kornbluh).<br />

11 Die Reagan-Administration hat nattirlich nie erkHiren konnen, wieso die Sandinistas zum Schutz<br />

gegen den Contra-Terror Waffen an die Landbevolkerung verteilen konnten, ohne daB diese gegen<br />

die angeblich so totalitare Regierung gerichtet wurden .... Die Wut richtete sich wohl eher gegen<br />

Reagans Soldner. 1m ubrigen wurde in den USA immer verschwiegen, daB die Sandinistas einen Teil<br />

der Bevolkerung bewaffnet hatten. Letzteres paBte nicht in das Propagandabild von Nicaragua, das<br />

auch von der US-Presse nicht entkr1lftet wurde.<br />

12 Das WeiSe Haus ersetzte spater die Formel >mach Unterzeichnung« durch >mach Implementierung«.<br />

Ein riesiger Unterschied, waren die USA doch selbsl einer der Richter uber die Einhaltung des<br />

Contadora-Vertrags gewesen.<br />

13 Die Reagan Administration war natiirlich nieht an einer Einigung zwischen Sandinistas und Contras<br />

interessiert. Die plumpe Schuldzuweisung an Nicaragua fUr den Zusammenbruch der Gesprache<br />

sollte nm der P.R. Kampagne gegeniiber dem KongreB fUr neue Contra-Militarhilfe dienen. Sandinista-Berater.H.-l.<br />

Wischnewski meinte gegeniiber dem SPIEGEL, daB Bennudez bei den Verhandlungen<br />

die Interessen seiner Geldgeber in Washington vertreten habe. Der SPD-Politiker sagte: »Als<br />

Angestellter ist er weisungsgebunden« (vgl. DER SPIEGEL, Nr. 25/1988).<br />

14 DaB die CIA in Nicaragua ohnehin nicht tatenlos herumsaB, zeigte sich im Juli 1988, als es bei einer<br />

Demonstration gegen die Regierung in der Stadt Nandaime zu gezielten Gewalttatigkeiten gegen sandinistische<br />

Ordnungskrafte kam. Am Tag darauf wurden der US-Botschafter Melton und sieben<br />

weitere Diplomaten ausgewiesen. Zwei Monate nach den Ereignissen in Nandaime beschuldigte der<br />

Demokrat Jim Wright die Reagan-Administration und die CIA, die gewalWitigen Auseinandersetzungen<br />

pravoziert zu haben (vgl. NYT 21.9.88).<br />

15 Eingebrochen wurde u.a. im Bura des »Intemationa! Center for Development Policy« in Washington.<br />

Dieses Institut wird von Carters friiherem Botschafter in EI Salvador, Robert White, geleitet. Aueh<br />

in den New Yorker Redaktionsraumen von NACLA (North American Congress on Latin America)<br />

wurde eingebrochen. Das FBI stl·itt jede Verbindung zu dieser Einbruchsserie abo Es muB daran<br />

erinnert werden, daB FBI-Agenten noch Anfang der achtziger Jahre in Buras eines EI Salvador Solidaritatskomites<br />

(CISPES) eingedrungen waren. Die amerikanische Bundespolizei gab spater zn, daB<br />

es CIS PES wegen Terrorismusverdacht observiert habe ... (vgl. NYT 19.2.87).<br />

16 Der Top-Wirtschaftsplaner der Sandinistas rechnete fUr 1988 mit einem 35 %igen Produktionsriickgang<br />

im Vergleich zum Vorjahr! Diese Wirtschaftskrise driickt sich z. B. durch eine Hyperinflation<br />

aus. Die Inflationsrate lag 1987 bei ca. 1800 Prozent (vgl. CSM, 16.2.88). Die imFebruar 1988 durchgefuhrte<br />

radikale Wtihrungsreform konnte die Inflation nieht bremsen. Zur Zeit liegt sie bei mehreren<br />

tausend Prozent. Die Armut steigt rapide. Doch die »New York Times« muBte eingestehen, daB die<br />

armen Bevolkerungschichten in Nicaragua, dank derSozialpolitik der Sandinistas, besser versorgt<br />

werden als z.B. in Honduras oder Guatemala. Dennoch befUrchtet die Regierung eine Erosion in der<br />

politischen Unterstiitzung durch die BevOlkerung. Innenminister Tomas Borge gab zu, daB man durch<br />

den anhaltenden Krieg Unterstiitzung eingebiiBt habe (vgl. NYT 16.10.88). Die Reagan-Administration<br />

kann also einen TeiJerfolg verbuchen, denn auch sie erreichte in Nicaragua, was Nixon im Jahre<br />

1970 seinem CIA-Direktor Helms in Sachen Chile auftrug: »Make the economy scream'< (vgl. Hersh).<br />

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Christion Science Monitor (CSM)<br />

Commentary<br />

DERSPlEGEL<br />

The New Republic<br />

The Nation<br />

TIME Magazine<br />

The New York Times (NYT)<br />

Washington Post (WP)


109<br />

tionsweise diese Versuche scheiterten. Seit 1980 vollzieht sich ein Bruch mit den<br />

KPU1Jlnr,nn von Arbeit und<br />

umdie<br />

Die US-Wirtschaft befindet sich in einel' Umbruchsphase. Die Konturen del' neuen<br />

Strukturen erscheinen widerspruchlich und gebenAnlaB zu kontroversen Interpretationen.<br />

Manche malen das BUd eines Kasino-Kapitalismus, bei dem »paper enterpreneurs«<br />

auf der Wall Street die produktive Basis der USA verscherbeln und »hollow<br />

corporations« ubrig lassen, die bloB noch als Marketingorganisationen flir auslandische<br />

Produkte dienen. Andere zeichnen das Szenario vom Durchbruch neuer Produktionskonzepte,<br />

wie die »flexible Spezialisierung« oder die »Satum«maBige Nutzbarmachung<br />

des Produzentenwissens, auf deren Basis, und mit Hilfe des nun mehr<br />

realistisch bewerteten US-Dollars, eine<br />

gestartet wird. Kann also<br />

ausgegangen wer-<br />

ein neues<br />

Dieser<br />

gen, deren wesentlichen hier werden sollen. Branchenstudien<br />

konnen zwar zur US-Volkswirtschaft entnommen VV'-'JLUC,Jll.<br />

aber sie vermitteln einen tieferen und somit differenzierteren Einblick in die Umbauprozesse<br />

der USA als dies eine Gesamtiibersicht leisten konnte.<br />

Beide Branchen werden seit Ende der 50er Jahre von der auslandischen Konkurrenz<br />

bedrangt und haben mit unterschiedlichen<br />

Ein dieser bzw.<br />

die<br />

geben.<br />

dem abgesicherte inwieweit die miteinander<br />

kompatibel sind und sich verfestigen konnten.<br />

Die Ergebnisse dieser Studie zu den Fragen nach dem Verlauf der Transformations-


11 0 Scherrer<br />

prozesse, ihren Determinanten und der<br />

lassen sich in drei Thesen zusammenfassen:<br />

1. Der gesamte ArlPalSSllili~splro;~eI5<br />

mal'ktes<br />

der bisher eneichten<br />

VOJrae:l'glmIJ:G stand. Vel'suche einer wirklichen<br />

den ~"""/",LUi U,"','~H<br />

erst<br />


Die US-Auto- und Stahlindustrie auf der Suche nach dem Goldenen Vlies 111<br />

Auto- und WHHH'U'-"'''L'v. Die KegulatlOlllS!()mlen dieser Industrien "1-"'v,",,',HvU die<br />

zentralen Wesensmerkmale des Fordismus wider: senioritatsorientierte industrielle<br />

des hohe vertikale Integration, staatliche<br />

aUG Riicklagen und Orientierung<br />

auf den Binnenmarkt.<br />

$ (1967)<br />

10,-------------------------------------------------,<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

04-~~~~-L~J-~~-L~~~J-~~-L~_r~J-~~<br />

1960 1965 1960<br />

1966 1970 1976 1980 1986<br />

Ford<br />

--j-. Stahl i ndustrie<br />

Quellen: bereohnet anhend AISI,<br />

Ford Annual<br />

AIle ProduktionsarbeiterInnen der GroBkonzerne in beiden Branchen waren in der<br />

Produktivitatswachstum der<br />

wurde bis 1982 in den<br />

orientierten sich die realen Lohnzuwachse<br />

beitsstunde der rascher<br />

Produktivitatszuwachsen in der Autoindustrie<br />

blieben die realen Stiicklohnkosten weitgehend konstant<br />

Stahlindustrie bestand kein so daB die der<br />

realen Lohnkosten starker von Krafteverhaltnissen<br />

gepragt wurde. Insgesamt stiegen die realenLohnkosten aber von 1950 bis 1981 eben-


112 Christoph Scherrer<br />

v.H.an Schaubild Stark von der burldesrepublikanischen<br />

Praxis<br />

wurde der Arbeitseinsatz geregelt. Zwar wurden<br />

den Gewerkschaften und ihren das Recht auf in der Unternehmenspolitik<br />

aber der unternehmerische bei per-<br />

JV,'U'..,V"HHJv"vU und zum Teil bei<br />

wurde<br />

durch formale Regelungen erheblich<br />

Die ge-<br />

ULL,HAAHv.die in der Literatur mit dem irrefiihrenden ~-'b"'''.j<br />

control bezeichnet werden (vgl. Piore Katz<br />

ten:erstens der tarIIven:rai~H


Die US-Auto- und Stahlindustrie aUf der Suche nach dem Goldenen Vlies<br />

113<br />

somit stark davon<br />

schwerdesysem Gebrauch machten.<br />

Neben diesen personalpolitischen<br />

bestanden noch Vereinbarungen<br />

die der Produktionsnormen. war in der Autoindustrie die<br />

Zeitvorgabe dem Management freigestellt, sie soUte jedoch dem Grundsatz einer normalenArbeitsbelastung<br />

entsprechen. Flir die Beschaftigten, die sich ungerechtfertigten<br />

Zeitvorgaben ausgesetzt sahen, bestand die MCiglichkeit der Beschwerdefiihrung.<br />

Diese Beschwerdefalle waren von der Schlichtung ausgenommen, so daB, wenn keine<br />

Einigung zwischen der Geschliftsflihrung und der UAW zustande kam, die betriebliche<br />

Gewerkschaftsfiihrung ihrem Anliegen mit einem Streik Nachdruck verleihen<br />

konnte. Ein solcher Streik konnte jedoch nur nach einer festgesetzten Frist und nach<br />

Absprache mit der UAW-Zentrale begonnen werden. Unzufriedenheit mit den langen<br />

Fristen war hliufig AnlaB fiir wilde Streiks (Herding 1980: 82). In der Stahlindustrie<br />

wurde den betrieblichen Gewerkschaftssektionen erst 19<strong>74</strong> ein Streikrecht zugestanden.<br />

Gegen willklirliche Arbeitsbedingungen (ArbeitsgruppengraBe, Pausen etc.)<br />

festschrieb, solange nicht der zugrundeliegende ProduktionsprozeB verandert wurde<br />

(Betheil1978).<br />

Durch diese tarifvertraglichen Regelungen verlor das Management wichtige Belohnungs-<br />

und Sanktionsmaglichkeiten zur betrieblichen Herrschaftsauslibung. Eine<br />

hahere Leistungsbereitschaft konnte weder durch individuelle Gratifikationen noch<br />

durch BefOrderung (es sei denn zur Aufsichtsperson, supervisor) motiviert werden.<br />

Die Betriebsftihrungen muBten deshalb zu anderen Formen der H~,~v>.'LUI"'''<br />

greifen. Dazu geharte erstens, im Sinne der Taylorismusdebatte, die Ubertragung der<br />

Kontrolle in den ArbeitsprozeB, was arn sinnbildlichsten in der Taktgeschwindigkeit<br />

des FlieBbandes zum Ausdruck kan1. Zweitens karn es zu einem vermehrten Einsatz<br />

von Zeitnehmern und zu einem Kompetenzzuwachs fiir die industrial engineering­<br />

Abteilungen. Drittens wurde versucht, die Kontrolle liber die Arbeitsverausgabung<br />

durch einen vergleichsweise hohen Einsatz von Aufsichtspersonen zu erreichen<br />

(Jefferys 1986: 154).<br />

Die aus bundesdeutscher Sicht iibenaschende Einwilligung des Managements in Beschrankungen<br />

seiner Weisungsmacht erklart sich zum einen dadurch, daB die rigide,<br />

festgeschriebene Arbeitsteilung insofern nicht besonders problematisch war, als das<br />

vorherrschende Rationalisierungsparadigma auf eine feinteilige Arbeitszerlegung


114 Scherrer<br />

und Produktionslaufe abzielte Zumanderen<br />

erschienen die senioritatsorientierten Schutzrechte der Belegschaften gegentiber<br />

def Alternative standiger Kleinkriege vorteilhafter. In vielen Betrieben hatten<br />

sich namlich die<br />

wahrend der Phase der gewerkschaftlichenAnerkennung<br />

ein hohes MaS an Kontrolle tiber Leistungsstandards und anderen der<br />

Betriebsorganisation erkampft und sahen es von daher als an,<br />

zur Leistungssteigerung mit spontanen Arbeitsniederlegungen oder gar mit SabotagerLKte:nzu<br />

beantworten (vgl. Gartman 1986: 263-291; Walker 1976).<br />

war die tarifvertragliche Einschrankung der unternehmerischen<br />

KOlmyJromil:l, der durchaus den Interessen des M,ma.gelments nvV~HH..w11S<br />

nicht notwendigerweise als wurde. wurde urn die konkrete<br />

Ausgestaltung des Kompromisses standig gerungen (vgl. Gershuny 1982,<br />

Herding 1980).<br />

Die Gewahrung stetiger Reallohnerhohungen wurde durch die oligopolistische Kontrolle<br />

der Preise ermoglicht. Einige wenige, vertikal integrierte Konzerne organisierten<br />

die Produktionsprozesse und beherrschten den Markt. In der Stahlindustrie beruhte<br />

die Macht der groBen Konzerne auf extrem hohen Markteintrittsbarrieren, die<br />

zum einen den hohen Kapitalaufwendungen flir ein effizientes Stahlwerk und zum anderen<br />

der Kontrolle tiber die Rohstoffversorgung entsprangen. Zur Begrenzung der<br />

Konkurrenz untereinander dienten eine Reihe von Praktiken. Ein relativ freiztigiger<br />

Technologietransfer verhinderte das Entstehen gewichtiger technologischer Vorspriinge<br />

(Lynn 1982: 124 f., 131). Die gemeinsamen Tarifverhandlungen mit der<br />

USW und das einheitliche Eingruppierungssystem trugen eben so zur Homogeniseriung<br />

der Produktionskosten bei (vgl. Brody 1987: 22 f.). SchlieBlich schuf der fUr<br />

US-Verhahnisse ungewohnlich koharente Stahlunternehmerverband, das American<br />

Iron and Steel Institute (AISI), viele Moglichkeiten der Interessenabstimmung<br />

1954: Scherer 1970; Der offensichtliche Effekt des Zusammenspiels<br />

dieser verschiedenen Regulationsformen war die Preispolitik des »mark-up«.<br />

Wie viele empirische Studien nachgewiesen zeigten die Stahlpreise nur gem~~u"'Fov,a.<br />

Die Preise spiegelten stattdessen die<br />

Kostenentwicklung<br />

wider (Crandall 1981 : 3 In der Autoindustrie eriibrigten der kleine<br />

Kreis von Anbietern und die tibersichtliche Zahl der Produkte<br />

der Vielzahl von Kaufern nicht individuell verhandelbar<br />

Systeme der Preisabsprache.<br />

Das hohe AusmaB vertikaler Integration diente nicht nur<br />

der Markteinsondern<br />

schlitzte auch vor »opportunistischem« Verhalten von Zulieferbetrieben<br />

in Form iiberhohter unzuverlassiger oder der Weitergabe<br />

an die Konkurrenz. So woHten sich die Stahlkonzerne<br />

gegen die ebenfalls hoch konzentrierten<br />

HClon1pilasen extreme<br />

hatten durchsetzen konnen<br />

1985: Auch in der Autoindustrie bedurfte es eines sicheren Planungshorizonts,<br />

damit durch lange Produktionslaufe hohe Skalenertrage erzielt werden konnten.<br />

Die Furcht vor unvorhersehbaren Unterbrechungen der Produktion aufgrund von


Die US-Auto- und Stahlindustrie Suche nach dem Goldenen Vlies 115<br />

bis Ende der 60er Jahre auch<br />

zwischenbetrieblichen Lohndifferentiale (BLS Bull. Die<br />

zur vertikalen<br />

M,lrktbe:he:rrsl~htmg und vertikaler Integra­<br />

VV'-"Ali'''-'',''-',Ut;'"", Verhiiltnis: zur Aufrechterhaltung der<br />

Marktkontrolle war eine Kontrolle<br />

Produktionsstufen notwendig, die<br />

gleichzeitig wiederum durch die Marktkontrolle ermoglicht wurde. Das Pendant zur<br />

hierarchischen Kontrole des<br />

war ein relativ ULO'LUlH"L'vL<br />

HICUJ:l.LU~'LVb""!lv" Verhilltnis zu den selbstandigen Zulieferern. Die Autokonzerne<br />

sorgten bewuBt fUr Konkurrenz unter ihren Zulieferem. Der technische Austausch<br />

zwischen der Konzernzentrale und den Zulieferem beschrankte sich weitgehend auf<br />

Abstimmungsprobleme bei den jeweiligen Entwicklungen und erstreckte sich in den<br />

seltensten Hillen auf eine von vornherein gemeinsam durchgefiihrte Produktentwicklung<br />

1987). Das geringe Niveau der technischen Zusammenarbeit stand<br />

durchaus nicht im Widerspruch zu dem herrschenden Rationalisierungsparadigma.<br />

Da die Kernkonfiguration des Automobils unverandert gelassen wurde, konzentrierten<br />

sich die Optimierungsstrategien auf inkrementale, prozeB-orientierte Innovationen.<br />

Diese konnten unter zentraler Vorgabe, mit nur geringer horizontaler Absprache,<br />

arbeitsteilig auf einzelne Bearbeitungsvorgange bezogen,<br />

werden (vgl.<br />

Abernathy 1978).<br />

Die Absicherung gegenuber »opportunistischem« Verhalten der Zulieferer<br />

entsprach dem unterentwickelten Stand globaler Lieferbeziehungen, die den Konzernen<br />

nicht erlaubte, inlandische durch auslandische Zulieferer unter Druck zu setzen.<br />

Sofern sie nicht der<br />

dienten (Stahl), bestanden zwischen den inund<br />

auslandischen Produktionsstatten nur geringe Lieferverflechtungen. Die Binnenmarktorientierung<br />

wurde auch durch die geringe Exporttatigkeit unterstrichen; im<br />

Unterschied zur Vorkriegszeit wurde der Export in der Nachkriegszeit nur aIs Zusatzgeschiift<br />

angesehen, das keiner besonderenAufmerksamkeit bedurfte (Tiffany 1988:<br />

9,178; Wilkins/Hill1964: 376).<br />

Neben den bekannten staatlichen MaBnahmen zur Forderung des fordistischen Konsummodells<br />

versuchte der Staat im Sinne einer countervailing power (Galbraith) die<br />

Kapitalzentralisierungstendenzen, die Preistiberwalzungsmoglichkeit und das AusmaB<br />

der MiBachtung der Konsumenten (und der Umwelt etc.) zu begrenzen. Der Staat<br />

trat somit in einem gewissen MaBe an die Stelle der weitgehend auBer Kraft gesetzten<br />

Konkurrenzmechanismen.


116 Christoph Scherrer<br />

~U""'_'V_"'L' waren also die<br />

in beiden Industrien eng miteinander<br />

verflochten und haben sich gegenseitig verstarkt Das Zusammenspiel hat sich allernicht<br />

von selbst Der zentrale ergab sich aus der nicht<br />

zwischen den<br />

und den<br />

schaften sowie den multi-fraktionellen<br />

Staates. In ihrer Gesamtheit<br />

die Teilhabe<br />

ders filr General Motors zutraf ,L(lHL,UHJCll<br />

Stahlindustrie fiel in den 50er Jahren eher durchschnittlich aus<br />

1988: 40), und betmg bereits in den 60er Iahren nur noch die Halfle des<br />

Durchschnitts des verarbeitenden Gewerbes 185: 131).<br />

Die Rentabilitatsschwache der Stahlindustrie in den 60er Jahren deutete bereits Krisentendenzen<br />

an, die dann allerdings erst Ende der 70er Jahre in eine akute Krise<br />

mundeten. Das Jahr 1966 markierte einen Wendepunkt im Wachstumstrend beider<br />

Branchen. Das Wachstum des StahlausstoBes blieb hinter dem des ge:,arme:n rp'T",'hpl_<br />

tenden Gewerbes wruck, und das der Autoindustrie glich sich letzterem an<br />

1985: 143). Gleichzeitig erhohte sich der Marktanteil der auslandischen Hersteller<br />

spmnghaft: in der Stahlindustrie von 7,3 v.H. im Jahre 1964 auf 16,7 v.H. im Jahre<br />

1968, und in der Autoindustrie von 6 v.H. auf v.H. CAISI, MVMA).<br />

Die erste Phase der AlJlpasslmg:sstralteglen<br />

Fiir einen Kepn)(illktlOflszus,lmme:nhan:g,<br />

erwies sich der<br />

als auBerst bedrohlich. Als erste<br />

Reaktion auf diese<br />

Iahrzehnt zuvor entstandenen fordistischen LClhnkomlJrom<br />

im Zusammenhang mit den senioritatsorientierten Schutzrechten bestehenden RatioaHem<br />

die Klausel zu Der daraus 1959 resultierende<br />

116tagige Streik endete in einer Patt -Situation 1961: Die<br />

Belegschaften erwiesen sich als zu ihr Widerstand erschien auch im Lichte der<br />

vv ndU'-'''I';vH in den anderen Kembranchen als 1m Sinne der "''''v H~,,'HlHr<br />

HM"Cn,>,.,.t war, setzten die Stahlindustriellen auf eine Moder-<br />

IV~'U"UVU"QlH"'5VH. Es gelang<br />

Produktivitatsfortschritte<br />

im Verhaltnis zum<br />

zu erzielen. Dazu hatte erstens u~","'Vuu<br />

gen, daB der Stand der Verfahrenstechnikkeine dramatischen Produktivitatsgewinne<br />

ermoglichte und die erzielten,<br />

der<br />

erkauft werden mui3ten. Zweitens haben es vor aHem die Stahl-


Die US-Auto- und Stahlindustrie aUf der Suche nach d~~m,-G=--o,-,ld:cce,,-n--,-en,-,-VI,,-ie:.::.s _______ ----=l~17<br />

der Bltitezeit des tiber zu den Machtapparaten<br />

(Bauer u.a. 1972). Gleichzeitig wurde das Investitionsvolumen auf<br />

ein MaB reduziert, das nicht mehr die<br />

des gesamten Kapitalstockes gewlihrleistete.<br />

Beide MaBnahmen ftihrten zu einer Erholung der Kapitalrentabilitlit, die<br />

durch den weltweiten Stahlboom von 1972 bis 19<strong>74</strong> noch beschleunigt wurde. In dieser<br />

finanziell weniger angespannten Situation versuchten die Konzerne durch einen<br />

Produktivitatspakt mit der USW, die Intensivierung der Arbeit voranzutreiben. 1m<br />

Gegenzug zum Verzicht auf das Streikrecht und der Bereitschaft, sich an MaBnahmen<br />

zur Arbeitsintensivierung zu beteiligen, wurden der USW jahrliche Reallohnsteigerungen<br />

in Hohe von 3 v.H. angeboten (Betheill978). Die explizite Anerkennung des<br />

fordistischen<br />

vollzog sich somit erst in der sich abzeichnenden<br />

Krise der Stahlindustrie.<br />

in der Lohnrunde von<br />

zusammen mit der zunehmenden<br />

des US-Dollars, die


118 Scherrer<br />

gel' Price die im des Stahlbooms ausgesetzt worden waren.<br />

Dartiber hinaus kam es zu ersten Werksschliefiungen, Fusionen und der versHirkten<br />

Suche nach alternativen Verwertungsfeldem (Acs 1984).<br />

In der Autoindustrie waren die<br />

zunachst<br />

VV".hV'H"'UU'~UV<br />

konnte die erste<br />

drangt und die Zweite Ende der 60er Jahre ."'UHH'Uv~' vU'F,,,",UUlUHH<br />

auch innerhalb des tayloristischen<br />

hohe Produktivitatszuwachse zu erziedie<br />

die realen Stticklohnkosten konstant hielten (siehe Schaubild<br />

wurdendiese Zuwachse Mitte der 70er Jahre vor aHem durch eine<br />

der<br />

durch die teilweise Wl,edt~rh(~rs1,e<br />

schwung emanzipativer Bewegungen verlorengegangenen betrieblichen V"''''~HH'<br />

und durch die Vernachlassigung der Verarbeitungsqualitiit sowie der Produktinnovation.<br />

DaB die Autoindustrie weniger von der allgemeinen Wachstums-, Produktivitats-<br />

und Rentabilitatsschwache ab Ende der 60er Jahre erfaBt wurde, hing wohl in<br />

erster Linie von der tiefen Verankerung des Automobils im Konsummodell der USA<br />

abo So gaben die privaten Haushalte einen gleichbleibenden Anteil ihres verftigbaren<br />

Einkommens flir den privaten Transport mit dem Pkw aus. Die Vorliebe flir groBe, geraumige<br />

Pkw's, der die US-Konsumenten, dank der staatlichen Energiepolitik, bald<br />

nach den ersten Olpreisschocks wieder nachgehen konnten, gewahrte den US-Herstellern<br />

sicheren Schutz vor der auslandischen Konkurrenz. Die hohen Gewinnmargen<br />

auf ihre »StraBenkreuzer« (vergroBert durch die Einsparungen bei der Verarbeitungsqualitat)<br />

kompensierten die nieddgen Margen, bzw. Verluste im hochgradig<br />

kompetitiven Kleinwagengeschaft. Die bereits wahrend der Hochkonjunktur beginnende<br />

Krise des Chrysler Konzems, dem drittgroBten Hersteller in den USA, kann im<br />

nachhineinjedoch als Vorbote flir das baldige Ende dieser Abschirmung von den allgemeinen<br />

Krisentendenzen angesehen werden.<br />

1m Gegensatz zur Stahlindustrie versuchten die Autokonzerne, vor aHem General<br />

Motors, aus dem Korsett der senioritatsorientierten industriellen Beziehungen auszubrechen,<br />

und zwar durch die systematische Verlagerung def Teileproduktion zu neuen<br />

Werken in den gewerkschaftsfreien Sliden der USA.8 Doch gelang es der UAW in<br />

relativ kurzer diese Werke gewerkschaftlich zu organisieren. Dabei kam der<br />

U A W zugute, daB durch Druck in den bereits organisierten Betrieben General Motors<br />

bei den gewerkschaftlichenAnerkennungswahlen zur Neutralitat verpflichtet werden<br />

konnte (Katz 1985:90).9<br />

Kurz vor Ende der 70er Jahre unterschieden sich somit beide Industrien in mehrfacher<br />

Hinsicht. Wahrend die Stahlindustrie bereits staatlicher Hilfe bedurfte und ihren Produktionsrekord<br />

zuletzt 1973 erzielte, hatte die Autoindustrie ihr Rekordjahr 1978.<br />

Letztere verftigte auch tiber eine hahere Kapitalmobilitiit und tiber eine multinationa­<br />

Ie Prasenz. Das Stahlmanagement verhandelte zwar mit einer kooperationsbereiteren<br />

Gewerkschaftsflihrung, aber diese wurde von der Basis herausgefordert. Insgesamt<br />

zeichnet sich diese Periode durch Anpassungsstrategien aus, die im wesentlichen die<br />

fordistischen Regulationsformen unangetastet lieBen. Eine Zuspitzung, aber auch


Die US-Auto- und Stahlindustrie auf der Suche nach dem Goldenen Vlies 119<br />

zugleieh ihren Wendepunkt, fanden diese Strategien wiihrend der Carter-Administration<br />

Ende der 70er Jahre.<br />

Tripartistische Krisenregulierungsversuche<br />

Zurpolitischen Invervention sah sieh die Carter-Administration ab 1977 gezwungen,<br />

als zunachst in der Stahlindustrie Massenentlassungen vorgenommen wurden und<br />

sich Ende 1978 eine Liquiditatskrise beim Chrysler-Konzern abzeichnete, die die Arbeitsplatze<br />

von tiber 100000 Beschiiftigten bei Chrysler selbst und weiteren 100000<br />

bei Zulieferern und Handlern bedrohte. In beiden Fallen zeigte sieh die Carter-Administration<br />

zu einer fUr den Fordismus typischen Form der Krisenregulation, niimlich<br />

dem Tripartismus oder auch Neokorporatismus (vgl. Esser u.a. 1983), bereit. 1m FaIle<br />

von Chrysler wurde dieser Weg auch beschritten. Unter der Federftihrnng des Staates,<br />

der zum Uberleben des Konzerns Kreditgarantien stellte, wurden die jeweiligen Anteile<br />

an den Sanierungslasten zwischen den Beteiligten, d.h. Belegschaft, Banken, Zulieferer<br />

etc. ausgehandelt. Dabei konnte gegentiber den Belegschaften nieht nur ein<br />

drastischer Arbeitsplatzabbau durchgesetzt werden, sondern auch die AuBerkraftsetzung<br />

derproduktivitiitsorientierten Tarifprinzipien (vgl. Reieh/Donahue 1985). In der<br />

Stahlindustrie karn es zu der Griindung eines Steel Tripartite Advisory Committee,<br />

aber das Stahlkapital weigerte sieh in einen Austausch mit dem Staat und den Gewerkschaften<br />

zu treten, der tiber Verhandlungen urn protektionistischen MaBnahmen<br />

hinausging. Sogar staatliche Subventionen wurden abgelehnt. Da sieh die Stahlindustrie<br />

zu diesem Zeitpunkt nicht in einer dem Chrysler-Konzern vergleiehbaren akuten<br />

Notlage befand, hatte eine Zusarnmenarbeit mit der Gewerkschaft die weitere Beachtung<br />

der Belegschaftsinteressen bedeutet, das hellit, die Erhaltung eines hohen Beschiiftigungsniveaus<br />

unter weitgehender Beibehaltung der gewohnten Lohnhohe.<br />

Jedes tripartistische Krisenmanagement hatte, wie die Sanierung von Chrysler nahelegt,<br />

zudem die Diversifikationsstrategien der Konzerne in Frage gestellt. Aus der<br />

Sicht des Stahlmanagements bedeutete mithin die Teilnahme an einer tripartistischen<br />

Krisenregulierung die Fortsetzung einer akkomodierenden Politik, die sie als Ursache<br />

ihrer Wettbewerbsschwache ansah. Demgegentiber versprach eine Politik »gegen«<br />

den Staat eine Verbesserung der Verwertungsbedingungen auf dessen Kosten und<br />

gleichzeitig die Freiheit, MaBnahmen zur Schwachung der Gewerkschaften zu ergreifen,<br />

oder, falls diese sieh erfolglos erweisen sollten, einenAusstieg aus der Stahlproduktion<br />

zu vollziehen (Scherrer 1987). Wenngleich nicht mit der selben Nachdriicklichkeit<br />

wie das Stahlmanagement, forderten auch die Konzernleitungen von<br />

General Motors und Ford einen »Rtickzug« des Staates aus der Wirtschaft. Die zweite<br />

OlpreiserhOhungsrunde hatte die produkt- und prozeBtechnischen Versaumnisse<br />

offen zutage treten lassen; die auslandische Konkurrenz verftigte nicht nur tiber den<br />

neuen Bezinpreisen angemessenere Modelle, sondern auch tiber einen Produktionskostenvorteil<br />

von ungefahr $ 2000 pro vergleichbarem Fahrzeug (Altshuler u.a.<br />

1984). Das Automanagement stand somit auch unter Handlungsdruck.


120 Christoph Scherrer<br />

Bruch mit den fordistischen Kegul!atilonst"o!I'll!len<br />

der Zurtickdran-<br />

»KI"Y!leS:larllsl:m~n« Staates eine emstzunehmende zukommen. Die<br />

HvU"'~'u zum Prasidenten der USA drlickte die neue Koalition zwischen<br />

den in den 70er Jahren stark<br />

auBerhalb der fordistinationale<br />

Konkurrenz in<br />

Konzeme. Die au-<br />

Benpolitischen<br />

der Sturz des Schahs und der Somozas sowie der sowjetische<br />

Einmarsch<br />

lieBen schlieBlich das multinational-orientierte<br />

auf einen Hochrtistungskurs und damit in diese neue Koalition einschwenken<br />

(Ferguson!Rogers 1986: 264-269). Auf der Basis einer nationalistischen Demagogie,<br />

demAnknlipfen an die ideologische Tradition des Individualismus und dem Versprechen,<br />

die Steuerlast zu reduzieren, ohne wesentliche Programme des Wohlfahrtsstaates<br />

zu streichen, gelang es diesem kapitalfraktionellen realignment, subalteme<br />

Schichten bis in die Arbeiterklasse hinein flir ein Programm der Zurticknahme<br />

staatlicher Zustandigkeit flir einzelne Marktergebnisse zu gewinnen. Diesem Projekt<br />

kam die mangelnde institutionelle Verankerung der Arbeiterschaft und anderer subaltemer<br />

Interessen in den politischen Herrschaftsapparaten sowie ihre geringe politische<br />

Koharenz und Organisationsfiihigkeit entgegen (Kuttner 1986). Somit konnten<br />

die VertreterInnen dieser Gruppen rasch aus dem Staatsapparat entfemt werden, so<br />

daB in der monetaristisch-induzierten Rezession von 1981/82 Forderungen nach einer<br />

Vollbeschaftigungspolitik oder MaBnahmen zur Abfederung des Strukturbruches<br />

weitgehend zurtickgewiesen werden konnten.<br />

Diese staatliche Abstinenzreichte auch ohne<br />

Initiativen zur Einschran"<br />

der<br />

Krafteverhaltnisse in beiden Branchen zu errl1O~;llc:nelll. Denn ohne die Durchset-<br />

IJV'.U",'-'" die ,,-aIJjL'UWU~'~j"'H<br />

se verschaffte namlich den integrierten Stahlhiitten als Ersatz einer raumlichen Kasie<br />

starker von den Autokonzernen<br />

die<br />

der<br />

zwischen einzelnen Betriebsstellen<br />

UH5V,.HvU",U direkten<br />

in der Stahlindustrie<br />

und der<br />

wurden namlich die emlzeme:n<br />

entweder traditionelle Schutzrechte aU'Lui5'-'L''-'U<br />

Belegschaft zu verlieren, die zu solchen<br />

mit Hinweisen<br />

Investitionsressourcen und den Verlage-


D_I_'e_U_S_~_u_to_-_u_n_d_S_w_hl_in_d_u_st_ri_e_au~if_d_er_S_u_c_he_n_a_c_h_d_ern __ G_o_~_en_e_n_V_lz_'es _________________ 121<br />

SV'''V>H'''H~'_H''.''''''fJ"C;lC;l1 der Belegschaften durch das Verhalten der Gewerkschaftsdie<br />

diese Taktik duldete. Die noch in den 70er J ahren besonders in der Stahlindustrie<br />

breite<br />

sich nicht in<br />

der Lage, in ausreichendem MaBe eine zu Einerseits war<br />

die<br />

Militanz in den drei J ahrzehnten langen Auseinandersetzungen mit<br />

dem Management und zermiirbt andererseits hatten<br />

sich ihre auf die und das AusmaB der<br />

,",wcU".5«LJULJ!5 beschrlinkt und nicht das "'''JJH''H''H'''~H''' AUlsb,eutun:gssysl:em<br />

ches in Frage gestellt. Den<br />

die der »Logik« des Marktes entsprangen,<br />

konnten sie auf dieser<br />

entgegensetzen (vgl.<br />

Jefferys 1986). Dariiber hinaus wirkte ihre Orientierung am Status Quo angesichts der<br />

breiten Koalition von Beftirwortem einer Transformation der bisherigen betrieblichen<br />

Austauschlogik, die von der akademischen Wissenschaft bis hin zur Gewerkschaftsftihrung<br />

reichte, und der auch erfahrbaren Uberlegenheit des japanischen<br />

Produktionssystems innerhalb der Belegschaften nur begrenzt iiberzeugend.<br />

Die »rationale« Tyrannei der KapitalmobiliUit stieB jedoch auch an Grenzen. An nicht<br />

eingehaltenen Versprechungen und groben VerstoBen gegeniiber traditionellen<br />

Grundsatzen entziindeten sich immer wieder Pro teste, die dann von der Fiihrung<br />

mitgetragen wurden, wenn ihr iibergreifendes Konzept zur Sicherung des Organisationsbestandes<br />

gefiihrdet erschien. Neben der erfolgreichen Abwehr der Southern<br />

Strategy, konnte beispielsweise die USW durch einen langen Streik gegen Wheeling­<br />

Pittsburgh die einseitige Aufkiindigung des Tarifvertrages durch den Konkursrichter<br />

verhindem (Rusen 1987). Ein sechs Monate andauemder Streik gegen den Stahlkonzem<br />

USX hielt diesen von iiberdurchschnittlichen Lohnkiirzungen ab und zwang<br />

das AusmaB der von Auftragen zu reduzieren 1987). Die<br />

schaft des GM-Werkes in Van Kalifomien, konnte durch eine mit<br />

den sozialen Bewegungen<br />

die vargesehene<br />

SchlieBung ihres Werkes abwenden 1988). Die in diesenAuseinandersetzungen<br />

errungenen<br />

neben der Fiihigkeit zum kollektiven<br />

HU''''',"'"'', aus dem daB selbst in der Krise der des solange<br />

es sich in diesen Branchen stofflich, wenn auch auf reduzierter Basis verwerten<br />

wollte, nicht grenzenlos war. Aufgrund der bestehenden Pensionsverpflichtungen<br />

war auch cler Marktaustritt mit hohen Kosten verbunden. Modernisierte Werke, die<br />

gute Autokonjunktur, die Vorteile einer marktnahen<br />

die groBere Storan-<br />

Risiken bei einer der Produk -<br />

p,",,,rU'n"'1pn nicht sofort re~)ro,du;~le]rba.ren<br />

die die Gewerkschaften ausnutzen konnten.<br />

Diese, in den letzten Jahren zunehmende Gegenwehr, aber auch die eindrucksvollen<br />

Erfahrungen mit NUMMI, dem Gemeinschaftswerk von Toyota und GM (siehe unten),<br />

haben einen zweitenAbschnitt in der Abkehr von den fordistischen Regulations-


122 Christoph Scherrer<br />

formen eingeleitet,<br />

der Arbeits­<br />

Vl~;alJll"'lW_1ll und nicht nur des Abbaus bisheriger Rechte. Das neue Schlagwort def<br />

industriellen Beziehungen in den USA ist das<br />

Bei NUMMI bedeutet<br />

das<br />

daB die Belegschaft in Kleingruppen von 4 bis 8 ArbeiterInnen unterteilt<br />

wobei diese jeweils von einer/m Teamleaderln werden, die<br />

einen Teil der ehemaligen Aufgaben der Aufsichtspersonen ausftihren. Flir die ProduktionsarbeiterInnen<br />

bestehen keine job classifications. Stattdessen werden die<br />

Teammitglieder angehalten, aIle Arbeitsausfiihrungen zu erlernen. hahere<br />

""1'".,.,,,,rl der kuram<br />

auszufiihren sind. In der Tat sind die individuellen<br />

ger als in herkommlichen Werken, da die ArbeiterInnen bei jedem Arbeitszyklus die<br />

Arbeitsschritte exakt wiederholen miissen (Chethik 1987). Verbesserungen an der Arbeitsmethode<br />

konnen nicht individuell vorgenommen, sondern mlissen bei den Teambesprechungen<br />

am Ende der Schicht eingebracht werden. Experimenteller Spielraum<br />

besteht eigentlich nur in der Anlaufzeit eines neuen Modells. Dann kann auch die<br />

Schnur zum Anhalten des Bandes gezogen werden. Sind jedoch die einzelnen Arbeitsschritte<br />

definiert und miteinander abgestimmt, dann soUte es tunlichst vermieden<br />

werden, das Band anzuhalten, auch wenn die vorgegebene Taktzeit nicht eingehalten<br />

werden kann. Die Aufgabenintegration bezieht sich bloB auf eine begrenzte Qualitatskontrolle<br />

und leichte Aufraumarbeiten am Ende der Schicht. Wenn ein Fehler entdeckt<br />

wird, so wird dieser von denen behoben, die fUr ihn verantwortlich waren, und<br />

zwar zumeist in den Reparaturbuchten.<br />

Die Gewerkschaft verftigt lediglich tiber Informationsrechte. Die Vertrauensleute<br />

mlissen ihre Vertretungsarbeit in den Pausen ausfiihren. Gegen Produktionsstandards<br />

kann nicht mehr gestreikt werden. Insgesamt sind bei NUMMI die Belohnungsund<br />

Sanktionsspielraume gegeniiber herkommlichen GM -Werken stark vergroBert<br />

worden, und zwar vor aHem durch die Moglichkeit, teamleader auszuwahlen, die wiederum<br />

ihren Teammitgliedern Arbeitspliitze zuweisen konnen. Der die persanlichen<br />

Fehlzeiten zu minimieren, der allein schon dadurch entsteht, daB der Teamleader<br />

und nicht jemand aus einem allgemeinen Springerpool die Arbeit wahrend der<br />

Abwesenheit iibernimmt, wird durch ein striktes Absentismuskontrollprogramm zusatzlich<br />

verscharft (Parker/Slaughter 1988: 100-122). Mit diversen Abanderungen<br />

scheinen die Autokonzerne ein solches Teamkonzept auch in ihren anderen Werken<br />

einfiihren zu wollen (Ibid). Selbst in der Stahlindustrie sind Bemlihungen in<br />

gekommen, mit teamorientierten Arbeitsorganisationen zu expelimentieren.<br />

Unges:i.cillerlte .. ,,'Ji' .. !'.HHJiU .... del" neuen Kegullatilonst"o,rwlen<br />

Eine Analyse der Reproduktionsfiihigkeit der bisher erreichten Veranderungen im<br />

Regulationsgeflecht beider Branchen muB berlicksichtigen, daB sich verschiedene<br />

Produktionskonzepte und Regulationsformen des Lohnverhaltnisses andeuten. Sie


Die US-Auto- und Stahlindustrie aUf der Suche /lach dem Goldenen Vlies 123<br />

»rigide<br />

sowie<br />

und andererseits in die Modelle USX, Saturn und NUMMI als Redes<br />

Lohnverhaltnisses.<br />

Die Regulationsformen des Lohnverhaltnisses unterscheiden sich hinsichtlich dem<br />

AusmaB der Vericinderung und der<br />

der Gewel'kschaft: die partizipative<br />

Einbindung der Gewel'kschaften und del' Belegschaften in ein team-orientiertes Arbeitseinsatzkonzept<br />

die autoritare gewerkschaftlicher<br />

Schutzrechte ohne neue Arbeitseinsatzfonnen<br />

und<br />

gewissennaBen als<br />

mit einer untergeordneten Rolle fUr die Gewerkschaften \1" ULt·""<br />

schiedenen Modelle einen jedoch folgende Ziele:<br />

Reduzierung oder Beseitigung der job classifications und demarcations<br />

des Geltungsbereichs der Senioritatsregeln, insbesondere bei der<br />

Neue Aufgaben fUr das AufsichtspersonaL<br />

Verpflichtung der einzelnen ArbeiterInnen, zur erhOhten Effiziens beizutragen.<br />

Ausweitung der Belohnungs- und Sanktionsmoglichkeiten zur Reduzierung von<br />

Fehlzeiten.<br />

Die Strategie der »ErschOpfung des Kapitalstocks« wird vomehmlich in der Stahlindustrie<br />

verfolgt. Sie bedeutet das »Fahren« der Anlagen bis zu ihrer physischen Erschopfung,<br />

wobei nur die notwendigsten Erneuerungs- und Instandhaltungsinvestitionen<br />

vorgenommen werden. Damit einhergehend werden meistens die bisherigen<br />

gewerkschaftlichen Schutzrechte einseitig aufgektindigt, wobei hier der Stahlkonzem<br />

USX am weitesten ging. Bei einem um fast die Halfte niedrigeren Investitionsvolumen<br />

(1980-85 vs 19<strong>74</strong>-79), konnten wesentlich hOhere ProduktivWitszuwachse<br />

erzielt werden, namlich durchschnittlich pro Jahr v.H. (statt 1,4 GemaB<br />

einer Studie von Thomas DuBois (1985) tiber die Stahlindustrie im Nordwesten von<br />

Indiana, dem heutigen Stahlzentrum der USA, haben neue Produktionsanlagen nur zu<br />

6,5 v.H. zum Produktivitatswachstum beigetragen. Als wesentlich bedeutsamer erwiesen<br />

sich Veranderungen in der Produktpalette (17,7 v.H.), die Erh6hung der<br />

Fremdvergabe (20,8 die Stillegung alter Anlagen (23,3 v.H.) und die Intensivierung<br />

der Al'beit (31,6 v.H.). So sollen 1986 die US-Htitten, trotz alteren Kapitalstocks,<br />

10 das Produktivitatsniveau der japanischen Hiitten fast erreicht haben (USITC<br />

1987: 16). Langerfristigjedoch gewahrleistet die Kombination aus »ErschOpfung des<br />

Kapitalstocks« und dem Modell USX nur dann die Reproduktion del' US-Stahlindustrie,<br />

wenn del' cash-flow aus diesen mittelfristig einer SchlieBung zuzuftihrenden<br />

Betriebsteile fUr die Modemisierung der Kemproduktionsstatten genutzt<br />

wird. Neben ihrer »nattirlichen« Grenze, namlich der Ersch6pfung alIer Kapazitaten,<br />

stehen dieser Strategie die hohen stillegungsbedingten PensionsrUckstellungen entgegen.<br />

Fur eine noch bl'eitere Anwendung dieser Strategie bedarf es deshalb einer<br />

Sozialisierung der Altersversicherung. Dariiber hinaus schlieBt diese Strategie die<br />

Moglichkeit aus, Konkurrenzvorteile durch technologische Vorsprunge zu erzielen.


124 Scherrer<br />

,:ro"()rh"l~pn von auslandischen Technikem<br />

In den Kleinstahlwerken hat sich ein<br />

Ie Arbeitsvertrage Die Mini-Mills konnten ihren Anteil an der i',v'>UIJLHI.-"<br />

0.cnUIJIVUWU"-'H von 3. v.H. im Jahre 1960 auf 21 v.H. im Jahre 1985 erh6hen. Die<br />

der Kleinstahlwerke<br />

erwiesen ~'~H" __ ~'_H<br />

n-n,p.nT',p".r


Die US-Auto- und Stahlindustrie auf der Suche nach dem Goldenen Vlies 125<br />

blem wird durch die Auslagerung der Produktionsvorstufen noch akzentuiert. Es kann<br />

aber nicht ausgeschlossen werden, daB die zwar mittelfristig weniger erfolgreiche,<br />

kapital- und forschungsaufwendige Strategie von General Motors, sich langfristig<br />

gegentiber dem Minirnalinvestitionsverhalten von Chrysler als tiberlegen erweist. 12<br />

Eine bessere Kapazitiitsauslastung hatte bereits 1987 den Gewinn von GM deutlich<br />

erhOht.<br />

Das Produktionskonzept »majJvolle Automatisierung« beinhaltet einen partiellen Zugriff<br />

auf das Produzentenwissen, das auf der Grundlage der tayloristischen Trennung<br />

von Konzeption und Ausftihrung kontinuierlich in die Steuerung des Produktionsablaufes<br />

.einflieBt. Dabei wird auch eine betriebstibergreifende, systemische Integration<br />

des gesamten Produktionsprozesses angestrebt. Eine Anwendung findet dieses Konzept<br />

bei NUMMI, sowie in den anderen Direktinvestitionen japanischer Hersteller.<br />

Soweit die japanischen Konzerne zusammen mit einem US-amerikanischen Partner<br />

diese Werke leiten (Mazda, Mitsubishi), gilt flir den Bereich des Personaleinsatzes das<br />

Teamkonzept mit einer untergeordneten Rolle ffir die Gewerkschaften, also das<br />

Modell NUMMI. In den allein geftihrten Werken konnte bisher die UA W fern gehalten<br />

werden (Honda, Nissan).<br />

Dieses und andere Werke japanischer Hersteller in den USA weisen eine deutlich hohere<br />

Arbeitsproduktivitat und Verarbeitungsqualitat als vergleichbare traditionelle<br />

US-Werke aus (Krafcik 1986). Die hohe Effizienz verdankt sich zwar im wesentlichen<br />

dem Toyota Produktionskonzept (incl. »lagerlose« Fertigung), jedoch dOOten,<br />

gemaB Daniel Luria, aufgrund der weniger restriktiven industriellen Beziehungen<br />

Kosteneinsparungen gegentiber einem traditionellen GM-Werk in Hohe von $ 70 bis<br />

$ 100 pro Fahrzeug angefallen sein (197: 20). GleichzeitigfanddasNUMMI-Konzept<br />

Anerkennung bei den Beschaftigten, vor allem bei den born-again workers, die von<br />

den Entbehrungen jahrerlanger Arbeitslosigkeit gezeichnet waren. Trotz hOherer Arbeitsbelastung<br />

wollen diese Beschaftigten den NUMMI-Arbeitsplatz nicht gegen<br />

einen in einem anderen GM-Werk tauschen. Kritik entztindete sich eher daran, daB die<br />

Betriebsleitung nicht immer gemaB der selbst verktindeten Unternehmensphilosophie<br />

handelt. Zugunsten hOherer Produktionsziffern kam es auch bei NUMMI vor,<br />

daB sich die defekten Autos in den Reparaturbuchten ttirmten und wegen Oberbeanspruchung<br />

die Teambesprechungen ausfielen (Chethik 1987).<br />

Gegentiber der Strategie der »extremen Automatisierung« verspricht die »mafivolle<br />

Automatisierung« aufgrund einer geringeren Kapitalbindung eine groBere Anpassungsfahigkeit<br />

an produktspezifische und volumensmaBige Absatzveranderungen.<br />

Ihr Erfolg hangt jedoch von der Kooperationsbereitschaft der Beschaftigten und der<br />

Zulieferer abo Diese Bereitschaft kann langerfristig nicht nur durch negative Sanktionen<br />

erzeugt werden, sondern bedarf gewisser Gegenleistungen in Form von Beschaftigungs-<br />

und Auftragsgarantien. Der verscharfte Konkurrenzkampf, der distributive<br />

Ziele vorrangig werden laBt, die Ausweichmoglichkeiten auf andere Standorte sowie<br />

Verwertungsfelder und die Dominanz der kurzfristig-orientierten Kapitalmarkte<br />

(siehe unten) stellen strukturelle Hindernisse ffir solche vertrauensbildende MaBnahmen<br />

dar.


126 Christoph Scherrer<br />

Sowohl die extreme als auch die moderate<br />

lieGe sich mit<br />

dem Modell Saturn<br />

das im Unterschied zum Modell NUMMI der Gewerkschaft<br />

starkere einraumt Marcello<br />

Das Saturn-Werk von General Motors befindet sich<br />

noch im Aufbau.<br />

Dem Modell Saturn Mltbt~stlmrnUl1g,;re(;hte konnte die USW beim<br />

98Uigigen Streik und im Gegenzug zu<br />

erheblichen durchsetzen. Die bisherige daB<br />

das Management noch nicht bereit ist,<br />

ritatischen Kommissionen zu diskutieren<br />

Austauschformen<br />

Die Reproduktionsfahigkeit der jeweiligen<br />

von der<br />

der mit ihnen verbundenen ;:"\..'bUHU1Vl,1~HJ'<br />

men des Lohnverhaltnisses abo Von den drei richtungsweisenden Konzepten ist das<br />

Mode II Saturn am wenigsten in die vorherrschenden Regulationsformen und Krafteverhaltnisse<br />

eingebettet. Die mangelnde gesetzlicheAbsicherung partizipativer Austauschformen<br />

wiegt angesichts des fehlenden gesellschaftlichen Konsensus urn so<br />

schwerer (vgl. Heckscher 1988: 134-136). Auch ist die Gewerkschaftsbewegung zu<br />

schwach, urn solche Mitspracherechte dem Kapital abtrotzen zu konnen. 13 Zwar<br />

verspricht das Modell Saturn flexible Reaktionsmoglichkeiten auf veranderte Marktbedingungen,<br />

aber es beinhaltet auch einige Verpflichtungen, wie beispielsweise<br />

Standorterhaltung und Beschaftigungssicherheit filr eine Kernbelegschaft, die die<br />

Optionen des Managements filr einen Ausstieg aus der jeweiligen Produktion beschriinken.<br />

Ahnlich wie der in den 70er Jahren ausgehandelte Streikverzicht in der<br />

Stahlindustrie, konnte sich das Modell Saturn zu einem spateren Zeitpunkt, angesichts<br />

der unsicheren Konkurrenzbedingungen, als ein zu hoher Preis flir das Ziel<br />

erhohter Flexibilitat im Personaleinsatz herausstellen. So verminderte sich denn auch<br />

das Interesse des Managements an Saturn in dem MaBe, wie durch NUMMI bewiesen<br />

wurde, daB eine hohe Leistungsbereitschaft auch mit geringeren Zugestandnissen an<br />

die Gewerkschaft erzielt werden kann. Ursprtinglich mit viel Medieneinsatz angektindigt,<br />

sollte das Saturn-Projekt einen Neuanfang der US-Kleinwagenherstellung.<br />

markieren. Versprochen wurde eine Jahresproduktion von 500000 Fahrzeugen und<br />

eine hohe Fertigungstiefe. Mitte 1988 wurde nur noch eine Jahresproduktion von<br />

150000 Mittelklassefahrzeugen anvisiert, und es soIl in einem erheblichen MaBe auf<br />

Zulieferbetriebe zuriickgegriffen werden, scheinbar vor aHem auf Betriebe unter europaischer<br />

Leitung (Andrea u.a. 1988: 9). Die Kleinwagenproduktion wurde stattdessen<br />

den japanischen und koreanischen Partnern iiberlassen.<br />

Wahrend eine rein autoritare Gestaltung der industriellen Beziehungen durchaus mit<br />

den gesetzlichen Rahmenbedingungen und den gesellschaftlichen Krafteverhaltnissen<br />

kompatibel ist, so erwies sie sich bisher sowohl hinsichtlich des konkreten Krafteverhaltnisses<br />

in beiden Branchen als auch beztiglich der anvisierten Arbeitsorganisa-


Die US-Auto- und Stahlindustrie auf der Suche nach dem Goldenen Vlies 127<br />

tion als problematisch. Bei allzu krassen<br />

des Tarifvertrages und der bisherigenAustauschlogik<br />

zeigten sich die GewerkschaftsfUhrungen, ebenso wie einzelne<br />

konfliktbereit und konnten zumindest eine teilweise Zurlicknahme der<br />

MaBnahmen erzwingen (siehe oben).<br />

GroBere unternehmerische Freiheit und eine Reduzierung kollektiv ausgetragener<br />

Arbeitskonflikte<br />

das Modell NUMMI. Voraussetzung fUr die passive<br />

Duldung dieses seitens der Beschaftigten scheint allerdings zu daB<br />

das Management seine eigenen Grundsatze<br />

einhalt und ingenieufsmaBig<br />

in der den Produktionsablauf Desweidieses<br />

Modells<br />

abo Da<br />

,-r'.'-V'.'''~d'H_, im zu den japanischen Neuansiedlungen, das<br />

kationsprofil nicht durch eine sorgfaltige Personalauslese der einzelnen Belegschaften<br />

gunstig beeinflussen konnen, sind sie darauf angewiesen, ihre Beschaftigten<br />

durch Fortbildungsseminare in der gewunschten Weise zu schulen. Wenig k01TIPatlbel<br />

mit solchen Bemuhungen erweisen sich dabei einerseits die fehlenden industriepolitischen<br />

Planungskompetenzen des Staates und andererseits wiederum die erhohte<br />

Macht der Kapitalmarkte und ihre kurzfristige Gewinnorientierung. Bisher fand dementsprechend<br />

in der Stahlindustrie keine betriebliche Weiterbildungsoffensive statt,<br />

und auch in der Autoindustrie blieben die tatsachlich durchgefUhrten MaBnahmen<br />

weit hinter den Ankundigungen wruck (vgl. Lee 1988: 96).<br />

Die makro-okonomischen Effekte der verschiedenen Madelle zur Regulation des<br />

Lohnverhaltnisses ergeben sich aus dem ihnen gemeinsamen Versuch, einen wachsenden<br />

Anteil des Lohnes an den Unternehmensgewinn zu koppeln.14 Dies konnte<br />

sich in zweierlei Hinsicht negativ auf den gesamten Wirtschaftskreislauf und damit<br />

flir die Stabilitat eines Akkumulationsregimes auswirken. Zum einen konnen von<br />

einer gewinnorientierten Lohnpolitik Destabilisierungseffekte ausgehen. Ein Ruckgang<br />

der Unternehmergewinne wtirde automatisch eine Verminderung der Reallohne<br />

ausli:isen, die wiederum einen N achfrageausfall bedingen und somit eine Rezessionseinleiten<br />

k6nnten. Einer solchen Entwicklung konnte allerdings durch eine<br />

Finanz- und<br />

werden. Zum anderen besteht<br />

die Gefahr eines strukturellen N achfrageausfalles aufgrund dessen, daB die Lohne<br />

nicht mehr automatisch<br />

mit dem Produktivitatswachstum Schritt<br />

halten. 15 Eine Reihe von Mechanismen konnen jedoch verhindern, daB eine solche<br />

htrage~1ti(;ke entsteht. Erstens kann<br />

so daB<br />

zuruck gedrangt werden. Zweitens konnen die Produktivitatsgewinne<br />

uber sinkende Preise<br />

werden. Drittens konnen Kapitalinvestitionen<br />

eine sinkende Nachfrage der privaten Haushalte<br />

Und schlieBlich kann<br />

ein vermindertes reales Einkommen durch die<br />

des Staates und der<br />

vaten Haushalte kompensiert werden.<br />

Die bisherige daB alle wr<br />

Wirkung kamen, wobei die Zunahme der offentlichen und privaten Verschuldung<br />

wahl am starksten einem kumulativen Nachfrageausfall entgegenwirkte. 16 Importub:stltutJonspl-ozesE;e<br />

konnten pmtiell fUr die Kleinstahlwerke beobachtet werden


128 Christoph Scherrer<br />

(Markusen 1985: 161). Die anderen Konzeme verteidigten bisher hochstens den Status-Quo<br />

gegeniiber den auslandischen Herstellem. Die weitere Entwicklung hangt<br />

nicht zuletzt yom Dollarkurs abo In der Stahlindustrie sind die Produktivitatsgewinne<br />

in Form sinkender Preise weitergegeben worden; in der Autoindustrie jedoch<br />

kaum. 17 Eine deutliche Erhohung des realen Investitionsvolumens fand in der Autoindustrie<br />

statt. In Relation zu den angehiiuften Verlusten fielen auch in der Stahlindustrie<br />

die Investitionen relativ hoch aus. Von daher ist aus der Sicht beider Branchen<br />

eine Reproduktion auf der Basis einer gewinnorientierten Lohnpolitik denkbar,<br />

'3:l1erdings biMler~nur- UIiterder Annahmeweiterer Verschuldungsmoglichkeiten der<br />

privaten __ Haushalte und_des _Staates.<br />

Almlich ungewiB sind die Folgenwirkungen der neuen Wirtschaftspolitik. Abgesehen<br />

davon, daB die Reaganomics dem programmatischenAnspruch, staatliche Politik auf<br />

die Sicherung der Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation zu reduzieren,<br />

nicht gerecht geworden sind, stellen die weiterhin gewahrten sektoralen Sonderbegiinstigungen<br />

keine planvolle Strukturpolitik dar. IS Sie richten sich vielmehr nach<br />

den kurzfristigen Profitinteressen des Kapitals und belassen diesem groBtmogliche<br />

Entscheidungsspielraume. Durch diese steuerungspolitsche Abstinenz werden automatisch<br />

kurzfristig orientierte Kapitalstrategien begiinstigt. Und zwar einerseits dadurch,<br />

daB die Kosten langfristiger Investitionen (z.B. Berufsausbildung) nur mangelhaft<br />

sozialisiert werden. Andererseits kann angenommen werden, daB, wenn den<br />

Untemehmen eine groBe Entscheidungsfreiheit gelassen wird, sie sich fUr die kurzfristigeren<br />

und somit sichererenAltemativen entscheiden. Dies wird besonders an der<br />

Reagan'schen Energiepolitik deutlich, wie den Autokonzemen den Verkauf groBvolumiger,<br />

profittrachtiger Fahrzeuge erlaubte. 19 Eine neuerliche Verknappung des<br />

RohOlangebots konnte deshalb aufgrund der nur ungeniigend vorgenommenen Umstellung<br />

auf benzinsparende Modelle lihnliche Schockwirkungen wie 19<strong>74</strong> und 1979<br />

bewirken.<br />

Ironischerweise fiihrte zudem die Politik der Ausweitung kapitalistischer Herrschaftsraume<br />

zu einem Autonomieverlust des Managements gegeniiber den Kapitalmlirkten.<br />

Die Entwicklung eines Kapitalmarktes fUr risikoreiche Schuldverschreibungen hat<br />

selbst die groBten Konzeme zu p6tentiellen Zielen »feindlicher« Ubemahmemanover<br />

werden lassen (Lee 1988: 193). Zur bisher erfolgreichenAbwehr so1cher Ubemahrnen<br />

muBte das Auto- und Stahlmanagement darauf achten, daB Investitionen, die sich erst<br />

langerfristig auszahlen, nicht zu sehr die momentane Gewinnlage belasten, und es muBte<br />

Banken undinstitutionelleAnleger laufend von derTragfahigkeit seiner Uniemehmensstrategien<br />

iiberzeugen. Reaganomics begiinstigen somit eher diejenigen Produktionsparadigmen<br />

undRegulationsformen des Lohnverhliltnisses, die nicht auf eine langfristige<br />

Orientierung angewiesen sind.<br />

Als Resume dieser Komatibilitatsiiberlegungen kann festgehalten werden, daBAkkumulationsstrategien,<br />

die auf eine langfristig angelegte l\:ooperationsbereitschaft angewiesen<br />

sind, nur ungeniigend von den bisher entwickelten Formen der Regulation<br />

der Konkurrenz, des politischen Austauschs und der Kapital-Allokation abgesichert<br />

sind. Von diesen Strategien erscheint noch am wahrscheinlichsten das NUMMI-


Die US-Auto- und Stah/industrie auf der Suche nach dem Goldenen Vlies 129<br />

wobei auch flir dieses die n,"~lHlil ..":UlUlH<br />

mit anderen '''''J'"uaUV'H~lVl<br />

noch nicht "'~"~~Hv'<br />

UH5'-"U'-'U"'U Stand der Krafteverhaltnis­<br />

,"Ul~'lJ'"auf eineex-<br />

!-'VH",,,,,,Hv und soziale<br />

Der hier verwendete Begriffsapparat ist der franzosischen Regulationsschule entlehnt (vgl. Lipietz<br />

1985). EinAkkumulationsregime ist ein dynamisch konzipieltes Reproduktionsschema, das Veranderungen<br />

sowohl der Produktionsbedingungen als auch in den Bedingungen des Endverbrauchs mitberiicksichtigt.<br />

Eine Akkumulationsstrategie ist die spezifisehe Art und Weise wie einzelne Kapitalien<br />

ihre Akkumulation betreiben (Produktionsorganisation, Marktverhalten ets.). Innerhalb eines Akkumulationsregimes<br />

konnen unterschiedliehe Akkumulationsstrategien neben einander existieren. Regulationsformen<br />

sind Praktiken und Institutionen mit einem »regelmaBigen« Charakter. Eine Regulationsweise<br />

stellt die Gesamtheit aner Regulationsformen dar, die die Vereinbarkeit von Verhaltensweisen<br />

innerhalb eines spezifisehen Akkumulationsregimes siehert.<br />

2 Hinsichtlich des Begriffes Fordismus besteht eine gewisse Konfusion. Selbst Aglietta verwendet diesen<br />

Begriff einmal industrie-soziologisch, namlich als Methode (vor allem durch das FlieBband) zur<br />

Bestimmung des Arbeitsrhythmus und der Arbeitsgeschwindigkeit und einmal makrookonomisch.<br />

Hier soli Fordismus nur als Bezeichnung fUr ein Vergesellschaftungsmodell dienen.<br />

3 Taylorismus beinhaltet die Rationalisierung der Produktion auf der Grundlage einer feinstgliedrigen<br />

Arbeitsteilung und einer definitiven Trennung verschiedener Funktionsbereiche (insbesondere Leitung<br />

versus AusfUhrung).<br />

4 Hatte sich die Lohnentwicklung strikt an diese zwei Regeln orientiert, dann hatte def durchschnittliche<br />

Stundenlohn 1981 $ 11,11 betragen sollen. Tatsachlieh lag er 1981 nicht weit davon entfemt, namlich<br />

bei $ 11,45 (Katz 1985: 20).<br />

5 Dieser Ausdruck vermittelt namlich den falschen Eindruck von »craft control« (fachliche, handwerkliche<br />

Kontrolle tiber den ArbeitsprozeB) oder »workers' control« (Arbeitermacht; vgl. Jefferys 1986:<br />

14). Was alsjob control bezeichnet wird, hat sich hauptsachlich in solchen Industrien durchgesetzt,<br />

in denen die Facharbeiter Hingst nicht mehr den ArbeitsprozeB selbst bestimmten, und in denen die<br />

l10eh in der Bauindustrie wei! verbreitete Kontrolle liber den Arbeitsmark! dureh Zutrittsbeschrankung<br />

nicht mehr griff. Gegen eine Charakterisierung def Verhaltensweisen von def UAW und der<br />

USW als job control unionsm spricht auch die Tatsache, daB in dem MaBe wie die informelle Kontrolle<br />

der Lohnabhangigen liber den ArbeitsprozeB, also etwa Taktzeiten und Besetzungsregeln, abgebaut<br />

wurden, die hier gemeiutenjob controls an Bedeutung gewannen (Dohse 1979: 143).<br />

6 GemaB Robert Crandall wiesen die Auto- und Lastwagenhersteller im Zeitraum von 1947 bis 1965<br />

eine durchschnittliche Kapitalrentabilitat von 20,2 v.H. aus, wahrend die Teilehersteller nur 13 ,8 v.H.<br />

vorweisen konnten (1968: 63-67).<br />

7 1m Zeitraum von 1964 bis 1967 wurden die Investitionskosten fiir eine zusatz!iche Tonne Rohstahlkapazitat<br />

in Japan auf $ 85, in def BRD auf $ 218 und in den USA auf $ 399 beziffert (Thorn 1975:<br />

8).<br />

8 Der Anteil der Automobi1beschiiftigung in den Slidstaaten und den Mountain-Staaten an def gesamten<br />

Beschaftigung in der US-Automobilindustrie erhohte sich zwischen 1973 und 1980 urn 50 v.H.<br />

(berechnet anhand MVMA 1981, 19<strong>74</strong>).


130 Christoph Scherrer'<br />

9 1m Siiden gingen im allgemeinen viele Anerkennungswahlen deshalb verloren, weil die Untemehmensseite<br />

mit legalen und illegalen Methoden versuchte, die Belegschaften einzuschiichtern (Goldfled<br />

1987).<br />

10 So lag 1987 der Ausstattungsgrad der US-Hiitten mit dem modernen StrangguBverfahren nur bei 58,8<br />

v.H. gegeniiber 93,3 v.H. in Japan (Iron & Steelmaking Juli 1988: 8).<br />

11 GemiiB einem Mitarbeiter des Stahlverbandes (AISI) sei die Gruppe der Stahlforscher so klein<br />

geworden, daB sie nur noch versuchen k5nnen, den Stand der japanischen Forschung zu verfolgen und<br />

deren Entwicklungen zu erklaren.<br />

12 Es gelang Chrysler zwar, auf der Basis eines Fahrzeugrahmens (K car) acht unterschiedliche Fahrzeugtypen<br />

zu entwickeln, die sich optisch starker unterschieden als viele GM-Modelle, aber mittlerweile<br />

wurde die veraltete Grundkonstruktion von den Konsumenten bemerkt. Mit einem neuen<br />

Rahmen kann nicht vor 1992 gerechnet werden, ebenso wird ein neuer Motor erst Ende 1989 erhiiltlich<br />

sein (Taylor 1988).<br />

13 Vor dem Hintergrund der bisherigen Schutzrechte hat die Gewerkschaftslinke berechtigterweise<br />

Saturn kritisiert (vgl. Meyer 1986). Gegeniiber den Alternativen USX und NUMMI bietet Saturn der<br />

Gewerkschaft allerdings wesentlich mehr Mitspracherechte.<br />

14 Einen hohen Anteil des Gesamtjahreslohnes nimmt die Gewinnbeteiligung bei einigen nicht-gewerkschaftlich<br />

organisierten Kleinstahlwerken ein; in der Autoindustrie und bei den integrierten Hiittenwerken<br />

iibersteigt sie selbst bei den profltabelsten Unternehmen zur Zeit nicht einen Anteil von 10<br />

v.H ..<br />

15 Wiihrend sich in der Autoindustrie die realen Lohnkosten nach dem Kriseneinschnitt wiederum gemiiB<br />

den Produktivitiiszuwiichsen entwickelten, wurden in der Stahlindustrie die Beschiiftigen nicht<br />

mehr am Produktivitiitswachstum beteiligt (siehe Schaubild 2).<br />

16 Der Anteil der 5ffentlichen Schulden am BSP stieg von 34,2 v.H. im Jahre 1980 auf 53.7 v.H. im Jahre<br />

1987. Der Anteil der Konsumentenkredite am pers5nlich verfiigbaren Einkommen wuchs von 18,4<br />

v.H. auf 23,6 v.H. an (Statistical Abstract 1988: 291, 481).<br />

17 Die Stahlpreise stiegen von 1981 bis 1986 urn nur 5 v.H. (USITC 1987: 49) und die Arbeitsproduktivitiit<br />

urn 26,7 v.H .. In der Autoindustrie sind die Preise eines durchschnittlichen PKW's urn 22 v.H.<br />

erh5ht worden (berechnet anhand MVMA 1988: 40), wiihrend die Produktivitiitszuwiichse 32,4 v.H.<br />

betrugen.<br />

18 Beide Industrien kamen in den GenuB von Importbeschriinkungen (Hufbauer u.a. 1986: 172,257),<br />

von Riistungsauftriigen (von 1980 bis 1985 stieg der Anteil des Riistungsgeschiiftes am Gesamtumsatz<br />

von 6 v.H. auf 12 v.H. in der Stahlindustrie; Henry/Oliver 1987: 3,6) und dem Aufschub von<br />

Auflagen beziiglich Produktsicherheit, Umweltschutz und Energieverbrauch (Goodman/Wrightson<br />

1987). Die Autoindustrie profitierte zusiitzlich bei Werksneubauten von hohen einzelstaatlichen Subventionen<br />

(LeRoy 1985). Die Stahlindustrie konnte Ubergangsregelungen bei den Steuerreformen<br />

durchsetzen, die ihr Einsparungen in Milliardenh5he brachten (CBO 1987: 15-20). Die staatliche<br />

Versicherung fiir private Pensionfonds, die Pension Benefit Guaranty Corp., muBte fur mehrere<br />

Milliarden nicht ausreichend finanzierte Pensionsfonds einzelner Stahlkonzerne iibernehmen (Flora<br />

1987).<br />

19 Von den Modelljahren 1982 bis 1988 verminderte sich der durchschnittliche Benzinverbrauch<br />

lediglich urn insgesamt 3,7 v.H. (berechnet anhand MVMA 1988: 75).<br />

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134<br />

Constantine V. Vaitsos<br />

Radikale Technologische Veranderungen und die neue<br />

»Ordnung« der Weltwirtschaft *<br />

ZusammenJassung: Die neuen technologischen Umwiilzungen werden die Beziehungen<br />

zwischen den Industrieliindern und die »Nord-Sild«-Konflikte aUf eine vollig<br />

neue Grundlage stellen und die weltwirtschaftlichen Strukturen nachhaltig revolutionieren.<br />

Vaitsos kontrastiert die Deregulierungsanstrengungen in den nationalen Okonomien<br />

der kapitalistischen M etropolen und die dort vorherrschenden ideologischen<br />

Liberalisierungsdebatten mit den zunehmenden protektionistischen Tendenzen in der<br />

Weltwirtschaft und verweist auf die Notwendigkeit neuer institutioneller Regulierungen<br />

aufinternationaler Ebene zur Kontrolle der gegenwiirtigen technologischen Umstrukturierungen.<br />

Die »Neue Ordnung der Weltwirtschaft« wird das internationale<br />

Macht- undReichstumsgefiille der Bretton Woods-Ara veriindern-die Gewinner und<br />

Verlierer stehen jedoch noch nicht fest.<br />

Einleitung<br />

Das gegenwartige Jahrzehnt erlebt einen zwar selektiven, aber dennoch wichtigen<br />

Schub in Richtung »Liberalisierung« von Schltisselsektoren der internationalen<br />

Wirtschaft. Weltweit manifestiert sich dies in vielfaItigen sektoralen und politischen<br />

Initiativen von Liindern, die - unter der Ftihrung der USA - an der neuen Verhandlungsrunde<br />

des GATTbeteiligt sind, sowie in groBen technologischen und organisatorischen<br />

Innovationen, die dazu gefiihrt haben, sektoraleAktivitaten zu translokalisieren.<br />

Besonders evident ist dies im Dienstleistungssektor und hier speziell bei<br />

Finanzgeschtiften, dem DatenfluB tiber die Grenzen hinweg sowie dem ganzen Gebiet<br />

der Telematik.<br />

Auf regionaler Ebene hat sich die EG verpflichtet, bis Ende 1992 allgemeine institutionelle<br />

Abkommen zu treffen, urn die starker liberalisierte interne Marktintegration<br />

ihrer zwOlf MitgliedsHinder zu ermoglichen. Auf nationaler Ebene zeichnen sich erhebliche<br />

Einfltisse von Deregulierung, Privatisierung und ahnlicher Politiken auf<br />

Struktur, Eigentumsverteilung, Verhalten und Allokationsregeln verschiedener sektoraler<br />

Markte abo Durch den Druck neoliberaler Philosophien der Parteien, die in den<br />

groBeren Liindern an der Macht sind, wurde dieser ProzeB noch intensiviert. Diese<br />

Praktiken haben sich ausgebreitet und bestimmen nun explizit die Art und Weise, wie<br />

* Dies ist eine revidierte und gekiirzte Version eines Papiers mit dem Titel »The New International<br />

Economics of Major Technological Changes«, das lirspriinglich fiir die UNCTAD im Rahmen der<br />

multilateralen Handelsverhandlungen erstellt wurde.


Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« del' Weltwirtschaft 135<br />

sich multilaterale<br />

Finanzinstitutionen<br />

ten. Zur seJben<br />

kennzeichnet dieses lahrzehnt den seit der Krise der drei-<br />

Biger Jahre<br />

Es werden emsthafte<br />

Handelsgefechte gefUhrt und die Drohung oder Gefahr ausgeweiteter<br />

erscheint bereits am dtisteren okonomischen Horizont. Dartiber hinaus wenn<br />

auch unter dem Deckmantel neoliberaler<br />

Staatsinterventionen in vielen<br />

zentralen Bereichen zu. Die Rolle des Staates ist tUllo,unlem:al,<br />

technologischen<br />

und ihren Anwendungen in okonomischen Aktivitaten<br />

sowie bei<br />

verschiedener Schltisselsektoren<br />

zu sein.!<br />

Durch<br />

"LUL00VlH" und die selektive Kontrolle von Universitaten und<br />

0v~"UH!S~- und wirken direkte<br />

l"-"'''~HVUHIM~,uubei der Festsetzung von Prioritiiten<br />

im Rahmen der Produktion von Wissen.<br />

Die Krise und der Umgang<br />

Ungleichgewichten der Weltwirtschaft<br />

haben VergeltungsmaBnahmen und direkte Staatsinterventionen in den Mittelpunkt<br />

weltwirtschaftlicher Geschehnisse geruckt. Selbst wenn bei entsprechenden Geschiiften<br />

vorwiegend Interessen privater Akteure involviert sind, spielt der staatliche<br />

Sektor eine gewichtige Rolle. Die institutionellen Absicherungen des »offentlichen<br />

Interesses« haben sich wahrend des letzten J ahrzehnts signifikant verandert. Dies gilt<br />

in besonderem MaBe fUr die Bewertung von Antitrust- und Antimonopol-Praktiken,<br />

die im Licht gegenwartiger technologischer und okonomischer Realitaten wie auch<br />

aufgrund nationaler politischer Praferenzen heute anders als frtiher ausfiillt.<br />

Tatsachlich wei sen die heutigen nationalen und intemationalen Wirtschaftsbeziehungen<br />

extrem widerspruchliche Fonnen des Konfliktverhaltens auf. Dies wird noch<br />

verstiirkt durch eine multipolare, jedoch gleichzeitig stark oligopolistische wirtschaftliche<br />

Machtbasis. Solche offenen Widerspruche konnen erst dann verstanden<br />

und richtig interpretiert werden, wenn man explizit die Implikationen in Betracht<br />

ziehl, die sich aus der<br />

zweier strategischer Krafte ergeben, die den Unternehmens-<br />

und zugrundeliegen: strukturelle Ungleichgewichte<br />

in der Weltwirtschaft (welche von vielen als das Ende eines groBeren und langfristigen<br />

technologischen und okonomischen angesehen werden) und (ii) radikale Innovationen,<br />

die den Beginn einer neuen technologischen Ara der Weltwirtschaft markieren<br />

2 •<br />

Die neuen internationalen<br />

Der entstandene Zusammenhang intemationaler Wirtschaftsbeziehungen beruht auf<br />

drei<br />

Schltisselelementen:<br />

(l)Einer Ideologie und neuen Fonnen eines sel~ktiven und aktiven Liberalismus in<br />

der Weltwirtschaft, der den Zugang zu ausliindischen Miirkten zu verbessem<br />

sucht. Diese Politik wird in verschiedenen Schattierungen von Regierungen mit<br />

unterschiedlicher politischer Philosophie verfolgt.


136 Constantine v. Vaitsos<br />

nen, im besonderen (a) wiihrend<br />

neuer Tech-<br />

HV1Vf,H .. d.1, neuer Produkte und neuer sowie bei der Bewaltigung<br />

struktureller<br />

im sektoralen und makrookonomischen Kontext.<br />

C


Radikale technologische Veranderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 137<br />

sundheitswesen usw.) und einer signifikanten Tertiarisierung von Aktivitaten der<br />

verarbeitenden Industrie (»software«-Leistungen und andere Produzenten-Dienstleistungen).3<br />

Unter dem vereinfachenden Banner der Liberalisierung der Markte wird die Komplexitat<br />

dieses neuen Szenarios leichter gerechtfertigt und verstanden. Die politische<br />

Botschaft dieses Themas beruht nicht auf seinem Medium (welches technisch und<br />

analytisch ziemlich komplex sein kann), sondem auf seiner Einfachheit.<br />

1m Gegensatz zu den ideologischen undpolitischen Grundsatzen der Liberalisierung<br />

. derMiirkte in intemationalemMaBstabverweist das zweite Schliisselelementauf die<br />

zahlreichen. neuen und aktiveren. Funktionen von Regierungen und Staatssektor.<br />

Sowohl die urspriinglichen Schrittmacher (USA) als auch die erfolgreichen Nachziigler<br />

(Japan, einige EG-Lander, Siidkorea, Brasilien) haben, urn - unter anderen Zielen<br />

- die nationale Entwicklung zu fordem und urn konterproduktive Krafte einzuschranken,<br />

starke protektionistische MaBnahmen ergriffen.<br />

Solche protektionistischen Strategien beinhalten auBer Zollschranken im allgemeinen<br />

das ganze Spektrum nicht-tarifarer MaBnahmen, die sich im besonderen aufEinkaufspraktiken<br />

nationaler Produkte (speziell bei offentlichen Auftragen und Aktivitaten<br />

nationaler Monopole wie in den Bereichender Telekommunikation, Raurnfahrt,<br />

Energie und Verteidigung) erstrecken. 4 Sie schlieBen Praktiken ein wie: (a) direkte<br />

Subventionen fiir die Entwicklung von Technologien, Produkten und Fabriken,<br />

(b) diverse Formen von Finanzhilfen und Biirgschaften flir Risikokapital zur kommerziellen<br />

Ausbeutung neuer Technologien, Ausriistungs- und Konsumgiiter, (c) industrielle<br />

Zielsetzungen, die integrierte Regierungs- und Wirtschaftsvereinbarungen<br />

miteinschlieBen, (d) eine mit Staatshilfe finanzierte industrielle Forschungsinfrastruktur<br />

sowie Exportsubventionen, (e) explizit oder implizit umfassende Verbote flir<br />

die auslandische Beteiligung an inlandischen Untemehmen. Angesichts der Batterie<br />

von in groBem MaBstab untemommenen Staatsinterventionen und protektionistischenPraktiken<br />

durch den Staatssektor, hauptsachlich der industrialisierten Lander,<br />

erscheint die Strategie einiger Entwicklungslander, Importsubventionen flir traditionellere<br />

Industrie- und Dienstleistungsaktivitiiten zu vergeben, als ein schiichtemer<br />

und begrenzter Versuch, die lokale Entwicklung der Produktion zu fordem. Und<br />

schlieBlich findet gegenwiirtig eine weitreichende intemationale wie nationale institutionelle<br />

und rechtliche Restrukturierung statt, urn so den Erfordemissen der tiefgreifenden<br />

okonomischen Veranderungen, die der technologische Wandel mit sich<br />

gebracht hat, gerecht zu werden. Der Gebrauch der Macht, die Unzulanglichkeit vieler<br />

existierenderund iiberalterter rechtlicher und institutioneller Einrichtungen, aber<br />

auch das Streben, eine gute Startposition in einer sich verandemden intemationalen<br />

Arbeitsteilung einzunehmen, haben zu emeuten Initiativen im Zusammenhang mit<br />

der Regulierung der neuen intemationalen Wirtschaftsbeziehungen geflihrt. Ein<br />

bahnbrechender Fall, der in ziemlich koharenter und konsistenter Weise die zugrundeliegenden<br />

Interessen und Initiativen der technologischen Schrittmacher beispielhaft<br />

aufzeigt, stellt die amerikanische »Trade and Tariff Act« von 1984 dar. 5<br />

Die oben angesprochenen Erwagungen und Initiativen werden mit hoher Geschwin-


138 Constantine v. Vaitsos<br />

wenndiese<br />

nologischen und sie<br />

baut sich doch schnell ein neues weltweites institutionelles System von<br />

Normen wirtschaftlichen Verhaltens auf.<br />

so<br />

und<br />

nnd institutioneUe Initiativen<br />

Wandels flir die intemationalen Wirtschaftsbeziesollen<br />

im in auf drei Kombinationen und institutioneller<br />

Belange untersucht werden. Letztere beinhalten (a) die Eigentumsverteilung<br />

oder andere Formen von Kontrolle der Produktionsmittel und -agenten<br />

ausHindische Direktinvestitionen und Aktivitiiten transnationaler<br />

die der von Produkten und anderen<br />

Materialien (z.B. verschiedeneFormen und Inhalte von Handelsbeziehungen) und<br />

die Eigentumsverteilung und andere Kontrolle von Information und Wissen im allgemeinen<br />

(z.B. die aufkommenden Initiativen in intellektuellen/industriellen Eigentumsfragen).<br />

I. AusHindische Investitionen nnd intemationale .....,.."....",,,.<br />

Um die Auswirkungen wichtiger technologischer Veranderungen flir die in diesem<br />

Abschnitt angesprochenen Entwicklungen angemessen analysieren zu konnen, mtissen<br />

zunachst die zentralen Unterschiede herausgearbeitet werden, die die zwei<br />

verschiedenen Kategorien sektoraler Aktivitaten kennzeichnen. Die erste Differenz<br />

betrifft die Untergruppen der verarbeitenden Industrie und des Dienstleistungssektors,<br />

in deren produktiven Prozessen die neuen Technologien entwickelt und direkt<br />

in spezifische okonomische Aktivitaten und Produkte umgesetzt werden. Sie kons!ituieren<br />

die sektoralen »upstremn


Radikale technologische Veranderungen und die neue »Ordnung« del' Weltwirtschaft 139<br />

LOW~'H',"H auf nationaler und intemationaler<br />

-JU"vLlvW"Ul~vll tiberschneiden. In diesem Fall ist<br />

eine<br />

Um die Situation klarer zu und um uns aufbestimmte Schltisselmerkmale<br />

sollen im folgenden<br />

V""AjLUll!",~- und Entwicklungsintensitat verschiedener industrieller Aktivitaten<br />

von Teilsektoren im Bereich der OECD verwenden. 8 Benutzt man als Krlterium<br />

das Verhaltnis und zu den Produk-<br />

"n'''w'rl~", lassen sich der verarbeitenden Industrie der OECD-<br />

Mitgliedslander urn drei<br />

von Teilsektoren gruppieren:<br />

Die erste Kategorie enthalt eine im Vergleich zum hohe Forschungs- und<br />

zu Beginn der achtziger Jahre namlich durchschnittlich wesentlich<br />

mehr als 10 %. Diese beinhaltetAktivitaten im Bereich der Luft- und<br />

Raumfahrt (mit Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen im Verhaltnis zum<br />

»output« von 22,7 Computer und Btiromaschinen (17,5 %), elektronische Artikel<br />

und Komponenten (10,4 %) bis hinunter zu wissenschaftlichen Geraten und elektronischen<br />

Maschinen (4-5 %). Die zweite Kategorie mit mittlerer Forschungs- und<br />

Entwicklungsintensitiit weist in den meisten Hillen Aufwendungen von ein bis zwei<br />

Prozent auf. Hier finden wir Teilsektoren wie die Autoindustrie, Chemie, nicht-elektrische<br />

Maschinen,<br />

nicht-eisenhaltige Metalle, usw. SchlieBlich gibt<br />

es noch die dritte Kategorie mit relative niedriger Forschungs- und Entwicklungsintensitat<br />

(weniger aJs 1 %), welche so verschiendenartige teilsektorale AktiviUiten wie<br />

Textilien, Schuh- und Lederindustrie, Schiffbau,<br />

Eisenverarbeitung,<br />

Nahrungsmittel und Getriinke, Tabak einschlieBt.<br />

Wie sieht nun die sich abzeichnende »Kartographie« dieser drei<br />

aus?<br />

Wiihrend der siebziger Jahre entfielen auf die Kategorie mit hoher Forschungs- und<br />

Entwicklungsintensitatmehr als 50 %<br />

.new"!""'u,,,, flir und wiihrend sie nur etwas mehr als 10 % des<br />

gesamten Produktionswertes der verarbeitenden Industrie steHte. konnte<br />

die der niedrigen Intensitat ungefahr 57 % des gesamten Produktionswertes<br />

und die der mittleren Intensitat etwas als ein Drittel wobei<br />

von den industriellen Forschungs- der OECD<br />

32 % auf die Kategorie mitmittlerer und 17 % auf die Ka.te~~or!e<br />

tiit entfiel.<br />

uy'lCulm"AJ, .... Verlauf von Direktinvestitionen und damit<br />

U,""""LHFi"''' ein ganz anderes<br />

Bird. Was den internationalen Handel so hat die mit relativ hoher<br />

Forschungs- und<br />

die hochsten Zuwachsraten und schneidet<br />

bei der Bewaltigung von sektoralen Krisen und okonomischen Rezessionen am besten<br />

abo In der ersten Halfte der achtziger Jahre entfielen auf die entsprechenden Teilsektoren<br />

20 % des industriellen Exports der OECD die USA waren es mehr als


140 Constantine v. Vaitsos<br />

wobei es 1975 noch<br />

als 14 % waren. Dariiber hinaus beeinfluBt diese<br />

uw IS"'.V"' und<br />

cher der neuen<br />

sind.<br />

'I.ol'''H,LColHiS aber wei sen die Teilsektoren mit hoher<br />

intensitat<br />

relativ niedrigere auslandische Direktinvestitionen auf. Der<br />

GroBteil der auslandischen Direktinvestitionen findet<br />

der n.Cltv),Ul<br />

eCJ1l1C)iogle,n im<br />

intemationalen Geschaft. Die Teilsektoren mit relativ UHA-llIIS'_l Vli)"ll.UHiS~- und<br />


Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 141<br />

,<br />

Wirtschaft gerade von den technologisch flihrenden Llindem aufgezwungen wird.<br />

Diese wiederurn sind durch widerstreitende Interessen in den eigenen Reihen und<br />

okonomische Risiken gekennzeichnet. 1m ganzen ist es eine sehr lebhafte Szene, in<br />

der die wichtigsten okonomischen und politischen Darsteller mitwirken und nach verschiedenen<br />

»Drehbiichem« spielen, die jedoch zum selben urnfassenden »Stiick«<br />

gehoren, das durch Veranderungen im Stand des produktiven »know-how« stlindig<br />

urngeschrieben wird.<br />

Die techuologischen»upstream«.Produktionsvorgange<br />

Der okonomische Raurn flir die Entwicklung und direkte Anwendung neuer Technologien<br />

- ihr Arbeitsplatz sozusagen - ist in extremer Weise geographisch festgelegt.<br />

Zur Zeit gibt es einige institutionelle Initiativen, urn eineAufiosung dieser geographischen<br />

WissenskonZentration und infonbationsintensiven Produktionsvorglinge einzuschranken.<br />

In Ubereinstimmung damit wird der entsprechende okonomisch Raum<br />

durch recht explizite Uberlegungen beim Aufbau des relevanten nationalen und betrieblichen<br />

Handlungsrahmens der technologischen Schrittrnacher bestimmt.<br />

Die oben angesprochenen Uberlegungen beziehen ihre Konzepte aus dem Kanon<br />

okonomischer Entwicklungstheorien, soweit diese flirrelativ fortgeschrittene Gesellschaften<br />

verwendbar und flir den Kontext modemer technologischer Durchbriiche<br />

umzuarbeiten sind. Der exteme Sektor (AuBenhandel, Direktinvestitionen, Technologie<br />

und andere intemationale Bewegungen von Faktoren und Nicht-Faktoren) ist<br />

von hOchster Bedeutung; er ist jedoch denZielsetzungen der Entwicklungspolitik von<br />

Industrie und Dienstleistungsbereich instrumentell untergeordnet. Bei den praktischen<br />

Umsetzungen der Ziele wird den Erfordemissen von »leaming by doing«, den<br />

Erwagungen zu steigenden Skalenertragen und deren strategischen Implkationen als<br />

auch den Verbindungen und Verkniipfungen zwischen Wissensbildung, Wissensanwendung<br />

und Produktionsvorglingen besonderes Gewicht beigemessen.<br />

Auf allgemeiner Ebene und besonders mit Blick auf die Tatsache, daB modeme Technologien<br />

die Produktzyklen betrachtlich verkiirzt haben, miissen sowohl die Unternehmen<br />

als auch die nationalen Okonomien ihr entwicklungspolitisches Verhalten<br />

grundlegend lindem. Sie sind dazu genotigt, wollen sie im RestrukturierungsprozeB<br />

der intemationalen Arbeitsteilung erfolgreich sein oder - wie in einzelnen Fallen -<br />

trotz der Weltkonkurrenz iiberleben.<br />

Der Erfolg einer Reorientierung in der Formulierung okonomischer Strategien<br />

scheint wiederum von der Entwicklung einer Reihe zentraler institutioneller und wissensintensiver<br />

Fahigkeiten abzuhlingen. Einige dieser Fahigkeiten sind weder ersetzbar<br />

noch direkt durch Handel zu erwerben. Dazu zahlen die Fahigkeiten, Technologien<br />

zubeherrschen und zu nutzen, Verlinderungen in den Technologien zu meistem<br />

sowie Fahigkeiten, selbst Fahigkeiten zu akkurnulieren.<br />

1m Rahmen der hier diskutierten technologischen Veranderungen verweisen die Erfordemisse,<br />

solche technische, institutionelle und marktspezifische Vorteile und Fli-


142 Constantine v. Vaitsos<br />

higkeiten zu schaffen, auf eine Reihe zentraler und miteinander verbundener Entwicklungen,<br />

die alle grundsatzlich den neoliberalen Ansatzen widersprechen, die im<br />

Fall der »downstream«-Aktivitaten befolgt werden. In der Entwicklung technologischer<br />

»upstream«-Aktivitaten handelt es sich dabei urn:<br />

a) die wichtige und bestimmende Rolle von Staatsinterventionen beim Funktionieren<br />

der Markte mit urnfassenden expliziten und impliziten protektionistischen<br />

MaBnahmen, Inanspruchnahme offentlicher Gelder sowie der Bereitstellung von<br />

Institutionen und einer entsprechenden Infrastruktur auf nationaler und intemationaler<br />

Ebene;<br />

b} die Entwicklung interner betrieblicher Ressourcen .und Fahigkeiten,.urn dieVerwertungsmoglichkeiten,<br />

die die neuen Technologien bei der Neuordnung der intemationalen<br />

Arbeitsteilung bieten, zu fOrdem, zu meistem und auszunutzen; und<br />

c) eine Langzeitstrategie, die verschiedene Formen der Planung und Zusammenarbeit<br />

zwischen Regierung und Industrie verlangt, sowie, basierend auf solch einem<br />

Zeithorizont, eine Evaluation der Marktdaten (Umfang und Preise).<br />

Was die intemationale Marktwirtschaft und die daraus resultierende geographische<br />

Verteilung der technologischen »upstream«-Produktionsvorgange betrifft, laBt sich<br />

eine allgemeine SchluBfolgerung ziehen: Rauptziel ist es, den Ubergangspunkt von<br />

direkt und indirekt produktivitatssteigemden Verbreitungen technischer Neuerungen<br />

auf spezifische nationale und betriebliche okonomische Raume einzugrenzen. Somit<br />

wird die Aufrechterhaltung dieser Konzentration zu einem zentralen nationalen Politikziel,<br />

welches den Bedtirfnissen und entsprechenden Fahigkeiten anderer Unternehmen<br />

und Lander, die Konkurrenten, insbesondere in einem Kontext von kurzen<br />

Produktionszyklen, technologisch und produktiv hinter sich zu lassen, entgegengesetzt<br />

ist.<br />

So gesehen gibt es zwei Ziele, die mit der Eingrenzung der »upstream«-Produktion<br />

verfolgt werden: Erstens wird versucht, den Profit des ganzen Entwicklungsprozesses<br />

zu internalisieren, indem »learning by doing«- und »learningby learning«-Prozesse<br />

genutzt werden, aber es geht auch urn die vielfaItigen Extemalitaten, die aus den Vorteilen<br />

der Konzentration und der Verkntipfung entspringen und dem neuen »knowhow«<br />

inharent sind. Zweitens wird versucht, die Moglichkeiten anderer Untemehmen<br />

und Lander, sich durch eigene Lemprozesse zu entwickeln oder andere technologisch<br />

einzuholen, einzuschranken.<br />

Zwei wichtige Faktoren untersttitzen die betriebliche und nationale Eingrenzung der<br />

Produktion. Erstens und vor allem wird sie durch Regierungsauftrage, Regierungssubventionen<br />

sowie regulierende und interventionistische Regierungspolitik gefordert.<br />

Alle wichtigen Sektorstudien, die von offiziellen und nicht-offiziellen Institutionen<br />

durchgeftihrt wurden, gelangen zu einer gemeinsamen SchluBfolgerung: Die<br />

Rohe, Art und Verteilung von Staatshilfen an hochtechnologische Industrien ist ein<br />

bestimmender Faktor fUr Wachstum und KonkurrenzHihigkeit der entsprechenden<br />

privaten oder anderen Unternehmen. Diese Staatsrolle wird noch gesttitzt durch explizite<br />

Anerkennung, politischen Anspruch auf und Gebrauch von Staatsmacht im<br />

Verhalten modemer und industriell fortgeschrittener Okonomien. Urn ein Beispiel zu


Radikale technologiscile Veranderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 143<br />

geben: die<br />

US-Regierungsauftrage flir hochtechnologische<br />

Waren und Dienstleistungen nicht weit zuruck hinter dem Gesamtvolumen<br />

des an hochtechnologischen Gutern aller OEeD-Lander in den Rest der<br />

Welt (1983 rund 55 Milliarden 10 In Aktivitaten bestimmter Teilsektoren wie der<br />

Raumfahrtindustrie oder der<br />

def H-"V'~V"."H'mu.fi.UUV",<br />

befiihigt die wachsende der Ausgaben bestimmte dazu,<br />

eine stetig groi3ere Rolle in der Entwicklung def inHindischen Industrie zu spielen,<br />

ohne starke Interferenzen mit anderen internationalen Verpflichtungen (wie des<br />

zu haben.ll<br />

UH'U~"'M zwischen dem einheimischen Markt und der Rolle der<br />

dient in und kleinen als Antrieb flir<br />

eine allgemeine technologische und industrielle Entwicklung. Zum Beispiel hat die,<br />

dem Industrieministerium unterstellte, schwedische BehOrde fur Raumfahrt als wichtigstes<br />

Ziel fUr Schwedens Raumfahrtprogramm die Forderung der allgemeinen Entwicklung<br />

und Verbreitung fortgeschrittener Technoiogien in der ganzen Industrie<br />

dieses Landes definiert.<br />

Bestimmte Lander verfligen uber groBe interne Markle, welche aktiv fUr die inliindische<br />

technalogische und industrielle Entwicklung genutzt werden. Die verschiedenen<br />

Beziehungen zwischen Produzent und Endverbraucher (zwischenbetrieblich<br />

aber auch zwischen Regierung und Industrie) werden in Anspruch genommen, selbst<br />

wenn es sich nicht urn offentliches Eigentum handelt. Natlirliche Monopolsituationen<br />

(wie im Telekommunikationssektor), nationale strategische Belange (besonders in<br />

der Militiirindustrie), von Regierungsseite geftirderte Forschung und Entwicklung<br />

und andere Subventionen flir private Unternehmen, Regulierungen und Standards<br />

spielen eine zentrale Rolle. Dies gilt sawahl flir den Fall der USA und Japan als auch<br />

fUr die groBeren westeuropaischen Lander. Es ist bezeichnend, daB eine einzige Gesellschaft,<br />

Hughes Aircraft, welche einen Marktanteil von ungefahr 30 % des zivilen<br />

amerikanischen Satellitenmarktes halt, einen Umsatz hat, der Frankreichs gesamtes<br />

Raumfahrtbuget betrachtlich ubersteigt. Flir die technologischen Schrittmacher ist<br />

folglich der inlandische Markt und die Moglichkeiten zur nationalen L""UmJLV,'iL~'~Hindustriellen<br />

Entwicklung ausschlaggebend.<br />

Dies bringt uns zur zweiten<br />

welche die Eingrenzung der Produktion<br />

von »upstream«-Produkten im Breich bestimmter betrieblicher und nationaler Einheiten<br />

verlangt und gleichzeitig hervorbringt. Trotz der Hel'ausfol'derungen<br />

innovativel' Ideen und dynamischer Geschaftssituationen - odeI' gerade wegen ihnen<br />

_. fOl'dern die gerade entstehenden industriellen Strukturen das stiindig steigende<br />

Gewicht von Marktzutrittsschranken.<br />

der Produktion wird<br />

Schranke. DieErder<br />

und frlihen die Kombination von Arbeit<br />

Einzelner oder kleiner Teams mit Risikokapital zu auBerst profitablen Geschaften auf<br />

den Gebieten der Mikroelektronik und del' Biotechnoiogie werden gegenwartig<br />

von neuen Entwicklungen in den entsprechenden Markten uberholt. Ihr Platz<br />

wird nun von gewaltigen Kapitalvorschlissen, komplexel' interdisziplinarer Arbeit


144 Constantine v. Vaitsos<br />

eUlge:nomrne][l, urn sich effektiver<br />

einstellen zu konnen. 12<br />

von Advanced Micro Devider<br />

onUKltlOllSj:Jrozef;sen. Derdurchschnittliche<br />

Umsatzeinheit hat sich in der US-amerikanischen Halbleiterindustrie<br />

zwischen 1978 und 1981 verdoppelt und in Japan, wo bereits frtiher Nachdruck<br />

auf Automation in diesem Bereich gelegt urn 50 % erhOht. 14 Die lLOI.IHl'UlU'l',lsche<br />

Konkurrenz anderer Firmen - insbesondere<br />

drastischer<br />

Weise auch die Forschungs- und Entwicklungsressourcen. In den computerperipheren<br />

Industrien und damit zusammenhangenden Dienstleistungen, MeB- und Kontrolleinrichtungen,<br />

Luft-<br />

Halbleiter u.s. w. tiberschreitet die durchschnitt­<br />

Hche Hohe der Ressourcen fUr F & E die H6he des ausgewiesenen Profits oder betragt<br />

sogar ein Vielfaches davon. 15<br />

Die so entstehende Kombination aus (a) Produktionsumfang ftir diverse und unabhangige<br />

Investitionsvorhaben zur Entwicklung und kommerziellen Ausbeutung neuer<br />

Produkte und (b) der schnelle technologische Wandel, der die entsprechenden<br />

Produktionszyklen signifikant verklirzt, bilden einen starken Druck filr schnelle<br />

Amortisierungszeitraume des Kapitals. So wird eine betrachtliche zusatzliche Eingangsbarriere<br />

geschaffen, urn national aber besonders international das Auftauchen<br />

neuer Konkurrenten zu vermeiden. Betriebliche Strategieziele sind entsprechend:<br />

vertikale Integration und Marktkonzentration, stark kontrollierte Auftragsvorgange<br />

hlllgren:lurig oder Restriktionen<br />

von Wissen. Sie spielen auch<br />

eine zentrale Rolle in Regierungspolitiken, besonders seit betrachtliche Summen 0[-<br />

fentlicher Ressourcen aktiv<br />

des ganzen Prozesses<br />

gung neuen produktiven Wissens und seiner Anwendung in der Industrie eingehen.<br />

SchlieBlich rufen die gleichen<br />

bei den technologischen Schrittma­<br />

-::hern starke betriebliche und nationale Aversionen gegen Imitatoren die<br />

versuchen, sie technologisch zu<br />

indem sie Teile des gerade geschaffenen<br />

Wissens kopieren. In solchen Fallen wird eine Todsiinde begangen, die nach internationalen<br />

Vergeltungs- und StrafmaBnahmen wenn ein Neuer das elfte Gebot<br />

bricht: »Du sollst nicht was Dein Nachbar macht.« 1m letzten Teil dieses<br />

Aufsatzes werden wiruns mit dem ganzen Gebiet del' intellektuellen Urheber- und Eigeltltulm~;re,chl:e<br />

befassen.<br />

1m Handel zwischen den technologischen Schrittmachern bestimmt die Marktsegementierung,<br />

vor aHem durch vielfaltige und effektive nicht-tarifare MaBnahmen die<br />

allgemeine Tauschstruktur. Auf den Rest der Welt wird jedoch starker Druck ausgelibt,<br />

urn die Markte fUr auslandische Giiter und Dienstleistungen zu offnen. Filr den


Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 145<br />

Fall, daB die Konkurrenz in technologisch weniger entwickelten Gebieten (we1che<br />

ftir bestimmte hochtechnologische Produkte auch Westeuropa einschlieBen) so stark<br />

wird, daB sie den Interessen der Exporteure entgegenwirkt, zogem die technologischen<br />

Schrittmacher weder auf der betrieblichen noch auf der Regierungsebene, Vereinbarungen<br />

tiber intemationale Zusammenarbeit oder iihnliches zu treffen.<br />

Eines der schlagendsten Beispiele hierftir sind die Teilsektoren der Halbleiter und<br />

Schaltsysteme. Trotz heftiger Konkurrenz auf Drittmarkten (besonders in Westeuropa)<br />

halten die USA und Japan ein ziemlich niedriges Verhaltnis von Importund Veroralien<br />

alifihrefieigenen Ihlandsmlirktehalifrecht Die folgenden Daten(ftir


146 Constantine v. Vaitsos<br />

------------------------------------------------------<br />

stehen Firmen,<br />

verbundene Aktivitaten in anderen Landern planen.<br />

Fur technologische<br />

von Teilsektoren jedoch sieht die Situation<br />

v6llig anders aus. Das die Produktionsaktivitaten einzugrenzen, trans formiert<br />

den Inhalt<br />

sowohl aufbetrieblicher als<br />

auch auf nationaler Ebene. Vorrangige Themen dieser Beziehungen sind die von def<br />

effektiven technologischen Verbreitung herruhrenden betrieblichen Risiken, dasAuftauchen<br />

neuer Konkurrenten sowie die auf interne Entwicklung abzielende protektionistische<br />

Die hiennit sind ahnlich<br />

'~~"Hp.vA wie im Bereich des Handels -<br />

im Grunde<br />

recht einfach ist - und verlangen daher eine Reihe qualifizierender Anmerktmgen.<br />

Was die ins Ausland gehenden Direktinvestitionen anbelangt, so ist - relativ gesehen<br />

- die damit verbundene Internationalisierung der Produktionsstandorte nicht allzu<br />

umfangreich. Die wichtigsten Hersteller siedeln im eigenen Land nicht nur die Forschungs-<br />

und Entwicklungsaktivitaten an, wie dies auch flir weniger forschungsintensive<br />

Sektoren gilt, sondern dariiber hinaus auch den Hauptanteil der Produktion<br />

selbst. 1m Ausland hingegen fOrdern sie schwerpunktmaBig geschiiftliche Verbindungen<br />

und Filialen. Ihre Grundhaltung zielt darauf ab, mit der Moglichkeit der Zusammenarbeit,<br />

insbesondere mit Firmen mit vergleichsweise gleichem technologischem<br />

Stand, ihre Unabhangigkeit zu wahren: Wahrend die Beziehungen zwischen Anbietern<br />

undAbnehmern enger werden, nimmt zur gleichen Zeit die Zahl der Forschungsund<br />

Entwicklungskooperationen zu.<br />

Internationale Geschafte werden somit in einem anderen Rahmen gesehen und zielen<br />

vorwiegend auf die Durchdringung von Drittmarkten durch Exportaktivitaten.<br />

1m Zentrum solcher Operationen steht die Eingrenzung der Produktion. Wichtigste<br />

Absicht ist es dabei, yom LernprozeB der technologischen Aktivitaten und Produktionsvorgange<br />

zu profitieren. Gleichzeitig wird eine Anzahl strategischer Initiativen<br />

unternommen, urn die Verbreitung des »know-how« und das Entstehen neuer Konkurrenten<br />

einzuschranken. Die Politik der Internalisierung wird nicht im transnationalen<br />

Kontext sondern nationalund aufbetrieblicher Ebene verfolgt. Das Ziel ist nicht<br />

so sehr, Vorteile der Spezialisierung und der Austauschbeziehungen zu internalisieren<br />

(obwohl auch diese offensichtlich vorhanden sondern von def Internalisierung<br />

direkter Lern- und Produktionsvorgange zu profitieren. Die Hauptgriinde hierfiir liegen<br />

in den Erfordernissen der Entwicklung okonomischer<br />

die eher im<br />

Kontext sich schnell andernder neuer Technologien als in reifen Industrien mit langen<br />

Produktzyklen entstehen.<br />

Sucht man in den althergebrachten industriellen Teilsektoren einen Vergleichsfall flir<br />

die neue »upstream«-Hochtechnologie, so laBt sich am besten auf die Maschinenwerkzeugindustrie<br />

verweisen. Dieser Teilsektor stellt einen weiteren Bereich technologischer<br />

»upstream«-Aktivitaten dar, den die entsprechenden technologischen<br />

Schrittmacher unter Kontrolle zu halten suchen. In dies em Fall »(...) hatten bis vor<br />

kurzem auslandische Direktinvestitionen und die Ubernahme von lokalen durch auslandische<br />

Unternehmen nur geringe Bedeutung«I7. Das internationale Engagement


Radikale technologische Veranderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 147<br />

der Maschinenwerkzeugindustrie ist jedoch nicht mit Hilfe der Theorie der Intemalisierung<br />

zu erkHiren, welche intemationale Transaktionen nur im Kontext der Beziehungen<br />

zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften oder starkkontrollierten auslandischen<br />

Konzemgesellschaften stattfinden sondem orientierte sich im Gegentei!<br />

an dem Modell der Vereinbarungen zwischen mehr oder weniger unabhangigen<br />

Untemehmen. Es handelt sich hierbei vorwiegend urn Lizenzvereinbarungen, die sich<br />

aufKonstruktionsiibemahmen, Marketing-Abmachungen und »know-how«-Vereinbarungen<br />

flir die weitgehend unabhiingige Fertigung und Montage von Produkten<br />

beziehen.<br />

Doch auch bei relativ<br />

in drei Fallen auslandische<br />

Direktinvestitionen. Das wichtigste Motiv ist der Zutritt zu ausHindischen<br />

Markten (z.E. mit Hilfe der sich im auslandischen Besitz befindlichen Tochterunternehmen<br />

oder »joint ventures«, die im Ausland gegriindet wurden, urn als nationale<br />

Hersteller anerkannt zu werden und so offentliche Auftrage zu erhalten). Die Bemtihungen<br />

der USA und Japans, ihre Beteiligung am westeuropaischen Markt zu verbessem,<br />

stellen den GroBteil dieser Investitionen. Dariiber hinaus hat die drohende<br />

Gefahr von Handelsrestriktionen die japanischen Untemehmen veranlaBt, Direktinvestitionen<br />

im US-Markt vorzunehmen; dies gilt auch flir den Fall der Sektoren mit<br />

relativ geringerer technologischer Intensitat wie z.B. der Automobilindustrie. Durch<br />

die Ubemahme lokaler Untemehmen und dasAngebot, die in den USAangesiedelten<br />

japanischen Tochteruntemehmen als »Geiseln« zu betrachten, hoffen die japanischen<br />

transnationalen Gesellschaften, eine langfristige und unbehinderte Prasenz auf dem<br />

nordamerikanischen Markt zu erreichen.<br />

Der zweite Typ auslandischer Direktinvestitionen betrifft bestimmte, mit »upstream«-Operationen<br />

verbundene arbeitsintensive Zulieferaktivitaten. Zu Beginn<br />

der siebziger Jahre wurde diese Politik von nordamerikanischen transnationalen Gesellschaften<br />

verfolgt. Sie suchten die Vorteile von NiedriglOhnen in Entwicklungslandem<br />

Stidostasiens und der westlichen Hemisphare auszunutzen. 1m Gegensatz dazu<br />

wahlten die J apaner die Strategie der starkeren Automatisierung von Produktion und<br />

Montage zu Hause. Es steHte sich heraus, daB die Strategie Japans flir seine eigenen<br />

transnationalen Gesellschaftert von Vorteil war, da sie die Qualitatskontrolle und ZuverHissigkeit<br />

der Produkte verbesserte und somit zu einer Steigerung der Ertrage<br />

flihrte. ls Spater begannen die US-Finnen ihre eigenen Aktivitaten wieder in die inlandische<br />

Okonomie zurtickzuverlagern, wodurch das relative Gewicht vergleichbarer<br />

Auslandsinvestitionen vermindert wurde.<br />

SchlieBlich gab es noch den Fall von Investitionsaktivitaten einiger westeuropaischer<br />

Lander in den USA, die das Ziel hatten, die USA technologisch einzuholen. Sie versuchten,<br />

bereits etablierte und »know-how«-intensive Untemehmen zu tibemehmen,<br />

um ihren eigenen Nachholbedarf auf dem Gebiet der neuen Technologie schneller<br />

abzubauen.<br />

Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, ist der Stellenwert auslandischer Investitionen<br />

in hochtechnologischen »upstream«-Sektoren unter fortgeschrittenen Okonomien<br />

relativ begrenzt. Wie bereits angemerkt, wird mehr Nachdruck auf Unab-


148 Constantine v, Vaitsos<br />

lIalll",J,,,,"'''H und zwischenbetriebliche Zusammenarbeit Die Produktion im<br />

Inland zu halten und die selektive und aktive von l'ivlnnrtF'n in Drittmarkte<br />

scheinen fUr betriebliches Verhalten zumindest wahrend der Jahre<br />

die<br />

zu sein.<br />

Zwei unterschiedliche<br />

1S"'lSC,UUU'01 dem fluB auslandischer Direktinvestitionen<br />

o-rp',rr,pn ersten zeichnet<br />

sich durch den extremen Fall eines kOlmp'letten Verbots solcher Investitionen<br />

wahrend langer<br />

in<br />

verbundenen industriellen und Vl1emme:lSlun,gs<br />

te strikte Kontrollen del' verbundener Importe<br />

urn die Infrastruktur wahrend der »take-off«-Phase seines<br />

Marktes zu schiitzen. Technologie aus u"",,,,.-,u,,,,,,,,,,-,<br />

kontrollierte Lizenzvertrage zu bekommen. Auch Zusatzal)kclmlmen,<br />

t'-'UUH/""U ausgeiibt waren so gestaltet,<br />

daB sie sowohl Lizenznehmer als auch Lizenzgeber betrafen. Sobald diese »jungen«<br />

japanischen Industrien zu erfolgreichen Konkurrenten auf dem Weltmarkt geworden<br />

waren, wurden diese total restriktiven Strategien, oft unter hartem<br />

und<br />

okonomischen Druck yom Ausland, teilweise gelockert.<br />

Zusatzlich zu protektionistischen MaBnahmen, die auf die inlandischen Technologien<br />

und Produktionsentwicklung abzielten, achten die neuen Strategien auch auf die<br />

Anteile am nationalen Markt. Dies zeigt sich in dem vor kurzem entstandenen Konflikt<br />

zwischen GroBbritannien und Japan, bei dem es um die erfolglosen Versuche<br />

von Cable und Wireless Ltd. ging, tiber Auslandsinvestitionen in den japanischen<br />

Telekommunikationsmarkt einzudringen. Auch die EG wurde aufgefordert, Druck<br />

auf Japan auszutiben. Die offensichtliche Frage nach dem Grad des Zugangs der<br />

britischen Cable und Wireless in Frankreich, Westdeutschland oder Holland wurde<br />

hingegen nie Die Antwort hierauf ist selbstredend: Der ~U,5U'"'5<br />

AV'"'"'F,VH industriell entwickelten Landem der EG ist trotz der HHvI",Jl


Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 149<br />

zwischen den Partnem durch ein Schllisseldilemma gekennzeichnet: rascher Zugang<br />

zu bestimmten hochtechnologischen »inputs« in der Hand ausUindischer Tochteruntemehmen<br />

oder »joint ventures« bedeuten gleichzeitig ausUindischen Zutritt zum in­<br />

Hindischen Markt. Es ist auBerst nlitzlich, den Problemen, die aus diesem Dilemma<br />

entstehen, nachzugehen. So1che Investitionen und' entsprechende Ubemahmen von<br />

Technologie konnen, ohne die Erganzung eines inlandischen Entwicklungsprogramms,<br />

»( ... ) nur ein Notbehelfund ein Faktor sein, die intemationale Konkurrenzfahigkeit<br />

srnrken zu helfen.«19 Eine wichtige SchluBfolgerung hierzu, die in einer<br />

Publikation des OECD-Sekretariats zu finden ist, hart sich wie eine lateinamerikanische<br />

»dependencia«-Position an: »Die exzessive und fortdauemdeAbhangigkeit<br />

vom Technologie-Transfer amerikanischer und japanischer Firmen konnte die langfristige<br />

Konkurrenzfahigkeit (der entsprechenden hochtechnologischen Produkte<br />

Westeuropas) vermindem.«20<br />

Die technologischen »downstream«-Produktionsprozesse<br />

Was das allgemeine intemationale okonomische Verhalten angeht, so unterscheidet<br />

sich der Fall der »downstream«-Aktivitaten in zwei wichtigen Bereichen von den vorher<br />

analysierten Sachverhalten. .<br />

Als erstes und vor allem was die Zielsetzungen betrifft, verlangt die von den technologisch<br />

flihrenden Landem angestrebte intemationale Arbeitsteilung eine aktive Prasenz<br />

auf Drittmarkten. Die Ausweitung des okonomischen Raums auf eine intemationale<br />

Ebene befahigt sie, aus der Anwendung des neuen »know-how« eine hohere<br />

Rendite zu schopfen. Hierbei geht es sowohl urn Uberlegungen zu Mengen, urn Profite<br />

aus Skalenertragen, sowie urn Angelegenheiten, die das Management und die<br />

Festsetzung von Handelsbedingungen in der Weltwirtschaft betreffen.<br />

pie physische Prasenz von Tochtergesellschaften und anderen vom Ausland kontrollierten<br />

Untemehmen wird zu einer Notwendigkeit, urn, unter den gegebenen<br />

sektoralen Besonderheiten, die erforderliche Durchdringung von Drittmarkten durch<br />

»downstream«-Aktivitaten zu erreichen. Somit werden die Absicherung des »Rechts<br />

auf Niededassung« in anderen Landem und die notigen Bedingungen flir Geschaftsoperationen<br />

flir »downstream«-Aktivitaten zu zentralen institutionellen Zielen bei<br />

der Verwendung der neuen Technologien.<br />

Zieht man allerdings (a) die Besonderheiten wichtiger Segmente der Endverbraucher<br />

(z.B. Regierungsabteilungen und offentliche Gesellschaften mit speziellenAuftragspraktiken)<br />

sowie (b) die sektoralen Merkmale der Produktionsvorgange, in we1chen<br />

die neuen Technologien angewandt werden (insbesondere den Dienstleistungsbereich),<br />

in Betracht, so reicht allein die physische Prasenz eines Untemehmens nicht<br />

aus, den Zutritt zu Drittmarkten zu sichem. GleichermaBen bedeutsam ist die Garantie,<br />

auslandische Gliter, Dienstleistungen, Personal und ahnliche »inputs« wie inlandische<br />

zu behandeln. Der Versuch, Dritte-Welt-Lander zu offnen, geht demnach liber<br />

die traditionellen Schranken von Handels- und Kapitalbewegungen hinaus, indem<br />

auch Entscheidungsprozesse der Untemehmen mit eingeschlossen sind. In Anbe-


150 Constantine v. Vaitsos<br />

tracht der politischen Natur bestimmter nicht-tarWirer Barrieren in relevanten Teilsektoren,<br />

bedeutet der Zugang zu ausHindischen Miirkten auch, bei den Regierungen<br />

der DrittHinder die Voraussetzungen fUr einen entsprechenden EntscheidungsprozeB<br />

zu schaffen.<br />

Aus oben Gesagtem ergeben sich die Argumente fUr einen umfassenden Druck, der<br />

von den technologischen Schrittmachern auf die Gemeinschaft der Weltwirtschaft<br />

ausgetibt wird, urn sich dernotigen institutionellenAnpassungen der Gesetze, Politik,<br />

Entscheidungsprozesse und Praktiken zu versichern, welche alle darauf abzielen, die<br />

Chancen und die Mechanismen fUr die Durchdringung der Miirkte von DrittHindern<br />

zusichern undzu fOrdern;<br />

In den VorschUigen der USA (und nachtraglich auch von Japan) fUr die neue Runde<br />

der mulitlateralen GATT-Verhandlungen ist diese Logik explizit zum Vorschein gekommen.<br />

Sie bestimmt auch bereits unterzeichnete umfassende bilaterale Abkommen<br />

zwischen einzelnen Industrielandern, besondere Ubereinktinfte zwischen Japan<br />

und den USA, und einer Reihe von Entwicklungslandern, aber auch die ganze Philosophie,<br />

die einigen wichtigen nationalen legislativen und politischen Initiativen im<br />

GECD-Bereich zugrunde liegt. Diese Praktiken haben wiederum die Politik wichtiger<br />

multilateraler Finanzinstitutionen, wie der Weltbank, stark beeinfluBt.<br />

Der zweite wichtige Unterschied im Vergleich zum Fall der in den vorhergehenden<br />

Teilen diskutierten »upstream«-Aktivitaten liegt in der Erkenntnis, daB »downstream«-Aktivitaten<br />

nicht auf bestimmte teilsektorale Gebiete beschriinkt sind,<br />

sondern daB sich die neuen Technologien auf einem sehr groBen Spektrum des Produktionssystems<br />

immer weiter verbreiten. Die damit verbundenenAuswirkungen betreffen<br />

das ganze Gebiet traditioneller auslandischer Investitionen und internationaler<br />

Handelsbeziehungen im Gtiter- und Dienstleistungsbereich. Folglich vermischen<br />

sich die, durch den technologischen Wandel eingeleiteten, »flows« von neuen Technologien<br />

mit bereits existierenden und traditionelleren Prozessen und hangen von ihnen<br />

ab (so z.E. die Telematik in Bankgeschiiften, die Informatik in Qualitats- und Inventarkontrollen<br />

bei Textilien, Telekommunikation im Handel und Tourismus, mit<br />

Computern hergestellte Konstruktionen in der Maschinenproduktion, Verarbeitungstechnologie<br />

in der pharmazeutischen und Nahrungsmittelindustrie). Sie sind auch<br />

mit sektoralen und bestimmten strukturellen Anpassungsstrategien fUr die gesamte<br />

Volkswirtschaft verbunden, wie sie von Regierungen in Bereichen, die nicht direkt<br />

mit den neuen Technologien in Bezug stehen, verfolgt werden.<br />

Wiihrend der achtziger Jahre unternahm die US-Regierung eine Reihe wichtiger und<br />

miteinander verkntipfter Initiativen, deren zentrales Ziel es war, die Rolle, die sich<br />

ausweitende Prasenz sowie die okonomische und nicht -okonomische Macht der<br />

transnationalen Firmen in der Weltwirtschaft zu stiirken. Auf multilateraler Ebene<br />

wurden entsprechende politische Ziele als konkrete Vorschliige wiihrend der GATT­<br />

Verhandlungen in derUruguay-Runde prasentiert. Eine Anzahl von Ihnen wurde<br />

unter dem allgemeinen Titel Trade-Related-Investment-Measures (TRIMs) veroffentlicht.<br />

Diese Initiativen wurden in einer Terminologie verfaBt, in der es vermieden<br />

wird, aufbestimmte okonomischeAgenten wie die transnationalen Unternehmen di-


Radikale technologische Veranderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 151<br />

rekt Bezug zu nehmen. Stattdessen konzentriert sich die ganze Anstrengung auf die<br />

Rolle des privaten Sektors zur Forderung der und Entwicklung der Weltwirtschaft.<br />

Durch und bestimmter Sektoren der Weltwirtschaft<br />

wird ein verbessertes Investitionsklima - vor aHem fUr technologische<br />

»downstream«-Aktivitaten- angestrebt. Das Ziel des ganzen Bestrebens besteht dar··<br />

das Zentrum fUr Entscheidungsgewalt und strategische Initiativen (fUr<br />

die nationale und weltweite<br />

von Industrie und Dienstleistungen) in den<br />

betrieblichen Raum der transnationalen Untemehmen hineinzuverlegen. Die strate-<br />

Rolle der<br />

als storend "p'·""r'''",'<<br />

Wesen der gegenseitigen Erganzung und der aktiven Symbiose, wie sie zwischen<br />

staatlichen und privaten Initiativen in technologischen »upstream«-Operationen<br />

etabliert wurden, weit entfemt.<br />

DaB die USA besonderen N achdruck auf »fairen« Handel im Unterschied zu» freiem«<br />

Handellegen, zeigen die Aktivitaten der US-Regierung. Mit »fairem Handel« wird<br />

die Besorgnis angesprochen, die aus den enormen US-Ungleichgewichten in den okonomischen<br />

Beziehungen mit anderen IndustrieHindern rlihrt. Der Begriff reflektiert<br />

ferner die Implikationen, die ein stlirkeres multipolares Wirtschaftssystem fUr die<br />

USA und andere Lander nach sich ziehen (einschlieBlich eines Effekts der Verdrangung<br />

einiger Hersteller in spezifischen Produktmarkten, welche durch einige dynamische<br />

Okonomien mit entwickelten Markten, aber auch neu industrialisierten Llindern<br />

eingeleitet wurden).21 Zum anderen weist de~ Nachdruck auf »fairen« Handel<br />

darauf hin, mit welcher Entschiedenheit die US-Regierung bereit ist, tiber traditionelle<br />

GATT-Positionen zu Handelsschranken hinauszugehen. Sie unterstiitzt die 1nstitutionalisierung<br />

von de novo internationalen Regeln in wichtigen strategischen<br />

Bereichen, wie z.B. dem Feld ausHindischer Direktinvestitionen.<br />

Die des Wortes »Handel« istjedoch einexpliziter Hinweis, daB das GATT­<br />

System als wichtiges institutionelles Mittel flir Initiativen zu multilateralen Regeln in<br />

Investitionsfragen bevorzugt in Anspruch genommen werden solI. Der Grund hierftir<br />

liegt groBenteils in der Tatsache, daB es innerhalb des GATT-Rahmens die Moglichkeit<br />

internationaler DurchsetzungsmaBnahmen gibt (z.B. obligatorische Beratungen<br />

mit zeitlicher Festlegung zu Durchflihrung, Sanktionen und VergeltungsmaBnahmen).<br />

In anderen multilateralen Abkommen und Verhaltensregeln tiber Direktinvestitionen<br />

und Angelegenheiten des Technologiehandels sind entsprechende Praktiken<br />

nicht zu finden.<br />

In diesen multilateralen Verhandlungen ist die Hauptintention, vor allern der USA und<br />

Japans, den TRIMs-Fall als Startbasis zu benutzen, um ein internationales Investitionsregime<br />

zu schaffen und so die Bedingungen flir eine Durchdringung der Markte<br />

von Drittlandern zu verbessern. 22 Vor dem Hintergrund der Transnationalisierung,<br />

die viele moderne okonomischeAktivitaten erfaBthat, verfolgen die vorgeschlagenen<br />

intemationalen Regeln auf operationeller Ebene zwei Ziele: Erstens soIl das Gleichgewicht<br />

zwischen den Verhandlungspartnem zugunsten der transnationalen Unter-


152 Constantine v. Vaitsos<br />

nehmen und zuungunsten der entwickelten oder unterentwickelten Gastgeberlander<br />

verandert werden. Die Position der Untemehmen wird verstarkt, indem sie ihre eigenen<br />

Zutritts- und Operationsbedingungen diktieren konnen und indem der Verhandlungsspielraum<br />

der Gastgeberlander durch multilaterale Regeln beschrlinkt wird, ohne<br />

daB die entsprechenden Bereiehe der Untemehmensgeschlifte berUhrt wurden."<br />

Somit verandem sieh die Bedingungen des intemationalen Tauschs zugunsten bestimmter<br />

wirtschaftlieher und politischer Akteure in der intemationalen Wirtschaft.<br />

Z weitens durchlochert die Etablierung eines so1chen Investitionsregimes den okonomischen<br />

Raum der nationalen Staaten und verstlirkt die entsprechende untemehmerische<br />

Ebene. In dieser Hinsieht werden nicht nur.Schutz- und Uberwachungsvorgange<br />

emsthaft reduziert, indem die Bedingungen fUr Geschliftsvorgange modifiziert<br />

werden, urn sie den zentralen Entwicklungszielen anzupassen, sondem die gesamte<br />

Rolle der Regierungen fUr die Entwicklung wird durch spezifische intemationale Regeln<br />

beschnitten.<br />

Zusatzlich zu den» TRIMs«-Themen, die oben diskutiert wurden, zielt eine andere<br />

neue Initiative im Kontext der multilateralen Verhandlungen des GATT auf die Liberalisierung<br />

des »Handels mit Dienstleistungen« abo Dieser Sektor stellt einen der<br />

wichtigsten »downstream«-Abnehmer groBer technologischer Neuerungen dar. Er<br />

urnfaBt 40-45 % des Gesamtumfangs an auslandischen Direktinvestitionen der wichtigsten<br />

auslandischen Investitionslander in der Weltwirtschaft. 23<br />

In Anbetracht der Natur und Besonderheiten von Dienstleistungen als produktive<br />

Aktiv~taten, verlangt die Durchdringung auslandischer Markte die expliziteAnerkennung<br />

von Problemen, die fUr diesen Sektor und seine Teilsektoren spezifisch sind. Sie<br />

beziehen sieh auf verschiedene Arten protektionistischer MaBnahmen, die sowohl<br />

von industrialisierten als auch Entwieklungslandem unterschiedlich stark angewandt<br />

werden, urn den Grad der Durchdringung ihrer inlandischen Markte durch auslandische<br />

Untemehmen in verschiedenen Teilsektorendes Dienstleistungsbereiehs zu begrenzen.So1che<br />

MaBnahmen beinhalten:24<br />

a) Bedingungen fUr betriebliehe Niederlassungen (so auch fUr Teile des Bankwesens<br />

und der Versieherungsindustrie),<br />

b) Bedingungen, die mit den Betriebsbedingungen zusammenhangen und vorwiegend<br />

die Kosten fUr die Geschliftstatigkeit betreffen,<br />

c) Bedingungen, die sieh auf Zugang oder GroBe des Geschlifts beziehen (Quoten,<br />

AusschluB von offentliehen Auftragen, Verbot, bestimmte Geschlifte zu tatigen<br />

wie z.B. die Annahme von Spareinlagen fUr auslandische Banken usw.) und<br />

d) MaBnahmen, die nieht primar aufbestimmte Teilsektoren bezogen sind, sondem<br />

fUr das Funktionieren einiger von ihnen zentral sein konnen (z.B. Kontrolle der<br />

Wechselkurse, Personalangelegenheiten, tiber die Grenzen gehende DatenflUsse).<br />

Die vorangehenden Betrachtungen erklaren die umfassende Natur und weitreichenden<br />

Implikationen der Politik vieler entwickelter Okonomien wlihrend der GATT­<br />

Verhandlungen, die zum Teil falschlicherweise als Problem der Liberalisierung des<br />

»Handels« mit Dienstleistungen bezeichnet werden. Der ganze Vorgang steht in<br />

scharfem Gegensatz zu den hartenArgumenten fUr die oben angesprochene Eingren-


Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« der Weltwirtschaft 153<br />

zung der Produktion und der p".nV"'UU'HW Positionen bei »mn


154 Remco van Capelleveen<br />

Reihe wichtiger Fragen des intellektuellen Eigentums entschieden werden mtissen. In<br />

einer Zeitspanne von vielleicht ein paar Jahren werden diese Initiativen ziemlich<br />

sicher die intemationalen Wirtschaftsbeziehungen flir alte und neue Aktivitaten in<br />

diesem Bereich neu definieren. Die daraus sich ergebenden Anderungen werden entsprechende<br />

Geschliftspraktiken, insbesondere die der transnationalen Gesellschaft,<br />

auf Jahrzehnte hinaus beeinflussen.<br />

Die USA behalten in bezug auf diese neuen institutionellen und strategischen Initiativen<br />

die unbestrittene Flihrung in verschiedenen Bereichen, die bereits die nationale<br />

Gesetzgebung in einigen anderen entwickelten MarktOkonomien (wie Japan und<br />

Frankreich), aber auch einigen weniger entwickelten Landern, (wie Brasilien und<br />

Siidkorea) beeinfluBt haben. Die Grundgedankeil dieser Initiativen bahnen sich nun<br />

ihren Weg auf multilaterale Foren, insbesondere seit der neuen Runde der GATT-Verhandlungen.<br />

Innerhalb einer Periode von weniger als flinf Jahren fiihrten die USA eine Sperre ein,<br />

die aus wichtigen, invieler Hinsicht grundlegend neuen, nationalen, legalen und institutionellen<br />

MaBnahmen besteht, die sich auf den ganzen Bereich intellektueller Eigentumsangelegenheiten<br />

erstrecken. Einige von ihnen kollidieren mit der von den<br />

USA tiber Jahrzehnte hinweg verfolgten Politik, wlihrend andere vollig neue Dimensionen<br />

und Sichtweisen hinzufiigen. Solche Initiativen schlieBen ein:<br />

a) die 1980 erfolgte Novellierung der »CopyrightAct« von 1976, in der flir die Software<br />

explizit der Schutz des Urheberrechts eingefiihrt wird;26<br />

b) die »Semiconductor Chip Protection Act« von 1984, wo in Abschnitt 902 eine zentrale<br />

»Gegenseitigkeits-Klausel« eingefiihrt wird, die im Gegensatz zum Prinzip<br />

der »nationalen Behandlung« steht, wie sie auf andere US- und multilaterale Vorgauge<br />

angewandt wird;<br />

c) die »Intemational Software Protection Act« von 1985, die ebenfalls eine Gegenseitigkeitsklausel<br />

enthalt.<br />

Abgesehen von technischen Besonderheiten folgt die Gesetzgebung dem umfassenden<br />

politischen Rahmen, dfr durch die» US Trade and Tariff Act« sowie die» National<br />

Productivity and Innovation Act« 1984 gesetzt wurde. Dieses Paket beeindruckender<br />

und einzigartig integrierter Strategien der USA stellt die Grundlage fUr die gegenwartigen<br />

multilateralen Initiativen dar.<br />

Der gegenwlirtige radikale technologische Wandel ruft auBerst komplexe okonomische<br />

Folgen hervor, die zweifellos ein Labyrinth von Fachausdriicken und Sachkenntnissen<br />

im System intellektuellen Eigentums nach sich ziehen werden. Es ist jedoch<br />

notig, die wesentlichen Probleme zu verstehen, urn die unterschiedliche Angemessenheit<br />

der entstehenden neuen Institutionen und Geschaftspraktiken beurteilen zu<br />

konnen. Die technologischen Schrittmacher bauen in diesem Bereich ein System mit<br />

vier Schichten auf:<br />

(a) In Anbetracht des erhOhten Wertes, der auf Information und Wissen in allen Bereichen<br />

gegenwlirtigen Lebens gelegt wird, wird als Hauptziel die Absicherung eines<br />

weitest moglichen Spektrums verschiedener kognitiver Elemente mit dem Netz der<br />

Eigentumsrechte verfolgt und zwar mit zivilen, aber in bestimmten Fallen sogar kri-


Radikale technologische Veriinderungen und die neue »Ordnung« del' Weltwirtschaft 155<br />

minellen Mitteln. Es wird nach effektivenjuristischen und administrativen Verfahren<br />

urn die Verhaltensstandards solcher Eigentumsnutzung<br />

tions- und Wissenselemente zu definieren und z~ kontrollieren. Ein groBes Dilemma<br />

ergibt sich aus der N otwendigkeit der UnterstUtzung und Forderung von Investitionen<br />

HU.UUHS''-d auf der einen<br />

flir die Verbreitung von neuartigem »know-how« auf der anderen.<br />

Die neuen Schli.isselbereiche, in denen Monopolprivilegien durch intellektuelle Eigentumsrechte<br />

werden, betretten<br />

erweiterte UrhcberrechtsMaBnahmen zum Schutz von<br />

Datenbanken<br />

und ahnlichen funktionalen ITH,'),.n,,,<br />

sui Schutz<br />

vieler Aktivitaten von verarbeitenden Endverbrauchem beeinfluBt,<br />

Patentschutz in biotechnologischen Prozessen und Produkten, einschlieBlich Mikroorganismen<br />

sowie ein erweiterter Schutz flir pharmazeutische und<br />

sche Prozesse und Produkte und<br />

Schutz von Handelsgeheimnissen durch die Ausweitung von Eigentumsrechten in<br />

einer Vielzahl anderer technischer und betrieblicher Informationsbereiche.<br />

(b) Ein zentrales Merkmal des sich entwickelnden Systems besteht darin, die zivilrechtlichen<br />

Mittel auszudehnen und urn Elemente del' inlandischen Handelsgesetze<br />

und Grenzkontrollen zu erweitem. Da es ein zentrales Ziel der Technologiebesitzer<br />

ist, die intemationale Verteilung wichtiger okonomischer Aktivitaten institutionell zu<br />

beeinflussen und zu kontrollieren, \vird der beabsichtigte Schutz nicht nur an der<br />

»Quelle« (d.h. am Ort der Produktion), sondern auch auf der Ebene des intemationalen»<br />

Verbrauchs« (z.B. Importe in »Dritt«-Lander) gesucht.<br />

(c) Die dritte Schicht der Struhur des neuen Systems beinhaltet eine neue Ausstattung<br />

mit Durchsetzungsmechanismen, die in die amerikanische Gesetzesstruktur<br />

(durch oben genannte Gegenseitigkeitsklauseln) eingeflihrt wurden und dabei sind,<br />

durch spezielle neue Mechanismen in den international en Instrumentenkasten aufgenommen<br />

zu werden. Dazu gehoren Vorschlage, die Erfiillung von Vertragen abzusichern<br />

durch:<br />

Verfahren zur Beilegung von<br />

Streitflillen<br />

sanktionierte<br />

im von anderen Produkten<br />

und Dienstleistungen zu bestimmten Markten mit der Bedingung flir »verbesserte<br />

Verhaltensstandards« von Drittlandem flir intellektuelles Eigentum verbindet.<br />

Die letzte wichtige Schicht bezieht sich auf eine neue Betrachtungsweise relevanter<br />

Antimonopol- und Antitrust-Praktiken, welche auf intellektuelle .w~C'Vl1'Ul.U'Yangewandt<br />

werden konnen. Wiihrend der Jahre haben besonders<br />

in der<br />

und -Praxis wichtige Veranderungen in Richtung<br />

auf eine bedeutende Reduktion von Konfliktfeldern zwischen Antitrust-Praktiken<br />

und intellektuellen Eigentumsprivilegien stattgefunden. Dieser Wandel in strategischenAngelegenheiten<br />

und zentralenAntimonopol-Prinzipien zielt auf eine Verstarkung<br />

der Rechte der Technologiebesitzer und ihrer Verkaufs- und Nutzungsbedingungen<br />

abo


156 Constantine v. Vaitsos<br />

Abschlie8ende Hejmerklllnl~en<br />

Die gegenwiirtige in steHt in auf international<br />

vereinbarte Normen und okonomisches Verhalten eine neue historische Phase in der<br />

Weltwirtschaft dar. In dieser Phase wird<br />

und Sanktionen<br />

flir die Nichterfiillung<br />

auf eine Reihe neuer Gebiete auszudehnen.<br />

Die<br />

Griinde flir die multilateralen Initiativen auf diesen neuen Gebieten<br />

der von einer industriellen<br />

in<br />

reifen rec:nnOH)glscflen Industrien bewirkt besonders in Zeiten okonomischer<br />

Krise und/oder langsamen Wachstums,<br />

die fundamentalen und strukturellen Veranderungen, die weltweit durch die fadikalen<br />

technologischen Innovationen in der Produktionsstruktur hervorgerufen<br />

wurden und<br />

(iii) die von der US-Administration wahrend des letzten lahrzehnts gefilliten politischen<br />

Entscheidungen und politOkonomischen Initiativen. Die Hauptsorge der<br />

USA galt der Notwendigkeit, die relative Position ihrer Volkswirtschaft im weltweiten<br />

Kontext erneut zu behaupten, besonders inAnbetracht wachsenderTrends<br />

in Richtung okonomische Multipolaritat, die vor aHem auflangfristig hOhere Produktivitatsraten<br />

in anderen entwickelten Marktwirtschaften und der daraus resultierenden<br />

ernsthaften Konkurrenzbedrohung der okonomischen und anderen Interessen<br />

der USA zuruckzuftihren sind.<br />

Die den meisten Problemen zugrundeliegenden Spannungen beziehen sich weit mehr<br />

auf »Nord-Nord«- denn auf »Nord-Siid«-Konflikte. Trotzdem wird die Beilegung<br />

dieser Konflikte unter bestimmten institutionellen Ubereinkiinften die Interessen der<br />

Entwicklungslander signifikant beeinflussen. Wie es schon in friiheren Perioden geschah,<br />

deren Merkmal die grundlegende<br />

von<br />

war, werden Technologie und Politik die Basis und das Funktionieren der Weltwirtschaft<br />

verandem.<br />

1 Fur die Computerindustrie in den USA, Europa und Japan vgl. Flamm (1987).<br />

2 Zu den Implikationen fill die Entwicklungslander vgl. Perez (1985).<br />

3 S. Vaitsos (1986).<br />

4 VgL z.B. OECD (l984a) und OECD (l985a).<br />

5 Vgl. Rodriguez Mendoza (1986).<br />

6 Vgl. zum Thema »leading industries« Nelson (1984) S. <strong>74</strong> ff.<br />

7 Zu »transformative technologies« vgL Cohen/Zysman (1987).<br />

8 Wenn keine andere Angabe erfolgt, stammen die Daten fill diesen Teil aus OECD (1985b).<br />

9 Fur Referenzen fur spezifische Sektoren, vgl. verschiedene Studien, die yom OECD-Sekretariat im<br />

ganzen Breich der Hochtechnologie, insbesondere der »Halbleiterindustrie« (1984b), der »Raum-


Radikale technologische Veranderungen und die neue »Ordnung« del' Weltwirtschaft 157<br />

fahrtindustrie« (l985c) der »pharmazeutischen Industrie« (1984c) und der »Maschinenwerkzeugindustrie«<br />

(1984d) durchgefilhrt wurden.<br />

10 S. OECD (l985b) S. 34.<br />

11 Das US-Militiirbudget betrug 1970 nur die Halfte des NASA-Budgets. In den friihen achtziger Jahren<br />

hatte es dieses jedoch betrachtlich liberholt (vgL OECD 1985a). Dariiber hinaus ist das US-Verteidigungsministerium<br />

die wichtigste Quelle filr Forschungs- und Entwicklungsgelder fliT die amerikanische<br />

Telekommunikationsindustrie (vgl. unter anderem Savage/Catoe /Caughran 1983).<br />

12 In def Halbleiterproduktion waren filr die Herstellung von elektronischen Mikroplattchen 100000 $<br />

- 500000 $ als Minimalinvestition am Ende der sechziger Jahre erforderlich. 1978 lag die entsprechende<br />

Summe bei 10 Mill. Dollar, wahrend die Gesamtinvestition fijr die Fertigungsanlagen 198260<br />

Mill. Dollar liberstiegen, vgl. Truel (o.D.).<br />

13 Financial Times, 1. Mai, 1987.<br />

14 S. O'Connor (1987).<br />

15 s. »R&D Scoreboard«, in: Business Week, 1982 and 1983.<br />

16 S. entsprechende Hinweise in Herald Tribune, 4.10.87, S. 11 und Financial Times, 10.8.86.<br />

17 S. OECD (l984d) S. 25.<br />

18 S. UN-CTC (1983) S. 207 ff.<br />

19 s. OECD (1984a) S. 59.<br />

20 Idem S. 61.<br />

21 Innerhalb des GATT betraf die erste Initiative auf diesem Gebiet einen Konflikt zwischen den USA<br />

und Kanada. Vgl. GATT (1984).<br />

22 Die Positionen der USA und Japans konzentrieren sich auf drei mit dem Handel verbundene Gebiete<br />

von Investition'smaBnahmen, in welchen Handlungen der gastgebenden Regierungen als mit den<br />

intemationalen Regeln unvereinbar betrachtet werden:<br />

A. F orderungen fur lokale Beschrankungen (anwendbar auf verschiedene Produktions- und V erkaufseinrichtungen,<br />

Handelsausgleich, Stammaktien, Praktiken der Technologie-Vermarktung,<br />

verschiedene Lizenzabkommen, Strategien filr Geschaftsanreize, Angelegenheiten der<br />

Zahlungsbilanz, Restriktionen flir Geldliberweisungen, usw.), welche direkt, indirekt oder<br />

sogar potentiell den Verkauf oder Gebrauch importierter Produkte begrenzen.<br />

B. Produktions- und Verkaufsforderungen, welche die Fahigkeit anderer Lander beschranken, in<br />

ein flir bestimmte auslandische Investitionen und/oder Technologieunternehmungen offenes<br />

Gastgeberland zu exportieren.<br />

C. Forderungen, die sich auf Handel, Technologie und Lizenzen, diverse Produktion, Aktien und<br />

Geldliberweisungen beziehen sowie Strategien flir Geschaftsanreize, welche einen steigenden<br />

Export aus den Gastgeberlandern »erzwingen«.<br />

S. Multilateral Trade Negotiations, Uruguay Runde, GATT (1987a und 1987b).<br />

23 S. UN-CTC (1987).<br />

24 S. Marwick (1986).<br />

25 S. Office of TEchnology Assessment (1985). Flir eine Analyse vom Standpunkt der Entwicklungslander<br />

aus, s. Borges Bardosa (1987).<br />

26 Flir vorbereitende Kommentar zu dieser Initiative s. Kolle (1977).<br />

Literai'uT<br />

Borges Bardosa, Denis, The Intellectual Property System, Brasilia, 1987, Vortrag, gehaJten bei der SELA<br />

Konferenz in Caracas liber »The World Economy and Latin American Development: Problems and<br />

Prospects«, 1987.<br />

Business Week, R&D Scoreboard, 1982 und 1983.<br />

Cohen, S.S. und J. Zysman, Manufacturing Matters: The Myth of the Post-Industrial Economy (Basic<br />

Books: New York) 1987.<br />

Financial Times, 10.8.86.<br />

Financial Times, 01.8.87


158<br />

Flamm, K., Targeting The Computer: Government Support and International Competition (The Brookings<br />

Institution: Washipgton, D.C.) 1987.<br />

GATT, Special Planel Report, L/5504 und BISD/30S/140, Genf, 7. Februar 1984.<br />

GATT Secretariat, Submission by the United States,<br />

MTN/GNG/NG12/W/4, Genf, 11. Juni, 1987a.<br />

GATT Secretariat, Submission by the Japanese Government, MTN/GNG/NG 12/W/7, 23. Juni 1987b.<br />

Herald Tribune, 4.10.87, S. 11.<br />

Kolle, Computer Software Protection: Present Situation and Future Prospects, in: Copyright, No. 13,<br />

1977.<br />

Marwick, Peat, A Typology of Barriers to Trade in Services, mimeo, Juli, 1986.<br />

Nelson, R., High-technology Policies: afive nation comparison, (American Enterprise Institute for Public<br />

Policy Research: Washington D.C. and London) 1984.<br />

O'Connor, C.C., Changing Patterns of International Production in the Semiconductor Industry: The Role<br />

of Transnational Corporations, mirn., Mai, 1983.<br />

OECD, Trade in High-Technology Products in the Semi-conductor Industry: Industrial Structures and<br />

Government Policies, Secretariat, Paris, Mai, 1984a.<br />

OECD, Semiconductor Industry, Secretariat, DSTI/SPR/83.104, Paris, 9. Mai 1984b.<br />

OECD, Pharmaceutical Industry, Secretariat, DSTI/SPR/83.10l, Paris, 15. Marz, 1984c.<br />

OECD, Machine Tool Industry, Secretariat, DSTI/SPR/83.102, Paris, 22. Marz 1984d.<br />

OECD, Trade in High-Technology Products: The Space Products Industry, Secretariat, Paris, Marz<br />

J985a.<br />

OECD, An Initial Contribution to the Statistical Analysis of Trade Patterns in High Technology Products,<br />

Directorate for Science, Technology and Industry, DSTI/SPR/84.66 and IND/84.60, Paris, 30. Januar<br />

1985b.<br />

OECD, Space Products Industry, Secretariat, DSTI/SPR/83.32, Paris, Marz 6 J985c.<br />

Office of Technology Assessment, Intellectual Property Rights in anAge of Electronics and Information,<br />

U.S. Congress,<br />

Perez, Carlota, Microelectronics, Long Waves and World Structural Change: New Perspectives for<br />

Developing Countries, in: World Development, Marz 1985,44-463.<br />

Rodriguez Mendoza, M., Lating America and the U.S. Trade and Tariff Act, in: Journal of World Trade<br />

Law, Vol. 20, No.1, Jan./Feb., 1986.<br />

Savage, M., C. Catoe und P.M. Canghran, Manned Space Station Relevance to Commercial Televommunicatiol1<br />

Satellites: A Prospectus to Year 2000, AIAA/NASA Symposium, Arlington, Virginia, Juli,<br />

1983.<br />

Truel, J.L.,L 'industrie mondiale des semi-conducteurs, These de Troisieme Cycle, Universite de paris IX.<br />

UN-CTC, Transnational Corporations in the Semi-conductor Industry, New York, 1983.<br />

UN-CTC, Role of transnationale corporations in services, including transborder data flows, e/C.lO/<br />

1987/11, New York, 26. Januar 1987.<br />

Vaitsos, Constantine V., Transnational rendering fo services, national development and the role of<br />

TNCs, Special Paper UNDP/UNCTAD/ECLA Project (RLA/82/0l2/, Genf, Mai, 1986.


159<br />

Zu den Autoren<br />

A. Markovits lehrt Politologie am »Center for European Studies« in Harvard.<br />

Robert Guttmann lehrt Okonomie an der Hofstra University in New York.<br />

Remco· van Capelleveen lehrt am John F. Kennedy Institut der Freien Universitat<br />

Berlin.<br />

Horst Heitmann ist Politologe und Doktorand am Otto-Stlhrclnstitut derFreien<br />

Universitat Berlin.<br />

Christoph Scherrer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Otto-Suhr-Institut der<br />

Freien Universitat Berlin.<br />

Constantine v. Vaitsos lehrt an der Universitat von Athen und ist langjiihriger Berater<br />

unterschiedlicher UN -Organisationen.


•••• 0 0 0 0 0 0 0 • Sir.iNr."<br />

0 0 0 0 0 0 0 • 0 0 0<br />

Die ekonomischen und sozialen<br />

Umstrukturier rozesse seit<br />

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Theorien<br />

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Argumente<br />

IANKEN<br />

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»Die Macht der Banken«, Beitrage<br />

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