Angst, Furcht und ihre Bewältigung - oops - Carl von Ossietzky ...

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52 Nach ICD-10 und DSM IV (World Health Organization, 1994; American Psychiatric Association, 1994) werden dissoziative Amnesien als partieller oder vollständiger Verlust der Erinnerungen aufgrund zuvor erlebter belastender Ereignisse wie psychische oder somatische Traumata bzw. massiver Stress verstanden, ohne dass eine hirnorganische Verursachung vorliegt. Bei der dissoziativen Fugue umfasst die Gedächtnisstörung zusätzlich eine initiale Reise oder Ortsveränderung und darüber hinaus auch manchmal den vollständigen Verlust der eigenen Identität. Wie schon in den frühen Fällen eindrucksvoll beschrieben wurde, stellen sich die Gedächtnisstörungen als relativ selektiv dar und liegen – bei Erhalt der Fähigkeit, neue Informationen zu speichern – zumeist im Bereich des autobiographischen Altgedächtnisses. Solche Fälle stellen auch heute eine Patientengruppe dar, bei der amnestische Zustände eindeutig auf bestimmte Umwelterfahrungen zurückführbar sind. Die wohl am besten untersuchte gedächtnisbeeinträchtigende Umweltvariable ist chronischer oder extremer Stress bzw. Psychotraumatisierung und die potentiell daraus resultierende posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (zum Beispiel O’Brien, 1998). Nach Tembrock (2000) können hierbei insbesondere subjektiv unkontrollierbare Stressbelastungen bzw. angstbesetzte Situationen zu einer gesteigerten Bildung von Stresshormonen (Glucocorticoiden) in der Nebennierenrinde führen (Fuchs et al., 2001). Bei chronischen Stresszuständen wird zusätzlich die Neubildung und Ausschüttung von neurotrophen Substanzen aus den Gliazellen gehemmt (Nam et al., 2000; Smith, 1996), wobei diese Hemmung teilweise durch sekundäre Botenstoffe („second messenger“) wieder aufgehoben werden kann. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der gesamte Mechanismus der Signalübertragung im Zentralnervensystem unter Dauerbelastungen (wie zum Beispiel Ängsten) leidet mit der möglichen Folge permanenter funktioneller oder struktureller Veränderungen im Gehirn (Bremner, 2001; Markowitsch et al., 1999c). Es besteht eine hohe Komorbidität zwischen PTBS und anderen psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel Angststörungen, Panikstö-

ungen und Depressionen (Brady et al., 2000; Lydiard, 2001; Marshall et al., 2001). Im Zuge dieser Erkrankungen sind ebenfalls amnestische Symptome zu beobachten, wobei das Ausmaß und die Schwere der Gedächtnisstörung hier stark variieren. Da Amnesien nach organischer Hirnschädigung und im Rahmen von psychiatrischen Erkrankungen bzw. psychischen Verursachungen, seien sie nun dissoziativer oder anderer Natur, oftmals erstaunlich ähnlich sind (Markowitsch, 1996), ist anzunehmen, dass auch hier wichtige gedächtnisverarbeitende Strukturen auf physiologischer oder morphologischer Ebene gestört sind. Diese hirnorganischen Korrelate von Amnesien nicht primär organischer Ätiologie sollen im Folgenden an Fallbeispielen verdeutlicht werden, wobei zunächst eine Klassifikation der multiplen, beim Menschen zu findenden Gedächtnissysteme vorgenommen wird. 2 Multiple Gedächtnissysteme Gedächtnis lässt sich nach zeitlichen und nach inhaltlichen Aspekten unterteilen. Die Unterteilung des Gedächtnisses nach der Zeit umfasst die Begriffe des Ultrakurzzeit-, des Kurzzeit-, und des Langzeitgedächtnisses. Im Ultrakurzzeitgedächtnis (auch ikonischer oder echoischer Speicher genannt) werden Informationen für die kurze Dauer von Millisekunden gehalten (Cowan, 1984), das Kurzzeitgedächtnis reicht von Sekunden bis maximal Minuten oder beträgt, bezogen auf die maximal verarbeitbare Informationsmenge, sieben plus/minus zwei Einheiten (Miller, 1956; Yoshino, 1993). Eine spezielle Form des Kurzzeitgedächtnisses stellt das Arbeitsgedächtnis dar (Baddeley, 2000; Baddeley et al., 2001; Cowan, 1998; Wagner, 1999), das – über die passive Informationsaufnahme des Kurzzeitgedächtnisses hinaus – das gleichzeitige aktive Halten und Manipulieren von Informationen innerhalb eines begrenzten Zeitraumes beinhaltet (beispielsweise beim Kopfrechnen). Alles, was über das Kurzzeitgedächtnis hinausgeht, wird dem Langzeitgedächtnis zugeordnet, das sowohl hinsichtlich seiner Zeitdauer als auch hinsichtlich seiner Kapazität prinzipiell unbegrenzt ist. 53

ungen <strong>und</strong> Depressionen (Brady et al., 2000; Lydiard, 2001;<br />

Marshall et al., 2001). Im Zuge dieser Erkrankungen sind ebenfalls<br />

amnestische Symptome zu beobachten, wobei das Ausmaß <strong>und</strong> die<br />

Schwere der Gedächtnisstörung hier stark variieren.<br />

Da Amnesien nach organischer Hirnschädigung <strong>und</strong> im Rahmen <strong>von</strong><br />

psychiatrischen Erkrankungen bzw. psychischen Verursachungen,<br />

seien sie nun dissoziativer oder anderer Natur, oftmals erstaunlich<br />

ähnlich sind (Markowitsch, 1996), ist anzunehmen, dass auch hier<br />

wichtige gedächtnisverarbeitende Strukturen auf physiologischer oder<br />

morphologischer Ebene gestört sind. Diese hirnorganischen Korrelate<br />

<strong>von</strong> Amnesien nicht primär organischer Ätiologie sollen im Folgenden<br />

an Fallbeispielen verdeutlicht werden, wobei zunächst eine Klassifikation<br />

der multiplen, beim Menschen zu findenden Gedächtnissysteme<br />

vorgenommen wird.<br />

2 Multiple Gedächtnissysteme<br />

Gedächtnis lässt sich nach zeitlichen <strong>und</strong> nach inhaltlichen Aspekten<br />

unterteilen. Die Unterteilung des Gedächtnisses nach der Zeit umfasst<br />

die Begriffe des Ultrakurzzeit-, des Kurzzeit-, <strong>und</strong> des Langzeitgedächtnisses.<br />

Im Ultrakurzzeitgedächtnis (auch ikonischer oder<br />

echoischer Speicher genannt) werden Informationen für die kurze<br />

Dauer <strong>von</strong> Millisek<strong>und</strong>en gehalten (Cowan, 1984), das Kurzzeitgedächtnis<br />

reicht <strong>von</strong> Sek<strong>und</strong>en bis maximal Minuten oder beträgt,<br />

bezogen auf die maximal verarbeitbare Informationsmenge, sieben<br />

plus/minus zwei Einheiten (Miller, 1956; Yoshino, 1993). Eine spezielle<br />

Form des Kurzzeitgedächtnisses stellt das Arbeitsgedächtnis dar<br />

(Baddeley, 2000; Baddeley et al., 2001; Cowan, 1998; Wagner,<br />

1999), das – über die passive Informationsaufnahme des Kurzzeitgedächtnisses<br />

hinaus – das gleichzeitige aktive Halten <strong>und</strong> Manipulieren<br />

<strong>von</strong> Informationen innerhalb eines begrenzten Zeitraumes beinhaltet<br />

(beispielsweise beim Kopfrechnen). Alles, was über das Kurzzeitgedächtnis<br />

hinausgeht, wird dem Langzeitgedächtnis zugeordnet,<br />

das sowohl hinsichtlich seiner Zeitdauer als auch hinsichtlich seiner<br />

Kapazität prinzipiell unbegrenzt ist.<br />

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