Angst, Furcht und ihre Bewältigung - oops - Carl von Ossietzky ...

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304 Gebildeten verwehrt oder nicht interessant genug. „Oft“ meint aber keineswegs „immer“, stießen diese Druckzeugnisse doch auch außerhalb der Unterschichten auf Interesse (Mandrou, 1975, S. 75), ein Befund, der auch für die Populärliteratur unserer Zeit und ihre Parallelen in Medien wie Film und Fernsehen gilt. 19 Wie Mandrou hervorhebt, handelt es sich bei den Schriften, die die von Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof und von Markt zu Markt wandernden Händler20 neben Bändern und einigen Kurzwaren zum Kauf anboten, um Texte unterschiedlichen Ursprungs. Geschrieben waren die Texte im Französisch des Nordens und damit im Süden mit der dort dominierenden „langue d’oc“ wenig vertreten. Dies gilt auch für den Südwesten Frankreichs und die Bretagne. Das Hauptverbreitungsgebiet war also das Gebiet der Loire, Nordfrankreich sowie Paris und seine Umgebung. Mittelpunkt war Troyes, wo die populäre Literaturproduktion einigen Druckern ein sehr gutes und vielen ihrer Arbeiter ein zumindest lange sicheres Einkommen bot. Die Auswahl der Texte wurde nicht unerheblich gesteuert durch die permanente Rückkopplung, die sich für die Produzenten aus den Käufen der Kolporteure ergab, die an ihren Verkäufen genau ablesen konnten, was gefiel. Gerade aus diesem Grund kann das Ausmaß als sehr hoch eingeschätzt werden, in dem die Texte die Präferenzen ihrer Leser wiedergeben. Was lässt sich vor diesem Hintergrund zum Inhalt dieser im doppelten Sinne populären Literatur sagen? Mandrou hat dazu rund 450 Texte21 inhaltlich analysiert, die etwa ein Zehntel des ihm zugänglichen Korpus darstellen. Hier sind die Befunde, eingeteilt nach inhaltlichen Aspekten. 22 19 Vgl. zur Populärliteratur, ihren Themen und Nutzern zusätzlich Märki-Koepp, 1994, und vor allem die umfangreiche Studie von Nutz, 1998. 20 Die Illustration ist einer Werbung für die Ausstellung Beaux ABC, Belles heure! Aspects du colportage, Bibliothèque municipale d’Auxerre, 16. Juni bis 16. September 2001 entnommen. Quelle: http://perso.wanadoo.fr/bibaux/expocolp5.htm. 21 „Texte“ bezeichnet hier Bücher, seien es Monographien oder, was sicher häufiger der Fall war, Textsammlungen einschließlich Almanache usw. 22 Die hier wiedergegebenen quantitativen Angaben sind den entsprechenden Kapiteln bei Mandrou (1975) entnommen. Diese Angaben dienen ausschließlich dem Verweis auf Größenordnungen, da eine genauere Statistik fehlt.

305 Eine erste Abteilung von Texten ist als „Märchen, Mythen sowie Geschichten aus der ‚Wunderwelt der Heiden‘“ (ungefähr 65 Texte) bezeichnet. Diese Gruppe enthält sowohl Feen- und Zaubermärchen (aus Tausend und eine Nacht, aber auch aus der Sammlung von Perrault usw.) als auch Texte zu den großen populären Mythenfiguren: Till Eulenspiegel, Gargantua, Buscon23 , Scara-mouche24 und Fortunatus25 . Gemeinsam haben sie, dass ihr Kampf ums Überleben in der Umgebung oder gegen die Mächtigen vermischt ist mit deren Demaskierung als verlogen und eigennützig, wobei die Helden dieser Erzählungen selbst durchaus zu Gaunereien und zur Skrupellosigkeiten neigen. Die Funktion dieser Texte bestand wohl darin, eine Flucht in eine Wunderwelt zu ermöglichen und den Alltag etwas zu vergessen. Daran ändern auch die impliziten kritischen Aspekte nichts, zumal das Ausmaß von Gesellschaftskritik in diesen Texten insgesamt äußerst gering ist. Eine weitere Abteilung kann mit allen Vorbehalten als „Praktisches Wissen“ (80 Texte) bezeichnet werden: Kalender und Almanache, wissenschaftliche und technische Abhandlungen sowie okkulte bzw. magische Texte. Die Funktion dieser Materialien kann in der praktischen Lebenshilfe gesehen werden, auch wenn der Begriff hier in 23 Die Figur entstammt Francisco Gómez de Quevedos 1626 erschienenem Vida del Buscón. Dabei handelt es sich um einen Roman, bei dem die psychologische Beschreibung eines kleinen Gauners mit einem starken Interesse an moralischen Fragen verknüpft ist. Es handelt sich vom Genre her um das realistische Gegenstück zu den Erzählungen vom herumziehenden Ritter auf der Suche nach einem Ideal. Vorlage ist für den europäischen Kontext wohl die Figur des Lazaro in dem 1544 erschienen spanischen Roman Lazarillo de Tormes, in der der Held die Verlogenheit seiner Herren durchschaut. Die spanischen Texte wurden vielfach übersetzt und dienten in vielen Ländern als eine Vorlage für das Genre des Schelmenromans. 24 Die Figur des skrupellosen und schlauen Dieners aus der Commedia dell’Arte, die geprägt wurde von dem italienischen Schauspieler Tiberio Fiorille (1608 bis 1694). 25 Vgl. als Kurzfassung dieses Märchentyps http://www.rickwalton.com/folktale/ grey07.htm. Der Stoff wurde im 16. und 17. Jahrhundert in verschiedenen Varianten und von verschiedenen Autoren in Europa verwendet, so zum Beispiel von Hans Sachs (1494 bis 1576) in Deutschland oder von Thomas Dekker (?1570 bis 1632) in England.

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Eine erste Abteilung <strong>von</strong> Texten ist als „Märchen, Mythen sowie<br />

Geschichten aus der ‚W<strong>und</strong>erwelt der Heiden‘“ (ungefähr 65 Texte)<br />

bezeichnet. Diese Gruppe enthält sowohl Feen- <strong>und</strong> Zaubermärchen<br />

(aus Tausend <strong>und</strong> eine Nacht, aber auch aus der Sammlung <strong>von</strong><br />

Perrault usw.) als auch Texte zu den großen populären Mythenfiguren:<br />

Till Eulenspiegel, Gargantua, Buscon23 , Scara-mouche24 <strong>und</strong><br />

Fortunatus25 . Gemeinsam haben sie, dass ihr Kampf ums Überleben<br />

in der Umgebung oder gegen die Mächtigen vermischt ist mit deren<br />

Demaskierung als verlogen <strong>und</strong> eigennützig, wobei die Helden dieser<br />

Erzählungen selbst durchaus zu Gaunereien <strong>und</strong> zur Skrupellosigkeiten<br />

neigen. Die Funktion dieser Texte bestand wohl darin, eine Flucht<br />

in eine W<strong>und</strong>erwelt zu ermöglichen <strong>und</strong> den Alltag etwas zu vergessen.<br />

Daran ändern auch die impliziten kritischen Aspekte nichts, zumal<br />

das Ausmaß <strong>von</strong> Gesellschaftskritik in diesen Texten insgesamt<br />

äußerst gering ist.<br />

Eine weitere Abteilung kann mit allen Vorbehalten als „Praktisches<br />

Wissen“ (80 Texte) bezeichnet werden: Kalender <strong>und</strong> Almanache,<br />

wissenschaftliche <strong>und</strong> technische Abhandlungen sowie okkulte bzw.<br />

magische Texte. Die Funktion dieser Materialien kann in der praktischen<br />

Lebenshilfe gesehen werden, auch wenn der Begriff hier in<br />

23 Die Figur entstammt Francisco Gómez de Quevedos 1626 erschienenem Vida<br />

del Buscón. Dabei handelt es sich um einen Roman, bei dem die psychologische<br />

Beschreibung eines kleinen Gauners mit einem starken Interesse an moralischen<br />

Fragen verknüpft ist. Es handelt sich vom Genre her um das realistische Gegenstück<br />

zu den Erzählungen vom herumziehenden Ritter auf der Suche nach einem<br />

Ideal. Vorlage ist für den europäischen Kontext wohl die Figur des Lazaro in<br />

dem 1544 erschienen spanischen Roman Lazarillo de Tormes, in der der Held<br />

die Verlogenheit seiner Herren durchschaut. Die spanischen Texte wurden vielfach<br />

übersetzt <strong>und</strong> dienten in vielen Ländern als eine Vorlage für das Genre des<br />

Schelmenromans.<br />

24 Die Figur des skrupellosen <strong>und</strong> schlauen Dieners aus der Commedia dell’Arte,<br />

die geprägt wurde <strong>von</strong> dem italienischen Schauspieler Tiberio Fiorille (1608 bis<br />

1694).<br />

25 Vgl. als Kurzfassung dieses Märchentyps http://www.rickwalton.com/folktale/<br />

grey07.htm. Der Stoff wurde im 16. <strong>und</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>ert in verschiedenen<br />

Varianten <strong>und</strong> <strong>von</strong> verschiedenen Autoren in Europa verwendet, so zum Beispiel<br />

<strong>von</strong> Hans Sachs (1494 bis 1576) in Deutschland oder <strong>von</strong> Thomas Dekker<br />

(?1570 bis 1632) in England.

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