Angst, Furcht und ihre Bewältigung - oops - Carl von Ossietzky ...
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282 aber doch dazu, dass man begreift, dass hier eine Person im „Zentrum des Zyklons“ steht. Nach diesem Gestaltsprung beginnt die zweite Phase des Spukgeschehens. Die „naiven“ Beobachter und die Fokusperson erzeugen eine neue „organizational closure“ (Varela): Sie bilden die (verschworene) Einheit derjenigen, welche die „echt unerklärlichen Wunder“ der Fokusperson selbst erlebt haben und nun den ungläubigen, bohrenden Fragen der „kritischen“ Beobachter ausgesetzt sind. Dies können angereiste Journalisten und Forscher sein, die „etwas sehen“ und nicht „glauben“ wollen. In dieser Phase wird meist die Fokusperson, die vorher isoliert war, zum Mittelpunkt der „naiven“ Beobachter, also der sozialen Gruppe, welcher der Hilferuf galt. In der Praxis sieht das so aus, dass der Spukauslöser als etwas „Besonderes“ angesehen wird, als „Medium, das mit der Geisterwelt in Verbindung steht“, als Hexe oder als paranormal begabtes Wunderkind. Insofern hätte er ja sein Ziel erreicht, wären da nicht die „kritischen“ Beobachter. Sie erzeugen einen erheblichen Erwartungsdruck. Selbst wenn die neue, organisatorisch geschlossene Einheit noch pragmatische Information an die kritischen Beobachter abgäbe, so könnte sie doch nicht genügend Erstmaligkeit erzeugen, denn die kritischen Beobachter sind nicht nur ein „Fass ohne Boden“, sondern sie verändern auch das beobachtete System durch ihre Beobachtung. Das Ziel ihrer Systembeschreibung besteht nämlich darin, die Phänomene zweifelsfrei und zuverlässig zu dokumentieren, also ihr Beobachtungsobjekt entsprechend reliabel zu präparieren, was nach obiger Gleichung natürlich zur Abnahme von Erstmaligkeit führen muss. Immerhin sind die anreisenden kritischen Beobachter noch an der „Sache“ – wenn auch oft weniger an den Betroffenen – interessiert, so dass es nicht ausgeschlossen ist, dass auch sie noch etwas von der ursprünglichen Dynamik erhaschen können. Viel wahrscheinlicher ist freilich, dass für sie – vielleicht nicht einmal in böser Absicht – etwas inszeniert wird. Diese Inszenierung kann dabei durchaus ein Gemeinschaftswerk der Gruppe sein. Die verblüffend einfache moralische Rechtfertigung für solche Manipulationen besteht oft darin, dass die
283 Betroffenen ja „wissen“, wie es „wirklich“ war, und nichts dabei finden, den Phänomenen auf die Sprünge zu helfen. An der Grenze zwischen dem organisatorisch geschlossenen System der „Spukinteressierten“ und der „Gesellschaft im allgemeinen“ oder der „Grenze zwischen den Welten“ wie Klaus E. Müller (1990) sie bezeichnet, gedeiht also auch der Betrug. Nach diesem „Übergangsdasein“ endet der Spuk mit der Verdrängungsphase, der Phase des Totschweigens. Die Gesellschaft und die staatlichen Organe haben kein Interesse an der Anarchie des Spukgeschehens – ihr Ziel ist es, über reliable Systeme zu verfügen (oder zu herrschen). Auch beim Spuk zeigt sich die „präparierende“ Wirkung der Öffentlichkeit. Von daher betrachtet ist es sicher kein Zufall, dass sich ausgerechnet Juristen, forensische Mediziner und Polizeikommissare – jedenfalls hier in Deutschland – berufen fühlen, dem Spuk (und der Parapsychologie) den Garaus zu machen (Bender und Mischo, 1978). 6 Die Benutzeroberfläche der Angst: Interventionsansätze Aus dem Geschilderten wird deutlich, dass die Gespenstervorstellung für die Betroffenen in gewisser Weise so etwas wie eine „Benutzeroberfläche“ oder eine „Einkleidung“ darstellt. Der Spuk als autonomes selbstorganisierendes System erscheint den Betroffenen wie das Wirken einer Person, eines „Geistes“ oder „Gespenstes“. Es handelt sich also im wesentlichen um eine Anthropomorphisierung und Greifbarmachung komplexer autonomer selbstorganisierender Prozesse. Dabei spielt „Komplexitätsreduktion“ eine wichtige Rolle. Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass zum Beispiel okkulte Praktiken, wie Pendeln oder Gläserrücken, für Jugendliche so attraktiv sind, weil man nur ein Pendel braucht, um zu wissen, ob etwas gut ist oder schlecht, bzw. man nur ein umgedrehtes Glas braucht, um mit „den höchsten Mächten des Universums“ oder mit den Geistern von verstorbenen Autoritäten in Verbindung zu treten. Bei vernünftigen Interventionsverfahren geht es vor allem darum, die systemtheoretische Struktur „paranormaler“ und (damit verbundener)
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Betroffenen ja „wissen“, wie es „wirklich“ war, <strong>und</strong> nichts dabei finden,<br />
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An der Grenze zwischen dem organisatorisch geschlossenen System<br />
der „Spukinteressierten“ <strong>und</strong> der „Gesellschaft im allgemeinen“ oder<br />
der „Grenze zwischen den Welten“ wie Klaus E. Müller (1990) sie<br />
bezeichnet, gedeiht also auch der Betrug. Nach diesem „Übergangsdasein“<br />
endet der Spuk mit der Verdrängungsphase, der Phase des<br />
Totschweigens. Die Gesellschaft <strong>und</strong> die staatlichen Organe haben<br />
kein Interesse an der Anarchie des Spukgeschehens – ihr Ziel ist es,<br />
über reliable Systeme zu verfügen (oder zu herrschen). Auch beim<br />
Spuk zeigt sich die „präparierende“ Wirkung der Öffentlichkeit. Von<br />
daher betrachtet ist es sicher kein Zufall, dass sich ausgerechnet Juristen,<br />
forensische Mediziner <strong>und</strong> Polizeikommissare – jedenfalls hier<br />
in Deutschland – berufen fühlen, dem Spuk (<strong>und</strong> der Parapsychologie)<br />
den Garaus zu machen (Bender <strong>und</strong> Mischo, 1978).<br />
6 Die Benutzeroberfläche der <strong>Angst</strong>: Interventionsansätze<br />
Aus dem Geschilderten wird deutlich, dass die Gespenstervorstellung<br />
für die Betroffenen in gewisser Weise so etwas wie eine „Benutzeroberfläche“<br />
oder eine „Einkleidung“ darstellt. Der Spuk als autonomes<br />
selbstorganisierendes System erscheint den Betroffenen wie das<br />
Wirken einer Person, eines „Geistes“ oder „Gespenstes“. Es handelt<br />
sich also im wesentlichen um eine Anthropomorphisierung <strong>und</strong> Greifbarmachung<br />
komplexer autonomer selbstorganisierender Prozesse.<br />
Dabei spielt „Komplexitätsreduktion“ eine wichtige Rolle. Es kommt<br />
sicher nicht <strong>von</strong> ungefähr, dass zum Beispiel okkulte Praktiken, wie<br />
Pendeln oder Gläserrücken, für Jugendliche so attraktiv sind, weil<br />
man nur ein Pendel braucht, um zu wissen, ob etwas gut ist oder<br />
schlecht, bzw. man nur ein umgedrehtes Glas braucht, um mit „den<br />
höchsten Mächten des Universums“ oder mit den Geistern <strong>von</strong> verstorbenen<br />
Autoritäten in Verbindung zu treten.<br />
Bei vernünftigen Interventionsverfahren geht es vor allem darum, die<br />
systemtheoretische Struktur „paranormaler“ <strong>und</strong> (damit verb<strong>und</strong>ener)