Angst, Furcht und ihre Bewältigung - oops - Carl von Ossietzky ...
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250 Für ihn war kein Platz in der Gesellschaft; sie stießen ihn aus (Erikson, 1971, S. 162). Den Miri, einer Nuba-Gruppe in der Republik Sudan, erschien schon die bloße Idee, die Heimat zu verlassen „erschreckend“ (frightening); auch ihrer Meinung nach grenzte das an „Geistesverwirrung“ (madness) (Baumann, 1987, S. 170). Vor allem die Städte flößten den Menschen Angst ein. Die Konkomba im Norden Ghanas setzten einen Stadtbesuch mit „going into the bush“ gleich (Tait, 1961, S. 124, 208; vgl. Cole, 1975, S. 111). Europäische Forschungsreisende hatten es anfangs schwer, Bedienstete und Träger für längere Wegstrecken, erst recht die Gesamtdauer einer Expedition zu gewinnen (vgl. zum Beispiel Douglas, 1963, S. 9). Arbeit in heimatfernen Gebieten ließ sich nur mit Gewalt erzwingen. Immer wieder kam es zu Fluchtversuchen. Wo das aussichtslos schien, schickten sich die „Entwurzelten“ resignierend in ihr Los, versanken in Apathie und siechten förmlich dahin – sofern sie nicht zuvor Hand an sich legten (Müller, 1996, S. 144f. und die dort angegebenen Belege). Auch als die Arbeitsemigration zur Routine wurde, blieb doch der Wunsch virulent, in der heimischen Erde bestattet zu werden (Scherke, 1923, S. 60; Bürkle, 1968, S. 250). „Selbst der Tod ist erträglich“, so eine alte russische Redensart, „wenn er einen nur daheim im eigenen Dorf ereilt (na miru i smert’ krasna).“ Angst durchfröstelte die Menschen aber auch vor allem bei Nacht. Denn im Schatten des Dunkels, das aus dem Busch durch die Lücken der Schutzwehren in die Ortschaften kroch, schlichen sich Unheilsgeister ein, begannen Hexen und Zauberer ihr Unwesen zu treiben (Hasenfratz, 1982, S. 12; Douglas, 1965, S. 10; Bödiger, 1965, S. 33; Lukesch, 1968, S. 147; Beidelman, 1971, S. 109; Swanson, 1985, S. 101f.). Schwer deutbare, unheimliche Geräusche und Alpträume zeugten untrüglich davon. Gewöhnlich verschloss man daher vor dem Schlafengehen Fenster und Türen fest (vgl. zum Beispiel Tait, 1961, S. 67; Sinha, 1966, S. 24; Thornton, 1980, S. 35, 39ff.). Einen gewissen Schutz bot das Feuer im Herd; man unterhielt es vor allem bei Kranken und Wöchnerinnen (Seligmann, 1927, S. 123ff.). Die Eskimo, berichtet Fridtjof Nansen als einer von zahllosen Zeugen, ließen ihre Tranlämpchen „auch nachts brennen“; das geschehe „nicht
251 nur der Wärme wegen, sondern weil der außerordentlich abergläubische Eskimo sich entsetzlich im Dunkeln fürchtet“ (Nansen, 1903, S. 69). Niemand, den nicht ein triftiger Grund zwang, hätte bei Nacht das Haus, erst recht nicht die Siedlung verlassen. Ein Lele suchte das Mary Douglas an einem Beispiel deutlich zu machen. „Ein Mann“, sagte er, „der bei Nacht allein durch einen ihm fremden Wald geht, kann erleben, dass sich seine Haare zu sträuben beginnen, kalter Schweiß seinen Körper bedeckt und sein Herz wie unsinnig schlägt. Mit einem Male steht er an einer Lichtung, auf der er zuvor ein helles Licht leuchten sah. Er bemerkt ein glimmendes Feuer – aber es ist niemand dabei: Es handelt sich um eine Feuerstelle von Geistern!“ (Douglas, 1965, S. 10) Wer ausging, tat es in Begleitung, bei Mondschein oder mit hell lodernden Fackeln bewehrt (Man, 1883, S. 152; Karsten, 1935, S. 245, 383f.; Kaberry, 1939, S. 247; Tait, 1961, S. 67, 234; Sinha, 1966, S. 24; Murphy und Murphy, 1974, S. 82f.). Angstauslösende Situationen stellen Übergangszustände dar: Die vertraute Ordnung scheint erschüttert, die Orientierung büßt an Verlässlichkeit ein, man weiß nicht, was noch werden mag. Allerdings ist zu scheiden zwischen erstens, unvermeidbaren, immer wiederkehrenden, also bekannten Übergangssituationen wie Geburten, der Pubertät, Verehelichung, dem Jahreswechsel oder dem Tod. Ihnen begegnet man routiniert mit einer Form der Rites de Passage, die in den drei Schritten erfolgen: Herauslösung aus dem Alltag und Seklusion; Umwandlung und Vorbereitung auf den bevorstehenden Zustand und Status; Wiedereingliederung in Gesellschaft und Alltag. Die erstere Phase wird rituell als Sterben oder Tötung, die mittlere als Totsein und Kontakt mit den Ahnen in der Unterwelt, die abschließende dritte als Wiedergeburt und Reintegration in die Gesellschaft „inszeniert“. Die Betreffenden sind „neue Menschen“ geworden; sie haben einen anderen Status erworben. Zweitens. Eine Verfehlung hat das Ordnungsgefüge erschüttert. Auch in diesem Fall separiert man die Schuldigen; sie müssen sich verschiedenen Reinigungen (Ablutionen, Räuchern, Erbrechen und ande-
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Karsten, 1935, S. 245, 383f.; Kaberry, 1939, S. 247; Tait, 1961, S. 67,<br />
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<strong>Angst</strong>auslösende Situationen stellen Übergangszustände dar: Die vertraute<br />
Ordnung scheint erschüttert, die Orientierung büßt an Verlässlichkeit<br />
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erstens, unvermeidbaren, immer wiederkehrenden, also bekannten<br />
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dem Jahreswechsel oder dem Tod. Ihnen begegnet man routiniert mit<br />
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Herauslösung aus dem Alltag <strong>und</strong> Seklusion; Umwandlung <strong>und</strong> Vorbereitung<br />
auf den bevorstehenden Zustand <strong>und</strong> Status; Wiedereingliederung<br />
in Gesellschaft <strong>und</strong> Alltag. Die erstere Phase wird rituell als<br />
Sterben oder Tötung, die mittlere als Totsein <strong>und</strong> Kontakt mit den<br />
Ahnen in der Unterwelt, die abschließende dritte als Wiedergeburt<br />
<strong>und</strong> Reintegration in die Gesellschaft „inszeniert“. Die Betreffenden<br />
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in diesem Fall separiert man die Schuldigen; sie müssen sich verschiedenen<br />
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