Angst, Furcht und ihre Bewältigung - oops - Carl von Ossietzky ...

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248 Auge, strahlte, auragleich, über Wärme und Schweißgeruch ab, bohrte sich mit den Worten ins Ohr, ja konnte den Arm erheben und zuschlagen. Fremden wurden generell zerstörerische Kräfte zugeschrieben. Sie besaßen den Bösen Blick. Man erschrak, wenn man ihrer ansichtig wurde. Frauen und Kinder ergriffen die Flucht. Als ein Fischer der Kalabari, einer altansässigen Bevölkerung im Deltagebiet des Niger (Nigeria), den ersten Weißen erblickte, hastete er, wie berichtet wird, „panikgetrieben nach Hause und erzählte, was er gesehen hatte, woraufhin sich alle reinigten, um sich von dem Einfluss des seltsamen und monströsen Wesens zu befreien, das da in ihre Welt eingedrungen war“ (Horton, 1967, S. 176). Selbst längere Aufenthalte konnten das Misstrauen oft nicht zerstreuen. Der Missionar Anton Lukesch hatte bereits Monate unter den Kayapó im Nordosten Brasiliens gelebt, als eine Epidemie ausbrach, der vor allem Kinder zum Opfer fielen. Er versuchte nach Kräften, mit seinen Medikamenten zu helfen. Als einem der Kinder wieder der Tod drohte, rief die Mutter „mit schriller Kopfstimme, dass es in der Nacht weithin über das Dorf hallte: ‚Die Fremden sind von weither gekommen. Warum wohl? Um unsere Kinder zu töten, sind sie gekommen; deshalb nur!‘“ (Lukesch, 1968, S. 138) Anfang des 20. Jahrhunderts hatten es auch im ländlichen Europa Ärzte noch schwer, Vertrauen zu gewinnen. Sie waren Städter und insofern Fremde. Von ihren Besuchen, zumal wenn sie eine körperliche Berührung einschlossen, erwartete man daher eher eine Verschlechterung des Zustands. Besonders suchte man zu verhindern, dass sie erkrankte Kinder ansahen, geschweige denn berührten (Seligmann, 1922, S. 131, 310; vgl. Fuchs, 1950, S. 179). Eine analoge Zurückhaltung gilt noch heute in ländlichen Bereichen der Dritten Welt europäischen Ärzten und Krankenhäusern gegenüber. In der guten alten Zeit pflegte man nicht lange zu fackeln. Näherte sich ein Fremder unangemeldet der Siedlung, machte man ihn gewöhnlich ohne viel Federlesens nieder – es sei denn, er konnte den Nachweis erbringen, dass er mit einem der Einwohner genealogisch verwandt war (vgl. zum Beispiel Davidson, 1928, S. 622f.; Eibl-

249 Eibesfeldt, 1973, S. 133ff.). Die Motive für Angst und Antagonismus schöpften aus dem Ethnozentrismus. Fremde waren anders, verfügten nur über eine rudimentäre Kultur und Moral, kleideten sich schlecht und kochten miserabel (so zum Beispiel die Auffassung der Lele am mittleren Kasai von den ihnen benachbarten Nkutu: Douglas, 1963, S. 13f.). Im Falle auffallenderer Abweichungen rückte man sie den Tieren nah. Jedenfalls galten sie immer mehr oder weniger als „Wilde“ (Müller, 1987, S. 90f.; 1996, S. 148-184). Was aber unvollkommen, minderwertig und schlecht, also gleichsam krank ist, kann der eigenen gesunden Vollkommenheit nur gefährlich sein. Traditioneller Vorstellung nach zieht man sich eine Krankheit durch Berührung mit Fremdem zu – seien es feinstoffliche Partikel, die durch einen Atemzug in den Körper gelangen, Substanzen, die man berührt oder isst, ein Blick oder ein böser Gedanke, die einen treffen. Die Iraqw in Tansania bezeichneten fremde Menschen pauschal als „homa“ – mit demselben Begriff, den sie auch für eine „mystische“ Substanz verwandten, von der sie glaubten, dass sie von außen in den Körper eindringe und krankmache (Thornton, 1980, S. 129). In vielen Sprachen, nicht nur im Lateinischen, sind die Ausdrücke für „fremd“ und „feindlich“ identisch (Müller, 1987, S. 86f. und die dort angegebenen Belege; Müller, 1996, S. 23; vgl. Seligmann, 1922, S. 145f.; Plischke, 1939, S. 401; Jensen, 1960, S. 262; Middleton, 1960, S. 242; Beattie, 1965, S. 3; Kronenberg und Kronenberg, 1970, S. 271; Okladnikov, 1970, S. 298, 299; Thornton, 1980, S. 27). Um so mehr ängstigte man sich daher in traditionellen Kulturen, seinerseits Fremdland zu betreten (Lévy-Bruhl, 1959, S. 193f.; Müller, 1983, S. 47; 1996, S. 143f.; Man, 1883, S. 95; Karsten, 1935, S. 278; Petrullo, 1939, S. 179; Leith-Ross, 1965, S. 181f.; Sinha, 1966, S. 24; Lukesch, 1968, S. 149f.; Barnes, 1974, S. 2; Marshall, 1976, S. 292f.; Eibl-Eibesfeldt, 1978, S. 485; Thornton 1980, S. 27). Pygmäen fühlten sich, wie Paul Schebesta beobachtete, außerhalb ihres Territoriums „doppelt scheu und furchtsam“ (Schebesta, 1941, S. 274). Die schon genannten Yurok im nordwestlichen Kalifornien hielten jeden, der aus freien Stücken außerhalb seiner Heimat reiste, schlichtweg für „verrückt“ oder führten seine Abartigkeit auf „unedle Geburt“ zurück.

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Auge, strahlte, auragleich, über Wärme <strong>und</strong> Schweißgeruch ab, bohrte<br />

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Fremden wurden generell zerstörerische Kräfte zugeschrieben. Sie<br />

besaßen den Bösen Blick. Man erschrak, wenn man <strong>ihre</strong>r ansichtig<br />

wurde. Frauen <strong>und</strong> Kinder ergriffen die Flucht. Als ein Fischer der<br />

Kalabari, einer altansässigen Bevölkerung im Deltagebiet des Niger<br />

(Nigeria), den ersten Weißen erblickte, hastete er, wie berichtet wird,<br />

„panikgetrieben nach Hause <strong>und</strong> erzählte, was er gesehen hatte, woraufhin<br />

sich alle reinigten, um sich <strong>von</strong> dem Einfluss des seltsamen<br />

<strong>und</strong> monströsen Wesens zu befreien, das da in <strong>ihre</strong> Welt eingedrungen<br />

war“ (Horton, 1967, S. 176). Selbst längere Aufenthalte konnten<br />

das Misstrauen oft nicht zerstreuen. Der Missionar Anton Lukesch<br />

hatte bereits Monate unter den Kayapó im Nordosten Brasiliens gelebt,<br />

als eine Epidemie ausbrach, der vor allem Kinder zum Opfer<br />

fielen. Er versuchte nach Kräften, mit seinen Medikamenten zu helfen.<br />

Als einem der Kinder wieder der Tod drohte, rief die Mutter „mit<br />

schriller Kopfstimme, dass es in der Nacht weithin über das Dorf<br />

hallte: ‚Die Fremden sind <strong>von</strong> weither gekommen. Warum wohl? Um<br />

unsere Kinder zu töten, sind sie gekommen; deshalb nur!‘“ (Lukesch,<br />

1968, S. 138) Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts hatten es auch im ländlichen<br />

Europa Ärzte noch schwer, Vertrauen zu gewinnen. Sie waren<br />

Städter <strong>und</strong> insofern Fremde. Von <strong>ihre</strong>n Besuchen, zumal wenn sie<br />

eine körperliche Berührung einschlossen, erwartete man daher eher<br />

eine Verschlechterung des Zustands. Besonders suchte man zu verhindern,<br />

dass sie erkrankte Kinder ansahen, geschweige denn berührten<br />

(Seligmann, 1922, S. 131, 310; vgl. Fuchs, 1950, S. 179). Eine<br />

analoge Zurückhaltung gilt noch heute in ländlichen Bereichen der<br />

Dritten Welt europäischen Ärzten <strong>und</strong> Krankenhäusern gegenüber.<br />

In der guten alten Zeit pflegte man nicht lange zu fackeln. Näherte<br />

sich ein Fremder unangemeldet der Siedlung, machte man ihn gewöhnlich<br />

ohne viel Federlesens nieder – es sei denn, er konnte den<br />

Nachweis erbringen, dass er mit einem der Einwohner genealogisch<br />

verwandt war (vgl. zum Beispiel Davidson, 1928, S. 622f.; Eibl-

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