Angst, Furcht und ihre Bewältigung - oops - Carl von Ossietzky ...

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16 zeugkrokodilen lernen Rhesusaffen sehr schnell und bereitwillig, während sie sich vor Blumen oder Kaninchen auch dann weiterhin nicht fürchten, wenn ihnen Videos von Artgenossen vorgeführt werden, die sich vor diesen Dingen scheinbar fürchten (Cook und Mineka, 1989). Weitere Experimente erhärteten die Hypothese, dass Rhesusaffen bestimmte – Gefahren-relevante – Stimuli sehr viel eher mit Gefahr assoziieren als neutrale Stimuli (Cook und Mineka, 1990). Schlangenfurcht, so scheint es, ist Affen und Menschen also nicht angeboren, wohl aber verfügen sie über eine sehr spezifische angeborene Lerndisposition, die sie in die Lage versetzt, eine solche Furcht sehr rasch und dauerhaft zu entwickeln. Ohman und Mineka (2001) sprechen in diesem Zusammenhang von einem evolvierten Furchtmodul, das heißt einer spezialisierten neuronalen Funktionseinheit mit Sitz in der Amygdala, die sich – einmal aktiviert – kognitiver Kontrolle weitgehend entzieht und automatisch auf Gefahren-relevante Reize reagiert (siehe aber Macphail und Bolhuis, 2001, für eine Kritik an dieser Interpretation). Menschen verfügen offenbar über eine Reihe solcher bereichsspezifischer Furchtmodule, die zumindest teilweise erfahrungsabhängig sind und sich – wie etwa Platzangst oder Spinnenphobien – auf ganz bestimmte, klar definierbare Reizsituationen beziehen (Nesse, 1990). Derartige Phobien als Überlebenshilfe im Sinne eines Warnsignals vor einer real existierenden, unmittelbar drohenden Gefahr zu bezeichnen, scheint freilich kaum angebracht: Hier handelt es sich um Ängste, die – wie die Angst vor dem „bösen Wolf“ – nicht nur irrational erscheinen, sondern auch vollkommen übertrieben sind und häufig genug pathologische Formen annehmen. Oder um noch einmal John Bowlby zu bemühen: Die Natur und Herkunft dieser Ängste erscheint obskur. 3 Die Umwelt der evolutionären Angepasstheit Wohl der erste, der nach einer Erklärung für die Entstehung „irrationaler Ängste“ suchte, war Charles Darwin. In seiner 1878 veröffentlichten „Biographischen Skizze eines Kindes“ merkte er an:

Es ist bekannt, wie stark Kinder [...] unter verschwommenen und unbestimmten Ängsten leiden, wie der Dunkelheit, oder wenn sie die dunkle Ecke eines großen Zimmers durchqueren müssen [...]. Müssen wir nicht annehmen, dass die vagen, aber sehr realen Ängste von Kindern von Erfahrung ganz unabhängig und vielmehr ererbte Folge von wirklichen Ängsten und von elendem Aberglauben auf der Stufe der Wildheit sind? (Darwin, 1998 [1878], S. 145f). Knapp 100 Jahre später griff John Bowlby (1969 [1975]) Darwins Idee mit seinem Konzept der „Umwelt der evolutionären Angepasstheit“ (englisch „environment of evolutionary adaptedness“, abgekürzt EEA) wieder auf. Darunter verstand Bowlby the environment in which a species lived while its existing characteristics, including behavioural systems, were being evolved, and is the only environment in which there can be any assurance that activation of a system will be likely to result in the achievement of its biological function. (Bowlby, 1998, S. 106) Aus Bowlbys Sicht lässt sich menschliches Verhalten weder verstehen noch überhaupt nur vernünftig erörtern, wenn man nicht berücksichtigt, dass Menschen – ebenso wie alle anderen Organismen – durch den Darwinschen Evolutionsprozess an spezifische Umweltbedingungen angepasst sind. Anders als bei den meisten Tierarten könne man, so Bowlby, beim Menschen aber wohl kaum davon ausgehen, dass die Umwelt, in der sich sein verhaltenssteuernder Apparat entwickelt hat, noch identisch ist mit der, in der wir heute leben. Für Bowlby führt dies unausweichlich „zu der Folgerung, dass die Umwelt, von der aus die Angepasstheit des menschlichen Verhaltensapparates betrachtet werden muss, die ist, in der der Mensch zwei Millionen Jahre lang lebte, ehe die Veränderungen der letzten paar Jahrtausende zu der ungewöhnlichen Vielfalt von Standorten führten, die er heute einnimmt“ (Bowlby, 1975, S. 68). Aus der Perspektive der Umwelt der evolutionären Angepasstheit ergeben zahlreiche, von Freud als „neurotisch“ bezeichnete Ängste 17

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zeugkrokodilen lernen Rhesusaffen sehr schnell <strong>und</strong> bereitwillig,<br />

während sie sich vor Blumen oder Kaninchen auch dann weiterhin<br />

nicht fürchten, wenn ihnen Videos <strong>von</strong> Artgenossen vorgeführt werden,<br />

die sich vor diesen Dingen scheinbar fürchten (Cook <strong>und</strong><br />

Mineka, 1989). Weitere Experimente erhärteten die Hypothese, dass<br />

Rhesusaffen bestimmte – Gefahren-relevante – Stimuli sehr viel eher<br />

mit Gefahr assoziieren als neutrale Stimuli (Cook <strong>und</strong> Mineka, 1990).<br />

Schlangenfurcht, so scheint es, ist Affen <strong>und</strong> Menschen also nicht<br />

angeboren, wohl aber verfügen sie über eine sehr spezifische angeborene<br />

Lerndisposition, die sie in die Lage versetzt, eine solche <strong>Furcht</strong><br />

sehr rasch <strong>und</strong> dauerhaft zu entwickeln. Ohman <strong>und</strong> Mineka (2001)<br />

sprechen in diesem Zusammenhang <strong>von</strong> einem evolvierten <strong>Furcht</strong>modul,<br />

das heißt einer spezialisierten neuronalen Funktionseinheit mit<br />

Sitz in der Amygdala, die sich – einmal aktiviert – kognitiver Kontrolle<br />

weitgehend entzieht <strong>und</strong> automatisch auf Gefahren-relevante<br />

Reize reagiert (siehe aber Macphail <strong>und</strong> Bolhuis, 2001, für eine Kritik<br />

an dieser Interpretation).<br />

Menschen verfügen offenbar über eine Reihe solcher bereichsspezifischer<br />

<strong>Furcht</strong>module, die zumindest teilweise erfahrungsabhängig sind<br />

<strong>und</strong> sich – wie etwa Platzangst oder Spinnenphobien – auf ganz bestimmte,<br />

klar definierbare Reizsituationen beziehen (Nesse, 1990).<br />

Derartige Phobien als Überlebenshilfe im Sinne eines Warnsignals<br />

vor einer real existierenden, unmittelbar drohenden Gefahr zu bezeichnen,<br />

scheint freilich kaum angebracht: Hier handelt es sich um<br />

Ängste, die – wie die <strong>Angst</strong> vor dem „bösen Wolf“ – nicht nur irrational<br />

erscheinen, sondern auch vollkommen übertrieben sind <strong>und</strong> häufig<br />

genug pathologische Formen annehmen. Oder um noch einmal<br />

John Bowlby zu bemühen: Die Natur <strong>und</strong> Herkunft dieser Ängste<br />

erscheint obskur.<br />

3 Die Umwelt der evolutionären Angepasstheit<br />

Wohl der erste, der nach einer Erklärung für die Entstehung „irrationaler<br />

Ängste“ suchte, war Charles Darwin. In seiner 1878 veröffentlichten<br />

„Biographischen Skizze eines Kindes“ merkte er an:

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