Ausgabe 1-2010 - Westdeutsches Tumorzentrum Essen
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großem Maße Ultraschall ein; weil er<br />
nicht schadet und weil unsere Ärzte<br />
in Ausbildung daran sehr gut lernen<br />
können. Beim Verdacht auf das Vor -<br />
liegen eines Rezidivs rollt dann auch<br />
bei uns die Hightech-Lawine los, das<br />
heißt Bildgebung mit CT, PET-CT oder<br />
anderen Verfahren gefolgt von einer<br />
Biopsie.<br />
Gibt es auch Situationen, bei denen<br />
Evidenz dafür vorliegt, nichts zu tun?<br />
Sie spielen an auf das in der Hämatologie<br />
nicht selten angezeigte watchful<br />
waiting oder wait and see. Bei manchen<br />
chronischen Leukämien und indolenten<br />
Lymphomen ist das tatsächlich<br />
eine Option. Allerdings kann man<br />
das den Patienten vor allem im Erst -<br />
gespräch nur sehr schwer vermitteln.<br />
Selbst ärztliche Kollegen, die wir ja<br />
manchmal auch als Patienten hier<br />
haben, tun sich schwer, das zu verstehen.<br />
Denn natürlich kommen Patienten<br />
hierher, weil sie wollen, dass wir<br />
aktiv etwas gegen ihre Erkrankung tun.<br />
Aber es ist unter Umständen nicht<br />
sinnvoll, etwas zu tun.<br />
Ja, und dann bitte ich den Patienten<br />
manchmal, uns alte Blutbildbefunde<br />
vorbeizubringen. Anhand dieser kann<br />
man häufig zeigen, dass eine hämatologische<br />
Erkrankung oder zumindest<br />
ein auffälliges Blutbild offenbar schon<br />
lange besteht, der Patient mit dieser<br />
Störung aber auch schon jahrelang gut<br />
gelebt hat, ohne dass ärztlicherseits<br />
etwas getan wurde. Damit gewinnt die<br />
Evidenz für wait and see gegenüber<br />
dem betroffenen Patienten deutlich an<br />
Glaubwürdigkeit.<br />
Bei der Evidenz für oder gegen ein<br />
Therapieverfahren geht es ja immer<br />
auch um Kriterien wie progressionsfreies<br />
Überleben oder Gesamtüberleben.<br />
Auch Patienten lesen diese<br />
Daten. Wie reagieren Sie, wenn ein<br />
Patient nach seiner individuellen<br />
Überlebenszeit fragt?<br />
i n t e r v i e w w t z - j o u r n a l 1 · 2 0 1 0 · 2 . J g<br />
Ganz klar sage ich dann, dass es sich<br />
dabei um Aussagen über Kollektive<br />
handelt. Wenn 100 Patienten vor mir<br />
säßen, könnte ich sagen: Die Gruppe<br />
hat im Median noch eineinhalb Jahre<br />
zu leben. Für den Einzelnen gilt diese<br />
Aussage aber nicht. An Überlebenskurven<br />
kann man das zeigen: Sehen Sie<br />
her, da gibt es nach Jahren noch ein<br />
Plateau, da können Sie dabei sein.<br />
Reden Sie mit Patienten über die<br />
Prognose überhaupt nicht?<br />
Doch, aber ich vermeide unter allen<br />
Umständen eine konkrete Monatsoder<br />
Jahresangabe. Man muss den Patienten<br />
aber das Recht auf ihre Lebensplanung<br />
lassen und deshalb ehrlich<br />
sein und kann dann zum Beispiel<br />
sagen: Diese Erkrankung wird über<br />
kurz oder lang zum Tod führen, aber<br />
konkrete Zeitangaben sind im Einzelfall<br />
nicht möglich.<br />
Zurück zur evidenzbasierten Medizin.<br />
Warum werden Leitlinien in verschiedenen<br />
Institutionen mal mehr, mal<br />
weniger beachtet?<br />
Im wesentlichen aus zwei Gründen:<br />
Auch wir als Ärzte wissen nicht alles.<br />
Bis die Kunde einer neuen Leitlinie sich<br />
verbreitet, dauert es durchaus bis zu<br />
einem halben Jahr. Also: Wenn ich eine<br />
Leitlinie nicht kenne, kann ich sie nicht<br />
anwenden. In manchen Institutionen<br />
kommt es aber vielleicht vor, dass die<br />
Leitlinie nicht umgesetzt werden kann,<br />
weil die örtliche Ausstattung dazu<br />
nicht ausreicht; dann muss ich dafür<br />
sorgen, dass der Patient an eine andere<br />
Institution überwiesen wird, wo die<br />
Umsetzung kein Problem darstellt.<br />
Beispielsweise an das Westdeutsche<br />
<strong>Tumorzentrum</strong>. Welchen Stellenwert<br />
hat die evidenzbasierte Medizin hier<br />
in <strong>Essen</strong>?<br />
Naturgemäß einen sehr hohen. Wir<br />
können hier sehr gut leitliniengerecht<br />
arbeiten, weil alle beteiligten Disziplinen<br />
in Onkologie und Hämatologie<br />
sich sozusagen in Rufweite befinden.<br />
Außerdem – und das scheint mir<br />
immer wichtiger zu sein – haben wir<br />
Zeit für unsere Patienten und stehen<br />
möglicherweise unter einem nicht<br />
ganz so immensen wirtschaftlichen<br />
Druck, wie ihn vielleicht andere Kollegen<br />
aushalten müssen. – Wie viele andere<br />
forschende Institutionen sind wir<br />
am WTZ außerdem in der Lage, Evidenz<br />
zu schaffen. Wir sind beteiligt an der<br />
Entwicklung neuer Diagnostik- und<br />
Therapieverfahren und damit sozusagen<br />
am kreativen Moment der evidenzbasierten<br />
Medizin.<br />
Als Comprehensive Cancer Center tragen<br />
Sie auch Verantwortung für die<br />
Verbreitung der Evidenz.<br />
Da sind wir auf mehreren Ebenen aktiv.<br />
Natürlich publizieren wir in anerkannten<br />
Journals. In Bezug auf die Region<br />
sind wir aber auch sehr aktiv, was Fortbildungsveranstaltungen<br />
angeht. Externen<br />
Patienten bieten wir an, an unseren<br />
Studien teilzunehmen, und das<br />
funktioniert sehr gut. Jeder Arzt der<br />
Region kann außerdem seine Patienten<br />
zur Besprechung in den Tumorboards<br />
der Behandlungsprogramme anmelden.<br />
Gibt es auch WTZ-eigene Leitlinien?<br />
Selbstverständlich. In jedem Behandlungsprogramm<br />
existieren solche Leitlinien,<br />
die ständig aktualisiert werden.<br />
Darüber hinaus bereiten wir alle wichtigen<br />
internationalen Kongresse hier<br />
regional nach, und zwar in Form von<br />
wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen.<br />
Großen Wert legen wir außerdem<br />
auf den persönlichen Kontakt<br />
zu Ärzten in der Region. Es gibt für<br />
jeden Arzt die Möglichkeit, über<br />
wtz@uk-essen.de konkrete Anfragen<br />
an uns zu richten, die vom jeweils zuständigen<br />
Experten möglichst umgehend<br />
beantwortet werden.<br />
Herr Professor Dührsen, haben Sie<br />
herzlichen Dank für das Gespräch.<br />
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