Ausgabe 1-2010 - Westdeutsches Tumorzentrum Essen
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i n t e r v i e w w t z - j o u r n a l 1 · 2 0 1 0 · 2 . J g<br />
Gibt es dafür ein praktisches Beispiel?<br />
Ich hatte kürzlich eine sehr alte Patientin,<br />
bei der eine chronische myeloische<br />
Leukämie diagnostiziert worden war.<br />
Seit der Einführung von Imatinib lässt<br />
sich diese Erkrankung – das zeigt die<br />
Evidenz – sehr gut behandeln. Wegen<br />
der resultierenden Hautausschläge hat<br />
die Patientin Imatinib aber nicht vertragen.<br />
Ein Versuch mit Nilotinib ging<br />
ebenfalls schief, weil als Nebenwirkung<br />
eine Pankreatitis eintrat. Und<br />
Dasatinib, die dritte Option, führte<br />
nach wenigen Tagen zu Luftnot aufgrund<br />
ausgedehnter Pleuraergüsse,<br />
einer häufigen Komplikation dieses<br />
Medikaments.<br />
Was haben Sie getan?<br />
Ich habe nach vielen anderen, insgesamt<br />
völlig erfolglosen Versuchen mit<br />
alten Regimen schließlich Dasatinib in<br />
einer erschreckend niedrigen Dosierung<br />
gegeben. Dafür gab es in der Literatur<br />
keine direkte Evidenz. Aber es hat<br />
für diese Patientin Gott sei Dank funktioniert.<br />
Die EbM hat den möglichen<br />
Rahmen abgesteckt, es gab den Beleg,<br />
dass Dasatinib wirkt. Mit dem Rücken<br />
zur Wand habe ich dann das gemacht,<br />
was genau dieser Patientin genutzt<br />
hat. Hätte ich die Leitlinien als enges<br />
Korsett begriffen, hätte ich dieser Patientin<br />
nicht helfen können.<br />
Die EbM hat also ihre Grenzen. Eine<br />
viel gehörte Kritik besteht auch darin,<br />
dass schlechte Ergebnisse nur sehr selten<br />
veröffentlicht werden. Damit sei<br />
die objektive Bewertung einer neuen<br />
Methode nicht wirklich möglich.<br />
Das ist ein immer zu berücksichtigendes<br />
Risiko: Dass Daten, die den Behandler<br />
eigentlich in eine andere Richtung<br />
lenken müssten, nicht wahrgenommen<br />
werden. Denn leider veröffentlichen<br />
gute Journale so gut wie nie<br />
schlechte Ergebnisse. Und zwar aus<br />
dem – aus Sicht der Redaktionen vielleicht<br />
sogar nachvollziehbaren –<br />
Grund, dass Erfolgsmeldungen mehr<br />
Leser bringen als Negativberichterstattung.<br />
Haben Sie auch dazu ein praktisches<br />
Beispiel?<br />
Nehmen Sie die Nachsorge von Lymphom-Patienten.<br />
Nach Abschluss der<br />
Akutbehandlung werden die Patienten<br />
alle drei Monate einbestellt. So weit, so<br />
gut. In vielen Zentren durchlaufen die<br />
Patienten dann die Hightech-Mühle:<br />
Bildgebende Verfahren, häufig Computertomographie<br />
oder PET-CT. Was bringen<br />
diese Untersuchungen? So gut wie<br />
nichts, denn ein Rezidiv kann ich nicht<br />
zwingen, dann zu wachsen, wenn ich<br />
gerade versuche, es bildlich darzustellen.<br />
So kann es geschehen, dass ich den<br />
Patienten im Juli maximal untersuche,<br />
ihn beruhige und nach Hause schicke,<br />
und im August kommt er wieder, weil<br />
er eine Schwellung im Nacken, möglicherweise<br />
also ein Rezidiv hat.<br />
Dass diese Art von Nachsorge nicht<br />
sinnvoll ist, wird zu wenig berichtet.<br />
Und das kann man beklagen. Noch<br />
beklagenswerter scheint aber doch,<br />
dass da Geld verschwendet wird.<br />
Durchaus. Es gibt eine Studie, die nachweist,<br />
dass ein Hodgkin-Lymphom-Patient<br />
in Remission, der im Rahmen der<br />
Nachsorge einmal jährlich eine CT-Untersuchung<br />
erhält, im Schnitt mit dieser<br />
Maßnahme 4 Tage länger lebt als<br />
ohne sie. Summiert man die gewonnenen<br />
Lebenstage und die CT-Kosten der<br />
Patienten, so ergibt sich ein Betrag von<br />
300.000 Dollar pro Lebensjahr. Das soll<br />
ein Gesundheitssystem erst einmal<br />
leisten! – Aber über Kosten will ich an<br />
dieser Stelle gar nicht klagen. Für den<br />
Patienten ist wichtig, dass jedes CT<br />
eine nicht zu vernachlässigende Strahlenbelastung<br />
darstellt. Das heißt, bei<br />
routinemäßiger, ohne klinischen Verdacht<br />
durchgeführter CT-Untersuchung,<br />
schade ich dem Patienten mehr<br />
als ich ihm nutze. Die Evidenz spricht<br />
also dreifach gegen den CT-Routine-<br />
Einsatz in der Lymphom-Nachsorge:<br />
Das CT bringt nichts, es verschwendet<br />
Ressourcen und es schadet dem Patienten.<br />
Und warum wird es dennoch so<br />
häufig eingesetzt?<br />
Das ist eine wichtige Frage, auf die es<br />
keine wirklich fundierte Antwort gibt.<br />
Es könnte sein, dass viele Ärzte die CT-<br />
Routine in der Nachsorge aus Studien<br />
ableiten, in denen sie aus Gründen der<br />
In vielen Zentren durchlaufen<br />
die Patienten dann<br />
die Hightech-Mühle ...<br />
Standardisierung durchgeführt wird.<br />
Es kann auch sein, dass Patienten den<br />
dringenden Wunsch haben, ein CT zu<br />
machen, weil sie sich erinnern, dass<br />
dieses Verfahren bei der Diagnosestellung<br />
eine wichtige Rolle gespielt hat.<br />
Ich könnte mir auch vorstellen, dass<br />
manche Ärzte so sehr unter Zeitdruck<br />
stehen, dass es für sie entlastend ist,<br />
den Patienten zunächst in die radiologische<br />
Abteilung zu schicken und dann<br />
den Befund mit ihm zu besprechen.<br />
Wie funktioniert die Lymphom-Nachsorge<br />
bei Ihnen?<br />
Im Sinne der Leitlinien. Nach der Akutversorgung<br />
bestellen wir die Patienten<br />
vierteljährlich ein. Wir reden mit ihnen,<br />
das ist das wichtigste, untersuchen<br />
sie klinisch und entnehmen eine Blut -<br />
probe, die auf verschiedene Parameter,<br />
unter anderem auch auf den Lymphom-Marker<br />
Lactatdehydrogenase,<br />
geprüft wird. Außerdem setzen wir in