Tatort Wahlkreis: Abgeordneten auf den Fersen - Martin-Luther ...
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3 2013<br />
Franckes Welt:<br />
Seitenweise Wissenschaft<br />
Kürzungsdebatte: „Schä<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> in K<strong>auf</strong> genommen“<br />
<strong>Tatort</strong> <strong>Wahlkreis</strong>: <strong>Abgeordneten</strong> <strong>auf</strong> der Spur<br />
Studienzweifel? Career Center bietet Hilfe<br />
www.magazin.uni-halle.de<br />
D A S M A G A Z I N D E R M A R T I N L U T H E R U N I V E R S I T Ä T H A L L E W I T T E N B E R G
2 forschen und publizieren scientia halensis 3/2013<br />
Wir haben, was kluge Köpfe brauchen:<br />
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Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,<br />
was würde August Hermann Francke wohl zu <strong>den</strong><br />
vielen Feierlichkeiten im „Francke-Jahr 2013“ sagen?<br />
Dokumentiert ist zumindest, was er sich für<br />
die „Glauchaschen Anstalten“ nach seinem Ableben<br />
wünschte. „Wie wird es aber wer<strong>den</strong>, nach seinem<br />
Tode?“, wollte König Friedrich Wilhelm I. beim Rundgang<br />
über das Gelände 1713 wissen. „Ich habe treue<br />
Gehülfen, von <strong>den</strong>en kann es fortgesetzet wer<strong>den</strong>,<br />
und geschiehet es dann auch nicht in solcher Weitläufigkeit,<br />
so kann es <strong>den</strong>noch eine nützliche Anstalt<br />
bleiben“, antwortete Francke. Eine „nützliche Anstalt“<br />
sind die Franckeschen Stiftungen auch heute.<br />
Ein bunter Bildungskosmos, in dem täglich 4000<br />
Menschen in über 40 Einrichtungen tätig sind.<br />
Francke war nicht nur Pietist und Pfarrer, erfolgreicher<br />
Bauherr und Unternehmer. Sein Wirken als<br />
Theologe und Professor für orientalische Sprachen<br />
prägte auch die noch junge Friedrichsuniversität zu<br />
Halle. Wussten Sie, dass er sich um die Professionalisierung<br />
der Lehrerausbildung und <strong>den</strong> klinischen<br />
Unterricht im Medizinstudium ebenfalls verdient<br />
gemacht hat? Im Francke-Jahre waren die Autoren<br />
der scientia halensis <strong>auf</strong> dem Gelände der Stiftungen<br />
unterwegs. Die Fülle an Themen und Einrichtungen<br />
vor Ort, die <strong>auf</strong> vielschichtige Weise auch mit der<br />
<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-Universität in Verbindung stehen,<br />
IMPRESSUM<br />
scientia halensis<br />
Magazin der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-Universität<br />
Halle-Wittenberg (MLU)<br />
Ausgabe 3/13, 21. Jahrgang<br />
Auflage 6.000 Expl.<br />
ISSN 0945-9529<br />
erscheint viermal im Jahr<br />
sowie im Internet:<br />
www.magazin.uni-halle.de<br />
Herausgeber:<br />
Rektor der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-Universität<br />
Halle-Wittenberg<br />
Redaktion:<br />
Manuela Bank-Zillmann (V.i.S.d.P.),<br />
Corinna Bertz (red. Koordinierung),<br />
Tom Leonhardt, Sarah Huke,<br />
Ute Olbertz, Christopher Pflug<br />
Kontakt:<br />
<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-Universität<br />
Halle-Wittenberg<br />
Stabsstelle des Rektors / Pressestelle<br />
Universitätsplatz 9, 06108 Halle (S.)<br />
Telefon: 0345 55 21420<br />
Fax: 0345 55 27404<br />
E-Mail: magazin@uni-halle.de<br />
sprengt jedes Unimagazin. Wir haben uns <strong>auf</strong> fünf<br />
Fragen und Antworten rund um <strong>den</strong> „Francke-<br />
Campus“ beschränkt, die nur einen Bruchteil der<br />
Vielfalt widerspiegeln können, die am Franckeplatz<br />
zu fin<strong>den</strong> ist. Sie reichen von der international renommierten<br />
Pietismusforschung bis zu <strong>den</strong> stu<strong>den</strong>tischen<br />
Bewohnern der Fachwerkhäuser.<br />
Am Ende seines Besuchs versichert Friedrich Wilhelm<br />
I. Francke: „Ich will Alles gern fördern, wenn<br />
es nur nicht zum Hochmuth ist.“ 300 Jahre später<br />
hat die Landesregierung im Hochschulbereich die<br />
umfangreichsten Kürzungen angekündigt, die es<br />
in Sachsen-Anhalt seit 1990 gegeben hat. In einem<br />
Interview mit dem Unimagazin spricht Hochschulforscher<br />
Professor Peer Pasternack über <strong>den</strong> Spardruck<br />
<strong>auf</strong> die Hochschulen in Ostdeutschland, die oft<br />
hitzig geführte politische Debatte und die Folgen<br />
der drohen<strong>den</strong> Kürzungen in Sachsen-Anhalt. Im<br />
Onlinemagazin begleiten wir das Thema unter www.<br />
magazin.uni-halle.de/hochschulpolitik.<br />
Viel Spaß beim Lesen und eine schöne Sommerzeit<br />
Corinna Bertz<br />
Redakteurin<br />
Grafik-Design:<br />
Sisters of Design<br />
www.sistersofdesign.de<br />
Mediadaten:<br />
www.pr.uni-halle.de/mediadaten<br />
Anzeigen / Satz / Gesamtherstellung:<br />
Digital Druckservice Halle GmbH<br />
Kutschgasse 4, 06108 Halle (S.)<br />
Telefon: 0345 47 88601<br />
Fax: 0345 47 88602<br />
www.digitaldruck-halle.de<br />
E-Mail: info@digitaldruck-halle.de<br />
scientia halensis 3/2013 editorial<br />
Druck:<br />
IMPRESS Druckerei Halbritter KG<br />
www.impressonline.de<br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge<br />
geben die Meinung der Autoren<br />
wieder. Bei unverlangt eingesandten<br />
Texten/Fotos besteht keine Gewähr für<br />
einen Abdruck.<br />
Die Redaktion behält sich Änderungen<br />
eingesandter Texte vor. Der Nachdruck<br />
von Artikeln ist bei Angabe der Quelle<br />
gestattet. Die Redaktion bittet um ein<br />
Belegexemplar.<br />
Corinna Bertz<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
Wollen Sie mitdiskutieren,<br />
Kritik loswer<strong>den</strong> oder<br />
Themen vorschlagen?<br />
Wir freuen uns über Ihre<br />
Kommentare! Per Mail an<br />
magazin@uni-halle.de<br />
oder online unter<br />
www.magazin.uni-halle.de.<br />
scientia halensis erscheint mit freundlicher<br />
Unterstützung der Vereinigung<br />
der Freunde und Förderer der <strong>Martin</strong>-<br />
<strong>Luther</strong>-Universität Halle-Wittenberg<br />
e. V. (VFF)<br />
Titelbild:<br />
Zwischen Fachliteratur und Fachwerk:<br />
Im Innenhof der Franckischen Stiftungen.<br />
(Foto: Michael Deutsch)<br />
3
4 inhaltsverzeichnis scientia halensis 3/2013<br />
Hochschulpolitik im<br />
Onlinemagazin<br />
Kürzungspläne, Massenproteste,<br />
landesweite Bündnisse – die Hochschulpolitik<br />
des Landes sorgt für<br />
Aufruhr. Im Juli stellt der Wissenschaftsrat<br />
seine Gutachten vor.<br />
Scientia halensis berichtet unter<br />
www.magazin.uni-halle.de/hochschulpolitik.<br />
(Foto: Corinna Bertz)<br />
Das Gedächtnis der<br />
Universität {10}<br />
Das Universitätsarchiv in der<br />
Pfännerhöhe gleicht einem „schlafen<strong>den</strong><br />
Dornröschen“. Der neue<br />
Archivleiter Dr. Michael Ruprecht<br />
will es wecken. (Foto: Michael Deutsch)<br />
Lehren, Leben, Forschen am Campus<br />
Franckesche Stiftungen {12}<br />
Erziehungswissenschaftler, Theologen, Pietismusforscher,<br />
Konviktbewohner und Studierende lernen, lehren, forschen<br />
und leben <strong>auf</strong> dem Gelände der Franckeschen Stiftungen.<br />
Im Schwerpunkt zum Francke-Jahr geht scientia halensis<br />
fünf Fragen rund um <strong>den</strong> Campus im Kultur<strong>den</strong>kmal <strong>auf</strong> <strong>den</strong><br />
Grund: Was Theologen heute beschäftigt, wie es sich im<br />
historischen Fachwerkhaus lebt und ob die Wiege der<br />
halleschen Unimedizin ebenfalls hier zu fin<strong>den</strong> ist – all das<br />
erfahren Sie ab Seite 14.<br />
Außerdem im Titelthema: Der stu<strong>den</strong>tische Beitrag zur großen<br />
Francke-Jubiläumsausstellung ab Seite 12. (Foto: Michael Deutsch)
inhalt<br />
varia<br />
6 „Schä<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> in K<strong>auf</strong><br />
genommen“:<br />
Interview mit Hochschulforscher<br />
Peer Pasternack<br />
8 Sprachsalat / Bilderrätsel<br />
9 Johann Christian Reil:<br />
Universalmediziner und<br />
Stadtphysikus im Fokus<br />
10 Das Gedächtnis der Universität:<br />
Neue Pläne für das<br />
Universitätsarchiv<br />
titelthema<br />
12 Mit Francke raus aus der Theorie:<br />
Stu<strong>den</strong>ten gestalten<br />
„FranckeBilder und Festkultur“<br />
14 Fächerwerk in Fachwerkhäusern:<br />
Fünf Fragen und Antworten rund<br />
um <strong>den</strong> Francke-Campus<br />
studieren,<br />
lehren, leben<br />
20 Studienzweifel?<br />
Projekt des Career Centers zeigt<br />
Wege <strong>auf</strong><br />
22 Musizierende Hochschullehrer:<br />
Ein Strafrechtler zieht alle Register<br />
QR-Codes und Webcodes im Heft<br />
24 #dabeibleiben<br />
„Halle bleibt“ und das<br />
Aktionsbündnis MLU<br />
26 Zwei Länder, zwei Unis,<br />
zwei Abschlüsse:<br />
Stu<strong>den</strong>tinnen aus Halle und<br />
Mailand berichten<br />
Forschen und<br />
publizieren<br />
Some stories are also available in English:<br />
www.international.uni-halle.de/magazine Please look for the flag!<br />
28 Vom Greifen und Begreifen:<br />
3D-Druck in der Wissenschaft<br />
30 Fachliteraturfabrik Universität<br />
32 Die universelle Gen-Schere:<br />
Von Pflanzen bis zu<br />
menschlichen Zellen<br />
34 <strong>Tatort</strong> <strong>Wahlkreis</strong>:<br />
Politikwissenschaftler erforschen<br />
die Beziehung von <strong>Abgeordneten</strong><br />
zu ihren Wählern<br />
Personalia<br />
36 Die Universität trägt ihre<br />
Handschrift:<br />
Uni-Grafikerin Hannelore<br />
Schlesinger im Porträt<br />
38 20 Fragen an Dr. Jürgen Krätzer<br />
40 Neue Pressesprecherin der MLU /<br />
Neu berufen<br />
42 Dr. Usus Zeitgeist<br />
www.magazin.uni-halle.de ist die Adresse des Unimagazins im Internet. Mit Hilfe der QR- und Webcodes<br />
neben <strong>den</strong> Beiträgen gelangen Sie direkt zur entsprechen<strong>den</strong> Internetseite. QR-Codes funktionieren ähnlich wie<br />
Barcodes. Mit einem Tastendruck bzw. einer Foto<strong>auf</strong>nahme des Mobiltelefons können Sie die verlinkte Webseite<br />
<strong>auf</strong>rufen. Für die Eingabe der Webcodes nutzen Sie einfach die Internetseite www.uni-halle.de/webcode.<br />
scientia halensis 3/2013 inhaltsverzeichnis<br />
Zwei Länder, zwei Abschlüsse<br />
{21}<br />
Ein Studium, zwei Abschlüsse:<br />
Diana Righi und Luise Vorwerk<br />
erzählen, warum sie sich für <strong>den</strong><br />
deutsch-italienischen „doppelten<br />
Master“ entschie<strong>den</strong> haben.<br />
(Foto: Michael Deutsch)<br />
3D-Druck: Vom Greifen und<br />
Begreifen {28}<br />
Ein Protein zum Greifen:<br />
200-millionenfach vergrößert,<br />
dreidimensional ausgedruck. Zwei<br />
hallesche Forscher berichten von ihren<br />
Erfahrungen mit 3D-Druck.<br />
(Foto: Melanie Zimmermann)<br />
5
6 varia scientia halensis 3/2013<br />
varia<br />
„Schä<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> in K<strong>auf</strong> genommen“<br />
Nicht nur die Hochschulen in Sachsen-Anhalt stehen unter Druck. In ganz Ostdeutschland bringt die Entwicklung<br />
der Landeshaushalte auch die Universitäten in Rechtfertigungsnöte. Hochschulforscher Prof. Dr. Peer Pasternack<br />
plädiert für mehr Sachlichkeit in der oft hitzig geführten Debatte zwischen Politik und Wissenschaft.<br />
Im Interview spricht der Direktor des Instituts für Hochschulforschung in Wittenberg über die Situation der<br />
Hochschulen, das Gutachten des Wissenschaftsrats und mögliche Folgen der geplanten Einsparungen.<br />
Rund 4.000 Menschen<br />
demonstrierten am 15. Mai<br />
2013 gegen die Kürzungspläne<br />
<strong>auf</strong> dem Uniplatz.<br />
(Foto: Arvid Rostek)<br />
Sie beobachten und erforschen die ostdeutsche<br />
Hochschullandschaft seit über 20 Jahren. Haben<br />
Sie die aktuellen hochschulpolitischen Entwicklungen<br />
in Sachsen-Anhalt noch überrascht?<br />
Ja und Nein. Vor dem Hintergrund der Haushaltsentwicklungen<br />
ist das nicht sehr überraschend. Es ist<br />
immer schwierig, außerhalb der Hochschulen und<br />
der Hochschulpolitik Verständnis für die Anliegen<br />
der Hochschulen zu erzeugen. Diese Schwierigkeit<br />
der Kommunikation begleitet Hochschulpolitik fort-<br />
während. Die Wirkungsintervalle von Hochschulen<br />
sind relativ lang und haben die Eigenschaft, über<br />
Legislaturperio<strong>den</strong> hinauszugehen. Eine langfristige<br />
Hochschulentwicklung ist nur möglich, wenn<br />
berücksichtigt wird, dass bei Forschung und Lehre<br />
kurzfristige Effekte größtenteils nicht möglich sind.<br />
Zurzeit stehen die Hochschulen in allen ostdeutschen<br />
Ländern, außer in Mecklenburg-Vorpommern,<br />
unter starkem Druck. Überraschend ist allenfalls<br />
die Kommunikation, wie so etwas in die
politische Debatte eingespeist wird. Sie ist derzeit<br />
sehr stark von Polarisierung und Zuspitzung geprägt.<br />
Ist der Einspardruck <strong>auf</strong> die Hochschulen ein spezifisch<br />
ostdeutsches Phänomen?<br />
Nein, in nahezu allen Bundesländern ist das zu beobachten.<br />
Im Augenblick fokussiert sich die bundesweite<br />
Diskussion dar<strong>auf</strong>, dass der Bund unterstützend<br />
eingreifen müsste, weil die Länder mit ihren<br />
Steuer<strong>auf</strong>kommen bei der Hochschulfinanzierung<br />
überfordert seien. In Ostdeutschland verschärft sich<br />
die Situation dadurch, dass sich die Probleme der<br />
Landeshaushaltsentwicklungen bis 2020 extrem zuspitzen<br />
wer<strong>den</strong>. In allen ostdeutschen Landeshaushalten<br />
wer<strong>den</strong> Minderungen von 20 bis 30 Prozent<br />
der Haushalte entstehen, aber lediglich bis zu zehn<br />
Prozent des gesamten Haushaltes sind disponibel –<br />
also nicht durch gesetzliche oder vertragliche Verpflichtungen<br />
fest verplant.<br />
Wir wirkt sich das <strong>auf</strong> die Hochschulen aus?<br />
Insofern, als politisch sehr offensiv nach Argumenten<br />
gesucht wird, warum die ostdeutschen<br />
Hochschulen gar nicht so viel Geld benötigen wür<strong>den</strong>,<br />
wie sie derzeit erhalten. Das führt zu Diskussionen,<br />
in <strong>den</strong>en gern Vergleichszahlen zitiert wer<strong>den</strong>,<br />
die nach genauerer Prüfung so nicht haltbar<br />
sind. Oder es wer<strong>den</strong> Tatbestände nicht berücksichtigt,<br />
die tatsächliche oder vermeintliche Schwächen<br />
im Leistungsprofil erklärbar machen. Zum Beispiel<br />
wird kritisiert, dass an <strong>den</strong> Hochschulen in Sachsen-<br />
Anhalt die Zahl der Studienabbrecher höher liegt als<br />
im Bundesdurchschnitt. Das muss man einor<strong>den</strong>:<br />
Seit 2000 hat es im Land einen deutlichen Zuwachs<br />
an Studieren<strong>den</strong> und eine Steigerung der Studienbeteiligung<br />
innerhalb der relevanten Alterskohorten<br />
gegeben. Diese Zunahme hat jedoch nicht dazu<br />
geführt, dass sich die Zahl der Studienabbrecher<br />
erhöht hat. Das ist der entschei<strong>den</strong>de Punkt, wenn<br />
man be<strong>den</strong>kt, dass der Deutsche Lernatlas Sachsen-<br />
Anhalts Schulsystem <strong>auf</strong> Platz 11 von 16 Bundesländern<br />
platziert. Vor diesem Hintergrund müsste<br />
man eigentlich erwarten, dass bei einer Steigerung<br />
der Studierneigung die Zahl der Abbrecher steigt.<br />
Das dies nicht passiert ist, ist ein immenser Erfolg.<br />
Am 12. Juli wird nun der Wissenschaftsrat das Gutachten<br />
zur Entwicklung der Hochschullandschaft<br />
und zur Universitätsmedizin in Halle vorlegen. Was<br />
kann ein solches Gutachten leisten?<br />
Es kann keine politischen Entscheidungen abnehmen.<br />
Das Gutachten wird sich evaluativen Fragestellungen<br />
zu einzelnen Fächern und strategischen<br />
Aspekten des Hochschul- und Wissenschaftssystems<br />
des Landes widmen. Es wird sicherlich auch<br />
zu Qualitätsaussagen gelangen. Wenn diese zum<br />
Beispiel lauten „Das Fach X erfüllt bestimmte Standards<br />
nicht“, dieses Fach zum Beispiel für die Lehrerausbildung<br />
aber unabdingbar ist, dann bedarf es<br />
einer politischen Entscheidung: Müssen wir dieses<br />
Fach ertüchtigen, damit es aus seiner unterdurchschnittlichen<br />
Qualitätssituation herauskommt, oder<br />
stellen wir das Fach zur Disposition? Dann müsste<br />
zugleich politisch beantwortet wer<strong>den</strong>, wo die<br />
entsprechen<strong>den</strong> Lehrer künftig herkommen sollen.<br />
Ich vermute, dass beim Wissenschaftsrat vor dem<br />
Hintergrund der jüngsten Debatten sehr genau an<br />
Formulierungen gefeilt wurde, um zu vermei<strong>den</strong>,<br />
dass sich unmittelbar aus diesen Empfehlungen<br />
politische Entscheidungen ableiten lassen.<br />
Wenn die Landesregierung die Einsparungen im<br />
Hochschulbereich im derzeit genannten Umfang<br />
von 50 Millionen bis zum Jahr 2020 umsetzt, was<br />
würde das für die Hochschulen im Land bedeuten?<br />
Das kommt <strong>auf</strong> die Umsetzungsweise an. Wenn<br />
nächstes Jahr mit <strong>den</strong> Einsparungen begonnen wird,<br />
dann wird eine Hochschulstruktur das Ergebnis sein,<br />
die sich aus dem Pensionierungsgeschehen ergibt.<br />
Von einer systematischen Hochschulstrukturentwicklung<br />
könnte dann keine Rede mehr sein. Oder<br />
es wird ein langfristigerer Einsparpfad eingeschlagen,<br />
der Schwerpunktsetzungen in der Hochschulentwicklung<br />
zulässt.<br />
In jedem Fall wer<strong>den</strong> die Hochschulen am Ende<br />
einer solchen Entwicklung nicht unbeschädigt<br />
bleiben. Es wer<strong>den</strong> Professuren und – wenn Fachbereiche<br />
nicht mehr vorhan<strong>den</strong> sind – auch Studiengänge<br />
wegfallen. Diese Beschädigungen wer<strong>den</strong><br />
politisch in K<strong>auf</strong> genommen und sind somit von der<br />
Politik auch dahingehend zu tragen, dass die Hochschulen<br />
bestimmte Effekte für das Land nicht mehr<br />
erzielen können. Wenn es beispielsweise darum<br />
geht, Studierende außerhalb Sachsen-Anhalts in<br />
das Land zu holen oder junge Leute hier zu halten,<br />
weil sie in Wohnortnähe ihren Wunschstudienplatz<br />
vorfin<strong>den</strong>. So etwas ist im derzeitigen Umfang dann<br />
nicht mehr zu realisieren. Diese politische Entscheidung<br />
muss auch in ihren Konsequenzen getragen<br />
wer<strong>den</strong>. Interview: Corinna Bertz<br />
scientia halensis 3/2013 varia<br />
Hochschulforscher Prof. Dr.<br />
Peer Pasternack (Foto: Uni<br />
Leipzig, Jan Woitas)<br />
Zur Langfassung des<br />
Interviews:<br />
WEBCODE MAG 15183<br />
QR CODE<br />
7<br />
NEU
8 varia scientia halensis 3/2013<br />
bilderrätsel<br />
Was zeigt dieses<br />
Bild?<br />
Des Rätsels Lösung ist<br />
wieder im Unimagazin<br />
versteckt.<br />
Wer der Redaktion als<br />
Erste(r) per Telefon,<br />
E-Mail, Fax oder (Haus-)<br />
Post die richtige Lösung<br />
übermittelt, <strong>auf</strong> die oder<br />
<strong>den</strong> wartet ein Gutschein<br />
im Wert von 15 Euro,<br />
einzulösen im Uni-Shop<br />
im Marktschlösschen.<br />
Viel Glück!<br />
Das Rätselfoto in der<br />
scientia halensis 2/13,<br />
Seite 16, zeigte einen<br />
Ausschnitt des Titelbildes.<br />
Der Schnellste, der das<br />
Rätsel löste, war Volker<br />
Müller. Er ist technischer<br />
Mitarbeiter der Zentralen<br />
Kustodie im Löwengebäude<br />
und teilte uns die<br />
Lösung am Telefon mit.<br />
Zeichnung: Oliver Weiss<br />
„Bitte einmal gemischten Sprachsalat …“<br />
diesmal mit blablametrischen essenzen<br />
gewürzt<br />
Die letzte Portion Sprachsalat (magenfreundlich<br />
und geschmacklos garniert im April serviert) kam<br />
<strong>auf</strong> einen Bullshit-Index von 0,03. Damit kann man<br />
zufrie<strong>den</strong> sein – sofern man der internetten Sprachtesterfindung<br />
des Frankfurter Kommunikationswissenschaftlers<br />
Bernd Wurm trauen will. Den ärgerten<br />
leere Worte und großspurige Werbe-Worthülsen,<br />
die nichts enthielten, schon lange. Um sie zu entlarven,<br />
entwickelte er ein spezielles Webportal. Das<br />
ist seit Anfang 2011 als „BlaBlaMeter“ nutzbar für<br />
jedermann.<br />
Der Web-Experte hat inzwischen viele Texte (sogar<br />
die Bibel!) selbst <strong>auf</strong> ihren Blabla-Gehalt hin analysiert<br />
und offenbar eine Marktlücke entdeckt: Klickt<br />
man im Internet <strong>auf</strong> www.blablameter.de, erscheinen<br />
derzeit 99.200 Treffer. Besonders für (Print-)<br />
Medien ist das neue Prüfinstrument interessant,<br />
etliche berichteten darüber, zum Beispiel der Tagesspiegel<br />
am 21. Juli 2011 und die Mitteldeutsche<br />
Zeitung am 14. Januar 2013.<br />
Wonach sucht der Sprachspürhund? Zu <strong>den</strong> Kriterien<br />
für die Bewertung des Textgehalts zählt vor<br />
allem der Nominalstil – <strong>den</strong> möglichst vermei<strong>den</strong><br />
muss, wer niveauvolle Texte schreiben will. So sind<br />
besser keine neuen Metho<strong>den</strong> „zur Anwendung zu<br />
bringen“ oder „<strong>auf</strong> <strong>den</strong> Prüfstand zu stellen“ – man<br />
kann sie schlicht und einfach anwen<strong>den</strong> oder (über-)<br />
prüfen! Zudem gibt es etliche „böse Wörter“, die<br />
Leser/Hörer beeindrucken wollen – Wurm nennt als<br />
Beispiel „effizient“; ähnlich inflationär erscheinen<br />
„zukunftsweisend“ und „innovativ“. Die Vorliebe für<br />
Bandwurmwörter oder „BWLer-Deutsch“ schneidet<br />
ebenfalls schlecht ab und lässt <strong>den</strong> „Bullshit“-Faktor,<br />
der stets zwischen Null und Eins liegt, steigen.<br />
Deshalb sorgt sich MZ-Autor Jan-Ole Prasse sehr<br />
ernsthaft um seine Kollegen und andere Sprachproduzenten:<br />
„Wenn wirklich jeder verstehen würde,<br />
was sie sagen: Wer bräuchte sie dann noch? [...] Effektive<br />
und effiziente Maßnahmen müssen her, um<br />
dem BlaBlaMeter-Wahnsinn Einhalt zu gebieten. Das<br />
Imponier-Deutsch darf nicht sterben.“<br />
Gute journalistische Texte erzielen Werte zwischen<br />
0.1 und 0.3. Allerdings lässt sich ein zu niedriger<br />
Indexwert auch als Indiz für stilistische Mängel interpretieren.<br />
Wir dürfen ja nicht vergessen: Das BlaBlaMeter versteht<br />
die Inhalte nicht – sondern orientiert sich ausnahmslos<br />
an sprachlichen Merkmalen! Jetzt ist uns<br />
klar, warum es die Präambel des Grundgesetzes mit<br />
0,21 bewertet: Der Text „…zeigt erste Hinweise aus<br />
‚Bullshit’-Deutsch, liegt aber noch <strong>auf</strong> akzeptablem<br />
Niveau“. Na, also!<br />
Und richtig glücklich macht es uns, am Ende zu erfahren,<br />
dass Goethes „Erlkönig“ mit einem Wert von<br />
Nullkommanull absolut Spitze ist!<br />
Der hier gemixte Sprachsalat bringt es nur <strong>auf</strong> 0,38<br />
– daran sind vermutlich die Zitate schuld.<br />
Margarete Wein
Johann Christian Reil im Fokus<br />
Der 200. Todestag von Johann Christian Reil am 22.<br />
November 2013 ist Anlass für vielfältige Aktivitäten,<br />
die <strong>den</strong> Begründer der deutschen Psychiatrie in ein<br />
neues Verhältnis zur Gegenwart setzen. Sein Wirken<br />
in Halle als Universitätsprofessor, Stadtphysikus, romantischer<br />
Naturphilosoph sowie als Wegbereiter<br />
von Psychiatrie und Neurologie oder als führendes<br />
Mitglied der „Loge zu <strong>den</strong> drei Degen“ steht dabei im<br />
Mittelpunkt der Betrachtungen. An der Universität –<br />
im Löwengebäude wie in der Medizinischen Fakultät<br />
– und an <strong>den</strong> Kunstmuseen der Stadt Halle wird im<br />
Jahr 2013/14 das Wirken Reils besonders gewürdigt.<br />
„Eine interdisziplinäre Projektgruppe, der auch die<br />
Vereinigung der Freunde und Förderer der MLU –<br />
die VFF – angehört, befasst sich mit umfangreichen<br />
Vorbereitungen“, sagt VFF-Geschäftsführerin Ramona<br />
Mitsching. Vertreten sind außerdem die Saalesparkasse,<br />
die Stiftung Kunstforum Halle, die MLU<br />
und die Nationale Akademie der Wissenschaften<br />
Leopoldina.<br />
Den Auftakt bildete bereits im Juni eine medizinhistorische<br />
Tagung des Instituts für Geschichte<br />
und Ethik der Medizin der MLU, die an die aktuelle<br />
psychiatriehistorische Diskussion anknüpfte. Ab<br />
Herbst steht die dreigeteilte Ausstellung „Das geheimnisvolle<br />
Organ – die Vorstellung über Hirn und<br />
Seele von Reil bis heute“ im Mittelpunkt. Sie soll<br />
mit thematisch unterschiedlichen Schwerpunkten<br />
an drei Ausstellungsorten der Stadt gezeigt wer<strong>den</strong>:<br />
im Universitätsmuseum, im Kunstforum der Saalesparkasse<br />
und im Landeskunstmuseum Stiftung<br />
Moritzburg Halle. „Auch das traditionelle Jahresfest<br />
der VFF steht am 21. November ganz im Zeichen<br />
des Reil-Jubiläums“, verrät Ramona Mitsching. „Es<br />
findet zugleich mit der Eröffnung des ersten Teils<br />
der Ausstellung im Löwengebäude statt.“ Für die<br />
Öffentlichkeit ist die Schau vom 22. November 2013<br />
bis März 2014 zu sehen. Thema der Ausstellungen<br />
ist die faszinierende Entwicklung der Hirnforschung<br />
vom Ende des 18. Jahrhunderts bis heute, für die<br />
Reil beispielhaft steht. Im Universitätsmuseum geht<br />
es in erster Linie um wissenschaftlich-universitäre<br />
Aspekte dieses Fortschritts. Reil war davon überzeugt,<br />
dass das seelische Vermögen im Gehirn<br />
lokalisiert ist. So gehören zu <strong>den</strong> Exponaten unter<br />
anderem ein zeitgenössisches Gerät zur Herstellung<br />
von Hirnschnitten, das Originalpräparat einer<br />
„Reilschen Insel“ im Gehirn, Abbildungen aus Reils<br />
„Gehirnatlas“ oder prägnante Zitate zur humaneren<br />
Behandlung psychisch Kranker. Ute Olbertz<br />
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Garten genau vor der Tür<br />
4. Gästewohnung zum Übernachten<br />
scientia halensis 3/2013 varia<br />
Johann Christian Reil<br />
(1759–1813)<br />
(Bild: Uniarchiv Halle,<br />
Rep 40-1, Nr. R2)<br />
Ausführlich im<br />
Onlinemagazin:<br />
WEBCODE MAG 15167<br />
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Kontaktdaten<br />
Pestalozzistraße 30 | 06128 Halle<br />
Telefon: 0345 17 01 22 6<br />
Telefax: 0345 17 01 22 7<br />
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Internet: www.gwg-gartenstadt.de<br />
9
10 varia scientia halensis 3/2013<br />
Das Gedächtnis<br />
der Universität<br />
Wüsste man nicht, dass sich in einem der Wohnhäuser in der Pfännerhöhe das Archiv der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong><br />
Universität verbirgt, würde man an dem grauen, schmucklosen Haus vorbei l<strong>auf</strong>en. Und doch öffnen sich dem<br />
Besucher die Türen zu <strong>den</strong> größten Schätzen, die eine Lehranstalt zu bieten hat.<br />
Betritt man das Archiv, so scheint in manchen Räumen<br />
die DDR-Zeit wieder <strong>auf</strong>zuleben. Tapete und<br />
Linoleum original erhalten aus sozialistischen Wohnträumen.<br />
Und <strong>den</strong>noch ist die Zeit im Archiv nicht<br />
stehen geblieben. Über vier Etagen erstrecken sich<br />
20 kleine Zimmer, die Akten, Urkun<strong>den</strong>, Fotos und<br />
vieles mehr versteckt halten. Aneinander gereiht<br />
wür<strong>den</strong> sie eine Länge von 3,5 Kilometer ergeben,<br />
eine Strecke vom Marktplatz bis zur Bergschänke.<br />
Das älteste Stück des Archivs, eine Urkunde der<br />
Stiftskirche Wittenberg, ist von 1350. Das jüngste,<br />
eine Stu<strong>den</strong>tenakte, stammt aus dem Jahr 2012. All<br />
das können die Archivbenutzer im neu renovierten<br />
Lesesaal für ihre wissenschaftlichen Forschungen<br />
nutzen. Noch in diesem Jahr sollen die traditionellen<br />
Findmittel, die in Buchform oder als Karteikarten<br />
existieren, digital nutzbar gemacht wer<strong>den</strong> und die<br />
Arbeit erleichtern.<br />
Doch nicht nur bei Lesesaal und Findmitteln gibt<br />
es Neuerungen. Seit Archivleiter Dr. Michael Ruprecht<br />
seine Stelle im August 2012 angetreten hat,<br />
weht ein frischer Wind im Archiv. „Das Archiv ist<br />
ein schlafendes Dornröschen, das man wach küssen<br />
muss. Wir müssen verschie<strong>den</strong>e Dinge anpacken,<br />
um das Archiv in die Jetzt-Zeit zu holen. Dazu gehört,<br />
dass wir hausinterne Strukturen verändern,<br />
Abläufe rationeller gestalten und Aufgaben in <strong>den</strong><br />
Blick nehmen, die vorher nicht im Fokus stan<strong>den</strong>“.<br />
So gestaltet sich die Aufarbeitung von Rückstän<strong>den</strong>,<br />
die über eine lange Zeit <strong>auf</strong>gel<strong>auf</strong>en sind, als eine<br />
sehr wichtige Aufgabe für Ruprecht und seine fünf<br />
Mitarbeiterinnen. Archive existieren seit es eine<br />
geordnete Verwaltung gibt. Die Ursprünge des Uni-<br />
versitätsarchivs Halle lassen sich im 19. Jahrhundert<br />
fin<strong>den</strong>. Ruprecht holt die original erhaltenen Statuten<br />
der 1817 vereinigten Universitäten Halle und<br />
Wittenberg aus einer vergilbten Archivschachtel<br />
hervor. „Erst 1854 hat man für die Jahrzehnte zuvor<br />
gegründete Vereinigte Friedrichs-Universität Halle-<br />
Wittenberg neue Statuten erlassen, die vom preußischen<br />
König Friedrich Wilhelm IV. unterzeichnet<br />
wur<strong>den</strong>. Dank der Verwahrung im Archiv können<br />
wir dieses Stück Geschichte mit einem sehr schönen<br />
roten, in Silber gefassten Wachssiegel heute in <strong>den</strong><br />
Hän<strong>den</strong> halten. Diese Urkunde dokumentiert eine<br />
wichtige Wegmarke der langen Tradition unserer<br />
Universität.“<br />
Als zentrale Einheit existiert das Universitätsarchiv<br />
in seiner heutigen Form seit 1947. Da es stetig<br />
wächst, hat das Archiv seitdem schon einige Umzüge<br />
mitgemacht. Was in <strong>den</strong> neunziger Jahren an<br />
der Pfännerhöhe als Zwischenlösung gedacht war,<br />
wurde, obwohl baulich nicht geeignet, zur Vollzeitlösung<br />
bis heute. „Ziel und Herausforderung ist es,<br />
möglichst bald ein anderes Gebäude zu fin<strong>den</strong>, in<br />
dem wir die Unterlagen optimal lagern und das Klima<br />
stabil halten können“, erzählt Ruprecht und zeigt<br />
<strong>auf</strong> ein Klimadiagramm mit zu großen Temperaturschwankungen.<br />
Um die Sonneneinstrahlung <strong>auf</strong> die<br />
Unterlagen zu reduzieren, wur<strong>den</strong> in <strong>den</strong> letzten<br />
Monaten Verdunklungsrollos eingebaut.<br />
Doch nicht nur durch Temperaturschwankungen<br />
und unsachgemäße Lagerung lei<strong>den</strong> die Akten. Auch<br />
<strong>auf</strong>grund ihres Alters und durch die häufige Benutzung<br />
wur<strong>den</strong> sie teils stark in Mitlei<strong>den</strong>schaft gezogen.<br />
„Wir haben sehr hohen Restaurierungsbedarf.
Die Akten sollen Stück für Stück wieder hergerichtet<br />
wer<strong>den</strong> und dann für die Benutzer wieder zugänglich<br />
sein. Dazu arbeiten wir eng mit Restauratoren<br />
zusammen und suchen auch ständig Paten, die sich<br />
für <strong>den</strong> Erhalt dieser Unikate einsetzen“, erläutert<br />
der Archivar.<br />
Schon 2014 könnten Besucher die gut erhaltenen<br />
Akten bewundern. „Wir haben für das nächste Jahr<br />
die Lange Nacht der Wissenschaften fest im Blick,<br />
ebenso <strong>den</strong> Tag der Archive. Mit solchen Veranstaltungen<br />
wollen wir das Archiv ins Bewusstsein<br />
der Uni und der Stadt rücken.“ Das Archiv ist das<br />
Gedächtnis der Universität. Ohne das gedruckte<br />
Wort hätten niemand Kenntnis von der Tradition<br />
der MLU: Man wüsste nicht, welche Hochschullehrer<br />
und berühmten Persönlichkeiten hier gewirkt<br />
haben und was sie bewegte. Ohne die im Archiv<br />
<strong>auf</strong>bewahrte Promotionsurkunde von Dorothea<br />
von Erxleben wüsste heute auch keiner, dass sie die<br />
erste Frau war, die an einer deutschen Hochschule<br />
promoviert wurde. Im Sommer bekommt das Archiv<br />
ein Faksimile der Promotionsurkunde. Darüber<br />
freut sich Ruprecht besonders: „Die Urkunde ist ein<br />
begehrtes Ausstellungsstück und wird oft nachgefragt.<br />
Wenn wir das Duplikat haben, brauchen wir<br />
das Original nicht mehr herausgeben. Es muss dann<br />
nicht mehr durch Transport oder Klimaschwankungen<br />
lei<strong>den</strong> muss“. Gespendet wurde das Duplikat<br />
von Ehrhardt Bödecker, Stifter des Bran<strong>den</strong>burg-<br />
Preußen Museums in Wustrau.<br />
Alles was von historischer Bedeutung oder von<br />
rechtlichem Belangen ist, ist für Ruprecht als Quelle<br />
archivwürdig. Nicht nur Fakultäten, Institute und<br />
Uni-Gremien sollten regelmäßig ihre Akten abgeben.<br />
„Wir freuen uns auch über Professorennachlässe.<br />
Deren Unterlagen und Schriftgut sind für uns<br />
interessant, weil vieles in <strong>den</strong> Akten, die zu uns<br />
kommen, nicht abgebildet ist. Professoren haben<br />
eigene Aufzeichnungen, die einen anderen Blick<br />
<strong>auf</strong> die Fakultäts- oder Institutsgeschichte zulassen“<br />
erläutert Ruprecht.<br />
„Wir sind auch dankbar, wenn Privatleute <strong>auf</strong> uns<br />
zu kommen, die einen Bezug zur Universität haben<br />
und in ihrem Familienbesitz befindliche Promotionsurkun<strong>den</strong><br />
oder Schriftwechsel mit der Uni aus<br />
dem 19. Jahrhundert an uns weiter geben.“ Erst<br />
vor wenigen Wochen wur<strong>den</strong> dem Archiv Tagebücher<br />
einer Stu<strong>den</strong>tin aus <strong>den</strong> 1920ern übergeben.<br />
Christina Naumann<br />
Kontakt: Dr. Michael Ruprecht<br />
Universitätsarchiv Halle<br />
Telefon: 0345 1201166<br />
E-Mail: michael.ruprecht@archiv.uni-halle.de<br />
scientia halensis 3/2013 varia<br />
„Das Archiv ist ein schlafendes<br />
Dornröschen“. Archivleier<br />
Dr. Michael Ruprecht<br />
will es in die Jetzt-Zeit<br />
holen. (Foto: Michael<br />
Deutsch)<br />
11
12 titelthema scientia halensis 3/2013<br />
titelthema<br />
Mit Francke raus<br />
Claudia Weiß, David<br />
Kramer (als Francke) und<br />
Paul Philipp Beckus in der<br />
von Studieren<strong>den</strong> gestalteten<br />
Kabinettsaustellung „FranckeBilder<br />
und Festkultur“.<br />
(Foto: Michael Deutsch)<br />
Motiviert und engagiert schritten die Studieren<strong>den</strong><br />
verschie<strong>den</strong>er Lehramts- und Masterstudiengänge<br />
im Rahmen der zwei Semester umfassen<strong>den</strong> Veranstaltung<br />
„Wahrnehmungen und Deutungen des<br />
Pietismus: Zeitgenossen – Rezeption“ zur Tat. Zunächst<br />
haben sie in einem Seminar die Rezeptionen<br />
von Person und Wirken August Hermann Franckes<br />
aus der Theorie<br />
Ein Semester Theorie kombiniert mit einem Semester purer Praxis förderte pünktlich zum Francke-Jubiläum<br />
nebst Ausstellung und Katalog auch stolze Studierende und Dozenten zutage. „FranckeBilder und Festkultur –<br />
Jubiläen von der Aufklärung bis in die DDR“ ist das Zeugnis eines eindrucksvollen Ausbruchs aus dem Alltag<br />
theoretischer Lehrveranstaltungen. Und „von der Recherche bis zum Ausschnei<strong>den</strong> der Beschriftungskärtchen“<br />
von Stu<strong>den</strong>tenhand gemacht.<br />
in verschie<strong>den</strong>en Zeiten, also sozialen und politischen<br />
Kontexten, anhand zeitgenössischer Quellen<br />
erkundet. Denn „jede Zeit baut sich einen eigenen<br />
Francke“, so Historiker und Seminarleiter Prof.<br />
Dr. Andreas Pečar vom Institut für Geschichte der<br />
MLU, das die Veranstaltung in Kooperation mit <strong>den</strong><br />
Franckeschen Stiftungen anbot. Das Besondere da-
an bestand nicht nur darin, dass die Studieren<strong>den</strong><br />
dabei eigenständig Texte ausfindig machen und <strong>auf</strong><br />
dieser Grundlage einen publikationsreifen Essay für<br />
einen Katalog verfassen sollten. „Die Veranstaltung<br />
war von Beginn an mit der Idee verbun<strong>den</strong>, die Studieren<strong>den</strong><br />
in einer an das Seminar anschließen<strong>den</strong><br />
Übung eine Ausstellung konzipieren und bis zur Präsentationsreife<br />
begleiten zu lassen“, so der zweite<br />
Seminarleiter Dr. Holger Zaunstöck, Historiker und<br />
UNESCO-Be<strong>auf</strong>tragter der Franckeschen Stiftungen.<br />
„Das zu dem Zeitpunkt bevorstehende Francke-<br />
Jubiläum bot eine wunderbare Gelegenheit dafür.“<br />
Und diese Gelegenheit wurde genutzt, wenngleich<br />
ein Mehr<strong>auf</strong>wand abzusehen war. „Die Veranstaltung<br />
versprach einen Ausbruch aus der Theorie und<br />
schon die Aussicht <strong>auf</strong> eine Publikation war verlockend“,<br />
erzählt Teilnehmerin Claudia Weiß, Studierende<br />
im Masterstudiengang Aufklärung – Religion<br />
– Wissen. Bereits während der Vorbereitungen ihres<br />
Referats konnte sie Neuland erkun<strong>den</strong>. „Bisher habe<br />
ich ausschließlich in Bibliotheken recherchiert. Es<br />
war interessant, die hiesigen Archive auch einmal<br />
kennenzulernen, da man besonders bei der Arbeit<br />
in Museen sicher häufig <strong>auf</strong> darin befindliches Material<br />
zurückgreift.“<br />
Außerdem aber haben Claudia Weiß und ihr Kommilitone<br />
Paul Philipp Beckus, Masteranwärter im Fach<br />
Geschichte, noch etwas anderes, sehr Nützliches<br />
gelernt: „Es schreibt zwar jeder im Rahmen des Studiums<br />
einmal einen Essay, dieser hier musste aber<br />
ein gewissermaßen populärwissenschaftlicher Text<br />
wer<strong>den</strong>, der <strong>den</strong> Lesern wissenschaftliche Inhalte<br />
<strong>auf</strong> allgemein verständliche Weise vermittelt“, so<br />
der 23-Jährige. „Auch das war für uns ein Novum.“<br />
Nachdem die sieben Teilnehmer allein oder zu zweit<br />
diese Herausforderung gut gemeistert hatten, konnte<br />
im neuen Jahr der praktische Teil beginnen. „Mit<br />
der Ausarbeitung der Essays haben wir jeder ein bestimmtes<br />
Unterthema konkretisiert und dazu dann<br />
in Archiven, der Stiftungsdatenbank und Katalogen<br />
nach Ausstellungsmaterial recherchiert“, berichtet<br />
Claudia. Dabei – und auch beim Abschließen der<br />
Leihverträge – stan<strong>den</strong> ihnen die Mitarbeiter der<br />
Stiftungen besonders hilfreich zur Seite.<br />
„Dank der vielseitigen Unterstützung haben wir<br />
schnell viele Dinge gelernt, die man sich im Berufsleben<br />
vermutlich weitestgehend selbst aneignen<br />
muss. Wir haben leicht Zugang zu verschie<strong>den</strong>en<br />
Institutionen erhalten und Hinweise in die richtige<br />
Richtung“, so die Absolventin der Kunstgeschichte<br />
und Germanistik. Die engagierte Suche nach Ausstellungsstücken<br />
beförderte sogar einen wahren<br />
Fund zutage: Antje Schloms und Holger Trauzettel,<br />
die sich mit Francke zu dessen Lebzeiten auseinandergesetzt<br />
haben, entdeckten das Titelkupfer<br />
„Sturz der Kanzel“, eine polemische Darstellung<br />
der „Begeisterten Mägde“ von 1704. „Dies ist<br />
vermutlich die erste Abbildung der begeisterten<br />
Mägde und hätte recht eigentlich in die große Jubiläumsausstellung<br />
gehört“, berichtet Pečar stolz.<br />
Der die Hauptausstellung ergänzende Charakter<br />
von „FranckeBilder und Festkultur“ wird dadurch<br />
um einen weiteren Aspekt verstärkt.<br />
Einhundert Gäste im Kabinett<br />
Die Erkundung der Berufspraxis endete jedoch nicht<br />
mit der fertig gestellten Ausstellung. Nach der Eröffnungsveranstaltung<br />
Ende April, zu der – zur großen<br />
Überraschung der Studieren<strong>den</strong> – etwa einhundert<br />
Gäste erschienen, betreuen sie ihr Werk weiterhin<br />
mit Führungen, so auch bei der Langen Nacht der<br />
Wissenschaften am 5. Juli. „Durch die Führungen<br />
lernen wir, <strong>den</strong> Stoff zu vermitteln, und nehmen,<br />
auch dank des Katalogs, die Arbeit der Kommilitonen<br />
stärker wahr. Gleichzeitig erleben wir dabei,<br />
dass unsere Arbeit geschätzt wird. Das fühlt sich gut<br />
an und motiviert“, meint Paul Beckus.<br />
Und nicht nur die Stu<strong>den</strong>ten sind froh über <strong>den</strong><br />
Erfolg. „Große Zufrie<strong>den</strong>heit herrscht auch seitens<br />
der Stiftungen“, betont Holger Zaunstöck. „Den Mitarbeitern<br />
hat die Zusammenarbeit Freude bereitet<br />
und wir blicken neuen Gelegenheiten zu solchen<br />
Kooperationsprojekten zuversichtlich entgegen.“<br />
Melanie Zimmermann<br />
Kontakt: PD Dr. Holger Zaunstöck<br />
Franckesche Stiftungen zu Halle<br />
Telefon: 0345 2127 473<br />
E-Mail: zaunstoeck@francke-halle.de<br />
Kontakt: Prof. Dr. Andreas Pečar<br />
Institut für Geschichte<br />
Telefon: 0345 55 24290<br />
E-Mail: andreas.pecar@geschichte.uni-halle.de<br />
scientia halensis 3/2013 titelthema<br />
„Jede Zeit baut sich<br />
einen eigenen<br />
Francke.“<br />
prof. dr.<br />
andreas peČar<br />
13
14 titelthema scientia halensis 3/2013<br />
Die Universität in Franckes Welt<br />
Fünf Fragen und Antworten rund um <strong>den</strong> Campus Franckesche Stiftungen<br />
Bei schönem Wetter ist der<br />
kleine Garten neben Haus 39<br />
ein beliebter Platz zum Lernen<br />
(Foto: Michael Deutsch)<br />
24<br />
Wie kam der Pietismus in<br />
die Welt?<br />
Diese Frage beschäftigt die Forscher am Interdisziplinären<br />
Zentrum für Pietismusforschung (IZP) in<br />
Haus 24 zurzeit. Über seine Schulen in <strong>den</strong> „Glauchaschen<br />
Anstalten“, durch einen hauseigenen Verlag,<br />
die Druckerei, eine Missionsanstalt und unzählige<br />
persönliche Kontakte half August Hermann Francke,<br />
die pietistischen Ideen in die Welt zu tragen.<br />
Pietismus – was war das noch? Hinter dem Begriff<br />
steckt die größte Reformbewegung des Protestantismus<br />
seit <strong>Luther</strong>s Thesenanschlag von 1517.<br />
Der Reformation der Kirche sollte eine „Reformation<br />
des Lebens“ folgen. Die Pietisten wollten Kirche und<br />
Gesellschaft erneuern, indem sie das Christentum<br />
lebendiger gestalteten. Sie strebten nach einem<br />
frommen, aktiv gottgefälligen Leben, geprägt von<br />
Nächstenliebe, Innerlichkeit und gemeinsamem<br />
Bibelstudium.<br />
Durch Francke und seine Schüler wurde Halle zu<br />
einem Zentrum dieser Bewegung. Aus ganz Europa<br />
strömten Stu<strong>den</strong>ten herbei, um bei ihm zu lernen.<br />
Der Pietist pflegte intensive Beziehungen nach<br />
England, Ungarn und Amerika. Auch eine dänischhallesche<br />
Mission wurde im 18. Jahrhundert in <strong>den</strong><br />
Glauchaschen Anstalten eingerichtet. Nach ihrer<br />
Ausbildung gingen die Missionare nach Südindien.<br />
Halle war Vorreiter der lutherischen Mission. Heute<br />
ist die Stadt durch das IZP ein Zentrum der internationalen<br />
Pietismusforschung. Kunst- und Kirchenhistoriker,<br />
Sprach- und Literaturwissenschaftler,<br />
historische Musikwissenschaftler erforschen hier<br />
die Reformideen des Pietismus und ihre Wirkung <strong>auf</strong><br />
verschie<strong>den</strong>e Bereiche – von der Architektur bis<br />
zum Schulwesen.<br />
Ende August wer<strong>den</strong> hunderte Forscher zum größten<br />
internationalen Kongress zur Pietismusforschung<br />
erwartet. Zum vierten Mal findet er in <strong>den</strong><br />
Franckeschen Stiftungen statt. Im Fokus der Tagung<br />
stehen die Medien, mit deren Hilfe die Pietisten ihre<br />
Ideen weitertrugen. Corinna Bertz
8/9<br />
Wer wohnt im<br />
Kultur<strong>den</strong>kmal?<br />
Ein nicht en<strong>den</strong> wollendes Treppenhaus, alte Fachwerkbalken<br />
und schmale Holzfenster – im Wohnheim<br />
des Evangelischen Konviktes <strong>auf</strong> dem Gelände<br />
der Franckeschen Stiftungen ist eine ganz besondere<br />
Atmosphäre zu spüren. „Das Flair der alten<br />
Zeiten sitzt in jeder Ecke. Wir haben zum Teil noch<br />
Möbel, die wohl schon Francke nutzte“, erzählt<br />
Anne-Kathrin Bock. Das heutige Stu<strong>den</strong>tenheim in<br />
<strong>den</strong> Häusern 8 und 9 des Kultur<strong>den</strong>kmals steht in<br />
der Tradition älterer Konvikte. Gründer waren unter<br />
anderem der Theologe August Tholuck und seine<br />
Frau Mathilde.<br />
Die Theologie-Stu<strong>den</strong>tin Bock schätzt das Leben<br />
dort. „Es hat etwas Beruhigendes hier zu wohnen.<br />
Mitten in der Stadt und doch ein wenig abgeschirmt.<br />
Oft fragen Touristen ungläubig, ob wir wirklich hier<br />
leben.“ Wir – das sind 70 Stu<strong>den</strong>tinnen und Stu<strong>den</strong>ten<br />
verschie<strong>den</strong>er Fachrichtungen, die nicht nur<br />
zusammen wohnen. Oft treffen sie sich zu gemeinsamen<br />
Ausflügen, wissenschaftlichen Übungen,<br />
Gottesdiensten, zum Sport oder zu DVD-Aben<strong>den</strong>.<br />
Blumenminister, Putzminister und Fetenminister<br />
– was sich skurril anhört, regelt das Leben im Evangelischen<br />
Konvikt. Der Ministerrat plant einzelne<br />
Aktivitäten während des Semesters und hält <strong>den</strong><br />
Kontakt zu anderen Konvikten in Halle. Doch das<br />
Konvikt <strong>auf</strong> dem Gelände der Franckeschen Stiftungen<br />
ist etwas Besonderes, erklärt Anne-Kathrin<br />
Bock: „Mensa, Uni, Kultur – alles an einem Ort. Ein<br />
Freund meinte mal, dass man die Stiftungen nicht<br />
mehr verlassen müsste, wenn es einen Supermarkt<br />
hier gäbe. Ein Rundum-sorglos-Paket sozusagen.“<br />
Sarah Huke<br />
51<br />
Wiege der halleschen<br />
Unimedizin?<br />
Oft heißt es, Johann Juncker habe in <strong>den</strong> Franckeschen<br />
Stiftungen ein Universitätsklinikum gegründet,<br />
die Stu<strong>den</strong>ten der Medizin am Krankenbett unterrichtet<br />
und so das „Bedside Teaching“ erfun<strong>den</strong>.<br />
„Neuere Forschungsprojekte zeigen, dass Juncker<br />
ab 1717 die theoretisch-medizinische Ausbildung<br />
der Stu<strong>den</strong>ten der Medizin um <strong>den</strong> praktischen<br />
scientia halensis 3/2013 titelthema<br />
Der hauseigene Kicker wird<br />
von <strong>den</strong> Konviktbewohnern<br />
oft und gerne genutzt.<br />
(Foto: Michael Deutsch)<br />
15
16 anzeigen scientia halensis 3/2013<br />
Neue Stadt? Neues Leben? Neue Wohnung!<br />
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Tel.: 0345 69 28 80<br />
info@his-halle.de<br />
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Unterricht, dem sogenannten Collegium clinicum,<br />
ergänzte“, erklärt Prof. Dr. Florian Steger, Direktor<br />
des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin.<br />
Francke holte Juncker persönlich an die hallesche<br />
Universität und machte ihn 1717 zum Anstaltsarzt<br />
in <strong>den</strong> Frackeschen Stiftungen. „Er übernahm fortan<br />
auch die Armensprechstunde und ließ Stu<strong>den</strong>ten<br />
der Medizin hospitieren. So konnten sie praktische<br />
Erfahrungen sammeln. Halle wurde zu einem der<br />
frühesten Standorte mit klinischem Unterricht“,<br />
erzählt Steger.<br />
Steger und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr.<br />
Maximilian Schochow sind Experten <strong>auf</strong> dem Gebiet<br />
der Medizingeschichte. „Wer in Halle unterwegs ist,<br />
wird <strong>auf</strong> Schritt und Tritt von Geschichte begleitet.<br />
Mit unserem neuen medizinischen Stadtführer<br />
wollen wir das nachvollziehbar machen“, sagt Schochow,<br />
und Steger ergänzt: „Während unserer Recherchen<br />
haben wir gemerkt, wie stark die Medizin<br />
die Stadt beeinflusst hat.“<br />
Der Stadtführer ist im Juli im Universitätsverlag<br />
Halle-Wittenberg erschienen. Vier thematische<br />
Rundgänge führen durch die Stadt Halle. Im Rahmen<br />
des Bundesprogramms „Investitionen für nationale<br />
Kultureinrichtungen in Ostdeutschland“ ist nun die<br />
Sanierung von Haus 51, dem Junckerschen Hospital,<br />
geplant. Es soll künftig Platz für das Seelsorge-Seminar<br />
der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands<br />
bieten. Sarah Huke<br />
2-7 31<br />
Pioniere und Vorreiter ‒<br />
auch heute noch?<br />
August Hermann Francke war Pietist, Pfarrer, Professor<br />
- und in vielen Dingen Pionier. Seine Schulen<br />
wur<strong>den</strong> zum Vorbild für ganz Preußen und seine Vorstellung<br />
von einer flächendecken<strong>den</strong> Schulbildung<br />
trug dazu bei, dass König Friedrich Wilhelm I. 1717 in<br />
Preußen die allgemeine Schulpflicht einführte. Auch<br />
die professionelle Ausbildung zum Lehrer hat ihren<br />
Ursprung in <strong>den</strong> Stiftungen. Francke begann als<br />
erster damit, einen Teil seiner Theologiestu<strong>den</strong>ten<br />
systematisch zu Lehrern auszubil<strong>den</strong>. 1697 gründete<br />
er mit dem „Seminarium praeceptorium“ das erste<br />
Lehrerbildungsseminar in Deutschland. Wenig verwunderlich,<br />
dass auch der erste deutsche Professor<br />
für Pädagogik, Ernst Christian Trapp, in Halle lehrte.<br />
Damit zog die Pädagogik als selbständiges Lehrfach<br />
in die Universität ein.<br />
An diese starke Tradition wird im bunten Bildungskosmos<br />
der Stiftungen bis heute angeknüpft. Eine<br />
einmaliger generationsübergreifender Mix ist <strong>auf</strong><br />
dem Gelände zu fin<strong>den</strong>: Sie reicht von Kindertagesstätten<br />
über drei verschie<strong>den</strong>e Schultypen bis zum<br />
Haus der Generationen und der erziehungswissenschaftlichen<br />
Fakultät der MLU. 2012 zog auch das<br />
Staatliche Seminar für Lehrämter Halle und das<br />
Landesprüfungsamt für Lehrämter Sachsen-Anhalts<br />
(LISA) in die Stiftungen. Der überwiegende Teil der<br />
akademischen Lehrerausbildung des Landes ist damit<br />
hier angesiedelt.<br />
Die erziehungswissenschaftlichen Studienangebote<br />
an der MLU zählen zu <strong>den</strong> besten deutschlandweit.<br />
Das bestätigte im Mai 2013 zuletzt das Ranking des<br />
Centrums für Hochschulentwicklung. Das Studium<br />
ist praxisnah angelegt, Lehre und Forschung sind<br />
eng miteinander verzahnt. In der Lehre wer<strong>den</strong><br />
neue Schritte gewagt, und zugleich wissenschaftlich<br />
begleitet. So zum Beispiel beim Service Learning,<br />
einer Lehr- und Lernmethode, die stu<strong>den</strong>tisches Engagement<br />
in der Gesellschaft mit akademischer Lehre<br />
verbindet. In Halle wurde das Konzept erstmals<br />
bundesweit untersucht. Auf Basis dieser im April<br />
2013 veröffentlichten Bestands<strong>auf</strong>nahme bildet<br />
wird nun über die weitere Etablierung des Konzepts<br />
in Deutschland diskutiert.<br />
Von der Bildungs-, Kindheits- und Jugendforschung<br />
bis zur Geistigbehinderten-, Integrations-, Sozial-<br />
und Rehabilitationspädagogik: Die Forschung an der<br />
Philosophische Fakultät III – Erziehungswissenschaften<br />
ist international hoch anerkannt. Viele der hier<br />
arbeiten<strong>den</strong> Wissenschaftler gehören zu Vorreitern<br />
<strong>auf</strong> ihren Fachgebieten. Aus ihrer Feder stammen<br />
Standardwerke der Fachliteratur, ihre Forschungsprojekte<br />
wer<strong>den</strong> von renommierten Stiftungen und<br />
vom Bund gefördert, so etwa die vier Projekte der<br />
Forschergruppe „Mechanismen der Elitebildung<br />
im deutschen Bildungssystem“ durch die Deutsche<br />
Forschungsgemeinschaft. Auch der Standort<br />
selbst, an dem kulturelle, schulische, museale und<br />
wissenschaftliche Bildung praktiziert wird, wird im<br />
Francke-Jahr zum Forschungsthema:<br />
Was im Sozialraum „Frankesche Stiftungen“ geschieht,<br />
ist die zentrale Frage, mit der sich Forscher<br />
in der Pädagogischen Woche im Oktober auseinandersetzen<br />
wollen. Corinna Bertz<br />
scientia halensis 3/2013 titelthema<br />
Ein Interview zum Service<br />
Learning im Onlinemagazin:<br />
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17
18 titelthema scientia halensis 3/2013<br />
Professor Michael Domsgen,<br />
hier mit einer <strong>Luther</strong>-Figur,<br />
leitet die neue Forschungsstelle<br />
„Religiöse Kommunikations-<br />
und Lernprozesse“<br />
(Foto: Jörg Hammerbacher)<br />
30<br />
Was beschäftigt Theologen<br />
heute?<br />
Zu Pfarrer Heiner Urmoneit von der Evangelischen<br />
Kirchgemeinde Schochwitz kommen in der Regel<br />
Jugendliche, die bereits durch ihre Familie an die<br />
Kirche gebun<strong>den</strong> sind. „Für uns steht das Gemeinschaftserlebnis<br />
der Jugendlichen im Vordergrund.<br />
Wir kochen zusammen, wir lachen und nebenbei<br />
bringen wir sie dem Glauben ein Stück näher“, so<br />
der Pfarrer. Über Klassenkamera<strong>den</strong> fin<strong>den</strong> auch<br />
Schüler, die nichts mit der Kirche zu tun haben, ihren<br />
Weg in seinen Konfirman<strong>den</strong>unterricht. Die nicht<br />
kirchlich gebun<strong>den</strong>en Jugendlichen sind oft sogar<br />
interessierter als ihre evangelischen Mitschüler.<br />
„Glauben hat etwas mit Vertrauen zu tun. An unseren<br />
Nachmittagen versuchen wir die Lebenswelt<br />
der Jugendlichen zu treffen, die sich <strong>auf</strong> der Suche<br />
nach dem Sinn des Lebens befin<strong>den</strong>. Das gilt für<br />
kirchlich gebun<strong>den</strong>e ebenso wie für konfessionslose<br />
Jugendliche“, erzählt der Referent für Konfirman<strong>den</strong>arbeit.<br />
Doch was bewegt <strong>den</strong> Einzelnen zum<br />
Schritt in die Kirche? Ist es nur das Gemeinschaftsgefühl<br />
oder der evangelische Banknachbar, der<br />
konfessionslose Jugendliche in <strong>den</strong> Konfirman<strong>den</strong>unterricht<br />
zieht?<br />
In zwei Jahren könnte die 2012 an der MLU gegründete<br />
Forschungsstelle „Religiöse Kommunikations-<br />
und Lernprozesse“ Pfarrer Urmoneit und<br />
seinen Kollegen Antwort <strong>auf</strong> diese Fragen liefern.<br />
Dann sollen die Ergebnisse der Studien zur Konfessionslosigkeit<br />
von Professor Michael Domsgen und<br />
seinem Team vorliegen. „Wir wollen verstehen, wie<br />
religiöses Lernen funktioniert und wie man sich<br />
mit dem erlernten Kommunizieren vor allem im<br />
konfessionslosen Kontext bewegt. Wenn die Pfarrer<br />
daraus handlungsorientierende Schwerpunkte<br />
ableiten, ist das gut, aber im Moment ist das nicht<br />
unser Schwerpunkt“, erklärt Domsgen.<br />
In zwei renovierten Büros in <strong>den</strong> Franckeschen Stiftungen<br />
erforscht der Theologe mit seinen Mitarbeitern,<br />
wie Menschen Religion lernen. „Wir wissen<br />
noch zu wenig, was dieses Phänomen Konfessionslosigkeit<br />
überhaupt bedeutet – insbesondere für<br />
religiöses Lernen“, erläutert er. Dabei rücken vor<br />
allem die Menschen in <strong>den</strong> Vordergrund der Betrachtungen,<br />
die in ihrer frühkindlichen Sozialisation
oder Jugend nicht explizit mit Religion in Berührung<br />
gekommen sind.<br />
Im April 2012 begann die Forschungsstelle ihre<br />
Arbeit mit einer Tagung zum Thema „Lässt sich Geschmack<br />
bil<strong>den</strong> für Religionen?“ Das Interesse war<br />
groß, erzählt Michael Domsgen: „Es war ein breites<br />
Publikum vertreten. Fachkollegen aus ganz Deutschland,<br />
aber auch interessierte Praktiker kamen.“ Sein<br />
fünfköpfiges Team widmet sich insbesondere <strong>den</strong><br />
Fragen: „Was verstehen Menschen unter Religion?<br />
Wie eignen sie sich Religion an? Wie öffnen sie sich<br />
für die religiöse Dimension?“ So beschäftigt sich<br />
eine Doktorandin mit religiösen Schulfeiern. Besonders<br />
interessieren sie dabei die Jugendlichen,<br />
bei <strong>den</strong>en der Initiationsritus der Konfirmation oder<br />
Jugendweihe zum Eintritt in das Erwachsenenalter<br />
wegfällt.<br />
Ein zweites Projekt widmet sich Menschen, die<br />
nicht christlich sozialisiert wur<strong>den</strong>, sich aber im<br />
Jugendalter der Religion zuwendeten. „Wir wollen<br />
die Beweggründe dafür verstehen, wie so eine weltanschauliche<br />
Neuorientierung zustande kommt“,<br />
erklärt der Leiter der Forschungsstelle. Weitere<br />
Projekte widmen sich <strong>den</strong> Fragen: Wie nehmen es<br />
nicht konfessionell gebun<strong>den</strong>e Kinder und Jugendliche<br />
<strong>auf</strong>, Schulen und Kindergärten in evangelischer<br />
Trägerschaft zu besuchen? Was treibt Jugendliche<br />
an, für sich selbst beten zu lernen, obwohl sie als<br />
Kind dieses Ritual nicht erfahren haben? Und wenn<br />
sie nicht beten, was sind ihre entsprechen<strong>den</strong> Substitute?<br />
Für die Gemeindepraxis, aber auch für <strong>den</strong> Religionsunterricht<br />
ergeben sich aus all diesen Forschungsfeldern<br />
interessante Anknüpfungspunkte.<br />
Vielleicht helfen sie Pfarrern und Lehrern dabei,<br />
Kinder und Jugendliche in der Schule oder beim Konfirman<strong>den</strong>unterricht<br />
besser zu verstehen – zu verstehen,<br />
was ihnen wichtig ist und was sie beschäftigt,<br />
wenn sie mit Religion bislang noch nicht explizit<br />
in Berührung gekommen sind. Christina Naumann<br />
scientia halensis 3/2013 titelthema<br />
19
20 studieren, lehren, leben scientia halensis 3/2013<br />
studieren, lehren, leben<br />
Wenn Zweifel<br />
überhand nehmen<br />
Fast jeder Studierende hat es schon einmal getan: sein Studium in Frage gestellt. Während bei vielen die Motivation<br />
nur kurzzeitig sinkt, sind die Zweifel an der eigenen Studienwahl bei manchen so stark, dass sie die<br />
Universität ohne Abschluss verlassen. Den „Studienzweiflern“, die nicht zwingend zu Studienabbrechern wer<strong>den</strong>,<br />
widmet sich das Projekt „Zweifel am Studium“. Gemeinsam mit der Arbeitsagentur Halle hat das Career<br />
Center der MLU seit Herbst 2011 160 Studienzweifler <strong>auf</strong> ihrem Weg begleitet.<br />
Zweifel gehören zum Studium<br />
dazu. Das Career Center<br />
berät bei der Neuorientierung.<br />
(Foto: Fotolia/wavebreakmediaMicro)<br />
Mit einer eher vagen Vorstellung vom Studienfach<br />
und der beruflichen Zukunft haben viele mit 18 oder<br />
19 ihr Studienfach gewählt. Und jetzt, nach drei Semestern<br />
voller Formeln, Hausarbeiten oder abstrakter<br />
Diskussionen setzen oft die Zweifel ein. Ist das<br />
wirklich meins – dieses Fach und diese berufliche<br />
Richtung? Will ich überhaupt dorthin? Werde ich<br />
mithalten können? „Mit dem Wissen wächst auch<br />
der Zweifel“, wusste schon Goethe. Soweit, so normal.<br />
„Schwierig wird es erst dann, wenn man nicht
mehr aktiv versucht, <strong>auf</strong> diese Fragen eine Antwort<br />
zu fin<strong>den</strong>“, sagt die Leiterin des Career Centers Tina<br />
Küstenbrück. Das Career Center der MLU veranstaltet<br />
regelmäßig Infonachmittage zum Thema „Studienzweifel<br />
– was nun?“. Meist erscheine nur eine<br />
Handvoll Stu<strong>den</strong>ten, die danach aber auch die Einzelberatungen<br />
sehr intensiv nutze. „Viele Zweifler<br />
wünschen sich eine schnelle Lösung und sagen uns<br />
erstmal: Das wird nichts mehr, ich muss hier raus<br />
und brauche einen Job“, erzählt Küstenbrück. Häufig<br />
handelt es sich dabei aber um eine Kurzschlussreaktion.<br />
„Wir wollen Studienzweiflern vor allem erst<br />
einmal dabei helfen, herauszufin<strong>den</strong>, was sie selbst<br />
wirklich wollen. Die persönliche Entwicklung und<br />
Lebensplanung steht für uns im Mittelpunkt.“<br />
Das heißt zunächst: Fragen stellen und bei der<br />
Suche nach Antworten Hilfe leisten. Warum hat<br />
sich jemand für sein Studium entschie<strong>den</strong>? Was<br />
war Auslöser für die Zweifel? Was sind die eigenen<br />
Hauptinteressen und Berufswünsche? „Wir geben<br />
<strong>den</strong> Zweiflern Metho<strong>den</strong>wissen an die Hand, mit<br />
<strong>den</strong>en sie anschließend selbst die nächsten Schritte<br />
gehen können.“ Die Gründe, für tiefe Zweifel am<br />
eigenen Studium sind vielfältig. „Manche kommen<br />
beispielsweise mit bestimmten Prüfungsformen<br />
oder dem Studien<strong>auf</strong>bau nicht zurecht. Oder die<br />
Entscheidung für ein bestimmtes Fach entsprach<br />
eher dem Studienwunsch der Eltern als dem eigenen“,<br />
erläutert Tina Küstenbrück.<br />
Durch das Projekt „Zweifel am Studium“, das das<br />
Career Center vor zwei Jahren gemeinsam mit der<br />
Arbeitsagentur Halle gestartet hat, wur<strong>den</strong> Studienzweifler<br />
erstmals gezielt durch ein ganzheitliches<br />
Informations-, Beratungs- und Vermittlungsangebot<br />
unterstützt. „Wir wollten ganz bewusst vor dem<br />
Studienabbruch ansetzen, dann, wenn der erste<br />
tiefe Zweifel <strong>auf</strong>taucht“, erklärt Küstenbrück. Denn<br />
Ergebnis solcher Zweifel kann auch sein: Danach<br />
umso motivierter erst richtig durchzustarten. Das<br />
Fach zu wechseln und erfolgreich zu Ende zu studieren.<br />
Oder beim Praktikum, Auslands<strong>auf</strong>enthalt<br />
oder im Job herauszufin<strong>den</strong>, was man wirklich will.<br />
Konkreter Anlass für das Projekt war die Anfrage<br />
eines Unternehmens, das beim Career Center<br />
gezielt nach Studienabbrechern fragte. Die Firma<br />
suchte nach qualifizierten Bewerbern für ihre Ausbildungsstellen.<br />
Das war vor wenigen Jahren noch<br />
eine ungewöhnliche Anfrage. „Inzwischen zeigen<br />
sich immer mehr Unternehmen an Studienabbrechern<br />
interessiert. Sie suchen fähiges, motiviertes<br />
scientia halensis 3/2013 studieren, lehren, leben<br />
Personal und schauen dabei weniger <strong>auf</strong> <strong>den</strong> Abschluss<br />
oder die Semesterzahl“, erzählt Tina Küstenbrück.<br />
Während sie und ihre Mitarbeiter im ersten<br />
Schritt die Studieren<strong>den</strong> bei der Karrierefindungssuche<br />
beraten, übernimmt die Arbeitsagentur die<br />
Vermittlung in freie Ausbildungsstellen, sobald der<br />
oder die Studierende sich für diesen Weg entschie<strong>den</strong><br />
hat. Gemeinsam arbeiten beide Partner auch<br />
daran, Unternehmen <strong>auf</strong> die Gruppe der Studienabbrecher<br />
<strong>auf</strong>merksam zu machen und ein breites<br />
Netzwerk für <strong>den</strong> Erfahrungsaustausch und die<br />
Jobvermittlung <strong>auf</strong>zubauen.<br />
160 Studierende nahmen das Beratungs- und Vermittlungsangebot<br />
der bei<strong>den</strong> Projektpartner innerhalb<br />
eines Jahres wahr. „Diese Zahl hat uns schon<br />
überrascht.“ Bundesweit gibt es über Studienzweifler<br />
und Studienabbrecher bislang nur wenige Studien<br />
und kaum belastbare Zahlen. Wer die Universität<br />
ohne Abschluss verlässt, verschwindet auch aus der<br />
Studieren<strong>den</strong>statistik. Erhoben wird weder, warum<br />
jemand abbricht, noch wohin er geht. Das Evaluationsbüro<br />
der MLU will nun erstmals gezielt diejenigen<br />
befragen, die im Wintersemester 2012/13 und<br />
im Sommersemester 2013 ohne Studienabschluss<br />
die MLU verlassen haben.<br />
Einen ersten Erfolg können die Projektleiter schon<br />
vorweisen: Zwei Drittel der 160 Studieren<strong>den</strong><br />
wollten zu Beginn der Beratungen ihr Studium abbrechen.<br />
Aber nur ein Drittel hat tatsächlich diesen<br />
Weg gewählt. Den Studienabbrechern konnte über<br />
die Arbeitsagentur ein Ausbildungsplatz vermittelt<br />
wer<strong>den</strong>. Der Projektbericht bietet erste Statistiken<br />
zu <strong>den</strong> Grün<strong>den</strong> des Studienzweifels und zum Verl<strong>auf</strong><br />
der Beratungsfälle. Das 18-seitige Papier stieß<br />
im Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium des<br />
Landes ebenso wie im Rektorat <strong>auf</strong> großes Interesse.<br />
„Es ist viel in Bewegung gekommen im letzten<br />
Jahr“, freut sich Tina Küstenbrück. „Den Studieren<strong>den</strong><br />
können wir sagen: Es tut sich was! Und <strong>den</strong><br />
Abbrechern: Ihr seid ebenso interessant für Arbeitsgeber<br />
wie andere!“ Corinna Bertz<br />
Kontakt: Tina Küstenbrück<br />
Career Center<br />
Telefon: 0345 55 21498<br />
E-Mail: tina.kuestenbrueck@career.uni-halle.de<br />
Wie finde ich heraus, was<br />
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21
22 studieren, lehren, leben scientia halensis 3/2013<br />
Ein Strafrechtler<br />
zieht alle Register<br />
Schon als Kind entschied sich Joachim Renzikowski, Strafrechtler an der MLU, für die „Königin der Instrumente“<br />
– die Orgel. Sie ist nicht das einzige Instrument, dass der musizierende Hochschullehrer spielen kann.<br />
Professor Joachim Renzikowski<br />
an der Sauer-Orgel in<br />
der Aula der Universität<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
Das Orgelspiel reizte Joachim Renzikowski, dem der<br />
Klavierunterricht mit zwölf Jahren nicht mehr ausreichte,<br />
nachdem ihm bewusst wurde, „dass in der<br />
Orgel der volle Sound eines ganzen Sinfonieorchesters<br />
steckt“. Die Orgel gilt mit ihrem raumfüllen<strong>den</strong><br />
Klang als Königin der Instrumente. Kein Wunder,<br />
dass ihr Spiel eine besondere Herausforderung<br />
darstellt. Hände und Füße agieren gleichzeitig in<br />
atemberaubender Geschwindigkeit.<br />
„Das Ziehen nur eines Registers bringt gleich eine<br />
ganze Reihe Orgelpfeifen zum Tönen“, sagt Renzikowski.<br />
Mit siebzehn hat er in der Heiligkreuzkirche<br />
in Erlangen sonntags die Gottesdienste an der Orgel<br />
begleitet. Bald spielte er klassische Werke von Bach<br />
oder romantische Stücke von Reger, Brahms und<br />
Mendelssohn Bartholdy. Die Musik stellte für ihn<br />
immer ein bereicherndes Hobby dar, kam aber nie<br />
ernsthaft für eine berufliche Zukunft in Betracht.<br />
Heute ist Prof. Dr. Joachim Renzikowski Inhaber des<br />
Lehrstuhls für Strafrecht, Rechtsphilosophie und<br />
Rechtstheorie an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-Universität.<br />
Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter<br />
anderem Sexualstrafrecht, Normentheorie sowie<br />
die Europäische Konvention der Menschenrechte<br />
und Grundfreiheiten. Orgelspiel bildet für ihn oft<br />
<strong>den</strong> Ausgleich zu hitzigen Debatten, die sein Fach<br />
bei Kontroversen über die Grenzen des Sexualstrafrechts<br />
mitunter mit sich bringt. Da geht es um Themen<br />
wie Legalisierung der Prostitution, Strafbarkeit<br />
des Inzests oder Jugendschutz. „Gerade sexuelle<br />
Themen wecken in konkreten Fällen manchmal hohe<br />
Emotionen“, so Renzikowski.<br />
Elemente des Jazz <strong>auf</strong> der Orgel reizen ihn ebenso<br />
wie der Klang romantischer Musikwerke <strong>auf</strong> Instrumenten<br />
des französischen Orgelbaumeisters<br />
Aristide Cavaillé-Coll. „Die historische Sauer-Orgel<br />
in der Aula der Universität bringe ich gelegentlich<br />
bei Absolventenfeiern zum Klingen“, erzählt der<br />
Strafrechtler. Als die ehemalige Generalbundesanwältin<br />
Dr. Monika Harms 2008 in Halle eine<br />
Honorarprofessur erhielt, begann er mit dem berühmten<br />
Intro der d-moll-Tocatta von Bach, wechselte<br />
in „Pomps and Cirumstances“ und endete mit<br />
Oscar Petersons „Night Train“. „Mich faszinieren vor<br />
allem modernere Orgelkompositionen von wenig<br />
bekannten Komponisten, zum Beispiel von Malcolm<br />
Archer.“ Aber auch Musik des amerikanischen Jazzmusikers<br />
Duke Ellington oder Melodien aus „Porgy<br />
and Bess“ von George Gershwin begeistern Renzikowski.<br />
Nicht selten versucht er, Stücke zu Hause<br />
<strong>auf</strong> seiner elektronischen Orgel nachzuspielen. Er<br />
bewundert die flinken Füße der Jazz-Organistin<br />
Barbara Dennerlein, die im beeindrucken<strong>den</strong> Tempo<br />
der Orgel swingende Klänge entlockt. Und schmunzelnd<br />
fügt er hinzu, dass er beim Orgelspiel immer<br />
noch seine über 30 Jahre alten Mokassins trägt.<br />
„Mit anderen Schuhen treffe ich die Pedale nicht.“<br />
Renzikowski präsentiert scientia halensis augenzwinkernd<br />
sein Zweitinstrument, mit dessen Spiel<br />
er einmal im Zeltlager begonnen hat: eine Blues<br />
Harp – bekannt auch einfach als Mundharmonika.<br />
Diese wiederum wird manchmal als Mundorgel bezeichnet<br />
und kann zumindest eine weitläufige Verwandtschaft<br />
mit einer richtigen Orgel <strong>auf</strong>weisen.<br />
Er konnte bald die typischen „Jaultöne“ aus ihr herausholen<br />
und musizierte zeitweise in Tübingen mit<br />
der Blues Harp in einer Band. „Manchmal träume<br />
ich von einem einsamen Bluesgitarristen, der noch<br />
einen Partner sucht.“ Oder viel besser: Er schlägt<br />
die Gründung einer „<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-Blues-Band“ in<br />
Halle vor. Dazu fehlen allerdings noch die Mitspieler.<br />
Ute Olbertz
scientia halensis 3/2013 studieren, lehren, leben<br />
23
24 studieren, lehren, leben scientia halensis 3/2013<br />
#dabeibleiben<br />
Seit April beteiligen sich viele Studierende und Uni-Angehörige aktiv an <strong>den</strong> Protesten gegen die Kürzungspläne<br />
der Landesregierung. In Halle haben das „Aktionsbündnis MLU - Perspektiven gestalten“ und das Bündnis<br />
der Medizinischen Fakultät „Halle bleibt“ beachtliche Präsenz gezeigt. Grund zum Ausruhen ist das für die<br />
Beteiligten aber nicht.<br />
Im Protest gegen die Kürzungspläne<br />
der Landesregierung<br />
demonstrieren Hochschulen<br />
und Hochschulgruppen<br />
Einigkeit. (Foto: Maike<br />
Glöckner, Protest in Halle am<br />
30. April)<br />
„Halle bleibt“ – aus zwei kleinen Wörtern ist seit<br />
April eine eindrucksvolles Zeichen von Stärke und<br />
Geschlossenheit gewor<strong>den</strong>. Auf Protestplakaten, an<br />
Fahrrädern, als T-Shirt und <strong>auf</strong> Fotos aus der ganzen<br />
Welt ist die kurze, prägnante Botschaft wiederzufin<strong>den</strong>.<br />
„Dabei war uns schnell klar, dass ‚Halle Bleibt’<br />
eigentlich zu kurz greift“, sagt Frederik Winter vom<br />
Fachschaftsrat Medizin. „Uns ist erstmal nichts Anderes,<br />
nichts Besseres eingefallen.“ Im April wurde<br />
die Medizinische Fakultät von <strong>den</strong> hochschulpolitischen<br />
Ereignissen geradezu überrollt: Am 17. April<br />
war der Wissenschaftsrat am Universitätsklinikum<br />
Halle zu Besuch, am Tag dar<strong>auf</strong> berichtete die Mitteldeutsche<br />
Zeitung erstmals von einem internen<br />
Ministeriumspapier, das <strong>den</strong> Erhalt von zwei Universitätskliniken<br />
im Land in Frage stellte. Und einen Tag<br />
später wurde Wirtschafts- und Wissenschaftsministerin<br />
Birgitta Wolff entlassen.<br />
Kurz dar<strong>auf</strong> trafen sich Vertreter der Gremien mit<br />
engagierten Mitarbeiter und Studierende der Medi-<br />
zin, um gemeinsam die Vollversammlung der Mediziner<br />
am 24. April vorzubereiten. „Zu dem Zeitpunkt<br />
haben wir uns auch gefragt, wie wir alle einbin<strong>den</strong><br />
und <strong>den</strong> direkten Kontakt halten können“, erzählt<br />
der Medizinstu<strong>den</strong>t. Schnell war die E-Mail-Adresse<br />
hallebleibt@uk-halle.de eingerichtet. Eine Webseite<br />
und die Onlinepetition für <strong>den</strong> Erhalt der Universitätsmedizin<br />
Halle folgten. Der "Halle bleibt!"-<br />
Schriftzug in Fakultätsrot und Uni-grün wurde zum<br />
Selbstläufer, tauchte immer häufiger im Stadtbild<br />
und vor allem in <strong>den</strong> sozialen Netzwerken <strong>auf</strong>. In<br />
weniger als zwei Wochen schafften es die Mediziner<br />
gemeinsam mit dem Aktionsbündnis „MLU Perspektiven<br />
gestalten“ mehr als 7.000 Menschen zu<br />
mobilisieren, die am 30. April für <strong>den</strong> Erhalt der Universitätsmedizin<br />
und gegen die Kürzungspläne im<br />
Hochschulbereich <strong>auf</strong> die Straße gingen. „Das war<br />
natürlich ein großer Ansporn“, sagt Frederik Winter,<br />
der <strong>auf</strong> dem Marktplatz seine erste Rede hielt. Er ist<br />
zurzeit vor allem damit beschäftigt, zu allen im Pro-
test engagierten Gruppen einen möglichst kurzen<br />
Draht zu halten - sei es der Studieren<strong>den</strong>rat (StuRa),<br />
der Personalrat der MLU und der Medizin oder das<br />
„Aktionsbündnis MLU - Perspektiven gestalten.“<br />
Seit April arbeiten engagierte Studierende und<br />
Mitarbeiter eng zusammen, um Proteste und Kampagnen<br />
zu planen, dazugehörige Webseiten am<br />
L<strong>auf</strong>en zu halten, öffentlich Präsenz zu zeigen und<br />
sich dabei mit allen Statusgruppen und Gremien<br />
auszutauschen und abzustimmen. Wie viele genau<br />
beteiligt sind, ist schwer einzuschätzen. „Sie bringen<br />
sich über die verschie<strong>den</strong>en Gruppen ein. Mal sind<br />
20, mal 50 Teilnehmer im Plenum vertreten“, sagt<br />
Dr. Rainer Herter vom Personalrat der MLU.<br />
Seit Sommer 2012 besteht das Aktionsbündnis<br />
MLU bereits, damals noch als Reaktion <strong>auf</strong> die<br />
uni-interne Spardebatte. „Wir hatten also einen<br />
gewissen Vorl<strong>auf</strong>.“ Der Bündnisvertreter hofft,<br />
dass das hohe Engagement das Bündnis auch über<br />
<strong>den</strong> vorlesungsfreien Sommer tragen wird und der<br />
Landesregierung ein „heißer Herbst“ bevorsteht.<br />
Noch seien dafür dicke Bretter zu bohren. Der Kern<br />
der Bündnisgruppe arbeitet seit Monaten am Limit.<br />
Mehrere Abende in der Woche und viele Wochenende<br />
wer<strong>den</strong> in eine Arbeit investiert, von der noch<br />
scientia halensis 3/2013 studieren, lehren, leben<br />
niemand weiß, ob sie am Ende erfolgreich sein wird.<br />
Aber nichts zu tun ist für die Beteiligten unvorstellbar.<br />
„Die Kürzungspläne der Landesregierung im<br />
Bildungsbereich gefähr<strong>den</strong> die Ausbildung unserer<br />
Kinder und Enkel und die Wirtschaft des Landes.<br />
Wer diese Zukunftsperspektive für seine Kinder<br />
nicht haben will, dem kann ich nicht mehr helfen“,<br />
meint Herter. „Jeder der mitmachen will, ist bei uns<br />
willkommen und kann sich einbringen. “<br />
Das Aktionsbündnis verbindet Gruppen, die selten<br />
Einigkeit demonstrieren: StuRa und Fachschaftsräte,<br />
Personalrat, Gewerkschaften und Rektorat sowie<br />
die jugendpolitische Verbände und Hochschulgruppen<br />
von <strong>den</strong> Jungsozialisten bis zum Ring Christlich-<br />
Demokratischer Stu<strong>den</strong>ten sind vertreten. Sogar<br />
ein landesweites Hochschulaktionsbündnis ist <strong>auf</strong><br />
Initiative des halleschen Bündnis' zustande gekommen.<br />
Ein Kraftakt, der nur gelingen konnte, weil<br />
allen Akteuren das gemeinsame Ziel so wichtig und<br />
wesentlich ist: Eine <strong>den</strong> Aufgaben gemäße Finanzierung<br />
des Hochschulsystems Sachsen-Anhalts<br />
und keine weiteren Kürzungen im Hochschul- und<br />
Forschungsbereich sowie bei <strong>den</strong> Stu<strong>den</strong>tenwerken.<br />
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25
26 studieren, lehren, leben scientia halensis 3/2013<br />
Zwei Unis, zwei Länder,<br />
zwei Abschlüsse<br />
In Halle und Mailand gibt es ein besonderes Masterprogramm: Die Studieren<strong>den</strong> des Masters „Europäische Integration<br />
und regionale Entwicklung“ kommen von zwei Unis, studieren in zwei Ländern und erhalten dafür<br />
zwei Abschlüsse: Den Master of Science und <strong>den</strong> Laurea Magistrale. Möglich macht das eine Kooperation der<br />
MLU mit der Università Cattolica del Sacro Cuore. Zwei Studierende berichten über das Programm.<br />
Diana Righi: Eigentlich habe ich in Mailand Deutsch<br />
und Englisch als Fremdsprachen sowie Internationale<br />
Beziehungen studiert. Doch nach meinem<br />
Abschluss wollte ich nicht als Dolmetscherin oder<br />
als Sprachlehrerin arbeiten. Ich wollte meinen Blick<br />
erweitern, deshalb habe ich mich dann 2011 für<br />
<strong>den</strong> Master in Politikwissenschaften in Mailand<br />
eingeschrieben. Zu dem Zeitpunkt war noch gar<br />
nicht klar, ob ich nach Deutschland kann: Nur fünf<br />
Stu<strong>den</strong>ten, die sehr gute Noten und einen Deutschkurs<br />
erfolgreich abgeschlossen hatten, durften für<br />
zwei Semester nach Halle zum Studieren. Ich habe<br />
mich riesig gefreut, dass ich angenommen wurde!<br />
Als ich dann in Halle angekommen bin, hatte ich<br />
erstmal einen doppelten „Kulturschock“: Zuerst<br />
die deutsche Kultur und dann die erste eigene<br />
Wohnung. In Mailand sind die Lebenshaltungskosten<br />
so hoch, dass es sich viele Studierende nicht<br />
leisten können, von zu Hause wegzuziehen. Deshalb<br />
wohnen viele, wie ich, noch bei ihrer Familie.<br />
In Halle war das dann ganz anders: Ich hatte meine<br />
eigene Wohnung und musste mich um alles selbst<br />
kümmern. Da war es gut, dass wir im Studium nur<br />
neun Kommilitonen sind – da sind wir sehr schnell<br />
zusammen gekommen und haben uns gegenseitig<br />
geholfen. Außerdem wohne ich mit einer Kommilitonin<br />
aus Italien zusammen. Das macht es auch<br />
ein wenig leichter. Das Studium in Deutschland<br />
unterscheidet sich nicht nur inhaltlich von dem in<br />
Mailand: In Italien ist es häufig so, dass nur der Pro-
fessor während der Veranstaltungen redet und die<br />
Stu<strong>den</strong>ten zuhören. Wir müssen zu <strong>den</strong> Vorlesungen<br />
auch immer ganze Bücher lesen. Da war ein Prof hier<br />
in Halle ganz verwirrt, als ich nach seiner Veranstaltung<br />
zu ihm kam und ihn fragte, welche Bücher<br />
ich lesen solle. Außerdem gibt es in Italien fast nur<br />
mündliche Prüfungen, was aber nicht heißt, dass wir<br />
sehr viel auswendig lernen müssen. Das ist eher hier<br />
in Deutschland so: Einige der Wirtschafts-Klausuren<br />
waren „multiple choice“, da kam es viel mehr dar<strong>auf</strong><br />
an, nur Fakten wiedergeben zu können. Während<br />
meiner Zeit in Deutschland musste ich auch ein<br />
Praktikum absolvieren. Das habe ich im Internationalen<br />
Büro für Wirtschaftsförderung in Magdeburg<br />
gemacht und mich vor allem mit europäischen Projekten<br />
wie dem Leonardo-Projekt beschäftigt. Das<br />
hat mir noch mal richtig die Augen geöffnet, welche<br />
Möglichkeiten und welche verschie<strong>den</strong>en Arbeitsfelder<br />
es nach dem Studium für mich gibt.<br />
Luise Vorwerk: Bevor ich mich für <strong>den</strong> Master<br />
entschloss, habe ich in Halle Romanistik und Wirtschaftswissenschaften<br />
studiert. Das war auch ganz<br />
schön, aber gegen Ende des Studiums habe ich mich<br />
schon gefragt, was ich später mal mit Romanistik<br />
machen könnte – gleichzeitig hat sich meine Perspektive<br />
geändert und ich wollte im Master etwas<br />
studieren, mit dem ich später mal etwas bewegen<br />
kann. Deshalb war der Master für mich ein attraktives<br />
Angebot. Er ist so <strong>auf</strong>gebaut, dass wir in <strong>den</strong><br />
zwei Semestern hier in Halle einen Fokus <strong>auf</strong> die<br />
scientia halensis 3/2013 studieren, lehren, leben<br />
Wirtschafts- und die Rechtswissenschaften haben.<br />
Dazu kommen auch vereinzelt Projektseminare,<br />
also Seminare mit Diskussionen zu europäischen<br />
Themen, etwa zur europäischen I<strong>den</strong>tität. Die sind<br />
besonders schön, weil sie konkret <strong>auf</strong> die EU eingehen,<br />
was sonst im Studium manchmal etwas fehlt.<br />
Ein großer Unterschied des Studiums hier in Halle zu<br />
dem in Mailand ist der Anspruch an das selbstständige<br />
wissenschaftliche Arbeiten. Wir haben schon<br />
im Bachelor sehr viele, vielleicht sogar fast zu viele,<br />
Hausarbeiten. Das ist in Italien nicht so – da mussten<br />
wir unseren Kommilitoninnen erst einmal helfen,<br />
als es hier hieß: Schreibt eine Hausarbeit. Da hilft<br />
es, dass wir nur eine kleine Gruppe sind und uns<br />
gegenseitig helfen können. Wir sind schon eine sehr<br />
eingeschworene Truppe.<br />
Ab dem nächsten Semester wer<strong>den</strong> wir voraussichtlich<br />
für ein Jahr in Mailand studieren. Dann wer<strong>den</strong><br />
wir wahrscheinlich keine Kurse mit unseren bisherigen<br />
italienischen Kommilitoninnen zusammen haben,<br />
sondern lernen die neuen Jahrgänge kennen.<br />
Im Februar 2013 waren wir schon mal für ein paar<br />
Tage in Mailand. Eigentlich müssen wir in Italien<br />
insgesamt nur 30 Credit Points erwerben, also die<br />
Hälfte vom normalen Pensum. Ich will aber versuchen,<br />
die meisten Scheine gleich im Wintersemester<br />
zu machen, damit ich mehr Zeit für das Praktikum<br />
im vierten Semester habe. Ich würde gerne ein längeres<br />
Praktikum absolvieren – aber nicht unbedingt<br />
direkt in Mailand. Protokoll: Tom Leonhardt<br />
Diana Righi und Luise<br />
Vorwerk gönnen sich <strong>auf</strong> dem<br />
halleschen Marktplatz ein<br />
italienisches Eis<br />
(Foto: Michael Deutsch)<br />
Der Masterstudiengang<br />
im Internet:<br />
iw.wiwi.uni-halle.de<br />
27
28 forschen und publizieren scientia halensis 3/2013<br />
forschen und publizieren<br />
3D-Druck:<br />
Vom Greifen und Begreifen<br />
Kugel-Stab-Modelle waren gestern – 3D-Druck-Modelle sind heute. Verhilft Wissenschaftlern die moderne<br />
Technik aber zu einem besseren Verständnis dessen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“? Scientia halensis<br />
sprach mit zwei Forschern der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-Universität über ihre Erfahrungen bei der Erkundung des<br />
3D-Drucks und über dessen Nutzen, Nachteil und Zukunftsfähigkeit.<br />
200 millionenfach vergrößert<br />
hat sich Dominik Schneider<br />
„sein“ Protein ausdrucken<br />
lassen. (Foto: Melanie Zimmermann)<br />
Diplom-Ingenieur Dominik Schneider hat es ausprobiert.<br />
Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut<br />
für Biochemie und Biotechnologie der MLU hat das<br />
Protein S aus Myxococcus xanthus, das er im Rahmen<br />
seiner Promotion in der Arbeitsgruppe „Künstliche<br />
Bindeproteine“ untersucht, als 3D-Modell drucken<br />
lassen. „Ich wollte es in der Hand halten“ lautet<br />
die ganz simple Erklärung des Protein-Forschers. Zu-<br />
mindest 3D-Simulationen gehören längst zu seinem<br />
Arbeitsalltag. „Bereits für eine Vielzahl an Proteinen<br />
bestehen Strukturmodelle, die in öffentlichen Datenbanken<br />
hinterlegt sind. Die graphische Darstellung<br />
dieser Modelle hilft ungemein, <strong>den</strong> komplexen<br />
Aufbau und die dreidimensionale Orientierung der<br />
Proteine zu verstehen“, erklärt der 31-Jährige. Die<br />
Modellierung, das sogenannte „Prototyping“, bringe
allerdings noch eine ganz andere Qualität mit sich:<br />
„Die nahezu abstrakte Welt aus Zahlen, Formeln<br />
und Tabellen, in die man täglich zehn Stun<strong>den</strong> eintaucht,<br />
wird durch die Modellierung zu einem echten,<br />
haptischen Ding.“<br />
Prof. Dr. Peter Wycisk, Leiter des Fachgebiets Hydro-<br />
und Umweltgeologie am Institut für Geowissenschaften<br />
und Geographie der MLU, der sich seit vielen<br />
Jahren mit 3D-Modellierung auseinandersetzt,<br />
sieht das ähnlich und möchte eine Lanze brechen<br />
für je<strong>den</strong> Wissenschaftler, der sich an das Thema<br />
3D-Druck heranwagt: „Die Vergegenständlichung<br />
ermöglicht ein Weiter<strong>den</strong>ken. Es ist ein komplexes<br />
Sichtbarmachen von nicht einfach Sichtbarem, und<br />
insofern auch ein Zugänglichmachen.“<br />
Aus diesem Grund haben Wycisk und sein Team<br />
in Zusammenarbeit mit dem 3D-Labor der Technischen<br />
Universität Berlin bereits vor fünf Jahren<br />
eine komplexe 3D-Geologie-Untergrundstruktur<br />
eines einstigen Tagebaugebietes von Bitterfeld<br />
gedruckt. Dieser bis heute einzigartige Gips-Polymer-Farbdruck<br />
besteht aus acht komplexen, 25<br />
mal 25 Zentimeter großen Schichten und bildet<br />
eine Fläche von 16 Quadratkilometern ab. „Die<br />
Modellierung diente der optimalen Erfassung der<br />
Grundwasserleiter, also der Grundwasserströmung<br />
und -ausbreitung. Das 3D-Modell stellt zudem ein<br />
Werkzeug zur Analyse und Prognose dar“, erklärt<br />
der Hydrogeologe.<br />
Komplexe Sachverhalte (be)greifbar und zugänglich<br />
zu machen – das scheint derzeit noch der Hauptgrund<br />
für Wissenschaftler zu sein, 3D-Modelle<br />
drucken zu lassen. „Das dreidimensionale Modell<br />
mit <strong>den</strong> richtigen Proportionen ist eine tolle Sache,<br />
für die Erforschung meines Proteins und anderer<br />
Gegenstände aber nicht notwendig“, so Schneider.<br />
Das Drucken vereinfache die Erstellung von Modellen<br />
und mache es damit theoretisch jedem möglich,<br />
etwas Vorzeigbares produzieren zu lassen. „Für die<br />
Wissenschaft lässt sich das vor allem didaktisch<br />
nutzen. Ich könnte meiner Großmutter zeigen und<br />
erklären, was ich tue. Insofern kann die Technik<br />
einem größeren Publikum <strong>den</strong> Zugang zur Wissenschaft<br />
erleichtern.“<br />
Während jedermann schon eifrig Blumenvasen,<br />
Haustierbüsten und Schmuck drucken lässt, verbreitet<br />
sich die wissenschaftliche Nutzung der Technik<br />
allerdings nur langsam. Das mag der Relation von<br />
Aufwand und Nutzen geschuldet sein. Denn obwohl<br />
Schneider für <strong>den</strong> Druck seines Proteins <strong>auf</strong><br />
scientia halensis 3/2013 forschen und publizieren<br />
ein bereits vorhan<strong>den</strong>es Strukturmodell zurückgreifen<br />
konnte, dauerte es Monate, kostete etliche<br />
Versuche und nicht wenig Geld, bis ein erster Druck<br />
überhaupt zustande kam.<br />
Eine Herausforderung stellten die Vielzahl und Kompatibilitäten<br />
der Programme dar. Nachdem es ihm<br />
gelungen war, eine Simulations-Datei zu erstellen,<br />
die sich in die 3D-Druck-Programme verschie<strong>den</strong>er<br />
Anbieter importieren ließ und er sich <strong>auf</strong> der Zielgera<strong>den</strong><br />
glaubte, sollte er an Material und Größe<br />
scheitern. „Man kann mittlerweile zwar zwischen<br />
etwa 20 verschie<strong>den</strong>en Materialien wählen, aber<br />
nicht jedes taugt für jede Art von Modell. Insgesamt<br />
habe ich etwa ein Dutzend Druck<strong>auf</strong>träge ausgelöst,<br />
bevor sich überhaupt eine Material- und Größen-<br />
Konstellation als machbar und finanzierbar erwies“,<br />
berichtet der Ingenieur. „Man muss schon einen<br />
langen Atem haben.“ Das zeigte sich insbesondere<br />
auch an dem hochkomplexen Bitterfeld-Modell.<br />
Wycisk und seine Kollegen hatten über ein Jahr<br />
Arbeit damit, das möglichst genaue Strukturmodell<br />
für <strong>den</strong> Druck überhaupt erst einmal zu entwerfen.<br />
Und hätten sie nicht bereits Jahre vorausgearbeitet<br />
<strong>auf</strong> diesem Gebiet, hätte es weitaus länger gedauert.<br />
„Obwohl der 3D-Druck mittlerweile deutlich<br />
günstiger und die Materialauswahl sehr viel größer<br />
gewor<strong>den</strong> ist, sind riesige Datenmengen und die<br />
Auswahl an Programmen noch immer ein Problem“,<br />
so Wycisk. Trotz aller Widrigkeiten glauben beide<br />
Wissenschaftler an das Potenzial und die Zukunftsfähigkeit<br />
des 3D-Drucks. „Mit der Möglichkeit, Titan<br />
als Druckmaterial zu verwen<strong>den</strong>, dürfte die Technik<br />
auch im Bereich der Medizin relevant wer<strong>den</strong>“,<br />
vermutet Schneider. „Und wenn es der NASA tatsächlich<br />
gelingt, Pizzen zu drucken, kann Dr. Oetker<br />
einpacken!“ Melanie Zimmermann<br />
Kontakt: Prof. Dr. Peter Wycisk<br />
Institut für Hydro- und Umweltgeologie<br />
Telefon: 0345 55 26134<br />
E-Mail: peter.wycisk@geo.uni-halle.de<br />
Kontakt: Dipl.-Ing. Dominik Schneider<br />
Institut für Biochemie und Biotechnologie<br />
Telefon: 0345 55 28520<br />
E-Mail: dominik.schneider@biochemtech.uni-halle.de<br />
„Die abstrakte Welt<br />
aus Zahlen, Formeln<br />
und Tabellen wird<br />
durch die Modellierung<br />
zu einem echten,<br />
haptischen Ding.“<br />
dominik schneider<br />
29
30 forschen und publizieren scientia halensis 3/2013<br />
Lese-Empfehlungen querbeet<br />
Zur ausführlichen Rezension:<br />
WEBCODE MAG 15182<br />
Zur ausführlichen Rezension:<br />
WEBCODE MAG 15179<br />
(fach-)literaturfabrik universität<br />
Verbaler Aperitif zur Exposition<br />
Noch bis 12. Juli 2013 erwartet im universitären<br />
Haupthaus die repräsentative Ausstellung „Vom<br />
Barfüßerkloster zum Löwengebäude“ ihre Besucher.<br />
Doch auch danach, wenn sie ihre Pforten längst<br />
geschlossen haben wird, kann man sich und andere<br />
noch an <strong>den</strong> schönen Bildern erfreuen.<br />
Denn der langjährige Chef der Zentralen Kustodie<br />
der Universität, Ralf-Torsten Speler, brachte im<br />
fliegenkopf verlag ein Broschürchen im Westentaschenformat<br />
heraus, das als informativer Einstieg<br />
in die Geschichte des Bauwerks bestens geeignet<br />
ist – sowohl für hallesche Uni-Fans als auch für Gäste<br />
aus nah und fern. Zwei Dutzend farbige Abbildungen<br />
illustrieren <strong>den</strong> Text, der <strong>auf</strong>s Äußerste verknappt<br />
alles Wesentliche enthält. Der Bogen spannt sich<br />
von Niemeyers erstem, am 13. Oktober 1823 an <strong>den</strong><br />
preußischen König Friedrich Wilhelm III. gerichteten<br />
„Immediatgesuch“ (das wenig später abgelehnt<br />
wurde), über die Wahl des Bauplatzes und der Ar-<br />
Der Vater der Waisen und sein Werk<br />
August Hermann Francke war kein Hallenser, doch<br />
Leben und Werk sind untrennbar mit dieser Stadt<br />
und ihrer Universität verknüpft. Im März 2013 jährte<br />
sich sein Geburtstag zum 350. Mal – das animierte<br />
<strong>den</strong> halleschen Theologen und Vorsitzen<strong>den</strong> des<br />
Kuratoriums der Franckeschen Stiftungen Helmut<br />
Obst zu einem neuen, einem breiten Publikum<br />
zugedachten Buch („so handlich, dass es in <strong>den</strong><br />
Rucksack passt“ – Helmut Obst) über <strong>den</strong> berühmten<br />
Pietisten und sein Lebenswerk. Es ist ausdrücklich<br />
nicht die noch ausstehende wissenschaftliche<br />
Francke-Biografie, sondern will uns <strong>den</strong> streitbaren<br />
Theologen, Pädagogen, Ökonomen, Reformer, Wissenschaftsorganisator<br />
und -exporteur als Mensch<br />
nahe bringen. Diese Absicht zeigt schon das Titelbild,<br />
ein Gemälde von Antoine Pesne aus dem Jahr<br />
1725 – da war Francke 62 Jahre alt. Sein Blick aber<br />
chitekten für das Projekt, die Grundsteinlegung zum<br />
Geburtstag des Königs am 3. August 1832, bautechnische<br />
Schwierigkeiten und <strong>den</strong> Bau an sich bis zur<br />
feierlichen Einweihung des neuen Hauptgebäudes<br />
der Vereinigten Fridericiana am Reformationstag<br />
1834. Ende gut, alles gut? Nein, <strong>den</strong>n nun begann<br />
das Tauziehen um Ausstattung und Dekoration der<br />
fast noch leeren Innenräume – schon damals beherrschten<br />
die Finanzen alles, ohne privates Engagement<br />
ging nichts. Das vorläufige I-Tüpfelchen wurde<br />
1868 mit <strong>den</strong> Schadow’schen Löwen gesetzt, die das<br />
Portal bis heute zieren. Ein Blick <strong>auf</strong> die mehrfach<br />
preisgekrönte Umgestaltung des Uniplatzes zu Beginn<br />
des neuen Jahrtausends rundet das Büchlein<br />
ab. Margarete Wein<br />
Ralf-Torsten Speler: Das Hauptgebäude der<br />
Universität zu Halle, Seiten, farbige<br />
Abbildungen, Halle , Euro, fliegenkopf verlag<br />
wirkt jung, der sinnliche Mund trotz prinzipieller<br />
Strenge lebensfroh. Franckes Wirken im Sinne der<br />
Waisenkinder und sein Engagement für Stu<strong>den</strong>ten<br />
aus aller Welt waren einzigartig in jener Zeit, ebenso<br />
sein erfolgreiches Bemühen, all das aus eigener<br />
Kraft erwirtschaften zu können. Davon zeugen bis<br />
heute Apotheke und Buchhandlung des Waisenhauses<br />
sowie die Cansteinsche Bibelanstalt. Sein Credo<br />
„Weltveränderung durch Menschenveränderung“,<br />
das die von ihm bis nach Indien und Amerika entsandten<br />
Missionare in die Welt hinaus trugen, wirkt<br />
bis heute fort. Margarete Wein<br />
Helmut Obst: August Hermann Francke und sein<br />
Werk, Seiten, Abbildungen, Halle , <br />
Euro, Verlag der Franckeschen Stiftungen zu Halle
scientia halensis 3/2013 forschen und publizieren<br />
(fach-)literaturfabrik universität<br />
Zwischen Darwin und Marx<br />
Richard Saage, Professor i. R. für Politikwissenschaft<br />
an der MLU, analysiert in seinem aktuellen Buch die<br />
Formen des rechten und linken Darwinismus und<br />
die sozialdemokratische Auseinandersetzung damit<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts. Nach Saage besteht<br />
„die Aufgabe des Historikers politischer Ideen darin,<br />
sie im Durchgang durch die Quellen behutsam<br />
freizulegen und zu einer empirienahen Struktur zusammenzufügen.“<br />
Ausgehend von <strong>den</strong> 1859 erschienenen Veröffentlichungen<br />
von Charles Robert Darwins „Die Entstehung<br />
der Arten“ und Karl Marx’ „Kritik der politischen<br />
Ökonomie“ untersucht Saage wichtige Quellen<br />
der linken Darwinismus-Rezeption vor 1933/34<br />
und sucht nach dem historischen Menschenbild der<br />
Sozialdemokratie. Thematik und analysierter Zeitraum<br />
sind angesichts heutiger, beispielsweise durch<br />
Thilo Sarrazin ausgelöste Diskussionen, sehr aktuell.<br />
Die agieren<strong>den</strong> Personen wirken auch dank der im<br />
Zeig mir das Bild vom Tod<br />
Dass Totes so schön und lebendig sein kann! – Führungen<br />
durch die Meckelschen Sammlungen im<br />
Institut für Anatomie und Zellbiologie der MLU sind<br />
seit Jahren heiß begehrt. Seit kurzem aber kann<br />
sich Neu- und Wissbegier anders helfen: Ende 2012<br />
kam ein prächtiger Bildband heraus, der Vieles viel<br />
besser präsentiert, als wenn man im Rudel an <strong>den</strong><br />
Vitrinen vorübereilt. Und die Erklärungen zu <strong>den</strong><br />
Exponaten kann man nun in Ruhe nachlesen.<br />
Rüdiger Schultka, mehrere Jahre Direktor des<br />
Instituts sowie langjähriger Prosektor und Leiter des<br />
makroskopisch-anatomischen Arbeitsbereichs, hat<br />
aus seinem Lebenswerk ein Buch gemacht. Seine<br />
Texte – ernsthaft und amüsant, oft mit hübschen<br />
Anekdoten garniert – lassen <strong>den</strong> Leser Entstehen<br />
und Wer<strong>den</strong>, Vergangenheit und Gegenwart dieses<br />
einzigartigen Fundus der Medizingeschichte nach-<br />
Anhang enthaltenen Kurzbiografien erfrischend lebendig.<br />
Im Anhang ebenfalls enthalten sind Quellen<br />
und Literatur, Anmerkungen des Autors, Personen-<br />
und Sachregister. In <strong>den</strong> vier Teilen des Buches legt<br />
Saage Bedingungen und Strukturen sozialdemokratischer<br />
Darwin-Rezeption dar und beschäftigt sich<br />
mit der sozialdemokratischen Auseinandersetzung<br />
mit dem antisozialistischen Darwinismus. Er analysiert<br />
die Kontroverse innerhalb der Sozialdemokratie<br />
zwischen Linksdarwinisten und marxistischem<br />
Zentrum und geht <strong>auf</strong> anthropologische Aspekte<br />
im Selbstverständnis der SDP und SDAP bis 1933/34<br />
ein. Petra Hoffmann<br />
Richard Saage: Zwischen Darwin und Marx. Zur<br />
Rezeption der Evolutionstheorie in der deutschen<br />
und der österreichischen Sozialdemokratie vor<br />
/. Böhlau Verlag , Seiten, Euro<br />
und miterleben; die wunderbaren Fotos von Janos<br />
Stekovics visualisieren dieses Wissen und zeigen<br />
die „Naturschönheit so mancher anatomischen<br />
Mikrostruktur“.<br />
Drei Mediziner namens Meckel legten <strong>den</strong> Grundstock<br />
für die ursprünglich privaten Sammlungen<br />
(seit 1836 im Besitz der halleschen Universität). Ihr<br />
unschätzbarer Wert für die Wissenschaft wurde<br />
früh erkannt. Bereits in „Rundes Chronik der Stadt<br />
Halle 1750 bis 1835“ erscheinen sie als das „vorzüglichste<br />
Cabinett in unserer Stadt“. Margarete Wein<br />
Rüdiger Schultka: Das vorzüglichste Cabinett. Die<br />
Meckelschen Sammlungen zu Halle (Saale), <br />
Seiten, farbige Abbildungen, Euro, Verlag<br />
Janos Stekovics <br />
Lese-Empfehlungen querbeet<br />
Zur ausführlichen Rezension:<br />
WEBCODE MAG 15180<br />
Zur ausführlichen Rezension:<br />
WEBCODE MAG 15181<br />
31
32 forschen und publizieren scientia halensis 3/2013<br />
Die universelle Gen-Schere<br />
Es ist ein Krieg ums Überleben. Pflanzen gegen Bakterien. Dein Lebensraum, mein Lebensraum. Und mittendrin:<br />
Dr. Jens Boch von der Abteilung Pflanzengenetik. Er fand 2009 heraus, wie bestimmte Bakterien<br />
Pflanzenzellen genetisch manipulieren können. Diesen Trick machten sich Wissenschaftler weltweit zunutze.<br />
Sie entwickelten eine neuartige Gen-Schere, mit der man auch Erbkrankheiten in menschlichen Zellen <strong>auf</strong> die<br />
Schliche kommen kann.<br />
Dr. Jens Boch machte<br />
2009 eine Entdeckung,<br />
die Forscher in der ganzen<br />
Welt <strong>auf</strong>horchen ließ.<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
Der kleinste gemeinsame Nenner von Bakterien,<br />
Pflanzen und Menschen sind Zellen. Sie enthalten<br />
das Erbgut. „Die DNA kann <strong>auf</strong> verschie<strong>den</strong>e Arten<br />
genutzt wer<strong>den</strong>, zum Beispiel durch das An- und<br />
Abschalten der Gene. Das wird vom bakteriellen<br />
Krankheitserreger Xanthomonas getan, um die<br />
Funktionen in Pflanzenzellen zu verändern“, erklärt<br />
Dr. Jens Boch. Den Trick des Erregers entschlüsselte<br />
er 2009 gemeinsam mit seinem damaligen Kollegen<br />
Dr. Sebastian Schornack.<br />
„Es ist ein ganz simples Prinzip: Die Bakterien besitzen<br />
Proteine, deren Bausteine in einer bestimmten<br />
Reihenfolge angeordnet sind. Diese Proteine namens<br />
TAL-Effektoren wer<strong>den</strong> von <strong>den</strong> Bakterien in<br />
<strong>den</strong> Kern der Pflanzenzelle geschleust. Dort docken<br />
sie an die passende Stelle in der DNA an. Verändert<br />
man <strong>den</strong> Aufbau der TAL-Effektoren, verändert sich<br />
auch die Andockstelle“, erläutert der Pflanzengenetiker.<br />
Die Folgen sind ganz unterschiedlich: „In<br />
unserem Fall entziehen die Bakterien <strong>den</strong> Pflanzenzellen<br />
Zucker und ernähren sich davon.“<br />
Eine Entdeckung, die es <strong>auf</strong> das Titelbild des renomierten<br />
„Science Magazine“ schaffte und Forscher<br />
in der ganze Welt <strong>auf</strong>horchen ließ. Denn die TAL-<br />
Effektoren können noch mehr. „Verbindet man sie<br />
mit einem bestimmten Enzym, entsteht eine Gen-<br />
Schere. Eigentlich nichts Neues, aber diese Gen-<br />
Schere schneidet nur noch an einer Stelle und nicht<br />
mehrfach in der DNA.“ Auswirkungen eines dadurch<br />
manipulierten Gens können genauer untersucht und<br />
neue Informationen gezielter ins Erbgut eingebracht<br />
wer<strong>den</strong>. Zudem ist die Gen-Schere kostengünstiger<br />
als andere. „Auch kleine Labore arbeiten jetzt damit.<br />
Schon Stu<strong>den</strong>ten können sie im Labor bauen.<br />
Das ist eine Revolution“, so Boch.<br />
Eine Revolution mit viel Potenzial. Denn die Gen-<br />
Schere ist universell einsetzbar und kommt auch<br />
in humanen Zellen zur Anwendung. „Man kann<br />
Veränderungen im menschlichen Erbgut <strong>auf</strong>spüren,<br />
ausschnei<strong>den</strong> und durch ein neues Gen ersetzen.<br />
Das hilft bei der Behandlung von Erbkrankheiten,<br />
funktioniert jedoch bislang nur in einzelnen Zellen.“<br />
Inzwischen arbeiten immer mehr Wissenschaftler<br />
mit <strong>den</strong> TAL-Effektoren. Sie verbessern die Funktionsweise<br />
und experimentieren mit anderen ergänzen<strong>den</strong><br />
Enzymen.
Für seine bahnbrechen<strong>den</strong> Arbeiten zu <strong>den</strong> Mechanismen<br />
bakterieller Proteine ist Jens Boch in diesem<br />
Jahr mit dem Forschungspreis der Vereinigung für<br />
Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie ausgezeichnet<br />
wor<strong>den</strong>. „Dass das so einschlagen würde,<br />
vor allem im Bereich der Biotechnologie, war uns am<br />
Anfang gar nicht klar.“<br />
Und <strong>den</strong>noch: Grüne Gentechnik ist für viele Menschen<br />
ein Verfahren, dem sie skeptisch gegenüber<br />
stehen. Boch kennt die Argumente der Kritiker und<br />
meint dazu: „Genmanipulation ist ein Naturphänomen<br />
und findet ständig statt. Hat man sich einmal<br />
mit <strong>den</strong> Prinzipien von Genetik und Evolution beschäftigt,<br />
dann versteht man, dass das was man<br />
heute in der Natur sieht kein festgelegter Status<br />
ist. Natur verändert sich stetig – dasselbe machen<br />
scientia halensis 3/2013 forschen und publizieren<br />
wir, nur eben schneller und gezielter“, meint der<br />
Grundlagenforscher. Er will vor allem über die Möglichkeiten<br />
seiner Arbeit informieren, vertritt aber<br />
auch eine starke Meinung zu dem, was er tut: „Aber<br />
ich bin auch ein Öko – so wie die Wissenschaftler,<br />
die die erste Gentomate züchteten. Sie wollten einfach<br />
nicht mehr so viele Pestizide in ihrem Essen.“<br />
Sarah Huke<br />
Kontakt: Dr. Jens Boch<br />
Allgemeine Genetik<br />
Telefon: 0345 55 26292<br />
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33
34 forschen und publizieren scientia halensis 3/2013<br />
<strong>Tatort</strong> <strong>Wahlkreis</strong>:<br />
<strong>Abgeordneten</strong> <strong>auf</strong> <strong>den</strong> <strong>Fersen</strong><br />
Was tun Bundestagspolitiker wenn sie fernab des Berliner Reichstagsgebäudes in ihren <strong>Wahlkreis</strong>en arbeiten?<br />
Wie nehmen die Bürger sie wahr und welche Ansprüche und Erwartungen haben diese an die Volksvertreter?<br />
Diesen Fragen widmen sich französische und deutsche Politikwissenschaftler im Zuge der CITREP-Studie<br />
(„Citizens and Representatives in France and Germany“). Dafür begleiteten Forscher der MLU 64 deutsche<br />
Abgeordnete in ihre <strong>Wahlkreis</strong>e.<br />
Das Projekt im Internet:<br />
www.citrep.eu<br />
Zwischen Juli und August wird es so weit sein: Der<br />
Hallenser wird sie morgens in seinem Briefkasten<br />
fin<strong>den</strong>, die Benachrichtigung zur Bundestagswahl<br />
2013. Zurück <strong>auf</strong> dem Weg zum Frühstückstisch<br />
wird er sich vermutlich darüber Gedanken machen,<br />
welchem Kandidaten und welcher Partei er dieses<br />
Jahr sein Vertrauen ausspricht. Oder kommt es erst<br />
gar nicht so weit? Zuletzt, zur Bundestagswahl 2009,<br />
lag die Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt bei rund<br />
61 Prozent – das schlechteste Ergebnis unter allen<br />
Bundesländern. „Politikverdrossenheit“ heißt das<br />
griffige Schlagwort, unter dem vielfältige Formen<br />
des Vertrauensverlusts in die Demokratie subsumiert<br />
wer<strong>den</strong>. Doch welche Erwartungen haben die<br />
Wähler eigentlich an ihre <strong>Wahlkreis</strong>abgeordneten?<br />
Kennen sich Abgeordnete und Wähler überhaupt?<br />
Und mit welchem Selbstverständnis arbeiten die<br />
Politiker?<br />
Ausgerechnet die Arbeit der <strong>Abgeordneten</strong> im<br />
<strong>Wahlkreis</strong> hat die Parlamentsforschung, eine Teildisziplin<br />
der Politikwissenschaft, bislang recht stiefmütterlich<br />
behandelt. „Die Parlamentsforschung<br />
hat sich ausgiebig mit der Arbeit der <strong>Abgeordneten</strong><br />
im Parlament, beispielsweise bei der Ausübung der<br />
Gesetzgebungs- oder Kontrolltätigkeit, beschäftigt.<br />
Die Perspektive <strong>auf</strong> die Arbeit im <strong>Wahlkreis</strong> wurde<br />
jedoch in Deutschland weitgehend vernachlässigt“,<br />
erläutert der Politikwissenschaftler Dr. Sven T. Siefken<br />
von der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-Universität. Dabei verbringen<br />
die <strong>Abgeordneten</strong> rund 40 Prozent ihrer Zeit<br />
mit der direkten Arbeit in ihrem <strong>Wahlkreis</strong>.<br />
Grund genug also für die Forscherteams aus Frankreich<br />
und Deutschland die Beziehungen, Arbeitsstrukturen<br />
und Anforderungen der Volksvertreter<br />
mit Blick <strong>auf</strong> Wähler und <strong>Wahlkreis</strong>e genauer zu<br />
untersuchen. Vor drei Jahren startete das Projekt<br />
unter Leitung von Prof. Dr. Suzanne S. Schüttemeyer<br />
vom Institut für Politikwissenschaft der MLU, Prof.<br />
Dr. Oscar W. Gabriel von der Universität Stuttgart<br />
und Prof. Dr. Eric Kerrouche vom Institut „Sciences<br />
Po Bordeaux “.<br />
Für das Vorhaben begleiteten die Forscher Abgeordnete<br />
des Deutschen Bundestages und der<br />
französischen Nationalversammlung in ihre <strong>Wahlkreis</strong>e.<br />
Gleichzeitig fand eine repräsentative Bevölkerungsbefragung<br />
statt. Das Besondere an der<br />
vergleichen<strong>den</strong> Studie: Sie wurde als teilnehmende<br />
Beobachtung durchgeführt. Die Forscher konnten<br />
so einen unmittelbaren Eindruck von der Arbeitswirklichkeit<br />
der <strong>Abgeordneten</strong> erhalten, waren<br />
dabei nicht nur <strong>auf</strong> deren Selbstauskünfte in Interviews<br />
angewiesen, sondern konnten das reale<br />
Verhalten vor Ort <strong>auf</strong>nehmen.<br />
Für jeweils drei Tage reisten 22 deutsche Politologen<br />
mit 63 Mitgliedern des Deutschen Bundestages in<br />
deren <strong>Wahlkreis</strong>e. „Wir haben <strong>den</strong> <strong>Abgeordneten</strong><br />
gesagt: Macht, was ihr immer tut, wir wollen euch<br />
begleiten, über die Schulter schauen und das<br />
Ganze dokumentieren“, umschreibt Siefken grob<br />
die Vorgehensweise. Ausgewählt wur<strong>den</strong> die Repräsentanten<br />
nach vorher sorgfältig bestimmten<br />
Kriterien, um in der Untersuchung ein möglichst de-
ckungsgleiches Abbild des Bundestags zu erhalten.<br />
Zu <strong>den</strong> prominentesten Teilnehmern der Studie zählen<br />
Anette Schavan, Brigitte Zypries, Frank-Walter<br />
Steinmeier und Christian Ströbele. Die anfängliche<br />
Skepsis einiger Abgeordneter habe sich bald gelegt:<br />
„Es war eine besondere Stärke der Studie, dass wir<br />
es geschafft haben, innerhalb der drei Tage vor Ort<br />
eine relativ enge persönliche Beziehung <strong>auf</strong>bauen<br />
zu können, teilweise sogar ein echtes Vertrauensverhältnis“,<br />
so Siefken. Überraschend sei für ihn<br />
gewesen, das andere Gesicht des Politikers – das<br />
des Generalisten – zu erleben: „Wir haben gesehen,<br />
dass viele Abgeordnete sich als ‚Kümmerer’ in allen<br />
möglichen Fragen verstehen.“ Erstaunt habe die<br />
Forscher auch die Bandbreite der Fragen, mit <strong>den</strong>en<br />
die Wähler an die <strong>Abgeordneten</strong> herantreten:<br />
„Das reicht von Eheproblemen über <strong>den</strong> Vortrag<br />
von eigenen Gedichten bis zu kuriosen Anfragen, ob<br />
man nicht selbst einmal das Bundesverdienstkreuz<br />
erhalten könne“, berichtet Siefken.<br />
Doch was hat es nun mit der eingangs erwähnten<br />
„Politikverdrossenheit“ <strong>auf</strong> sich? Die Bevölkerungsbefragung<br />
hat gezeigt, dass sich circa die Hälfte der<br />
befragten Deutschen weder besonders schlecht<br />
noch gut repräsentiert fühlt. Fast jeder Dritte rech-<br />
scientia halensis 3/2013 forschen und publizieren<br />
net sich aber <strong>den</strong> Kategorien „schlecht repräsentiert“<br />
bis „gar nicht repräsentiert“ zu. Be<strong>den</strong>klich ist<br />
auch die Einstellung, Politiker vertreten zu allererst<br />
die Interessen ihrer Partei, und der <strong>Wahlkreis</strong> stehe<br />
hinten an.<br />
Welche Schlüsse die Politik und die Politikwissenschaftler<br />
aus der Studie ziehen, bleibt abzuwarten,<br />
bis die Analysephase abgeschlossen ist und die<br />
Ergebnisse zum Jahresende 2013 veröffentlicht<br />
wer<strong>den</strong> können. Was sich schon jetzt sagen lässt:<br />
„Je intensiver der Kontakt der Wähler mit ihrem <strong>Abgeordneten</strong><br />
ausfällt, desto größer gestaltet sich das<br />
Vertrauen in das demokratische System“, erläutert<br />
Siefken. Vielleicht kann dem eingangs erwähnten<br />
Hallenser der Besuch einer Bürgersprechstunde<br />
seines <strong>Wahlkreis</strong>abgeordneten also einen Teil seiner<br />
Skepsis nehmen. Christopher Pflug<br />
Kontakt: Dr. Sven T. Siefken<br />
Regierungslehre und Policy-Forschung<br />
Telefon: 0345 55 24216<br />
E-Mail: sven.siefken@politik.uni-halle.de<br />
Sie repräsentieren einen<br />
ganzen <strong>Wahlkreis</strong> – aber<br />
kennen sich Abgeordnete und<br />
Wähler überhaupt? Eine der<br />
Fragen, <strong>den</strong>en die Forscher<br />
im Projekt CITREP <strong>auf</strong><br />
<strong>den</strong> Grund gingen. (Foto: ©<br />
ojoimages4 / Fotolia)<br />
35
36 personalia scientia halensis 3/2013<br />
personalia<br />
Die Universität trägt<br />
Mit vollem Herzen dabei:<br />
die Universitäts-Grafikerin<br />
Hannelore Schlesinger (Foto:<br />
Michael Deutsch)<br />
ihre Handschrift<br />
Ohne Inspiration läuft nichts. Und Gestaltung wird oft von Gefühlen getrieben. Schon deshalb beginnt Hannelore<br />
Schlesinger nicht gleich vom Ergebnis ihrer Arbeiten zu erzählen, sondern vielmehr vom Weg dorthin. Egal<br />
ob Plakat, Computer-Grafik, kunstvolle Urkunde oder kalligraphische Beschriftung, etwa im Gol<strong>den</strong>en Buch der<br />
MLU: Hannelore Schlesinger hat die Optik der hiesigen Alma Mater seit 1986 mitbestimmt.<br />
Da braucht es kreative Ideen und Fingerspitzenfühl.<br />
Und deshalb verweist die Grafikerin am Friedemann-Bach-Platz<br />
zuerst auch <strong>auf</strong> das Plakat von<br />
Grete Minde. Der Druck liege ihr besonders am Herzen.<br />
2008 habe sie ihn für einen Vortrag des Rechtshistorikers<br />
Prof. Dr. Heiner Lück entworfen. „Grete<br />
Minde“, erklärt Hannelore Schlesinger, „wurde 1617<br />
beschuldigt, die Stadt Tangermünde angezündet zu<br />
haben. Auf dem Scheiterh<strong>auf</strong>en wurde sie bei lebendigem<br />
Leibe ,geschmöcht‘“, erzählt die 61-Jährige.<br />
„Das ist grausam“, schiebt sie nach und wird still.<br />
Warum sie das überhaupt erzähle? Nun, weil es wesentlich<br />
ist, wesentlich für ihre Arbeit. „Denn bevor<br />
man so ein Thema künstlerisch mit Farben, For-
men und Strukturen anfasst, muss man sich dar<strong>auf</strong><br />
einlassen, gefühlsmäßig und voll mit dem Herzen<br />
dabei sein. Sonst wird aus Kunst Murks“, sagt die<br />
Grafikerin, die ihr Skizzenbuch immer bei sich trägt.<br />
„Bereits als Kind liebte ich Kunst, wollte möglichst<br />
etwas mit Malen machen“, erinnert sich die Hallenserin.<br />
Ihr Onkel, der Kunstmaler Heinz Schuhmann,<br />
sei daran nicht ganz unschuldig. „Ich war von ihm<br />
fasziniert, sehe heute noch seine Farbtöpfe, die<br />
Farben und seinen bekleckerten Kittel“, schwärmt<br />
die Hallenserin, die in der Schulzeit immer „Einsen“<br />
im Fach Zeichnen nach Hause brachte.<br />
Später nahm sie Einzelunterricht beim Maler und<br />
Grafiker Fritz Drechsler und vervollkommnte ihre<br />
Maltechniken. Besonders Landschaften und Porträts<br />
hatten es ihr angetan, damals <strong>auf</strong> der Sportschule.<br />
Sportschule? Hannelore Schlesinger lächelt.<br />
„Das stimmt schon. Ich war Basketballerin beim SC<br />
Chemie Halle und sogar Mitglied in der DDR-Nationalmannschaft“,<br />
überrascht sie. Mit 1,72 Meter Körpergröße<br />
recht klein, aber trippelstark, war sie <strong>auf</strong><br />
dem Spiel-Parkett aktiv, bis mit 21 Jahren ihre erste<br />
Tochter zur Welt kam. Aus dem Leistungssport wurde<br />
ein Hobby, und sie blieb am Ball. „Ich spiel immer<br />
noch beim USV, bei <strong>den</strong> Senioren.“ Doch wie kommt<br />
man vom Trippeln zum Scribbeln? „Nach dem Abitur<br />
erlernte ich <strong>den</strong> Beruf des Goldschmieds.“ Doch mit<br />
der verordneten Serienproduktion von Schmuckstücken<br />
konnte sie sich künstlerisch nicht anfreun<strong>den</strong>.<br />
Sie schmiss hin und nahm an der Kunsthochschule<br />
„Burg Giebichenstein“ ein Studium in der Fachrichtung<br />
Emailkunst <strong>auf</strong>. Danach einige Zeit als Werkstattleiterin<br />
an der Burg tätig, blieb ihr auch hier<br />
die berufliche Erfüllung versagt. „Ich wollte mich<br />
umorientieren, habe sogar mit der Selbstständigkeit<br />
geliebäugelt.“<br />
Doch wo eine Tür zugeht, geht eine andere <strong>auf</strong>.<br />
„An der Universität in der Grafikabteilung wurde<br />
ein Schriftenmaler gesucht. Also bewarb ich mich<br />
1986 – mit Erfolg“. Schriftproben musste Hannelore<br />
Schlesinger nicht abgeben. Aber man braucht nicht<br />
zweifeln, sondern darf eher ein bisschen neidisch<br />
wer<strong>den</strong>. Denn sie ist die Frau mit der schönsten<br />
Handschrift an der Universität. Oder besser Handschriften.<br />
Sie beherrscht sowohl die englische<br />
Schreibschrift als auch die Antiqua. Doch die Zeiten<br />
haben sich geändert. Wur<strong>den</strong> zu DDR-Zeiten die<br />
Türschilder der Professoren noch in Hand- oder in<br />
Stempelschrift angefertigt, kommt seit 1995 der<br />
Computer zu Hilfe. So hört es sich fast nostalgisch<br />
an, wenn die Schönschreiberin vom Uni-Poststempel<br />
erzählt, der kurz nach der Wende entstand. Als<br />
Vorlage diente das handgezeichnete Löwengebäude.<br />
„Zunächst haben wir <strong>den</strong> Text ausgedruckt, dann<br />
die Zeichnung am Kopierer verkleinert und danach<br />
Text und Zeichnung als Collage zusammengesetzt.<br />
Das war die Vorlage für <strong>den</strong> Stempel, der bis heute<br />
im Gebrauch ist.“<br />
Dank des Computers sind die Möglichkeiten viel<br />
größer gewor<strong>den</strong>. Alles geht schneller und ein wichtiges<br />
Problem hat sich erledigt: Fehlerteufel und<br />
Tintenklecks. „Man kann heute alles ausmerzen.<br />
Früher war das Wunsch<strong>den</strong>ken. Wenn man sich verschrieb<br />
oder mit Tinte tropfte, hatte man oft keine<br />
zweite Chance“, sagt Schlesinger und verweist <strong>auf</strong><br />
das Gol<strong>den</strong>e Buch der Universität, das sie als eines<br />
der wenigen Bücher auch noch heute fürchten<br />
muss. „Hier wird alles per Hand geschrieben, und<br />
bei Fehlern kann man keine Seite rausreißen. Wenn<br />
das Buch bei mir liegt, bin ich jedes Mal ganz schön<br />
angespannt“, sagt sie. Klar gibt‘s Tage, wo man sich<br />
verschreibt, aber an wirkliche Pannen erinnere sie<br />
sich „Gott sei Dank“ nicht. Dafür aber an Arbeiten,<br />
die sie stolz machen. So darf sie jedes Jahr die<br />
<strong>Luther</strong>-Urkun<strong>den</strong> für jene Doktoran<strong>den</strong> anfertigen,<br />
die ihre Promotionsarbeit mit „Summa cum laude“<br />
abgeschlossen haben. Auch die Ehrendoktor-Urkunde<br />
für <strong>den</strong> ehemaligen Präsi<strong>den</strong>t der Europäischen<br />
Kommission, Romano Prodi, stammt aus ihren Hän<strong>den</strong>,<br />
wenn auch am Computer erstellt.<br />
Und <strong>den</strong>noch: eine Handschrift wirkt persönlicher.<br />
Für die private Post sind Stift oder Feder für die<br />
Kunstfreundin immer noch ein Muss. „Viele freuen<br />
sich ja auch, wenn sie handgeschriebene Briefe von<br />
mir bekommen“, sagt sie. Muss man <strong>den</strong> Beruf des<br />
Schönschreibers künftig nicht abschreiben?<br />
Schwierige Frage. Hannelore Schlesinger gehört der<br />
Generation an, die alles von der Pike <strong>auf</strong> gelernt hat.<br />
Das soll heißen: „Wenn der Computer ausfällt, bin<br />
ich immer noch in der Lage, ein Schild handschriftlich<br />
zu gestalten.“ Michael Deutsch<br />
Kontakt: Hannelore Schlesinger<br />
Regierungslehre und Policy-Forschung<br />
Telefon: 0345 55 21037<br />
E-Mail: hannelore.schlesinger@verwaltung.unihalle.de<br />
scientia halensis 3/2013 personalia<br />
37
38 personalia scientia halensis 3/2013<br />
Unzählige Varianten des Fragebogens, der durch die Antworten von Marcel Proust so berühmt gewor<strong>den</strong> ist,<br />
sind in <strong>den</strong> Medien (FAZ, Forschung & Lehre, UNICUM etc.) zu fin<strong>den</strong>. scientia halensis spielt ebenfalls mit.<br />
Diesmal ist unser Match-Partner Dr. Jürgen Krätzer, Germanist und Herausgeber der Zeitschrift für Literatur,<br />
Kunst und Kritik „die horen“.<br />
Der Germanist Dr. Jürgen<br />
Krätzer<br />
(Foto Michael Deutsch)<br />
Jürgen Krätzer<br />
1 | Warum leben Sie in Halle und nicht<br />
anderswo? Halle hat wunderbare Ecken, die Uni<br />
sowieso. Arbeit ist ein wichtiger Teil des Lebens,<br />
insofern lebe ich auch in Halle; meine Wohnung<br />
liegt allerdings außerhalb.<br />
2 | Wenn nicht Germanist, was wären Sie dann<br />
gewor<strong>den</strong>? Naturwissenschaftler.<br />
3 | Was war an Ihrer Studienzeit am besten?<br />
Freundschaften, die sich entwickelten, intellektuelle<br />
Anregungen – und die Zeit zum Selbststudium.<br />
4 | Welchen Rat fürs Überleben wür<strong>den</strong> Sie<br />
Stu<strong>den</strong>ten geben? Ein ebenso genussvolles wie<br />
effektives Verhältnis zwischen Stu<strong>den</strong>tsein und<br />
Studieren zu fin<strong>den</strong>.<br />
5 | Wenn Sie Rektor einer Universität wären,<br />
was wür<strong>den</strong> Sie als erstes tun? Flache Hierarchien,<br />
die Bürokratie <strong>auf</strong> ein Minimum reduzieren.<br />
6 | Was ist für Sie die erste Aufgabe der Wissenschaft?<br />
Nicht zum Selbstzweck zu gerinnen.<br />
7 | Was haben Intelligenz und Menschlichkeit<br />
miteinander zu tun? Das eine bedingt leider<br />
nicht zwangsläufig das andere.<br />
8 | Worüber ärgern Sie sich am meisten?<br />
Über Dinge, die einem unnötig Lebenszeit stehlen.<br />
9 | Was bringt Sie zum Lachen? Schlagfertigkeit<br />
und Situationskomik.<br />
10 | Was schätzen Sie an Ihren Freun<strong>den</strong>? Mit<br />
dieser Bezeichnung bin ich sehr geizig … So sein<br />
zu können, wie man ist. Zuverlässigkeit.<br />
11 | Wo sehen Sie Ihre Stärken? Solcherart Fragen<br />
nicht zu beantworten.<br />
12 | Was erwarten Sie von der Zukunft?<br />
Wie weit gefasst und wor<strong>auf</strong> bezogen?<br />
13 | Woran glauben Sie? An die Voraussetzung<br />
der Theodizee: Der Mensch ist ein Mängelwesen.<br />
14 | Welchen bedeuten<strong>den</strong> Menschen unserer<br />
Zeit hätten Sie gern als Gesprächspartner?<br />
Im Literaturbetrieb ergaben sich bereits verschie-
<strong>den</strong>e Möglichkeiten. Ein singuläres Desiderat<br />
verspüre ich da nicht.<br />
15 | Wer war oder ist (bisher) für Sie der wichtigste<br />
Mensch in Ihrem Leben? Das geht nur<br />
mich an.<br />
16 | Welchen Ort der Welt möchten Sie unbedingt<br />
kennen lernen? Nach dem Mauerfall<br />
habe ich die Sehnsuchtsorte im Wesentlichen<br />
abgearbeitet; allenfalls beim Tauchen Walen zu<br />
begegnen, ist noch eine Option.<br />
17 | Womit verbringen Sie Ihre Freizeit am<br />
liebsten? Wunderbarer Weise lassen sich Hobby<br />
und Beruf vereinbaren: die Literatur. In meiner<br />
Freizeit betreibe ich eine Literaturzeitschrift, „die<br />
horen“. Wenn dann noch Zeit bleibt und je nach<br />
Stimmung und Möglichkeit: Jazz- und Rockkonzerte,<br />
Reisen, Schwimmen oder Tauchen, Billard,<br />
Theater, Gespräche …<br />
18 | Was wären Ihre drei Bücher für die Insel?<br />
Da würde ich vermutlich doch meine bisherigen<br />
Lesegewohnheit über <strong>den</strong> H<strong>auf</strong>en werfen und<br />
zu nur einem Buch greifen: Zu einem E-Book mit<br />
einigen hundert Exemplaren.<br />
19 | Wenn Sie einen Wunsch frei hätten …?<br />
Dass Vernunft doch etwas bewirken könnte.<br />
20 | Ihr Motto? Keins zu haben – so etwas<br />
schränkt ein.<br />
scientia halensis 3/2013 personalia<br />
Aus der Vita<br />
Geboren 1959 in Leipzig<br />
Studium Lehramt Deutsch<br />
und Geschichte an der<br />
Universität Leipzig<br />
Promotion zu Franz<br />
Fühmanns Poetik<br />
2003 bis 2004:<br />
Gastprofessur am Deutschen<br />
Literaturinstitut,<br />
Universität Leipzig<br />
seit 2005:<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am Germanistischen<br />
Institut der MLU,<br />
Fachdidaktik Deutsch /<br />
Deutsch als Fremdsprache<br />
seit 2012:<br />
Herausgeber von „die<br />
horen. Zeitschrift für Literatur,<br />
Kunst und Kritik“<br />
39
40 personalia scientia halensis 3/2013<br />
Prof. Dr. Stefan Pfeiffer<br />
Alte Geschichte<br />
Telefon: 0345 55 24014<br />
E-Mail: stefan.pfeiffer@<br />
altertum.uni-halle.de<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
(Foto: Michael Deutsch)<br />
Stefan Pfeiffer <strong>auf</strong> <strong>den</strong> Spuren antiker Gesellschaften<br />
Neue herrschaftspolitische Verhältnisse, ideologische<br />
Zusammenhänge und die Bedeutung von<br />
Religion – all das erforscht Prof. Dr. Stefan Pfeiffer<br />
anhand antiker Gesellschaften, besonders in der<br />
Epoche des Hellenismus. Der 38-Jährige ist seit April<br />
2013 Professor für Alte Geschichte an der MLU.<br />
Mit seiner Arbeit will er die bisherige Tradition des<br />
Faches an der MLU erhalten, aber auch die inneruniversitäre<br />
und internationale Vernetzung weiter<br />
pflegen und ausbauen.<br />
Zuletzt hatte der Altertumswissenschaftler eine W2-<br />
Professur für Antike und Europa an der Technischen<br />
Universität Chemnitz inne. „Aber die bedeuten<strong>den</strong><br />
Gründungsväter der Alten Geschichte haben in Halle<br />
gelehrt. Jetzt kann ich in ihre Fußstapfen treten.<br />
Darüber hinaus erwartet mich eine ausgezeichnete<br />
Bibliothek und eine forschungsstarke historische<br />
Abteilung.“ In Trier studierte Pfeiffer bis 2001 Geschichte,<br />
Ägyptologie und Klassische Archäologie<br />
mit dem Abschluss Magister artium. Parallel dazu<br />
Manuela Bank-Zillmann neue Pressesprecherin der MLU<br />
Zum 1. Juni 2013 hat Manuela Bank-Zillmann die<br />
Leitung der Pressestelle der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-Universität<br />
und damit die Funktion der Pressesprecherin<br />
übernommen. Sie war zuletzt als Redakteurin und<br />
stellvertretende Leiterin der Abteilung Presse- und<br />
Öffentlichkeitsarbeit der Nationalen Akademie der<br />
Wissenschaften Leopoldina in Halle tätig.<br />
Die 37-Jährige hat an der MLU Germanistische Literaturwissenschaft<br />
und Anglistik-Amerikanistik<br />
studiert und absolvierte im Anschluss an ihren<br />
Magister-Abschluss ein zweijähriges Redaktionsvolontariat<br />
bei der Mitteldeutschen Zeitung (MZ).<br />
Mehrere Jahre arbeitete sie als freie Journalistin<br />
für verschie<strong>den</strong>e Medien. Vor allem berichtete sie<br />
als feste Mitarbeiterin regelmäßig für die MZ über<br />
Themen aus Bildung, Wissenschaft und Politik, davon<br />
zwei Jahre lang aus dem Landesbüro der Zeitung<br />
in Magdeburg.<br />
machte er 2002 sein Staatsexamen für die Sekundarstufe<br />
II in <strong>den</strong> Fächern Geschichte und Katholische<br />
Theologie. Promoviert wurde er 2004 mit<br />
einer Arbeit zum Thema „Das Dekret von Kanopos<br />
(238 v.Chr.)“. Drei Jahre später schloss er seine Habilitation<br />
über <strong>den</strong> römischen Kaiserkult ab. Für seine<br />
wissenschaftliche Leistung erhielt Pfeiffer 2008 <strong>den</strong><br />
Kalkhof-Rose-Gedächtnispreis der Mainzer Akademie<br />
der Wissenschaften und Literatur.<br />
Neben der Arbeit mit Quellen und Literatur, beschäftigt<br />
er sich auch in seinen freien Stun<strong>den</strong> mit<br />
Büchern: Besonders schöne, seltene oder historisch<br />
wertvolle sammelt er für seine Privatbibliothek. Der<br />
gebürtige Aachner ist verheiratet und tanzt gerne.<br />
An Halle schätzt er die freundlichen und hilfsbereiten<br />
Bewohner. „Und die schöne alte Bausubstanz,<br />
auch wenn sie häufig noch der Renovierung bedarf“,<br />
erklärt der Professor für Altertumswissenschaften.<br />
„Es ist toll, dass die Uni im Herzen der Stadt zu fin<strong>den</strong><br />
ist.“ Sarah Huke<br />
„Ich freue mich <strong>auf</strong> die Aufgabe, die Belange der<br />
Universität transparent zu kommunizieren und in<br />
der Zusammenarbeit mit <strong>den</strong> Medien einen Beitrag<br />
zum Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit<br />
zu leisten“, so Manuela Bank-Zillmann. Sie folgt<br />
<strong>auf</strong> Carsten Heckmann, der Ende 2012 als Pressesprecher<br />
an die Universität Leipzig wechselte. In der<br />
Zwischenzeit hatte Ute Olbertz kommissarisch diese<br />
Funktionen wahrgenommen. Corinna Bertz<br />
Kontakt: Manuela Bank-Zillmann<br />
Pressestelle<br />
Telefon: 0345 55 21004<br />
E-Mail: manuela.bank@rektorat.uni-halle.de
Erik Redling will Beziehungen in die USA stärken<br />
Um Popkultur, Musik, Kognitionstheorien und vieles<br />
mehr ergänzt Prof. Dr. Erik Redling sein Fachgebiet<br />
der amerikanischen Literatur und Kultur. Reizvoll<br />
sind für <strong>den</strong> gebürtigen Amerikaner die unterschiedlichen<br />
interdisziplinären Fragestellungen und<br />
Ansätze, wie zum Beispiel die Darstellung und Funktion<br />
afro-amerikanischer Dialekte und Musik in der<br />
nordamerikanischen Literatur. Zum April nahm er<br />
seine Professur für „Amerikanische Literatur“ am<br />
Institut für Anglistik und Amerikanistik der MLU<br />
<strong>auf</strong>. Dort hatte er bereits seit 2010 verschie<strong>den</strong>e<br />
Vertretungsprofessuren inne. Einen Zwischenstopp<br />
legte er 2011/12 im National Humanities Center in<br />
North Carolina ein.<br />
Vernetzung spielt für <strong>den</strong> Amerikanisten auch außerhalb<br />
seiner Forschungsarbeit eine große Rolle.<br />
Als neuer Leiter des Zentrums für USA-Studien<br />
möchte er die Beziehungen zwischen der MLU<br />
und <strong>den</strong> USA ausbauen. „Neue Austauschplätze<br />
mit amerikanischen Universitäten sollen etabliert<br />
Die Analyse von volkswirtschaftlichen Zusammenhängen<br />
von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung<br />
und hoher tagespolitischer Aktualität – das reizt<br />
Prof. Dr. Wolf-Heimo Grieben besonders an seinem<br />
Fachgebiet. Seit dem 1. April 2013 ist er Inhaber des<br />
W3-Lehrstuhls „Volkswirtschaftslehre, insbesondere<br />
Wachstum und Entwicklung“. Die Kompetenz,<br />
bei diesen Zusammenhängen mitzure<strong>den</strong>, will der<br />
42-Jährige auch <strong>den</strong> Studieren<strong>den</strong> mitgeben. Daneben<br />
möchte er sich für die erwünschte Internationalisierung<br />
der wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge<br />
einsetzen, „unter anderem durch verstärkten<br />
Einsatz der englischen Sprache im Unterricht und<br />
bei der Pflichtlektüre“. In seinem Forschungsbereich<br />
ist Grieben an einer stärkeren Kooperation des<br />
Fachbereichs mit dem IWH und mit Forschern aus<br />
<strong>den</strong> USA interessiert. Inhaltlich strebt er unter anderem<br />
die Verknüpfung von realen und monetären<br />
Ansätzen in der Makroökonomik an.<br />
und die transatlantische Kooperation im Bereich<br />
E-Learning verstärkt wer<strong>den</strong>“, erklärt Redling. Die<br />
Neustrukturierung des Zentrums sieht er als besonders<br />
reizvolle Aufgabe an. Neben seinem Master<br />
of Arts an der North Carolina State University<br />
im Fach Amerikanische Geschichte und Literatur<br />
machte der Deutsch-Amerikaner sein Staatsexamen<br />
für das Lehramt in Englisch, Sport und Geschichte<br />
an der Universität Augsburg. Dort wurde er 2003<br />
auch promoviert. Seine Habilitation folgte 2009<br />
mit einer Arbeit zu „Intermedial Translations in Jazz<br />
Poetry“. Dafür erhielt er <strong>den</strong> Habilitationspreis des<br />
Deutschen Anglistenverbands. Musik beschäftigt<br />
Redling auch außerhalb seines Forschungsschwerpunktes:<br />
Er ist nicht nur Spezialist für Jazz Musik, er<br />
spielt auch Tenorsaxophon. „Leider habe ich dafür<br />
nicht mehr so viel Zeit wie früher. Damals war ich<br />
auch noch häufiger klettern.“ An Halle schätzt der<br />
Amerikanistik-Professor die Kaffeehauskultur und<br />
<strong>den</strong> wunderschönen Altstadtcharme. Sarah Huke<br />
Wolf-Heimo Grieben will, dass Studierende mitre<strong>den</strong> können<br />
Der gebürtige Niedersachse hat Volkswirtschaftslehre<br />
von 1992 bis 1998 an der Universität des<br />
Saarlands studiert. 2002 wurde er an der Wissenschaftlichen<br />
Hochschule für Unternehmensführung<br />
(WHU) in Vallendar zum Thema „Trade and technology<br />
as competing explanations for rising inequality<br />
– an endogenous growth perspective“ promoviert.<br />
Zwischen 2005 und 2011 war der Vater von zwei Kindern<br />
im Alter von vier und sechs Jahren an der Universität<br />
Konstanz als Juniorprofessor tätig. Im Jahr<br />
2007 arbeitete er als Gastforscher an der Columbia<br />
University in New York. In Mannheim, Konstanz und<br />
Würzburg hatte er Vertretungsprofessuren inne.<br />
Privat sind ihm seine Familie, Fußball und Politik<br />
wichtig. Für ein erstes Fazit zu Halle sei es noch zu<br />
früh, so Grieben. „Aber die Hallenser, mit <strong>den</strong>en ich<br />
bisher zu tun hatte, machen durchweg einen sympathischen<br />
und offenen Eindruck.“ Maria Preußmann<br />
scientia halensis 3/2013 personalia<br />
Prof. Dr. Erik Karl Redling<br />
Amerikanistik / Literaturwissenschaft<br />
E-Mail: erik.redling@amerikanistik.uni-halle.de<br />
Telefon: 0345 55 23520<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
Prof. Dr. Wolf-Heimo<br />
Grieben<br />
Volkswirtschafslehre, insbes.<br />
Wachstum und Entwicklung<br />
E-Mail: wolf-heimo.grieben@wiwi.uni-halle.de<br />
Telefon: 0345 55 23331<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
41
42 zeitgeist scientia halensis 3/2013<br />
Der Zeitgeist, Jahrgang<br />
1760, tauchte zuerst bei<br />
Johann Gottfried Herder<br />
<strong>auf</strong>. Auch Johann Wolfgang<br />
von Goethe setzte<br />
ihm ein Denkmal, indem<br />
er Faust vom „Geist der<br />
Zeiten“ sprechen ließ.<br />
Inzwischen wirkt er -<br />
unübersetzt oder als „spirit<br />
of the times“ - längst auch<br />
in der englischsprachigen<br />
Welt.<br />
Es ist wieder soweit: Der Sommer ist da. Mal mehr,<br />
mal weniger. Wir träumen uns in <strong>den</strong> Urlaub. Fernab<br />
von staubigen Büchern, klackern<strong>den</strong> Tastaturen<br />
und unterkühlten Laboren. Über Berge wandern,<br />
Museen im Akkord erobern oder am Strand faulenzen.<br />
Hauptsache dem Alltag entfliehen. Gern auch<br />
zu zweit. Oder zu dritt. Man teilt Erlebtes ja gern.<br />
Doch treffen wir an diesem Punkt <strong>auf</strong> die Spezies<br />
der Unentschlossen, der Sich-alles-offen-Halter und<br />
Möglichkeitensezierer. Es könnte ja noch ein besseres<br />
Angebot kommen – mit interessanteren Leuten,<br />
an schöneren Orten.<br />
Es gibt doch so viele Möglichkeiten. Wie kann man<br />
sich da entschei<strong>den</strong>? Das Zelt in <strong>den</strong> Kofferraum<br />
werfen und los. Die Ostsee ruft. Nah, günstig und<br />
abenteuerlich. Je<strong>den</strong>falls der Stau <strong>auf</strong> der A9 und<br />
das wechselhafte Wetter. Ebenso günstig, aber<br />
weitaus wetterbeständiger: Mittelmeerinseln. Man<br />
müsste nur die anderen überzeugen, nicht in die<br />
Bettenburgen zu fahren. Dann doch lieber Individualurlaub<br />
in Kenia. Mit <strong>den</strong> Jeep durch die Steppe<br />
fahren, wilde Tiere beobachten, in einer Lodge<br />
übernachten und im Nebel des Moskitoschutzsprays<br />
ersticken. Trotz der schier endlosen Liste der<br />
Dr. Usus Zeitgeist<br />
die ohnmacht der möglichkeiten<br />
Zeichnung: Oliver Weiss<br />
Vor- und Nachteile, alles ist möglich. Kein Wunder<br />
also, wenn wir in <strong>den</strong> Unmengen der Möglichkeiten<br />
ertrinken, in eine Schockstarre verfallen oder davor<br />
davon l<strong>auf</strong>en. Je mehr Wege wir einschlagen<br />
können, desto unzufrie<strong>den</strong>er sind wir mit unserer<br />
Wahl. Wir wollen schließlich alles richtig machen<br />
und wissen nicht einmal was ‚richtig‘ eigentlich bedeutet.<br />
Den sichersten Weg gehen! Risiko mutiert<br />
zum Fremdwort, das wohl bald aus unserem Wortschatz<br />
gestrichen wird.<br />
Bleiben wir also am besten zu Hause. Balkonien soll<br />
auch ganz schön sein. Und weil wir nichts verpassen<br />
wollen, können wir uns Bildbände ausleihen,<br />
Dokumentationen schauen und die Welt bequem<br />
vom Campingstuhl kennenlernen. Sicher ist sicher.<br />
Hauptsache, wir müssen uns nicht entschei<strong>den</strong>.<br />
Wobei – Sollten wir uns unseren Privaturlaub mit<br />
Eis, Kuchen oder doch Schokolade versüßen? Diese<br />
Entscheidungen wollen einfach nicht <strong>auf</strong>hören.<br />
Und weil wir uns nicht entschei<strong>den</strong> können und<br />
nichts riskieren wollen, legen wir uns einfach nicht<br />
mehr fest, halten uns alles offen und nennen es Freiheit.<br />
Aber seit wann passen Freiheit und Sicherheit<br />
so perfekt zusammen?
scientia halensis 3/2013 anzeigen<br />
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44 forschen und publizieren scientia halensis 3/2013