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Robin Hobb

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den Ereignissen der vergangenen Nacht nichts anzumerken. Wieder und wieder kehrten meine Gedanken zu<br />

jenem Augenblick zurück, zu dieser Manifestation reinster Macht. Ich rang darum, ihn wiedererstehen zu<br />

lassen, und fast gelang es, aber wie Schmerz oder Lust, so verblaßte auch diese Erfahrung in der Rückschau.<br />

Ich wußte, ich hatte etwas Außergewöhnliches erfahren. Die Euphorie der Gabe, vor der alle, die lernen, von<br />

ihr Gebrauch zu machen, gewarnt werden, war nur ein kleiner Funke, verglichen mit dem lodernden<br />

Feuerbrand aus Wissen, Fühlen und Sein, an dem ich in der vergangenen Nacht teilgehabt hatte.<br />

Das Erlebnis hatte mich verändert. Der Zorn, den ich gegen Kettricken<br />

und Chade gehegt hatte, war erloschen. Das Gefühl war noch vorhanden,<br />

doch ich konnte es nicht zur alten Glut schüren. Ich hatte für einen kurzen<br />

Augenblick nicht nur meine Tochter gesehen, sondern die gesamte<br />

Situation aus allen möglichen Blickwinkeln betrachtet. Sie waren nicht<br />

grausam, nicht selbstsüchtig. Sie glaubten, das Richtige zu tun. Ich war<br />

anderer Ansicht, doch ich konnte nicht länger die staatsmännische Klugheit<br />

ihres Handelns leugnen. Ich fühlte mich innerlich wie tot. Sie würden<br />

Molly und mir das Kind wegnehmen. Wenn ich auch die Tat haßte, die<br />

Täter hassen konnte ich nicht.<br />

Kopfschüttelnd kehrte in die Gegenwart zurück. Ich betrachtete mein<br />

Abbild im Spiegel und fragte mich, wie Kettricken mich sehen würde.<br />

Immer noch als den Jüngling, der hinter Veritas hergelaufen war und ihr<br />

bei Hofe aufgewartet hatte? Oder würde sie einen Blick in mein von<br />

Gewalt gezeichnetes Gesicht werfen und denken, daß vor ihr ein Fremder<br />

stand, daß der Fitz, den sie gekannt hatte, verschwunden war? Nun, sie<br />

wußte inzwischen, auf welche Art ich zu meinen Narben gekommen war.<br />

Von Rechts wegen durfte sie keinen Anstoß daran nehmen, und ich würde<br />

ihr Gelegenheit geben, den Mann hinter diesen Malen zu beurteilen.<br />

Es kostete mich Überwindung, aber ich stellte mich mit dem Rücken<br />

zum Spiegel, um mir den jüngsten Beweis für Edels Mißfallen an meiner<br />

Person zu betrachten. Die frische Narbe erinnerte an einen in mein Fleisch<br />

eingesunkenen roten Seestern. Die neugebildete Haut in der Umgebung<br />

wirkte gedehnt und glänzte. Ich rollte die Schultern, streckte den<br />

Schwertarm aus und fühlte die Spannung im Bereich der heilenden Wunde,<br />

ein leichter Widerstand gegen die Bewegung. Nun, sinnlos, sich deswegen<br />

Gedanken zu machen. Ich zog mein Hemd an.<br />

Ins Haus des Narren zurückgekehrt, fand ich ihn zu meiner Überraschung<br />

angekleidet und bereit, mich zu begleiten. Auf meiner Pritsche lagen neue<br />

Kleidungsstücke für mich: ein weißes, pluderiges Hemd aus weicher,<br />

warmer Wolle und schwarze Hosen aus dickerem Stoff, dazu ein kurzer,<br />

dunkelgrauer Überrock. Er sagte mir, Chade hätte sie gebracht.<br />

»Du siehst gut aus«, bemerkte er, als ich mich umgezogen hatte. Er

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