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GRENZERFAHRUNG - Gut.Magazin - und Giroverband

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Text: Bernd Hauser | Fotos: Oliver Rheinhardt<br />

<strong>Gut</strong>. GEMISCHT 31<br />

Binici <strong>und</strong> sagte: „Ich werde immer für Sie beten.“ Der Satz freute den<br />

Polizisten: „Offenbar hatte ich etwas richtig gemacht.“<br />

Vor zwei Monaten wurde er zu einem Streit in ein türkisches Café<br />

gerufen. Ein Vater war dort mit zwei Verwandten aufgetaucht, er sagte,<br />

er suche seine 18-jährige Tochter, die mit ihrem Fre<strong>und</strong> durchgebrannt<br />

sei. Als Binici mit einem Kollegen ankam, stand die Situation<br />

kurz vor einer Schlägerei. Der Vater, „ein offenbar ländlich geprägter<br />

Mann“, so Binici, lieferte sich ein heftiges Wortgefecht mit einem<br />

Gast, in dem es um die Erziehung der Tochter ging. Drohungen wurden<br />

ausgestoßen, Fäuste gereckt. Binici bat auf Deutsch um Ruhe.<br />

Doch als sich die Gemüter immer weiter erhitzten, rief er auf Türkisch:<br />

„Yeter!“ – „Genug jetzt!“ Augenblicklich<br />

war es still im Café.<br />

Die Gäste waren verdutzt. Ein<br />

deutscher Polizist, der Türkisch<br />

spricht! Zu dem Vater sagte Binici:<br />

„Ihre Tochter ist 18. Es bringt<br />

nichts, wenn Sie versuchen, sie<br />

einzusperren. Und sicher wird<br />

sie sich bald bei Ihnen melden.“<br />

Auf Türkisch war diese Mahnung<br />

eines Polizisten für einen traditionell<br />

denkenden Türken leichter<br />

zu akzeptieren als auf Deutsch.<br />

Binici ist mit einer Deutschen<br />

verheiratet, der zweijährige Sohn<br />

heißt Elias Sinan, der erste ein<br />

biblischer Name, der zweite ein<br />

osmanischer. Getauft ist das<br />

Söhnchen nicht. „Wir geben ihm<br />

mit, was wir können“, sagt Binici.<br />

„Später soll er selbst entscheiden,<br />

ob <strong>und</strong> welche Religion er<br />

haben will.“ Das Paar Binici hat<br />

entschieden, dass es manchmal<br />

besser ist, keine Entscheidung zu<br />

treffen. Weil für Migranten häufi g<br />

ein „Sowohl-als-auch“ praktikabler<br />

ist als ein „Entweder-oder“.<br />

In dieser Nacht muss Binici<br />

mit Polizeimeisterin Anja Jung,<br />

27, noch zu vier weiteren Einsätzen.<br />

Seine türkische Herkunft<br />

spielt dabei keine Rolle. Zunächst<br />

meldet ein Anrufer einen<br />

Einbruch in einer Fabrik – der<br />

sich als falscher Alarm herausstellt:<br />

Die Taschenlampe, die der Anrufer sah, gehört einem Security-<br />

Mann. Danach meldet ein Anrufer einen Wildunfall. Als Binici <strong>und</strong><br />

Jung an der Unfallstelle ankommen, liegen zwei Wildschweine noch<br />

dampfend auf der Straße. Ab Mitternacht hält eine angebliche Selbstmörderin<br />

Binici <strong>und</strong> zwei weitere Streifen aus den angrenzenden<br />

Auf Tuchfühlung: Eine Passkontrolle am Bahnhof soll Straftaten vorbeugen.<br />

„Milieuspezifi scher Ort“ nennen Mustafa Binici <strong>und</strong> Kollegen Bahnhofsviertel<br />

<strong>und</strong> beziehen sich damit vor allem auf den Drogenhandel.<br />

Revieren gut zwei St<strong>und</strong>en auf Trab. Sie hat ihrem Fre<strong>und</strong> über<br />

Handy mitgeteilt, dass sie Tabletten genommen habe <strong>und</strong> auf einer<br />

Brücke stehe. Die Streifenwagen kontrollieren die Straßenbrücken<br />

in ihren Revieren, schließlich fi ndet eine Streife die Frau in der Nähe<br />

ihrer Wohnung <strong>und</strong> bringt sie in die Notfallpraxis. Dort untersucht<br />

die wachhabende Ärztin die Frau <strong>und</strong> kommt zu dem Ergebnis, dass<br />

sie keine Gefahr für sich selbst darstellt – sie wollte offenbar nur<br />

Aufmerksamkeit.<br />

Die Frau will zu Fuß nach Hause, aber Binici lässt sie nicht allein<br />

gehen. „Ich fahre Sie!“, insistiert er. Gegenüber allen Menschen, die<br />

er im Dienst trifft, tritt Binici ausgesucht höfl ich, aber auch sachlich,<br />

knapp <strong>und</strong> bestimmt auf. Er<br />

nimmt sich als Person zurück,<br />

um seine Rolle als Polizist auszufüllen.<br />

Sein türkischer Hintergr<strong>und</strong><br />

fällt den Menschen zumeist<br />

gar nicht auf, auch nicht<br />

dem türkischen Unfall opfer<br />

vor seinem kaputten Corsa zu<br />

Beginn des Nachtdienstes. Darauf<br />

angesprochen, sagte der<br />

Student: „Die Hauptsache ist,<br />

der Polizist behandelt mich wie<br />

einen Menschen <strong>und</strong> gerecht!“<br />

Binicis Kollegin Jung wirkt sogar<br />

fremder im schwäbischen<br />

Polizeirevier als er selbst. Wenn<br />

sie spricht, schwingt in ihrem<br />

Hochdeutsch sächsische M<strong>und</strong>art<br />

mit.<br />

Nachdem die beiden Polizisten<br />

die angebliche Selbstmörderin<br />

nach Hause gefahren<br />

haben, sitzt Binici die letzten<br />

beiden St<strong>und</strong>en seiner Schicht<br />

am Schreibtisch <strong>und</strong> dokumentiert<br />

die Fälle der Nacht. Als er<br />

um 5.30 Uhr nach Hause fährt,<br />

sind nur Zeitungsausträger unterwegs.<br />

In der „Süddeutschen<br />

Zeitung“ lesen die Abonnenten<br />

an diesem Morgen, dass etwa<br />

200 Moscheevereine fast überall<br />

in Deutschland von den Behörden<br />

ausgebremst werden. Muslime<br />

in Stuttgart-Zuffenhausen,<br />

zwanzig Autominuten entfernt,<br />

haben gerade ihre Pläne aufgegeben, an der Porschestraße ein Gebetshaus<br />

zu bauen. Der Bezirksrat votierte dafür, das Viertel von<br />

einem Mischgebiet in ein Wohngebiet umzuwandeln, so dass keine<br />

Sakralbauten mehr möglich sind: Nicht allen fällt das Vereinen verschiedener<br />

Kulturen so leicht wie Polizeikommissar Mustafa Binici.

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