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GRENZERFAHRUNG - Gut.Magazin - und Giroverband

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<strong>Gut</strong>. GEMISCHT 29<br />

MUSTAFA<br />

Die Polizei rekrutiert in allen B<strong>und</strong>esländern Nachwuchs ohne deutschen<br />

Pass. Der Kontakt zu ausländischen Mitbürgern, so das Argument, werde<br />

durch die mehrsprachigen Kollegen erleichtert. Für Polizeikommissar<br />

Mustafa Binici gehört der Grenzgang zwischen den Kulturen so sehr zum<br />

Alltag, dass er ihn gar nicht mehr bemerkt.<br />

Vielleicht spiegelten sich die Scheinwerfer auf der nassen Straße <strong>und</strong><br />

blendeten die junge Fahrerin. Jedenfalls übersah sie beim Linksabbiegen<br />

an einer Ampel den entgegenkommenden Corsa. Die beiden<br />

Autos knallten frontal aufeinander<br />

<strong>und</strong> drückten sich gegenseitig<br />

die Kühlerhauben ein.<br />

Totalschaden. Verletzte gibt es<br />

zum Glück keine. Dennoch steht<br />

der Corsa-Fahrer neben seinem<br />

Blechhaufen mit schlaffem Airbag<br />

überm Steuer <strong>und</strong> hat Angst.<br />

Er deutet hinüber zu der jungen<br />

Frau <strong>und</strong> ihren Mitfahrern:<br />

„Die haben schon die Passanten<br />

befragt, ob sie bezeugen könnten,<br />

dass die Ampel auf Rot war.“<br />

Sein Blick schweift unruhig umher.<br />

Natürlich sei die Ampel grün<br />

gewesen, sagt der Corsa-Fahrer,<br />

aber wird man ihm das glauben?<br />

„Ich bin Ausländer! Wer weiß, ob<br />

die nicht jemanden fi nden, der<br />

falsch aussagt!“ Er ist 22 Jahre<br />

alt, Student der Ingenieurwissenschaften,<br />

sein Vater kam als türkischer<br />

Einwanderer, er selbst ist<br />

hier geboren <strong>und</strong> aufgewachsen.<br />

„Wir sind gut integriert“, sagt er.<br />

Trotzdem fürchtet er, dass ihm<br />

Unrecht geschieht.<br />

Ein Zeuge wartet an der Straßenecke<br />

im Nieselregen <strong>und</strong> gibt<br />

dem Streifenpolizisten schließlich<br />

eine entlastende Aussage<br />

zu Protokoll: „Ich habe den Knall<br />

gehört <strong>und</strong> auf die Kreuzung<br />

geschaut: Die Ampel stand auf<br />

Grün!“ Der Streifenpolizist verzieht<br />

keine Miene.<br />

Polizeikommissar Mustafa Binici, Dienststelle Ludwigsburg, ist<br />

ein gut aussehender Mann mit adrett getrimmten Koteletten. Sein<br />

Hochdeutsch spricht er mit schwäbischem Tonfall. Baden-Württemberg<br />

war vor elf Jahren eines der ersten B<strong>und</strong>esländer, die junge Ausländer<br />

als Polizistenschüler rekrutierten. Mittlerweile tun das alle<br />

Der Unparteiische: Ein türkischstämmiger Student wurde in seinem Corsa auf<br />

einer Kreuzung angefahren. Mustafa Binici lässt bei seiner Zeugenvernehmung<br />

nicht erkennen, dass er die gleichen kulturellen Wurzeln hat wie das Unfallopfer.<br />

B<strong>und</strong>esländer. Die Initiative begründet Günter Loos, Pressesprecher<br />

im Innenministerium, so: „Polizisten können Konfl ikte leichter lösen,<br />

wenn sie die Muttersprache der Beteiligten sprechen <strong>und</strong> deren Kultur<br />

<strong>und</strong> Mentalität verstehen.“<br />

Außerdem täten sich Zeugen<br />

leichter mit ihren Aussagen. Speziell<br />

verdeckte Ermittlungen seien<br />

gar nicht anders möglich als<br />

durch Kollegen, die sich unauffällig<br />

in entsprechenden Milieus<br />

bewegen könnten.<br />

Die Suche nach geeigneten<br />

Kandidaten gestaltet sich allerdings<br />

schwierig. Die Polizei hat<br />

ohnehin Rekrutierungsprobleme,<br />

bei ausländischen Bewerbern<br />

noch mehr: Von tausend Beamten<br />

in sechs Revieren der Polizeidirektion<br />

Ludwigsburg sind<br />

neben Binici nur fünf weitere<br />

Beamte ausländischer Herkunft.<br />

Günter Loos erklärt das mit den<br />

hohen Eintrittshürden: „Bewerber<br />

müssen ihre Muttersprache<br />

beherrschen, über eine unbefristete<br />

Aufenthaltsgenehmigung<br />

verfügen <strong>und</strong> außerdem die üblichen<br />

Kriterien aller deutschen<br />

Bewerber erfüllen. Dazu gehören<br />

mindestens mittlere Reife <strong>und</strong><br />

die Note Drei in Deutsch.“ In Hessen<br />

<strong>und</strong> Hamburg hat die Polizei<br />

wegen der Nachwuchsprobleme<br />

sogar in türkischen Zeitungen<br />

Ausbildungsplätze annonciert.<br />

An der Unfallstelle indes gibt<br />

sich Binici nicht als türkischstämmig<br />

zu erkennen: „Alle können<br />

Deutsch. Türkisch braucht<br />

es hier nicht.“ Den Unfallgeschädigten belehrt er, dass er wegen<br />

fahrlässiger Körperverletzung Anzeige machen kann. Die Unfallverursacherin<br />

klärt er auf, dass sie das Recht hat, die Aussage zu<br />

verweigern. Davon macht sie Gebrauch. Als Binici sie nach ihrem Beruf<br />

fragt, wie laut Erhebungsbogen vorgeschrieben, sagt sie: „Ich bin

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