POLIZEIKOMMISSAR Blaue St<strong>und</strong>e: Mustafa Binici notiert noch an Ort <strong>und</strong> Stelle den Hergang eines Unfalls. Seine Nachtschicht beginnt um halb acht Uhr abends <strong>und</strong> endet erst um halb sechs Uhr morgens.
<strong>Gut</strong>. GEMISCHT 29 MUSTAFA Die Polizei rekrutiert in allen B<strong>und</strong>esländern Nachwuchs ohne deutschen Pass. Der Kontakt zu ausländischen Mitbürgern, so das Argument, werde durch die mehrsprachigen Kollegen erleichtert. Für Polizeikommissar Mustafa Binici gehört der Grenzgang zwischen den Kulturen so sehr zum Alltag, dass er ihn gar nicht mehr bemerkt. Vielleicht spiegelten sich die Scheinwerfer auf der nassen Straße <strong>und</strong> blendeten die junge Fahrerin. Jedenfalls übersah sie beim Linksabbiegen an einer Ampel den entgegenkommenden Corsa. Die beiden Autos knallten frontal aufeinander <strong>und</strong> drückten sich gegenseitig die Kühlerhauben ein. Totalschaden. Verletzte gibt es zum Glück keine. Dennoch steht der Corsa-Fahrer neben seinem Blechhaufen mit schlaffem Airbag überm Steuer <strong>und</strong> hat Angst. Er deutet hinüber zu der jungen Frau <strong>und</strong> ihren Mitfahrern: „Die haben schon die Passanten befragt, ob sie bezeugen könnten, dass die Ampel auf Rot war.“ Sein Blick schweift unruhig umher. Natürlich sei die Ampel grün gewesen, sagt der Corsa-Fahrer, aber wird man ihm das glauben? „Ich bin Ausländer! Wer weiß, ob die nicht jemanden fi nden, der falsch aussagt!“ Er ist 22 Jahre alt, Student der Ingenieurwissenschaften, sein Vater kam als türkischer Einwanderer, er selbst ist hier geboren <strong>und</strong> aufgewachsen. „Wir sind gut integriert“, sagt er. Trotzdem fürchtet er, dass ihm Unrecht geschieht. Ein Zeuge wartet an der Straßenecke im Nieselregen <strong>und</strong> gibt dem Streifenpolizisten schließlich eine entlastende Aussage zu Protokoll: „Ich habe den Knall gehört <strong>und</strong> auf die Kreuzung geschaut: Die Ampel stand auf Grün!“ Der Streifenpolizist verzieht keine Miene. Polizeikommissar Mustafa Binici, Dienststelle Ludwigsburg, ist ein gut aussehender Mann mit adrett getrimmten Koteletten. Sein Hochdeutsch spricht er mit schwäbischem Tonfall. Baden-Württemberg war vor elf Jahren eines der ersten B<strong>und</strong>esländer, die junge Ausländer als Polizistenschüler rekrutierten. Mittlerweile tun das alle Der Unparteiische: Ein türkischstämmiger Student wurde in seinem Corsa auf einer Kreuzung angefahren. Mustafa Binici lässt bei seiner Zeugenvernehmung nicht erkennen, dass er die gleichen kulturellen Wurzeln hat wie das Unfallopfer. B<strong>und</strong>esländer. Die Initiative begründet Günter Loos, Pressesprecher im Innenministerium, so: „Polizisten können Konfl ikte leichter lösen, wenn sie die Muttersprache der Beteiligten sprechen <strong>und</strong> deren Kultur <strong>und</strong> Mentalität verstehen.“ Außerdem täten sich Zeugen leichter mit ihren Aussagen. Speziell verdeckte Ermittlungen seien gar nicht anders möglich als durch Kollegen, die sich unauffällig in entsprechenden Milieus bewegen könnten. Die Suche nach geeigneten Kandidaten gestaltet sich allerdings schwierig. Die Polizei hat ohnehin Rekrutierungsprobleme, bei ausländischen Bewerbern noch mehr: Von tausend Beamten in sechs Revieren der Polizeidirektion Ludwigsburg sind neben Binici nur fünf weitere Beamte ausländischer Herkunft. Günter Loos erklärt das mit den hohen Eintrittshürden: „Bewerber müssen ihre Muttersprache beherrschen, über eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung verfügen <strong>und</strong> außerdem die üblichen Kriterien aller deutschen Bewerber erfüllen. Dazu gehören mindestens mittlere Reife <strong>und</strong> die Note Drei in Deutsch.“ In Hessen <strong>und</strong> Hamburg hat die Polizei wegen der Nachwuchsprobleme sogar in türkischen Zeitungen Ausbildungsplätze annonciert. An der Unfallstelle indes gibt sich Binici nicht als türkischstämmig zu erkennen: „Alle können Deutsch. Türkisch braucht es hier nicht.“ Den Unfallgeschädigten belehrt er, dass er wegen fahrlässiger Körperverletzung Anzeige machen kann. Die Unfallverursacherin klärt er auf, dass sie das Recht hat, die Aussage zu verweigern. Davon macht sie Gebrauch. Als Binici sie nach ihrem Beruf fragt, wie laut Erhebungsbogen vorgeschrieben, sagt sie: „Ich bin