GRENZERFAHRUNG - Gut.Magazin - und Giroverband
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Text: Eva Wolfangel | Fotos: Ulli Reinhardt<br />
<strong>Gut</strong>. GEMISCHT 27<br />
motivieren. Sie wusste, ein junger Kerl wie er brauchte Grenzen, gegen<br />
die er anrennen konnte. Sie bot ihm den Widerstand, sie war die Wand,<br />
bei den Hausaufgaben ebenso wie bei Filmen oder den Ausgehzeiten.<br />
Dagegenzuhalten kostete Kraft. Äußerlich blieb sie in solchen Machtkämpfen<br />
stets ruhig, aber innerlich war sie verzweifelt <strong>und</strong> voller Sorge.<br />
Manchmal wünschte sie sich eine Auszeit. Nur zwei, drei St<strong>und</strong>en die<br />
Verantwortung auf andere Schultern laden zu dürfen, um mal aufzutanken,<br />
das wäre w<strong>und</strong>erbar. Das war eine Illusion. „Du hast als alleinerziehende<br />
Mutter immer die volle Verantwortung, du kannst sie nie<br />
an andere abgeben, auch nicht an den Babysitter oder die Großeltern.“<br />
Als Alleinerziehende braucht man ein Netzwerk aus guten Fre<strong>und</strong>en.<br />
„Du bist oft auf die Hilfe anderer angewiesen“, sagt sie. Schon Termine<br />
wie ein Elternabend stellen Anna Berg vor eine Herausforderung. Aber<br />
auch Hilfe anzunehmen braucht Kraft. Manchmal hasst sie es, ständig<br />
bitten zu müssen, das Gefühl zu<br />
haben, die Gesellschaft zu belas-<br />
ten. Dann bittet sie lieber nicht.<br />
Alleinerziehende Mütter<br />
sind ja nicht nur Mütter, sondern<br />
auch Ernährer. „Adamslast“<br />
nennt Anna Berg diesen Teil der<br />
Verantwortung, in Anlehnung an die Bibelverse über die Vertreibung<br />
von Adam <strong>und</strong> Eva aus dem Paradies. Evas Bürde war es, fortan unter<br />
Schmerzen zu gebären, Adam sollte die Seinen im Schweiße seines Angesichts<br />
ernähren. Anna Berg ist Adam <strong>und</strong> Eva. „Man wird eine sehr<br />
starke Frau“, sagt sie, „<strong>und</strong> gezwungenermaßen autark.“ Anna Berg ist<br />
gut sortiert, sie weiß ihren Tag zu strukturieren. Sich zu entspannen, auf<br />
die Ges<strong>und</strong>heit zu achten, genug zu schlafen, „ist meine Pfl icht“, weiß<br />
sie. Aber woher die Zeit dafür nehmen? Ist der Haushalt gemacht, sind<br />
die Kinder im Bett, kann sie die Partituren für ihr Ensemble studieren,<br />
aber es warten immer noch Klassenarbeiten, die korrigiert werden müssen,<br />
oder eine Unterrichtsst<strong>und</strong>e, die vorzubereiten ist. Keine Zeit für<br />
ein Hobby oder Sport. Höchstens mal für einen Spaziergang. Oder ein<br />
paar Minuten Ruhe – beispielsweise beim Aufhängen der Wäsche in<br />
der Waschküche. Dennoch: Anna Berg will sich nicht beklagen. Sie hat<br />
„Wir sind Organisations talente<br />
geworden, besser als viele Manager.“<br />
Glück. Sie singt. „Der künstlerische Prozess des Musizierens ist meine<br />
Kraftquelle.“ Janina reißt die Tür zum Wohnzimmer auf. „Mama, komm<br />
schnell, Lara geht es ganz schlecht!“ Ihre elfjährige Schwester ist blass<br />
von der Schule gekommen, hat sich ins Bett gelegt <strong>und</strong> weint lauthals.<br />
Anna Berg nimmt sie in den Arm <strong>und</strong> hört geduldig zu, während das<br />
Mädchen über seine Bauchschmerzen klagt. Sie stellt einen Spuckeimer<br />
ans Bett, hält die Hand der Tochter <strong>und</strong> beginnt, über das Buch zu<br />
erzählen, das sie gerade gemeinsam lesen. Bis Laras Tränen getrocknet<br />
<strong>und</strong> die Bauchschmerzen verfl ogen sind. Bald kommen auch ihre<br />
Töchter in die Pubertät. Kinder bräuchten nicht nur ein Modell, sondern<br />
verschiedene Vorbilder, die im Alltag präsent sind, fi ndet sie. „Es tut<br />
den Kindern nicht gut, wenn sie sich nur mit einem Erwachsenen auseinandersetzen<br />
können.“ Heute geht Marik wieder zur Schule <strong>und</strong> will<br />
das Abitur machen. „Mir half das Wissen um seinen guten Kern“, sagt<br />
sie, aber auch der Zuspruch von<br />
Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Verwandten. Wie<br />
sie das hingekriegt hat? „Ich habe<br />
gelernt, wie wichtig es ist, eine<br />
Grenze zu ziehen <strong>und</strong> die stabil<br />
zu halten“, sagt sie. Das verlangt<br />
Durchhaltevermögen. Und Konsequenz<br />
– auch sich selbst gegenüber. Mit Marik war das hart. „Wenn<br />
man seinen Kindern eine Grenze zieht, stellt man sich als Erwachsener<br />
automatisch hinter diese Grenze. Sie dann auch zu halten, das kostet<br />
viel mehr Kraft als Nachgiebigkeit, weil der Abstand zum Kind in diesem<br />
Moment auch weh tut.“<br />
Das Bollwerk Mama hat gehalten. Die Klarheit hat sich gelohnt. „Das<br />
ist wirkliche Elternliebe“, weiß Anna Berg heute: „Konsequent zu sein<br />
<strong>und</strong> dafür auch mal Wut <strong>und</strong> Hass zu ertragen.“ Marik kann sich heute<br />
sogar entschuldigen. Es ist still geworden in der Wohnung. Die Mädchen<br />
schlafen, Marik ist bei Fre<strong>und</strong>en. Im Wohnzimmer brennt Licht. Die<br />
Mutter Anna hat Feierabend, die Sängerin Anna heute keinen Auftritt.<br />
Die Lehrerin Anna sitzt am Schreibtisch neben dem Klavier <strong>und</strong> bereitet<br />
eine Klassenarbeit vor. Die Socken bleiben heute liegen.