Musikantensprache / 28 Forschung sTRENg gEhEIM! Musikanten kommunizierten in einer Sprache, die dem Publikum nicht zugänglich war. Die herumziehenden Musikanten. Bildbeilage zur Wiener allgemeinen Theaterzeitung Wiener Scenen No. 30. Kolorierter Kupferstich von Andreas Geiger (nach Entwurf von Hofmann), 1839. Copyright: IMAGNO/Austrian Archives <strong>schaufenster</strong> / <strong>Kultur</strong>.<strong>Region</strong> / <strong>November</strong> <strong>2012</strong>
„Irlas quantn Fetzer stroman on!“ – „Die guten Musikanten kommen schon!“ Mit diesem erwartungsvollen Ausruf konnte ein Dorfkirtag in Schwung kommen. Musikanten bedienten sich einer Geheimsprache. Mussten sie doch coram publico schnell über finanzielle Belange entscheiden: „Irlas Pink a Hei?“ Hat der Mann, der einen Tanz bestellt hat, überhaupt Geld? Irlas steht für das einleitende bestimmte/unbestimmte Pronomen, Pink ist der Mann, Hei das Geld, was wir in der Redewendung „Geld wie Heu“ kennen. „Für nichtmusiker ungeeignet“ Ich bekam 1993 vom Landwirt und Klarinettisten Leopold Hackl (1921–1996) aus Michelbach im Bezirk St. Pölten eine über 60 Wörter umfassende in Maschinschrift angefertigte Liste, die er Jahre zuvor mit seinem Musikkollegen Leopold Lechner (1911–1995) aus der Nachbargemeinde Pyhra angefertigt hatte. Die Überschrift des Glossars lautet: „Sprache der Blasmusiker, übertragen von unseren Alten Vorgängern. Für Nichtmusiker ungeeignet. Streng geheim!!!“ Der Wortschatz deckt sich im Großen und Ganzen mit den nahezu 140 Wörtern und über 20 Satzbeispielen der aus mehreren Orten des Weinviertels bekannten Musikantensprache. In der Monarchie und in der Zwischenkriegszeit hatten die Weinviertler Kontakte zu böhmischen und mährischen Musikanten, deren Geheimsprachenvariante die „Fatzer- oder Fetzersprache“ war. Der Name leitet sich vom lateinischen Verb facere = machen ab und deutet an, dass die Musikanten die „Stimmungsmacher“ sind. Die Geheimsprache der Musikanten ist mit der Sprache der Fuhrleute und Fahrenden verwandt, die als Dialekt bzw. Soziolekt, eben der Sprache einer bestimmten Berufsgruppe, vor allem gesprochen und kaum geschrieben wurde. Der Wortschatz dieser Sondersprache geht auf das spätmittelalterliche Rotwelsch zurück, das neben dem Mittelhochdeutschen Elemente des Jiddischen, Slawischen, Romani (Sprache der Roma und Sinti) und anderer europäischer Sprachen enthält. Die Grammatik der Musikantensprache wurde der jeweils ortsüblichen Mundart entnommen. Das Wort „Rotwelsch“ ist mit „unverständliche Sprache der Bettler“ zu übersetzen, die auf den spätmittelalterlichen Straßen anzutreffen waren, wo sie mit anderen von der bürger- Musikantensprache / 29 lichen Gesellschaft ausgeschlossenen Menschen – Dirnen, Händlern und Hausierern, Handwerksburschen, Vagabunden, Schindern oder Landgerichtsdienern, herumziehenden Klerikern und natürlich auch Spielleuten – diese Geheimsprache entwickelten. Musikantensprachen sind im ganzen deutschen Sprachraum und darüber hinaus in Tschechien, Serbien, Bulgarien und Mazedonien nachgewiesen. Kuchlböhmisch, Donausprache Mobile Menschen, die über die Grenzen hinweg unterwegs waren und mit anderen mobilen Menschen handelten, arbeiteten oder Musik spielten, mussten sich verständigen können. Was heute Englisch ist und für die gebildeten Schichten das Französische war, war eine jeweils an die Situation angepasste Sprachmischung mit einem geringen Wortumfang und Satzbausteinen. Die böhmischen Köchinnen in Wien sprachen das sogenannte Kuchlböhmisch. Friedrich Torberg hat in „Die Erben der Tante Jolesch“ den wunderbaren Satz überliefert: „Hausmajstr vypucuje votruv ibacia na klandru.“ [Der Hausmeister putzt Vaters Überzieher am (Stiegen-)geländer.] Eine deutsch-böhmische Promenadenmischung, wobei die Wörter deutsch sind, Grammatik und Vorsilben aus dem Tschechischen gebildet werden. Die Donauschiffer bedienten sich der Versatzstücke aus den Sprachen der Donauländer – Deutsch, Ungarisch, slawische Sprachen und Rumänisch. Und Gregor von Rezzori schreibt in „Blumen im Schnee“ über seine Kindheit in der Bukowina und über seine Amme, die alle Sprachen die im Umlauf waren, vermischte. Rezzori spricht von einem Geheimidiom. „Der Hauptteil dieses Idioms war ein niemals richtig und zur Gänze erlerntes Deutsch, dessen Lücken ausgefüllt waren mit Wörtern und Redewendungen aus sämtlichen anderen Zungen, die in der Bukowina gesprochen wurden. So war jedes zweite oder dritte Wort ruthenisch, rumänisch, polnisch, russisch, armenisch oder jiddisch; auch ungarische und türkische habe ich gefunden.“ Jenische Der Musikantensprachwortschatz, der in Niederösterreich noch von alten Menschen verstanden wurde, hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit der Geheimsprache der Jenischen, die bis in die 1950er Jahre als Lumpensammler, Scherenschleifer, Regenschirmmacher, Korbflechter oder Textilhausierer durchs Land zogen. Neben ihrer europaweiten Verbreitung waren jenische Familien z. B. im kleinen Dorf Sitzenthal in Loosdorf bei Melk ansässig. Diese Menschen waren vom Frühling bis zum Spätherbst unterwegs, wurden von den Menschen des Mostviertels „Sitzenthaler“ genannt und wollten nicht mit den Roma verwechselt werden. Als Kind habe ich sie erlebt und höre heute noch den Satz: „Mia san kane Zigeiner, mia sand Sitznthola!“, was ihnen aufgrund der Hautfarbe auch den Namen „weiße Zigeuner“ eintrug. Jenische wurden im 18. Jahrhundert von den Grundherrschaften sesshaft gemacht. Das Sesshaftwerden setzte ihre Sprache dem Einfluss der örtlichen Dialekte aus. Pink und Musch In der Musikantensprache können wir mehrere Themenkreise ausfindig machen – neben der Musik, das Essen, Feste, Sex und Erotik. „A quante Monscharei“, ein gutes Essen, sollte für die Musikanten möglichst viel Busn oder Buslat, nämlich Fleisch enthalten (quant vom lat. Quantum = groß, gut, Monscharei vom frz. manger, eben essen. Buslat geht auf jidd. bossor = Fleisch zurück. Bei Festen konnte man die Musikanten hören, wie sie die Tanzenden kommentierten: „Irlas Oberpani niglt mit seiner Musch!“ (Der Bürgermeister tanzt mit seiner Frau). Wobei bei Oberpani das tschechische Wort pan = Herr und Musch auf das deutsche Wort Mutze für weibliche Scham zurück zu verfolgen ist. Auch der schon öfters zitierte Pink (Mann) geht auf die rotwelsche Wurzel für Penis zurück, wobei das Pinkeln als gebräuchlicher Ausdruck bekannt ist. Das Ende einer Geheimsprache ist meist mit einschneidenden politischen Ereignissen verbunden, für die niederösterreichische Musikantensprache war das der Zweite Weltkrieg, andere haben ihre Aktivität nach dem Ersten Weltkrieg oder schon früher eingebüßt. / Text: Mella Waldstein und Bernhard Gamsjäger. Zusammenfassung eines Vortrags von Bernhard Gamsjäger, den der Volksmusikforscher und pensionierte Lehrer bei der Sommerakademie <strong>2012</strong> des Österreichischen Volksliedwerkes in Weyregg am Attersee hielt.