30.10.2013 Aufrufe

schaufenster / Kultur.Region / November 2012

schaufenster / Kultur.Region / November 2012

schaufenster / Kultur.Region / November 2012

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

hatte. Im Allerseelen-Spendebrauch von<br />

Naturalien nahmen Kinder und arme Leute<br />

die Stelle der armen Seelen ein.<br />

geburt des Fegefeuers<br />

Das Fegefeuer als „Verdammnis auf Zeit“<br />

kommt weder in antiken Kulten noch in der<br />

Bibel vor. Jacques le Goff, einer der führenden<br />

Historiker Europas, setzt „die Geburt des<br />

Fegefeuers“ im 13. Jahrhundert an. Unter<br />

bestimmten Voraussetzungen konnte ein<br />

Ablassgebet den armen Seelen im Fegefeuer<br />

zugewendet werden. 1858 nannte ein Dekret<br />

Pius IX. als eine Bedingung für einen „vollkommenen<br />

Ablass“ das Gebet vor einem<br />

Kruzifix. Noch im 20. Jahrhundert findet<br />

man auf Sterbebildchen Stoßgebete wie<br />

„Süßes Herz Maria! Sei meine Rettung!“ mit<br />

dem Hinweis „300 Tage Ablass“ oder „Mein<br />

Jesus Barmherzigkeit“ (100 Tage Ablass).<br />

Ablass (lat. indulgentia) bezeichnet einen von<br />

der römisch-katholischen Kirche geregelten<br />

Gnadenakt, durch den zeitliche Sünden-<br />

strafen erlassen werden. Der Ablasshandel<br />

war ein Grund für Martin Luthers Kritik am<br />

Katholizismus, die zur Reformation führte.<br />

„Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele<br />

aus dem Feuer springt“, spotteten seine<br />

Anhänger.<br />

In der Barockzeit erhielt der Arme-Seelen-<br />

Kult neuen Auftrieb. Prediger wie der berühmte<br />

Abraham a Sancta Clara (1644–1709)<br />

hielten flammende Appelle. Es gab fromme<br />

Lieder, schaurige Darstellungen auf Bildern<br />

und in Kirchen, sogar eine Arme-Seelen-<br />

Rund um Allerheiligen / 15<br />

Schaurig dargestellt: der Arme-Seelen-Kult. Die Sage vom irischen Schmied Jack O'Lantern. Striezelpaschen im Weinviertel.<br />

Lotterie. Mit einer gezogenen Nummer<br />

wurde eine Anzahl von Gebeten einer bestimmten<br />

Gruppe von armen Seelen zugedacht.<br />

Leopold Schmidt berichtete von einem<br />

solchen „Glückshafen“ am Ende des 18. Jahrhunderts<br />

in Geras.<br />

Striezelbettler<br />

In Niederösterreich sind am Allerheiligen-<br />

und Allerseelentag Kinder als „Striezelbettler“<br />

unterwegs. In der Buckligen Welt bekommen<br />

sie von ihren Paten Striezel oder Weißbrotlaibchen.<br />

Bis in die Zwischenkriegszeit<br />

sagten sie beim Heischen Sprüche wie:<br />

„Gelobt sei Jesus Christus, tat bitten um an<br />

Heiligenstriezel“ oder „Glück und Segen für<br />

deine Kuchl, Glück und Segen für Haus und<br />

Stall und für deine Hühner und Kinder all’ “.<br />

Zum Dank hieß es: „Vergelt’s Gott Allerheiligen.“<br />

Im Schneeberggebiet erhielten die Kinder,<br />

die in Gruppen kamen, kleine Brote von<br />

den Bäuerinnen und wurden aufgefordert,<br />

als Gegenleistung für deren verstorbene<br />

Familienmitglieder zu beten. Bis in die 1870er<br />

Jahre verschenkten Bäcker in den Städten<br />

verschieden große Allerheiligenstriezel an<br />

ihre Kunden – je nachdem, wie viel diese im<br />

Laufe des Jahres gekauft hatten. Im Weinviertel<br />

ist das „Striezelpaschen“ Brauch. Man<br />

bestellt beim Bäcker einen besonders guten,<br />

großen Striezel. Er ist der Preis beim Würfeln,<br />

den der Spieler mit dem höchsten Wurf<br />

gewinnt.<br />

Von ganz anderer Art waren die Allerheiligenstriezel<br />

aus Stroh. Der niederöster-<br />

<strong>schaufenster</strong> / <strong>Kultur</strong>.<strong>Region</strong> / <strong>November</strong> <strong>2012</strong><br />

reichische Heimatforscher Johannes Mayerhofer<br />

(1859–1925) schrieb, dass man in der<br />

Nacht zum Allerheiligentag „missliebigen<br />

und geizigen Personen“ einen großen, aus<br />

Stroh geflochtenen Striezel vor das Haus stellte.<br />

Das „Rügezeichen“ wurde so platziert, dass<br />

es die Vorbeigehenden früher sahen als die<br />

Betroffenen, denen der Spott sicher war. Im<br />

ab 1888 erschienenen „Kronprinzenwerk“<br />

wird das Gleiche berichtet und erwähnt, dass<br />

Burschen maskiert und schreiend durch die<br />

Dörfer „heiligen“ gingen. Parallelen zu Halloween<br />

drängen sich auf: Auch das „Trick or<br />

Treat“ richtet sich am Allerheiligen-Vorabend<br />

gegen die Geizigen. Leopold Schmidt<br />

hingegen nannte die Strohzöpfe „Gunstbezeugungen<br />

der Burschen an die tanzreif<br />

gewordenen Mädchen“.<br />

Der Ethnologe Helmut Paul Fielhauer (1937<br />

bis 1987) beobachtete 1963 im Weinviertel<br />

verschiedene Geflechte aus Stroh: lange,<br />

über die Straße gespannte Zöpfe, mit Abfällen<br />

gespickte Geflechte und mit Blumen verzierte<br />

Striezel. Fielhauer deutete den strohernen<br />

Allerheiligenstriezel als burschenschaftlichen<br />

Rügebrauch, der vielfach zu einem Hänselbrauch<br />

abgeschwächt worden sei. Er hätte<br />

„vor allem den moralisch freizügigeren Mädchen<br />

oder älteren, unverheirateten Frauen“<br />

gegolten. Innerhalb mehrerer Generationen<br />

wäre aus dem Rüge- und Hohnzeichen eine<br />

Minnegabe geworden. /<br />

Text: Helga Maria Wolf<br />

Illustrationen: Magdalena Steiner

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!