schaufenster / Kultur.Region / November 2012
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hatte. Im Allerseelen-Spendebrauch von<br />
Naturalien nahmen Kinder und arme Leute<br />
die Stelle der armen Seelen ein.<br />
geburt des Fegefeuers<br />
Das Fegefeuer als „Verdammnis auf Zeit“<br />
kommt weder in antiken Kulten noch in der<br />
Bibel vor. Jacques le Goff, einer der führenden<br />
Historiker Europas, setzt „die Geburt des<br />
Fegefeuers“ im 13. Jahrhundert an. Unter<br />
bestimmten Voraussetzungen konnte ein<br />
Ablassgebet den armen Seelen im Fegefeuer<br />
zugewendet werden. 1858 nannte ein Dekret<br />
Pius IX. als eine Bedingung für einen „vollkommenen<br />
Ablass“ das Gebet vor einem<br />
Kruzifix. Noch im 20. Jahrhundert findet<br />
man auf Sterbebildchen Stoßgebete wie<br />
„Süßes Herz Maria! Sei meine Rettung!“ mit<br />
dem Hinweis „300 Tage Ablass“ oder „Mein<br />
Jesus Barmherzigkeit“ (100 Tage Ablass).<br />
Ablass (lat. indulgentia) bezeichnet einen von<br />
der römisch-katholischen Kirche geregelten<br />
Gnadenakt, durch den zeitliche Sünden-<br />
strafen erlassen werden. Der Ablasshandel<br />
war ein Grund für Martin Luthers Kritik am<br />
Katholizismus, die zur Reformation führte.<br />
„Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele<br />
aus dem Feuer springt“, spotteten seine<br />
Anhänger.<br />
In der Barockzeit erhielt der Arme-Seelen-<br />
Kult neuen Auftrieb. Prediger wie der berühmte<br />
Abraham a Sancta Clara (1644–1709)<br />
hielten flammende Appelle. Es gab fromme<br />
Lieder, schaurige Darstellungen auf Bildern<br />
und in Kirchen, sogar eine Arme-Seelen-<br />
Rund um Allerheiligen / 15<br />
Schaurig dargestellt: der Arme-Seelen-Kult. Die Sage vom irischen Schmied Jack O'Lantern. Striezelpaschen im Weinviertel.<br />
Lotterie. Mit einer gezogenen Nummer<br />
wurde eine Anzahl von Gebeten einer bestimmten<br />
Gruppe von armen Seelen zugedacht.<br />
Leopold Schmidt berichtete von einem<br />
solchen „Glückshafen“ am Ende des 18. Jahrhunderts<br />
in Geras.<br />
Striezelbettler<br />
In Niederösterreich sind am Allerheiligen-<br />
und Allerseelentag Kinder als „Striezelbettler“<br />
unterwegs. In der Buckligen Welt bekommen<br />
sie von ihren Paten Striezel oder Weißbrotlaibchen.<br />
Bis in die Zwischenkriegszeit<br />
sagten sie beim Heischen Sprüche wie:<br />
„Gelobt sei Jesus Christus, tat bitten um an<br />
Heiligenstriezel“ oder „Glück und Segen für<br />
deine Kuchl, Glück und Segen für Haus und<br />
Stall und für deine Hühner und Kinder all’ “.<br />
Zum Dank hieß es: „Vergelt’s Gott Allerheiligen.“<br />
Im Schneeberggebiet erhielten die Kinder,<br />
die in Gruppen kamen, kleine Brote von<br />
den Bäuerinnen und wurden aufgefordert,<br />
als Gegenleistung für deren verstorbene<br />
Familienmitglieder zu beten. Bis in die 1870er<br />
Jahre verschenkten Bäcker in den Städten<br />
verschieden große Allerheiligenstriezel an<br />
ihre Kunden – je nachdem, wie viel diese im<br />
Laufe des Jahres gekauft hatten. Im Weinviertel<br />
ist das „Striezelpaschen“ Brauch. Man<br />
bestellt beim Bäcker einen besonders guten,<br />
großen Striezel. Er ist der Preis beim Würfeln,<br />
den der Spieler mit dem höchsten Wurf<br />
gewinnt.<br />
Von ganz anderer Art waren die Allerheiligenstriezel<br />
aus Stroh. Der niederöster-<br />
<strong>schaufenster</strong> / <strong>Kultur</strong>.<strong>Region</strong> / <strong>November</strong> <strong>2012</strong><br />
reichische Heimatforscher Johannes Mayerhofer<br />
(1859–1925) schrieb, dass man in der<br />
Nacht zum Allerheiligentag „missliebigen<br />
und geizigen Personen“ einen großen, aus<br />
Stroh geflochtenen Striezel vor das Haus stellte.<br />
Das „Rügezeichen“ wurde so platziert, dass<br />
es die Vorbeigehenden früher sahen als die<br />
Betroffenen, denen der Spott sicher war. Im<br />
ab 1888 erschienenen „Kronprinzenwerk“<br />
wird das Gleiche berichtet und erwähnt, dass<br />
Burschen maskiert und schreiend durch die<br />
Dörfer „heiligen“ gingen. Parallelen zu Halloween<br />
drängen sich auf: Auch das „Trick or<br />
Treat“ richtet sich am Allerheiligen-Vorabend<br />
gegen die Geizigen. Leopold Schmidt<br />
hingegen nannte die Strohzöpfe „Gunstbezeugungen<br />
der Burschen an die tanzreif<br />
gewordenen Mädchen“.<br />
Der Ethnologe Helmut Paul Fielhauer (1937<br />
bis 1987) beobachtete 1963 im Weinviertel<br />
verschiedene Geflechte aus Stroh: lange,<br />
über die Straße gespannte Zöpfe, mit Abfällen<br />
gespickte Geflechte und mit Blumen verzierte<br />
Striezel. Fielhauer deutete den strohernen<br />
Allerheiligenstriezel als burschenschaftlichen<br />
Rügebrauch, der vielfach zu einem Hänselbrauch<br />
abgeschwächt worden sei. Er hätte<br />
„vor allem den moralisch freizügigeren Mädchen<br />
oder älteren, unverheirateten Frauen“<br />
gegolten. Innerhalb mehrerer Generationen<br />
wäre aus dem Rüge- und Hohnzeichen eine<br />
Minnegabe geworden. /<br />
Text: Helga Maria Wolf<br />
Illustrationen: Magdalena Steiner