schaufenster / Kultur.Region / November 2012
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Taormina, Isola Bella. Foto: Angelo Giampiccolo.<br />
gegenwärtig habe, nun ist mir erst die Odyssee<br />
ein lebendiges Wort.<br />
Es ist nicht nur das Erbe der griechischen<br />
Kolonien, die die Reisenden begeistern, auch<br />
die Einflüsse der arabischen Welt und der<br />
Normannen gehen auf Sizilien eine Mesalliance<br />
ein, die bis heute in der Küche, in den<br />
Bauten und in der Musik zu finden ist.<br />
Palermo sehen und sterben<br />
Für Sizilianer sind wird falsch gepolt. Nordländer<br />
wollen immer das Meer sehen. So<br />
wurden die historischen Häuser aber nicht<br />
gebaut. Die Balkone der Palazzi wenden sich<br />
vom Meer ab. Roberto Alajmo porträtiert in<br />
„Palermo sehen und sterben“ seine Heimatstadt:<br />
Die Einwohner der Stadt pfeifen auf das<br />
Meer. In der Überzeugung, von den Göttern<br />
abzustammen, verzichten sie mit der gleichen<br />
Arroganz auf das Meer, mit der sich ein Reicher<br />
seine Zigarette an einem Geldschein<br />
anzündet.<br />
Der morbide Charme Palermos nährt sich<br />
von den – jetzt immer weniger – bröckelnden<br />
Fassaden des üppigen Barock, der Aura der<br />
Mafia und der Totenwelt des Kapuziner-<br />
klosters. In seinen Katakomben wurden die<br />
verstorbenen Brüder mumifiziert und viele<br />
Reiche Palermiter folgten dieser Totenverwahrung.<br />
Das beschreibt der österreichische<br />
Autor Josef Winkler in „Friedhof der bitteren<br />
Orangen“: Die Mauernischen, in denen die<br />
Toten lagen, waren von Glas geschützt, da sich<br />
die männlichen Besucher an den Frauen-<br />
leichen vergingen.<br />
Haus der <strong>Region</strong>en / 12<br />
Der Pate<br />
Die blutige Hauptstadt der Mafia war die im<br />
Westen gelegene unscheinbare Provinzstadt<br />
Corleone. Hier bekämpften sich zwei Clans,<br />
deren blutige Grausamkeiten aber letztendlich<br />
ein Umdenken in Gesellschaft, Politik<br />
und Justiz einleiteten. Für viele Schriftsteller,<br />
die sich dem Thema organsiertes Verbrechen<br />
angenommen haben, steht allen voran Mario<br />
Puzos Roman „Der Pate“. Es ist die Geschichte<br />
eines amerikanischen Mafiabosses, der den<br />
Namen seiner Heimatstadt trägt: Don Vito<br />
Corleone.<br />
Der Fürst<br />
Sizilien ohne Giuseppe Tomasi di Lampedusa<br />
ist nicht denkbar. Der Roman „Gattopardo“<br />
beschreibt das Feudalsystem des Adels und<br />
des Klerus und ist der Abgesang auf eine<br />
untergehende Gesellschaft. Die Biografie seiner<br />
Familie schrieb der Fürst Lampedusa im<br />
kleinen Caffe Mazzara in Palermo. So lange<br />
man noch sterben kann, ist noch Hoffnung.<br />
Das ist einer der berühmten Sätze über die<br />
sizilianische Lethargie.<br />
Die glühenden Sommer verbrachte der Palermiter<br />
Adel auf weitläufigen Landsitzen. So<br />
auch bei Lampedusa, dessen Schloss im<br />
Roman Donnafugata heißt, dessen Vorbild<br />
aber der Familiensitz in Santa Margherita di<br />
Belíce ist. Davon stehen nur mehr Ruinen.<br />
Ein Erdbeben zerstörte das Schloss 1968: Es<br />
umfasste etwa hundert große und kleine Zimmer.<br />
Es machte den Eindruck eines in sich<br />
geschlossenen, sich selbst genügenden Komplexes<br />
– sozusagen eine Art Vatikan; es enthielt<br />
<strong>schaufenster</strong> / <strong>Kultur</strong>.<strong>Region</strong> / <strong>November</strong> <strong>2012</strong><br />
Straße in Noto. Foto: Dalibor Kastratovic.<br />
Repräsentationsräume, Wohnräume, Quartiere<br />
für dreißig Gäste, Zimmer für Dienerschaft,<br />
drei riesige Höfe, Stallungen und Remisen, ein<br />
privates Theater und eine private Kirche, einen<br />
ausgedehnten wunderschönen Garten und ein<br />
großes Stück Gemüse- und Obstland.<br />
landschaft, die alles vereint<br />
Im Dezember 1801 brach ein Mann im sächsischen<br />
Grimma auf und ging neun Monate<br />
zu Fuß durch Europa mit dem Ziel Sizilien<br />
vor Augen. Das ist der „Spaziergang nach<br />
Syrakus“ von Johann Gottfried Seume. Dies<br />
ist also das Ziel meines Spaziergangs, und nun<br />
gehe ich mit einigen kleinen Umschweifen<br />
wieder nach Hause. So lapidar Seumes Resümee<br />
klingt, natürlich hatte er sich in der<br />
ostsizilianischen Hafenstadt das griechische<br />
Theater angesehen und ist Platons Spuren<br />
gefolgt, der in Syrakus einen Idealstaat errichten<br />
wollte, oder ist über die Tempelstufen<br />
gegangen, die vielleicht auch schon der große<br />
griechische Mathematiker Archimedes beschritt.<br />
Seume hatte viel Zeit zum Reisen. Das ist<br />
nicht allen gegönnt. Guy de Maupassant gibt<br />
einen Reisetipp für Eilige ab. Wenn jemand<br />
nur einen einzigen Tag Zeit hätte für Sizilien<br />
und mich fragte: „Was muss man unbedingt<br />
gesehen haben?“, würde ich ihm ohne zu<br />
zögern antworten: „Taormina“. Es ist eigentlich<br />
nur eine Landschaft, aber eben eine Landschaft,<br />
die alles vereint, was auf Erden nur<br />
geschaffen sein mag, um Auge, Geist und<br />
Phantasie zu verzaubern. /<br />
Zusammengestellt von Mella Waldstein