Karl May - Der Sohn des Bärenjägers - thule-italia.net
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»Indem Ihr schnell, aber möglichst leise und unbemerkt nach dem Zelte kommt, welches<br />
uns am nächsten liegt. Ich werde mich mit Win<strong>net</strong>ou zu demselben anschleichen. Im Falle<br />
Ihr da von uns gebraucht werdet, werde ich das erwähnte Zeichen abgeben.«<br />
»Könnt Ihr denn das Zirpen der Grille nachahmen?«<br />
»Natürlich! Es ist von sehr großem Vorteile, wenn Jäger die Stimmen gewisser Tiere<br />
einstudiert haben. Nur müssen es eben Tiere sein, deren Stimmen gerade zu der Zeit zu<br />
hören sind, in welcher man sich der Nachahmung bedienen will. Die Grille zirpt<br />
bekanntlich auch <strong>des</strong> Nachts, also wird es den Schoschonen gar nicht auffallen, wenn sie<br />
mein Zirpen hören.«<br />
»Wie aber bringt Ihr dasselbe fertig?«<br />
»Auf sehr einfache Weise, nämlich mit einem Grashalme. Man faltet die Hände in der<br />
Weise zusammen, daß die Daumen nebeneinander zu liegen kommen, und klemmt<br />
zwischen die letzteren einen Grashalm so ein, daß er straff angespannt ist. Zwischen den<br />
beiden unteren Gliedern der Daumen befindet sich eine schmale Lücke, in welcher der<br />
Grashalm fibrieren kann. Dadurch wird eine Art Zungeninstrument gebildet. Bläst man nun<br />
mit einem kurzen »Frrfrr-frr« auf den Halm, indem man den Mund fest an die Daumen<br />
legt, so entsteht ein Zirpen, welches dem der Grille außerordentlich ähnlich ist. Eine<br />
längere Uebung gehört freilich dazu.«<br />
//54// 174<br />
Da sagte Win<strong>net</strong>ou:<br />
»Mein weißer Bruder mag diese Dinge später erklären. Jetzt haben wir keine Zeit dazu.<br />
Wir wollen beginnen.«<br />
»Gut! Nehmen wir vielleicht unsere Zeichen mit?«<br />
»Ja! Die Schoschonen sollen erfahren, wer bei ihnen gewesen ist.«<br />
Viele Westmänner und auch hervorragende Indianer bedienen sich nämlich eines<br />
Zeichens, an welchem man erkennen kann, um wen es sich handelt. Mancher Indianer<br />
schneidet sein Zeichen in das Ohr, in die Wange, in die Stirn oder Hand <strong>des</strong> von ihm<br />
Getöteten. Wer dann später die Leiche findet und das Zeichen kennt, der weiß, wer den<br />
Toten besiegt und skalpiert hat.<br />
Win<strong>net</strong>ou und Old Shatterhand schnitten sich einige kurze Zweige von dem nächsten<br />
Strauche und steckten sie in ihre Gürtel; sie konnten mit denselben die Zeichen<br />
herstellen, welche einem jeden Roten als die ihrigen bekannt waren.<br />
Sodann brachen sie auf, indem sie sich lang auf die Erde legten und sich nun vorwärts<br />
bewegten, dem erwähnten Zelte entgegen, welches in einer Entfernung von ungefähr<br />
achtzig Schritten vor ihnen lag.<br />
Dieses Anschleichen ist keineswegs eine leichte Sache. Wenn keine bedeutende Gefahr<br />
vorhanden ist, und man nicht Ursache hat, keine Spur zurückzulassen, so kann man ja<br />
auf Händen und Knieen vorwärts kriechen. Das gibt freilich eine sehr erkennbare Fährte,<br />
besonders im Grase. Ist man aber gezwungen, diese zu vermeiden, so geschieht die<br />
Fortbewegung nur mittels der Fingerspitzen und Zehen. Da man dabei die Arme und<br />
Beine lang ausstrecken muß, damit der Körper ganz nahe an den Erdboden, den er aber<br />
ja nicht berühren darf, gehalten werde, so ruht die ganze Last <strong>des</strong>selben eben nur auf den<br />
Finger- und Zehenspitzen. Dies auch nur für eine kurze Zeit auszuhalten, dazu gehört<br />
eine ungewöhnliche Körperkraft, Gewandtheit und langjährige Uebung. Wie die<br />
Schwimmer von einem Schwimmkrampfe sprechen, so reden die Westmänner von einem<br />
Anschleichekrampfe, welcher gar nicht weniger gefährlich ist als der erstere.<br />
Er kann ja die Entdeckung und den sicheren Tod zur Folge haben.<br />
Während der Westmann sich auf diese Weise an den Feind schleicht, hat er das<br />
betreffende Terrain auf das genaueste zu berücksichtigen und darf keine Hand und keine<br />
Fußspitze eher auf den Boden setzen, als bis er die betreffende Stelle genau untersucht