Karl May - Der Sohn des Bärenjägers - thule-italia.net
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Schtrecke zwischen Pirna und Meißen, und grad so ziemlich zwischen diesen beiden<br />
Schtädten hab' ich mein erschtes Licht der Welt erblickt. Und nachhero schpäter hab' ich<br />
ganz in derselbigen Gegend meine Karriere angefangen. Ich war nämlich Forschtgehilfe<br />
in Moritzburg, was een sehr berühmtes königliches Jagdschloß ist mit eener famosten<br />
Bildergalerie und großen Karpfenteichen. Sie sehen also, daß ich een wirklich<br />
angeschtellter Beamter gewest bin mit zwanzig Thaler Monatsgage. Mein bester Freund<br />
war der dortige Schulmeister, mit dem ich alle Abende Sechsundsechzig geschpielt und<br />
nachhero von den Künsten und Wissenschaften geschprochen habe. Dort hab' ich mir<br />
eene ganz besondre allgemeine Bildung angeeig<strong>net</strong> und auch zum erschtenmale<br />
erfahren, wo Amerika liegt. In der deutschen Schprache waren wir einander sehr<br />
überlegen, und darum weiß ich ganz genau, daß in Sachsen ohne alle Umschtände der<br />
allerschönste Syntax geschprochen wird. Oder zweifeln Sie etwa daran? Sie machen mir<br />
so een verbohrtes Gesicht!«<br />
»Ich mag nicht darüber streiten, obgleich ich früher Gymnasiast gewesen bin.«<br />
»Wie? Ist's wahr? Auf dem Gymnasium haben Sie schtudiert?«<br />
»Ja, ich hab' auch mensa dekliniert.«<br />
<strong>Der</strong> Kleine warf ihm von der Seite einen pfiffigen Blick zu und sagte:<br />
»Mensa dekliniert? Da haben Sie sich wohl verschprochen?«<br />
»Nein.«<br />
»Na, dann ist's mit Ihrem Gymnasium ooch nicht sehr weit her. Es heißt nicht dekliniert,<br />
sondern deklamiert, und auch nicht Mensa, sondern Pensa. Sie haben Ihre Pensa<br />
deklamiert, vielleicht <strong>des</strong> Sängers Fluch von Hufeland oder den Freischütz von Frau Maria<br />
Leineweber. Aberst <strong>des</strong>halb keine Feindschaft nicht. Es hat eben jeder so viel gelernt, wie<br />
er kann, mehr nicht, und wenn ich eenen Deutschen sehe, so freue mich drüber, ooch<br />
wenn er nicht grad een gescheiter Kerl ist oder gar een Sachse. Also, wie schtehts? Wolln<br />
wir gute Freunde sein?«<br />
»Das versteht sich ganz von selbst!« lachte der Dicke. »Ich hab' immer gehört, daß die<br />
Sachsen die gemütlichsten Kerle sind.«<br />
»Das sind wir, ja! Da dran beißt keine Maus keinen Faden. Das ist angeborene<br />
Intelligenz.«<br />
»Warum aber haben Sie Ihre schöne Heimat verlassen?«<br />
»Eben wegen der Kunst und Wissenschaft.«<br />
»Wieso?«<br />
»Das kam ganz plötzlich und folgendermaßen: Wir schprachen von der Politik und<br />
Weltgeschichte, abends in der Restauration. Wir waren ihrer drei am Tische, nämlich ich,<br />
der Hausknecht und der Nachtwächter. <strong>Der</strong> Schulmeister saß am anderen Tische bei den<br />
Vornehmen. Weil ich aber schtets een sehr leutseliger Mensch gewest bin, hatte ich mich<br />
zu den Zween gesetzt, die ooch ganz glücklich waren über diese Art von loyaler<br />
Herablassung. Bei der Weltgeschichte nun kamen wir ooch auf den alten Papa Wrangel<br />
zu schprechen, und daß der sich das Zeitwort >merschtenteels< so angewöhnt gehabt<br />
hatte, daß er es bei jeder Gelegenheit um Vorscheine brachte. Bei dieser Gelegenheit nun<br />
fingen die beiden Kerls an, sich mit mir über die richtige orthographische Konterpunktion<br />
und Ausschprache dieses Wortes zu schtreiten. jeder hatte eene andre Ansicht von seiner<br />
Meinung. Ich sagte, es müsse geschprochen werden mehrschtenteels; der Hausknecht<br />
meinte aberst mehrschtenteils, und der Nachtwächter sagte gar meistenteels. Bei diesem<br />
Schtreite kam ich nach und nach in die Wolle, und endlich wurde es mir so wann, daß ich<br />
am allerliebsten mit allen Beinen dreingeschprungen wäre; aberst als gebildeter Beamter<br />
und Schtaatsbürger bewahrte ich mir die Kraft, meine Selbstüberwindung zu beherrschen,<br />
und wendete mich an meinen Freund, den Schulmeister. Natürlich hatte ich recht, aber er<br />
mochte schlechte Laune haben oder so een bischen Anflug von gelehrtem Uebermut,<br />
kurz und gut, er gab mir nicht recht und sagte, wir hätten alle Drei unrecht. Er behauptete,