Karl May - Der Sohn des Bärenjägers - thule-italia.net
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Aber er hatte sich geirrt. Auch dort gab es so viele offene dampfende und qualmende<br />
Stellen, daß er wiederholt gezwungen war, auszuweichen. Oft hatte er bereits den Fuß<br />
zum Sprunge erhoben, da bemerkte er, daß der scheinbar feste Boden eine zähflüssige,<br />
unergründlich tiefe Masse sei, deren Umarmung er nur dadurch entgehen konnte, daß er<br />
sich augenblicklich zur Seite warf. Bodenrisse öff<strong>net</strong>en sich so schnell vor ihm, daß er, da<br />
es zu spät war, anzuhalten, sich nur in weiten Sätzen, wie man sie nur in der To<strong>des</strong>angst<br />
zu machen wagt, über sie hinweg retten konnte.<br />
<strong>Der</strong> Häuptling war im Laufen und Springen noch von keinem überwunden worden, jetzt<br />
aber verspürte er die Folgen <strong>des</strong> Kolbenhiebes. Sein Kopf wurde schwer; vor den Augen<br />
brannte es glühend rot; die Lunge versagte ihm den Dienst, und die Beine begannen zu<br />
ermatten. Er wollte einen Augenblick ausruhen und bückte sich jetzt zum erstenmal um.<br />
Wie durch einen blutigen Nebel erkannte er, daß ein Verfolger sich ganz nahe hinter ihm<br />
befand; aber er sah nicht die Gesichtszüge <strong>des</strong>selben, sah nicht einmal, daß der<br />
Betreffende nur fast noch eine Knabe war.<br />
Entsetzt floh der »schwere Moccassin« weiter. Er hatte keine Waffe bei sich und hielt den<br />
Verfolger für bewaff<strong>net</strong>. Wohin sollte er vor demselben fliehen? Vor sich, hinter sich und<br />
zur linken Hand neben sich wußte er geöff<strong>net</strong>e Schlünde, die ihn zu verschlingen drohten.<br />
Zur Rechten hatte er die senkrecht aufsteigende Felsen-<br />
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wand. Seine Kräfte waren fast zu Ende. Er sah sich verloren.<br />
Da erblickte er eine stufenartige Hervorragung <strong>des</strong> Felsens, schräg über derselben eine<br />
zweite, dritte, vierte und noch mehrere. Das waren die Felsen, auf denen Old Shatterhand<br />
sich damals zu Pferde emporgerettet hatte. Hier und nur hier allein konnte auch er jetzt<br />
Rettung finden. Er strengte seine letzten Kräfte an und schnellte sich von Stufe zu Stufe<br />
höher.<br />
Ebenso plötzlich, wie die Schlammlöcher vorhin ihre Thätigkeit begonnen hatten, hörten<br />
sie jetzt auf. Die Luft wurde klar; man konnte wieder so deutlich sehen wie vorher.<br />
Da erklang ein lauter Angstschrei durch das Thal. <strong>Der</strong> Neger Bob war es, der ihn<br />
ausstieß.<br />
»Massa Martin! Mein gut Massa Martin! Häuptling ihn töten wollen, Masser Bob aber ihn<br />
retten.«<br />
Er deutete nach der bereits beschriebenen Felsenkanzel und stürzte dann eiligen Laufes<br />
auf dieselbe zu. Man sah die beiden Genannten auf Tod und Leben miteinander ringen.<br />
<strong>Der</strong> Sioux hatte Martin mit gewaltigen Armen gepackt und versuchte, ihn in die Tiefe zu<br />
schleudern. Aber er war ja ermattet und beinahe betäubt; es gelang dem gewandten,<br />
mutigen Knaben, sich ihm immer wieder zu entwinden. Bei einer solchen Gelegenheit<br />
wich Martin so weit wie möglich zurück, holte aus und rannte mit aller Macht auf den<br />
Häuptling ein. Dieser verlor das Gleichgewicht, griff konvulsivisch mit beiden Händen in<br />
die Luft, verlor den Boden unter den Füßen und stürzte, ein Angstgebrüll ausstoßend, von<br />
dem Felsen herab und in das unten gähnende Schlammloch hinein, <strong>des</strong>sen grauenvoller<br />
Rachen ihn sofort verschlang.<br />
Das hatten alle gesehen, die sich in dem Thalkessel befanden. Im vorderen Teile<br />
<strong>des</strong>selben erscholl lautes Jubelgeschrei, im Hintergrunde dagegen das Geheul der Sioux-<br />
Ogallalla, welche hatten zusehen müssen, daß ein Knabe ihren berühmten Häuptling<br />
überwand. Das war eine nie auszulöschende Schande für sie.<br />
All dieses Geschrei und Geheul aber wurde von Bobs Stimme durchdrungen. <strong>Der</strong> Neger<br />
schnellte von Stein zu Stein empor, unartikulierte Töne <strong>des</strong> Jubels und Entzückens<br />
ausstoßend, und riß dann, oben angekommen, den Sieger in seine Arme.<br />
»Braver Junge!« meinte Jemmy. »Mir hat das Herz gebebt um ihn. Ihnen nicht auch,<br />
Frank?«