29.10.2013 Aufrufe

glühwürmchen- dämmerung - Sissy

glühwürmchen- dämmerung - Sissy

glühwürmchen- dämmerung - Sissy

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Ausgabe sechzehn · Dezember 2012 bis Februar 2013 · kostenlos<br />

s Mindfuck: Kino der bösen Gedanken s Eine Scheibe Leben: Reusen-Flicken in Brandenburg s Schwedenurlaub: Schnell noch eine rauchen<br />

s Kardiologie: Mahler im Auto s A Capella: Das Weib bei der Psychoanalyse s Poolboy: Flaschenpost des Punk s Unwirkliche Eisschollen:<br />

Keine aufdringliche Romantik s Web-2.0-Mashup: Kult für bare Münze s Glühwürmchen: Pinkeln in den Fluss der Bilder s Schießübungen:<br />

Kino für ältere Herren s Kriegerin: Die Vielfalt aller Frauen s Leichte Mädchen: Aus dem Leben tanzen s Tiefparterre: Gräulichstes<br />

Bademäntelchen der Filmgeschichte s Tomatenbrot: Komm! Schreib! s Eine Kugel Fröhlichkeit: „Und dann bin ich weg“


Fashion, Bücher, DVDs und vieles mehr!<br />

Berlin<br />

Hamburg<br />

Köln<br />

München<br />

www.brunos.de<br />

titeL: eDition SALzGeBeR<br />

<strong>Sissy</strong> sechzehn<br />

Im Januar starten wieder die L-Filmnacht und die Gay-Filmnacht.<br />

Film events für das nicht-heterosexuelle Kino. Das klingt etwas großspurig,<br />

ist aber bitter nötig.<br />

Da momentan bis zu 16 Filme in der Woche starten, kann man<br />

sich vorstellen, wie viele Leinwände da frei bleiben für kleinere Filme,<br />

bei denen nur mit einem Nischenpublikum gerechnet wird. Wie viele<br />

Zeilen im Feuilleton der Tageszeitungen am Kinostarttag. Wie viele<br />

Sendeminuten in den wenigen TV-Kinomagazinen. Bei Filmen wie<br />

Keep The Lights On (bisher 12 Kinos) oder Dicke Mädchen (überraschende<br />

16 Kinos) kann man durchaus noch von Kinostarts sprechen.<br />

Angesichts der 7 Kinos für Leave It On The Floor oder den 3 Kinos für<br />

einen tollen Film wie Detlef sieht die Realität schon anders aus. Auf<br />

DVD ist das natürlich alles verfügbar, aber das<br />

Erlebnis eines gemeinschaftlichen Sehens und<br />

einer größeren anschließenden Diskussion fällt<br />

da aus.<br />

Wenn die L- und die Gay-Filmnächte im Januar<br />

wieder anlaufen, sind jeweils 20 Kinos dabei:<br />

Multiplexe, Programmkinos, kommunale<br />

Kinos. Lauter Fans des queeren Kinos oder<br />

auch einfach nur Menschen, die einen schönen<br />

Abend verbringen wollen, treffen sich einmal<br />

im Monat zur gleichen Zeit am gleichen Ort – in<br />

einem Kino in ihrer Nähe. Die lokalen Szenen<br />

sind involviert. Nicht selten werden Veranstaltungen<br />

moderiert, vielleicht kommt mal eine<br />

Filmemacherin vorbei oder ein Schauspieler,<br />

der sich gerade dort aufhält. Damit passiert<br />

eine Menge für das queere Kino hierzulande,<br />

für das sich zusätzlich die queeren Festivals Germain und Jeanne im Ozon-Kino („In ihrem Haus“, Seite 6)<br />

bemühen und einige Initiativen, die schon seit<br />

Längerem Filmreihen machen – wie homochrom in NRW, MonGay in<br />

Berlin und München, Rollenwechsel in Oldenburg, Queerblick in Leipzig,<br />

OGays in Offenburg, queer gefilmt in Trier, Verdammt anders in<br />

Darmstadt, um nur einige zu nennen. All diesen Initiativen ist es zu<br />

verdanken, dass das queere Filmangebot nicht nur mit respektabler<br />

Breitenwirkung stattfindet, sondern auch zu einem sozialen Erlebnis<br />

im Kino werden kann.<br />

Und nur so bleibt es sinnvoll, in der SISSY die Kinostarts größer zu<br />

besprechen. Über Filme zu diskutieren, die keiner sehen kann, macht<br />

nur halb so viel Spaß.<br />

Auf den kommenden Seiten erfahrt Ihr also alles über die nächsten<br />

L- und Gay-Filmnächte (mit Yossi, Küss mich, Westerland und Frauensee)<br />

und über den Rest des aktuellen queeren Filmangebots, das wunderbarerweise<br />

immer noch auch auf Leinwänden stattfindet.<br />

vorspann<br />

concoRDe FiLMVeRLeiH<br />

Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de<br />

3


mein dvd-regal<br />

Elfi Mikesch, Filmemacherin und Kamerafrau<br />

4 5<br />

elfi mikesch


kino<br />

Antikörperbildung<br />

von Paul Schulz<br />

François ozons wunderbarer neuer Film „in ihrem Haus“ bringt Paul Schulz dazu, sich an einen zwölf Jahre zurück liegenden<br />

Wutausbruch zu erinnern und sich vielleicht mit „dem Kino der bösen Gedanken“ zu versöhnen.<br />

s Wir beginnen mit der Betrachtung des<br />

Publikums, das gleichzeitig auch der Autor<br />

der erzählten Geschichte ist. Aufblende: Der<br />

dunkle Saal des Kino International in der<br />

Nähe des Berliner Alexanderplatzes. Das<br />

Jahr 2000. Es läuft der Abspann von François<br />

Ozons Tropfen auf heiße Steine, dem die Jury<br />

des Teddy, des wichtigsten schwullesbischen<br />

Filmpreises der Welt, zwei Tage vorher ihren<br />

Hauptpreis zuerkannt hatte. Die Leinwand<br />

leuchtet in die Gesichter eines milde amüsierten<br />

Publikums. Als die Lichter im Saal angehen,<br />

applaudieren viele Menschen beflissen.<br />

Aus dem Gemurmel des Publikums sind<br />

Sätze wie „Formal brillant“, „Anna Thomson<br />

just rules“, und „Schön bunt“ zu vernehmen.<br />

Eine einzelne Figur in der vorletzten Reihe<br />

des Saals, die eine dunkelblaue Seemannsjoppe<br />

trägt, steht auf und buht, laut und<br />

lange, während ein offensichtlich peinlich<br />

berührter Mann auf dem Platz links von ihr<br />

versucht, seinen Begleiter erst an einem und<br />

dann an beiden Ärmeln seiner Jacke wieder<br />

in eine sitzende Haltung zu befördern. Nach<br />

cirka 20 Sekunden, schleudert der Buher<br />

dem sich inzwischen erstaunt und belustigt<br />

umdrehenden Publikum: „Anderthalb Stunden<br />

Selbsthass mit Tanzeinlage. Was für ein<br />

Dreck!“, entgegen, lässt seinen inzwischen<br />

tiefroten Freund sitzen und drängt sich, die<br />

Tür knallend, aus dem Saal.<br />

Die Tür des International ist ganz schön<br />

groß und sehr schwer. Ich war sehr wütend.<br />

Und bleibe bei meinem Urteil über Ozons<br />

internationalen Durchbruch, auch wenn<br />

mich viele, viele Menschen in den letzten<br />

zwölf Jahren vom Gegenteil zu überzeugen<br />

versucht haben: Tropfen auf heiße Steine ist<br />

ein furchtbarer Film. Nicht weil er handwerklich<br />

schlecht wäre, das Gegenteil ist der<br />

Fall, sondern weil Ozon eine so offensichtliche<br />

und diebische Freude daran hat, wie<br />

elend die Figuren in dem Fassbinder-Drehbuch<br />

andere und sich selbst behandeln. Der<br />

ganze Film strahlt nicht nur optisch, sondern<br />

auch inhaltlich den Muff der frühen sechziger<br />

Jahre aus. Wenn es einem nicht gelingt,<br />

das camp zu finden und so zu ironisieren,<br />

weil es die erste Begegnung mit Ozon ist und<br />

man etwas anderes erwartet, trifft einen<br />

diese Geisteshaltung mit voller Wucht. Ich<br />

war jung und brauchte die Welt. Monsieur<br />

hatte mich stattdessen 90 Minuten mit Postmoderne<br />

beworfen. Das kann einen schon<br />

mal wütend machen.<br />

Inzwischen habe ich gelernt, mich an<br />

der technischen Finesse, mit der Ozon inszeniert,<br />

auch zu freuen. Aber dass ich mit ihm<br />

warm geworden bin, kann ich nicht behaupten.<br />

Wie auch? Der Meister liebt seine Filme<br />

und seine Geschichten, steht aber immer mit<br />

drei Schritten Abstand vor seinen Figuren,<br />

die Mittel zu seinem Zweck sind, lebensgroße<br />

Puppen, aber nie wirklich aus Fleisch<br />

und Blut. Dafür sind sie immer ein bisschen<br />

zu tragisch oder zu albern, zu weiblich oder<br />

zu männlich, zu spießig oder zu ausgeflippt.<br />

Das macht nichts und kann sehr schön sein.<br />

Aber man muss das wissen, wenn man einen<br />

Film von Ozon sieht. Seins ist ein Kino, das<br />

in den Köpfen seines Publikums stattfindet<br />

und dort hübsche Bezugs-Feuerwerke abfackeln<br />

kann, aber, selbst wenn es über Sex<br />

oder Liebe redet, nie unterhalb der Halskrause<br />

ankommt. Ozons sind Antikörperfilme.<br />

Glück, das kann er nicht. Willenloses<br />

Begehren, das ist schwierig. Man kann darüber<br />

lachen oder darüber nachdenken, ja, aber<br />

echte Hingabe: ein Graus. Denn wollte er das<br />

erzählen, er müsste sich als Filmemacher<br />

dabei zu etwas bekennen. Dem, was er wirklich<br />

will und dem, was ihn selbst anfasst.<br />

Und das will er ums Verrecken nicht. Denn<br />

dabei könnte er ja die Kontrolle über sich<br />

oder seine Figuren verlieren. Es ist ein wenig<br />

wie bei Hitchcock: Bei Ozon geht es um Bilder,<br />

um Muster, um Puzzle, um Gedanken,<br />

darum, originell oder geistreich zu sein, um<br />

die Gesellschaft, um rothaarige, drahtige<br />

Jungenideale, aber es geht nie um Menschen.<br />

Selbst in Die Zeit die bleibt, einem Film darüber,<br />

wie jemand stirbt, schafft er es nicht, an<br />

den Körper des Todgeweihten wirklich heranzukommen<br />

und lässt die Figur sich zum<br />

Schluss einfach in Licht auflösen, damit er<br />

sich nicht um eine Leiche kümmern muss.<br />

Das Verschwinden des Körpers als Erlösung.<br />

Etwas, dass er auch schon in Unter dem Sand<br />

tut. Andreas Dresens Halt auf freier Strecke<br />

beispielsweise muss in seiner ungebremsten<br />

und direkten Emotionalität und Körperlichkeit<br />

unerträglich für den Franzosen<br />

sein. Aber seine Gehemmtheit in diesem<br />

Bereich macht Ozons Filme so queer: Sex<br />

oder Körper sind nie einfach, sie sind immer<br />

mit Anhaftungen oder Schwierigkeiten verbunden,<br />

geben nie Antworten, sondern stellen<br />

immer bloß Fragen. Nichts ist sinnlich,<br />

aber alles ironisch. Das Schöne: Ozon weiß<br />

das alles selbst. Er ist das Publikum, das er<br />

betrachtet, das aber gleichzeitig der Autor<br />

der Geschichten ist, die es sich selbst erzählt.<br />

Ozon kennt seine Traumata und Themen und<br />

macht, wie Kubrick, wie Hitchcock, wie Sirk,<br />

das Beste draus.<br />

Das kann man im aktuellen Fall ganz<br />

wörtlich nehmen: Sein neuer Film In Ihrem<br />

Haus ist der bisher beste, der perfekteste<br />

Ozon-Film, weil er in sich gedanklich<br />

geschlossen ist. Ein künstlerisches Labyrinth,<br />

aus dem es keinen Ausweg mehr gibt,<br />

wenn man einmal drin sitzt, und in dem man<br />

sich garantiert verläuft. In ihrem Haus ist<br />

eiskalt, aber auf eine gute Art. Der auf einem<br />

spanischen Theaterstück basierende Film<br />

erzählt davon, wie der Lehrer Germain (Fabrice<br />

Luchini) seinen Schüler Claude (Ernst<br />

Umhauer) dazu anstiftet, sich tief in den Eingeweide<br />

der Familie seines Schulkameraden<br />

Rapha Artole einzunisten und von dort die<br />

Geschichte zu steuern, die er seinem Lehrer<br />

in kurzen Aufsätzen über diese Familie<br />

erzählt.<br />

Ozons neuer ist ein Film darüber, was<br />

Fiktion kann und was nicht, was Erzählungen<br />

mit ihrem Publikum, mit ihren Figuren<br />

und mit denjenigen machen, die sie erzählen.<br />

Der Film ist unfassbar dicht gewebt, jedes<br />

der schönen Bilder sitzt (manchmal auch<br />

zwei gleichzeitig), Ozon stellt viele hochinteressante<br />

Fragen und spielt begeistert mit den<br />

Annahmen des Publikums über alles, was<br />

seine Geschichte und seine Figuren anbelangt,<br />

er seziert mit großen Genauigkeit das<br />

Verenden und anschließende Erkalten von<br />

Germains Ehe mit seiner Frau Jeanne (die<br />

wie immer atemberaubend großartige Kristin<br />

Scott Thomas), an dem Claude keinen<br />

kleinen Anteil hat. Ozons Bildersprache ist<br />

auch deswegen eine so stabile Querverstrebung<br />

für diesen Film, weil sich der Macher<br />

in einen Bezugsrausch begibt: Hier eine<br />

Sirk-Überblendung, da die Kamerafahrt über<br />

einen Mädchen-Körper aus Kubricks Lolita,<br />

gefolgt von einer Hitchcock-Großaufnahme.<br />

So verfangen sich weiterführende Fiktionen<br />

in seinem ohnehin komplexen gedanklichen<br />

Netz und stabilisieren es zusätzlich.<br />

Am Ende weiß man vor lauter Verweisen<br />

nicht einmal genau, ob Claude überhaupt<br />

existiert, oder nur Germains Bedürfnis nach<br />

einer interessanten Wendung in seinem<br />

Leben entsprungen ist, ob der den Lehrer<br />

über das Schreiben belehrende Schüler nicht<br />

nur Ozons Chiffre für die Kunst und ihre<br />

Macht selbst ist, und damit auch nicht, ob<br />

nur eine der Figuren so ist, wie man sie in<br />

den letzten zwei Stunden erfahren hat. Denn<br />

wäre der Erzähler durch sein Publikum<br />

erfunden, die Erzählung und alle Erzählten<br />

in ihr wären es mit ihm. Darüber kann man<br />

schon mal einen Moment ziemlich belustigt<br />

nachdenken. Es hilft, wenn man Derrida<br />

gelesen hat, aber geht auch ohne.<br />

Heißt: In ihrem Haus ist das, was man auf<br />

gut Cineasten-Amerikanisch einen „Mindfuck“<br />

nennt und irgendwie die französische<br />

Antwort auf Inception, auch wenn es nicht<br />

eine einzige Explosion oder Verfolgungsjagd<br />

gibt. Lector fuckin’ in fabula! Wie immer versammelt<br />

Ozon eine Riege superber Darsteller,<br />

damit sie elegant um seine Ideen herumstehen<br />

und ihnen Würde verleihen. Diesmal<br />

sind es neben dem phänomenalen Dreigestirn<br />

Umhauer/Luchini/Thomas unter anderem<br />

Emmanuelle Seigner und Denis Ménochet.<br />

Man hat nicht immer das Gefühl, das alle<br />

gerade wissen, was sie da eigentlich spielen,<br />

aber es ist sehr unterhaltsam.<br />

Ob mich die nerdige Eleganz von In ihrem<br />

Haus dazu bringt, mich mit Ozons Kino der<br />

bösen Gedanken zu versöhnen, weiß ich<br />

nicht, es könnte aber sein. s<br />

In ihrem Haus<br />

von François Ozon<br />

FR 2012, 105 Minuten,<br />

deutsche SF + OmU<br />

Concorde Filmverleih,<br />

www.concorde-film.de<br />

Im Kino ab 29. November 2012,<br />

www.inihremhaus-derfilm.de<br />

6 7<br />

kino<br />

concoRDe FiLMVeRLeiH


kino<br />

AnhAltEndE<br />

hErzstörung<br />

von Jan Künemund<br />

zehn Jahre nach der sensationell erfolgreichen Soldatenromanze „Yossi & Jagger“<br />

erzählt Regisseur eytan Fox mit seinem Darsteller ohad Knoller Yossis Geschichte<br />

weiter – als einsamkeits- und Verpanzerungsstudie. eine schöne entwicklung: das<br />

knallige Politikmelodram wird zur sanften, mitfühlendem Beobachtung. „Yossi“ ist der<br />

eröffnungsfilm der Gay-Filmnacht im Januar und läuft danach in ausgewählten Kinos.<br />

s „Dies ist hier kein scheiß Hollywood-<br />

Film“, sagte Yossi zu Jagger im Jahr 2002.<br />

Jagger beharrte damals auf seinem vielleicht<br />

naiven Traum vom Glück, mit seinem Kommandanten<br />

nach zwei Jahren heimlicher<br />

Liebe endlich die Armee zu verlassen, „es“<br />

der Familie zu sagen und gemeinsam in den<br />

fernen Osten zu gehen. Mit seinem Vertrauen<br />

auf melodramatische Wendungen sollte er<br />

kaum einen Tag später recht behalten – sterbend<br />

liegt er in den Armen Yossis, von einem<br />

tödlichen Geschütz getroffen, lächelnd. Und<br />

sagt: „Doch wie in einem scheiß Hollywood-<br />

Film.“<br />

Ohad Knoller, der Schauspieler des Yossi,<br />

hat später mit Steven Spielberg gedreht. Wie<br />

denn der Unterschied sei zwischen Hollywood-Produktionen<br />

und den israelischen<br />

Filmen, wurde er gefragt. Als Star der „neuen<br />

israelischen Welle“, die von Eytan Fox’ Film<br />

Yossi & Jagger mit 200.000 Dollar vom Privatsender<br />

Channel 2 initiiert wurde, brachte<br />

er den Unterschied stolz auf den Punkt: in<br />

Israel würde man zwar nicht so professionell<br />

produzieren, aber man hätte die besseren<br />

Geschichten.<br />

Israelische Geschichten wie einen scheiß<br />

Hollywoodfilm zu erzählen, ist das erklärte<br />

Anliegen des Filmemachers Eytan Fox. In<br />

melodramatischen Zuspitzungen zeigt er<br />

in Das Lied der Sirene, Yossi & Jagger, Walk<br />

On Water und The Bubble Menschen, die vor<br />

dem Hintergrund von Golfkriegen, Militäreinsätzen,<br />

Nazijagden und palästinensischen<br />

Anschlägen versuchen, ein normales Leben<br />

zu führen, zu lieben, zu fühlen. Selbstbewusst<br />

und aufklärerisch schlagen sich die<br />

Probleme seines Heimatlandes in grell und<br />

plakativ zugespitzten Storytwists nieder,<br />

die einen selbstreflexiven Nerv treffen – die<br />

Filme von Eytan Fox sind dort große Kassen-<br />

und Kritikererfolge und haben nicht selten<br />

politische und soziale Ausstrahlung (Yossi &<br />

Jagger, ein Film über die Liebe zweier Soldaten,<br />

wird in der dortigen Militärausbildung<br />

mittlerweile als Schulungsfilm eingesetzt).<br />

Das Melodramatische geht bei Fox allerdings<br />

weit darüber hinaus, Strategie zu sein – es ist<br />

die eigentliche Grundierung und Substanz<br />

seiner Israelgeschichten.<br />

Alles Ausgeprochene in Yossi & Jagger<br />

bildet vorhersehbare tragische Pointen.<br />

„Erträgst du mich verstümmelt oder soll ich<br />

lieber gleich tot sein?“, fragt der schöne Soldat<br />

seinen Liebhaber – kurze Zeit später ist er<br />

tot. „Ich habe keine Lust, eure Mütter kennen<br />

zu lernen!“, sagt Kommandant Yossi seinen<br />

Soldaten vor der gefährlichen Militäraktion<br />

– wenig später muss er Jaggers Mutter vom<br />

Tod ihres Sohnes berichten. Alle Songtexte<br />

in Filmen von Eytan Fox lassen sich bewusst<br />

eindeutig als Folie über die Gefühle ihrer<br />

Figuren legen. Wie vielleicht nur bei Fassbinder<br />

erträgt man diese unzähligen Manipulationen<br />

der Zuspitzung, der Gefühls-<br />

und Verständnisanleitungen, mit Lust und<br />

Erschütterung, wird zum Komplizen, weil es<br />

so schön ist, hinter einfachen Geschichten,<br />

klaren Blicken und neutralen Worten den<br />

Horror und die Tragik auszumachen, die sich<br />

im Leben eines Menschen ereignen können.<br />

Wenn Yossi stumm nach der Beerdigung von<br />

Jagger bei dessen Mutter auf der Couch sitzt<br />

und einer hoffnungslos in Jagger verliebten<br />

Kameradin zuhören muss, die suggeriert, sie<br />

sei dessen Freundin gewesen, zwinkert das<br />

Drehbuch uns zu: Die vermeintliche Freundin<br />

kann Jaggers Lieblingslied nicht nennen,<br />

Yossi schon. Und wir auch, denn der Film hat<br />

es uns vorgespielt. Wir sehen in dieser Situation<br />

komplizenhaft den ruhigen, gefassten<br />

Yossi an – und verstehen die Kraft des Melodramatischen.<br />

Wer auch immer die Idee hatte, Yossis<br />

Geschichte zehn Jahre nach dieser Szene<br />

weiter zu erzählen – ob es ein Produzent war,<br />

PRo-FUn MeDiA<br />

der den großen Erfolg wiederholen wollte,<br />

ein Filmemacher, den diese Geschichte nicht<br />

losgelassen hat, oder ein Schauspieler, dessen<br />

Leben mit dieser Figur verzahnt war – er hat<br />

eine sehr interessante Veränderung im Kino<br />

von Eytan Fox bewirkt. Kein großer Konflikt<br />

von nationaler Bedeutung, kein Einblick in<br />

den täglichen Ausnahmezustand eines Landes<br />

bildet in Yossi den Hintergrund – es wird<br />

einfach eine Figur fortgesetzt.<br />

Yossi ist jetzt Dr. Guttman. Chirurg mit<br />

amputierten Gefühlen. Kardiologe mit gebrochenem<br />

Herzen. In der ersten Szene wird er<br />

von der Schwester geweckt, spritzt sich Wasser<br />

ins Gesicht und schaut in den Spiegel und<br />

– indirekt – uns an: ein trauriges Gesicht, aufgequollen<br />

wie der gesamte Körper, schlecht<br />

rasiertes Doppelkinn, unfrisierter Pony über<br />

der tiefen Stirn. Ein müder Blick – hier hat<br />

sich jemand aufgegeben, zehn Jahre nach<br />

dem Tod des Freundes. Ein Totalverweigerer<br />

der Welt gegenüber – keine Einladung nimmt<br />

er an, keine Pralinen, keinen Urlaub, nicht<br />

die zu lang liegenbleibende Hand der Oberschwester,<br />

nicht die willige, vom Kollegen in<br />

einem Club herbeizitierte Frau. Man weiß<br />

sehr schnell: So kann das nicht weiter gehen.<br />

Irgendetwas stimmt nicht mit der vom Film<br />

beschlossenen Passivität der Figur Yossis –<br />

er hat Karriere gemacht eigentlich, ist jetzt<br />

schon, mit „fast 34“ (er macht sich älter, als er<br />

ist) eine Kapazität. Doch die Bilder sprechen<br />

gegen ihn.<br />

Etwas hängt ihm an. Eine unerledigte<br />

Liebe, auch nach dem Tod des Geliebten<br />

noch. Das plakative sexy Grün des Soldatenoveralls<br />

ist nur fadenscheinig ersetzt worden<br />

durch den grünen Ärztekittel und das bis<br />

obenhin zugeknöpfte grüne Ausgeh-Hemd.<br />

Für das Online-Date hängt er ein Foto von<br />

früher an, nicht, um zu täuschen, sondern<br />

weil er sich nur als Yossi von damals erträgt.<br />

Schließlich lüftet Fox das Geheimnis in<br />

einem Aktivitätsschub Yossis: Er besucht die<br />

zufällig als Patientin in sein Leben getretene<br />

Mutter von Jagger – zuhause, wo auch mal<br />

Jaggers Zuhause war, noch gibt es ein unangetastetes<br />

Jugendzimmer, mit Gitarre, Lavalampe,<br />

einen Modellpanzer und ganz vielen<br />

Musik-CDs. Dort, vor den Eltern, outet sich<br />

Yossi und outet Yossi den Sohn der beiden<br />

Ahnungslosen, die vor ihm sitzen und ihm<br />

Kekse anbieten. „Er wollte, dass Sie das wissen.“<br />

Aber eigentlich muss er aussprechen,<br />

was ihn lähmt, seit zehn Jahren: dass er<br />

damals erst gar nicht, dann zu spät „ich liebe<br />

dich“ sagte und nicht weiß, ob der sterbende<br />

Freund es noch gehört hat. Das ist nicht das<br />

Problem der Eltern – es ist das Problem des<br />

Gefühlsamputierten und Herzkranken, und<br />

es war schon vorher da, bevor er Jagger kennen<br />

lernte und wieder verlor. 45 Minuten<br />

staut der Film bis hierher Yossis Selbsthass<br />

auf. Und entlädt es in einem Bild von Palmen,<br />

Meer und Wüste – einem Poster in Jaggers<br />

Jugendzimmer, das der Vater ihm öffnet.<br />

„Komm mit mir in den Fernen Osten …“ Und<br />

der Film überblendet in den Fernen Osten.<br />

Der zweite Teil schlägt einen anderen<br />

Ton an. Doch Yossis Passivität und Verpanzerung<br />

hält an. Seine Geschichte scheint<br />

sich zu wiederholen, wieder trifft er einen<br />

traumhaft schönen Soldaten, wieder kann er<br />

sich nicht auf ihn einlassen. Er legt Mahlers<br />

Fünfte Sinfonie auf, natürlich das Adagietto,<br />

im mit jungen trampenden Soldaten vollbesetzten<br />

Auto, und ein Blick in den Rückspiegel<br />

genügt – es ist einer darunter, der ihn versteht<br />

und weiß was (für Musik) läuft. Ein Schwuler<br />

erkennt einen anderen. Eytan Fox versucht<br />

sich, anders als im plakativen Yossi & Jagger<br />

(sexy Soldaten tummeln sich im Schnee),<br />

an kunstgeschichtlich vermittelter Erotik:<br />

Der Tod in Venedig wird gelesen, der Tadzio-<br />

Soldat wird beobachtet, wie er aus dem Pool<br />

steigt, Sehnsuchtshinweise, Balkonszenen,<br />

wie in einem scheiß Arthouse-Film. Trotzdem<br />

unglaublich: wie viel Angebote des soldatischen<br />

Posterboys Yossi ablehnt, bis der sich<br />

schließlich einfach nackt vor ihn stellt – wie<br />

deutlich muss man jemandem seine Liebe zeigen,<br />

bis er sich endlich berühren lässt? Wir als<br />

Zuschauer möchten ihn schütteln, zumindest<br />

massieren, aber das Drehbuch behauptet einfach,<br />

dass der Soldat nicht aufgibt. Vielleicht<br />

hätten wir ihn längst aufgegeben, wenn Ohad<br />

Knoller ihn nicht so herzzerreißend spielen,<br />

wenn Eytan Fox sich nicht so völlig in seiner<br />

Traurigkeit verlieren würde.<br />

Eine tolle Szene gibt es, vielleicht ein<br />

bisschen zu kurz, zu sehr geschrieben als<br />

wirklich entwickelt, die zeigt, wie man<br />

sich in Yossi verlieben kann. Als dieser<br />

sich unbeobachtet glaubt und inmitten von<br />

Urlaubern hinter billigen Cocktails Keren<br />

Ann zuhört, die alte israelische Popsongs<br />

singt (die Jagger so liebte, damals). Und der<br />

Tadzio-Soldat beobachtet ihn von hinten.<br />

Da versteht man: Er verliebt sich, weil er<br />

Yossi beim Zuhören beobachtet. Dass Yossi<br />

weint, sehen nur wir. s<br />

Yossi<br />

von Eytan Fox<br />

IL 2012, 85 Minuten,<br />

deutsche SF + OmU<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

Im Kino in der Gay-Filmnacht<br />

im Januar, www.gay-filmnacht.de<br />

Kinostart: 24. Januar 2013<br />

Yossi & Jagger<br />

von Eytan Fox<br />

IL 2002, 70 Minuten,<br />

deutsche SF + OmU<br />

Auf DVD bei Pro-Fun Media,<br />

www.pro-fun.de<br />

8 9<br />

kino


kino kino<br />

10<br />

WElt AM<br />

WAssEr<br />

von Tania WiTTe<br />

Vier Frauen treffen an einem Wochenende in einer malerischen<br />

Brandenburger Seenlandschaft aufeinander und ihre Flirts, ihr<br />

Begehren, ihre Lebensweisheiten und zukunftspläne fließen<br />

in- und durcheinander. Das größtenteils improvisierte Drama<br />

„Frauensee“ ist nach erfolgreicher Festivaltournee und der<br />

deutschen erstaufführung bei den Hofer Filmtagen in der<br />

L-Filmnacht und in ausgewählten Kinos zu sehen. Unsere<br />

Autorin hat den Film beobachtet.<br />

Frauensee<br />

von Zoltan Paul<br />

DE 2012, 85 Minuten, deutsche OF<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino in der L-Filmnacht im Januar,<br />

www.l-filmnacht.de<br />

Kinostart: 24. Januar 2013<br />

eDition SALzGeBeR<br />

s Sommer, irgendwo. Wir stehen in einem Boot, den Blick auf den<br />

Rücken der Bootsfrau geheftet. Vor uns teilt sich das Schilf. Fast<br />

erwarten wir, ein Kind in einem Weidenkörbchen zu erblicken, so<br />

bedeutsam scheint dieses Bild, das in bester Caspar-David-Friedrich-<br />

Manier ein Entree zu einer anderen Welt ist.<br />

Einer Welt am Wasser.<br />

Der Rücken vor uns gehört Fischwirtin Rosa (Nele Rosetz).<br />

Gemeinsam mit ihrem ebenso namen- wie wortlosen Angestellten<br />

(Enrico Weidner) ist sie auf der täglichen Tour über die drei Seen im<br />

brandenburgischen Hinterland, über die sie wacht. Sie holen den Fang<br />

ein, hämmern Pfähle ins Wasser und flicken die Reusen, die erboste<br />

Angler in regelmäßigen Abständen aufschneiden. Als Herrin über die<br />

Seen obliegt Rosa die Vergabe der Fischereilizenzen und damit die<br />

Entscheidung, wer wo und wie viel angeln darf – eine Position, die<br />

alteingesessene Angler der jungen Frau nicht zubilligen. Doch die<br />

Kämpfe um das Wasser werden subtil ausgefochten. Also steht regelmäßiges<br />

Reusen-Flicken an.<br />

Auch außerhalb des Wassers läuft es mit der Kommunikation für<br />

Rosa nicht besonders gut. Zwischen ihr und ihrer Geliebten Kirsten<br />

knirscht es gewaltig, unausgesprochene Spannungen und Konflikte<br />

verunmöglichen einen liebevollen Umgang miteinander, Sex taugt<br />

nur bedingt als Lösung. Architektin und Karrierefrau Kirsten besitzt<br />

einen schicken Bungalow am Wasser, spricht, wo Rosa schweigt und<br />

schweigt, wo Rosa sprechen möchte. „Liebst du mich?“, will Rosa wissen.<br />

Und Kirsten geht still ins Bett.<br />

Überhaupt wird viel geschwiegen in Frauensee, und weit mehr<br />

gezeigt als erklärt. Das mag daran liegen, dass es kein wirkliches<br />

Drehbuch, sondern lediglich ein siebenseitiges Exposé gab, aus dem<br />

das gesamte Ensemble binnen einer Woche gemeinsam die Charaktere<br />

entwickelte und die Handlungselemente generierte. Das ist<br />

Stärke und Crux des Filmes zugleich, doch dazu später mehr.<br />

Zunächst folgen wir der Handlung – sind auch hier, wie im gesamten<br />

Film, Beobachtende und erleben, wie Rosa den beiden Studentinnen<br />

Evi (Lea Draeger) und Olivia (Constanze Wächter) begegnet.<br />

Das Pärchen paddelt in Rosas Gewässern und tut mit schlafwandlerischer<br />

Sicherheit alles, was Rosa ihnen untersagt: Sie bauen ihr<br />

Zelt auf der naturgeschützen Insel so klischeegerecht und linkisch<br />

auf, dass man ihnen die trekkingaffinen Abenteuerinnen schwerlich<br />

abnimmt, vergessen dann ausgerechnet den Dosenöffner und klauen<br />

kurzerhand und ebenso naiv wie dreist einen Fisch aus Rosas Reuse,<br />

um ihn dann in bester Robinson-Crusoe-Tradition auf dem Stock<br />

überm Feuer zu grillen. Bevor sie ihn essen können, ertappt Rosa die<br />

wenig schuldbewussten Diebinnen und nach einem kleinen Schlagabtausch<br />

sitzen sie zu dritt ums Feuer, leeren eine Flasche Wein, rauchen<br />

Gras und essen gemeinsam den Fisch, jetzt, da er ja „eh schon<br />

tot“ ist. Sobald ihr Olivia den Rücken zuwendet, gräbt Evi, eine Spielerin<br />

par excellence, Rosa massiv an.<br />

Als Rosa ihrer Freundin Kirsten am nächsten Tag die Geschichte<br />

erzählt, schlägt die aus einer Laune heraus und zwischen endlosen<br />

Business-Telefonaten vor, Evi und Olivia in den Bungalow einzuladen.<br />

Der Rest der Handlung ist schnell erzählt: Zwischen Rosa und<br />

Kirsten knirscht es weiter und dass die Avancen der ebenso offensiven<br />

wie unbedarften Evi Rosas Ego gut tun, macht es nicht leichter.<br />

Es wird getrennt und geliebt, gestritten und geflirtet – ohne dass sich<br />

die Tiefe der Konflikte im Detail erschließt, aber vielleicht muss sie<br />

das auch gar nicht, denn die Schauspielerinnen sind in weiten Teilen<br />

überzeugend und Bilder des Kameramannes Fabian Spuck so schön,<br />

dass die Handlung des Films ebenso in den Hintergrund rückt wie die<br />

oft beiläufig eingefangenen Gespräche. Das Publikum darf wahrnehmen,<br />

ist Beobachter und Voyeur, ganz wie der Angler, der die Szenerie<br />

im Bungalow mit einem Fernglas bespäht.<br />

Das hat einen Kitzel und schafft gleichzeitig eine Distanz, aus<br />

der das teils unmotiviert-absurde, teils unschlagbar authentisch<br />

wirkende Verhalten der vier Frauen eher analysiert denn mitge-<br />

fühlt wird. Ein raffinierter Schachzug des Regisseurs Zoltan Paul,<br />

der auch in seinem dritten Spielfilm eine Obsession für Zwischenmenschliches<br />

erkennen lässt – eine Neugier auf Unausgesprochenes<br />

und Angedeutetes, auf das, was mitschwingt und ungreifbar scheint.<br />

Einzig in den Sexszenen zeigt sich das Manko dieser Methode, denn<br />

hier hält der Regisseur seine Zuschauerinnen und Zuschauer so sehr<br />

auf Abstand, dass wenig Chance für Empathie, sexuelle Spannung<br />

und Erotik bleibt. Der Status der Zuschauenden bleibt klar definiert:<br />

sie schauen zu.<br />

Schauen zu und fragen sich, was diese vier ungleichen Menschen<br />

zusammenhält. Was wollen sie voneinander, die beherrschte, reflektierte<br />

Kirsten, die sich selbst bewusst aus ihrem eigenen Inneren<br />

ausschließt, die schweigsame, toughe Rosa, die Verbindlichkeit und<br />

Erdung sucht, die provokante und sexuelle aggressive Evi und ihre<br />

langjährige Geliebte Olivia, die immer um Ausgleich bemüht ist?<br />

Die Charaktere sind schnell und nachvollziehbar skizziert und doch<br />

werden scheinbar klare, romantische Rollenbilder überraschend verdreht.<br />

Es geht um die Suche und um das Lernen voneinander, um die<br />

Sehnsucht nach jugendlicher Leichtigkeit und die nach Verwurzelung<br />

in der Gesellschaft. Um eine Brücke zwischen den Altersgruppen.<br />

Das abgebrühte „been there, done that“ von Kirsten gegenüber<br />

der Unverdorbenheit, mit der die beiden Studentinnen das Leben<br />

erobern. Die Paare sind Spiegel und zugleich Reibungsfläche füreinander,<br />

stehen für Ziele und Verlorenes, für Möglichkeiten und Mut.<br />

Für Einsamkeit.<br />

Eine scheibe leben, zeitlos,<br />

unaufgeregt und realistisch<br />

Frauensee ist eine Scheibe Leben, zeitlos, unaufgeregt und realistisch.<br />

Die improvisierten Dialoge sind mal bemüht und holperig wie<br />

in der Küchenszene zu Beginn des Films, dann wieder sind sie so echt,<br />

dass die Zuschauenden das Gefühl beschleicht, genau solche Dialoge<br />

genau so schon geführt oder gehört zu haben – wie bei der Lagerfeuerszene<br />

auf der Insel. Besonders Nele Rosetz alias Rosa und Therese<br />

Hämer als Kirsten glänzen – dennoch ist gerade ihnen hin und wieder<br />

das Ungewohnte an der Improvisationssituation anzumerken, mehr<br />

noch als Lea Draeger und Constanze Wächter, die sichtlich ungehemmter<br />

mit der Freiheit der Szenen umgehen. Die Atmosphäre am<br />

Set – Natürlichkeit statt durchgeplanter Szenen, das Miteinander und<br />

spürbar Nicht-Hierarchische – überträgt sich auf die Atmosphäre im<br />

Film, und vereinzelte linkische Momente gleicht die satte Bildsprache<br />

und die grandiose Kameraführung spielend aus. Frauensee besticht<br />

durch Bilder voller Rhythmus, die sich wiederholen und dadurch ihre<br />

Bedeutung verändern; Bilder, die sinnbildlich für den Gemütszustand<br />

der Charaktere stehen, für Stillstand und Bewegung.<br />

Zoltan Paul nimmt sich Zeit, die Atmosphäre zu fangen. Er lässt<br />

die Protagonistinnen frei und langsam in einen feuchtfröhlichen<br />

Überschwang gleiten, in dem die Blase, in der sie sich befinden, auch<br />

virtuell sichtbar wird. Wieder ist es Rosa, die am Ende die Welten verbindet,<br />

als sie die anderen schlafend zurücklässt und sich in Abendkleid<br />

und Gummistiefeln auf ihr Wasser zurückzieht.<br />

Frauensee ist ein stiller Film, in dem es mehr um das Beobachten<br />

geht, denn um das Verstehen – ein Beobachten, in dem sich die<br />

Anschauungen und Lebenssituationen der Frauen wie nebenbei<br />

erfassen und in weiten Teilen nachvollziehen, von den Figuren lösen<br />

und auf das Selbst übertragen lassen. Eine Einladung zum Nachdenken,<br />

Nachspüren, Nachblicken. s<br />

Tania Witte ist Schriftstellerin, Kulturjournalistin und SpokenWord-<br />

Performerin und lebt in Berlin. Gerade ist ihr Roman „leben nebenbei“<br />

erschienen. www.taniawitte.de<br />

11


kino<br />

EIn zu EngES<br />

KlEID<br />

von JeSSica ellen<br />

„Küss mich“, Alexandra-therese Keinings erwachsene Romanze, variiert das thema<br />

einer Frau, die ihre Beziehung zu einem Mann aufs Spiel setzt, als sie merkt, dass sie<br />

für eine offen lesbisch lebende Frau Gefühle empfindet. Mit einem herausragenden<br />

ensemble einiger der besten Schauspielerinnen des schwedischen Kinos gelingt der<br />

jungen Regisseurin eine subtile erzählung über große Gefühle und die Momente, in<br />

denen sich alles ändert.<br />

s Es sind nur die Flatternerven von Mia,<br />

die sie veranlassen, mit ihrem langjährigen<br />

Lebensgefährten Tim noch schnell eine zu<br />

rauchen, bevor die beiden ihrem Vater Lasse<br />

zum Geburtstag im ländlich-feudalen Ambiente<br />

gratulieren wollen. Außerdem soll Mia<br />

die neue Frau des Vaters kennen lernen, und<br />

da will sie nicht zurückstehen und die eigene,<br />

nach Jahren endlich beschlossene Hochzeitplanung<br />

ankündigen. Aber Mia und Tim sind<br />

nicht die einzigen Raucher: Eine hübsche<br />

Blondine bittet um Feuer; Frida, die Tochter<br />

12<br />

der neuen Stiefmutter. Mia ist misstrauisch:<br />

flirtet die etwa mit ihrem Zukünftigen? Aber<br />

wir ahnen es schon – nichts liegt der hintergründig<br />

lächelnden Frau ferner …<br />

Expositionen wie diese kommen Frau<br />

irgendwie bekannt vor. Seit den 1980er<br />

Jahren wimmelt es in Lesbenliteratur und<br />

-filmen geradezu von sich zunächst heterosexuell<br />

definierenden Ehefrauen, die von<br />

gestandenen Lesben verführt werden und so<br />

erkennen, wer sie eigentlich sind und was sie<br />

wirklich wollen. Aus heutiger Sicht wirkt die-<br />

eDition SALzGeBeR<br />

ses Thema vielleicht ein bisschen angestaubt,<br />

aber es lohnt sich, daran zu erinnern, wie Lesben<br />

vorher dargestellt wurden (und mitunter<br />

immer noch werden). Da gab es lesbisches<br />

Begehren als Sidekick für die eigentlich heterosexuelle<br />

Frau, was diese für Heteromänner<br />

zu einer besonders lohnenden Trophäe werden<br />

ließ, weil sie sie in ihrer Unersetzbarkeit<br />

bestätigte. Ernsthafte Konkurrenz für eine<br />

Heterobeziehung waren Frauenbeziehungen<br />

nicht. „Echte“ Lesben waren meist unattraktive<br />

„kesse Väter“, und nicht selten fanden sie<br />

ein tragisches Ende. Beispiele dafür finden<br />

sich in der Filmgeschichte seit dem Stummfilm<br />

Lulu zuhauf. Erst mit dem Erscheinen<br />

der neuen Frauenbewegung wurden lesbische<br />

Lebensentwürfe als gleichberechtigte,<br />

wenn nicht überlegene Alternative zu Ehe-<br />

und Heterobeziehungen ernst genommen<br />

und auch gehörig idealisiert. Nun erst konnte<br />

lesbische Sehnsucht nach anderen, positiven<br />

Liebesgeschichten zwischen Frauen auch auf<br />

der Leinwand Gestalt annehmen. Und ganz<br />

ehrlich – freuen wir uns nicht immer noch<br />

mit den Liebenden, wenn sie sich nach vielem<br />

Hin und Her endlich kriegen?<br />

Auch zwischen Mia und Frida gibt es dieses<br />

Hin und Her. Und die Verführung geht<br />

keineswegs nur von einer Seite aus. Fridas<br />

Charme könnte selbst einen Gletscher zum<br />

Schmelzen bringen. Aber es ist die scheinbar<br />

so spröde Mia, die den ersten Schritt macht.<br />

Ist sie vielleicht doch nicht so unerfahren?<br />

Erst einmal ergreift Mia, von den eigenen<br />

Gefühlen überrumpelt, die Flucht, geht Frida<br />

aus dem Weg. Doch Frida ist längst verliebt<br />

und nicht bereit, alles als einmaligen Ausrutscher<br />

einer sonst unerschütterlichen Hetera<br />

auf sich beruhen zu lassen.<br />

Beide schaffen es nicht mehr, in ihrem<br />

früheren Leben Fuß zu fassen. Fridas<br />

Lebensgefährtin merkt, dass plötzlich etwas<br />

zwischen ihnen steht. Mia stürzt sich hektisch<br />

in die Hochzeitsvorbereitungen und<br />

spürt, dass alles, was für sie noch vor kurzem<br />

so wichtig war, nun eigentlich nicht<br />

mehr stimmt. Im Brautkleid ihrer Mutter,<br />

das sie unbedingt zur Hochzeit tragen<br />

wollte, obwohl es Tim nicht gefällt, steht sie<br />

unschlüssig vor dem Spiegel. Es ist, als würde<br />

das biedere, hochgeschlossene Kleid ihr die<br />

Luft zum Atmen nehmen, sie reißt es sich<br />

vom Leibe.<br />

Irgendwann schleicht Mia sich doch<br />

zurück in Fridas Leben, und die lässt sich<br />

ihre unvernünftige Liebe von niemandem<br />

ausreden. Es folgen heimliche Treffen; Mia<br />

träumt davon, mit Frida nach Spanien zu<br />

gehen, während die Hochzeitsvorbereitungen<br />

in unvermindertem Tempo weiterlaufen.<br />

Frida entlarvt Mias Ausbruchs- und<br />

Fluchtphantasien als das, was sie sind – Vermeidungsstrategien,<br />

um eben nicht mit der<br />

Realität vor Ort umgehen zu müssen. Frida<br />

dagegen ist stolz auf ihre Liebe und will, dass alle davon erfahren.<br />

Irgendwann wird Mia sich entscheiden müssen …<br />

Küss mich, so der Titel des Films der schwedischen Regisseurin<br />

Alexandra-Therese Keining, sagt gleich, worum es geht. Eine klassische<br />

Liebes- und Coming-Out-Geschichte mit emanzipatorischem<br />

Anliegen und angedeutetem Happy End. Überraschende Wendungen<br />

der Dramaturgie sollte Frau hier nicht erwarten, aber auch auf keinen<br />

Fall Langeweile. Die Konstellation zweier Stiefschwestern, die sich<br />

bei der Verlobung ihrer Eltern kennen lernen, ist immerhin ungewöhnlich<br />

und eröffnet Möglichkeiten, die die Regisseurin zu nutzen<br />

versteht. Weder Mia noch Frida sind von ihrem Äußeren Klischee-<br />

Lesben, beide sehr schön anzuschauen, mit ausdrucksvollen Gesichtern.<br />

Mia dunkel, nachdenklich und etwas melancholisch, Frida<br />

blond, mit zartem Gesicht und strahlend blauen Augen. Der visuelle<br />

Kontrast setzt sich in ihren Charakteren fort.<br />

Frida steht zu ihrem Lesbischsein; ihr Konflikt besteht darin, ihre<br />

Freundin Elin zu verletzen. Verlassen zu werden ist etwas, was sie<br />

selbst schon schmerzlich erlebt hat, und nun ist sie diejenige, welche<br />

Elin verlässt. Leidenschaft hat ihren Preis, und den zahlen vor allem<br />

die Verlassenen. Die aber, die gehen, müssen wohl oder übel mit ihren<br />

Schuldgefühlen leben, auch wenn die neue Liebe sie erst einmal überdeckt.<br />

Der Umstand, dass Frida in einer Beziehung lebt und sich trennt,<br />

verhindert, dass sie allzu engelhaft erscheint – so hat der emanzipatorische<br />

Heiligenschein mindestens einen realistischen Kratzer.<br />

Mia war zwar schon einmal mit einer Frau zusammen, wie sie<br />

später Frida gesteht, aber die Beziehung hatte keinen Bestand, und<br />

Mia, in einer Mischung aus Resignation und Konventionalität, setzte<br />

mit Tim auf Nummer sicher. Heiraten will sie ihn, weil sie glaubt, dass<br />

es von ihr erwartet wird. Die Begegnung mit Frida lockt die verdrängten<br />

Gefühle hervor; das ist anziehend und bedrohlich zugleich. Diese<br />

Ambivalenz beschränkt sich dabei nicht auf Frida, sie kennzeichnet<br />

auch das Verhältnis zu ihrem Vater. Sie nimmt ihm übel, ihre Mutter<br />

verlassen zu haben. Und auch sonst hat er die Tochter zu oft enttäuscht,<br />

deshalb vertraut sie ihm nicht mehr, sehnt sich aber danach,<br />

es zu können. Erst am Schluss wird sie das Risiko eingehen, ihm ihre<br />

wahren Gefühle zu offenbaren, und diesmal wird er nicht versagen.<br />

Auch er hat von Fridas Mutter etwas gelernt. Der unterschiedliche<br />

Umgang der Eltern mit dem Lesbischsein ihrer jeweiligen Tochter<br />

funktioniert als Spiegel des Frauenpaares und gibt dem Film eine<br />

zusätzliche Dimension.<br />

Der Film überzeugt durch das perfekte Zusammenspiel aller seiner<br />

Elemente, eine sorgfältige Inszenierung, dezenten Einsatz von Musik<br />

und eine tolle Kamera, die die Schönheit der Frauen und der schwedischen<br />

Landschaft zum Ausdruck bringt, ohne je geschmäcklerisch<br />

oder kitschig zu werden. (Nicht, dass ich die Lust auf Kitsch denunzieren<br />

möchte; ein Hang dazu schlummert in den meisten von uns).<br />

Das nuancierte Spiel der Darsteller verankert die emotionalen<br />

Konflikte der Figuren in der wirklichen Erfahrungswelt und gibt<br />

ihnen Bodenhaftung. Das ermöglicht ZuschauerInnen wie mir, sich<br />

mit ihnen auch dann zu identifizieren, wenn das eigene Coming-Out<br />

schon Jahrzehnte zurück liegt und mit ihm das Schmachten nach<br />

überirdisch schönen Traumfrauen. Und so ein genussvoller Kinobesuch,<br />

der ganz nebenbei Lust auf einen Urlaub in Schweden mit der<br />

eigenen Liebsten erzeugt, ist ja auch nicht verkehrt. s<br />

Küss mich<br />

von Alexandra-Therese Keining<br />

SE 2011, 103 Minuten, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino in der L-Filmnacht im Februar,<br />

www.l-filmnacht.de<br />

Auf DVD bei der Edition Salzgeber<br />

kino<br />

13<br />

©JEAN-CLAUDE MOIREAU<br />

Vom RegisseuR Von „swimmingpool“<br />

und „das schmuckstück“<br />

MANDARIN CINÉMA PRÄSENTIERT<br />

IN IHREM<br />

HAUS<br />

Ein Film von FRANÇOIS OZON<br />

AB 29. NOVEMBER<br />

IM KINO<br />

FABRICE LUCHINI KRISTIN SCOTT THOMAS<br />

EMMANUELLE SEIGNER DENIS MÉNOCHET ERNST UMHAUER<br />

WWW.INIHREMHAUS-DERFILM.DE


kino<br />

landschafts architektur<br />

von andré Wendler<br />

in „Westerland“ treffen sich zwei Jungs und gehen eine Beziehung ein. einer ist Borderliner, der andere hat<br />

Angst vor dem Leben. Das Staunen über die Sylter Winterlandschaften verlernen sie schnell. Aufeinander<br />

aufpassen wird zum teil des Problems. tim Staffels Debütfilm nach seinem eigenen Roman erzählt eine<br />

Freundschaft und eine Landschaft – und beides hat man so noch nicht gesehen.<br />

14<br />

kino<br />

15


kino<br />

s Die Zahl des Filmes ist die Zwei. Vieles<br />

passiert doppelt, Zweierkonstellationen<br />

stehen sich gegenüber, man begegnet<br />

sich zweimal. Zweimal auch stehen Cem<br />

und Jésus irgendwo bei Westerland und<br />

schauen einem Zug hinterher, der auf klar<br />

vorgegebener Strecke schnurgerade durchs<br />

Bild fährt. Es ist ihr Sehnsuchtsbild. Beide<br />

sind wohl mit einem solchen Zug nach Sylt<br />

gekommen, aber von geraden Wegen kann<br />

bei keinem die Rede sein. Die Zugbilder<br />

gehen aber nicht in dieser recht einfachen,<br />

nach außen verlagerten Psychologie auf. Sie<br />

lassen sich zwar als Zeichen lesen für das,<br />

was den beiden Jungs geschieht und geschehen<br />

ist, haben aber etwas an sich, das man<br />

nur schwer in Worte fassen kann. Immer<br />

wieder wirft der Film solche Bilder auf die<br />

Leinwand und uns zusammen mit Cem und<br />

Jésus mitten in sie hinein.<br />

So wie ganz am Anfang, wenn Jésus<br />

auf dem zugefrorenen Meer herumläuft.<br />

Die bizarre Landschaft aus übereinander<br />

geschobenen Eisschollen und -platten sieht<br />

unwirklich aus. Es könnte eine Kulisse oder<br />

eine Computeranimation sein. Er streunt<br />

hin und her, geht hierhin und dorthin. Die<br />

paradoxe Wanderung auf dem unbewegten<br />

Meer lässt sich wieder metaphorisch auf die<br />

außergewöhnliche und festgefahrene Situation<br />

beziehen, in der er sich befindet. Das<br />

Bild selbst aber hat eine Kraft, die mich als<br />

Zuschauer_in etwas atemlos werden lässt.<br />

Diese zweite Ebene von Westerland hat nicht<br />

so sehr mit der tatsächlichen Landschaft am<br />

tatsächlichen Drehort der Insel Sylt zu tun<br />

und sie folgt nicht so sehr aus der fiktionalen<br />

Figurenpsychologie der beiden Hauptfiguren,<br />

sondern daraus, dass wir hier ein Bild,<br />

ein bewegtes Bild, ein Kino-Bild vor Augen<br />

haben. Und in diesem Bild kommen nicht<br />

nur Sylt, Cem und Jésus vor, sondern notwendigerweise<br />

auch wir Zuschauer_innen,<br />

mit unserem Sehen, unseren Erinnerungen,<br />

unseren Erfahrungen. Wenn Jésus und Cem<br />

zu Beginn des Filmes immer wieder kreuz<br />

und quer über die Insel spazieren, dann sind<br />

wir gemeinsam mit ihnen auf dem Weg, die<br />

große unerklärliche Frage zu ergründen,<br />

was das ist, das sich zwischen ihnen, Westerland,<br />

uns und seinen Bildern abspielt.<br />

Immer wieder kommen wir mit den beiden<br />

auf Aussichtspunkte in den Dünen, von<br />

denen aus die Nordsee oder die Insellandschaft<br />

weit ausgebreitet vor uns liegen. An<br />

diesen Punkten bleibt uns nicht viel mehr<br />

übrig, als das alles anzustarren und anzusehen.<br />

Der gefrorene Sandstrand hat die Farbe<br />

von Jésus’ Haaren. Das helle grau-beige mit<br />

den weißen Schneefetzen ist glatt, rein und<br />

offen. Auf ihm lässt sich träumen, von Fernstudium<br />

und Schauspielschule. Es ist aber<br />

eine Landschaft, die nur vorübergehend im<br />

Winter festgefroren ist und Stabilität bietet<br />

und die alsbald wieder in Bewegung geraten<br />

wird. Einmal schwenkt die Kamera langsam<br />

von links nach rechts. Auf dem Wasser voller<br />

Eisschollen fährt ein Schiff in die selbe<br />

Richtung. Zwischen Wasser und Strand ist<br />

eine klare Linie gezogen. Dort sitzen die<br />

beiden nebeneinander. Durch die Bewegung<br />

der Kamera wird die Bewegung des Schiffes<br />

aufgehoben, Cem, Jésus und die gesamte<br />

Landschaft scheinen sich an seiner Stelle zu<br />

bewegen. Vor solchen Landschaftsbildern<br />

aus Westerland wird man begriffsstutzig.<br />

Christian Metz, einer der wichtigsten<br />

französischen Filmtheoretiker, hat in diesem<br />

Sinn das zentrale Paradox des Films, von<br />

dem auch Westerland zu handeln scheint, so<br />

beschrieben: „Ein Film ist schwer zu erklären,<br />

weil er leicht zu verstehen ist.“ Wir<br />

sehen, es leuchtet uns ein, aber wir können<br />

schlecht sagen, was es ist. Fast immer, wenn<br />

sich in Westerland jemand dazu aufrafft, das<br />

alles in einer Frage explizit zu machen, wird<br />

diese nur mit Schweigen, Gegenfragen oder<br />

halbleeren Blicken beantwortet: „Schaust Du<br />

immer Filme ohne Ton an? – Ey, was sind das<br />

denn für komische Farben?“ So lange Cem<br />

und Jésus sich die Landschaft wandernd<br />

erschließen können, so lange Cem die Vorstellung<br />

hat, er könne einmal als Landschaftsarchitekt<br />

das alles begreifen und gestalten,<br />

lässt sich der Film aushalten, vielleicht sogar<br />

genießen.<br />

sie flüchten vor der<br />

landschaft in eine<br />

enge Wohnung,<br />

ziehen die Vorhänge<br />

zu und pendeln<br />

nur noch zwischen<br />

Badewanne und Bett<br />

Irgendwann ist aber Schluss damit. Sie<br />

flüchten vor der Landschaft in eine enge<br />

Wohnung, ziehen die Vorhänge zu und pendeln<br />

nur noch zwischen Badewanne und<br />

Bett. Mit dem Rückzug in Cems Wohnung<br />

verknotet sich nicht nur die Beziehung der<br />

beiden, sondern auch der Film. Was als eindeutiger<br />

Boy-meets-Boy-Film begonnen hat,<br />

wird nun zu … etwas bedrückend anderem.<br />

Wenn einer von beiden diese unerwarteten<br />

Komplexionen nicht mehr aushalten kann,<br />

ist der letzte Fluchtort der Balkon, von dem<br />

aus sich wenigstens noch ein kleiner Teil der<br />

Landschaft sehen lässt, in der Bilder, Filmmusik,<br />

Figuren und Geschichten so klar<br />

miteinander agieren konnten. Hier drin aber<br />

gibt es nur Filme mit komischen Farben,<br />

abgedrehtem Ton, zu laute Musik aus Kopfhörern<br />

oder seltsame Regieanweisungen auf<br />

Badezimmerwänden. Die Großartigkeit der<br />

winterlichten Insellandschaft wird ersetzt<br />

durch eine etwas abgestandene gelb-blaue<br />

Spießerhölle mit praktisch-kleiner Einbauküche<br />

und beigefarbenen, gut zu reinigen<br />

Fliesen im Badezimmer.<br />

Die Fülle der Totalen und Panorama-<br />

Aufnahmen von draußen wird hier zu einem<br />

unüberschaubaren Labyrinth aus Closeups<br />

und Detailaufnahmen. Die Fragen sind<br />

genauso bohrend und unerträglich wie draußen,<br />

aber die Bilder können keinen Trost<br />

mehr dafür geben, dass sie nicht lösbar sind.<br />

Stattdessen versuchen sich Cem und Jésus<br />

in einer pathetischen und fast ironisch biblischen<br />

Geste mit Regeln auszustatten. Du<br />

sollst nicht kotzen. Du sollst nicht kiffen. Du<br />

sollst nicht lügen. Du sollst nicht sterben.<br />

Was allerdings als Befreiungsschlag gedacht<br />

war, wird am Ende zu nicht mehr als einer<br />

Unsauberkeit, die mühevoll von den Fliesen<br />

abgewaschen werden muss. Dass der zweite<br />

Teil in der Wohnung für Cem und Jésus und<br />

für uns keine Perspektiven mehr zu bieten<br />

hat, liegt letztlich vor allem an der Abwesenheit<br />

perspektivierender Bilder.<br />

Einmal noch raffen sich beide auf und<br />

verlassen gemeinsam die Wohnung. Jésus<br />

soll in der winterlichen Nordsee schwimmen.<br />

Dazu bekommt er einen Neoprenanzug,<br />

es wird eine Absperrung am Strand errichtet<br />

und Cem hält ihn an einem Seil. Als ob die<br />

Vereinigung mit der Landschaft irgendetwas<br />

bewirken könnte. Am Ende kann Cem<br />

Jésus nur irgendwie aus dem Wasser fischen.<br />

Nichts ist gelöst und die nächste Einstellung<br />

zeigt beide dann auch in einem aussichtslosen<br />

und stummen Kampf miteinander und<br />

gegeneinander.<br />

Westerland verzichtet dabei fast vollständig<br />

auf die diversen Zeichen realistischer<br />

Filme für Homosexualität. Abgesehen<br />

ALLe FotoS: eDition SALzGeBeR<br />

Westerland<br />

von Tim Staffel<br />

DE 2012, 90 Minuten,<br />

deutsche OF<br />

Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

Im Kino in der<br />

Gay-Filmnacht im Februar,<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

Kinostart: 21. Februar 2013,<br />

www.westerland-film.de<br />

Jasús und Muhammed<br />

Roman, 138 Seiten,<br />

Transit Verlag 2008,<br />

www.transit-verlag.de<br />

davon, dass wir immer wieder eingeladen<br />

werden, die jungen männlichen Körper beider<br />

Protagonisten anzuschauen, sind wir von<br />

den besonders aufdringlich romantischen<br />

schwulen Küssen, dem Händchenhalten im<br />

Close-up, den argwöhnisch dreinblickenden<br />

Prollschlägern und dergleichen filmischer<br />

Klischeebildung verschont. Am Ende ist es<br />

fast egal, ob die beiden eigentlich schwul sind<br />

und man gleich von Liebe sprechen muss,<br />

oder ob sich hier ‚nur‘ eine intensive Freundschaft<br />

entwickelt hat. Homosexualität ist<br />

hier weder die Bedingung allen Geschehens<br />

noch ein ausgezeichnetes Problem oder überhaupt<br />

ein Problem. Sie ist da oder nicht und<br />

letztlich liegt die Entscheidung über diese<br />

Frage wohl auch sehr bei uns Zuschauer_<br />

innen. Westerland gehört jedenfalls zu einer<br />

Reihe von Filmen aus der jüngsten Zeit, in<br />

der Schwulsein nicht das Problem ist, sondern<br />

wo Schwule auch einmal andere Probleme<br />

haben dürfen als ihre sexuelle Identität.<br />

In einer so bedrückenden und komplexen<br />

Problemlage, wie sie Westerland entwirft, ist<br />

die sexuelle Identität weder eine zusätzliche<br />

Bürde noch irgend eine Hilfe.<br />

Es ist eine meiner schlechten Angewohnheiten,<br />

mich bei jedem Film fragen zu<br />

müssen, was ich von ihm eigentlich gelernt<br />

habe. Westerland hat mir ganz klar dabei<br />

geholfen, genauer zu verstehen, welchen Ort<br />

sexuelle Identität im Rahmen all der familiären,<br />

kulturellen, historischen und ökonomischen<br />

Bestimmungen hat oder haben<br />

kann, denen wir sonst noch ausgesetzt sind.<br />

Ob Cem und Jésus ihren Weg durch dieses<br />

Geflecht gefunden haben werden, wissen<br />

wahrscheinlich weder sie selbst, noch der<br />

Film, noch wir am Ende. s<br />

16 17<br />

kino


kino<br />

Wir scheißen auf<br />

die Emanzipation<br />

von BeaTrice Behn<br />

ein schüchternes Mädchen findet sich plötzlich in einer A-capella-college-Band<br />

wieder, in der sich äußerst talentierte, aber ziemlich inkompatible Mitstreiterinnen<br />

zusammenraufen müssen, um gegen die männliche Konkurrenz zu bestehen. Was<br />

als emanzipatorische Diversity-Utopie daherkommt, regte unsere Autorin zu ein<br />

paar grundsätzlichen Gedanken zum Bild der Frau in der modernen, amerikanischen<br />

Komödie an.<br />

s Eines soll im Voraus festgestellt werden:<br />

Pitch Perfect ist Popcornkino im Zeichen<br />

von Glee, nur eben mit einer reinen Mädchengruppe.<br />

Wer ein bisschen Unterhaltung<br />

braucht, dem wird dieser Film gefallen.<br />

Oder wie sagte meine Kinobegleitung:<br />

„Der is’ ganz nett“. Aber nett ist ja auch die<br />

kleine Schwester von scheiße und genau so<br />

fühlt es sich an, wenn man das Kino verlässt<br />

und einen, wenngleich subtilen, aber eben<br />

lang anhaltenden, bitteren Nachgeschmack<br />

mit sich nimmt. Irgendetwas stimmt nicht<br />

an diesem Film, der doch eigentlich in der<br />

neuen Tradition der ‚emanzipierten Frauen-<br />

Komödien‘ wie Brautalarm oder Die Hochzeit<br />

meiner dicksten Freundin steht, nur um<br />

ein paar weitere Produktionen dieses Jahres<br />

zu nennen.<br />

Ganz genau lässt sich nicht verorten,<br />

wann diese neue Comedy-Welle angefangen<br />

hat, in deren Mittelpunkt ‚moderne‘ junge<br />

18<br />

Frauen stehen, die sich vom traditionellen<br />

Rollenmuster ‚Mutter & Hausfrau‘ verabschieden<br />

und auf der Suche nach Selbsterfüllung<br />

sind. Zweifelsohne erreichte sie<br />

aber ihren ersten kommerziellen Höhepunkt<br />

Ende der Neunziger Jahre im US-Fernsehen:<br />

mit Ally McBeal und natürlich mit Sex<br />

and the City. Sieht man diese Serien heute,<br />

begreift man schnell, dass eine ‚Emanzipation‘<br />

eigentlich gar nicht stattfand. Viel mehr<br />

wurde hier ein neuer medialer Frauencharakter<br />

hergestellt, der mit einem postmodernen,<br />

hoch kommerzialisierten Antlitz die alte<br />

Mär der hysterischen Frau weiter betrieb.<br />

Wurde am Anfang des 19. Jahrhunderts das<br />

Weib zur Psychoanalyse geschickt und per<br />

Vibrator geheilt, so kauft sie im 21. Jahrhundert<br />

eben Schuhe und leidet unter ihrem<br />

stets aufgescheuchten Leben voll sinnloser<br />

Promiskuität. Denn egal, ob hyperhysterische<br />

Ally McBeal oder die Damen des New<br />

UniVeRSAL PictUReS<br />

Yorker Kaffeekränzchens, im Endeffekt ging<br />

es doch nur im das eine: ‚ihn‘ finden. Dass<br />

diese Serien massiv eingeschränkt sind auf<br />

weiße, heteronormative und im Kern konservative<br />

Lebensentwürfe, ist offensichtlich.<br />

Aber jetzt ist ja alles anders, richtig?<br />

Seit Glee darf doch jeder mitmachen,<br />

egal welche Hautfarbe, welches Genderkonstrukt<br />

oder welche sexuelle Ausrichtung!<br />

Alle werden repräsentiert, alle werden<br />

wahr- und ernstgenommen, vor allem<br />

die weiblichen Charaktere. Und ja, in den<br />

Filmen tummeln sich jetzt immer mehr<br />

Modelle von Weiblichkeit: Migrantinnen,<br />

Lesben, dicke Frauen (nur alt darf man<br />

immer noch nicht sein). Doch hier entsteht<br />

er, der fahle Geschmack, denn diese neuen<br />

Figuren befinden sich stets in der Peripherie<br />

des Films. Vor allem Pitch Perfect, der sich ja<br />

mit seiner Vielfältigkeit brüstet, wartet nur<br />

mit zweidimensionalen Abziehbildern auf,<br />

deren einzige filmische Interaktion die ist,<br />

dass Witze auf ihre Kosten gemacht werden.<br />

Am deutlichsten wird dies an der Figur der<br />

‚Dicken‘, die stets besonders hyperaktiv und<br />

besonders (sexuell) hungrig sein muss. Alles,<br />

was sie sagt und tut, ist eine Anspielung auf<br />

ihren Körper, entweder als verzweifelter<br />

Vertuschungsversuch oder als permanente<br />

Zurschaustellung – eine Flucht nach vorn<br />

sozusagen. Gleiches gilt für die Lesbe, die<br />

in jeder Sekunde nichts weiter ist als das:<br />

eine Lesbe. Oder die Nymphomanin oder die<br />

Migrantin, die vor dumm-rassistischen Klischees<br />

nur so trieft. Was bleibt, ist die ‚normale‘<br />

Frau (weiß, hetera, Mittelstand), die<br />

einzige Figur, die im Fokus der filmischen<br />

Entwicklung mehr sein darf als ein Pappaufsteller<br />

mit zwei Brüsten. Ganz in der Tradition<br />

der männlich determinierten ‚Buddy‘-<br />

und ‚Gross-Out‘-Komödien der 80er Jahre<br />

wie Animal House darf sie mit ihren Schablonenfreundinnen<br />

jetzt auch mal ungezogen<br />

sein. Es wird gekotzt, gepinkelt, gefurzt und<br />

(in Brautkleider) gekackt, was das Zeug hält.<br />

Diese erfrischende Abkehr vom sonst immer<br />

perfekten Sex and the City-Mäuschen macht<br />

Spaß, jedoch ist diese Transgression hin zur<br />

banalen und ekeligen Körperlichkeit nicht<br />

mehr als nur ein kleiner Anfang und dient<br />

oft nur der Übertünchung der Tatsache, dass<br />

nach dem Scheißen doch nur das baldige<br />

Hetero-Beziehungsglück folgt. s<br />

Pitch Perfect<br />

von Jason Moore<br />

US 2012, 112 Minuten, deutsche SF<br />

Universal Pictures,<br />

www.universal-pictures.de<br />

Im Kino ab 20. Dezember 2012,<br />

www.pitchperfectmovie.com<br />

Fundamental<br />

dagegen<br />

von luKaS FoerSTer<br />

noch mehr anti geht kaum. Khavn de la cruz’ ausdrücklich so<br />

bezeichnete nicht-Filme (sein übliches „this is not a film by“<br />

negiert ja in alle Richtungen) passen sich keinem Publikum<br />

und keiner Aufführungspraxis an. Seine Abarbeitung am<br />

philippinischen Kultroman „Mondomanila“ von norman<br />

Wilwayco dauerte neun Jahre, hatte schon diverse clips und<br />

Kurzfilme zur Folge und ist nun mithilfe eines deutschen<br />

Koproduzenten in einem fast konventionellen Spielfilm<br />

gemündet. Der ist zwar inhaltlich und formal eine enorme<br />

Herausforderung, aber unser Autor und Khavn-Kenner ist fast<br />

schon ein wenig enttäuscht.<br />

Mondomanila<br />

von Khavn Dela Cruz<br />

PH/DE 2012, 85 Minuten, OmU<br />

Rapid Eye Movies, www.rapideyemovies.de<br />

Im Kino ab 29. November 2012<br />

RAPiD eYe MoVieS<br />

kino<br />

s Manila als Moloch und Faszinosum, als Objekt der Elendspornografie<br />

und gleichzeitig als spektakulär drapierte Gegenwelt zu westlichen<br />

Vorstellungen von Urbanität, als Ort auch einer wildgewordenen,<br />

sozusagen unaufgeklärt befreiten Sexualiät: Neu ist das alles<br />

nicht, ganz im Gegenteil sprechen einige der größten Klassiker des<br />

philippinischen Kinos von nichts anderem – Ishmael Bernals Manila<br />

by Night for allem, aber auch zum Beispiel Lino Brockas Manila in the<br />

Claws of Light. Khavn de la Cruz liefert mit Mondomanila jetzt das<br />

Update für die web2.0-mashup-Generation.<br />

Unter den jungen und nicht ganz so jungen philippinischen Regisseuren<br />

(und leider eher wenigen Regisseurinnen), die in den letzten<br />

Jahren auf Festivals von sich reden machten, ist Khavn de la Cruz<br />

einer der exaltiertesten, radikalsten. Und mit ziemlicher Sicherheit<br />

der produktivste: 33 Langfilme (alle in den letzten zehn Jahren entstanden)<br />

und noch einmal deutlich mehr Kurzfilme verzeichnet seine<br />

eigene Website. Khavns Filme sträuben sich gegen Narrativierung,<br />

aber auf eine sehr spezifische Art; sie sind stets zuerst Konstellationen:<br />

Verschaltungen von zwei, drei, vier unterschiedlichen Materialien,<br />

die sich an ihren Rändern eher gegeneinander verhärten, als<br />

dass sie ineinander fließen, einen fiktionalen (oder auch nur klassisch<br />

dokumentarischen) Raum entstehen lassen würden. In diesem Sinne<br />

ist Khavn der einzige unter den neuen philippinischen Regisseuren,<br />

der tatsächlich so etwas ähnliches wie post-Cinema macht. Im<br />

Grunde arbeitet er installativ, nur, dass er seine Installationen stur<br />

phasenverschoben verzeitlicht.<br />

Jetzt hat Khavn einen Erzählfilm gedreht. Von den Ordnungsprinzipien<br />

des Narrativen scheint er immer noch nicht viel zu halten,<br />

allerdings bekämpft er sie nicht mehr mit Verweigerung, sondern<br />

mit Übererfüllung, overkill. Viel zu viele Figuren tauchen auf, jede<br />

wird mit einem Steckbrief eingeführt, bzw. vor allem polymorphpervers<br />

positioniert. Dugyot: dauergeil, liebt Gänse; Ungay: verkauft<br />

Kohlen, spritzt ab, wo immer ihm danach ist; Danto: hoffnungslos<br />

romantisch, Piepsstimme, der Vater kann ihm das Schwulsein nicht<br />

austreiben. Dazwischen hingerotzte dokumentarische Miniaturen.<br />

Die gesamte erste halbe Stunde des nur 75 Minuten langen Films<br />

besteht aus einer Exposition, von der man von Anfang an ahnt, dass<br />

sie nicht daran interessiert ist, etwas vorzubereiten. Mondomanila ist<br />

die Verfilmung, vielleicht eher die Zersetzung, eines Romans, angefüllt<br />

mit Fragmenten von Geschichten, die bei jeder Gelegenheit aus<br />

dem Ruder laufen, sich in Zeitrafferaufnahmen und Musikvideosequenzen<br />

auflösen.<br />

„Das Leben hat keinen Sinn, bis der Sinn irgendwann zu leben<br />

beginnt“, heißt es in einem der vielen Lieder auf der Tonspur; man<br />

wird das Gefühl nicht los, dass sich solche Sätze dem dekonstruktivistischen<br />

Zeitgeist allzu widerstandslos andienen. Interessant ist<br />

das Feuerwerk, das Khavn in Mondomanila abbrennt, zwar schon,<br />

spektakulär auch und lustig zumindest dann, wenn „White Boy“ auftaucht,<br />

ein amerikanischer Pädophiler, der in abstruser Imperialistenpose<br />

am Klavier sitzt und über die „jämmerlichen Filipinos“ herzieht,<br />

die nur als Sexsklaven taugten – und die sich natürlich, das ist<br />

einer der stärker ausdefinierten Plots des Films, an ihm rächen werden.<br />

Gleichzeitig aber verkümmert Khavns Fundamentalopposition<br />

gegen das Kinoestablishment tendenziell zur schicken, eingängigen,<br />

popkulturell konnotierten Grafik. Mondomanila sieht, leider Gottes,<br />

wie der Film eines Regisseurs aus, der seinen eigenen, hart erarbeiteten<br />

Kultstatus nicht nur für bare Münze nimmt, sondern diese Münze<br />

auch reinvestiert, als ästhetisches Prinzip.<br />

Es hilft nichts, auch wenn es sich furchtbar cine-elitär anhört:<br />

Mondomanila ist als anarchisch-hypersexualisierter Fremdkörper in<br />

der immer noch gerne qualitätsbeflissenen Arthousekinogegenwart<br />

schon ok, wer jedoch wissen will, was Khavn wirklich drauf hat, der<br />

mache sich lieber auf die Suche nach Filmen wie Squatterpunk, Bahag<br />

Kings, Cameroon Love Story oder vor allem der großartigen Brocka-<br />

Paraphrase Manila in the Fangs of Darkness. s<br />

19


kino kino<br />

20<br />

<strong>dämmerung</strong><br />

von niKolauS PerneczKy<br />

in der surrealen Landschaft der spanischen extremadura erzählen cristina Diz und<br />

Stefan Butzmühlen in ihrem Debütfilm „Sleepless Knights“ vom Aufeinandertreffen<br />

und Aneinander-Vorbeileben einer alten, starren, verpanzerten Dorfbevölkerung und<br />

eines jungen schwulen Paares, das die Jugendarbeitslosigkeit aus den Metropolen<br />

aufs Land getrieben hat. nikolaus Pernetzky hat unterhalb der großen Scheinwerfer<br />

der Massenkultur in diesem Film die Beständigkeit kleiner Lichtquellen entdeckt. Die<br />

Filmemacherin Angela Schanelec, die „Sleepless Knights“ im diesjährigen Berlinale-<br />

Forum gesehen hat, schwärmt über einen Film, in dem vom ersten Bild an alles<br />

möglich ist.<br />

s Die Rückenansicht eines nackten Mannes, vor ihm ein Pferd, das er streichelt. Es ist eine<br />

so finstere Nacht, dass wir, wenn er sich endlich umdreht, sein Gesicht kaum erkennen können<br />

– und ob er geradewegs in die Kamera blickt oder knapp an ihr vorbei. Wen sieht er an?<br />

Und mit wessen Augen schauen wir zurück? Das Rätsel, das die erste Einstellung von Sleepless<br />

Knights, dem Langfilmdebüt von Stefan Butzmühlen und Cristina Diz, aufgibt, wird auch<br />

später nicht regelrecht gelüftet. Einige Male noch sollen sich solche subjektlosen Subjektiven<br />

einschalten, gleich einem katzenlosen Lächeln – wenn nicht irgendwann klar würde, dass es<br />

nichts zu Belächeln gibt an dieser gespenstischen Präsenz, deren Weltverhältnis eher ein Spähen,<br />

Flüchten, Sich-Ängstigen ist als ein neutraler Blick.<br />

Juan, ein junger Polizist aus Madrid, ist in eine kleine Ortschaft in der südwestspanischen<br />

Extremadura versetzt worden, wo er vornehmlich damit befasst ist, illegalen Einwanderern<br />

nachzuspüren. In einer Bar wird er Carlos kennen lernen, der bis vor kurzem ebenfalls noch<br />

in Madrid gelebt hat, aufgrund der im Hintergrund schwelenden Eurokrise aber seinen Unterhalt<br />

nicht mehr aufbringen kann und darum vorübergehend – tatsächlich: auf unbestimmte<br />

Zeit – in sein Heimatdorf zurückgekehrt ist. Ihr Flirt schlägt rasch um in handfeste Liebeshändel,<br />

mit elliptischer Plötzlichkeit fast ganz ohne Anbahnung, so unvorbereitet und ungeschützt<br />

wie auch der Rest von Sleepless Knights sich Bahn brechen wird. Eine einschlägige<br />

Szene: Unmittelbar nachdem sie einander zum ersten Mal begegnet sind, sitzen Juan und<br />

Carlos am Ufer eines Flusses, der so breit ist, dass er als zweiter Himmel durchgeht. Juan<br />

erhebt sich, pinkelt in den vorbeilaufenden Strom und eh er sich’s versieht ist Carlos nackt<br />

und springt, schwups, in die urinangereicherten Fluten: „Kommst du nicht rein?“ Außer dem<br />

Wasser ist jetzt alles klar.<br />

Es gibt einige Szenen, worin Sleepless Knights auf die für Spanien verheerenden Folgen<br />

der Eurokrise Bezug nimmt, meist jedoch indirekt, über die Bande beiläufig hingeworfener<br />

Gesten und Äußerungen gespielt. Noch dort, wo die politische Gegenwart ins Bildzentrum<br />

rückt, bleibt sie ein fernes Echo, etwa in einer frontalen Aufnahme des Fernsehapparats auf<br />

der elterlichen Wohnzimmeranrichte, von dem Bilder der Madrider Massenproteste und die<br />

Selbstdarstellung einer „Indignada“ flimmern. Vor dieser Guckkastenanordnung sitzen Carlos<br />

und sein dementer Vater, in einem der zahlreichen Momente ungerichteter Latenz, die<br />

Sleepless Knights immer wieder in einen leichten Dämmerzustand entrücken. Der nur noch<br />

zur Hälfte in dieser Welt verankerte Vater, sein Oberkörper aus unerfindlichen Gründen mit<br />

einer Plattenrüstung bewehrt, ist im nächsten Augenblick sanft entschlummert.<br />

Eingeleitet durch ein Close-Up, das uns ans selbstverlorene Gesicht des Schlafenden heranführt,<br />

lässt Sleepless Knights seine Primärwirklichkeit hinter sich, und begibt sich in das<br />

halb mythische, halb prosaische Reich sagenumwobener Ritter, die es mit einer von Mauren<br />

besetzten Festung aufnehmen wollen. Äußerlich hat diese Parallelwelt indes weniger mit<br />

mythischer Überhöhung als mit einer bestimmten Tendenz des zeitgenössischen Weltkinos<br />

zu tun – so jedenfalls der erste Eindruck: Die Ritter sind eine Gruppe alter Männer, unvollständig<br />

angetan mit mittelalterlichen Rüstungen – ein lose übergeworfener Brustpanzer<br />

hier, ein schief sitzender Helm da –, die ihnen, auch weil die Alltagsbekleidung noch darun-<br />

eDition SALzGeBeR <strong>glühwürmchen</strong>-<br />

21


kino kino<br />

ter hervorragt, so theatral-äußerlich bleiben wie die Kostüme eines<br />

Straubfilms.<br />

Bei ihrem ersten Auftritt geben sich die phantasmatischen Ritter<br />

wortkarg und undurchdringlich. Eine von vielen langen Einstellungen<br />

sieht ihnen geduldig dabei zu, wie sie, einer nach dem anderen,<br />

einen schmalen Bergpfad entlang wandeln. Auf der Tonspur: das<br />

trippelnd-hypnotische Läuten von Schafsglocken. Später machen sie<br />

vor der Kulisse des inzwischen vertrauten, breit aufgetragenen Flusses<br />

halt. Warum sollte man sich da nicht auch noch die Zeit nehmen,<br />

der Zubereitung eines gefangenen Fisches beizuwohnen? Just als<br />

man meint, sich in einem Film von Lisandro Alonso wiederzufinden,<br />

bekommt der gravitätische Ernst der Sache jedoch erste Risse. Die<br />

Ritter singen, um ein Lagerfeuer versammelt, frivole Lieder, necken<br />

und beschuldigen einander, ihren Auftrag nicht mit dem nötigen<br />

Ernst zu verfolgen, was die allmählich ins Burleske kippende Situation<br />

immer besser beschreibt: Die Ritter als Narren. Obschon hier<br />

bestimmte Klischees des Festivalkinos – etwa die Verschränkung von<br />

filmischer Referenz und theologischer Reverenz – aufgerufen und<br />

listig umgebogen werden, geht die Aneignung nicht so weit, als dass<br />

der Film im Einzelnen nicht doch (auch) in der angezeigten Weise<br />

funktionieren wollte und würde. Weniger Kritik als Umarbeitung,<br />

setzt Sleepless Knights auf unentwegte Verunreinigungen seines an<br />

sich strengen ästhetischen Konzepts.<br />

Auch die Zwei-Reiche-Lehre, nach deren Maßgabe der Film in<br />

zwei ungleichartige und nur bedingt zu vermittelnde Teile zerfällt,<br />

ist dem Fundus des festivalnahen Weltkinos entlehnt – man denke an<br />

Apichatpong Weerasethakuls Tropical Malady oder, um neben dem<br />

wahrscheinlichen Anfangspunkt noch einen rezenten Vertreter dieses<br />

Prinzips anzuführen, Nadav Lapids Policeman. Nicht aus drei,<br />

vier oder fünf Teilen soll ein Film demnach bestehen, sondern lediglich<br />

aus zweien – ein nur scheinbar schlichter Binarismus, den man<br />

durchaus als Absage an die vielgliedrigen Netzwerkerzählungen auffassen<br />

darf, die sich noch bis vor kurzem einzig imstande wähnten,<br />

unsere Gegenwart adäquat abzubilden. Die Reduktion führt nämlich<br />

nicht zu einer Vereinfachung oder Verflachung der Filme, die übrigens<br />

gar nicht mehr daran interessiert sind, eine globalisierte Wirk-<br />

lichkeit abbildlich einzuholen, sondern zu einer Ästhetik der Differenz,<br />

die auf das Uneinholbare zwischen den Bildern zielt. Sleepless<br />

Knights knüpft auch an diese Vorlage nicht in Reinform an, sondern<br />

wiederum im Modus einer irgendwie jovialen Unreinheit – Juan und<br />

Carlos, die in den Fluss der Bilder pinkeln, um dann darin zu baden.<br />

Die beiden Welten, die eine mythisch, aber in ihrer Anmutung<br />

prosaisch, die andere im Grunde realistisch, aber von zum Teil überwältigenden<br />

Naturlyrismen durchzogen, stehen in Sleepless Knights<br />

nicht wie zwei unbehauene Blöcke nebeneinander, vielmehr sind<br />

sie ineinander (auch motivisch) verwoben. Wenn sich doch so etwas<br />

wie eine Schnittmenge, ein Gemeinsames der beiden Erzählhälften<br />

herauskristallisiert, dann in dem Versuch, die verlorene Festung<br />

wieder einzunehmen. Die Strategie der Ritter ist in gewisser Weise<br />

eine direkte Umkehrung des Don Quixote, der mit echten Waffen<br />

gegen imaginäre Feinde antrat. Hier wird im Gegenteil versucht, nur<br />

mit Imagination bewaffnet gegen einen echten Feind zu gewinnen:<br />

Indem sie winzige, batteriebetriebene Lämpchen an einer Herde<br />

Schafe befestigen, so die (auf den Stand der Technik gebrachte) Sage,<br />

erwecken die zahlenmäßig unterlegenen Ritter den Anschein einer<br />

herannahenden Armee, worauf der Feind sich in alle Windesrichtungen<br />

zerstreut. Nur die Alten und Kinder bleiben zurück.<br />

Die illuminierten Schafe, die von den burlesken Rittern in einer<br />

langen, unbewegten Einstellung, derweil es Abend wird, die Anhöhe<br />

zur Maurenfeste hinaufgetrieben werden, nähern sich mit jedem<br />

Schritt, den sie sich von uns entfernen, mehr einer Glühwürmchenkolonie<br />

an, bis nur noch ein leuchtschwaches Schillern auszumachen ist.<br />

Ankommen tun sie, zumindest was den Film betrifft, nie. Den Glühwürmchen,<br />

oder vielmehr ihrem Verschwinden, hat Pier Paolo Pasolini<br />

in den 1970er Jahren einen Aufsatz gewidmet, worin ihr kaum<br />

wahrnehmbares, hundertfaches Leuchten zur Metapher für den<br />

gesellschaftlichen Anteil der Anteillosen wurde, der – auch das ist in<br />

dem Bild mitgemeint – nur in dem Maß politisch wirksam sein kann,<br />

wie er es als ästhetischer ist. Und genau diese marginale Leuchtkraft<br />

sah Pasolini bedroht, durch den Aufstieg der Massenkultur, gegen<br />

deren alles ausleuchtenden „Scheinwerfer“ (G. Didi-Huberman) die<br />

Glühwürmchen nichts mehr auszurichten vermögen.<br />

Der Kampf der Glühwürmchen gegen die Befestigungsanlage<br />

wird in Sleepless Knights zur bezugreichen Allegorie eines neuen,<br />

hinter Grenzzäunen und Sachzwängen verschanzten Europa. Erst<br />

wenn man das verstanden hat, werden die eingangs erwähnten<br />

subjektlosen Subjektiven zuordenbar, welche die Liebesgeschichte<br />

der beiden jungen Männer diesseits des Mythos in unregelmäßigen<br />

Abständen durchkreuzen: Der fliehende, angstvolle Blick könnte<br />

einem jener Flüchtlinge gehören, die dingfest zu machen Juans Beruf<br />

ist. Gegen Ende des Films gibt es eine – in jeder Hinsicht unterdeterminierte<br />

– Ansicht, die auch deshalb so rätselhaft ist, weil sie ziemlich<br />

genau zwischen die Extreme der Pasolinischen Metaphorik fällt: Eine<br />

völlig leere Diskothek, erhellt von wild herumwirbelnden Lichtpunkten.<br />

Obwohl den vorprogrammierten Routinen der Lichtmaschine<br />

jedes erratische Moment abgeht, ist in dem Flackernden, Unsteten<br />

des immer nur teilweise erleuchteten Raums ein Rest von der Utopie<br />

der Glühwürmchen noch enthalten – und sei es als deren maschinelle<br />

Objektivierung.<br />

Es ist kein Zufall, dass das vorletzte Bild von Sleepless Knights<br />

dem Licht eines Autoscheinwerfers folgt, der über eine staubige<br />

Landstraße gleitet, auf der Suche nach Carlos’ dementem Vater, der<br />

ausgebüxt ist oder vielleicht sogar in die Parallelwelt der Ritter sich<br />

verflüchtigt hat. Und es ist kein Wunder, dass im Schein jenes grellen<br />

Lichts jede Spur von ihm fehlt. s<br />

Sleepless Knights<br />

von Stefan Butzmühlen und Cristina Diz<br />

DE 2012, 85 Minuten, spanische OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino ab 3. Januar 2013,<br />

www.sleeplessknights-film.de<br />

Alles ist wahr<br />

von Angela Schanelec<br />

s Sleepless Knights beginnt mit einer Einstellung bei<br />

Nacht, in der Dunkelheit erkennt man ein Pferd und<br />

davor den nackten Körper eines Mannes. Das Bild ist von<br />

merkwürdiger Reinheit und Einfachheit. Ich dachte, dass<br />

jetzt alles möglich ist, aber nichts passieren wird, was<br />

sich nicht aus sich heraus ergibt.<br />

Butzmühlen und Diz inszenieren ihre Darsteller wie<br />

Menschen, die schon längst existieren, nur wussten wir<br />

nichts von ihnen. Der Raum und die Zeit, die sie ihnen<br />

geben, ist bemessen von einem freien und völlig unvoreingenommenen<br />

Blick. Was für die Figuren gilt, gilt auch<br />

für die Landschaften und Orte, alles findet seinen Ausdruck<br />

und damit seine Bestimmung. Dadurch hat man<br />

das Gefühl: Alles ist wahr.<br />

Erlöst vom Bedürfnis nach Erklärungen sieht und<br />

hört man zu. Es sind die ungeheuerlichsten Dinge, die<br />

man erfährt. Mit Selbstverständlichkeit folgt man dem<br />

Geschehen, nicht, weil sich die Ungeheuerlichkeit im<br />

Fiktiven verwischt, sondern weil sie eben nicht mehr<br />

zu leugnen ist. Man sieht zu und glaubt daran, dass sich<br />

Liebe wirklich ereignet, wie in der Begegnung zwischen<br />

Carlos und Juan, dass alte Männer sich über Hemd und<br />

Hose Rüstungen ziehen, in denen sie eins werden mit der<br />

Welt, und dass, wer verloren geht, gesucht und irgendwie<br />

auch gefunden werden wird. s<br />

Angela Schanelec ist Filmemacherin, Drehbuchautorin<br />

und Schauspielerin. Zuletzt produzierte sie „Nachmittag“<br />

(2007) „Deutschland 09“ – Episode „Erster Tag“ (2009)<br />

und „Orly“ (2010).<br />

22 23<br />

eDition SALzGeBeR (3)


profil<br />

IcH WEISS nIcHt,<br />

WAS IcH DREHE<br />

inTervieW: enrico iPPoliTo und Jan Künemund<br />

Rosa wird am 25. november 70. Deswegen hat er jetzt 70 neue Filme gedreht, die man gerade in Kinos, auf DVD und im<br />

Fernsehen sehen kann, Miniaturen, dokumentarische Porträts, Gedichtverfilmungen, Pornos. in Berlin gibt es außerdem die große<br />

Ausstellung „Rosen haben Dornen“ und ein neues Buch ist auch erschienen, titel: „ein Penis stirbt immer zuletzt.“<br />

Mehr geht eigentlich nicht. zeit für ein 2½-stündiges interview hat Rosa trotzdem noch.<br />

RoSA Von PRAUnHeiM<br />

s Oliver, der Freund, lässt uns in die Wilmersdorfer Wohn- und<br />

Arbeitshöhle. Rosa verspätet sich und bringt Kuchen mit. Wie erwartet<br />

erst mal Fragen zu unserem Sexualleben und ethnischem Hintergrund.<br />

Nachdem das überstanden ist, wird es direkt herzlich und<br />

sehr offen. Die Waschmaschine läuft, und irgendwo in den hinteren<br />

Zimmern arbeiten Mitarbeiter gerade daran, 70 Filme für die digitale<br />

Kinoauswertung vorzubereiten.<br />

sissy: Sind die 70 Filme schon fertig?<br />

Rosa von Praunheim: Ja. Nur noch Postproduktion.<br />

Sind eigentlich alle deine Filme verfügbar? Könnten wir „Schwestern<br />

der Revolution“ jetzt kaufen?<br />

Soweit ich weiß, ja. Die sind alle digital aufgearbeitet. Mit Avid kann<br />

man Farbe und Ton wunderbar glänzend machen. Mit Filmemachen<br />

kann man aber kein Geld verdienen. Das ist höchstens ein Zusatzgeschäft.<br />

Eine harte Angelegenheit. Und für junge Filmemacher ist es<br />

fast unmöglich. Ich habe ja fünf oder sechs Jahre unterrichtet und die<br />

Stundenten haben es sehr schwer.<br />

Wieso?<br />

Die Schwulen gehen nicht mehr ins Kino und das DVD-Geschäft<br />

scheint ja auch vom Internet abgelöst zu werden. Mein Freund meint<br />

immer, das dauert noch, aber in den USA ist das ja schon zu merken.<br />

Insofern bewundere ich jeden, der sich im Geschäft hält. Das ist nämlich<br />

wirklich hart.<br />

Ich glaube, die Schwulen sind auch eher an Erotik interessiert. Da<br />

ist aber auch viel Beschiss. Da siehst du ein Cover und denkst, da ist<br />

irgendwas drin und dann guckst du im Schnelldurchlauf und siehst:<br />

Da ist ja gar nichts drin. In großen Geschäften darfst du ja was mit<br />

Sex nicht vertreiben.<br />

Du hast lange unterrichtet und Axel Ranisch war ein Schüler von dir.<br />

Freust du sich, dass er mit „Dicke Mädchen“ einen sehr erfolgreichen<br />

Film gedreht hat?<br />

Ja, aber Axel hat ja auch schon unglaublich viele Filme gedreht mit<br />

seinen jungen Jahren. Wunderbare Sachen. Ich verehre den sehr, weil<br />

er eigentlich in meinem Stil arbeitet. Wir haben ihn mit 20 Jahren<br />

aufgenommen in der Schule und der war wirklich wie so ein junger<br />

Mozart. Menschlich unheimlich toll, unheimlich warmherzig. Der<br />

ist ja so ein Fässchen. Alle Heterojungs und Mädchen haben an seinen<br />

Titten gesaugt. Und er war sehr produktiv, sehr politisch und hat<br />

Filme gegen Nazis gemacht – so Parodien. Er war immer sehr witzig.<br />

Ich habe mal eine Werkschau mit Filmen deiner Studenten gesehen,<br />

da sahen die Filme auch nicht anders aus: viel Effekte, nichts Eigenes.<br />

Viele haben versucht, sich pubertär von dir abzusetzen. Liegt das an<br />

dem starren Filmhochschul-System?<br />

Man soll das ja nicht beeinflussen. Es war nicht so, dass ich denen<br />

vorgeschrieben habe, was sie für Filme machen sollen. Die sollen<br />

sich ausprobieren und wenn sie die Gelegenheit haben, einen Film zu<br />

machen, möchten sie ihn gerne groß machen. Am besten ein Musical<br />

im Atelier mit vielen Darstellern und das versuchte ich immer zu verbieten.<br />

Verbieten ist aber auch doof. Dann müssen sie halt manchmal<br />

auch auf die Schnauze fallen, weil das dann eben eine Nummer zu<br />

groß ist – rein von der Organisation.<br />

Und was kann man als Lehrer dagegen machen?<br />

Du kannst da nur beraten, sie sollen ja auch störrisch sein und machen,<br />

was sie wollen. Ich denke aber, dass ich viele Anregungen gegeben<br />

habe, wie man es auch anders machen kann. Ich weiß nicht mehr, was<br />

wir genau gezeigt haben im Babylon, aber die Filme waren bestimmt<br />

sehr unterschiedlich, es sind ja auch unterschiedliche Talente. Und<br />

du freust dich als Lehrer überhaupt, wenn was fertig wird und sie es<br />

schaffen. Und du freust dich auch über jeden, der ein wenig Fantasie<br />

hat und irgendwie was Eigenes macht. Du kannst nur anregen. Talent<br />

gibt es relativ wenig – das ist halt so. Und kommerziell durchsetzen<br />

wird sich höchstens einer von zehn. Das ist halt ein Beruf, der sehr,<br />

sehr schwer ist. Wie alle künstlerischen Berufe.<br />

Findest du die Hochschulpolitik, so wie sie ist, richtig?<br />

Nein, ich habe mich wahnsinnig mit denen angelegt. Es war ja auch<br />

sehr lustig, wie ich aufgenommen wurde. Du wirst als Professor<br />

gefragt, ob du dich bewerben willst. Dann wurde ich ins Stalin-Haus<br />

eingeladen. Das war damals noch auf 20 Villen verteilt, die HFF in<br />

Potsdam. Da waren so vier seriöse Kandidaten. Und ich bin ja antiakademisch<br />

und drei mal sitzen geblieben. Dann habe ich zwei Koffer<br />

dabei gehabt mit so Glamour-Kostümen und die Professoren, die<br />

zusahen und beurteilten, erst mal angezogen – damit sie besser aussehen.<br />

Dann habe ich einen Film gezeigt. 1979 habe ich in San Francisco<br />

unterrichtet, und da hatte ich einen Film zum Thema Homosexualität<br />

gedreht. Ich hatte einen Pornostar gemietet, der vor den Studenten<br />

Sex mit mir gemacht hat. Und die wurden dann danach benotet, wie<br />

sie uns dabei gefilmt haben.<br />

Mussten sich die Studierenden auch ausziehen?<br />

Nee, nee. Einige hatten dann was abgelegt, aber das war nicht Pflicht.<br />

Das gab einen Riesenskandal in der Schule, weil einer sich beschwert<br />

hatte, der eine schlechte Note bekam. Dieses Video hatte ich denen<br />

an der HFF vorgeführt und gesagt, dass seien meine ersten pädagogischen<br />

Erfahrungen gewesen. Und dann habe ich einen zweiten Film<br />

gezeigt und gesagt, dass ich den in Rio de Janeiro gedreht hätte, mit<br />

Esther Schweins und weiß nicht mehr wem, und da waren lauter Szenen<br />

drin mit Vergewaltigungen und Schießereien. Der Film war gar<br />

nicht von mir, ich hatte den gerade von Sat1 aufgenommen. Und dann<br />

hab ich gesagt: Das erste, was ich machen würde beim Unterricht mit<br />

den Studenten, wären Schießübungen. Ist ja wichtig für Krimis. Und<br />

das Zweitwichtigste für Regisseure und Regisseurinnen ist zu lernen,<br />

wie man Frauen misshandelt. Das ist ja auch im kommerziellen<br />

Sinn sehr, sehr wichtig. Über mehrere Werbepausen hinweg, wie man<br />

Frauen Treppen hochjagt mit dem Bein durch die Tür und so weiter.<br />

Da lagen die erst mal alle vor Lachen auf dem Boden und dann habe<br />

ich das Licht ausgemacht und die hypnotisiert. Und nach einem halben<br />

Jahr wurde ich dann Professor.<br />

Was passierte, nachdem du die Professur angenommen hattest?<br />

Dann habe ich mich sehr schlecht benommen. Ich hab so große Plakate<br />

in die Halle gehängt und die anderen Professoren beschimpft,<br />

dass sie im Grunde genommen nichts machen würden. Und sich nicht<br />

kümmern. Ich habe also versucht, die Studenten aufzuhetzen, dass sie<br />

ihre eigenen Interessen vertreten und sich nicht alles gefallen lassen,<br />

sondern sagen, was sie verändert haben wollen. Nun sind aber Studenten<br />

sehr konservativ heutzutage. Mit der Zeit merkte ich, dass du<br />

in diesen eingefahrenen, verbeamteten Strukturen nur klarkommst,<br />

wenn du selber was machst. Deshalb war es gut, dass ich so spät Professor<br />

geworden bin, denn die anderen hörten sofort mit dem Filmemachen<br />

auf – und waren nicht mehr in der Praxis. Das ist die große<br />

Gefahr.<br />

Und die Studierenden?<br />

Die sind natürlich gut bürgerlich und verwöhnt. Auch die osteuropäischen,<br />

was mich erstaunt hat. Also, da hat jemand aus einem armen<br />

Land die Möglichkeit zu studieren und ist noch nicht mal besonders<br />

motiviert! Das hat mich immer sehr geärgert. Da nehmen die jemandem<br />

den Studienplatz weg, der vielleicht ganz hungrig ist und ganz<br />

wenig Möglichkeiten hat.<br />

Wieso wenig Möglichkeiten?<br />

Aufgenommen zu werden, ist ganz, ganz schwer. Und wenn sie einmal<br />

drauf sind, dann können sie fast auch gar nicht mehr runtergeschmissen<br />

werden. Und das ist eigentlich der Fehler, denn sie müssten<br />

immer Prüfungen ablegen und auch runtergeschmissen werden<br />

können. Das Studium ist so teuer. Du musst Handwerk lernen und das<br />

wird da nicht gelernt. Die können noch nicht mal gute Regieassistenten<br />

werden bei irgendeiner Produktion – dafür können sie zu wenig.<br />

Und das ist eigentlich wichtig, denn Regie werden nur wenige machen<br />

können, aber sie müssen in der Praxis hinterher Geld verdienen. Da<br />

ist im Grunde genommen jeder Medienlehrgang besser. Die Begabten<br />

24 25<br />

profil


profil<br />

setzen sich mit oder ohne Schule durch – denke ich. Und dann haben<br />

viele diese Illusion …<br />

Welche?<br />

Reich und berühmt zu werden. Die wollen alle eine große Familie,<br />

viel Geld, großen Erfolg, am liebsten mit Actionfilmen. Ganz süß<br />

eigentlich. Ganz naiv.<br />

Wie hebelst du das dann aus?<br />

Ich versuche, denen ganz realistisch zu sagen, dass der Beruf des<br />

Regisseurs ein Weg in die Armut ist. Und dass nur einer von zehn es<br />

kommerziell schaffen wird. Dass so ein bürgerliches Leben den meisten<br />

nicht gelingen wird, sondern ein Leben voller Entbehrungen.<br />

Wie hast du dich denn eigentlich etablieren können? Du hattest ja<br />

immer Sender, bei denen du was machen konntest.<br />

Naja, nicht von vorneherein. Die ersten drei Kurzfilme habe ich selbst<br />

produziert und konnte sie dann verkaufen. Mit den Fernsehgeldern<br />

konnte ich dann weitermachen. Aber ich habe bis auf ganz wenige<br />

Filme immer selbst produziert.<br />

Gab es denn ein Netzwerk von Leuten, die deine Arbeit unterstützt<br />

haben?<br />

Nein. Nee. Ich bin ja beeinflusst vom Umfeld des amerikanischen<br />

Undergrounds, zu der Zeit, als die 16mm-Kameras aufkamen. Das war<br />

in den 60er-Jahren. Da hattest du diese Bewegung. Ich war immer<br />

von der Beat-Generation beeinflusst. Von Allen Ginsberg, vor allem<br />

von William Seward Burroughs. Das waren meine Helden. Dann Pop-<br />

Art, deutscher Expressionismus, deutscher Stummfilm. Das waren<br />

so die Einflüsse. 1967 habe ich den ersten Film gemacht, hatte aber<br />

schon vorher ein Buch mit Gedichten und Zeichnungen veröffentlicht.<br />

Und dann habe ich halt meinen ersten Kurzfilm gemacht mit<br />

einer stummen Beaulieu-16mm-Kamera. Aber die Bolex-Kamera, die<br />

man aufziehen musste, das war die Standard-Kamera der amerikanischen<br />

Underground-Filme.<br />

Welche Underground-Filme waren das denn?<br />

Da war Jack Smith, Andy Warhol und vor allem Gregory Markopoulos,<br />

den ich ungeheuer verehrt habe und bei dem ich auch assistiert habe.<br />

Der ist ja mittlerweile völlig unbekannt.<br />

Es gibt nur so einige Museen, die was gesammelt haben. Damals hattest<br />

du viel mehr Kunstbegeisterte. Zu meiner Zeit gab es ein größeres<br />

Interesse an neuen künstlerischen Formen.<br />

Woher kam das Interesse?<br />

Das war studentisches Publikum. Ich habe 1968 Filme gezeigt, in<br />

einem Filmkunsttheater, was jetzt das Gripstheater ist. Da standen<br />

die Leute bis zum Ku’damm im Dezember Schlange und haben Filme<br />

von mir und Schroeter gesehen. Das waren Events. Man hat nachts<br />

in irgendwelchen Fabriken Filme gezeigt. Diese Events waren neu<br />

und begehrt. Das sprach sich schnell herum, weil die Filme ungewöhnlich<br />

waren, witzig, politische Parodien. Aber man redet immer<br />

nur von 1966, da wurde ja die Deutsche Film- und Fernsehakademie<br />

hier gegründet. Das waren alles sehr humorlose, linke Schwarzweiß-<br />

Filme. Sag ich mal so. Die halt so im Trend der marxistischen Linken<br />

lagen.<br />

Ende der 60er wurden da doch kaum Filme gemacht?<br />

Doch, doch. Es waren so Filme über die politische Diskussion. Man<br />

filmte Diskussionen mit – mit schlechtem Ton und Bild. Gerd Conradt<br />

hat seinen Film Die Rote Fahne oder so gemacht, wo er mit der roten<br />

Fahne durch die Stadt zieht. Das ist so ein Kultfilm. Und dann Harun<br />

Farocki mit seiner Maobibel. Es gab so einen Gruppendruck. Man<br />

musste sehr politisch sein, sonst war man Kuchenfilmer.<br />

Kuchenfilmer?<br />

Ja, das war so eine Bezeichnung für Leute, die nicht politisch waren.<br />

Also wie das heutige Popkorn-Kino.<br />

Ja, die Geschichten erzählen wollten und an Ästhetik interessiert<br />

waren, nicht an politischer Propaganda. Die wurden verachtet. Dann<br />

gab es diese kleinen Underground-Sachen, die Ottinger und den<br />

Lambert. Zu meiner Zeit gab es dann Schroeter, den ich nach Berlin<br />

26<br />

brachte. Er assistierte mir und ich später ihm. Und dann gab es … Wen<br />

gab es denn noch? Die Hamburger Filmschau, die sehr wichtig war<br />

für neue experimentelle Sachen.<br />

Wie prüde war Deutschland damals?<br />

Naja, die 68er waren auch eine sexuelle Revolution. Die Frauenbewegung,<br />

Helma Sanders und so weiter. Die Linke war prüde, die<br />

Frauen unterdrückt, Schwule nicht anerkannt. Aber sexuelle Revolution,<br />

Kommune 1 und so – das waren ja die Anfänge. Das spielte<br />

eigentlich alles zusammen. Und dann kam ich mit dem schwulen<br />

Film und hatte schon mit Schwestern der Revolution die Frauenbewegung<br />

fiktiv mit den Schwulen zusammengebracht. Das war halt<br />

so die Zeit. Die ging so bis in die Achtziger Jahre, bis der deutsche<br />

Film starr wurde.<br />

Starr im Sinne von hetero?<br />

Naja, auch dieser Kunstanspruch hat sich verfestigt und wurde uninteressant,<br />

langweilig. Wir hatten ja in dem Sinne keine konventionelle<br />

Dramaturgie – die Münchener schon eher. Und das Publikum<br />

war nicht so interessiert. Und dann kamen so Mitte der Achtziger die<br />

deutschen Komödien. Das war ein Trend, da gab es dann Publikum.<br />

Was waren das für Filme?<br />

Das fing sicher an mit May Spils, in München, auch schon früher. Hier<br />

war das Detlef Buck zum Beispiel. Es gab fünf, sechs große Komödien-Trends,<br />

die den neuen deutschen Film auf eine neue kommerzielle<br />

Ebene gebracht haben. Das war der Anfang. Man lernte wieder,<br />

Drehbuch zu schreiben und zu unterhalten und wie man ein Publikum<br />

kriegt.<br />

Der Filmwissenschaftler Richard Dyer gibt dir in „Now you see it“, seiner<br />

schwullesbischen Filmgeschichte bis 1990, fast ein ganzes Kapitel.<br />

Er nennt deine Filme „Konfrontationsfilme“, die sich geweigert hätten,<br />

nette, freundliche Schwule zu zeigen, wie es damals angesagt war,<br />

um den üblichen homophoben Bildern etwas entgegenzusetzen. Brav<br />

gefilmt, niederschwellig, konventionell – und dann tauchst du auf mit<br />

dem Homosexuellenfilm, der ja inhaltlich und formal sehr verrückt ist …<br />

Theatralisch ist der.<br />

Aber woher kam das Konfrontative – auch der eigenen Szene gegenüber?<br />

Oder anders gefragt, wie bist du auf diese formalen Verrücktheiten<br />

gekommen? Du hast ja darin Essay, Dokumentarfilm, Spielfilm,<br />

Pamphlet und alles mögliche miteinander vermischt.<br />

Ich hatte das Glück, dass ich keine Ausbildung hatte. Und ich habe<br />

mich nicht konventionell an Vorbilder gehalten, sondern alles praktisch<br />

selbst erfunden. Zum Teil aus der Not heraus, eben mit dieser<br />

stummen Kamera. Ich habe ja auch den Homosexuellenfilm stumm<br />

gedreht, und erst hinterher den Ton draufgemacht. Auch aus politischen<br />

Gründen. Das Subversive kam hinterher, nachdem der<br />

Film schon abgedreht war. Das war eine interessante künstlerische<br />

Methode. Ich kam ja aus der Malerei und habe die Kamera selbst<br />

gemacht. Ich hatte eine sehr spezielle Art, wie ich Bilder gesehen<br />

habe und konnte mich dann ganz auf diese Bilder konzentrieren – und<br />

hinterher den Ton erfinden, der mir passte. Wenn man mit Ton dreht,<br />

ist man halt sehr abhängig. Ich bin dahin gerade wieder zurückgekehrt<br />

bei den sieben Spielfilmen im 70-Filme-Projekt. Bin zurückgekehrt<br />

zu dieser experimentellen Methode, schreibe keine Drehbücher<br />

mehr. Ich sag ja immer, nicht ich mach die Filme, sondern die machen<br />

mich. Ich weiß nicht, was ich drehe.<br />

Wieso bist du zum experimentellen Kino zurückgekehrt?<br />

Weil ich heute keine Chance mehr habe, Spielfilme zu machen. Es<br />

gibt zwar noch Newcomer-Redaktionen wie das Kleine Fernsehspiel,<br />

aber sonst eben nur die 20.15-Uhr-Schiene. Die ist dermaßen restriktiv<br />

kommerziell ausgerichtet, die würden mich nie für einen Krimi,<br />

das sind ja hauptsächlich Krimis dort, engagieren, weil meine Welt<br />

zu verrückt ist. Und dann ist es ganz normal, dass man fragt: Wieso<br />

soll ich mich anpassen? Dann mach ich doch lieber ganz radikal, was<br />

mir wirklich Spaß macht. Und ich mach dann innerhalb von wenigen<br />

Tagen einen Spielfilm, mit Leuten, die fantasievoll sind. Und hab<br />

profil<br />

einen wahnsinnigen Spaß und eine Befriedigung daran, mit tollen<br />

Leuten was zu machen, was ganz ich bin. Ohne daran zu denken, ob<br />

das jemals gezeigt wird. Ich denke aber, dass man sich durchsetzt,<br />

wenn man konsequent ist – oder halt auch nicht. Das ist mir egal.<br />

Dokumentarfilm ist der einzige Bereich, in dem ich akzeptiert werde<br />

und mich durchgesetzt habe. Auch bei Redaktionen. Wo ich auch<br />

Erfolg habe und mich nicht anzupassen brauche.<br />

Hast du eigentlich Homophobie oder Restriktionen in Sendern erlebt?<br />

Ja, aber nur von Schwulen und Lesben. Das ist das Traurige.<br />

In welcher Art?<br />

Es gab Leute, die versucht haben, meine Filme zu verhindern. Und das<br />

waren meistens die ungeouteten Schwulen und Lesben. Zum Beispiel<br />

Bettina Böttinger, die gerade von Harald Schmidt geoutet worden war.<br />

Die hatte mich eingeladen in ihre Sendung. Es war schon alles fertig,<br />

die Trailer und so weiter. Dann sagte ich, dass ich sie aber vorher sprechen<br />

wollte. Ich sagte ihr, ich würde gerne auf das Outing von Schmidt<br />

eingehen. Das wollte sie auf gar keinen Fall. Ich sagte, das kann man<br />

doch charmant machen und ich würde sonst in der Sendung jedes Mal<br />

nachfragen und das wäre doch doof. Dann hat sie drei Stunden später<br />

angerufen und mich ausgeladen. Ich könnte auch Geschichten von<br />

heute erzählen, aber die würden mir schaden. Wenn ich weiß, da ist<br />

ein schwuler Redakteur, denke ich mir, hab acht, hab acht. Da wird<br />

nichts draus. Und selbst der rechte CDU-Redakteur hilft dir.<br />

Und das ist heute noch so, weil die Leute Angst haben?<br />

Das ist psychisch. Denn die Leute wissen ja, dass jemand schwul ist.<br />

Das ist immer das selbe Ding, dass es alle um dich herum wissen und<br />

nur du glaubst, dass sie es nicht wissen. Das ist ja das Blöde. Außerdem<br />

haben Schwule und Lesben eine ganz eigenen Vorstellung, wie<br />

Homosexuelle dargestellt werden müssen, und das ist meisten kurios.<br />

Wie denn?<br />

Das ist von persönlichen Sachen abhängig, wie man das gerade so<br />

sieht. Ich bin ja ein Erzengel geworden, weil meine Darstellung vielen<br />

nicht gefallen hat. Es war zu offensiv, zu politisch. Ich war sicher auch<br />

nicht immer toll.<br />

Du hast unter anderem Hape Kerkeling geoutet und bist so zur Hassfigur<br />

der Nation geworden.<br />

Das war mein Prinzip. Ich wusste natürlich, dass sich alle Feindschaft<br />

auf mich richten wird. Da dachte ich, um der Sache willen wäre es<br />

doch ganz schön. Ich war wütend auf die Schwulenszene, wie spießig<br />

die war und wie unpolitisch.<br />

Hast du dein Ziel erreicht?<br />

Ich glaube, dass der Journalismus sich entscheidend verändert hat.<br />

Das kann man nachweisen. Vorher wurden Schwule nur problematisiert.<br />

Es wurde nur über sie berichtet, wenn sie Mordopfer waren oder<br />

wenn Prominente an Aids gestorben sind. Und das ist jetzt anders. Ich<br />

denke, das hat meine Outing-Serie angestoßen.<br />

Bist du denn immer noch für ein radikales Outing von Prominenten?<br />

In meinem Herzen ja, besonders bei der Kirche. Aber ich bin jetzt alt,<br />

moderat und friedlich geworden.<br />

Du machst mittlerweile hauptsächlich dokumentarische Porträts. Wie<br />

ist da deine Methode, wie gehst du in ein Interview rein?<br />

Das habt ihr ja erlebt.<br />

Also mit provokanten Fragen.<br />

Nicht unbedingt provokativ. Ich habe aber gelernt, dass es so ein paar<br />

Tricks gibt. Schule des Journalismus. Das kommt sehr auf die Körperhaltung<br />

an. Du musst dem das Gefühl geben, dass du ihn magst. Und<br />

ich mag den Neonazi genauso wie den Kardinal. Ich verliebe mich<br />

in meine Interviewpartner – automatisch. Und auch direkte Fragen<br />

werden immer beantwortet, man muss sich trauen, direkt und spontan<br />

zu fragen.<br />

Du hast ja eine Ochsentour durch alle deutschen Talkshows hinter dir.<br />

Gab es einen Moment, wo Leute was aus dir rausbekommen haben?<br />

Hast du jemals die Kontrolle verloren?<br />

Es gab Versuche.<br />

27


profil<br />

Einer der „70 Filme“: „Ein schöner Akrobat“<br />

Es wirkt ja so, als ob du schon alles über dich<br />

erzählt hättest. Sogar deine Wohnung kennt<br />

man aus den Filmen. Hast du überhaupt noch<br />

Geheimnisse?<br />

Ich nehme auf meinen Freund Rücksicht.<br />

Er möchte nicht, dass ich über bestimmte<br />

Sachen rede. Und das ist sicherlich was<br />

Neues, weil ich sonst alles immer ausplaudere.<br />

Gerade über mein Sexleben. Ich<br />

schreibe ja auch jeden Tag Tagebuch.<br />

Wie schreibst du Tagebuch? Sind das Notizen<br />

oder richtige Einträge?<br />

Wie in Rosas Rache.<br />

Also selbst die Tagebücher sind öffentlich.<br />

In Ausschnitten. Seit siebzehn Jahren führe<br />

ich Tagebuch. Inzwischen auch am Computer.<br />

Ich habe aber ein kleines Buch, wo ich<br />

Stichworte handschriftlich hineinschreibe.<br />

Das ist sehr spannend, weil diese knappe<br />

Form sehr aufregend ist, wenn man das liest.<br />

Wenn ich im Internet so rumschwafle, ist das<br />

eher langweilig.<br />

Gehst du eigentlich ins Kino?<br />

Ja. Viel. Gerne. Sehr gern.<br />

Gibt es im queeren Bereich gerade etwas Aufregendes<br />

für dich?<br />

Gerade? Weiß ich nicht. Aber grundsätzlich<br />

gibt es ganz wunderbare Sachen. Tarnation<br />

zum Beispiel. Dann finde ich auch Shortbus<br />

toll, auch die Arbeitsweise – wie er mit denen<br />

gearbeitet hat. Das habe ich jetzt auch in New<br />

York Sisters gemacht, der auch zu den 70 Filmen<br />

gehört. Es gibt viele tolle Filme, aber<br />

einige gehen unter. Kino macht mir Spaß, das<br />

ist ja auch was für ältere Leute.<br />

Ist das queere Kino rückständig? Oder spießig?<br />

Nee, ich glaube, dass Kino grundsätzlich vorbei<br />

ist.<br />

Könntest du dir ein Filmemachen denken, das<br />

auf das Kino als Ort verzichtet? Steckt darin<br />

vielleicht sogar ein kreatives Potenzial?<br />

28<br />

In allem steckt Potential. Hat aber Vor- und<br />

Nachteile. Es ist doch spannend, wie die<br />

jungen Leute mit dem Kino umgehen. Wo<br />

das aber noch nicht angekommen ist, ist die<br />

Filmschule. Die Leute haben keine Geduld<br />

mehr. Länger als 20 Minuten ist nicht mehr.<br />

Gibt es einen Film, auf den du besonders stolz<br />

bist?<br />

Nee. Ich bin auf überhaupt nichts stolz, weil<br />

ich so ein schlechtes Gedächtnis habe. Ich<br />

kann mich an mich selbst oft gar nicht mehr<br />

erinnern.<br />

Schaust du dir deine Filme nicht an?<br />

Nein. Das ist mir so fremd, weil ich in der<br />

Gegenwart lebe und so viel gleichzeitig<br />

mache. Wenn ein Film vorbei ist, kommt<br />

der nächste. Dann habe ich alles andere vergessen.<br />

Ich arbeite viel, aber ich habe keine<br />

große Einbildung. Es gibt so viele tolle Leute.<br />

Es ist halt ein ständiger Kampf. Ich konnte ja<br />

keine Reichtümer erwerben, insofern hoffe<br />

ich, dass ich die Miete von einem Projekt<br />

zum anderen bezahlen und die Leute hier<br />

halten kann.<br />

Wenn eine Kinemathek nur einen Film von<br />

jedem Regisseur archivieren wollen und dich<br />

fragen würde – welchen würdest du wählen?<br />

Sehr schwierige Frage. Ich finde den Film<br />

von Elfi Mikesch über mich sehr schön, der<br />

heißt Ich bin ein Gedicht, wo sich mich als<br />

Dichter und Maler beschreibt. Der gefällt<br />

mir sehr gut, weil ich mich als einen großen<br />

Dichter und Maler sehe – unentdeckt. Meine<br />

eigenen Sachen kann ich schwer beurteilen.<br />

Viele junge Leute entdecken die Bettwurst<br />

immer wieder neu. Auch den Homosexuellen<br />

auf eine Weise.<br />

Und „Überleben in New York“?<br />

Eher weniger. Das war ein kommerzieller Hit.<br />

Ich wollte immer einen schwul-lesbischen<br />

Friedhof machen, wo ich in den Grabsteinen<br />

so Monitore habe. Und da würde ich gerne<br />

RoSA Von PRAUnHeiM<br />

meine Filme zeigen. Das ist aber alles so egal.<br />

Ich versuche, in der Gegenwart zu leben. Und<br />

Zukunft ist in meinem Alter etwas Beunruhigendes,<br />

weil du immer mitkriegst, wie es<br />

anderen Leuten geht. Und deswegen froh bist,<br />

dass du noch einigermaßen gehen kannst.<br />

Und solange ich noch Lust habe, mache ich<br />

weiter. Aber das kann sich ja ganz schnell<br />

ändern. Das haben wir auch durch Aids bei<br />

den Jungen gesehen. Auch bei älteren Menschen,<br />

die plötzlich aus einer Vitalität rausgerissen<br />

werden. Deswegen ist es Quatsch. Ich<br />

habe Angst vor Filmen wie Hanekes Liebe.<br />

Eine Viertelstunde zu sehen, wie jemand<br />

gewindelt wird, das will ich nicht.<br />

Aber du hast doch damals auch den kontroversen<br />

„Todesmagazin“ gedreht, als Protest<br />

gegen die mediale Tabuisierung des Todes …<br />

Ja, als junger Mensch. Als junger Mensch<br />

konnte ich unglaublich gut mit Alter und Tod<br />

und Sterben umgehen, weil es mich nicht so<br />

getroffen hat. Jetzt will ich das nicht. Ich<br />

persönlich will mich nicht damit auseinandersetzen.<br />

Man will ja diesen Lebenskampf.<br />

Das ist das Erschreckendste. Dass du durch<br />

eine furchtbare Scheiße gehst, um noch ein<br />

paar Monate zu leben. Das will ich nicht an<br />

mich ran lassen. Ich möchte produktiv bleiben,<br />

so lange ich kann. Das schätze ich auch<br />

an anderen. Jeder, der was tut, und wenn es<br />

Regenwürmer sammeln ist, jeder, der aktiv<br />

ist oder intensiv lebt, hat meine große, große<br />

Sympathie. Das ist was Schönes. s<br />

www.rosavonpraunheim.de<br />

Alle Infos zu den 70 Filmen auf www.70filme.de<br />

Alles DVDs sind erhältlich bei Basis · www.basisfilm.de<br />

„Ein Penis stirbt immer zuletzt“ mit 70 Zeichnungen,<br />

Gedichten und 7 Kurzgeschichten ist erschienen im Martin<br />

Schmitz Verlag · www.martin-schmitz-verlag.de<br />

Die Ausstellung „Rosen haben Dornen“ ist vom 24.<br />

November bis zum 17. Februar im Berliner Haus am<br />

Lützowplatz zu sehen · www.hausamluetzowplatz-berlin.de<br />

AB JANUAR GEHT ES WIEDER LOS:<br />

AACHEN, BERLIN, BREMEN,<br />

DRESDEN, FRANKFURT, FREI-<br />

BURG, HALLE, HAMBURG,<br />

HANNOVER, KARLSRUHE,<br />

KIEL, MAGDEBURG, MANN-<br />

HEIM, MÜNCHEN, MÜNSTER,<br />

NÜRNBERG, OLDENBURG,<br />

POTSDAM, REGENSBURG,<br />

SAAR BRÜCKEN, STUTTGART.<br />

WIR SEHEN UNS IM KINO.<br />

L-FILMNACHT<br />

GAY-FILMNACHT<br />

P<br />

WWW.L-FILMNACHT.DE · WWW.GAY-FILMNACHT.DE


dvd<br />

Erkenne deine Kraft<br />

von anne-K. Jung<br />

eine schwarze, lesbische Amerikanerin, Dichterin und politische Aktivistin kommt 1984 als Gastprofessorin<br />

nach Berlin. Damit beginnt eine Art Liebesaffäre zwischen ihr und dieser Stadt, die mehrere Jahre lang<br />

dauern soll und die im Leben vieler Menschen tiefe Spuren hinterlässt. Für die Berliner Frauen- und<br />

Lesbenszene und die community Schwarzer Deutscher wird Audre Lorde zur inspiratorin, zum zündenden<br />

Funken, zur Anleiterin, zur Moderatorin von Prozessen. Der Dokumentarfilm „Audre Lorde – Die Berliner<br />

Jahre 1984–1992“ von Dagmar Schultz macht diese Momente erlebbar.<br />

s Audre Lorde. Audre Geraldine Lorde.<br />

Ein Name wie Poesie. Ein Name, der zum<br />

Schreiben, Dichten und Denken bestimmt.<br />

Seine Trägerin folgte dieser Bestimmung<br />

und wurde zu einer der wichtigsten gesellschaftspolitischen<br />

Aktivistinnen des 20.<br />

Jahrhunderts. Wer wie ich in den frühen<br />

1990er Jahren eine lesbische Sozialisierung<br />

erfuhr und unter anderem so verrückte<br />

Dinge tat wie lesbische Großveranstaltungen<br />

zu organisieren, begegnete dem Mythos<br />

Audre Lorde auf Schritt und Tritt. Für nicht<br />

wenige politisch aktive Lesben meiner<br />

Altersgruppe war sie die Heldin, das Vorbild<br />

schlechthin. Nachwachsenden Generationen<br />

scheint sie weniger ein Begriff zu sein – zu<br />

Unrecht, denn ihre Botschaften sind zeitlos<br />

und beinahe universell. Was Audre Lorde<br />

über individuelle Freiheit, Stärke und die<br />

Kraft zur gesellschaftlichen Veränderung zu<br />

sagen hatte, wirkt auch heute noch wie ein<br />

Zaubertrank gegen Angst und Mutlosigkeit.<br />

I value myself more than I value my terrors.<br />

Audre Lordes Biographie war nicht gerade<br />

typisch für eine junge Schwarze ihrer Zeit:<br />

Sie kam 1934 in New York City zur Welt, als<br />

Tochter einer aus der Karibik immigrierten<br />

Arbeiterfamilie. Sie wuchs im schwarzen<br />

Stadtteil Harlem auf, besuchte die High<br />

School und anschließend das College. Ihre<br />

Ausbildung finanzierte sie aus eigener Kraft,<br />

mit Hilfe diverser Nebenjobs. Unter anderem<br />

verdiente sie ihren Lebensunterhalt als<br />

Fabrikarbeiterin, Ghostwriterin, Sozialarbeiterin,<br />

Röntgentechnikerin und Lehrerin<br />

für Kunsthandwerk. Sie entdeckte und lebte<br />

ihr Lesbischsein in Amerikas furchtbaren<br />

50er Jahren – einer Zeit, in der Homosexualität<br />

extrem stigmatisiert und unterdrückt<br />

war. Schon früh schrieb sie Gedichte und<br />

Prosa und wurde ein aktiver Teil der homosexuellen<br />

Subkultur im Greenwich Village.<br />

1961 machte Audre Lorde an der New Yorker<br />

Columbia Universität ihren Abschluss<br />

in Bibliothekswissenschaften und arbeitete<br />

zunächst als Bibliothekarin. Eine Brustkrebsdiagnose<br />

im Jahr 1968 veranlasste sie,<br />

sich auf ihre Karriere als Schriftstellerin und<br />

Dozentin zu konzentrieren. Zugleich blieb<br />

sie politisch aktiv und engagierte sich weiter<br />

in der Bürgerrechts- und der Frauenbewegung.<br />

Ich bin nicht frei, solange noch eine einzige<br />

Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Fesseln<br />

trägt als ich. Für die US-amerikanische<br />

Frauenbewegung war sie eine unbequeme<br />

Mitstreiterin: Sie konfrontierte die stark von<br />

der weißen, akademischen Mittelschicht<br />

geprägte Bewegung mit dem Rassismus in<br />

den eigenen Reihen. Sie hielt den weißen<br />

Aktivistinnen vor Augen, dass sie allein aus<br />

ihrer privilegierten Perspektive heraus argumentierten<br />

und agierten. Lorde forderte<br />

zornig und kämpferisch eine Auseinandersetzung<br />

mit der eigenen Unterschiedlichkeit<br />

und eine Solidarität über Hautfarbe, Klassenunterschiede,<br />

Alter und sexuelle Orientierung<br />

hinweg. Die Vielfalt aller Frauen,<br />

einmal erkannt und als gleichberechtigt<br />

anerkannt, sah sie als gewinnbringendes<br />

Potential im Kampf gegen die Unterdrückung<br />

des weiblichen Geschlechts. „Different,<br />

but together“ war ihr Postulat.<br />

Die Berlinerin Dagmar Schultz begegnete<br />

Audre Lorde zum ersten Mal 1980 auf<br />

der UN-Frauenkonferenz in Kopenhagen.<br />

Zwei Jahre später hörte sie bei einer Akademikerinnen-Tagung<br />

in Connecticut Reden<br />

von Audre Lorde und der bekannten jüdischen,<br />

lesbischen Feministin Adrienne Rich.<br />

Sie war von den Vorträgen derart beeindruckt,<br />

dass sie sich die Veröffentlichung in<br />

Deutschland vornahm. Daraus entstand das<br />

Buch „Macht und Sinnlichkeit“, das 1983<br />

im Berliner Frauenverlag sub rosa (später:<br />

Orlanda) erschien, herausgegeben von Dagmar<br />

Schultz, Mitgründerin des Verlags. Der<br />

Band enthielt besagte Vorträge sowie weitere<br />

Aufsätze und Gedichte beider Schriftstellerinnen.<br />

Die noch junge, deutsche Lesbenbewegung<br />

setzte sich intensiv mit diesen<br />

Texten auseinander. Sie galten vielen als die<br />

radikalsten und treffendsten Analysen von<br />

Machtverhältnissen überhaupt. Neu war ferner,<br />

dass auch die Verwerfungen innerhalb<br />

des Feminismus thematisiert wurden. Es<br />

ging um Schwarz-Sein, um Lesbisch-Sein,<br />

um Jüdisch-Sein. Es ging um Homophobie,<br />

Rassismus und Antisemitismus, um Zorn<br />

und Enttäuschung, aber auch um das produktive<br />

Überwinden von Unterschieden.<br />

Ich liebe es, zu reisen. Ich liebe es, zuzuhören.<br />

Ich liebe es, von anderen zu lernen. Im<br />

Jahr darauf kam Audre Lorde erstmals nach<br />

Berlin. Sie trat für ein Semester eine Gast-<br />

Audre Lorde am John-F.-Kennedy-Institut (1984)<br />

professur am John-F.-Kennedy-Institut für<br />

Nordamerikastudien der FU Berlin an. Dagmar<br />

Schultz, die dort als Dozentin tätig war<br />

und Kandidat_innen vorschlagen durfte,<br />

hatte ihre Berufung in die Wege geleitet. Im<br />

Sommer 1984 gab die Amerikanerin an der<br />

FU mehrere Seminare, hielt Vorträge und<br />

Lesungen. Audre Lorde beobachtete aufmerksam,<br />

dass sich in ihrem Publikum oft<br />

schwarze Deutsche einfanden. Sie sprach<br />

sie gezielt an, brachte sie zusammen und<br />

inspirierte sie zur Gründung einer afrodeutschen<br />

Bewegung, die es bis dahin nicht<br />

gegeben hatte. Sie ermutigte sie, ihre eigene<br />

Identität zu definieren und nach außen<br />

zu tragen. Unmittelbares Produkt ihrer<br />

„empowerment“-Strategie war ein weiteres,<br />

viel beachtetes Buch, das im Orlanda-Verlag<br />

erschien: „Farbe bekennen. Afro-deutsche<br />

Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“<br />

(1986), herausgegeben von Katharina Oguntoye,<br />

May Opitz/Ayim und Dagmar Schultz.<br />

In den folgenden acht Jahren bis zu<br />

ihrem Tod verbrachte Audre Lorde regelmäßig<br />

mehrere Wochen pro Jahr in Berlin.<br />

Hier arbeitete sie an weiteren Buchprojekten,<br />

pflegte intensive Freundschaften und<br />

hielt vor allem engen Kontakt zu der von<br />

ihr mitbegründeten Schwarzen Community.<br />

In zahllosen Veranstaltungen in Berlin<br />

und anderen deutschen Städten vermittelte<br />

sie ihre Gedanken und lud zu Diskussionen<br />

ein. Offenbar war die Rolle der Lehrerin,<br />

das Anstoßen, Anleiten und Weitergeben<br />

ein bedeutender Teil ihres Wesens. Zugleich<br />

blieb sie selbst eine unentwegt Lernende. Sie<br />

wurde nicht müde, sich diesen Aufgaben zu<br />

widmen, selbst als die Ärzt_innen ihr wegen<br />

einer erneuten Krebserkrankung dringend<br />

dazu rieten, sich zu schonen. In Berlin hatte<br />

sie 1984 eine naturheilkundliche Krebstherapie<br />

begonnen und überlebte viele Jahre<br />

länger, als ihr die Mediziner_innen vorausgesagt<br />

hatten. Audre Lorde starb 1992 in St.<br />

Croix auf den Virgin Islands (Karibik), wo<br />

sie in den letzten Jahren ihres Lebens ihren<br />

ständigen Wohnsitz hatte.<br />

A black lesbian feminist mother poet warrior.<br />

Lorde beschrieb sich selbst als „black lesbian<br />

feminist mother poet warrior“ – als schwarze,<br />

lesbische Feministin, Mutter, Dichterin und<br />

Kriegerin. Ihre vielen verschiedenen Identitäten<br />

begriff sie als Schichten ihrer Persönlichkeit<br />

und als Quelle ihrer Kraft. Sogar aus<br />

ihrem Kampf gegen die Krebserkrankung<br />

zog sie Lebensenergie, indem sie sich literarisch<br />

mit diesem Teil ihres Selbst auseinandersetzte.<br />

In Audre Lorde begegnet uns eine<br />

Frau mit einer immens starken Ausstrahlung<br />

– immer fordernd und dabei zugleich ermutigend,<br />

mit einem genuinen Interesse an ihrem<br />

Gegenüber. Sie hatte Humor und war bei all<br />

ihrer Freude an Auseinandersetzungen ein<br />

warmherziger und großzügiger Mensch.<br />

Die Berliner Jahre bringt uns diese<br />

authentische Audre Lorde nahe. Als Freundinnen<br />

und Weggefährtinnen konnten Dagmar<br />

Schultz und ihre Co-Autorinnen eine<br />

Fülle von bisher unveröffentlichtem Material<br />

zusammentragen – darunter private Fotos<br />

und Videos sowie Mitschnitte von Semina-<br />

ren und Lesungen. Zu einer weiteren Quelle<br />

für bewegte Bilder wurde der biographische<br />

Dokumentarfilm A Litany for Survival: The<br />

Life and Work of Audrey Lorde von Ada Gray<br />

Griffin und Michelle Parkerson aus dem Jahr<br />

1992. Das Filmteam war 1989 eigens aus den<br />

USA nach Berlin gereist, um dort mit Audre<br />

Lorde zu filmen, aber nur wenig von diesem<br />

Material wurde in der Endfassung verwendet.<br />

Sequenzen daraus sind nun erstmals in<br />

Die Berliner Jahre zu sehen.<br />

Wer sich die Zeit nimmt, der Stimme<br />

Audre Lordes im Film aufmerksam zu lauschen,<br />

findet in ihren Worten klare Botschaften<br />

– so schlicht wie bedeutsam: Misch dich<br />

ein und steh auf für deine Rechte, denn es<br />

wird niemand an deiner Stelle für dich tun.<br />

Lass dich nicht von deiner Angst lähmen.<br />

Definiere dich selbst. Erkenne deine Stärken.<br />

Erkenne deine Kraft. Nutze sie. s<br />

Audre lorde –<br />

Die Berliner Jahre 1984–1992<br />

von Dagmar Schulz<br />

US 2012, 79 Minuten,<br />

englisch-deutsche OF,<br />

teilweise deutsche UT<br />

Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

30 31<br />

dvd<br />

eDition SALzGeBeR


dvd<br />

Porträt des Künstlers<br />

als unglücklich Verliebter<br />

von SeBaSTian marKT<br />

in Jack Hazans Film „A Bigger Splash“ stellt David Hockney einen Künstler namens<br />

David Hockney dar, der versucht, ein Portrait jenes Liebhabers anzufertigen, von<br />

dem er eben verlassen worden ist. Weder schlicht Dokument noch bloß Fantasie,<br />

ist der Film eine dem Leben abgetrotzte Fiktion, deren intimität auf den sich selbst<br />

Darstellenden Hockney eine solch schockierende Wirkung hatte, dass dieser erst von<br />

seinem Umfeld dazu bewogen werden musste, einer Veröffentlichung zuzustimmen.<br />

Was heute davon bleibt, ist das Porträt eines Künstlers, einer zeit und einer Szene,<br />

eine melancholische Liebesgeschichte, ein Werk von wunderbarer Hybridität, das nun<br />

in restaurierter Fassung auf DVD wiederveröffentlicht wird.<br />

s Am Ende entsteht ein Bild. Es zeigt eine sommerliche Szene:<br />

einen Swimming-Pool auf einer Terrasse. An dessen Grund, unter<br />

einer Oberfläche hellblau schattierten Wassers, das von feinen weißen<br />

Linien refraktierten Lichts durchzogen ist, taucht ein Schimmer,<br />

schon ganz nah am Beckenrand. Oberhalb des Pools, jenseits der<br />

Terrasse, öffnet sich der Blick in ein weites Panorama steiler Hügel,<br />

von denen die vordersten von dichter, dunkelgrüner Vegetation überzogen<br />

sind, im Hintergrund weitere Hügel, in abnehmenden Tönen<br />

von Blau, das sich dem hellen, wolkenlosen Himmel annähert. An der<br />

rechten Seite des Pools, in weißer Hose und rosarotem Jackett, steht<br />

ein junger Mann, einen Fuß etwas nach vorne gerückt, in angespannter,<br />

leicht nach vorn gebeugter Haltung. Unter einer Strähne seiner<br />

dunkelblonden Haare fällt sein Blick auf den Taucher im Wasser.<br />

Der Mann im Jackett ist Peter Schlesinger. Als das Porträt 1971<br />

begonnen wurde, war er David Hockneys Liebhaber, als es 1972 fertiggestellt<br />

wurde, hatte er ihn bereits verlassen. Das Gemälde trägt<br />

den Titel „Portrait of an Artist“, und es markiert eine Art Schlusspunkt<br />

unter eine Beziehung, die ihren Anfang 1966 an der University<br />

of California in Los Angeles nahm, an der Peter Schlesinger Kunst<br />

studierte und David Hockney ein Semester lang unterrichtete.<br />

Von dem Nachbeben dieser Liebe und der allmählichen Fertigstellung<br />

des Bildes, von David Hockney und seinem Umfeld im London<br />

der frühen Siebzigerjahre, erzählt Jack Hazans Film A Bigger<br />

Splash, der 1974 in Locarno einen Silbernen Leoparden für die beste<br />

Regie gewann.<br />

Wenn man dies möchte, kann man einiges über die Entstehungsgeschichte<br />

in Erfahrung bringen. Dass Hazans Wunsch, einen Film<br />

über Hockney zu drehen, von einer Ausstellung von dessen Porträts<br />

(für die Hockney in dieser Phase seines Werks vorrangig bekannt<br />

war) angestoßen wurde; dass der Maler von der Idee keineswegs<br />

begeistert war; dass Hazans insistierende Hartnäckigkeit erst möglich<br />

machte, über Jahre hinweg kleine Szenen zu drehen; dass Hazan<br />

mit seinem Partner und Editor David Mingay schnell übereinkam,<br />

die Liebesgeschichte zum Epizentrum des Films zu machen; dass<br />

Hazan dabei nicht nur beobachtend zu Werk ging, sondern Szenen<br />

kreierte, Dialoge herausforderte, indem er einem der Gesprächspartner<br />

Anfangsfragen soufflierte; dass, nicht zuletzt, Hockney mit dem<br />

fertigen Film anfangs fürchterlich unglücklich war. Man kann das<br />

alles, und noch mehr, nachlesen, in Interviews mit Jack Hazan etwa,<br />

oder der sanktionierten Hockney-Biographie von Christopher Simon<br />

Sykes, man muss aber nicht. Denn der Film vermag es, in ganz eigensinniger<br />

Weise in seinen Bann zu ziehen, seine Erscheinung aus sich<br />

selbst zu begründen.<br />

Als Porträtierte und als Charaktere stellt die Titelsequenz sein<br />

Personal vor, in Skizzenzeichnungen: Hockney und Peter, das Designerpaar<br />

Celia Birtwell und Ossie Clark, den Galeristen John Kasmin,<br />

den Kritiker und Kurator Henry Geldzahler, sechs hübsche Jungs,<br />

denen ein Vorname genügt. Der Blick der ersten Einstellung fällt<br />

auf ein Schlüsselloch. Dahinter sitzt Hockney einem jungen Mann<br />

gegenüber, den er beschreibt, sein Aussehen, seine Wirkung auf ihn.<br />

Genf 1973, informiert eine Schrifttafel. Was folgt, Hockney bei der<br />

Arbeit, Hockney mit Freundinnen und Freunden, Verhandlungen mit<br />

dem Galeristen, kleine Vignetten des Alltags, geschieht davor. In Mo<br />

McDermott findet der Film seinen Erzähler, fast immer aus dem Off<br />

setzt seine Stimme Akzente, die die Fragmente zu einer Geschichte<br />

fügen und sie mit ihrer emotionalen Fallhöhe ausstatten. Gleich zu<br />

Anfang berichtet er von Schlesingers Trennung von Hockney, nicht<br />

ohne hinzuzufügen, dass nach einer Trennung immer mehr als zwei<br />

Menschen leiden. In seiner gleichzeitig zentralen und marginalen<br />

Position als Hockneys Assistent, immer mitten drin im Geschehen<br />

aber nie sein Kern, scheint McDermott zum Chronisten einer von<br />

Auflösung bedrohter Idylle prädestiniert.<br />

Die Szene, die „Portrait of an Artist“ einfängt, hat sich so nie<br />

zugetragen. Die Idee zu dem Bild verdankt sich der zufälligen Montage<br />

zweier Fotografien in Hockneys Studio, des Schwimmers im<br />

Pool, und des stehenden Mannes. Ein fast filmisches Verfahren der<br />

Montage einerseits, steht es auch in einer Genealogie zu den Fotomontagen<br />

und Komposit-Polaroid-Porträts, denen sich Hockney bald<br />

nach der im Film verewigten Werkphase zuwenden wird.<br />

Zusammenfügung, Beschreibung, Portrait. Es ist gerade die<br />

Kunst von A Bigger Splash, dass er sich in der Wahl der Figurationen,<br />

aus denen der Film seine erzählerischen Möglichkeiten schöpft, von<br />

seinem Gegenstand leiten lässt. Eine Geste, die er dabei immer wieder<br />

vollführt, ist, Porträtierte und Porträts zusammen zu führen, sei<br />

es in Szenen, in denen Menschen die Bilder betrachten, auf denen sie<br />

dargestellt sind, sei es, dass Hazan die Porträt-Situation nachstellen<br />

lässt. In einer seiner eindrücklichsten Szenen taucht der Film ganz in<br />

Hockneys kalifornische Bilderwelt ein, stattet Schwenks über einige<br />

Gemälde-Szenen mit einer Tonkulisse aus, und inszeniert schließlich<br />

eine solche Szene von vergnügt nacktbadenden jungen Männern<br />

selbst, die wiederum – einmontiert zwischen Bilder des schlafenden<br />

Hockney – als Traum lesbar wird. Indem der Film es immer wieder<br />

vollbringt, Kunst und Leben ineinander zu führen, kann er nicht nur<br />

seine Geschichte erzählen, sondern findet gleichzeitig zu einer Sprache,<br />

die es ihm erlaubt, das, was auch an einem Künstlerleben ganz<br />

privat ist, im Kontext dessen zu entwerfen, was als Kunst das Private<br />

transzendiert.<br />

Es gibt Filme, die zwischen Dokument und Fantasie changieren,<br />

Filme, die einem die Unterscheidung zwischen dem, was wahr ist,<br />

weil es gefunden wurde, und dem, was wahr sein möge, weil es erfunden<br />

ist, schwer machen. Und dann gibt es Filme, die diese Unterscheidung<br />

hinter sich lassen. A Bigger Splash ist ein wunderbares Beispiel<br />

für letztere. (Hazans andere bleibende Einlassung in die Filmgeschichte,<br />

die wie auch A Bigger Splash in Zusammenarbeit mit David<br />

Mingay entstanden ist, ist Rude Boy von 1980. Ein Portrait von The<br />

Clash, das nach einem ähnlichen ästhetischen Verfahren gestrickt<br />

ist: Es verknüpft dokumentarische Aufnahmen einer Tournee mit der<br />

fiktionalisierten Erzählung eines Roadies zu einer Momentaufnahme<br />

des Punk am Beginn der Ära Thatcher.) In die Freiheiten, die der<br />

Film sich nimmt, fügt sich auch seine Unlust, das Schwulsein seiner<br />

Figuren zu erklären. Gerade weil er von dem enttäuschten Begehren<br />

so voraussetzungslos berichtet, ohne es vor einem angenommenen<br />

Außen zurechtrücken zu wollen, vermag er dieses Erzählen so konkret<br />

und so nah an seinen Figuren ins Werk zu setzen.<br />

Am Ende wird das Porträt von Peter Schlesinger vollendet sein,<br />

und es wird den Mann, der einst Hockneys Schüler war, als Künstler<br />

ausweisen, auch das ein Ende einer Geschichte. Niemand wird wissen,<br />

wo Hockney gerade steckt. John Kasmin wird seine New Bond<br />

Street Galerie geschlossen haben, Mo McDermott ein paar letzte<br />

melancholische Gedanken mit uns teilt, und in der Schließung der<br />

Klammer vom Anfang des Films wird Hockney dem jungen Mann in<br />

Genf, der vielleicht ein anderer Liebhaber ist, sagen, dass es eine paradoxe<br />

Situation ist, in der man als Maler steckt, wenn man so intim an<br />

etwas arbeitet, nur um sich dann gleich davon trennen zu müssen, zu<br />

verkaufen, um weiter arbeiten zu können, dass man manche Bilder<br />

gerne behalten möchte. Und auf die Nachfrage von Joe: dass jene, die<br />

Peter zeigen, ruhig hinaus können, in die Welt.<br />

Wie eine Flaschenpost aus dem Niemandsland zwischen Swinging<br />

Sixties und Punk liest sich der Film heute. Menschen kommen<br />

und gehen und verändern sich, Wege kreuzen und verlieren sich.<br />

Etwas ist verloren gegangen, und alles ist noch da, weil der Film es<br />

aufgehoben hat. s<br />

A Bigger Splash<br />

von Jack Hazan<br />

UK 1973, 105 Minuten, OmU<br />

Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

32 33<br />

dvd<br />

eDition SALzGeBeR (2)


dvd dvd<br />

die bleierne<br />

leichtigkeit<br />

des seins<br />

von SaScha WeSTPhal<br />

zwei „leichte Mädchen“, Mutter und tochter (gespielt von<br />

Mutter cathérine Deneuve und tochter chiara Mastroianni),<br />

testen die Grenzen aus, die ihre zeit ihnen setzt. Die eine<br />

profitiert von der sexuellen Befreiung der 1960er, die andere<br />

geht an der entzauberung der Jugend in den 1990ern<br />

zugrunde. in christophe Honorés Musical „Die Liebenden“<br />

spiegeln sich beide erzählungen kunstvoll und verweben darin<br />

noch die Filmsprachen ihrer zeit. neu auf DVD.<br />

s 2001 … Die Jahreszahl füllt mit ihren riesigen Lettern fast die<br />

gesamte Breite der Einstellung aus. Gleich einem Stempel hat sie sich<br />

den Bildern aufgedrückt. Es ist Herbst geworden. Das Licht der Sonne<br />

hat nichts Wärmendes mehr. Es taucht die Welt in ein kaltes Licht.<br />

Die von Catherine Deneuve gespielte Madeleine geht durch ihren fast<br />

schon kahlen Garten und schneidet die Äste von Sträuchern und Bäumen<br />

zurecht. Dazu erklingt ihre Stimme aus dem Off. Sie erzählt von<br />

ihrer Tochter Vera und deren Reise nach Amerika.<br />

Ausgerechnet am 11. September 2001 hat Véra (Chiara Mastroianni)<br />

ein Flugzeug von Paris nach New York bestiegen. Nach den<br />

Anschlägen auf New York und Washington wurde ihre Maschine<br />

nach Montreal umgeleitet. Dort sitzt sie nun in einem dieser typischen<br />

Hotels für Geschäftsleute fest, die überall auf der Welt gleich<br />

aussehen. Aber auch die Stadt, durch deren Seitenstraßen sie eine Zeit<br />

lang streift, scheint ihre Individualität verloren zu haben. An diesem<br />

Morgen ist etwas zu Ende gegangen. „September, leider“ heißt es einmal<br />

in dem Lied, das Chiara Mastroianni während ihres Spaziergangs<br />

durch die wie ausgestorbene Stadt singt.<br />

September, leider … der Sommer ist unwiederbringlich vorüber,<br />

der Winter naht. Anders als Frank Sinatras „September of My Years“,<br />

von dem aus großer Ferne noch ein paar Noten und Stimmungen herüber<br />

zu wehen scheinen, wird Alex Beaupains „Jeunesse se passe“ von<br />

einem übermächtigen Eindruck des Verlusts geprägt. Auf die Jugend<br />

folgen sofort die Trauer, der Schmerz und dann schon bald das unausweichlich<br />

gewordene Ende, der Tod, der Abschied von allem.<br />

Véra wollte sich in New York mit dem Musiker Henderson (Paul<br />

Schneider) treffen. Nun wartet sie auf ihn, die Liebe ihres Lebens, in<br />

Kanada. Als er schließlich mit dem Auto eintrifft, ist er nicht allein.<br />

Der deutlich jüngere Mathieu ist bei ihm. Er beschwichtigt Véra<br />

zwar, dass er nie eine ernsthafte Beziehung mit einem Mann einge-<br />

SenAtoR HoMe enteRtAinMent<br />

hen würde, der sein Sohn sein könnte. Aber die Botschaft bleibt. Der<br />

schwule, HIV-positive Henderson wird sie nie so lieben wie sie ihn.<br />

Er hat sie immer auf Distanz gehalten und zugleich mit der Liebe zu<br />

ihr gespielt. Der Virus war in dieser Hinsicht immer eine Art Schutz.<br />

So musste er die widerstreitenden Gefühle nicht an sich heranlassen.<br />

Doch nun überschreitet Véra mit ihrem Wunsch nach einem Kind von<br />

ihm diese Grenze.<br />

Für eine kurze Zeit werden Véra, Henderson und Mathieu in dieser<br />

Nacht alles andere vergessen und einfach zusammen sein. Ein einziges<br />

Mal schlafen sie alle miteinander. Das ist ein letzter Moment<br />

einer wundervollen, alle Ängste und Bedenken auslöschenden Selbstverständlichkeit.<br />

Vielleicht sind sie wirklich erst zu Dritt vollständig.<br />

Aber es sind eben auch die Ereignisse dieses Tages, die sie so zusammen<br />

kommen lassen. Das Ende der Freiheit und der sie begleitenden<br />

Träume ist diesem Augenblick schon eingeschrieben. Nur wenig später<br />

wird sich Véra all die HIV-Medikamente Hendersons nehmen und<br />

in der Hotelbar schlucken. Während im Fernsehen ein Videoclip der<br />

Band „Everything But the Girl“ läuft, tanzt sie selbstvergessen aus<br />

dem Leben … jeunesse se passe.<br />

Über beinahe 45 Jahre erstreckt sich die Handlung von Christophe<br />

Honorés zweitem Musical Les bien-aimés. Alles beginnt 1964,<br />

dem Jahr von Jacques Demys Les parapluies de Cherbourg, mit dem<br />

auch Catherine Deneuves Legende begann, und endet im Winter<br />

2007. Nach Außen hin ist es die Geschichte einer Mutter und ihrer<br />

Tochter, deux filles légères, die sich ihre Freiheit nehmen, nur um sie<br />

dann selbst wieder aufzugeben. Aber das ist nur der rote Faden, der<br />

hier an einem Paar roter Schuhe hängt. Mit diesen High Heels von<br />

Christian Dior nimmt die Lebensodyssee der zu diesem Zeitpunkt<br />

von Ludivine Sagnier gespielten Schuhverkäuferin Madeleine ihren<br />

Anfang. Eines Abends lässt sie das Paar zum Geschäftsschluss mitgehen.<br />

Kaum hat sie die Schuhe ein paar Straßen weiter angezogen,<br />

spricht ein Mann sie an und bietet ihr Geld. Damit ist die Familienlegende<br />

geboren. Véra, ihre Tochter, wird das später so erzählen: „Ohne<br />

die Schuhe wäre Mama keine Hure geworden.“<br />

Freiheit wurde etwas selbstverständliches,<br />

nur um den Menschen dann doch<br />

durch die Finger zu rinnen<br />

Am Ende wird Madeleine das Paar auf der Straße stehen lassen,<br />

vor dem Hotel, in dem sie sich immer wieder heimlich mit ihrem ersten<br />

Mann und ersten wirklichen Geliebten getroffen hat … love in the<br />

afternoon. Doch inzwischen ist Jaromil, Véras Vater, mit dem sie einst<br />

nach Prag ging, längst tot. Das Abenteuer ist vorüber, was bleibt, sind<br />

einige letzte Jahre mit ihrem zweiten Mann in Reims. Es war eine<br />

berauschende Zeit, aber eben auch eine traurige und brutale: Ein halbes<br />

Jahrhundert, in dem Hoffnungen geboren und zu Grabe getragen<br />

wurden, in dem Freiheit etwas Selbstverständliches wurde, nur um<br />

den Menschen dann doch durch die Finger zu rinnen.<br />

Zu Beginn dieser Zeitspanne, die einem Leben gleicht, ist das Kino<br />

noch einmal neu erfunden worden, von den Regisseuren der nouvelle<br />

vague, von Jacques Demy und Jean-Luc Godard. Demy ist schon seit<br />

langem ein Fixpunkt in Honorés filmischem Universum. Schon Dans<br />

Paris, sein erstes Musical, war von ihm inspiriert. Doch mittlerweile<br />

wandelt er auch immer deutlicher auf den Pfaden Godards. Schon der<br />

mit ganz geringen Mitteln realisierte Homme au bain hatte in seiner<br />

Direktheit und seiner steten Reflexion der eigenen Mittel wie der<br />

eigenen Haltung etwas von einem Godardschen Experiment. Nun<br />

hat sich Honoré also ganz gezielt dem frühen Schaffen Godards zugewandt.<br />

Mit seinen Ludivine Sagniers Körper zerlegenden Großaufnahmen<br />

und seinen jump cuts greift er dessen Stilmittel auf. Zudem<br />

rücken die Leichtigkeit, mit der die junge Madeleine Entscheidungen<br />

trifft, und die Absolutheit, mit der sie ihr Leben selbst bestimmt, sie<br />

in die Nähe von Anna Karinas Figuren.<br />

Der Traum der frühen 60er Jahre, den Christophe Honoré noch<br />

einmal aufleben lässt und der schließlich in der ménage à trois in<br />

Véras Hotelzimmer kulminiert, um dann endgültig zu zerplatzen, ist<br />

eben auch ein Traum vom Kino, von der nouvelle vague, den neuen<br />

Wellen des osteuropäischen Kinos der 60er und 70er Jahre, dem amerikanischen<br />

Independent-Kino der 90er. Les bien-aimés und Homme<br />

au bain, den Honoré kurz zuvor, zum Teil mit den gleichen Darstellern<br />

quasi-dokumentarisch gedreht hat, gehören zusammen. Sie sind<br />

zwei Seiten einer Sehnsucht.<br />

Bei dem einen hat Honoré sich alle Freiheiten genommen, die sich<br />

Filmemachern heute in den Zeiten kleiner digitaler Kameras bieten.<br />

Mit dem anderen, dem starbesetzten Musical testet er die Möglichkeiten<br />

einer Großproduktion aus. Wenn Chiara Mastroianni durch<br />

Montreal geht und „Jeunesse se passe“ singt, ist Honoré so an der<br />

Stadt und ihrem Alltag dran wie in den New York-Szenen von Homme<br />

au bain, in denen er einfach sein Videotagebuch eines Aufenthalts in<br />

der Stadt fiktionalisiert hat. Das Leben bricht in das Musical ein und<br />

entreißt es der Welt der verträumt-melancholischen Pop-Phantasien.<br />

Das Melodramatische, das in Jacques Demys Filmen die Kehrseite des<br />

musikalischen Märchens war, weicht bei Honoré dem Alltäglichen.<br />

Auf der einen Seite ist alles ganz leicht und selbstverständlich.<br />

Madeleine kann ohne ihre Liebe zu Jaromil nicht leben, also zieht sie<br />

mit ihm nach Prag. Aber sie kann eben auch nicht mit ihm leben, also<br />

kehrt sie zurück nach Frankreich, heiratet einen anderen und nützt<br />

doch jede Chance, um mit Jaromil zusammen zu sein. Auf der anderen<br />

Seite ist gerade die Leichtigkeit unerträglich schwer. Für Véra ist<br />

alles eine Last, ihre Beziehung zu dem von Louis Garrel gespielten<br />

Lehrer und Schriftsteller Clément genauso wie die zu Henderson. Mit<br />

Clement könnte alles ganz einfach sein, mit Henderson ist die Tragödie<br />

vorgezeichnet. Diese beiden filles légères, Madeleine und Véra,<br />

spiegeln einander. Alles dreht sich um und ist seitenverkehrt. Aber<br />

zusammen sind sie die Inkarnation der Ära, die um 1960 begann und<br />

2001 an ihr Ende kam.<br />

Zuletzt bleiben nur noch die roten Schuhe zurück wie einst bei<br />

Michael Powell und Emeric Pressburger. Aber Honoré steckt in diesem<br />

letzten Bild auch eine Hoffnung. Madeleine hat nicht nur etwas<br />

verloren, sie hat auch eine andere Form von Freiheit gewonnen. Ihr<br />

Weg führt zurück in die Provinz, zu einem alltäglichen Leben. Wohin<br />

Christophe Honorés Weg noch führen wird, ist offen. Aber Homme<br />

au bain und die Szenen in Montreal lassen eine andere, nicht von der<br />

Vergangenheit und ihre Schatten belastete Freiheit erahnen. s<br />

Die liebenden<br />

von Christophe Honoré<br />

FR 2011, 134 Minuten,<br />

deutsche SF + OmU<br />

Auf DVD bei Senator<br />

Home Entertainment,<br />

www.universumfilm.de<br />

Mann im Bad<br />

von Christophe Honoré<br />

FR 2010, 72 Minuten, OmU<br />

Auf DVD bei Pierrot le Fou,<br />

www.alamodefilm.de<br />

34 35


nachruf<br />

36<br />

eDition SALzGeBeR<br />

Arbeit, sex und Essen<br />

Paul Schulz erinnerT an dirK Bach (23. aPril 1961 – 1. oKToBer 2012)<br />

s Als Dirk Bach 1974 zum ersten Mal auf einer Demo<br />

festgenommen wurde, war er zwölf Jahre alt. Es ging um<br />

den Paragraphen 218. „Ja, da habe ich relativ früh mit<br />

angefangen“, sagt er 20 Jahre später in einem Interview<br />

mit Sandra Maischberger. Und lacht. Als wäre das wirklich<br />

lustig gewesen. Er und die Interviewerin stehen gut<br />

verpackt am eiskalten Rheinufer in Köln, Maischberger<br />

so atemberaubend und begabt, wie sie Anfang der 90er<br />

war, Bach eine kleine Kugel Fröhlichkeit und Talent.<br />

Man mag sich. „Mein Vater musste kommen und mich bei<br />

der Polizei auslösen.“ Seine Augen leuchten. „Ich habe<br />

dann da auch einen Aufsatz drüber geschrieben, wegen<br />

dem mir ein Verweis angedroht wurde.“ „Warum?“, fragt<br />

Maischberger besorgt. „Na, weil er so linksradikal war“.<br />

Ein Jahr später verknallte er sich. „Warst du auch mal<br />

in Mädchen verliebt?“, will die schöne Hetera wissen.<br />

„Nein, kein Gedanke. Ich war immer in Jungen verliebt.<br />

Gibt doch schon genug von den anderen“, antwortet der<br />

kleine, dicke Schwule. Und lächelt still.<br />

Das Interview wird in Proberäumen, auf Hinterbühnen<br />

und in einer Kneipe fortgesetzt. Im Lokal sitzt Bach<br />

und schäkert mit irgendwem hinter der Kamera. Die<br />

Frage war wohl die nach dem, was ihm im Leben wirklich<br />

Spaß bringt und wie es wäre, wenn man das alles gleichzeitig<br />

machen könnte. „Ich stelle mir das gerade vor, wie<br />

ich essend auf einer Bühne sitze und dabei jemanden<br />

ficke.“ Wieder dieses Lachen aus dem Bauch, das immer<br />

größer wird, je weiter es ihm die Luftröhre hochrollt und<br />

ihn ganz zum Erzittern bringt, bevor es seinen Mund verlässt.<br />

Sein ganzer Körper freut sich. „Das wird wohl auch<br />

auf meinem Grabstein stehen: ‚Arbeit, Sex und Essen‘.“<br />

Nicht der schlechteste Spruch. „Trinken nicht zu vergessen“,<br />

fügt hinzu, während er sich grinsend etwas, das<br />

Tequila oder Wodka sein könnte, aus einem Schnapsglas<br />

in den Mund kippt.<br />

Gearbeitet hat Bach eigentlich immer. Und immer<br />

gern. Als er am 1. Oktober überraschend starb, war er<br />

gerade dabei, sich auf die erste Hauptprobe der Axel-<br />

Hacke-Adaption „Der Kleine König Dezember“ vorzubereiten,<br />

die am nächsten Morgen im Schlossparktheater<br />

in Berlin stattfinden sollte. Als er dort nicht auftauchte,<br />

begann das Team, sich Sorgen zu machen. Bach war ein<br />

fanatisch pünktlicher Mensch. Der Intendant fuhr zur<br />

Wohnung in Berlin Lichterfelde, die sein Star für die Proben-<br />

und Spielzeit gemietet hatte und informierte wenig<br />

später die Öffentlichkeit über den Tod des 51-Jährigen.<br />

Das Internet explodierte, dann die Abendnachrichten,<br />

dann die Tagespresse. Es stellte sich heraus: Deutschland<br />

hat Dirk Bach geliebt, sehr.<br />

Das war nicht zu erwarten bei jemandem, der dreimal<br />

sitzen geblieben ist und dessen erste, winzige Filmrolle in<br />

Eine kleine Kugel Fröhlichkeit und Talent: Dirk Bach in „Im Himmel ist die<br />

Hölle los“ von Helmer von Lützelburg (1986)<br />

Kiez Walter Bockmayer mit den Worten zusammenfasst<br />

„eine Nutte, die sich schminkt“. Aber da hatte Bach schon<br />

länger Theater gespielt. Erstes Stück: Heiner Müllers<br />

„Prometheus“. Die Bühne war seine große Liebe. Hella<br />

von Sinnen, die Bach mit sechzehn kennen lernte, „war<br />

die, die zum Fernsehen wollte. Ich wollte spielen.“ In die<br />

Glotze kommen sie nach dem Theater-Sensationserfolg<br />

„Geierwally“ beide, Bach wenig später sogar ins Kino. Die<br />

TV-Persiflage Im Himmel ist die Hölle los wird ein Kultfilm,<br />

ist ihrer Zeit ungefähr 20 Jahre voraus und sieht<br />

heute noch relativ gut aus.<br />

Nach Lukas und Der kleine Mönch, einer Ensemblemitgliedschaft<br />

am Kölner Schauspielhaus und dem deutschen<br />

Comedypreis dann 2004 die Entscheidung für gnadenlosen<br />

Kommerz: Ich bin ein Star, holt mich hier raus!<br />

heißt das Format, das Bach zu einem viel größeren Star<br />

macht, als es einer der Teilnehmer der Show je werden<br />

konnte. Ob fröhliche Verachtung darüber zu verbreiten,<br />

wie „derzeit arbeitslose Mitarbeiter der Unterhaltungsindustrie“<br />

durch Scheiße kriechen und Känguruhoden<br />

schlucken, der Berufswunsch des überzeugten Vegetariers<br />

war, weiß man nicht. Das Geld wird ihn wohl nicht<br />

weniger gelockt haben als die Teilnehmer.<br />

Wichtiger: Er war furchtlos, machte immer da den<br />

Mund auf, wo ein engagierter, spaßbereiter Queerling<br />

gebraucht wurde, schwang die Rassel für PETA, Amnesty<br />

International und immer wieder für HIV-Positive und<br />

brachte den Deutschen eine Selbstverständlichkeit im<br />

Umgang mit Camp bei wie sonst niemand. Der Paragraph<br />

218 war lange abgeschafft, aber „man muss was machen.<br />

Es gibt immer was besser zu machen in der Welt.“<br />

Seine Idealvorstellung vom Tod: „Ich werde in der<br />

Mitte eines kräftigen und sehr beliebten Stücks aus den<br />

Fugen gerissen, es schmettert mich auf den Bühnenboden.<br />

Alle klatschen heftig, weil sie es für einen klasse<br />

Regieeinfall halten. Und dann bin ich weg.“ Ganz so war’s<br />

nicht. Aber fast. Schade. s<br />

Im Himmel ist die Hölle los<br />

von Helmer von Lützelburg<br />

DE 1986, 84 Minuten, deutsche OF<br />

Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

nachruf<br />

37


film-flirt<br />

der Moment<br />

SchriftSteller Sehen filme: chriStine Wunnicke<br />

zwei Absagen der tollen christine Wunnicke hatte sich die SiSSY für diese Rubrik schon eingehandelt, weil<br />

ihre Lieblingsmomente in queeren Filmen „null queer“ waren oder queere Momente in unqueeren Filmen<br />

sich beim Wiedersehen in Luft oder in schlechte Untertitel auflösten. Und nun, völlig unerwartet: Das hier!<br />

s Leon und Sonny verbringen<br />

in einer sehr engen Tiefparterre-<br />

Wohnung in Brooklyn sehr viel Zeit<br />

miteinander. Alles ist vollgestopft<br />

mit Zeug, Leons Damengarderobe<br />

und Sonnys Vietnamsouvenirs und<br />

tausend ausgerissene Zeitungsartikel<br />

über politische Schweinereien in<br />

Haufen aufgestapelt oder was weiß<br />

ich, lauter zuvieles Zeug. Leon versucht<br />

Tag und Nacht zu schlafen.<br />

Dazwischen lackiert er sich perlmuttern<br />

die Fingernägel und versucht,<br />

an weite Landschaften zu denken.<br />

Sonny schläft nie. Er rast in der vollgestopften<br />

Wohnung herum, es ist<br />

Leon ein Rätsel, wie Sonny in dieser<br />

Enge noch Wege zum Rasen findet,<br />

und redet und schreit. Sonny ist heiß<br />

in der heißen Wohnung und Leon<br />

ist kalt. Er trägt ein Secondhand-<br />

Negligé und zippelt verfroren am<br />

Kragen, und Sonny brüllt dauernd<br />

Ich krepier hier! Leon hat eine solche<br />

Angst vor Sonny, dass sich seine<br />

Liebe zu Sonny längst irgendwo hin<br />

verkrümelt hat. Sonny liebt Leon<br />

aber immer noch fürchterlich. Betonung<br />

auf „fürchterlich“. Leon lächelt<br />

sein schiefes, elegisch-dramatisches<br />

kleines Lächeln und versucht, Sonny<br />

von der Seite anzuschauen. Wenn er<br />

ihn nur mal in Ruhe von der Seite<br />

anschauen könnte, denkt Leon,<br />

würde er ihn gewiss wieder lieben,<br />

denn Sonnys Profil ist so toll. Aber<br />

Sonny hält nie lange genug still.<br />

Manchmal denkt Leon, er könnte<br />

vielleicht einfach aufstehen und<br />

seine fragile fragwürdige überfragte<br />

Person vor Sonny aufbauen und auf<br />

ihn hinunterstarren, bis Sonny die<br />

Klappe hält. Aber Leon ist müde und<br />

schläft ein. Und so geht das immer<br />

weiter. Es ist ein großartiger, quä-<br />

lender Film, der mindestens drei<br />

Stunden dauert. Zehn Tage im Leben<br />

von Leon und Sonny. Zu viele Tabletten,<br />

zu viele Zigaretten, schlechtes<br />

Essen, ziemlich schlechter Sex, und<br />

tags ist es zu dunkel, weil die Scheiben<br />

dreckig sind, und nachts zu hell,<br />

weil irgendein penetrantes gelbes<br />

Licht von irgendwo hereinscheint.<br />

Und wenn Leon in Ruhe überlegen<br />

möchte, ob er denn nun wirklich eine<br />

Frau ist, wie sein Psychiater behauptet,<br />

schreit Sonny sofort, Mann, lass<br />

dich operieren, und zwar gestern, hopp<br />

hopp, ich bezahl's dir! Da ist nichts<br />

mehr zu kitten zwischen Leon und<br />

Sonny. Wenn es wenigstens nicht<br />

Tiefparterre wäre. Da könnte man<br />

wenigstens mal auf die Feuerleiter.<br />

In Wirklichkeit sind Al Pacino und<br />

Chris Sarandon in Hundstage kein<br />

einziges Mal gemeinsam im Bild. Es<br />

ist ein bisschen wie bei Rosemary’s<br />

Baby, da zeigen sie mir das Baby auch<br />

nie und ich weiß trotzdem genau,<br />

wie es aussieht. Ich liebe Filme, die<br />

so etwas können. In Wirklichkeit<br />

sitzt Sonny in der First Brooklyn<br />

Savings Bank mit seinen Geiseln und<br />

seinem Stress und seiner Verantwortung<br />

und der kaputten Klimaanlage<br />

und seinem dämlichen Komplizen,<br />

der nicht mal weiß, wo Wyoming<br />

ist, und Leon sitzt gegenüber im Friseurladen<br />

mit Polizei und FBI, bis<br />

zur Halskrause voll mit Neuroleptika,<br />

in diesem gräulichsten Bademäntelchen<br />

der Filmgeschichte,<br />

und wird dauernd leise ausgelacht.<br />

Sie telefonieren miteinander, genau<br />

acht Minuten, eine gefühlte halbe<br />

Stunde lang, das erzählt meine<br />

ganze Geschichte. Angst und Liebe<br />

und verlorene Liebe und Sonnys<br />

Wahnsinn und Leons zerbrochene<br />

Welt und halbe Hoffnung und Sonnys<br />

pervers positives Denken und<br />

Sonnys und Leons Verzweiflung.<br />

Und Smalltalk. Hand aufs Herz, sie<br />

machen Smalltalk, eigentlich die<br />

ganze Zeit. Ich will nicht nach Algerien<br />

zu den verrückten maskierten<br />

Leuten. Besser Schweden? Dänemark?<br />

Haha. Bon Voyage. I see you<br />

in my dreams. Life’s so funny. Dann<br />

lässt Sarandon im Friseurladen den<br />

Hörer einen Momentlang zwischen<br />

Daumen und Zeigefinger baumeln<br />

und Pacino in der Bank starrt John<br />

Cazale an, mit einem Gesicht, das<br />

mich fertigmacht.<br />

Frank Pierson, der das Drehbuch<br />

schrieb, hat erzählt, dass die erste<br />

Fassung ganz anders war. Da war<br />

Leon eine lustige Transe und es gab<br />

eine lange Szene mit Leon und Sonny<br />

in der Bank, mit einem Kuss und<br />

anzüglichen Witzen. Das wollte Al<br />

Pacino aber nicht spielen. Er wollte<br />

nicht einmal mit Sarandon ins Bild.<br />

Man rief schon Dustin Hoffman an,<br />

so sehr zickte Al Pacino. Vielleicht<br />

wollte sich der frischgebackene Godfather<br />

nicht mit schwulem Kram die<br />

Karriere ruinieren. Vielleicht – so<br />

Piersons Variante – war er auch der<br />

Meinung, dass man nicht anzügliche<br />

Witze macht und sich knutscht,<br />

wenn man an der Liebe verzweifelt.<br />

Jedenfalls schrieb man Pacino<br />

zuliebe das Drehbuch um. Es gibt<br />

nicht Piersons Film mit der lustigen<br />

Transe, es gibt nicht meinen Film<br />

von der Tiefparterre-Wohnung, es<br />

gibt nur diese ewigen improvisierten<br />

todtraurigen acht glorreichen Minuten<br />

am Telefon. Warum auch immer.<br />

Gottseidank. Mein drittliebster Film<br />

aller Zeiten. s<br />

Christine Wunnicke ist Autorin und Übersetzerin. Ihr Romandebüt war „Fortescues Fabrik“. Zuletzt erschienen „Serenity“<br />

(Tukan-Preis) und die Novelle „Nagasaki, ca. 1642“. Über ihre sonstigen literarischen Aktivitäten informiert www.<br />

christine-wunnicke.com. Sie lebt und arbeitet in München.<br />

Hundstage<br />

von Sidney Lumet<br />

US 1975, 119 Minuten, deutsche SF +<br />

OmU<br />

Auf DVD bei Warner Home Video,<br />

www.warnerbros.de<br />

Fortescues Fabrik<br />

Roman, 444 Seiten,<br />

Knaus 1998/btb 2000,<br />

www.randomhouse.de/btb<br />

Serenity<br />

Roman, 240 Seiten,<br />

Osburg Verlag 2000,<br />

www.osburg-verlag.de<br />

nagasaki, ca. 1642<br />

Novelle, 112 Seiten,<br />

Edition Epoca 2010,<br />

www.epoca.ch<br />

neu auf dVd<br />

von chriSToPh meyring (cm), Paul Schulz (PS) und Jan Künemund (JK)<br />

ALLE ZEIT DER WELT<br />

nL 2011, Regie: Job Gosschalk, edition Salzgeber<br />

Ein niederländisches Melodram,<br />

das mit Gefühls-<br />

Kanonen auf alles schießt,<br />

was nicht bei drei auf dem<br />

Baum ist. Satt mit Emotionen,<br />

Geschichten, Konflikten<br />

und großartigen<br />

schauspielerischen Leistungen.<br />

Man kann ein<br />

bisschen flennen, ein bisschen lachen, sehr<br />

mitfühlen. Die Handlung: Maarten hat seine<br />

jüngere Schwester Molly allein großgezogen<br />

und muss sich jetzt, wo sie auszieht, wieder ein<br />

eigenes Leben bauen. Dabei helfen der Hübschling<br />

Arthur, Mollys untreuer Macker und<br />

Molly selbst, die plötzlich krank wird. Alle begreifen,<br />

dass sie nicht alle Zeit der Welt haben,<br />

um sie selbst zu werden. Der niederländische<br />

Starkomiker Paul de Leeuw gibt als Maarten<br />

eine bravouröse Vorstellung – Shirley MacLaine<br />

in Terms of Endearment, Julianne Moore in<br />

Dem Himmel so fern, dieses Kaliber. Und man<br />

muss das nicht mögen, kann es kitschig finden<br />

oder dem Buch vorwerfen, dass es total überfrachtet<br />

ist. Aber man kann auch einfach mitmachen<br />

und einen Heidenspaß mit Alle Zeit<br />

der Welt haben. ps<br />

KEEP THE LIGHTS ON<br />

US 2012, Regie: ira Sachs, edition Salzgeber<br />

New Wave Queer Cinema<br />

aus den USA: Zwei Männer<br />

treffen sich zum Sexdate,<br />

verlieben sich ineinander<br />

und gehen eine<br />

langjährige Liebesbeziehung<br />

ein. Nicht mehr,<br />

nicht weniger. „Auf den<br />

ersten Blick bekommen<br />

wir viele altbekannte Zutaten: das erste intensive<br />

Treffen, die Phase des Kennenlernens, der<br />

Bericht an die beste Freundin, das Zusammenziehen,<br />

die erste leichte Krise, die erste schwere<br />

Krise, der Bruch, die Wiederversöhnung, das<br />

Ende der Beziehung. Wenn ich über die Klischees<br />

des Filmes mit einem filmkritischen Klischee<br />

schreiben wollte, dann müsste es jetzt<br />

heißen: Der Film erzählt alles das konsequent<br />

aus der Perspektive von Erik. Das stimmt aber<br />

nicht oder höchstens zur Hälfte. Wir sind als<br />

Zuschauer_innen nie allein mit Paul, sondern<br />

begleiten immer nur Erik in allen Phasen der<br />

Beziehung. Das heißt aber nicht, dass wir seine<br />

Perspektive teilen. Der Film gibt uns eine Perspektive<br />

auf ihn, den wir allein, verliebt, verletzt,<br />

traurig, wichsend, schwimmend, singend sehen.<br />

Nur ganz selten nähern wir uns Erik im<br />

Close-Up. Die bevorzugte Einstellungsgröße<br />

des Filmes ist die Halbtotale. So als stünden wir<br />

einen Meter fünfzig von ihm entfernt, als säßen<br />

wir am Tisch mit ihm, als lehnten wir am Türrahmen<br />

seiner Küche. Ob und inwiefern wir<br />

uns emotional an seiner Haltung beteiligen, ist<br />

damit nicht vorbestimmt. Wir können uns ganz<br />

in Erik versenken, mit ihm mitleiden, uns mit<br />

ihm freuen, mit ihm hoffen und mit ihm erregt<br />

sein. Oder wir können aus der einigermaßen sicheren<br />

Distanz der Halbtotale auf ihn schauen<br />

und seine Motive unverständlich, seine Emotionen<br />

pathetisch, seine Handlungen nicht nachvollziehbar<br />

finden. Genau in diesem Sinn ist das<br />

hier ein Film über eine Beziehung: es geht aber<br />

um die Beziehung zwischen mir als Zuschauer_in<br />

und Erik, aus der heraus ich seine Beziehung<br />

mit Paul und die vielen anderen Beziehungen<br />

beobachten kann, die er eingeht.“ (André<br />

Wendler in SISSY 15)<br />

DER MANN, DER YNGVE LIEBTE<br />

no 2008, Regie: Stian Kristiansen, Arsenal<br />

„Ich heiße Jarle Klepp –<br />

und ich hätte gerne ein<br />

Leben!“, rotzt uns ein rothaariger<br />

Junge in einer<br />

südnorwegischen Landschaft<br />

an. Es dauert nicht<br />

lange, da hat er eins – einen<br />

besten Freund, der<br />

„Psychocandy“ von The<br />

Jesus and the Mary Chain auch für die beste<br />

Platte der Welt hält, eine Punk-Band (Hit: „Pussy<br />

Satan Anarchie Kommando Radar Chaos Power<br />

Kommando“ ) und eine Freundin, der er ein<br />

Liebeslied schreibt. Und dann verliebt er sich in<br />

seinen Mitschüler Yngve, hört David Sylvian,<br />

spielt Tennis und schenkt ihm eine Aufnahmen<br />

des Liebeslieds, ohne dass seine Freundin das<br />

weiß. Man merkt: Im Wesentlichen geht es hier<br />

um Musik. Martin Büsser bezeichnete Yngve in<br />

seiner Besprechung in SISSY 3 sogar als „große<br />

Liebeserklärung an die symbolpolitische Kraft<br />

des Pop.“ Da die Geschichte 1989 spielt, als Szenen<br />

und Subkulturen sich noch unterschieden,<br />

wird hier alles über Musik kommuniziert: Zugehörigkeit<br />

und Rebellion, kleine Fluchten und<br />

große Gesten, schließlich die Queerness, die in<br />

Gestalt des neuen Mitschülers, der fragilen<br />

elektronischen Texturen von Japan, dem zarten<br />

Gesang von David Sylvian, den flüchtigen<br />

Wolken über Stavanger in Jarles Leben auftaucht<br />

und ihm einen Raum aufmacht, der zwischen<br />

Cool und Uncool etwas Drittes möglich<br />

macht. „Es gibt keinen von Gender losgelösten<br />

Pop“, schrieb Martin Büsser. Genauso wenig<br />

gibt es einen von Gender losgelösten Film. Dass<br />

dieser hier zu einem der berührendsten Jungsfilme<br />

der Filmgeschichte werden konnte, verdankt<br />

er seiner Verschränkung von Pop und<br />

Narration. Dass die „Fortsetzung“ Ich reise allein,<br />

in der Jarles Geschichte weitererzählt<br />

wird, ebenfalls von Tore Renberg, dem Star-<br />

Autor der Vorlage, für den Film adaptiert, vollends<br />

zur spießigen Kokowäh-Variation wird,<br />

hat viel damit zu tun, dass er dort dieses Vertrauen<br />

verloren hat. Dass Jarle erwachsen wird,<br />

bedeutet hier, dass Musik genauso wie Jungs<br />

für ihn nun keine Rolle mehr spielen. Vielmehr<br />

muss er sich heteronormativ mit den Konsequenzen<br />

auseinandersetzen, die die Ambivalenzen<br />

seiner Jugend ihm beschert haben. Ich<br />

reise allein (natürlich ein viel größerer Erfolg)<br />

ist ebenso jüngst auf DVD erschienen. jk<br />

38 39<br />

MISS KICKI<br />

Se/tW 2009, Regie: Håkon Liu, GM Films<br />

frisch ausgepackt<br />

Pernilla August fährt als<br />

Miss Kicki nach Taiwan,<br />

um die späte Liebe zu verpassen.<br />

Stattdessen entdeckt<br />

sie die Mutterliebe<br />

und ihr Sohn die erste Liebe<br />

zu einem anderen Jungen.<br />

„Es ist Liu hoch anzurechnen,<br />

dass er sich nicht<br />

für die Blaupause einer Schmonzette entschied,<br />

denn wie kann es anders sein, als dass es richtig<br />

kracht, wenn sich eben Mutter und Sohn, dieses<br />

untrennbare Gestirn, neu begegnen, nach so<br />

langer Zeit, nach so vielen unterschiedlichen<br />

Erfahrungen und dennoch im richtigen Moment,<br />

als beider Leben neue Fahrt braucht und<br />

richtig Fahrt gewinnt. Und auch wenn Kicki<br />

manchmal ein großes Kind, eine ziemliche<br />

Bitch gar ist, sie weiß genau, was mit ihrem<br />

Sohn gerade passiert, was mit ihm und Didi geschieht.<br />

Das ist so angenehm selbstverständlich<br />

und ohne all das sattgehörte Outing-Gedöns erzählt.<br />

Und auch Didi ist keineswegs nur Randfigur.<br />

Seine Geschichte ist zentral, sie schwebt<br />

über dem zerbrechlichen Glück von Viktor und<br />

Kicki, denn er hat seine Mama früh verloren.<br />

Der Vater trinkt und spielt. Es gibt ihn eigent


frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />

lich gar nicht. Das ist die auch eine Parallele zu<br />

Viktors Leben. Damit wird Miss Kicki fast nebenher<br />

auch zu einem Film über die Absenz,<br />

das Versagen der heutigen Väter.“ (Michael<br />

Eckhardt in SISSY 14)<br />

LEB WOHL, MEINE KÖNIGIN<br />

FR/eS 2012, Regie: Benoît Jacquot, Alive<br />

„Der Blick geht nicht in die<br />

Höhe, nicht in Richtung<br />

Königin oder König oder<br />

Französische Revolution,<br />

sondern unter die Kleidung,<br />

die Stiche der Flöhe,<br />

später treten dann auch<br />

noch auf: tote Ratten. Sidonie<br />

Laborde, Marie-Antoinettes<br />

Vorleserin, kratzt sich am Arm und<br />

ahnt nichts vom Untergang ihrer Welt. Mit diesen<br />

ersten Bildern ist alles, eine Zeit, ein Milieu,<br />

der Hof von Versailles, wie auf einen Schlag da,<br />

mühelos-unangestrengt, es klopft an der Tür<br />

und die Verhältnisse beginnen sich nun, Zug für<br />

Zug, ohne große Erklärung zu erhellen. Leb<br />

wohl, meine Königin ist ein Kostümfilm, der seine<br />

Kostüme, die Fremde, die die Vergangenheit<br />

ist, von Anfang bis Ende mit Leichtigkeit trägt.<br />

(…) Wahrscheinlich ist das wahr, ohne die<br />

Wahrheit übers Geschehen zu sein. Eine Subjektive,<br />

die ihr Recht hat, der Sidonieblick gegen die<br />

Politorthodoxie, das Sidonie-Begehren gegen<br />

die Hierarchie und die Heteroliebe. Dies alles<br />

formuliert mit dem seinerseits liebenden Blick<br />

des Regisseurs, des Films auf seine Figuren, ihre<br />

Wörter und Körper, von angenehmer Stofflichkeit<br />

alles.“ (Ekkehard Knörer in SISSY 14)<br />

FRANKREICH PRIVAT –<br />

DIE SEXUELLEN GEHEIMNISSE<br />

EINER FAMILIE<br />

FR 2012, Regie: Jean-Marc Barr & Pascal Arnold, Alive<br />

Der reißerische deutsche<br />

Titel lässt an eine Sex-Reportage<br />

denken, weniger<br />

an den Aufklärungsfilm,<br />

der einen hier erwartet.<br />

„Zeig mal!“ in der französischen<br />

Bourgeoisie. Elegisches<br />

Klavierspiel ertönt,<br />

schmiedeeiserne Tore öffnen<br />

sich zum ländlichen Anwesen, das Sonnenlicht<br />

fällt in die Müslischalen einer französischen<br />

Idealfamilie, in der nur die Mutter etwas<br />

nervt, weil sie über die Sexualität ihrer Mitglieder<br />

reden möchte. Da stößt sie zwar auf Granit,<br />

der Zuschauer aber darf hinein ins pralle Leben,<br />

denn die Kamera weiht uns sehr bald ein, was es<br />

so an sexuellen Geheimnissen zu enthüllen gibt:<br />

Der jüngste wartet auf sein erstes Mal (das dann,<br />

ausführlich zelebriert, zum Höhepunkt des<br />

Films wird), die Adoptivtochter hat einen dauererregten<br />

Traummann gefunden, der ältere<br />

40<br />

Sohn steht auf Sex mit Paaren (und erkennt<br />

dann, dass er auf die Frauen darin auch verzichten<br />

könnte), der Schwiegervater geht zu einer<br />

Prostituierten. Sobald alles gestanden wird, öffnet<br />

sich die Familie schnell und alle dürfen zusammen<br />

aufs Familienfoto. Nichts ist wirklich<br />

ein Problem – nicht die jugendliche Scham,<br />

nicht das Für-Sex-bezahlt-Werden, nicht das<br />

homosexuelle Begehren, nicht der Sex im Alter,<br />

schon gar nicht der rücksichtsvoll verhütete Sex<br />

mit der Ehefrau, die keine Spirale verträgt. Eigenartig<br />

ist das schon, wie dieser Film hier von<br />

der unendlichen Flexibilität der Mittelstandsfamilie<br />

schwärmt. Bemerkenswert schön sind die<br />

Hardcore-Szenen gefilmt, in dem die Erregung<br />

sichtbar ist, aber nicht den Fokus für sich beansprucht.<br />

Das Kino von Jean-Marc Barr ist wie<br />

stets explizit bisexuell, an Männern und Frauen<br />

interessiert, die ihre Rollen nicht verlassen müssen.<br />

Die Erregung ist selbstgenügsam, es ist<br />

okay, wenn dabei die Kamera eingeschaltet<br />

wird. Triumph bürgerlicher Hygiene. jk<br />

DIE LIEBENDEN – VON DER LAST,<br />

GLÜCKLICH ZU SEIN<br />

FR 2011, Regie: christoph Honoré, Senator/Universum<br />

„Nach außen hin ist es die<br />

Geschichte einer Mutter<br />

und ihrer Tochter, deux<br />

filles légères, die sich ihre<br />

Freiheit nehmen, nur um<br />

sie dann selbst wieder<br />

aufzugeben. Aber das ist<br />

nur der rote Faden, der<br />

hier an einem Paar roter<br />

Schuhe hängt.“ (Siehe Seite 34)<br />

SUGAR ORANGE<br />

De 2004, Regie: Andreas Struck, Pro-Fun Media<br />

Leo, „Sugar“, und Clemens,<br />

„Orange“, sind 11<br />

Jahre alt und beste Freunde,<br />

bis ein Unfall ihre Zugehörigkeit<br />

auf die Probe<br />

stellt und Clemens zum<br />

Feigling wird. Sechzehn<br />

Jahre später verliebt Leo<br />

sich irgendwie in Lena<br />

und Clemens ist mit Leos Bruder zusammen.<br />

Geklärt ist nichts. Wird es aber. Die größte<br />

Qualität, die Andreas Struck in seinem mehrfach<br />

ausgezeichneten zweiten Film an den Tag<br />

legt, ist die, seine Figuren einfach beobachten<br />

zu können, ohne sie permanent mit Botschaften<br />

aufladen zu müssen. So kommen sie und der Zuschauer<br />

viel näher an den Kern der Dinge heran,<br />

nach dem sie alle auf der Suche sind. Von der<br />

Farbe über den Ton bis zur Kamera wirkt an<br />

Sugar Orange, trotz der gelegentlichen Schwere<br />

des Buches, vieles leicht, nicht notwendigerweise<br />

vergnüglich, aber einfach. Herzen sind<br />

zart und können kaputtgehen, Freundschaft ist<br />

auch nur Liebe, und wer einmal lügt … Struck<br />

hat einen sehr deutschen Film gedreht, der die<br />

Qualitäten des heimischen Kinos bündelt, ohne<br />

seine Beschränktheiten mitzubringen. Wunderbar.<br />

ps<br />

DICKE MÄDCHEN<br />

De 2011, Regie: Axel Ranisch, MissingFilms<br />

„Eine demente Oma namens<br />

Edeltraut, die mit<br />

ihrem wirklich dicken<br />

Sohn im selben Bett<br />

schläft, unter Strukturtapete,<br />

Leuchter und gesteppten<br />

Bettüberwürfen<br />

– dieses eigenartige Bild<br />

eröffnet eine der unwahrscheinlichsten<br />

Liebesgeschichten, die das Kino<br />

seit langem gesehen hat. Eine Liebesgeschichte,<br />

die (und diese Formulierung wiederholt sich)<br />

vorbei an klassischen Förder- und TV-Gremien<br />

entstanden ist, in wenigen Monaten, mit geringstem<br />

Budget: Sohn Sven mag Hausfreund<br />

und Pflegekraft Daniel. Daniel mag Sven. (…)<br />

Eine unerhörte Komplizenschaft überträgt sich<br />

auf den Zuschauer. Dabei sind diese Körper<br />

doch so anders als alles, was man – zuvörderst<br />

im schwulen Kino – sonst auf der Leinwand zu<br />

sehen bekommt. Das Gefühl von ‚Anderssein‘<br />

komplett verschwinden zu lassen – das ist vielleicht<br />

das Eigentümlichste und Beste, was<br />

queeres Kino schaffen kann.“ (Jan Krüger in<br />

SISSY 15)<br />

MÄNNER ZUM KNUTSCHEN<br />

De 2011, Regie: Robert Hasfogel, Pro-Fun Media<br />

Der eher zurückhaltend<br />

und ein wenig ernst wirkende,<br />

aber durchaus<br />

knuddelige Bankangestellte<br />

Ernst Knuddelmann<br />

− für sprechende<br />

Rollennamen und originelle<br />

Filmtitel haben die<br />

Filmemacher zweifellos<br />

ein Händchen − kommt aus der Provinz in die<br />

pulsierende Metropole Berlin und lernt dort<br />

Tobias kennen und lieben. An der Seite des −<br />

wie sagt man hier doch gleich immer? − ‚schrillen<br />

Paradiesvogels‘ und dessen − dieses Attribut<br />

darf an dieser Stelle nicht fehlen − ‚quirliger‘<br />

Entourage, die aus bestem Freund Leo, bester<br />

Freundin Steffi sowie deren Lover Kurt besteht,<br />

lernt Ernst nun das bunte Leben kennen<br />

und absolviert vor allem − aufregend, aber auch<br />

anstrengend − einen Schnellkurs im Fach<br />

schwule Partykultur. Bis plötzlich seine Jugendfreundin<br />

Uta auf der Bildfläche erscheint.<br />

Die gerade aus den USA remigrierte Ex-Botschaftsangestellte,<br />

deren Charakter an Lord<br />

Voldemort erinnert und deren Garderobe zu<br />

gleichen Teilen von Matrix Reloaded und einem<br />

Fünfziger-Jahre-Tanztee inspiriert zu sein<br />

scheint, setzt nämlich alles daran, das liebende<br />

Paar auseinander zu bringen und sich in Ernsts<br />

Wohnung festzusetzen. Wird ihr finsterer Plan<br />

am Ende aufgehen? Natürlich nicht, denn wir<br />

befinden uns ja in einer sogenannten ‚turbulenten<br />

Komödie‘, in der es zuweilen arg lustig zugeht<br />

und die unermüdlich „Ja, dit is Berlin!“<br />

auszurufen scheint: Dufte Stimmung, schräge<br />

Typen, Transen, Drinks, Joints und skurrile<br />

Taxifahrer, alles ist dabei. Weil Darsteller und<br />

Crew beim Dreh offenbar einen Mordsspaß<br />

hatten und auswärtigen Spaßbremsen die Feinheiten<br />

des Hauptstadthumors mitunter nicht<br />

wirklich zugänglich sind, sollen dies der Worte<br />

genug sein. cm<br />

CHI L’HA VISTO – WO BIST DU?<br />

De 2009, Regie: claudia Rorarius, indigo<br />

Gianni Meurer − ein halb<br />

italienischer und halb<br />

deutscher Name, an dem<br />

sich das Spielfilmdebüt<br />

von Claudia Rorarius wesentlich<br />

ausrichtet, und<br />

zwar in mehrfacher Hinsicht.<br />

Zum einen nämlich<br />

ist dies der Name des bislang<br />

nur aus Musical-Inszenierungen bekannten<br />

Hauptdarstellers, der in diesem Film eine<br />

immerhin so beachtliche Leistung zeigt, dass er<br />

demnächst neben Moritz Bleibtreu für Oliver<br />

Hirschbiegels neueste Produktion vor der Kamera<br />

stehen wird. Zum anderen heißt so aber<br />

auch der fiktive Protagonist des Films, dessen<br />

Biographie allerdings mit der seines Darstellers<br />

einige Überschneidungen aufweist. Nämlich<br />

die, dass beide bei ihrer Mutter in Deutschland<br />

aufwuchsen und ihren italienischen Vater zum<br />

letzen Mal vor 25 Jahren für eine kurze Stunde<br />

sahen. Um ihn zu suchen macht sich Gianni<br />

Meurer alias Gianni Meurer kurz nach seinem<br />

ein Film von ALEXANDRA THERESE KEINING<br />

„KÜSS MICH hat alles, was ein Film braucht,<br />

um eine aufregende Liebesgeschichte zu erzählen!“<br />

P H E N O M E N E L L E.DE<br />

„Leidenschaftlich, sinnlich und sexy.<br />

Und so witzig und dramatisch, um Euer<br />

neuer Lieblingsfilm zu werden!“<br />

A F T E R E L L E N.C O M<br />

31. Geburtstag mit dem Auto von Berlin nach<br />

Italien auf. Im Verlauf seiner kleinen Odyssee<br />

lernt er flüchtig einige Menschen kennen, denen<br />

er die wenigen Zeugnisse seines verschollenen<br />

Vaters − ein angejahrtes Foto des damals<br />

23-Jährigen sowie wenige vergilbte Briefe −<br />

zeigt und macht auch Bekanntschaft mit dem<br />

jungen Deutschen Paul, der sich ihm eine zeitlang<br />

anschließt. Ob Gianni diesen Paul einfach<br />

nur nett findet oder ob er mehr für ihn empfindet,<br />

bleibt unklar − wie vieles an seinem Verhalten.<br />

Was sucht Gianni eigentlich genau in Italien?<br />

Seine Wurzeln, seine wahre Identität?<br />

Warum bleibt seine Suche so eigentümlich unsystematisch<br />

und unentschlossen? Will er seinen<br />

Vater überhaupt finden? Die letzte Möglichkeit<br />

dazu scheint auf jedem Fall seine<br />

Teilnahme an der TV-Sendung Chi L’Ha Visto<br />

(Wer hat ihn gesehen?) darzustellen, er muss<br />

nur rechtzeitig im römischen Fernsehstudio<br />

eintreffen. Rorarius’ im dokumentarischen Wackelkamera-Stil<br />

inszeniertes Roadmovie überzeugt<br />

vor allem durch das realitätsnahe Spiel<br />

seiner Darsteller, aber auch ästhetisch, sodass<br />

man ihm, bezieht man die Frage seines Titels<br />

einmal auf ihn selbst, nur die folgende Antwort<br />

wünschen kann: möglichst viele. cm<br />

FREUNDE FÜR IMMER<br />

DK 1986, Regie: Stefan Henszelman, edition Salzgeber<br />

„Zu Beginn des Films<br />

Freunde für immer kommt<br />

ein junger Mann neu an<br />

eine Schule. Zur Begrüßung<br />

fliegt ihm auf dem<br />

Pausenhof ein gelber Tennisball<br />

an den Kopf. Ein<br />

properer Blondschopf hat<br />

ihn geworfen, der lacht,<br />

nicht unfreundlich. Der Neue verzieht keine<br />

Miene. Sein Name: Kristian, Ort der Handlung:<br />

Dänemark, genauer Kopenhagen, Zeit: 1987. Als<br />

Kristian versucht, sich an der neuen Schule zurechtzufinden,<br />

gerät er in einen Zwiespalt. Da<br />

ist zum einen die Clique um den Schulhofrabauken<br />

Patrick, zum anderen der Einzelgänger<br />

Henrik mit Pferdeschwanzfrisur, der sich in<br />

Tai Chi übt und den die Klassenkameraden als<br />

Schwuchtel verspotten. Zwar fühlt sich Kristian<br />

zunächst zu Henrik hingezogen, hat aber<br />

Angst, er könne durch sein Faible für den gemobbten<br />

Mitschüler selbst zum Außenseiter<br />

werden. Also schließt er sich immer stärker Patrick<br />

und seinen Kumpeln an. Deren Gespräche<br />

drehen sich hauptsächlich um Mädchen beziehungsweise<br />

den Sex, den die Jungs in aller Regel<br />

noch nicht hatten, was sie aber nie zugeben<br />

würden.<br />

Ein schöner Effekt des Films ist, dass sich letztlich<br />

nicht der zu allem Überfluss auch noch als<br />

Fotomodell jobbende Henrik als schwul herausstellt,<br />

sondern der kerlige Patrick. Er ist es, der<br />

in Stefan Henszelmans Film Kristians Freund<br />

für immer wird, und die beiden jungen Männer<br />

entdecken zur selben Zeit die Liebe – der eine<br />

hetero-, der andere homosexuell.“ (Dino Heicker<br />

in SISSY 14)<br />

TIEFER ATEM<br />

FR 2001, Regie: Damien odoul, edition Salzgeber<br />

Diese eigenartig schroff in<br />

der Filmgeschichte herumstehende<br />

Pubertäts-<br />

Fantasie aus dem Jahr<br />

2001 geht formal ganz auf<br />

im Schwebezustand ihres<br />

15-jährigen Helden und<br />

seiner rohen, zärtlichen,<br />

egozentrischen Wahrnehmung<br />

der Welt. Was seine Hormone mit ihm<br />

veranstalten, macht der Film mit den Männern<br />

und der Natur, die Regisseur Damien Odoul im<br />

ländlichen Limousin vorgefunden hat: Alles<br />

wird in ein eigenwilliges poetisches Fieber ver-<br />

JETZT AUF DVD


frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />

setzt. „Sexuelle Fantasien. Es ist heiß. Dann<br />

geht ein Gewitter nieder. Doch geht tatsächlich<br />

ein Gewitter nieder? Oder sind der heftige Regen<br />

und das Herumwälzen im Schlamm delirante<br />

Fantasien, dem Wein und dem Schnaps<br />

geschuldet? Der ungewohnte Alkohol und die<br />

verrückt spielenden Hormone des Pubertierenden<br />

gehen eine unheilige Allianz ein, Wirklichkeit<br />

und Rauschtraum fließen nahtlos ineinander.<br />

Komplizenhaft unterstützt von Pascale<br />

Granels Kinematografie, die das Natürliche des<br />

ländlichen Handlungsraums mit dem Artifiziellen<br />

scharfer Kontraste austreibt.“ (Alexandra<br />

Seitz in SISSY 15)<br />

KÜSS MICH<br />

Se 2011, Regie: Alexandra therese Keining, edition<br />

Salzgeber<br />

„Im Brautkleid ihrer<br />

Mutter, das sie unbedingt<br />

zur Hochzeit tragen wollte,<br />

obwohl es Tim nicht<br />

gefällt, steht Mia unschlüssig<br />

vor dem Spiegel.<br />

Es ist, als würde das biedere,<br />

hochgeschlossene<br />

Kleid ihr die Luft zum<br />

Atmen nehmen, sie reißt es sich vom Leibe.“<br />

(Siehe Seite 12)<br />

ATOMIC AGE<br />

FR 2011, Regie: Héléna Klotz, Pro-Fun Media<br />

Zwei Jungs fahren nach<br />

Paris, gehen in einen Club<br />

und verlaufen sich im<br />

Wald. „Atomic Age ist ein<br />

eigenwilliger Film, intim<br />

und großspurig, formlos<br />

und konsequent zugleich.<br />

Er nimmt seine Protagonisten<br />

ernst und ist entschieden<br />

in sie verliebt, enthebt sie aber gleichzeitig<br />

einer scharf konturierten Welt. Die<br />

poetische Nachtstimmung, die mitatmende Kamera<br />

und der knisternde Soundtrack liegen wie<br />

ein melancholischer Hauch über der kleinen<br />

Geschichte, in der es eigentlich um Jugendliche<br />

geht, bei denen noch gar nichts passiert ist. Die<br />

bewusstseinsverändernde Filmsprache erinnert<br />

an Werner Schroeter, der ja zuletzt auch<br />

nur noch entrückte Nächte verfilmt hat. Gleichzeitig<br />

will dieser Film mehr, er will ein Statement<br />

sein gegen die Logik hübsch aufgelöster<br />

Coming-of-Age-Geschichten, mag seine Jugendlichen<br />

nicht ambitionslos, angepasst, unpolitisch<br />

oder rebellisch finden, sondern spielt<br />

die Flucht in die Hipster-Unverbindlichkeiten<br />

(kein Produkt sein, kein Labelträger, kein User)<br />

als traurige Rettungsmaßnahme vor der drohenden<br />

Bewegungslosigkeit zurück. Die Poesie<br />

des Films ist mitfühlend: Sie ist als Freiraum<br />

für Sprache, Identitäten und Körper gedacht.<br />

Und wenn das auch nur heißen sollte, dass sie<br />

sich für einen kurzen Moment verlaufen dürfen.“<br />

(Jan Künemund in SISSY 14)<br />

LET MY PEOPLE GO<br />

FR 2011, Regie: Mikael Buch, Pro-Fun Media<br />

Allen, Almodóvar und Anderson.<br />

„Die bloße Aufzählung<br />

der künstlerischen<br />

Paten lässt beinahe<br />

schon erahnen, worum es<br />

in der Komödie geht: nämlich<br />

um eine ebenso skurrile<br />

wie verkorkste jüdische<br />

Familie in Paris und<br />

vor allem um deren ebenso tollpatschigen wie<br />

hoch nervösen homosexuellen Spross Ruben,<br />

der − und darin besteht der von der Kritik auch<br />

bereits festgestellte Kaurismäki-Einfluss − gerade<br />

von seinem finnischen Freund verlassen<br />

wurde und zuweilen genauso melancholisch<br />

dreinblickt wie Jean-Pierre Léaud. Almódovar<br />

bildet auch insofern eine gute Vergleichsfigur,<br />

als es sich bei ihm ebenfalls um einen sehr eklektizistischen<br />

Regisseur handelt, der seine Filme<br />

mit deutlichen Zitaten und subtilen Anspielungen<br />

auf die Kinogeschichte geradezu<br />

vollstopft. Im Unterschied zu Buch arrangiert<br />

er sie aber so gekonnt, dass sich dabei zahlreiche<br />

neue Sinnzusammenhänge ergeben. Zudem<br />

fügen sie sich nahtlos in einen ganz eigenen<br />

Stil ein, der mittlerweile nahezu<br />

un verwechselbar geworden ist.“ (Christoph<br />

Mey ring in SISSY 15)<br />

LEAVE IT ON THE FLOOR<br />

US 2011, Regie: Sheldon Larry, edition Salzgeber<br />

„Bradley (Ephraim Sykes,<br />

wie fast alle Darsteller<br />

eine filmische Neuentdeckung)<br />

wird zu Hause<br />

rausgeschmissen, als seine<br />

Mutter erfährt, dass er<br />

schwul ist. Er lernt den<br />

nicht weniger attraktiven<br />

Carter kennen, bevor er<br />

über Umwege in das House of Eminence und<br />

dadurch in die Ballroom-Szene von Los Angeles<br />

gerät. Zur Erklärung: Häuser sind clanähnliche<br />

Ersatzfamilien, die von Müttern ‚geleitet‘<br />

werden und deren Mitglieder in den<br />

verschiedenen Kategorien der Bälle gegeneinander<br />

antreten. Judith Butler hat die Neuformulierung<br />

der heterosexuellen Verwandtschaftsverhältnisse<br />

beschrieben, die durch<br />

die Strukturen der Häuser stattfinden. Leave<br />

It On The Floor spielt hauptsächlich in einem<br />

dieser Häuser und spinnt zudem den Gedanken<br />

der ökonomisch bedingten schwulen<br />

Patchwork-Familie in der Figur der ‚schwangeren‘<br />

Eppie Durall augenzwinkernd fort. Die<br />

Namen der Darsteller wie Barbie-Q oder Roxy<br />

Wood in den Rollen der Queef Latina oder<br />

Glam-House-Mother bezeugen dann auch das<br />

Anliegen der Macher, Mitglieder der echten<br />

Szene(n) in ihren Film mit einzubeziehen und<br />

Leave It On The Floor damit wiederum eine<br />

Form von Realness zu geben, die dem durch<br />

und durch künstlichen Film Glaubwürdigkeit<br />

verleiht. In den zahlreichen Musicaleinlagen<br />

werden strukturelle und persönliche (Beziehungs-)Probleme<br />

(schwarzer) US-Amerikaner<br />

besungen, es wird viel getanzt, es werden<br />

Sehnsüchte formuliert und Battles ausgetragen.<br />

(…) Bis hin zu den Fingernägeln von Bradleys<br />

Mutter lassen sich in Leave It On The<br />

Floor immer wieder Verweise auf die in Paris<br />

Is Burning beschriebene reale Ballroom-Welt<br />

finden. Damit betreibt der Film auf eine sehr<br />

eigenwillige Art Erinnerungskultur in Form<br />

von Entertainment. Das kann man schwierig<br />

finden, man kann sich aber auch einfach nur<br />

unterhalten lassen; von der Videoclip-Ästhetik,<br />

den Kostümen, den Lieder, der Spiel- und<br />

Tanzfreude der Darsteller, der Schönheit der<br />

Menschen und der Illusion.“ (Toby Ashraf in<br />

SISSY 15)<br />

THE LOVE PATIENT<br />

US 2011, Michael Simon, Pro-Fun Media<br />

Paul, der wie achtzig Prozent<br />

aller Protagonisten<br />

schwuler US-Komödien<br />

in der Werbebranche tätig<br />

ist, trauert immer noch<br />

seinem Ex-Freund, aber<br />

Noch-Kollegen Brad hinterher,<br />

der ihm vor einem<br />

Jahr aus gutem Grund<br />

den Laufpass gegeben hat. Alle angestrengten<br />

Versuche ihn zurückzugewinnen sind bislang<br />

kläglich gescheitert, ja Brad scheint mit dem<br />

bisexuellen Ted mittlerweile sogar einen neuen<br />

Lover gefunden zu haben. In dieser verzweifelten<br />

Lage kommt Paul eine überaus perfide<br />

Idee, die er in Komplizenschaft mit dem<br />

befreundeten Arzt Burd auch sogleich in die<br />

Tat umsetzt: Er behauptet, man habe bei ihm<br />

ein Lungenkarzinom diagnostiziert und ihm<br />

bleibe vielleicht nur noch kurze Zeit zu leben.<br />

Die dreiste Lüge zeitigt sofort durchschlagende<br />

Effekte − unbeabsichtigter wie auch wohl<br />

kalkulierter Natur. So zeigt sich auch Brad aufrichtig<br />

erschüttert und kommt seinen Ex wieder<br />

häufig besuchen. Michael Simons Filmlustspiel,<br />

das sich offensichtlich weniger an<br />

Molières „Der eingebildete Kranke“ als vielmehr<br />

an dem uralten Klotürspruch „Tumor ist,<br />

wenn man trotzdem lacht“ orientiert, ist leider<br />

kein Brüller. Und das liegt nicht so sehr daran,<br />

dass man sich über das ernste Thema Krebs<br />

nicht lustig machen darf − wie es zum Beispiel<br />

Woody Allen erfolgreich vorgemacht hat. Man<br />

kann es aber auf eine grundlegend falsche und<br />

äußerst alberne Art tun. Tröstlich, dass hier<br />

am Ende selbstverständlich niemand das Zeitliche<br />

segnen muss. cm<br />

FAMILIENTRÄUME<br />

MX 2011, Regie: Gustavo Loza, Pro-Fun Media<br />

Drei Tage lang bleibt der<br />

siebenjährige Hendrix unbeaufsichtigt<br />

und ohne<br />

jegliche Versorgung eingesperrt,<br />

bis ihn schließlich<br />

die beiden lesbischen<br />

Nachbarinnen Ivana und<br />

Gloria aus der verdreckten<br />

Wohnung seiner drogensüchtigen<br />

Mutter Nina befreien. Doch wohin<br />

jetzt mit dem Kleinen? Nachdem sie seine Mutter<br />

gegen ihren Willen in eine Entzugsklinik<br />

haben einweisen lassen, bringen die Frauen ihn<br />

in Ermangelung weiterer Alternativen vorerst<br />

bei einem befreundeten Schwulenpaar unter.<br />

Jean Paul und Chema haben in ihrem schönen<br />

Haus zwar genügend Platz für den Gast, doch<br />

mit Kindern können diese Hedonisten so gar<br />

nichts anfangen. Trotzdem entwickeln sie mit<br />

der Zeit eine tiefe Zuneigung zu Hendrix. Diese<br />

wird auf eine harte Probe gestellt, als Nina aus<br />

der Klinik entkommt und ihren Sohn vehement<br />

zurückfordert. Der Kampf um das Kind eskaliert<br />

und nimmt immer brutalere Züge an.<br />

Schonungslos, gänzlich unsentimental und<br />

sehr realistisch ist der Blick, den Regisseur<br />

Gustavo Loza auf den gegenwärtigen sozialen<br />

und moralischen Zustand der mexikanischen<br />

Gesellschaft wirft. Dennoch lässt er auch die<br />

intoleranten, homophoben und gestrauchelten<br />

Charaktere nicht zu hässlichen Fratzen verkommen,<br />

sondern zeigt sie als brüchige Figuren,<br />

indem er ihnen auch ehrliche, positive Gefühle<br />

zubilligt. Seine Art, mehrere Geschichten<br />

parallel zueinander zu erzählen und schließlich<br />

miteinander zu verweben, erinnert zuweilen an<br />

seinen berühmten Landsmann Alejandro González<br />

Iñárritu. Ein sehenswerter Film. cm<br />

42 43<br />

ECUPID<br />

US 2011, Regie: J. c. calciano, Pro-Fun Media<br />

Da schwule Männer zumindest<br />

noch insofern<br />

eine Avantgarde darstellen,<br />

als sie ihre Midlife-<br />

Crisis zehn Jahre früher<br />

erleben als der Rest der<br />

Menschheit, stellt sich<br />

auch der Werbefachmann<br />

Marshall pünktlich zu seinem<br />

dreißigsten Geburtstag die unausweichliche<br />

Frage: Führe ich wirklich ein erfülltes, aufregendes<br />

und glückliches Leben? Dabei kann er<br />

eigentlich froh sein: guter Job, nette Behausung<br />

und seit sieben Jahren eine feste Beziehung mit<br />

dem ebenso hübschen wie treuherzigen Gabe.<br />

Doch, zugegeben, das Bild, das die beiden in ih-<br />

rer Freizeit abgeben, sollten sie lieber nicht auf<br />

ihrer Facebook-Seite posten und ein Video ihrer<br />

momentanen Schlafzimmeraktivitäten würde<br />

man sich allenfalls als Einschlafhilfe bei<br />

Youporn herunterladen. Darum zögert Marshall<br />

nicht lange, als die vielversprechende App<br />

eCupid auf seinem Monitor darum bittet, gedownloadet<br />

zu werden. Kaum hat sie sich installiert,<br />

beginnt sie ein unheimlich intelligentes<br />

und unheimlich empathisches Eigenleben zu<br />

führen. Mit anderen Worten: Sie scheint Marshalls<br />

intimste Erotikphantasien zu erahnen<br />

und schafft zielsicher Gelegenheiten, diese<br />

endlich in die Tat umzusetzen. J. C. Calcianos<br />

Komödie fehlt leider auch etwas, nämlich eine<br />

gehörige Portion Biss und Scharfsinn, die nötig<br />

wäre, um die Absonderlichkeiten des Internet-<br />

Dating und die aus dem Netz sprudelnde erotische<br />

Reizüberflutung auf witzige Weise aufs<br />

Korn zu nehmen. Ein Highlight stellt aber<br />

zweifelsohne der Gastauftritt einer bewundernswert<br />

faltenfreien und fast schon computergeneriert<br />

anmutenden Morgan Fairchild dar,<br />

die als alterslose Raststättenkellnerin altersweise<br />

Kritik an der Realitätsferne des Internet-<br />

Zeitalters formulieren darf. TV-Junkies jenseits<br />

der Midlife-Crisis werden sich an sie<br />

erinnern: Teile ihres aktuellen Körpers wirkten<br />

bereits in den 1980ern in Dallas, Flamingo Road,<br />

Falcon Crest und Karussell der Puppen und damit<br />

an der gesunden Sozialisation der letzten<br />

analogen Generation mit. cm<br />

OFF SHORE<br />

De 2011, Regie: Sven J. Matten, Pro-Fun Media<br />

„Dünen, Wellen, Strand<br />

und Surfer. Ein Schiff<br />

bringt Andi nach Fuerteventura.<br />

Tina, die Surf-<br />

Lehrerin, holt Andi ab.<br />

Andi vertraut ihr direkt<br />

seine Geschichte an: Sein<br />

Vater, den er nie kennen<br />

gelernt hat, war Surfer<br />

und lebt irgendwo auf der Insel. Um ihm nahe<br />

zu kommen, hat sich Andi in einen Surfkurs<br />

eingebucht. Direkt nach seiner Ankunft macht<br />

sich Andi schließlich auf, um seinen Vater zu<br />

suchen und findet ihn auch sofort. Doch bis er<br />

es schafft, ihn anzusprechen, nimmt er erst einmal<br />

Surfstunden bei Tina, die offenbar bereits<br />

Gefühle für ihn hegt. Am Strand begegnet Andi<br />

einem jungen athletischen Surfer, Pedro, dessen<br />

Ausstrahlung ihn magisch anzieht. Dünen,<br />

Wellen, Strand und Surfer. Andi wird seinen<br />

Vater noch einmal aufsuchen, sich vor ihn stellen<br />

und sagen: ‚Hallo Vater!‘ Und der Vater wird<br />

ihn sofort freundlich aufnehmen, was Andi verwirrt.<br />

Schließlich lässt sich Andi auf die Begegnung<br />

mit dem Vater und auch auf Tina ein, immer<br />

wieder durcheinandergebracht von der<br />

Begegnung mit dem jungen geheimnisvollen<br />

Pedro, der ihn bei einer flüchtigen Begegnung<br />

liebevoll berührt und seine nassen Locken in<br />

der Abendsonne schüttelt. Dünen, Wellen,<br />

Strand und Surfer.“ (Nicky Naish in SISSY 14)<br />

SPEECHLESS<br />

cH 2012, Regie: Simon chung, Pro-Fun Media<br />

Simon Chungs Hauptthema<br />

ist der Clash von Privatsphäre<br />

und Öffentlichkeit.<br />

Die bilden in Chungs<br />

Heimatland China die<br />

Pole, zwischen denen sich<br />

Personen darstellen und<br />

an denen der Charakter<br />

eines Menschen definiert<br />

wird. In all seinen Filmen erzählt Chung vom<br />

Zusammenbruch der Balance von Privatheit<br />

und öffentlichem Leben, der immer von queerer<br />

Sexualität herbeigeführt wird. In noch keinem<br />

seiner Werke ist ihm das so gut gelungen<br />

wie in Speechless. Der Thriller, der auch ein<br />

erotisches Liebesdreieck erzählt, das auch eine<br />

Studie über Vergeltung ist, ist sein formell konventionellster<br />

Film, hat aber ein so starkes<br />

Buch und so großartige Schauspieler, dass man<br />

sich kaum satt sehen kann. Europäisches und<br />

chinesische Moralverständnis treffen aufeinander<br />

und lösen einen Gefühlstsunami aus, der<br />

alle Teilnehmer unter sich begräbt. Beherrscht,<br />

stilvoll, in tollen Bildern erzählt. Gutes<br />

asiatisches Kino. ps<br />

MIXED KEBAB<br />

Be/tR 2012, Regie: Guy Lee thys, Pro-Fun Media<br />

„Ein schwuler Türke in<br />

Antwerpen soll eine raffgierige<br />

Cousine in der<br />

Türkei heiraten, möchte<br />

aber eigentlich mit seiner<br />

neuen Flamme Kevin zusammen<br />

sein. Spätestens<br />

jetzt wächst ihm seine<br />

Mehrfachdiskriminierung<br />

über den hübschen Kopf. Ja, so sieht es<br />

aus, das Multikulti-ist-vorbei-Belgien des Regisseurs<br />

Guy Lee Thys, der aus dieser Konstellation<br />

und ganz viel Drehbuchirrsinn eine<br />

heikle Komödie strickt. (…) Was man diesem<br />

hundsgemeinen Film zugestehen muss: Er<br />

knallt in alle Richtungen. Die Türken darin<br />

sind Heuchler, kriminell, bigott, fanatisch,<br />

frauenfeindlich, homophob, raffgierig, außerdem<br />

haben sie was gegen die Polizei. Die wiederum<br />

ist rassistisch und/oder lesbisch. Lesben<br />

machen dagegen entweder unsittliche<br />

Angebote an Raubopfer, heizen mit heißen<br />

Spielern einen Dealer an oder führen mit ihrem<br />

öffentlich zur Schau gestellten Lesbischsein<br />

den belgischen Kleinbürgern vor, dass es mit<br />

ihrem Heimatland den Bach herunter geht. Für<br />

die wiederum sehen Türken natürlich alle<br />

gleich aus, auch wenn sie keine kennen. Bleiben


frisch ausgepackt<br />

die Schwulen: die sind entweder fett, haarig<br />

und haben ihr Stylingziel ‚Gautier-Matrose‘<br />

deutlich verfehlt, oder sie brauchen unendlich<br />

lange, um mal miteinander ins Bett zu gehen.<br />

Die belgischen Nicht-Kleinbürger, also die, die<br />

z.B. hippe Bars besuchen, koksen übrigens oder<br />

dealen gleich. Was soll man damit anfangen?<br />

Man schaut zu, wie ein Regisseur mit all diesen<br />

Gemeinheiten jongliert. Angestrebte Reaktion,<br />

wenn es klappt: Applaus. Also: Applaus!“ (Richard<br />

Garay in SISSY 15)<br />

THE WOLVES OF KROMER<br />

GB 1998, Regie: Will Gould, edition Salzgeber<br />

Lange bevor Taylor Lautner<br />

in der Twilight-Trilogie<br />

als oberkörperfreier<br />

Mini-Werwolf 10-jährige<br />

Mädchen und geschmacklose<br />

Homosexuelle jeden<br />

Alters um den Verstand<br />

brachte, lebten in einem<br />

dunklen, zutiefst englischen<br />

Filmwald Seth und Gabriel. Man schrieb<br />

das Jahr 1998 und es reichte noch, hübschen,<br />

langhaarigen Jungs Pelzmäntel anzuziehen und<br />

sie traurig in die Ferne starren zu lassen, während<br />

sie an ihren langen Fingernägeln kauten,<br />

um so etwas wie ironische Tiefsinnigkeit herzustellen.<br />

Regisseur Will Gould konnte sich darauf<br />

verlassen, dass die Weltabgeschiedenheit seiner<br />

Charaktere und die liebreizende Erzählerstimme<br />

von Boy George das Publikum direkt dorthin<br />

geleiten würden, wo es hinsollte: ins Unterholz<br />

der Geschlechter. Dort werden Seth und Gabriel<br />

erst von zwei alten Schrullen (die englischen<br />

Comedy-Legenden Rita Davies und Margaret<br />

Towner) angeschwärzt und dann von einem<br />

ganzen Dorf gejagt, während die Jungwölfe versuchen,<br />

ihre Liebe und sich selbst zu retten. Die<br />

„Gay Times“ befand seinerzeit: „Atmosphärisch.<br />

Sexy. Merkwürdig.“ 2012 sagt man „Anti-<br />

Twilight“. Sehr schön, immer noch. ps<br />

UNTER MÄNNERN –<br />

SCHWUL IN DER DDR<br />

De 2012, Regie: Markus Stein & Ringo Rösener,<br />

edition Salzgeber<br />

Der junge Filmemacher<br />

Ringo Rösener macht sich<br />

auf die Suche nach seinen<br />

Vorvätern: Schwulen in<br />

der DDR. Er findet sie und<br />

mit ihnen auch ein Stück<br />

von sich selbst. „Rösener<br />

und Stein lassen ihre völlig<br />

unterschiedlichen Protagonisten<br />

(vom punkig schillernden Star-Frisör<br />

bis zum verbitterten 80-Jährigen ist alles dabei)<br />

ihre eigenen Geschichten erzählen und so verdeutlichen:<br />

‚das schwule Leben‘ in der DDR gab<br />

es gar nicht. Es gab eine Menge Einzelschicksa-<br />

le, die ihre Gemeinsamkeit nur daraus bezogen,<br />

anders als der Durchschnitt zu sein und so mit<br />

dem System in Konflikt zu geraten. Wenn Coiffeur<br />

Frank Schäfer fröhlich davon berichtet,<br />

wie er von einem Stasioffizier ‚quasi vergewaltigt‘<br />

wurde, hat das mit der Biografie von Eduard<br />

Stapels, dem ‚Homopfarrer‘ des wilden Ostens,<br />

der einer der ersten war, der innerhalb der<br />

Kirche Schwulengruppen gründete, in der persönlichen<br />

Wahrnehmung des jeweils Erzählenden<br />

nichts zu tun. Beide stehen aber für eine<br />

ganze Reihe ähnlicher Schicksale.<br />

Die filmische Klammer die Rösener für seine<br />

Suche findet, Ausschnitte aus Coming Out von<br />

1989 mit seiner eigenen Perspektive des Spätgeborenen<br />

abzugleichen, funktioniert hinreichend,<br />

weil sie die Veränderung der letzten<br />

zwanzig Jahre gut illustriert, verdeutlicht aber<br />

auch, dass man den Film nicht einmal als Laser<br />

für die sechs Männer benutzen kann, die in Unter<br />

Männern beschrieben werden. Das Coming-<br />

Out des ostdeutschen Schwulen wird durch<br />

diesen Widerspruch in seiner Verschiedenheit<br />

hübsch illustriert.“ (Paul Schulz in SISSY 13)<br />

A BIGGER SPLASH<br />

UK 1973, Regie: Jack Hazan, edition Salzgeber<br />

„Wie eine Flaschenpost<br />

aus dem Niemandsland<br />

zwischen Swinging Sixties<br />

und Punk liest sich der<br />

Film heute. Menschen<br />

kommen und gehen und<br />

verändern sich, Wege<br />

kreuzen und verlieren<br />

sich. Etwas ist verloren<br />

gegangen, und alles ist noch da, weil der Film es<br />

aufgehoben hat.“ (Siehe Seite 32)<br />

DETLEF – 60 JAHRE SCHWUL<br />

De 2012, Regie: Stefan Westerwelle & Jan Rothstein,<br />

Pro-Fun Media<br />

Stefan Westerwelles und<br />

Jan Rothsteins Portrait<br />

von Detlef Stoffel, eines<br />

maßgeblichen Protagonisten<br />

der Bielefelder<br />

Schwulenbewegung der<br />

siebziger Jahre, verwebt<br />

Beobachtungen von Stoffels<br />

schwierigem Gegenwartsalltag<br />

mit einer archivarischen Erkundung<br />

von Bewegungsgeschichte. „Wovon sich<br />

Detlef, der Film, ein Bild zu machen sucht, ist<br />

ein Leben, dem man, gerade im Hinblick auf<br />

das Begehren, das es antreibt, ein Unrecht zufügen<br />

würde, wollte man es gerade biegen.<br />

Westerwelle und Rothstein tun ihr Möglichstes,<br />

genau das zu vermeiden, und finden dabei<br />

eine Form, die vermag, woran allzu viele Gesten<br />

des Biographischen scheitern: nicht dabei<br />

zu verharren, zu erzählen, wie einer wurde,<br />

was er ist, sondern Augen und Ohren zu haben<br />

und einen Ausdruck zu finden für die Lücke,<br />

die bleibt, wenn einer ‚Ich‘ sagt.“ (Sebastian<br />

Markt in SISSY 15)<br />

AUDRE LORDE –<br />

THE BERLIN YEARS 1984–1992<br />

De 2011, Regie: Dagmar Schultz, edition Salzgeber<br />

SHAME<br />

„Was Audre Lorde über<br />

individuelle Freiheit,<br />

Stärke und die Kraft zur<br />

gesellschaftlichen Veränderung<br />

zu sagen hat,<br />

wirkt auch heute noch<br />

wie ein Zaubertrank gegen<br />

Angst und Mutlosigkeit.“<br />

(Siehe Seite 30)<br />

UK 2011, Regie: Steve McQueen, Prokino/euroArts<br />

Shame, die Schande, ist<br />

das erklärte Konzept des<br />

Films. Aber der Schwanz<br />

von Brandon, dem Helden<br />

der Erzählung, ist sein visuelles<br />

Zentrum. Schon im<br />

ersten Bild, in dem die Falten<br />

der verrutschten Bettdecke<br />

ihn nachzeichnen.<br />

Später buchstäblich, bzw. bildlich. Eine Erregung,<br />

die über alles physisch Erträgliche hinausgeht,<br />

alles Soziale unmöglich macht. Die sich<br />

irgendwann löst, von Körpern, Geschlechtern.<br />

Sichtbar für uns, ab dem zweiten Bild, für die<br />

Schwester, die unangekündigt das Bad betritt,<br />

zuletzt für jedermann, der an der Glasfassade<br />

vorbeifährt, hinter der Brandon gerade eine<br />

Frau fickt. In seinen kühlen, beobachtenden<br />

Momenten erfasst Shame die Isolation dieser<br />

Erregung vom gesellschaftlichen Kodex, wo sie<br />

nicht hineinpasst, nicht tragbar ist, nicht integrierbar.<br />

Wo sie es nicht vermag, in Zoten, Aufreißertum<br />

und Doppelmoral aufzugehen (wie<br />

bei Brandons Chef). In seinen angestrengten<br />

Momenten markiert der Film moralisierend, wo<br />

die Sexsucht sich in Egozentrik versteift, nicht<br />

mehr (mit-)menschlich erscheint, Beziehungen<br />

zerstört oder von vorneherein unmöglich<br />

macht. In anschwellendem Streichergesang<br />

muss Shame die Erkenntnis des Protagonisten<br />

über seine eigene Asozialität festhalten, die<br />

Schande eben. Doch Brandon ist zwar ein Getriebener,<br />

aber kein Jäger. Er wird gejagt, aufgepickt,<br />

genommen, von Männern und Frauen.<br />

Immer wieder zieht sich die Kamera hinter Glas<br />

zurück und zeigt ihn eingesperrt, unfähig, seinen<br />

Käfig zu verlassen. Wenn seine Schwester<br />

den phallischen Eroberer-Song „New York,<br />

New York“ singt, fängt Brandon an zu weinen.<br />

Hier schließlich kann Shame berühren – als<br />

Einsamkeitsstudie, in der eine Erregung aus der<br />

Welt fällt. jk<br />

Brot und tomaten<br />

hanS Werner henze (1. Juli 1926 – 27. oKToBer 2012)<br />

Hans Werner Henze 1960<br />

„hast du schon Senso von Visconti gesehen? auch wenn die zensur jetzt alles, was wichtig war,<br />

weggeschnitten hat, erkennt man noch die handschrift eines mannes von geschmack, gewissen,<br />

kultur … daher und nicht nur aus diesen gründen muss man sich mit artischocken, pasta<br />

asciutta und wein zufrieden geben, selbst wenn man nur brot mit tomaten isst: immer noch<br />

besser als die rehrücken der bôches, bezahlt von Eisenhower, mit der sosse aus dem blut junger<br />

dummer deutscher, den lieben verstorbenen von morgen.<br />

komm! schreib! liebe grüsse hans“<br />

Henze an Ingeborg Bachmann, Ischia, Februar oder März 1955<br />

Filmmusiken von<br />

Hans Werner Henze:<br />

Muriel, ou le Temps d’un retour<br />

(Muriel oder Die Zeit der Wiederkehr)<br />

Regie: Alain Resnais, 1963<br />

Der junge Törless<br />

Regie: Volker Schlöndorff, 1966<br />

Ein unheimlicher Moment,<br />

Episode in Der Paukenspieler<br />

Regie: Volker Schlöndorff &<br />

Herbert Rimbach, 1967<br />

Die verlorene Ehre der Katharina Blum<br />

Regie: Volker Schlöndorff, 1975<br />

Abelard – Die Entmannung<br />

Regie: Franz Seitz, 1977<br />

Taugenichts<br />

Regie: Bernhard Sinkel, 1978<br />

Un amour de Swann<br />

(Eine Liebe von Swann)<br />

Regie: Volker Schlöndorff, 1984<br />

L’amour à mort<br />

(Liebe bis in den Tod)<br />

Regie: Alain Resnais, 1984<br />

Ninguém Duas Vezes<br />

Regie: Jorge Silva Melo, 1985<br />

Comrades<br />

(Rebellion der Rechtlosen)<br />

Regie: Bill Douglas, 1986<br />

Und: Schlussmusik zu The Exorcist<br />

Regie: William Friedkin, 1973<br />

44 45<br />

BUnDeSARcHiV, B 145 BiLD-F008277-0008 / UnteRBeRG, RoLF / cc-BY-SA<br />

nachruf


abspann<br />

dVd-BEzugsquEllEn<br />

Nicht-heterosexuelle DVDs erhalten Sie unter anderem in den folgenden Läden. Die Auswahl<br />

wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

BERlIn B_BooKS Lübbenerstr. 14, 030/6117844 · BRuno’S Bülowstr.<br />

106, 030/61500385 · SAtuRn PotSDAMER PlAtz Alte Potsdamer Straße 7 ·<br />

BRuno’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · DuSSMAnn Friedrichstr.<br />

90 · FIlMgAlERIE 451 Torstr. 231, 030/23457911 · gAlERIE JAnSSEn Pariser<br />

Str. 45, 030/8811590 · KADEWE Tauentzienstr. 21–24 · MEDIA MARKt AlExA<br />

Grunerstr. 20 · MEDIA MARKt nEuKölln Karl-Marx-Str. 66 · nEgAtIVElAnD<br />

Dunckerstr. 9 · PRInz EISEnHERz BucHlADEn Lietzenburger Str.<br />

9a, 030/3139936 · SAtuRn AlExAnDERPlAtz Alexanderplatz 7 · SAtuRn<br />

EuRoPAcEntER Tauentzienstr. 9 · VIDEo WoRlD Kottbusser Damm 73 · VI-<br />

DEoDRoM Fürbringer Str. 17 BocHuM SAtuRn Kortumstr. 72 DARM-<br />

StADt SAtuRn Ludwigplatz 6 DüSSElDoRF BooKxxx Bismarckstr. 86,<br />

0211/356750 · MEDIA MARKt Friedrichstr. 129–133 · SAtuRn Königsallee 56<br />

· SAtuRn Am Wehrhahn 1 ESSEn MüllER Limbecker Str. 59–65 FRAnK-<br />

FuRt/MAIn oScAR WIlDE BucHHAnDlung Alte Gasse 51, 069/281260 · SAtuRn<br />

Zeil 121 HAMBuRg BucHlADEn MännERScHWARM Lange Reihe<br />

102, 040/436093 · BRuno’S Lange Reihe/Danziger Str. 70, 040/98238081<br />

· MEDIA MARKt Paul-Nevermann-Platz 15 Köln BRuno’S Kettengasse<br />

20, 0221/2725637 · MEDIA MARKt Hohe Str. 121 · SAtuRn Hansaring<br />

97 · SAtuRn Hohe Str. 41–53 lEIPzIg lEHMAnnS BucHHAnDlung<br />

Grimmaische Str. 10 · MüllER Petersstr. 28 · SAtuRn HAuPtBAHnHoF<br />

Willy-Brandt-Platz 1 MAnnHEIM DER AnDERE BucHlADEn M2 1,<br />

0621/21755 MüncHEn BRuno’S Thalkirchner Str. 4, 089/97603858<br />

· lIllEMoR’S FRAuEnBucHlADEn Barerstr. 70, 089/2721205 · SAtuRn<br />

Schwanthalerstr. 115 · SAtuRn Neuhauser Str. 39 nüRnBERg MüllER<br />

Königstr. 26 StuttgARt BucHlADEn ERlKönIg Nesenbachstr. 52,<br />

0711/639139 tRIER MEDIA MARKt Ostallee 3–5 tüBIngEn FRAuEn-<br />

BucHlADEn tHAlEStRIS Bursagasse 2, 07071/26590 WIEn BucHHAnDlung<br />

löWEnHERz Berggasse 8, + 43/1/13172982 WüRzBuRg MüllER<br />

Dominikanerplatz 4<br />

Kinos<br />

Nicht-heterosexuelle Filme können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl<br />

wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

AAcHEn APollo Pontstr. 141, 0241/9008484 AAlEn KIno AM KocHER<br />

Schleifbrückenstr. 15, 07361/5559994 AScHAFFEnBuRg cASIno FIlMtHEAtER<br />

Ohmbachsgasse 1, 06021/4510772 BAD FüSSIng FIlMgAlERIE<br />

Sonnenstr. 4, 08531/980555 BAMBERg lIcHtSPIEl Untere Königstr. 34,<br />

0951/26785 BERlIn AcuD Veteranenstr. 21, 030/44359498 · ARSEnAl<br />

Potsdamer Str. 2, 030/26955100 · KIno IntERnAtIonAl Karl-Marx-Allee 33,<br />

030/24756011 · xEnon KIno Kolonnenstr. 5–6, 030/78001530 · cInEMAxx<br />

PotSDAMER PlAtz Potsdamer Str. 5, 01805/24636299 · EISzEIt Zeughofstr.<br />

20, 030/6116016 · FSK AM oRAnIEnPlAtz Segitzdamm 2, 030/6142464 · tIlSItER<br />

lIcHtSPIElE Richard-Sorge-Str. 25a, 030/4268129 · zuKunFt Laskerstr.<br />

5, 0176/57861079 BocHuM EnDStAtIon KIno IM BHF. lAngEnDREER<br />

Wallbaumweg 108, 0234/6871620 BRAunScHWEIg c1 cInEMA Lange Str.<br />

60 BREMEn cItY 46 Birkenstr. 1, 0421/44963582 DoRtMunD ScHAu-<br />

BuRg Brückstr. 66, 0231/9565606 · SWEEtSIxtEEn Immermannstr. 29,<br />

0231/9106623 DRESDEn KID – KIno IM DAcH Schandauer Str. 64,<br />

0351/3107373 · tHAlIA Görlitzer Str. 6, 0351/6524703 ERlAngEn MAn-<br />

HAttAn Güterhallenstr. 4, 09131/22223 ESSlIngEn KoMMunAlES<br />

KIno Maille 4–9, 0711/31059510 FRAnKFuRt/MAIn lESBIScH-ScHWulES<br />

KultuRHAuS Klingerstr. 6, 069/293045 · MAl SEH’n Adlerflychtstr.<br />

6, 069/5970845 · oRFEoS ERBEn Hamburger Allee 45, 069/70769100<br />

FREIBuRg KoMMunAlES KIno Urachstr. 40, 0761/709033 · HARMonIE<br />

Grünwälderstr. 16–18, 0761/3866510 göttIngEn KIno luMIèRE<br />

Geismar Landstr. 19, 0551/484523 HAllE lux KIno AM zoo Seebener<br />

Str. 172, 0345/5238631 · zAzIE Kleine Ulrichstr. 22, 0345/7792805 HAM-<br />

BuRg MEtRoPolIS KIno Kleine Theaterstr. 10, 040/342353 · B-MoVIE<br />

Brigittenstr. 5, 040/4305867 · 3001 Schanzenstr. 75–77, 040/437679 HAnnoVER<br />

KIno IM KünStlERHAuS Sophienstr. 2, 0511/16845522 · KIno<br />

IM SPREngEl K.-M.-Kilian-Weg 2, 0511/703814 KARlSRuHE KInEMAtHEK<br />

KARlSRuHE KIno IM PRInz-MAx-PAlAIS Karlstr. 10, 0721/25041 ·<br />

ScHAuBuRg Marienstr. 16, 0721/3500018 KIEl DIE PuMPE – KoM-<br />

MunAlES KIno Haßstr. 22, 0431/2007650 · tRAuM KIno Grasweg 48,<br />

0431/544450 Köln FIlMPAlEttE Lübecker Str. 15, 0221/122112 Kon-<br />

StAnz zEBRA KIno Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162 lEIPzIg PAS-<br />

SAgE KIno Hainstr. 19 a, 0341/2173865 · ScHAuBüHnE lInDEn-<br />

FElS Karl-Heine-Str., 0341/4846211 MAgDEBuRg StuDIoKIno<br />

Moritzplatz 1, 0391/2564925 MAnnHEIM cInEMA QuADRAt Collinistr.<br />

5, 0621/1223454 · cInEMAxx N7 17, 01805/625466 MARBuRg cInEPlEx<br />

Biegenstr. 1a, 06421/17300 MüncHEn nEuES AREnA FIlMtHEAtER<br />

Hans-Sachs-Str. 7, 089/2603265 · cItY KIno Sonnenstr. 12, 089/591983<br />

· cInEMAxx Isartorplatz 8, 01805/24636299 MünStER cInEMA FIlMtHEAtER<br />

Warendorfer Str. 45–47, 0251/30300 nüRnBERg KoMMKIno<br />

Königstr. 93, 0911/2448889 oFFEnBuRg FoRuM Hauptstr. 111,<br />

0781/4350 olDEnBuRg cInE K Bahnhofstr. 11, 0441/2489646 PotS-<br />

DAM tHAlIA ARtHouSE Rudolf-Breitscheid-Str. 50, 0331/7437020 REgEnSBuRg<br />

WIntERgARtEn Andreasstr. 28, 0941/2980963 SAARBRücKEn<br />

KIno AcHtEInHAlB Nauwieser Str. 19, 0681/3908880 · KIno IM<br />

FIlMHAuS Mainzer Str. 8, 0681/372570 ScHWEInFuRt KuK – KIno unD<br />

KnEIPE Ignaz-Schön-Str. 32, 09721/82358 StuttgARt cInEMAxx An<br />

DER lIEDERHAllE Robert-Bosch-Platz 1, 01805/24636299 tRIER BRoAD-<br />

WAY FIlMtHEAtER Paulinstr. 18, 0651/96657200 WEItERStADt KoMMunAlES<br />

KIno Carl-Ulrich-Str. 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185<br />

46<br />

IMPRESSuM<br />

herausgeber Björn Koll<br />

Verlag Salzgeber & Co. Medien GmbH<br />

Mehringdamm 33 · 10961 Berlin<br />

Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99<br />

redaktion Jan Künemund, presse@salzgeber.de<br />

Art director Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de<br />

Autoren Beatrice Behn, Jessica Ellen, Lukas Foerster, Enrico Ippolito, Anne-K.<br />

Jung, Jan Künemund, Sebastian Markt, Christoph Meyring, Elfi Mikesch,<br />

Nikolaus Perneczky, Angela Schanelec, Paul Schulz, André Wendler,<br />

Sascha Westphal, Tania Witte, Christine Wunicke<br />

Anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2013 (www.sissymag.de/media).<br />

SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/<br />

Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/<br />

Oktober/November. Auflage: 20.000 Exemplare (Druckauflage).<br />

druck Möller Druck, Berlin<br />

rechte Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung oder Nutzung sowohl<br />

der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen Zwecken bedürfen einer<br />

schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.<br />

Bezugsquellen Hier liegt die SISSY kostenlos aus: deutschlandweit in den schwullesbischen<br />

Buchläden und in den CinemaxX-Kinos in Augsburg, Berlin,<br />

Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen, Hamburg, Hannover, Magdeburg,<br />

Mannheim, München, Münster, Oldenburg, Stuttgart. potsdam<br />

Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“. berlin BarbieBar,<br />

Deutsche Film- und Fernsehakademie, La Dolce Vita Naturkost. bochum<br />

Orlando. kiel Birdcage. hamburg Café Gnosa, Café unter den Linden,<br />

Jimmy Elsass. köln Café Era, Bastard Bar, Kunsthochschule für<br />

Medien. münchen Moro, Kraftakt, Sub e.V. stuttgart Rubens Home,<br />

Jakobstube. frankfurt/main Bar Central. leipzig Rosa Archiv, Rosa<br />

Linde e.V.. düsseldorf Café Seitensprung. hannover Café Caldo, Café<br />

Konrad. mainz Bar jeder Sicht. nürnberg Fliederlich e.V., Café Fatal.<br />

dresden Gerede e.V.<br />

Ï Wenn Sie die SISSY ebenfalls auslegen möchten, freuen wir uns.<br />

Eine kurze E-Mail genügt!<br />

haftung Für gelistete Termine können wir keine Garantie geben.<br />

Die Angaben entsprechen dem Stand des Drucklegungstages.<br />

Bildnachweise Die Bildrechte liegen bei den jeweiligen Anbietern.<br />

Abo Sie können SISSY kostenfrei abonnieren: abo@sissymag.de<br />

Auch das noch …<br />

Brandenburg Queer Cinema auf Weltreise.<br />

ISSN 1868-4009<br />

eDition SALzGeBeR<br />

WOLFRAM SCHORLEMMER<br />

BURAK YIGIT<br />

DU SOLLST NICHT KIFFEN.<br />

DU SOLLST NICHT KOTZEN.<br />

DU SOLLST NICHT LÜGEN.<br />

DU SOLLST NICHT STERBEN.<br />

EIN FILM VON TIM STAFFEL<br />

KAMERA: FABIAN SPUCK


Übernimm<br />

Verantwortung<br />

fÜr Dich !<br />

Wie ich mit Verantwortung beim Sex umgehe,<br />

erzähl ich Dir auf www.iwwit.de<br />

Franz (54)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!