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DIE BESTE ZEIT<br />
Das Magazin für Lebensart<br />
Wuppertal und Bergisches Land Ausgabe 19, 2012 - 3,50 Euro<br />
Von Dürer bis Goya<br />
Sammlung Von der Heydt-Mueum<br />
Er ist verrückt, das ist alles<br />
Komödie „Mein Freund Harvey“<br />
Landschaften der Stille<br />
Modersohn im Osthaus Museum<br />
Kein erstarrtes Auge<br />
Fotografi e als Medium der Kunst<br />
Nur für Eingeweihte<br />
Ein Stück über das Jahr 1968<br />
Die Engel von Paul Klee<br />
Ausstellung im Museum Folkwang<br />
Bluthochzeit<br />
Tragödie im Wuppertaler Opernhaus<br />
Skulptur als Denkmal<br />
Ateliergespräch mit Tony Cragg<br />
Auf dem Vulkan<br />
Essay von Michael Zeller<br />
Magie des Lichtes<br />
Pionier Nico Ueberholz<br />
Rock ’n’ Roll<br />
Dietrich Rauschtenberger<br />
Karl Otto Mühl 90 !<br />
Glückwunsch und Würdigung<br />
ISSN 18695205<br />
1
www.barrenstein.de<br />
2<br />
Erfahrung, Einfühlungsvermögen, Verständnis<br />
und Kompetenz. Wir beraten. Wir organisieren.<br />
Wir helfen Ihnen in schweren Zeiten. Und das<br />
in der 8. Generation – seit 200 Jahren.<br />
„Wir können Ihren Schmerz nicht lindern.<br />
Wir können Ihnen in schweren Zeiten helfen.“<br />
Berliner Straße 49 + 52-54, 42275 Wuppertal, 0202.663674, www.neusel-bestattungen.de
Editorial<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Die großen Dramen im Leben kleiner Leute<br />
Wuppertal mit den Augen unserer Autoren<br />
Es heißt, Wuppertal und seine Bewohner seien für Zugezogene eine sperrige Angelegenheit.<br />
Für mich, seit 1960 hier ansässig, offenbarte die Stadt ihren leuchtend-herben Charme<br />
in dem Maße, wie mir ihre Geschichte, und vor allem ihre Literaten nahe rückten. Zur<br />
prägenden Figur wurde ganz früh der Schriftsteller Robert Wolfgang Schnell, den ich über<br />
die Autorin Ruth Dirx und ihren Mann Willi kennenlernte. Wenn er bei Bier oder gutem<br />
Essen, möglichst in verräucherten Kneipen, zu erzählen begann, brannte ein geist- und<br />
anekdotenreiches Feuerwerk ab. Irgendwann gab ich auf, zu spekulieren, wo die Wahrheit<br />
sich mit Übertreibungen oder purer Phantasie (Lüge wäre hier unangebracht!) mischte,<br />
denn er war ein Meister der Pointen, ein Liebhaber des sarkastischen, deftigen Humors,<br />
und nie kamen die Wuppertaler und seine eigene sehr bürgerliche Familie, die im vornehmen<br />
Zooviertel zu Hause war, ungeschoren davon. Denn er liebte diese Stadt und ihre<br />
menschlich-schräge Schrulligkeit. Seine eigene bemerkenswerte Schlitzohrigkeit und sein<br />
Humor hatten hier ihre Wurzeln.<br />
Er brannte als Neunzehnjähriger mit einer wesentlich älteren Schauspielerin durch – und<br />
begann sein Leben als Autor, Schauspieler, Theaterregisseur, Galeriegründer, Maler und<br />
Musiker in Berlin und in aller Welt. Er war klug genug zu wissen, dass er besser daran<br />
getan hätte, sich (wie Goethe) für eine seiner Begabungen zu entscheiden, aber das verschob<br />
er aus reiner Lebenslust immer wieder, bis zu seinem Lebensende (1986). In seinen<br />
Anekdoten aus dieser Stadt zeigte sich das große Herz des Erzählers Schnell. Für mich<br />
spiegelten sie außerdem alle lebendigen Facetten, ihre bewundernswerten Traditionen von<br />
Else Lasker-Schüler über Emil Rittershaus bis zu Mina Knallenfalls und Husch-Husch, der<br />
bald auch sein Denkmal in Barmen bekommen soll. Der pathetisch-gütige Blick für die<br />
großen Dramen kleiner Leute war und ist hier zu Hause!<br />
Schnell starb schon mit 70 Jahren; vermutlich die Quittung für ein ruheloses und trinkfreudiges<br />
Leben. In seinem Kinderbuch „Pulle und Pummi“ hatte er, vermutlich aus<br />
Freundschaft zu mir, einem Apfel den Namen Hermann gegeben.<br />
Kein Apfel, sondern ein Wuppertaler Drama stand am Anfang meiner Freundschaft mit<br />
Karl Otto Mühl, der im Februar 2013 bei bester Gesundheit seinen 90. Geburtstag feiert<br />
– und mit ihm Bürger dieser Stadt aus allen Schichten der Bevölkerung. Ich hatte in einem<br />
alten Missionsblatt von 1824 die tragische Geschichte eines schwarzen Sklaven entdeckt,<br />
der in Holland von einem Barmer Kaufmann erworben worden war. Er nahm ihn mit<br />
und zeigte ihn gegen Geld auf den Jahrmärkten. Diesen eher grausigen Fund mit herzzerreißend-frommem<br />
Ausgang schickte ich an die Wuppertaler Bühnen. Holk Freytag und<br />
Gerold Theobalt gaben ihn an den schon landesweit berühmten Autor Karl Otto Mühl; er<br />
möge überlegen, daraus ein „Heimatstück“ zu machen. „Ein Neger zum Tee“ wurde 1996<br />
aufgeführt; da gab mir Mühl schon gute Ratschläge für meinen ersten Roman. Wir sprachen<br />
über seine Kindergeschichten, und auf langen Spaziergängen über alle Gefährdungen,<br />
die das Leben lebenswert machen. Es folgten gute Jahre, als wir uns mit dem Freund Wolf<br />
Christian von Wedel Parlow im Schriftstellerverband (VS) dieser Stadt engagierten.<br />
Robert Wolfgang Schnell und Karl Otto Mühl, beide großartige Erzähler, weisen, außer<br />
dass Wuppertal sie geprägt hat, kaum biografi sche Ähnlichkeiten auf, wohl aber in ihrer<br />
Art und Weise, die Menschen zu sehen, ohne sie zu beurteilen, ohne zu verurteilen: Es ist<br />
der liebe- und humorvolle und kluge Blick auf das Leben der sogenannten Kleinen Leute.<br />
Weil bei ihnen alle Größe, und alles sonst zu fi nden ist, was die Welt wirklich bewegt.<br />
Man kann neugierig sein, wie die jüngere Generation von Autoren mit dem Erbe dieser<br />
Stadt umgehen wird.<br />
Viel Vergnügen beim Lesen.<br />
Hermann Schulz<br />
3
4<br />
Impressum<br />
Die Beste Zeit erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land<br />
Erscheinungsweise: alle zwei Monate<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong> - Die beste Zeit<br />
Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal<br />
Telefon 02 02 - 28 10 40<br />
E-Mail: verlag@hpnackekg.de<br />
V. i. S. d. P.: HansPeter <strong>Nacke</strong><br />
Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal<br />
Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des<br />
Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge<br />
zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.<br />
Winter<br />
Als ich die Augen öffne, sehe ich das<br />
Schneetreiben vor dem Fenster. Lässig<br />
segeln wässerige Flocken durcheinander,<br />
fallen und schmelzen. Das ist<br />
schön, denn es erweckt das Gefühl von<br />
Dauerhaftigkeit und Ruhe.<br />
Langsam steige ich aus dem Bett. Ich<br />
wäre schon früher aufgestanden, aber<br />
ich lag da in der Überzeugung, ich<br />
sei längst auf. Es war also nicht meine<br />
Schuld.<br />
Im Wohnzimmer sitzt die Tochter und<br />
sagt, sie sei immer noch erkältet. Sie<br />
zögert aber, zum Arzt zu gehen, denn<br />
sie weiß nicht, ob sie dann überzeugend<br />
husten kann, und wie steht sie dann da?<br />
Auf dem Parkplatz wischt der<br />
Nachbar seine Autoscheiben frei. Er<br />
berichtet, dass es zurzeit in Hattingen<br />
und am Baldeney-See viel<br />
stürmischer zugehe als hier bei uns.<br />
Das liege daran, dass die Landschaft<br />
dort einen Kessel bilde. Ich werde<br />
das nicht überprüfen, denn vielleicht<br />
stürmt es schon nicht mehr, wenn ich<br />
in Hattingen ankomme.<br />
Beim Gedanken an Husten fällt mir wi-<br />
Kürzungen bzw. Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen<br />
im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann<br />
keine Gewähr übernommen werden.<br />
Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen<br />
Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages.<br />
Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder<br />
Unterlassungen keine Haftung übernommen.<br />
Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt.<br />
Abbildung Cover:<br />
Otto Modersohn (1865-1943), Kirchgang (Neujahr - Dingstiege<br />
in Münster), 1888, Öl auf Papier auf Karton, 21 x 21 cm, © Otto<br />
Modersohn Museum, Fischerhude<br />
der alle Absicht schon wieder Hamlets<br />
Monolog ein:<br />
Zu wissen, dass ein Schlaf<br />
das Herzweh und die tausend Stöße<br />
endet,<br />
die unseres Fleisches Erbteil.<br />
Ich werde dem allen die Stirn bieten<br />
und in der Bäckerei einen Kaffee<br />
trinken. Mein Auto nimmt klaglos die<br />
steile Auffahrt. Die freie Straße und das<br />
Schneetreiben liegen vor mir.<br />
Karl Otto Mühl
Inhalt<br />
Ausgabe 19, 5. Jahrgang, Februar 2013<br />
Von Dürer bis Goya<br />
„Alte Meister“ in der Sammlung des<br />
Von der Heydt-Museums<br />
Sammlung Gigoux<br />
von Cranach bis Géricault<br />
Vorschau Von der Heydt-Museum<br />
Karl Otto Mühl 90 !<br />
Seite 6<br />
Seite 10<br />
Glückwunsch und Würdigung zum 90.<br />
Geburtstag von Frank Becker Seite 12<br />
Er ist verrückt, das ist alles<br />
Mein Freund Harvey von Mary Chase<br />
von Frank Becker Seite 14<br />
Landschaften der Stille<br />
Ausstellung Otto Modersohn<br />
im Osthaus-Museum Hagen Seite 16<br />
Bluthochzeit<br />
Lyrische Tragödie in 2 Akten im Wuppertaler<br />
Opernhaus von Fritz Gerwinn Seite 22<br />
Helmfried von Lüttichau<br />
Vom „Drachen“ in Wuppertal zum<br />
Fernseh-Serienstar, von K. Göntzsche Seite 25<br />
Fotografi e ist kein erstarrtes Auge<br />
Die Fotografi e als Medium der Kunst<br />
von Ute C. Latzke Seite 28<br />
Nur für Eingeweihte<br />
Beatles. Das weiße Album. Ein Stück<br />
über das Jahr 1968, von Frank Becker Seite 32<br />
Die Engel von Paul Klee<br />
Ausstellung im Museum Folkwang<br />
noch bis zum 14. 4. 2013 Seite 34<br />
Beweglicher als hier kann man nicht tanzen<br />
Die Tanzschule Bellinghausen im Mirker<br />
Bahnhof, von Marlene Baum Seite 38<br />
Skulptur als Denkmal<br />
Ateliergespräch mit Tony Cragg<br />
über Skulptur als Denkmal, von J. Vesper Seite 43<br />
Paragraphenreiter<br />
Interessantes zu den Themen Steuern und<br />
Recht, von Susanne Schäfer Seite 48<br />
Safeta Obhodjas<br />
Mert, ein Deutschtürke<br />
im Abseits<br />
Auf dem Vulkan<br />
Vom Verrechnen der Zukunft<br />
Essay von Michael Zeller Seite 49<br />
Die Magie des Lichts<br />
Nico Ueberholz leistet Pionierarbeit bei der<br />
Revolution der Leuchttechnik Seite 51<br />
Komödie, Krimi, Klassik<br />
Das Wuppertaler TiC-Theater stellt seinen<br />
Spielplan 2013 vor, von Frank Becker Seite 54<br />
Franz Kafka und die Griots von Prag<br />
Der Dichter als Vorleser in den Kaffeehäusern<br />
von Prag, von Heiner Bontrup Seite 55<br />
Rock ’n’ Roll<br />
Auszug aus dem Roman „Freejazz“<br />
von Dietrich Rauschtenberger Seite 61<br />
Das Verhängnis begann in Wuppertal<br />
Ein unglaubliches Buch des österreichischen<br />
Juristen Alfons Dür , von Matthias Dohmen Seite 64<br />
Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />
porträtiert von Matthias Dohmen<br />
Seite 66<br />
Neue Kunstbücher<br />
Zur Sprache der Architektur<br />
vorgestellt von Thomas Hirsch Seite 67<br />
Terra incognita – Bosnien<br />
Mert – Ein Deutschtürke im Abseits<br />
von Friederike Raderer Seite 69<br />
Kulturnotizen<br />
Kulturveranstaltungen in der Region Seite 70<br />
5
6<br />
„Alte Meister“ in der Sammlung<br />
des Von der Heydt-Museums.<br />
Albrecht Dürer, Das Meerwunder, um<br />
1498, Kupferstich, 25,6 x 18,4 cm<br />
Von Dürer bis Goya<br />
Die Sammlung des Von der Heydt-<br />
Museums geht zurück auf engagierte<br />
Bürger, die sich im 19. Jahrhundert im<br />
„Barmer Kunstverein“ und „Elberfelder<br />
Museumsverein“ zusammen schlossen<br />
und zunächst, wie damals üblich, „konservativ“<br />
sammelten: bis etwa 1900<br />
sammelte man Werke des frühen und<br />
mittleren 19. Jahrhunderts und stellte<br />
diesen Gemälde des (protestantischen)<br />
holländischen 17. Jahrhunderts gegenüber.<br />
Werke der (katholischen) fl ämischen,<br />
italienischen, französischen oder<br />
spanischen Barockmalerei und des wohl<br />
als allzu „frivol“ eingeschätzten 18.<br />
Jahrhunderts fanden dagegen zunächst<br />
keinen Eingang in die Sammlungen der<br />
protestantischen Untertanen Preußens.<br />
Etwa 80 Gemälde umfasst die heutige<br />
Sammlung „Alter Meister“ sowie eine<br />
große Anzahl bisher wenig bekannter<br />
graphischer Blätter. Die aktuelle Präsentation<br />
im 1. Obergeschoss konzentriert<br />
sich nun auf den Bestand an niederländischer<br />
Malerei und Graphik und<br />
setzt diesen in den kunsthistorischen<br />
Zusammenhang. Mit einer Auswahl von
Blättern deutscher, spanischer, französischer<br />
und italienischer Künstler gewährt<br />
sie zugleich einen Einblick in die außerordentlich<br />
reiche graphische Sammlung.<br />
Abgesehen von großen Schenkungsblöcken<br />
kamen im Lauf von mehr als<br />
100 Jahren immer wieder auch einzelne<br />
Blätter, kleinere Konvolute und Mappenwerke<br />
an das Haus, konnten aber<br />
auch exzellente Blätter gekauft werden.<br />
So spiegelt sich heute gerade in dem<br />
Bereich der „Alten Meister“ die bürgerliche<br />
Sammeltätigkeit Wuppertaler Per-<br />
sönlichkeiten. Diese erwarben vornehmlich<br />
intim wirkende Kunstwerke für die<br />
eigenen Privaträume, und gerade das<br />
macht heute den besonderen Charakter<br />
der Sammlung „Alte Meister“ im Von<br />
der Heydt-Museum aus.<br />
Die Ausstellung „Alte Meister“ wird<br />
bis zum 1. September zu sehen sein. Parallel<br />
zeigt das Museum im Zwischengeschoss<br />
Highlights aus seiner Sammlung<br />
des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ab<br />
dem 14. April wird zudem im 2. Stock<br />
eine umfangreiche Werkauswahl unter<br />
dem Titel „Himmel auf Erden“ - Kunst<br />
des 20. und 21. Jahrhunderts präsentiert.<br />
Dabei wird ein besonderes Augenmerk<br />
auf die zahlreichen Neuerwerbungen der<br />
vergangenen Jahre und ihre Einbindung<br />
in den älteren Sammlungsbestand gelegt.<br />
Ausstellung bis zum 1. September 2013<br />
Jan Olis, Der Raucher, Eiche, 34 x 28 cm<br />
7
linke Seite oben.<br />
Pieter De Bloot, Schweineschlachten,<br />
1638, Eiche, 59 x 84 cm<br />
rechts oben:<br />
Klaas Molenaer, Eisvergnügen, Leinwand,<br />
67 x 79 cm<br />
linke Seite unten:<br />
Jan van Bylert, Singende Hirten, Leinwand,<br />
75 x 103 cm<br />
rechts unten:<br />
Jan Miense Molenaer , Lautenspieler,<br />
Eiche, 26, 5 x 24, 5 cm<br />
Von der Heydt-Museum<br />
Turmhof 8, 42103 Wuppertal<br />
Telefon 0202/563-6231<br />
www.von-der-heydt-museum.de<br />
9
10<br />
Von der Heydt-Museum<br />
Vorankündigung<br />
15. 10. 2013 –23. 2. 2014<br />
Sammlung Gigoux<br />
Meisterwerke aus dem Musée des<br />
Beaux-Arts et d’Archéologie de Besançon<br />
Von Cranach bis Géricault<br />
Lucas Cranach,<br />
Selbstmord der Lucretia<br />
Die Sammlung Gigoux<br />
Cranach, Dürer, Tizian, Bellini, Rubens,<br />
Rembrandt, Goya – gemeinsam ist diesen<br />
weltbedeutenden Künstlern eines: sie alle<br />
sind in der Sammlung Jean Gigoux mit<br />
wunderbaren Gemälden und Zeichnungen<br />
vertreten.<br />
Trotzdem ist diese großartige Sammlung<br />
in Deutschland bislang nie gezeigt worden<br />
und noch völlig unbekannt. Jean Gigoux<br />
(1806-1894) war im Frankreich des<br />
19. Jahrhunderts als Maler bekannt, vor<br />
allem aber als Zeichner und als äußerst
geschätzter Illustrator. Mit seiner Arbeit<br />
gelang es ihm, ein Vermögen zu erwerben<br />
und damit eine Kunstsammlung von<br />
enormer Strahlkraft aufzubauen. Das Von<br />
der Heydt-Museum zeigt die außergewöhnlichen<br />
Meisterwerke dieser umfangreichen<br />
Sammlung nun zum ersten Mal<br />
in Deutschland. Das Besondere an dieser<br />
Ausstellung ist, dass die Kunstwerke von<br />
einem Künstler zusammengetragen wurden.<br />
Mit seinen fundierten Kenntnissen<br />
der Malerei und seiner geübten Seherfahrung,<br />
mit seinem malerischen Können<br />
und Wissen hat Jean Gigoux aus dem<br />
Besten, was die Kunst von der Renaissance<br />
bis zum 19. Jahrhundert zu bieten<br />
hatte, treffsicher die interessantesten, oft<br />
auch ungewöhnlichsten Werke für seinen<br />
Privatgebrauch ausgewählt. So ist der<br />
Parcours durch unsere Ausstellung eine<br />
Reise durch die Geschichte der Kunst,<br />
gesehen durch das Auge eines scharfsinnigen<br />
Malers. Gigoux gelang es, sich<br />
von den allgemeinen Kunstvorstellungen<br />
seiner Zeit zu lösen und – vor allem im<br />
Bereich der Zeichnungen, in dem seine<br />
Sammlung Werke von Mantegna, Cellini,<br />
Breughel, van Dyck, Jordaens, Fragonard<br />
bis hin zu seinen Zeitgenossen David,<br />
Delacroix und Géricault enthält – die<br />
Kunstgeschichte „Gegen den Strich zu<br />
bürsten“ und ebenso überraschende wie<br />
beglückende Kostbarkeiten zu vereinen.<br />
Die Ausstellung entsteht in enger Zusammenarbeit<br />
mit dem Musée des Beaux-Arts<br />
et d’Archéologie in Besançon und umfasst<br />
ca. 100 ausgewählte Gemälde und 30<br />
erlesene Zeichnungen. Sie verspricht, ein<br />
großer Augenschmaus und ein besonderes<br />
intellektuelles Vergnügen zu werden.<br />
oben:<br />
Paul de Vos, Zwei junge Seehunde am<br />
Strand, um 1650<br />
rechts:<br />
Jan Lievens, Kind mit Seifenblasen, um<br />
1645<br />
11
12<br />
Karl Otto Mühl 90 !<br />
Ein Glückwunsch<br />
Die „Musenblätter“ haben soeben ihren<br />
sechsten Geburtstag feiern können, das Kultur-Magazin<br />
„Die Beste Zeit“ seinen dritten.<br />
Daß beide so ordentlich aus den Startblöcken<br />
gekommen sind und ihre Akzeptanz auch in<br />
Literaturkreisen gefunden haben, verdanken<br />
sie nicht unerheblich der Förderung durch<br />
den Schriftsteller und Freund Karl Otto<br />
Mühl, der in diesen Tagen seinen 90. feiert.<br />
Als Mitarbeiter der ersten Stunde stellt<br />
Karl Otto Mühl beiden Magazinen seither<br />
seine Texte zur Verfügung, vermittelt<br />
vorzügliche Autoren und rührt fl eißig und<br />
uneigennützig die Werbetrommel. Dafür<br />
unseren ganz besonders herzlichen Dank!<br />
Unser Glückwunsch geht zugleich an den<br />
Schriftsteller, der nicht nur auf 90 erfüllte<br />
Lebensjahre, sondern auch auf ein umfangreiches<br />
Lebenswerk zurückblicken kann - womit<br />
nicht gesagt sein soll, daß da nicht noch<br />
einiges der Veröffentlichung harre! Gratulieren<br />
wir ihm also von ganzem Herzen.<br />
Die Unermüdlichkeit des Geistes<br />
Die Unermüdlichkeit des Geistes ist vermut-<br />
lich der Weg zu ungebrochener Schaffenskraft<br />
von der Frische der Jugend bis in die<br />
Reife des Alters. Der Dramatiker, Romancier<br />
und Lyriker Karl Otto Mühl ist diesen Weg<br />
gegangen und geht ihn noch. Am 16. Februar<br />
feiert er seinen 90. Geburtstag.<br />
An den Wänden seines Arbeitszimmers<br />
sind Fotos angeheftet: Max Schmeling ist zu<br />
sehen und Hermann Schulz. Franz Kafka<br />
und Siegmund Freud teilen sich den Platz<br />
mit Werner Zimmermann, Karl-Heinz<br />
Schniewindt und einigen anderen. Diese<br />
Männer bedeuten ihm etwas, deshalb möchte<br />
Karl Otto Mühl ihre Fotos da um sich haben,<br />
wo er schreibt.<br />
Angefangen hat es vor gut 80 Jahren,<br />
wenige Jahre nachdem der 1923 in Nürnberg<br />
geborene Sohn eines Werkmeisters durch die<br />
Versetzung des Vaters 1929 in die gerade erst<br />
zusammengefügte Stadt Wuppertal gekommen<br />
war. Der Anstoß zum Schreiben kam<br />
von einem alten Herrn aus der Nachbarschaft,<br />
einem ehemaligen Straßenbahnschaffner.<br />
Der kluge Mann, der – Mühl erinnert<br />
sich genau – ein altväterliches Hörrohr<br />
aus Messing benutzte, sprach oft mit dem<br />
Knaben und ermunterte ihn, aufzuschreiben,<br />
was da in seinem Kopf vorging. Der Junge<br />
schrieb, wandte sich an die Lokalzeitung<br />
»General-Anzeiger« – und konnte 1932 in<br />
der Jugendbeilage erste Kindergeschichten<br />
veröffentlichen. Später schrieb er neben dem<br />
Besuch der Realschule und der Lehre als<br />
Industriekaufmann weiter. Gedichte, Theaterstücke<br />
und „Epigonales“, angeregt von<br />
großen Vorbildern.<br />
1941 wurde Karl Otto Mühl zur Fahne<br />
gerufen, mußte in den Krieg ziehen. Bis<br />
1942 hatte er die literarische Produktion vom<br />
Zufall des Einfalls abhängig gemacht. Sein<br />
Krieg währte ein Jahr, er überlebte, geriet<br />
in der libyschen Wüste bei El Alamein in<br />
englische Gefangenschaft. Nun schrieb er<br />
mit Plan – Dichtung zum Überleben. Fünf<br />
Jahre verbrachte der junge Mann, der kein<br />
Soldat hatte sein wollen, in Gefangenenlagern<br />
in Afrika, Europa und den USA. Und<br />
er schrieb: Gedichte, Aphorismen, Erinnerungen,<br />
Gedankenfetzen, Ideen – in schmale<br />
Oktavhefte, Kladden, die er bewahren konnte<br />
und 1947 mit zurück nach Hause brachte.<br />
Für das zwischenzeitlich eingestellte Magazin
»Bergische Zeit« öffnete Mühl 2003 sein<br />
Archiv und erlaubte die Erstveröffentlichung<br />
bisher ungedruckter Texte:<br />
Da wir es fühlten<br />
Die bange Lust von Sommernachmittagen,<br />
und gelbe Felder, die den Himmel tragen,<br />
ein Dornbusch, starrend, wild verzweigt,<br />
der sich in seinen Schatten neigt –<br />
die Nächte nahen barfuß, nicht zu hören,<br />
und gehen früh und wissen, daß sie stören.<br />
Wir ließen stumm erschreckt die Arme nieder.<br />
Es blinzelte durch träge Augenlider<br />
ringsum mit schmalem Blick die Welt;<br />
die Krüge wurden hingestellt,<br />
und standen durstig an verdorrten Flüssen –<br />
da wir es fühlten, daß wir sterben müssen.<br />
(auf 1944/45 zu datieren)<br />
1944 hatte Mühl in Naples/New York als<br />
POW (Prisoner Of War) zum Traubenpressen<br />
dienstverpfl ichtet, den Dramatiker Tankred<br />
Dorst kennen gelernt und Impulse von<br />
ihm bekommen Die Wege der beiden sollten<br />
sich später erneut kreuzen. Ins Ruinenfeld<br />
des zerstörten Wuppertal zurückgekehrt,<br />
Karl Otto Mühl mit Hermann Schulz<br />
links:<br />
Karl Otto Mühl mit seiner Ehefrau Dagmar<br />
folgte er dem Ruf Paul Pörtners, sich der<br />
Künstlergruppe „Der Turm“ anzuschließen.<br />
Robert Wolfgang Schnell und später Tankred<br />
Dorst gehörten wie der Maler Wolfgang vom<br />
Schemm dazu. Man sprach über Literatur<br />
und Kunst, Mühl schrieb Kurzgeschichten.<br />
1948 legte er am Carl-Duisberg-Gymnasium<br />
sein nachgeholtes Abitur ab. Der Neuanfang<br />
war gemacht. Jetzt aber galten erst einmal<br />
Beruf und Brot. Diese Zeit beschrieb er in<br />
seinem erfolgreichen Romanerstling „Siebenschläfer“,<br />
den er als mittlerweile leitender<br />
Angestellter zwischen 1964 und 1969<br />
geschrieben hatte, aber erst 1975, im Jahr<br />
nach seinem Durchbruch als Dramatiker mit<br />
„Rheinpromenade“ veröffentlichte. Auch das<br />
mit durchschlagendem Erfolg (ca. 70 Inszenierungen)<br />
die deutschen Bühnen stürmende<br />
Stück hatte Mühl „nebenbei“ geschrieben:<br />
„Täglich 20 Minuten hatte ich, während ich<br />
im Ratskeller Neuss auf meine Frau wartete“,<br />
erinnert er sich. Am 5. April wird „Rheinpromenade“<br />
im Schauspielhaus Köln zu Ehren<br />
Karl Otto Mühls eine Renaissance erleben.<br />
1970 hatte Mühl geheiratet. Drei Töchter<br />
hat er mit seiner Frau Dagmar Friebel.<br />
Weitere Theaterstücke folgen: „Rosenmontag“,<br />
„Kur in Bad Wiessee“, „Die Reise<br />
der alten Männer“. Dreizehn sind es seither<br />
geworden, dazu Drehbücher zu Fernsehfi<br />
lmen, Hörspiele, Romane und Gedichte.<br />
Der 1975 verliehene Von der Heydt-Preis<br />
befl ügelte. Schon 1972 hatte sich Mühl<br />
durch Vermittlung Horst Laubes und<br />
Tankred Dorsts dem Verlag der Autoren<br />
angeschlossen, aber auch beim Hermann<br />
Luchterhand Verlag und beim Rotbuch<br />
Verlag veröffentlicht. Seit 2002 hat er für<br />
Prosa und Lyrik eine neue Verlagsheimat<br />
beim Wuppertaler NordPark Verlag<br />
gefunden, der seinen jüngsten Gedichtband<br />
„Inmitten der Rätsel“ und eine Neuaufl age<br />
von „Siebenschläfer“ vorlegte. Die Arbeit<br />
ging weiter. Karl Otto Mühl veröffentlichte<br />
2005 die Romane „Nackte Hunde“ und<br />
„Hungrige Könige“ in autobiographischer<br />
Anlehnung an die 30er und 40er Jahre in<br />
Wuppertal. In Arbeit ist der ebenfalls autobiographische<br />
Roman „Der gute Amerikaner“,<br />
der die Kriegsgefangenschaft aufarbeitet.<br />
„Geklopfte Sprüche“ Mühl denkt nicht<br />
daran, aufzuhören. „Ein bißchen weniger<br />
vielleicht“, sagt er und: „Das Leben ist ein<br />
ständiges Weiterkriechen.“ Seit einer 1982<br />
glücklich überstandenen Krebsoperation<br />
hat er einen etwas anderen Blick gewonnen.<br />
„Wir sind ein Prozeß, aber die Leute wollen<br />
immer gerne, daß wir ein Denkmal sind.“<br />
Kurzer bio-bibliographischer Abriß:<br />
Karl Otto Mühl – Dramatiker, Lyriker,<br />
Romanschriftsteller, Hörspielautor,<br />
geboren 16. Februar 1923 in Nürnberg/<br />
Bayern, lebt und arbeitet in Wuppertal/<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
1947 Künstlergruppe „Der Turm“, 1976<br />
Von-der-Heydt-Preis, Verlag der Autoren,<br />
Verband Deutscher Schriftsteller, P.E.N.<br />
Deutschland, seit 2006 „Musenblätter“-<br />
Autor<br />
Werke (Auswahl):<br />
Romane/Bücher:<br />
Die Erfi ndung des Augenblicks,<br />
Neue Geschichten, NordPark Verlag 2012<br />
Stehcafé, Geschichten, NordPark Verlag 2010<br />
Die alten Soldaten, Roman, NordPark Verlag<br />
2009<br />
Laß uns nie erwachen, Gedichte, NordPark<br />
Verlag 2008<br />
Sandsturm, Roman, NordPark Verlag 2008<br />
Hungrige Könige, Roman, NordPark Verlag<br />
2005<br />
Nackte Hunde, Roman, NordPark Verlag<br />
2005<br />
Inmitten der Rätsel, Gedichte, NordPark<br />
Verlag 2002<br />
Jakobs seltsame Uhren, Bilderbuch,<br />
Wuppertal, Hammer Verlag, 1999<br />
Fernlicht, Roman, Wuppertal, Hammer<br />
Verlag, 1997<br />
Trumpeners Irrtum, Roman, Darmstadt,<br />
Luchterhand 1981<br />
Siebenschläfer, Roman, Darmstadt,<br />
Neuwied, Luchterhand 1975/NordPark<br />
2003<br />
Theater:<br />
Das Privileg, 2001<br />
Ein Neger zum Tee, 1995<br />
Verbindlichen Dank, 1994<br />
Die Weber, von Gerhart Hauptmann, Bearbeitung<br />
1989<br />
Am Abend kommt Crispin, 1988<br />
Kellermanns Prozeß, 1982<br />
Die Reise der alten Männer, 1980<br />
Hoffmanns Geschenke, 1978<br />
Wanderlust, 1977<br />
Kur in Bad Wiessee, 1976<br />
Rheinpromenade, 1973<br />
Rosenmontag, 1975<br />
Frank Becker<br />
13
14<br />
„Mein Freund Harvey“<br />
von Mary Chase – Eine Komödie<br />
über die Psychoanalyse<br />
Das Falsche ist oft die Wahrheit, die auf<br />
dem Kopf steht. (Sigmund Freud)<br />
Inszenierung: Gert Becker<br />
Ausstattung: Elke König<br />
Dramaturgie: Christian Scholze<br />
Besetzung:<br />
Elwood P. Dowd: Berthold Schirm<br />
Ruth Kelly, Oberschwester in Dr. Chumleys<br />
Sanatorium: Julia Gutjahr<br />
Veta Louise Simmons, seine verwitwete<br />
Schwester: Vesna Buljevic<br />
Myrtle Mae, deren Tochter:<br />
Sophie Schmidt<br />
Omar Gaffney, Anwalt der Familie Dowd:<br />
Francesco Russo<br />
Dr. William R. Chumley, Psychiater:<br />
Guido Thurk<br />
Betty Chumley, seine Frau / Mrs. Ethel<br />
Chauvenet / E. J. Lofgreen, Taxi-Chauffeur:<br />
Gabriele Brüning<br />
Dr. Lyman Sanderson, Psychiater:<br />
Roni Merza<br />
Marvin Wilson, Angestellter des Sanatoriums:<br />
Bülent Özdil<br />
Er ist verrückt, das ist alles<br />
„Er ist verrückt, das ist alles.“ Wenn es<br />
so einfach wäre, wie es Elwood P. Dowds<br />
Nichte Myrtle Mae es auf den Punkt zu<br />
bringen versucht, wäre „Mein Freund Harvey“<br />
von Mary Chase ein kurzes, tragisches<br />
Stück. Ein Mann wird seit Jahren von<br />
einem unsichtbaren, großen weißen Hasen<br />
(2 Meter plus Ohren) begleitet und teilt<br />
den Alltag mit ihm - Diagnose: Wahnvorstellungen,<br />
Maßnahmen: Klapsmühle,<br />
Zwangsjacke, Eisbäder. Schrecklich.<br />
Doch Mary Chase hat mit ihrer ab 1943<br />
am Broadway 1775mal en suite aufgeführten<br />
und 1950 mit James Stewart Maßstäbe<br />
setzend verfi lmten Gesellschaftskomödie<br />
über die Psychoanalyse eine wunderbare<br />
Parabel zu der Frage geschaffen, wer denn<br />
nun verrückt sei: Elwood P. Dowd (Berthold<br />
Schirm), das medizinische Personal<br />
der Irrenanstalt, pardon, des Sanatoriums<br />
oder gar wir, die Zuschauer? Gert Becker<br />
hat mit dem Ensemble des Westfälischen<br />
Landestheaters Castrop-Rauxel auf der<br />
wunderbaren wolkig-violetten Bühne von<br />
Elke König (die auch für die kongenialen<br />
Garderoben zeichnet) eine äußerst kurzweilige<br />
Inszenierung auf die Beine gestellt,<br />
welche der Intention der Autorin folgend<br />
das Spiel zwischen Wahn und Wirklichkeit<br />
mit weiser Komik betreibt.<br />
„Das Maß von unbefriedigter Libido, das die<br />
Menschen im Durchschnitt auf sich nehmen<br />
können, ist begrenzt.“ (Sigmund Freud)<br />
Man spürt stets – gelegentlich sieht man<br />
ihn auch im Hintergrund – Sigmund<br />
Freud im Raum, und sein Satz: „Das<br />
Falsche ist oft die Wahrheit, die auf dem<br />
Kopf steht“, wird spürbar. Vor seinem Bild<br />
entwickelt sich in den absurden Dialogen,<br />
die Mary Chase ihren Figuren auf Maß<br />
geschneidert hat und die von Gert Becker<br />
glänzend inszeniert wurden, ein köstliches<br />
Spiel mit Klischees, die mit Genuß ausgeschlachtet<br />
werden. Da ist das verklemmte,<br />
nach Sex lechzende Vorstadt-Girl Myrtle<br />
Mae (Sophie Schmidt), agieren die psychiatrieverdächtigen<br />
Psychiater Dr. Sanderson
(Roni Merza) und Dr. Chumley (Guido<br />
Thurk) als Götter in Weiß, baggert der<br />
notgeile Sanatoriumshelfer Wilson (Bülent<br />
Özdil), und verzweifelt die societysüchtige<br />
Mrs. Simmons (Vesna Buljevic). Gabriele<br />
Brüning agiert gleich in vier Rollen, bei<br />
denen sie besonders als Betty Chumley Akzente<br />
setzt. Sie führen uns eine Gesellschaft<br />
vor, die natürlich in jeder scheinbaren<br />
Abweichung von der Norm eine Gefahr<br />
sehen muß. Daß Mary Chase auch ganz<br />
nebenbei im Plauderton Albert Einsteins<br />
Relativitätstheorie bemüht, sei ebenso ganz<br />
am Rande vermerkt.<br />
An der Frauenbrust treffen sich Liebe und<br />
Hunger. (Sigmund Freud)<br />
Julia Gutjahr in einer Paraderolle<br />
Die zauberhafte Julia Gutjahr nimmt<br />
als auf High-Heels stöckelnd hüftenschwingende<br />
Betty, der stets im rechten<br />
Augenblick der obere Knopf des spacken<br />
Kittelchens aufspringt, dank ihrer pikan-<br />
ten Karikatur auf die Karikatur einer sexy<br />
Krankenschwester eine besondere Position<br />
ein, die nahezu dem wunderbaren Berthold<br />
Schirm den Rang abläuft. Sympathisch süß<br />
gestrickt entzieht sie sich, den Blick auf die<br />
Liebe(n)swürdigkeit ihrer Mitmenschen<br />
gerichtet, der allgemeinen Hysterie. Auch<br />
hier wird Freud treffl ich umgesetzt: „An<br />
der Frauenbrust treffen sich Liebe und<br />
Hunger.“ Hinreißend. Und die Herren im<br />
Publikum beneiden Dr. Sanders.<br />
Das Falsche ist oft die Wahrheit, die auf dem<br />
Kopf steht. (Sigmund Freud)<br />
Berthold Schirm als „sanfter Irrer“<br />
Berthold Schirm weiß als spleeniger<br />
„sanfter Irrer“ Elwood im weichen Tweed-<br />
Anzug, ein Mann ohne Arg, der en passant<br />
Ovid zitiert, davon zu überzeugen, daß es<br />
eine Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit<br />
gibt, was Star-Psychiater Chumley schließlich<br />
zu der umkehrenden Einsicht bringt:<br />
„Fliegendreck, ich verbringe mein Leben<br />
mit Fliegendreck!“. Denn: „Auch der<br />
psychiatrische Wahn enthält ein Stückchen<br />
Wahrheit, und die Überzeugung des Kranken<br />
greift von dieser Wahrheit aus auf die<br />
wahnhafte Umhüllung über.“ (Sigmund<br />
Freud) Ein großartiges Stück, ein großartiger<br />
Abend.<br />
Das Stück ist derzeit in NRW auf Tournee.<br />
Weitere Informationen:<br />
westfaelisches-landestheater.de<br />
Frank Becker<br />
Fotos: Volker Beushausen<br />
linke Seite:<br />
Vesna Buljevic (Veta Louise Simmons)<br />
rechte Seite:<br />
v. l.: BertholdSchirm(Elwood P. Dowd),<br />
Guido Thurk(Dr. William R. Chumley)<br />
15
16<br />
Otto Modersohn<br />
Landschaften der Stille<br />
Paula Modersohn-Becker –<br />
Eine expressive Malerin<br />
Werke aus Privatbesitz<br />
Osthaus Museum Hagen<br />
noch bis zum 21. April 2013<br />
Otto Modersohn (1865-1943)<br />
Die Wolke, 1890<br />
© Otto Modersohn Museum, Fischerhude<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2013<br />
Landschaften der Stille
18<br />
Otto Modersohn, Dorfstraße in Worpswede, 1897, © Otto Modersohn Museum, Fischerhude, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2013
20<br />
Das Osthaus Museum Hagen richtet bis<br />
21. April 2013 in Zusammenarbeit mit<br />
der Otto Modersohn Stiftung in Worpswede<br />
eine retrospektiv angelegte Ausstellung<br />
zum Werk des Landschaftsmalers Otto<br />
Modersohn (1865–1943) aus. Mit über<br />
100 Gemälden und rund 80 Zeichnungen<br />
ist dies die erste umfassende Museumspräsentation<br />
außerhalb des Otto Modersohn<br />
Museums in Fischerhude seit 35 Jahren in<br />
Deutschland. Ziel der Ausstellung ist es,<br />
die Eigenständigkeit des außerordentlich<br />
umfangreichen malerischen wie auch des<br />
zeichnerischen Œuvres einem breiten Publikum<br />
zugänglich zu machen. Sie umfasst<br />
alle Abschnitte seiner Werkgenese.<br />
Parallel zu dieser Präsentation, zeigt das<br />
Osthaus Museum eine exklusive Auswahl<br />
von Werken Paula Modersohn-Beckers<br />
aus Privatbesitz. Damit begegnen sich zwei<br />
grundlegend unterschiedliche künstlerische<br />
Sehweisen, die sich an einigen Punkten<br />
berühren und sich für kurze Zeit gegenseitig<br />
befruchten, dann jedoch wieder völlig andere,<br />
eigenständige Entwicklungen nehmen.<br />
Der in Soest geborene Künstler<br />
verbrachte vor seinem Studium an der<br />
Kunstakademie Düsseldorf seine Kinder-<br />
und Jugendzeit in Münster. Neben dieser<br />
familiären Verwurzelung in Westfalen<br />
besitzt auch die Sammlungsgeschichte des<br />
Osthaus Museums Hagen eine Beziehung<br />
zu Otto Modersohn und seinem Werk.<br />
Das Künstlerehepaar Otto Modersohn<br />
und Paula Modersohn-Becker hatte den<br />
Hagener Mäzen und Kunstsammler sowie<br />
Peter Behrens gemeinsam mit Heinrich<br />
Vogeler auf einer 3-tägigen Reise nach<br />
Westfalen im Jahr 1905 in Hagen kennen<br />
und schätzen gelernt.<br />
Im Juli 1899 erklärte Modersohn<br />
seinen Austritt aus der Künstlervereinigung<br />
‚Worpswede‘; nach dem Tod seiner<br />
ersten Frau Helene im darauffolgenden<br />
Jahr wurde Paula Becker, die zunächst als<br />
Malschülerin von Mackensen nach Worpswede<br />
gekommen war, seine intensivste<br />
Gesprächspartnerin; die beiden heirateten<br />
1901. Otto Modersohn und Paula<br />
Modersohn-Becker arbeiteten zum Thema<br />
der Gegenständlichkeitsauffassung in den<br />
folgenden Jahren intensiv an der Umsetzung<br />
der von ihnen deklarierten Maxime<br />
„Das Ding an sich in Stimmung“. Es entstanden<br />
Werke, die die naturalistische Darstellung<br />
zunehmend vernachlässigten und<br />
mehr einer inneren Welt entsprangen. Der<br />
plötzliche Tod Paula Modersohn-Beckers<br />
im Jahr 1907 veranlasste Otto Modersohn<br />
Worpswede zu verlassen. Die gemeinsame<br />
Arbeit wurde leider frühzeitig beendet.<br />
Auf Initiative von Otto Modersohn und<br />
Heinrich Vogeler fand 1913 posthum eine<br />
umfassende Ausstellung mit 77 Gemälden<br />
und Skizzen, 45 Zeichnungen sowie 9 Radierungen<br />
von Paula Modersohn-Becker<br />
in den Räumen des Museum Folkwang in<br />
Hagen statt. Otto Modersohn besuchte die<br />
Ausstellung zusammen mit seiner Tochter<br />
Mathilde. Er beschrieb seinen Eindruck<br />
der Ausstellung mit nur einem Wort:<br />
„überwältigend“. Die Ausstellung wurde<br />
von einem im Worpsweder Horenverlag<br />
herausgegebenen Katalog begleitet, an dessen<br />
Zustandekommen Otto Modersohn
wesentlich beteiligt war. Im Anschluss an<br />
die Ausstellung kaufte Karl Ernst Osthaus<br />
das Gemälde „Selbstbildnis mit Kamelienzweig“,<br />
entstanden 1907 in Paris, das letzte<br />
Selbstporträt Paula Modersohn-Beckers,<br />
die am 20. November 1907 an den Folgen<br />
der Entbindung ihrer Tochter Mathilde<br />
in Worpswede früh verstarb. Es befi ndet<br />
sich heute im Bestand der Sammlung des<br />
Essener Folkwang Museums.<br />
Heute besitzt das Osthaus Museum Hagen<br />
zwei Ölgemälde von Otto Modersohn.<br />
„Abend im Moor“ kaufte die Städtische<br />
Sammlung aus dem Atelier im Oktober<br />
1941 und aus der Ausstellung in Hagen,<br />
im Mai 1942, erwarb das Museum das<br />
Bild „Flusslandschaft im Rauhreif“. In<br />
Hagener Privatbesitz konnten aus dieser<br />
Ausstellung vier weitere Bilder vermittelt<br />
werden.<br />
Nach 1945 wurden auch wieder Werke<br />
von Paula Modersohn-Becker in die<br />
Sammlung des Osthaus Museums integriert,<br />
darunter neben drei grafi schen Blät-<br />
Kultur, Information und Unterhaltung im Internet<br />
Täglich neu – mit großem Archiv<br />
Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografi e – Reise<br />
Unabhängig, werbefrei und ohne Maulkorb<br />
www.musenblaetter.de<br />
linke Seite:<br />
Otto Modersohn (1865-1943)<br />
Bauerngarten mit Insel, 1911<br />
© Otto Modersohn Museum, Fischerhude,<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2013<br />
rechte Seite:<br />
Otto Modersohn (1865-1943)<br />
Kirchgang (Neujahr - Dingstiege<br />
in Münster), 1888<br />
Öl auf Papier auf Karton, 21 x 21 cm,<br />
© Otto Modersohn Museum, Fischerhude,<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2013<br />
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog<br />
mit Beiträgen von Erich Franz zu den<br />
Bildern und Andrea Fink-Belgin zu den<br />
Zeichnungen.<br />
Der 216 Seiten umfassende Katalog mit<br />
115 Abbildungen umreißt mit ausgewählten<br />
Beispielen das Schaffen Otto<br />
Modersohns. Der Katalog kostet in der<br />
Ausstellung 28,– Euro.<br />
Supplementband: Paula Modersohn-<br />
Becker – Eine expressive Malerin, mit<br />
einem Einleitungstext von Tayfun Belgin<br />
tern das Bildnis „Mädchen mit Lamm“,<br />
datiert auf das Jahr 1904.<br />
Die Ausstellung erfolgt in Zusammenarbeit<br />
mit dem Otto Modersohn Museum<br />
in Fischerhude, und mit der freundlichen<br />
Unterstützung der Galerie Neher, Essen.<br />
www.osthausmuseum.de<br />
21
Lyrische Tragödie in zwei Akten<br />
von Federico García Lorca<br />
Musik von Wolfgang Fortner<br />
links: Dalia Schaechter, Verena Hierholzer<br />
unten v.l.n.r.: Ingeborg Wolff, Stephan<br />
Ullrich, Dalia Schaechter, Banu Böke,<br />
Gregor Henze, Tanja Ball, Angelika März,<br />
Marco Agostini<br />
Bluthochzeit<br />
Eine junge Frau im Brautkleid sitzt schon<br />
auf der Bühne, wenn die Zuschauer ihre<br />
Plätze einnehmen. Dann springt diese Braut<br />
der Mutter auf den Rücken und will sie<br />
nicht mehr loslassen. Sie ist der Dämon, der<br />
kommt, wenn der Tod in der Nähe ist. Er<br />
wechselt im Lauf des Stückes seine Kleider,<br />
erst trägt er weiße, die werden aber immer<br />
mehr durch schwarze ersetzt. Einmal wirft er<br />
der Mutter einen schwarzen Schleier zu, den<br />
die aber nicht haben will. Er malt sich auch<br />
blutrot an und putzt sich ganz am Schluss<br />
die weiße Schminke aus dem Gesicht.<br />
Noch eine andere Frau ist fast immer anwesend:<br />
die Bettlerin, der Tod. Mit ihren beiden<br />
Plastiktüten, in einen alten Mantel und<br />
in eine Trainingshose gehüllt, wartet sie sanft<br />
lächelnd darauf, dass jemand stirbt, weist<br />
den Mond an, dass es passiert und öffnet den<br />
beiden Duellanten den Weg in ihr Reich.<br />
Beide Frauen lenken sozusagen das Stück.<br />
Die Bettlerin kommt im Libretto nur in einer<br />
Szene vor, der Dämon überhaupt nicht.<br />
Dass dem Regisseur, Christian von Goetz,<br />
das in dieser Weise darstellt, zeigt seine<br />
intensive, genaue und kreative Auseinandersetzung<br />
mit dem Stück.<br />
Das Wuppertaler Theater setzt seine<br />
hervorragende Arbeit fort, durch die Inszenierung<br />
von Wolfgang Fortners „Blut-<br />
hochzeit“, die im Jahre 1957 entstand und<br />
seit einigen Jahrzehnten in der Versenkung<br />
verschwunden ist. Die Wiederentdeckung<br />
hat sich gelohnt, weil in jeder Hinsicht beste<br />
Qualität geboten wird.<br />
Fortner hat den Text von Federico García<br />
Lorca vertont, ein spanischer Dichter, der<br />
1936 von den Franco-Faschisten ermordet<br />
wurde. Erzählt wird eine Geschichte, die<br />
aufgrund archaischer Gesetze und Bräuche<br />
blutig endet, vor allem die Geschichte einer<br />
traumatisierten Mutter, die schon Mann<br />
und ältesten Sohn durch eine Familienfehde<br />
verloren hat. Am Ende verliert sie auch noch<br />
den jüngeren, der aber seinen Widersacher<br />
aus der feindlichen Familie im Kampf um<br />
die Braut mit in den Tod nimmt.<br />
Besonders gut verstand es der Regisseur<br />
darzustellen, wie positive Gefühle anderen<br />
gegenüber keine Chance haben, weil scheinbar<br />
ewige Gesetze und überlieferte Religion<br />
dies verhindern. So bleibt die Hauptperson,<br />
die Mutter, absolut starr in ihrer Haltung,<br />
egal was passiert. Sie ist besessen vom Tod<br />
ihrer Familienmitglieder, wird ständig von<br />
Dämonen besucht, die sie immer wieder<br />
beschwört und von denen sie nicht lassen<br />
kann. Auch bei der Brautwerbung (3. Bild)<br />
wird nichts geklärt, alles bleibt formal, oberfl<br />
ächlich, von gegenseitigem Entgegenkom-<br />
23
24<br />
Martin Koch, Ingeborg Wolff<br />
men der Parteien oder gar von Liebe keine<br />
Spur, alle Intimität wird auf die Zeit nach der<br />
Hochzeit verschoben.<br />
Der Machismo spielt eine große Rolle.<br />
Leonardo, der Gegner des Bräutigams, spielt<br />
dies voll aus. Er, Mitglied der „Mörder-Familie“,<br />
der mit der Braut schon einmal verlobt<br />
war, jetzt aber mit deren Cousine verheiratet<br />
ist, benimmt sich ihr und seiner Mutter<br />
gegenüber ungeheuer brutal. Auch nicht den<br />
Hauch eines Zweifels an seiner Rolle hat er,<br />
hält sich sogar für schuldlos. Kurz vor dem<br />
Duell sagt er der von ihm entführten Braut:<br />
„Nicht mein ist die Schuld, sie ist die Schuld<br />
andalusischer Erde, des Geruchs deiner Brüste<br />
und Zöpfe“.<br />
In diese Meinung unterstützt wird er<br />
ausgerechnet von der Mutter seines Widersachers,<br />
die bedauert, dass ihr Mann sie<br />
nur zweimal mit einem Kind beglückt hat,<br />
während ihr Vater „an jeder Straßenecke ein<br />
Kind hinterlassen hat“, und preist ihren Sohn,<br />
weil er „guten Samen hat“.<br />
Wie sich unterdrückte Bedürfnisse ihren<br />
Weg bahnen, wird in sehr gelungener Weise<br />
dargestellt. Unterdrückte Sexualität zeigt sich<br />
so z.B. in masturbatorischen Bewegungen<br />
mit dem Kreuz, nach dem Entfernen des<br />
Lendenschurzes des Gekreuzigten. Während<br />
der Hochzeitsfeier tanzt ein lesbisches Pärchen<br />
auf dem Tisch, ein Mann, als Frau verkleidet,<br />
und ein Frau, als Mann verkleidet, deuten<br />
einen Koitus an, und sogar die Marienfi gur<br />
entpuppt sich als Schnapsfl asche, deren Kopf<br />
nur abgedreht werden muss, um an den<br />
Inhalt zu kommen.<br />
v.l.n.r. Stephan Ullrich, Banu Böke, Verena Hierholzer, Dalia Schaechter<br />
Der gesamte Plot ist schlüssig dargestellt, auch<br />
die surrealen Elemente der Geschichte werden<br />
sehr schön deutlich. So will der Mond, als<br />
Zwerg mit Scheinwerfer, beim Zweikampf der<br />
Rivalen besonders hell sein: „Denn das köstliche<br />
Zischen des Blutes will zwischen den Fingern<br />
ich hören.“ Auch der Kampf der beiden Männer<br />
wird nicht naturalistisch dargestellt, sondern der<br />
Tod (die Bettlerin) öffnet eine Tür, sie hören auf<br />
zu kämpfen und treten in ihr Reich ein.<br />
Dass Fortner zwölftönig komponiert hat,<br />
mag auf den ersten Blick abschrecken.<br />
Der Komponist hat es aber geschafft, die Musik<br />
sehr emotional zu gestalten, Gefühle und<br />
Seelenzustände werden deutlich und sind gut<br />
nachzuvollziehen.<br />
Erleichternd wirkt auch, dass nicht nur<br />
gesungen, sondern oft auch gesprochen wird.<br />
Auch hat Fortner lokales Kolorit verwendet,<br />
spanische und andalusische Lieder werden<br />
eingebunden, oft so, dass sie interpretierend<br />
wirken. So erscheinen Flamencoelemente nicht<br />
als Ausdruck freier Lebenslust, sondern der<br />
Unterdrückung, des nicht Herauskommens aus<br />
der traditionellen Lebenswelt; das Wiegenlied<br />
(2. Bild) wirkt nicht tröstend, sondern lastend<br />
und lebensschwer, das Hochzeitslied „Die<br />
Braut erwache am Morgen der Hochzeit mit<br />
smaragdenem Zweig, mit fl ießendem Haar,<br />
jasminener Stirn, mit schneeweißem Hemd<br />
und Lackschuh´n aus Silber“ ist angesichts der<br />
lieblosen Zeremonie eher eine Parodie, und das<br />
choralartige „Süße Nägel, süßes Kreuz, süßer<br />
Name Jesu“ kurz vor Schluss, wenn alle tot<br />
oder in anderer Weise am Ende sind, beleuchtet<br />
noch einmal die Rolle der Religion.<br />
Diese Musik wird vom Wuppertaler<br />
Sinfonieorchester unter Hilary Griffi th in ganz<br />
hervorragender Weise interpretiert. Interessanterweise<br />
spielt das Orchester nicht im Graben,<br />
sondern auf der Hinterbühne und ist teilweise<br />
sogar sichtbar. Deshalb rückt das Geschehen<br />
auf der Bühne ganz nah an die Zuschauer<br />
heran.<br />
Auch an den Leistungen der Sänger gibt<br />
es nichts zu kritisieren. Auch in schauspielerischer<br />
Hinsicht sind sie ohne Fehl und<br />
Tadel. Hervorzuheben ist die Darstellerin der<br />
Mutter, Dalia Schächter, in jeder Hinsicht die<br />
Zentrale des Stücks. Banu Böke stellt die Hin-<br />
und Hergerissenheit der Braut wunderbar dar,<br />
Thomas Laske seinen machismogeprägten<br />
Leonardo. Ebenso hoch ist das Niveau des<br />
Chors, aus dem einige Mitglieder solistisch<br />
hervortreten, und der übrigen Sänger. Besonders<br />
gut gefallen hat mir Annika Boos in einer<br />
kleinen Rolle als Kind, die Seilchen springend<br />
locker ihre Koloraturen, darunter sogar das<br />
hohe cis, bewältigt.<br />
Also: eine hervorragende Oper ist wiederentdeckt<br />
worden und wird in Wuppertal hervorragend<br />
gesungen und gespielt. Unbedingt<br />
hingehen!<br />
Weitere Aufführungen:<br />
8. und 17 Februar, 17. März<br />
Fritz Gerwinn<br />
Fotos: Uwe Stratmann
Vom „Drachen“ in Wuppertal zum<br />
Fernseh-Serienstar<br />
Auch das kann er: Helmfried von Lüttichau<br />
bei SAT 1 als Pornofi lm-Regisseur<br />
in der Komödie „Ausgerechnet Sex“…<br />
Helmfried von Lüttichau<br />
Er ist der Mann mit dem Klassenkasper-<br />
Gesicht. Etwas weniger ironisch und<br />
harmoniebetont formuliert, könnte man<br />
auch sagen: mit einem Gesicht, dem man<br />
nie böse sein kann. Es geht um Helmfried<br />
von Lüttichau. Schon der ungewöhnliche<br />
Name macht neugierig. Dabei ist es<br />
ziemlich einfach, ihn zu sehen. Derzeit<br />
jeden Montagabend um 20.15 Uhr in der<br />
4. Staffel der Serie „Der letzte Bulle“ in<br />
der Rolle des chaotischen Chefs Martin<br />
Ferchert. Ein Millionenpublikum eroberte<br />
sich auch die ARD-Vorabendserie „Hubert<br />
und Staller“, deren zweite Staffel im Februar<br />
auslief und deren Fortsetzung fest geplant<br />
ist. Bei den Titelhelden Hubert und<br />
Staller handelt es sich um zwei „mittelhelle“<br />
Dorfpolizisten in einem bayerischen<br />
Kleinstadtrevier (gedreht in Wolfratshausen<br />
und Münsing am Starnberger See), die mit<br />
höchst ungewöhnlichen Methoden ihre<br />
Fälle lösen. In den Hauptrollen der beiden<br />
unterschiedlichen Ermittler in Uniform<br />
sind Christian Tramitz und Helmfried von<br />
Lüttichau zu sehen. Der sagt über diese<br />
Rolle: „Gerade in sie fl ießt einiges von<br />
mir und meinem Charakter ein. Ich muss<br />
also nicht etwas Fremdes erfüllen, sondern<br />
kann es selbst erfi nden. Ich werde immer<br />
wieder von lachenden Menschen auf der<br />
Straße angesprochen, denen die Serie<br />
offenbar gut gefällt.“<br />
Serienrollen im Fernsehen und nun<br />
auch Autor eines Gedichtbandes mit dem<br />
Titel „Was mach ich wenn ich glücklich<br />
bin“. Helmfried von Lüttichau ist auf der<br />
Leiter der Karriere ziemlich weit oben<br />
angekommen. Die erste Stufe dieser Leiter<br />
aber war Wuppertal. Der 1956 in Hannover<br />
geborene und in München lebende<br />
Schauspieler mit dem Namen eines 1355<br />
erstmals erwähnten deutschen Adelsgeschlechts<br />
mit dem Stammsitz im Landkreis<br />
Oberspreewald-Lausitz hat, seine Karriere<br />
in der Spielzeit 1980/81 im Wuppertaler<br />
Schauspielhaus begonnen. Intendant war<br />
25
26<br />
Mit Christian Tramitz (rechts) als „Hubert und Staller“ in der ARD. (Bild: ARD/TMG/<br />
Chris Hirschhäuser)<br />
Die Protagonisten aus „Der letzte Bulle“. (v. l. n. r.) Meisner (Robert Lohr), Ferchert (Helmfried<br />
von Lüttichau), Andreas (Maximilian Grill) und Mick (Henning Baum), Steffi Averdunk<br />
(Franziska Weisz). © SAT. 1 Fotograf: Martin Rottenkolber<br />
Professor Hellmuth Matiasek, der mittlerweile<br />
81-jährige Ehemann von Cornelia<br />
Froboess. Lüttichau: „Er hat mich aus<br />
München von der Otto Falckenberg-Schule<br />
als Anfänger für zwei Jahre engagiert. Es<br />
war wunderbar, denn ich durfte sehr viel<br />
spielen. Meine erste Rolle war die Figur des<br />
Heinrich in ,Der Drache‘ .“ Der Schauspieler,<br />
der seinen seltenen Vornamen der Zusammensetzung<br />
des väterlichen Vornamens<br />
Friedrich-Wilhelm und des Großvaters<br />
Helmut verdankt, stand auch auf dem Besetzungszettel<br />
der vom Intendanten selbst<br />
inszenierten Lokalposse von JohannNestroy<br />
„Zu ebener Erde und erster Stock oder:<br />
Die Launen des Glückes.“ Franz Trager<br />
spielte die Hauptrolle, der Wuppertaler<br />
Theaterhistoriker und Siegfried Becker<br />
schrieb in seinem Standardwerk „50 Jahre<br />
Theater in Wuppertal“ über die Premiere<br />
am 1. März 1981: „Dem Nestroy Landsmann<br />
Matiasek gelang eine Aufführung,<br />
die das Publikum begeisterte.“ Doch auch<br />
damals herrschte keineswegs nur Begeisterung<br />
über das im Schauspielhaus Gebotene.<br />
Am 4. Juli 1981 kam „Strawberry<br />
Fields“ in der Inszenierung von Christoph<br />
Held zur deutschen Uraufführung und das<br />
lockte die überregionale Presse ins Tal. Der<br />
im Jahre 2007 verstorbene Kritiker Lothar<br />
Schmidt-Mühlisch verfasste in der WELT<br />
einen Totalverriss, in dem unter anderem<br />
zu lesen war: „Überhaupt machte man sich<br />
in Wuppertal viel Mühe, verschwendete<br />
großes Talent an belanglosen Schmäh.“<br />
Mit den Darstellern allerdings ging er<br />
gnädig um und bilanzierte: „Aber das<br />
verhinderte nur den totalen Durchfall des<br />
Stückes.“ Ein damals 25-jähriger Anfänger<br />
bekam die Bestnote: „Lediglich in<br />
der Figur des fast blinden Kevin ist dem<br />
Autor eine gewisse Authentizität gelungen.<br />
Offenbar ein Blumenkind von einst,<br />
gealtert, enttäuscht, zivilisationsmüde, mit<br />
intellektueller Attitüde mit der resignierend<br />
tödlichen Geste des letzten zerstörten<br />
Kraftaktes. Freilich: Auch das gewann erst<br />
Kontur durch die faszinierende Rollengestaltung<br />
Helmfried von Lüttichaus. Fast<br />
ein apokalyptischer Todesengel, dessen<br />
Traumvisionen von einem fernen Glück<br />
Helmfried von Lüttichau als fast blinder<br />
Kevin (2.v.rechts) im Jahre 1981 im Wuppertaler<br />
Schauspielhaus in der Komödie<br />
„Strawberry Fields“ mit Barbara Grupe,<br />
René Peier und Monika Hess. Foto: Kaspar<br />
Seiffert/Stadtarchiv Wuppertal<br />
die ästhetische Begründung der Zerstörung<br />
schaffen. Man möchte diesen Schauspieler<br />
in besseren Rollen sehen.“ Eine Spielzeit<br />
später mit der Premiere am 8.Mai 1982<br />
gab er in „Früchte des Nichts“ von Ferdinand<br />
Brückner die Rolle des „Foss“ und<br />
wurde von der renommierten Fachzeitung<br />
„Theater heute“ zum „Jungen Schauspieler<br />
der Saison“ gewählt. Nach zwei Spielzeiten<br />
hat er Wuppertal und seine Wohnung an<br />
der Briller Straße verlassen. Erinnerungen<br />
sind geblieben:„Besonders an Franz Trager,<br />
Ursula von Reibnitz, Rena Liebenow,<br />
Ingeborg Wolff, Erich Leukert und dessen<br />
Frau, die meine Maskenbildnerin war. Mit<br />
Hans Richter habe ich mich besonders gut<br />
verstanden. Noch besser aber mit Bernd<br />
Schäfer. Wir hatten eine Szene auf der<br />
Bühne, bei wir beide derart lachen musste,<br />
dass wir uns vom Publikum wegdrehen<br />
mussten.“
Helmfried von Lüttichau zog nach<br />
zwei Jahren weiter nach Frankfurt, an die<br />
Volksbühne Berlin, das Nationaltheater in<br />
Mannheim, nach Oberhausen, an das Düsseldorfer<br />
Schauspielhaus und als letztes festes<br />
Engagement 1997 an die später in fi nanzielle<br />
Turbulenzen geratenen Düsseldorfer<br />
Kammerspiele. Lüttichau: „Die letzte Gage<br />
bekamen wir aus der Konkursmasse.“ Schon<br />
zu diesem Zeitpunkt war er bei Film und<br />
Fernsehen gut gebucht: „Ich habe seitdem<br />
kein Theater mehr gespielt und mich nur<br />
auf Film und Fernsehen konzentriert.“ Der<br />
Bühnenanfänger aus Wuppertal der frühen<br />
80-er Jahre hat seitdem in unzähligen<br />
Filmen und Fernsehstücken- und Serien gespielt.<br />
Oft in kleineren Rollen, aber immer<br />
im Geschäft und das auch bei populären<br />
TV-Serien wie Balko, Der Fahnder, Alarm<br />
für Cobra 11, Tatort, Ein starkes Team, SK-<br />
Kölsch, Die Kommissarin, Um Himmels<br />
willen und Die Rosenheimcops. Lüttichau<br />
hat in beiden Wickie-Filmen von Bully<br />
Herbig mitgespielt und bei „Pünktchen<br />
und Anton“ drehte er gemeinsam mit der<br />
in Wülfrath lebenden und aus Wuppertal<br />
stammenden Kollegin Dorothea Walda. Die<br />
Rolle in der ARD-Serie hat ebenfalls einen<br />
H. von Lüttichau Was mach ich wenn ich<br />
glücklich bin. Verlag Fixpoetry 2012, Gedichte,<br />
144 S., ISBN 978-3-942890-15-1<br />
Preis: 14,90 Euro<br />
Wuppertal-Bezug. Lüttichau: „Redakteur<br />
der Serie ist Elmar Jaeger vom Bayerischen<br />
Rundfunk. Er hat mir erzählt, dass er mich<br />
damals in Wuppertal auf der Bühne des<br />
„Wunderbar, dass unsere Sparkasse<br />
einer der größten Kulturförderer<br />
Wuppertals ist.“<br />
Freundschaft<br />
mein Feind<br />
der mir<br />
am Stuhlbein sägt<br />
Gott sei Dank hab ich noch drei<br />
aber wackeln tut`s<br />
gewaltig<br />
mein Freund<br />
sägt wenigstens alle vier ab<br />
dann muss ich wieder stehen<br />
oder er lässt mich sitzen<br />
Das Lieblingsgedicht des Autors<br />
Schauspielhauses gesehen hat. Wuppertal<br />
war für mich also wirklich ein Sprungbrett.“<br />
Klaus Göntzsche<br />
Sparkassen-Finanzgruppe<br />
<br />
Die Stadtsparkasse Wuppertal unterstützt Soziales, Kultur und Sport in Wuppertal mit rund 5 Mio. € pro Jahr. Wir sind uns als Marktführer unserer<br />
Verantwortung für die Menschen und Unternehmen in unserer Stadt bewusst und stellen uns dieser Herausforderung. Mit unserem Engagement unterstreichen<br />
wir, dass es mehr ist als eine Werbeaussage, wenn wir sagen: Wenn’s um Geld geht – Sparkasse<br />
27
28<br />
Mario van Middendorf, Nibelungenwald,<br />
Cologne 2011, 100 cm x 80 cm,<br />
Fotografi e, C-Print<br />
Fotografi e ist kein erstarrtes Auge<br />
In ihren Anfängen, noch lange danach und<br />
zum Teil sogar heute war und ist Fotografi e<br />
als Kunstform umstritten, Motto: Kann ein<br />
leicht reproduzierbares Massenmedium, bei<br />
dem nur auf den Auslöser gedrückt wird,<br />
überhaupt Kunst sein? Schließlich bildet<br />
der Fotograf die Welt lediglich ab, während<br />
ein Maler oder Bildhauer mit seinen teils<br />
aufwändigen Arbeiten die Wirklichkeit interpretiert<br />
oder eine ganz neue Welt erschafft...<br />
Für den britischen Maler David Hockney<br />
ist „Fotografi e einfach ein Medium.<br />
Die Frage, ob sie Kunst ist oder nicht,<br />
ist für mich irrelevant. Man könnte sich<br />
genauso fragen, ob die Wasserfarbenmalerei<br />
Kunst ist. In gewisser Weise ist die<br />
Fotografi e auch ein sehr beschränktes<br />
Medium, denn sie verlangt von uns im<br />
Grunde, die Welt mit einem erstarrten<br />
Auge zu betrachten.“ Und überhaupt:
Wie soll man denn in der Fotografi e<br />
ein Original defi nieren? Zweifelsohne<br />
ein Einwand, trotzdem tut das dem<br />
Ideenreichtum, der Kreativität und Qualität<br />
vieler Protagonisten der Fotografi e<br />
keinen Abbruch. Denn zwischenzeitlich<br />
hat sich viel getan: Der Sprung von der<br />
analogen zur digitalen Fotografi e und<br />
Hilfsmittel wie Photoshop eröffnen den<br />
Kreativen vielseitige Möglichkeiten –<br />
auch wenn Fotobearbeitungsprogramme<br />
ein Reizthema sind: Von den einen<br />
werden sie als Kreativmedium geliebt,<br />
von anderen als schnödes Verschönerungswerkzeug<br />
mieser Fotos herabqualifi<br />
ziert. Aber grundsätzlich spricht doch<br />
nichts dagegen, unterschiedliche Mittel<br />
einzusetzen, insbesondere wenn es der<br />
Sache (= Kreativität) dient.<br />
Folgt man der Argumentation von<br />
Swantje Karich, Feuilletonredakteurin<br />
der FAZ und Leiterin des Kunstressorts,<br />
in ihrem Artikel „Wohin steuert die<br />
zeitgenössische Kunst?“ (FAZ.net vom<br />
11. 11. 2011), dann sind Malerei und<br />
Fotografi e ohnehin abgegessen und werden<br />
abgelöst vom bewegten Bild. Karich<br />
schreibt dazu: „Die Fotografi e hat einst<br />
den Wettstreit aufgenommen mit der<br />
Malerei. Die Malerei des 20. Jahrhunderts<br />
steht gleichzeitig unter dem<br />
Paradigma der Fotografi e. Nach dieser<br />
kamen das Video und nun auch das<br />
Netz. Das bewegte Bild wird zum Zentralfetisch<br />
der Informationswelt. Nicht<br />
im Fernsehen, sondern auf Youtube und<br />
Facebook werden die gesellschafts-künstlerischen<br />
Inhalte verbreitet.“<br />
Mag sein, dennoch gibt es schlichtweg<br />
erstklassige Fotografen mit Konzepten –<br />
ob digital oder analog –, die so kreativ,<br />
spannend, bewegend und schön sind,<br />
dass es vermessen wäre, deren Werk<br />
herabzuqualifi zieren mit Äußerungen<br />
wie: ‚nur auf den Auslöser gedrückt’ oder<br />
gar ‚ist das überhaupt Kunst?’. Solche<br />
Aussagen frei nach Karl Pawek und der<br />
in seinem Buch „Das optische Zeitalter“<br />
gedruckten Sentenz: „Der Künstler<br />
erschafft die Wirklichkeit, der Fotograf<br />
sieht sie“ sind schlichtweg borniert.<br />
Denn bei einigen Kreativen der Fotoszene<br />
kommen die vor dem eigentlichen<br />
Akt des Fotografi erens betriebenen<br />
Anstrengungen einer Regiearbeit gleich.<br />
Die aufwendigen Inszenierungen der im<br />
Sommer 2011 im C/O BERLIN gezeigten<br />
Serie „In a lonely Place“ von Gregory<br />
Crewdson beschreibt die Süddeutsche<br />
Zeitung als „Hollywood fürs Foto“. Die<br />
bekannteste Serie des amerikanischen<br />
Fotografen ist wohl „beneath the roses“.<br />
Die Süddeutsche Zeitung notierte dazu:<br />
„Jenseits, unter der schönen Oberfl äche<br />
der Häuslichkeit, so empfi ndet Crewdson<br />
es, schlummern Geheimnisse. Etwas<br />
Verbotenes, Abgründiges“. Damit haben<br />
er und der Kult-Regisseur David Lynch<br />
eines gemein: die verborgene Abgründigkeit<br />
und Verderbtheit hinter der<br />
idyllischen Fassade des Lebens.<br />
Ein ebenso aufwändiges doch weniger<br />
düsteres und zudem internettaugliches<br />
29
30<br />
links: Ian Ruhter<br />
Kim Grant/Los Angeles Ca., 2010<br />
Kollodium-Nassplatte<br />
rechts: Ian Ruhter<br />
Scotty/Los Angeles Ca., 2010<br />
Kollodium-Nassplatte<br />
Gregory Crewdson<br />
Untitled (Kent Street), ‘Beneath the Roses,<br />
2007, Digitaler Pigmentdruck<br />
144,8 x 223,5 cm, Courtesy Gagosian<br />
Gallery, New York<br />
Konzept verfolgt Crewdsons Landsmann<br />
Ian Ruhter mit „Silver & Light“:<br />
In einem umfunktionierten Bus fahren<br />
der Fotograf und sein Team durch die<br />
USA und machen Fotos, die gleich an<br />
Ort und Stelle entwickelt werden. Der<br />
Clou: Ruhter arbeitet analog und völlig<br />
traditionell, und zwar mit einer Kollodium-Nassplatte.<br />
Erstmalig wurde diese<br />
Technik 1850/51 von den Fotopionieren<br />
Frederic Scott Archer und Gustave<br />
Le Gray eingesetzt (Quelle: Wikipedia).<br />
In einem Video kann man sich anschauen,<br />
wie das Verfahren funktioniert und<br />
was dabei entsteht, wirklich sehenswert!<br />
(Internet: www.vimeo.com/39578584)<br />
Für sein Projekt setzt Ian Ruhter auf<br />
Social Media und ruft die Menschen<br />
über Facebook dazu auf, sich bei ihm zu<br />
melden, wenn sie von ihm fotografi ert<br />
werden wollen.
Die ausdrucksstarken Arbeiten von Mario<br />
van Middendorf schweben über dem<br />
schmalen Grat zwischen Fotografi e und<br />
Malerei. Irgendwie tröstlich, denn seine<br />
Bilder schaffen es, die beiden Disziplinen<br />
respektive deren jeweiligen Anhänger<br />
und Opponenten miteinander zu<br />
versöhnen. Der Kölner Fotograf kreiert<br />
magische Traumwelten, in denen selbst<br />
die ödeste Gegend leuchtet und scheinbar<br />
doch nicht so trist ist oder sogar ein<br />
Geheimnis birgt. Mit seinem Statement<br />
zur Serie „aquaCity als Zeitzeugen am<br />
Wasser von Köln und Düsseldorf“ bestätigt<br />
van Middendorf übrigens genau<br />
meinen Eindruck: „Sehr früher Morgen.<br />
Fotografi e und Malerei kommen sich<br />
bedenklich nah. Ganz gezielt, denn das<br />
besondere Morgenlicht trennt ohnehin<br />
Licht und Schatten kaum.“ Grandios<br />
ist übrigens auch die limitierte Serie<br />
zum deutschen Wald („German<br />
Woods“) – ohnehin hierzulande ein<br />
großes, mythenreiches und ergiebiges<br />
Thema – allen voran die fantastischen<br />
Foto(Gemälde): „Der Nibelungenwald“<br />
sowie „Lueneburg Heath“. van Middendorf<br />
arbeit zu unterschiedlichen<br />
Themen in Serie: „Thematische und<br />
farbliche Zusammenhänge stehen für<br />
eindeutigen Seriencharakter. Schwülstig,<br />
üppig oder cool und völlig reduziert.<br />
Hell oder dunkel, mich faszinieren<br />
Widersprüche und Experiment. Ich<br />
lasse mich ungern festlegen.“<br />
Rankin ist einer der einfl ussreichsten<br />
Beauty- und Celebrity-Fotografen und<br />
mit seinen teils provokanten Arbeiten<br />
gleichzeitig auch ein Grenzgänger<br />
zwischen Werbung/Kommerz und<br />
Kunst. Neben seiner Fotokarriere dreht<br />
der Brite Spielfi lme, Werbefi lme und<br />
Musikvideos. Erste Bekanntheit erlangte<br />
der auch mit Künstlern wie Damian<br />
Hirst kooperierende Fotograf mit<br />
seinem Kommilitonen Jefferson Hack:<br />
Gemeinsam gründeten sie das Magazin<br />
Dazed & Confused, „das sich zu einem<br />
der führenden Magazine der 90er<br />
entwickelte und bis heute die Stil-Bibel<br />
aller Kreativen ist. Stylings und Fotos<br />
in Dazed & Confused sind nach wie<br />
vor die Messlatte für die Mode-Elite“,<br />
schrieb das NRW-Forum Düsseldorf<br />
im Ankündigungstext der Ausstellung<br />
„Rankin: Show-off“, die bis zum 13.<br />
Januar zu sehen war.<br />
Wer die Ausstellung verpasst hat:<br />
Im NRW-Forum sind mehrere Kataloge<br />
von Rankin erhältlich.<br />
Ute C. Latzke<br />
www.nrw-forum.de.<br />
Gregory Crewdson<br />
Untitled (Railway Children), 'Beneath<br />
the Roses', 200, Digitaler Pigmentdruck,<br />
144,8 x 223,5 cm<br />
Courtesy Gagosian Gallery, New York<br />
31
32<br />
Beatles. Das weiße Album.<br />
Ein Stück über das Jahr 1968<br />
und den Massenmörder<br />
Charles Manson<br />
Buch und Regie: Reinhardt Friese<br />
Musikalische Leitung:<br />
Tankred Schleinschock –<br />
Ausstattung: Annette Mahlendorf<br />
Fotos: Volker Beushausen<br />
Besetzung: Beatrice Reece (Prudence)<br />
Sophie Schmidt (Julia)<br />
Cornelia Löhr (Martha)<br />
Andrea Köhler (Sadie)<br />
Roni Merza (Anchorman)<br />
Roni Merza (Charlie)<br />
Fotos: Volker Beushausen<br />
www.beushausenbild.de<br />
Nur für Eingeweihte<br />
Beatles-Revival-Show? Fehlanzeige!<br />
Nein, ein fröhliches Beatles-Revival zum<br />
mitswingen ist es nicht, das muß sich<br />
rumgesprochen haben, denn gerade mal<br />
ca. 100 Gäste zwischen 20 und 70 - die<br />
Mehrheit war Ü 60 - hatten sich im Remscheider<br />
Teo Otto Theater eingefunden,<br />
um Reinhardt Frieses Stück „Beatles. Das<br />
weiße Album“ in einer Aufführung des<br />
Westfälischen Landestheaters zu sehen.<br />
Der Prolog mit Zitaten von u.a. Josef<br />
Stalin, Mao Zedong, Che Guevara und<br />
John F. Kennedy sprach es deutlich aus:<br />
„Ein Stück über das Jahr 1968 und über<br />
Menschen, die die Kunst für die Wirklichkeit<br />
hielten“. Revolution! Es war ein<br />
erschütterndes Jahr, dieses 1968, in das<br />
zugleich mit dem Höhepunkt der Flower<br />
Power-Bewegung Ereignisse wie die<br />
Niederschlagung des „Prager Frühlings“,<br />
das Massaker von My Lai in Vietnam, das<br />
Attentat auf Rudi Dutschke, die Ermordung<br />
von Martin Luther King und Bobby<br />
Kennedy sowie die Frankfurter Kaufhaus-<br />
Brandstiftungen durch die RAF.<br />
Mystifi kationen<br />
In kein weiteres Album der Beatles außer<br />
Abbey Road wurde und wird mehr<br />
hineingeheimnist als in das „White Album“,<br />
das im November 1968 erschien,<br />
den Zerfall der besten Band aller Zeiten<br />
einläutete und legendär wurde. Daß<br />
es zugleich von Charles Manson zum<br />
Fanal für eine grauenhafte, blutrünstige<br />
Mordserie seiner „Family“ ausgerufen<br />
wurde, einer Hippie-Kommune, die sich<br />
um den Kriminellen gesammelt hatte,<br />
ist eine mehr als bittere Ironie, die sicher<br />
nicht in der Intention der genialen Musik<br />
von John Lennon und Paul McCartney<br />
gelegen hatte. Susan Atkins, Patricia<br />
Krenwinkel, Linda Kasabian, Tex Watson,<br />
Leslie Van Houten und Charles Watson<br />
hatten Anfang August 1969 auf Anweisung<br />
Mansons sieben Menschen brutal<br />
abgeschlachtet, darunter die hochschwangere<br />
Schauspielerin Sharon Tate.<br />
Reinhardt Friese, der auch Regie führte,<br />
setzt bei seinen Zuschauern die Kenntnis<br />
dieser fatalen Folgen von „Revolution No.
9“, „Happiness is a Warm Gun“, „Piggies“<br />
und des dramaturgisch als Schlachtruf<br />
(bitte wörtlich nehmen) eingesetzten<br />
„Helter Skelter“ voraus. Weiß man darum,<br />
ist es ein eingängiges, wenn auch zu<br />
verklärendes Stück, das Manson zwar als<br />
den durchgeknallten Guru darstellt, der er<br />
war, seiner durch und durch kriminellen<br />
Struktur (Drogenhandel, Diebstahl, Köperverletzung,<br />
Vergewaltigung, Zuhälterei<br />
etc.) aber nicht den notwendigen Raum<br />
gibt. Zu sehr hebt Friese auf das Sendungsbewußtsein<br />
Mansons ab, der mit<br />
dem White Album in der einen und der<br />
Offenbarung des Johannes in der anderen<br />
Hand die Welt in das Chaos eines Rassenkonfl<br />
iktes zu stürzen beabsichtigte, aus<br />
dem nur er und seine „Family“ unbeschadet<br />
hervorgehen würden.<br />
Helter Skelter<br />
Weiß man nicht darum, ist es unter<br />
dem Strich dann doch eine gut gemachte<br />
Revue über das „White Album“ der<br />
Beatles, dessen o.a. Songs und viele andere<br />
wie „Sexie Sadie“, „Honey Pie“, „I´m so<br />
tired“, „Birthday“ „Julia“, „Martha My<br />
Dear“, „Dear Prudence“, „Cry Baby Cry“,<br />
und „Back in the USSR“ vom Ensemble<br />
(Beatrice Reece, Sophie Schmidt, Cornelia<br />
Löhr, Andrea Köhler, Roni Merza – alle<br />
ganz in unschuldigem Weiß) ausgezeichnet<br />
interpretiert wurden. Dann wiederum<br />
versteht der Uneingeweihte aber auch<br />
nicht, daß die mit roter Farbe auf die<br />
Kulisse gemalten Graffi ti „Pig“, „Helter<br />
Skelter“, „Rise“ und „Death to Piggies“<br />
den an den Tatorten mit dem Blut der<br />
Opfer geschriebenen Worte entsprechen.<br />
Die begleitende Band mit Tankred<br />
Schleinschock (p), Jürgen Knautz (b,<br />
g), Rudi Marhold (dr), Claus Michael<br />
Siodmok (g, uk) und Matthias Feige (g,<br />
tb) fand brillant Sound und Gefühl der<br />
Beatles, „While my guitar gently weeps“<br />
wurde zum musikalischen Sahnestück des<br />
Abends. Und zum Trost für alle Enttäuschten<br />
gab´s als Zugabe zum versöhnlichen<br />
Schluß „All you need is Love“ aus<br />
dem Album „Magical Mystery Tour“.<br />
The Family<br />
Zur begleitenden bzw. nachbereitenden<br />
Lektüre empfi ehlt sich „The Family. Die<br />
Geschichte von Charles Manson und<br />
seiner Strand-Buggy Streitmacht“ von Ed<br />
Sanders und Volker Rebell: „Die Beatles<br />
1968. Das weiße Album“. Dann wird<br />
auch das Stück zugänglich.<br />
Das Stück ist derzeit in NRW auf Tournee.<br />
Weitere Informationen:<br />
westfaelisches-landestheater.de<br />
Frank Becker<br />
v. l. n. r.:<br />
Cornelia Löhr (Martha), Roni Merza<br />
(Charlie), Beatrice Reece (Prudence), Sophie<br />
Schmidt (Julia), Andrea Köhler (Sadie).<br />
33
34<br />
Ausstellung im Museum Folkwang<br />
noch bis zum 14. 4. 2013<br />
In Zusammenarbeit mit dem<br />
Zentrum Paul Klee, Bern<br />
Ermöglicht mit Unterstützung der<br />
Sparkasse Essen<br />
Paul Klee<br />
Engel, noch weiblich, 1939, 1016<br />
Kreide auf Grundierung auf Papier<br />
auf Karton, 41,7 × 29,4 cm<br />
Zentrum Paul Klee, Bern<br />
© Foto: Zentrum Paul Klee, Bern<br />
Die Engel von Paul Klee<br />
Paul Klees Engel gehören zu den beliebtesten<br />
Werken des Künstlers. Sie sprechen<br />
nicht nur Kunstliebhaber an, sondern<br />
haben auch als poetische Lebenshelfer<br />
eine hohe Popularität gewonnen. Als<br />
gefl ügelte Mischwesen, halb Mensch halb<br />
Himmelsbote, repräsentieren sie eine<br />
Übergangsform zwischen irdischer und<br />
überirdischer Existenz, die dem Bedürfnis<br />
nach Spiritualität entgegen kommt. Zugleich<br />
refl ektieren die Engel aber auch die<br />
moderne Skepsis gegenüber Religion und<br />
Glaubensfragen. Darüber hinaus bieten<br />
sie nicht nur Kunsthistorikern, sondern<br />
auch Schriftstellern, Philosophen,<br />
Theologen und Psychologen gedankliche<br />
Ansatzpunkte.
links:<br />
Paul Klee<br />
Schellen-Engel,<br />
1939, 966<br />
Bleistift auf Papier<br />
auf Karton<br />
29,5 × 21 cm<br />
Zentrum Paul Klee,<br />
Bern<br />
© Foto: Zentrum<br />
Paul Klee, Bern<br />
rechts:<br />
Paul Klee<br />
vergesslicher Engel,<br />
1939, 880<br />
Bleistift auf Papier<br />
auf Karton<br />
29,5 × 21 cm<br />
Zentrum Paul Klee,<br />
Bern<br />
© Foto: Zentrum<br />
Paul Klee, Bern<br />
Paul Klee<br />
mehr Vogel,<br />
1939, 939<br />
Beistift auf Papier<br />
und Karton<br />
21 × 829,5 cm<br />
Zentrum Paul Klee,<br />
Bern,<br />
© Foto: Zentrum<br />
Paul Klee, Bern<br />
35
Die meisten Engel entstanden in den<br />
letzten Lebensjahren des Künstlers zwischen<br />
1938 und 1940. Die Zeichnungen,<br />
Aquarelle und Gemälde sind damit auch<br />
Ausdruck seiner damaligen Lebenssituation,<br />
die von schwerer Krankheit und<br />
offenen Anfeindungen seitens der Nationalsozialisten<br />
geprägt war. Sie lassen<br />
erkennen, wie Klee sich am Übergang<br />
vom Leben zum Tod empfand, sie zeigen<br />
Angst und Bedrohung, aber auch intellektuelle<br />
Distanz, Witz und Heiterkeit. Klees<br />
Engel – und dies ist der tiefere Grund ihrer<br />
Popularität – sind noch weitgehend im<br />
menschlichen Dasein verhaftet. Sie haben<br />
kleine Schwächen und Schönheitsfehler,<br />
sind vergesslich oder hässlich, sorgenvoll<br />
oder verspielt, so dass jeder sich in ihnen<br />
wiederfi nden kann. Stilistisch handelt es<br />
sich um charakteristische Beispiele für den<br />
minimalistischen Zeichenstil des Spätwerks<br />
von Paul Klee.<br />
Die Ausstellung rückt erstmals diese außergewöhnliche<br />
Gruppe des mannigfaltigen<br />
Werks von Paul Klee in den Fokus und<br />
präsentiert mit rund achtzig Zeichnungen,<br />
Aquarellen, Gouachen und Gemälden<br />
den weitaus größten Teil seiner erhaltenen<br />
Werke zu dieser Thematik.<br />
Paul Klee<br />
Engel, noch tastend, 1939, 1193<br />
Kreide, Kleisterfarbe und Aquarell<br />
auf Papier auf Karton<br />
29,4 × 20,8 cm<br />
Privatbesitz Schweiz, Depositum<br />
im Zentrum Paul Klee, Bern<br />
© Foto: Zentrum Paul Klee, Bern<br />
linke Seite:<br />
Paul Klee<br />
Ohne Titel (Letztes Stilleben), 1940<br />
Ölfarbe auf Leinwand, 100 x 80,5 cm<br />
Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia<br />
Klee, Foto: Zentrum Paul Klee, Bern<br />
Museum Folkwang<br />
Museumsplatz 1, 45128 Essen<br />
Telefon 0201 8845 444<br />
Öffnungszeiten:<br />
Di bis So 10 - 18 Uhr, Fr 10 - 22.30 Uhr<br />
Mo geschlossen<br />
www.museum-folkwang.de<br />
37
38<br />
Beweglicher als hier kann man nicht tanzen<br />
Die Tanzschule Bellinghausen im<br />
Mirker Bahnhof<br />
Der stillgelegte Mirker Bahnhof. Im ersten<br />
Stock liegt der Tanzsaal<br />
Edgar Bellinghausen<br />
Für Edgar Bellinghausen ist Tanzen<br />
Profession und Leidenschaft zugleich:<br />
„Seit meinem sechzehnten Lebensjahr<br />
war Tanzen mein Hobby. Nach dem<br />
Abitur und einer Lehre war von einer<br />
kaufmännsichen Ausbildung keine Rede<br />
mehr.“<br />
In der Tanzschule Koch, wo er bereits als<br />
Schüler Tanzen gelernt hat und an Wochenenden<br />
beim Unterrichten aushalf<br />
(„wobei das Wochenende immer länger<br />
wurde“), kam schließlich die Frage:<br />
„Wäre das denn nichts für Dich?“ Da<br />
war für ihn alles klar: drei Jahre Ausbildung<br />
zum Tanzlehrer und zwei Jahre für<br />
den Tanzsportlehrer, 1980 die Übernahme<br />
der Tanzschule Koch als Tanzschule<br />
Koch-Bellinghausen in der Laurentiusstraße<br />
mit seiner damaligen Frau,<br />
1995 der Umzug der Tanzschule in das<br />
damalige Edekagebäude in der Varresbeck,<br />
die Trennung, und dann, als hätte<br />
es so sein müssen, die Bekanntschaft mit<br />
dem Mirker Bahnhof im Jahre 2000 !<br />
Mit diesem Bahnhof ist Edgar Bellinghausen<br />
seitdem verheiratet. Es war Liebe<br />
auf den ersten Blick, als er das denkmalgeschützte,<br />
aber verkommene, städtebaulich<br />
hochinteressante Bauwerk aus<br />
dem Jahr 1882 durch einen ehemaligen<br />
Schüler, den Mathematiklehrer Becker,<br />
kennenlernte. „Der war wie besessen<br />
von dem Bahnhof, und der Wahnsinn<br />
ist sofort übergeschwappt.“ Edgar Bellinghausen<br />
war sofort klar, dass dies der
ideale Ort für eine Tanzschule sei. Der<br />
eigentliche Auslöser war die Holzdecke<br />
des Saales im ersten Stock. Dazu muss<br />
man wissen, dass der heute als Tanzsaal<br />
genutzte Raum insofern existierte, als<br />
man den ehemaligen „Wartesaal Zweiter<br />
Klasse“ bereits horizontal geteilt hatte,<br />
weshalb der Zugang im ersten Stock<br />
liegt. Entstanden ist ein Raum mit<br />
angenehmen Proportionen und einer<br />
prächtigen hölzernen Balkendecke, der<br />
Edgar Bellinghausen nicht widerstehen<br />
konnte. Er hat sie liebevoll restauriert.<br />
Gemeinsam machte man sich daran,<br />
Schutt und Unrat zu entfernen, das<br />
Gebäude zu entdecken und so weit wie<br />
möglich herzurichten. „Der Visionär<br />
Becker hatte den Bahnhof bis zur letzten<br />
Schraube im Kopf“, aber es gelang<br />
nicht, eine solide fi nanzielle Basis für<br />
das historische Gebäude zu entwickeln.<br />
Seit der Stilllegung der Strecke 1991<br />
scheiterten alle Konzepte für eine neue<br />
Nutzung. Über Einbrüche, Vandalismus,<br />
Brandstiftung, Besitzerwechsel,<br />
Mieterwechsel, drohende Zwangsversteigerungen<br />
und Verkäufe, konnte sich<br />
Edgar Bellinghausen bis heute mit seiner<br />
Tanzschule behaupten – mit ihr ist ein<br />
einmaliges stimmungsvolles Ambiente<br />
entstanden, das vom Sachverstand, der<br />
Liebe und der Sorgfalt, aber auch vom<br />
Idealismus seines Retters Zeugnis gibt.<br />
So offen und unkonventionell Edgar<br />
Bellinghausen mit dem Standort<br />
seiner Tanzschule umgeht, ist auch<br />
sein Konzept: Ihm ist es wichtig, dass<br />
seine Schüler „tanzend lernen, statt nur<br />
Tanzen zu lernen.“ Die Kurse sind klein,<br />
die übliche Klassifi zierung in Anfänger<br />
und Fortgeschrittene gibt es nicht, jeder<br />
kann dann kommen, wann es die Zeit<br />
erlaubt, weil er individuell betreut wird.<br />
Der Tanzlehrer hat im Kopf, wie weit<br />
seine Schüler sind. Selten steht er in<br />
der Mitte, sondern er hilft den Paaren<br />
spontan da, wo sie Hilfe benötigen. Das<br />
hat er den sogenannten „Pratica“ im<br />
„Tango Argentino“ abgelauscht: „Sonst<br />
wäre der Sprachanteil des Unterrichtes<br />
viel größer als das Tanzen selbst.<br />
Tanzlehrer sein heißt nicht, in der Mitte<br />
zu stehen und schön zu sein. In anderen<br />
39
40<br />
Tanzschulen läuft der Unterricht nach<br />
festem Programm, so dass schon mal<br />
jemand einspringen könnte.“ Für Edgar<br />
Bellinghausen wäre das undenkbar, weil<br />
ihm die persönliche Betreuung und die<br />
Atmosphäre der Tanzabende besonders<br />
am Herzen liegen.<br />
Diese Atmosphäre dankt sich nicht<br />
nur einem höchst engagierten Lehrer,<br />
sondern dem besonderen Raum mit der<br />
Architektur der kunstvollen Holzdecke,<br />
die durch seitliche Fensterreihen und<br />
das helle Parkett zur Geltung kommt<br />
und zugleich eine besonders angenehme<br />
Akustik erlaubt. Hier gibt es keine<br />
Lichteffekte, keine Discokugel, aber<br />
dafür wechselnde Ausstellungen von<br />
Kunstwerken, die ihren Teil zur Stimmung<br />
beitragen. Angelpunkt ist die<br />
Theke gleich hinter der Eingangstüre,<br />
hier empfängt Edgar Bellinghausen die<br />
Tänzer, hier gibt es Getränke, und hier<br />
steht die Musikanlage, die nie so laut ist,<br />
dass man sich nicht unterhalten könnte.<br />
Wahrscheinlich wäre Bellinghausen<br />
ebenso gut Psychologe geworden, denn<br />
sein ganzes Interesse gilt den Menschen,<br />
Blick in den Saal der Tanzschule<br />
Bellinghausen<br />
mit denen er arbeitet. Etwaigen Hemmungen<br />
seiner Schüler begegnet er mit<br />
hintergründigem Humor, der ebenso<br />
entwaffnend wie entspannend ist. „Viele<br />
haben Angst vor dem Scheitern an ‚Vor-<br />
Seit-Ran’, der eine trägt es mit Humor,<br />
dem anderen ist es peinlich, alle Paare<br />
sind unterschiedlich. Tanzen bleibt nun<br />
einmal weiblich, ob wir das wahrhaben<br />
wollen oder nicht. SIE möchte helfen,<br />
damit es funktioniert, ER aber hat nun<br />
einmal zu führen. Das ist zunächst ein<br />
rein physikalisches Problem: Es gibt kein<br />
Paar unter zwei Zentnern, und wenn einer<br />
davon nach rechts will, und der andere<br />
nach links, wird es schwierig. Erst<br />
wenn der Mann seine Füße beherrscht,<br />
kann er planen, was er tanzen möchte,<br />
das ist wie beim Autofahren, da lernt<br />
man auch nur durch Üben, Blinker,<br />
Handbremse, Gaspedal und Kupplung<br />
zu koordinieren. Tanzen lernt man eben<br />
nur durch Tanzen.“<br />
Bei so viel Humor und Sachlichkeit<br />
brauchen nur wenige Paare zu verzweifeln,<br />
manche kommen schon seit dreißig<br />
Jahren, manche hören auf, um doch zurückzukehren.<br />
Sie erkennen schnell: Die<br />
Leidenschaft ihres Lehrers liegt darin,<br />
sie so zu fördern, dass sie Freude haben:<br />
„Die Tanzenden sollen sich zur Musik<br />
bewegen und fast keinen Gedanken<br />
daran verschwenden, in einer Tanzschule<br />
zu sein. Sie sollen - ohne Druck - genießend<br />
weiterkommen.“<br />
Dieses Konzept scheint aufzugehen.<br />
Eher reserviert wehrt einer der Tänzer meine<br />
Fragen ab: „Jetzt bitte nicht, wir wollen<br />
doch tanzen.“ Aber seine Frau erzählt dann<br />
doch, ihnen gefalle gerade die lockere<br />
Atmosphäre, das Unverschulte, denn man<br />
übe nicht stur bestimmte Schrittfolgen,<br />
sondern die Freude am Tanzen stehe an<br />
erster Stelle, auf welchem Niveau auch<br />
immer, ohne Bierernst, sondern mit viel<br />
Geduld und Sinn für Humor seitens des<br />
Tanzlehrers. Dazu trägt die familiäre Stimmung<br />
bei und die Möglichkeit, andere<br />
Menschen kennenzulernen. „Trotz unterschiedlicher<br />
Leistungen führt er uns doch<br />
am Ende alle zusammen, bis wir bestimmte<br />
Schrittfolgen gemeinsam beherrschen.<br />
Ohne Druck, mit dem Gefühl, Zeit zu<br />
haben.“ So spielt auch das Alter keine<br />
Rolle. Viele Brautpaare kommen eigentlich<br />
nur, um den Brauttanz einzuüben und<br />
begeistern sich dabei fürs Tanzen.<br />
Ein anderes Paar meint, Edgar Bellinghausens<br />
Schüler seien „besondere<br />
Köpfe, Leute mit Weitwinkelobjektiv,<br />
Individualisten, auf deren unterschiedliche<br />
Ansprüche der Lehrer einzugehen weiß.
Man freut sich auf die nächste Stunde,<br />
und plötzlich ist nichts mehr wichtiger als<br />
Tanzen.“<br />
Entsprechend kritisch sieht Edgar<br />
Bellinghausen den sogenannten Tanzsport:<br />
„Tanzen ist kein Vergleichssport.<br />
Tänze bis ins Letzte durch zu choreographieren,<br />
ist fragwürdig. Ab einem<br />
gewissen Stadium erübrigt sich eine<br />
Bewertung, denn Tanzen ist schön, aber<br />
eben unterschiedlich schön.“ Konsequenterweise<br />
meidet er Tanzturniere, denn die<br />
„Tanzakrobaten“ schaden letztlich auch<br />
den Tanzschulen, weil sie zu unerreichbaren<br />
Vorbildern werden. Ihm geht es<br />
um Gesellschaftstanz im besten Sinne.<br />
Für ihn hat „Tanzen den Vorteil, dass es<br />
menschlich ist. Das Gehirn ist beschäftigt,<br />
es hört und interpretiert die Musik,<br />
die Schrittfolge im Raum muss geplant<br />
werden (denn dieser ist endlich), und<br />
es gilt, den eigenen Körper mit dem des<br />
Partners im Gleichgewicht zu halten.<br />
Damit ist jeder Gedanke an den Alltag<br />
ausgeschaltet, Körper und Seele können<br />
sich entspannen. Mein Ziel ist es, dass<br />
man nicht mehr über Schritte nachdenken<br />
muss, sondern die Bewegung im<br />
Einklang mit dem Partner zur Musik<br />
genießen kann.“<br />
So war es für Edgar Bellinghausen<br />
eigentlich keine Herausforderung, als<br />
ein ehemaliger Schüler, Lehrer an der<br />
Christian Morgenstern Schule, vorschlug,<br />
mit behinderten Menschen zu<br />
tanzen. Begonnen hat es mit etwa zehn<br />
Teilnehmern, heute sind es über dreißig.<br />
Der Lehrer braucht nicht seine Grundeinstellung<br />
zu ändern, Freude am Tanzen<br />
zu vermitteln und soziale Kontakte<br />
zu ermöglichen, wohl aber muss er seine<br />
Ansprüche reduzieren und zugeben, dass<br />
„nichts falsch ist, sondern nur anders.“<br />
Die geplanten Auftritte, und diese werden<br />
immer häufi ger, sind motivierend<br />
und helfen, sich nicht durch Wiederholungen<br />
entmutigen zu lassen. Besonders<br />
eine Schülerin freut den Lehrer, die<br />
anfänglich jeden Kontakt zu vermeiden<br />
suchte, „aber dann innerhalb von vier<br />
Jahren so gut tanzen lernte, dass sie<br />
mich ersetzen könnte. Für sie ist das<br />
Tanzen zum Lebensinhalt geworden.“<br />
Seit etwa eineinhalb Jahren tanzt<br />
Edgar Bellinghausen auch mit Demenzkranken.<br />
Dazu wurde er durch die Diakonisse<br />
Ursula Herre angeregt, die weiß,<br />
wie wichtig Bewegung ist. Während<br />
keiner der Kollegen auf<br />
entsprechende Anfragen reagierte,<br />
sieht Bellinghausen darin eine Aufgabe.<br />
Bereits die ungewohnte Umgebung des<br />
Mirker Bahnhofs stellt für die Kranken<br />
einen wichtigen Anreiz dar, den Alltag<br />
zu vergessen - auch für die Angehörigen<br />
und die Betreuer bedeuten diese Stunden<br />
in der Tanzschule Entspannung.<br />
Erstaunlicherweise erkennen ehemalige<br />
Schüler zwar den Lehrer nicht unbedingt<br />
wieder, beherrschen aber immer<br />
noch die Tanzschritte, denn oft stellt<br />
sich das Erinnern auch über die Musik<br />
ein. Ganz selbstverständlich wirkt die<br />
leitende Diakonisse als Tanzlehrerin mit<br />
– in Tracht und Haube!<br />
Seit einigen Monaten ist Edgar<br />
Bellinghausen mit seiner Tanzschule<br />
nicht mehr allein im Bahnhof: „Utopiastadt“<br />
hat das Gebäude für zweieinhalb<br />
Jahre von der Stadtsparkasse gepachtet,<br />
Bellinghausen ist einer der neuen Untermieter.<br />
„Utopiastadt“ ist eine Initiative<br />
von jungen Menschen, zu denen auch<br />
Christian Hampe gehört. Man ist dabei,<br />
unkonventionelle Konzepte zu entwickeln.<br />
So gibt es bereits ein Reparaturcafé,<br />
einen offenen sonntäglichen<br />
Treffpunkt für die Bewohner des Stadtquartiers,<br />
eine eigene Biersorte, die Bärtig<br />
Bräu, einen Improvisationschor, der<br />
Blick zur anderen Seite auf die Bar des<br />
Tanzsaals<br />
41
42<br />
dort Probenräume anmieten konnte und<br />
den Utopiagarten. Auch der Künstler<br />
Gregor Eisenmann, dessen Arbeiten derzeit<br />
in der Tanzschule Bellinghausen zu<br />
sehen sind, hat dort sein Atelier. Christian<br />
Hampe ist der Ansicht, der Mirker<br />
Bahnhof sei als zentrales Gebäude der<br />
Nordstadt geradezu prädestiniert, zum<br />
Dreh- und Angelpunkt, zur Schnittstelle<br />
für infrastrukturelle Projekte wie Kultur,<br />
Wirtschaft und Kreativität zu werden,<br />
zumal die Nordbahntrasse erstmalig<br />
Stadtviertel miteinander verbindet, die<br />
bisher durch ihre besondere Topografi e<br />
getrennt waren. „Doch eins steht fest,“<br />
sagt Christian Hampe, „ohne Edgar<br />
Bellinghausen gäbe es den Mirker Bahnhof<br />
nicht mehr.“ Auch die Gründer<br />
von Utopiastadt sind dem Reiz dieses<br />
Gebäudes verfallen und entdecken nach<br />
und nach ungeahnte Möglichkeiten.<br />
Auch sie improvisieren mit viel Idealismus,<br />
auch sie wollen beweglich bleiben<br />
und um die Ecke denken dürfen.<br />
Ebenso wie Edgar Bellinghausen lassen<br />
sie sich in kein vorgefertigtes Konzept<br />
pressen. Ihn interessieren Menschen, denen<br />
er „auf Augenhöhe“ begegnen kann,<br />
und die er für das Tanzen zu begeistern<br />
vermag: „Ich arbeite nicht, ich gehe<br />
sieben Tage in der Woche Tanzen, dabei<br />
vergesse ich die Zeit. Niemals würde ich<br />
tauschen.“<br />
Marlene Baum<br />
www.tanzschule-bellinghausen.de<br />
Die Tanzschule Bellinghausen mit einer Gruppe bei einem Auftritt in der Historischen<br />
Stadthalle anlässlich eines Benefi tzkonzertes für die Schule am Nordpark 2012. (Diese<br />
beiden Fotos sind von Uwe Schinkel, die übrigen von Edgar Bellinghausen)<br />
16. und 17. März 2013<br />
Stilblüte<br />
Schloss Lüntenbeck Knospe, Spaten und Feines<br />
Öffnungszeiten: 11 bis 18 Uhr | Tageskarte: 4 € | Schloss Lüntenbeck | 42327 Wuppertal | www.schloss-luentenbeck.de<br />
Foto: iStockphoto, LiliGraphi
Ateliergespräch<br />
mit Tony Cragg über Skulptur als<br />
Denkmal und über sein Denkmal<br />
zur Erfi ndung der Antibiotika<br />
durch Gerhard Domagk am<br />
19. September 2012 in Wuppertal<br />
Tony Cragg und Dr. J. Vesper im Gespräch.<br />
Foto: Marlies Meier<br />
Skulptur als Denkmal<br />
Zwischen London, Hannover und<br />
Shanghai, augenblicklich zu Hause in<br />
Wuppertal, befasst mit Journalisten und<br />
Videoaufzeichnungen, fi ndet Tony Cragg<br />
dann doch, wie verabredet, Zeit für unser<br />
Gespräch. Noch ist er beschäftigt, aber<br />
in seinem Atelier fällt das Warten leicht.<br />
Schnell ergibt sich ein Gespräch mit einem<br />
der Mitarbeiter. Tony Cragg arbeitet<br />
nicht alleine. Er verfügt über eine Schar<br />
von Helfern, die nach seinen Vorstellungen<br />
und Ideen Skulpturen tatsächlich<br />
„erarbeiten“ und in die Welt reisen, um<br />
die in Wuppertal entstehenden Skulpturen<br />
auf den Ausstellungen aufzubauen, zu<br />
positionieren und zu präsentieren. Allein<br />
in Shanghai werden derzeit 50 Skulpturen<br />
und 127 Zeichnungen ausgestellt,<br />
Beim Betreten des Raumes fällt der Blick<br />
auf das Regal mit Flaschen und Gefäßen,<br />
also den Urformen Craggscher Skulptur.<br />
An der großen, weißen, unübersichtlich<br />
sich windenden Skulptur aus pfl anzlich<br />
anmutenden Lianen und Keulen kann<br />
man kaum vorbei gehen, ohne diese zu<br />
berühren und zu beklopfen. Die weißen<br />
Schlangen sind hohl. Weiter hinten<br />
dann gedrehte rationale Wesen („rational<br />
beeings“), frühe Formen („early forms“),<br />
drei elegante Schichtholzskulpturen,<br />
eine davon in leuchtendem Rot, mit edel<br />
geschliffener Oberfl äche und Stapel von<br />
Ausstellungskatalogen. Ein Weichholzschrank,<br />
in den zahllose Rundhaken gebohrt<br />
wurden, ist als Schrank nicht mehr<br />
zu gebrauchen, hat seine ursprüngliche<br />
Bestimmung als Möbelstück aufgegeben<br />
und die Metamorphose zur Skulptur<br />
hinter sich.<br />
Beim Gang durch das helle Atelier fällt<br />
immer wieder der Blick durch die Fenster<br />
in das weite bergische Land. Das Atelier<br />
befi ndet sich in einer von Cragg für seine<br />
Zwecke umgebauten Panzergarage mit<br />
riesiger Glaswand nach Norden, Fenstern<br />
nach Süden und holzverkleideter Fassade.<br />
43
44<br />
Hier könnte auch ein mittelständisches<br />
Unternehmen zu Hause sein. Was<br />
draußen auf dem umgebenden Gelände<br />
an skulpturalen Objekten herumliegt,<br />
dort einer Verwendung harrt bzw. bereits<br />
verwendet und abgelegt wurde, das ist<br />
eine eigene Betrachtung wert.<br />
Schließlich öffnet sich die Tür, Tony<br />
Cragg kommt herausgelaufen, nimmt<br />
sogleich das Gespräch auf und bittet in<br />
seinen nicht kleinen Arbeitsraum, der die<br />
zahllosen Objekte und Kleinplastiken,<br />
die Tische voller Bücher aber kaum fasst.<br />
Sofort beginnt das Gespräch.<br />
Welche Beziehung hat Tony Cragg zur<br />
Medizin?<br />
Natürlich haben seine Skulpturen Bezüge,<br />
kulturelle Bezüge, persönliche Bezüge,<br />
seltener Bezüge zur Medizin. Persönliche<br />
Bezüge zur Medizin bestehen aber<br />
durchaus. „I am alive“, jene bewegte,<br />
glänzende Skulptur vor dem Opernhaus<br />
in Barmen entstand zu einer Zeit, in der<br />
nach einer längeren Leidensgeschichte<br />
endlich die Diagnose einer Zöliakie<br />
(Sprue) gestellt wurde und ihm durch<br />
Umstellung der Kost auf gliadinfreie<br />
Nahrung gut geholfen werden konnte.<br />
Damals rief er Freunde und Bekannte<br />
an und stellte fest, dass er immer wieder<br />
sagte: „I am alive. I am alive“. So wurde<br />
die Skulptur Sinnbild der Genesung. In<br />
seinem Arbeitsraum sah ich eine Holzkugel<br />
von ca. 30 cm Durchmesser mit zahlreichen,<br />
senkrecht eingeschraubten Ring-<br />
und Rundhaken und assoziierte sofort<br />
bestimmte Viren mit ihren Kapsiden.<br />
Vergleichbar stachelig in der Oberfl äche<br />
ist die Holzkomposition „Angel and<br />
other Antibodies“ (1992). Weitere Werke<br />
wie „Clear Microbe“ von 1992, „stomach“<br />
von 1986, „Milz“ und „wooden<br />
muscle“ von 1985, „Wirbelsäule“ (1996)<br />
haben von ihrem Titel her medizinischen<br />
Bezug. Jetzt schafft Tony Cragg eine<br />
weitere Skulptur mit Bezug zur Medizin.<br />
Die Medizinisch-Naturwissenschaftliche<br />
Gesellschaft Wuppertal hatte vorgeschlagen,<br />
an die Entdeckung von Prontosil, an<br />
die Entwicklung der Antibiotika für die<br />
Welt, die von Wuppertal ausgegangen ist,<br />
mit einem Denkmal zu erinnern.<br />
Hat Tony Cragg jemals ein Denkmal<br />
geschaffen?<br />
Das Denkmal sei vor Zeiten Symbol<br />
der Herrschaft, der Mächtigen gewesen<br />
oder Erinnerung an Menschen, die etwas<br />
Großes geschaffen haben: Friedrich<br />
der Große Unter den Linden, all die<br />
Bismarck-Skulpturen in Deutschland<br />
aber eben auch Skulpturen von großen<br />
Ärzten und Wissenschaftlern wie z. B.<br />
Robert Koch und Rudolf Virchow in<br />
der Charité. Nein, so ein Denkmal hat<br />
er bisher nicht geschaffen. Seine Skulpturen<br />
sind Denkmäler vor allem seiner<br />
eigenen Originalität, seines Eigensinns,<br />
Atelieransicht außen und innen<br />
Fotos: J.Vesper
seiner Gedanken, sind keine Kopie der<br />
Natur. Seine Skulpturen wollen etwas<br />
Unsichtbares zeigen, etwas, was hinter<br />
der Oberfl äche diese formt und prägt. Bei<br />
einer Reihe von Skulpturen ermöglicht<br />
er dem Betrachter sogar den Blick hinter<br />
die Oberfl äche in das Innere der Skulptur<br />
und löchert diese (27.000 mal bei „Zufuhr“<br />
in Wuppertal). Seine Skulpturen<br />
sind Ausdruck von bronzenen, hölzernen<br />
steinernen Gedanken, sind skulpturale<br />
Gedankenübertragungen, sind nichtsprachliche<br />
Metaphern in hartem Material.<br />
Tony Cragg denkt mit Material. Aber:<br />
„Ich verwende keine Symbole“ sagt er.<br />
Einerseits Symmetrie und andererseits<br />
die Sicht aus verschiedenen Blickrichtungen<br />
sind wesentliche Elemente für den<br />
formalen Aufbau seiner teilweise sehr<br />
komplexen Skulpturen. Kein Zufall, dass<br />
schon vor Jahren eine Skulptur den Titel<br />
„points of view“ trug.<br />
Dabei hat er vor Jahrzehnten mit dem<br />
Stapeln von Holz oder Backsteinen be-<br />
gonnen. Dann wird der Bildhauer in ihm<br />
lebendig und er zerschlägt Backsteine,<br />
deren Staub und Fragmente er auf dem<br />
Boden aufhäuft und verstreut. So entsteht<br />
aus den Backsteinen eine erdfarbige<br />
Bodenplastik (crushed rubble 1977), ein<br />
Schlüsselwerk der frühen Jahre. Und auf<br />
die blaue Flasche, von deren skulpturalen<br />
Qualitäten Tony Cragg fasziniert ist, lenkt<br />
er den Blick, indem er mit Fragmenten<br />
unterschiedlichster Art aber gleicher blauer<br />
Farbe die Form der Flasche erheblich<br />
vergrößert nachbildet („Blaue Flasche“<br />
(1982) im Von der Heydt-Museum<br />
Wuppertal). Die blaue Originalfl asche ist<br />
daneben sichtbar (derzeit aber geklaut)<br />
und macht mit Humor die andere Sichtweise<br />
der Dinge deutlich.<br />
Das Stapeln wurde weiter entwickelt:<br />
Porzellan wird gestapelt (Crockery stacks<br />
1996), Flaschen und Gläser, sandgestrahlt<br />
oder klar (Larder 1999, Pacifi c 1998),<br />
Holzplatten werden zu Schichtholzskulpturen<br />
gestapelt (wooden crystal 2000)<br />
und den early beeings sieht man nicht<br />
mehr an, was unter der metallenen Oberfl<br />
äche im Inneren der Skulptur die Form<br />
gibt. Dies nur als Hinweis auf das riesige<br />
Werk Tony Craggs.<br />
Und welch eine Fülle, welch ein Gebirge<br />
von Gedanken und Ideen wird im<br />
Gespräch aufgetürmt. Viele Aspekte der<br />
Naturwissenschaft und der Kunst werden<br />
ausgebreitet. Die Naturwissenschaft sei<br />
das größte Beobachtungssystem, über<br />
das wir verfügen. Der Künstler arbeite<br />
ohne Worte, ohne Mikroskop, aber mit<br />
seinem Material am Verständnis der Welt.<br />
Der Bildhauer sei mit seinem Material<br />
im Dialog, verändere es und werde auch<br />
selbst verändert. Cragg mag die Welt nicht<br />
so wie sie ist. Sie muss verändert werden.<br />
Dieser Bildhauer ist Philosoph.<br />
Absichtslosigkeit, refl ektierendes Denken<br />
und Intuition charakterisieren den<br />
Menschen, meint Cragg, und sie unterscheiden<br />
ihn von den seit vielen Millionen<br />
Jahren in der Evolution überaus erfolgrei-<br />
45
46<br />
Foto: M. Richter
chen Ameisen. Materieller Konsum und<br />
über alles herrschende Ökonomie seien<br />
unwürdige Antworten auf die menschliche<br />
Existenz. Wachstum und Gewinnoptimierung<br />
als Prinzipien führen nicht weiter,<br />
sondern zu ökologischen und ökonomischen<br />
Katastrophen. Und:<br />
„Das Zentrum der künstlerischen Arbeit<br />
ist die Neugestaltung von Rohstoffen zu<br />
Formen und Bildern, die als komplexe Zeichen<br />
neue Erfahrung, neue Einsicht und<br />
neue Freiräume erschließen“ (Tony Cragg<br />
2002, Signs of Life S. 163). Bildhauer<br />
und naturwissenschaftlicher Arzt haben<br />
Parallelitäten; denn mit seinen Gedanken<br />
Atelierfotos: J. Vesper<br />
Modell (links) und Entwurf (oben) der Skulptur<br />
und seiner Bildersprache ist der Bildhauer<br />
Cragg dem Naturwissenschaftler vergleichbar,<br />
der als freier Wissenschaftler im<br />
Labor mit Intuition und „Eigensinn“, mit<br />
Originalität im refl ektierendem Denken<br />
seine Hypothesen aufstellt, ihrer Realität<br />
experimentell nachspürt und zu neuem<br />
Verständnis, zu neuer Erfahrung der Natur<br />
kommt. Das passierte bei BAYER in<br />
Wuppertal vor 80 Jahren, als in den 30er<br />
Jahren des 20. Jahrhunderts der Pathologe<br />
Gerhard Domagk, gefördert vom Chemiker<br />
und Werksleiter Höhrlein, erstmalig<br />
die Wirkung von Prontosil erkannte und<br />
damit die Entwicklung der Antibiotika<br />
für die Welt anstieß. Das geschah in<br />
Elberfeld. Prontosil war damals das erste<br />
Medikament, mit dem die lebensbedrohlichen<br />
Streptokokken wirksam bekämpft<br />
werden konnten. Gerhard Domagk erhielt<br />
dafür den Nobelpreis. Man darf auf das<br />
Denkmal Tony Craggs gespannt sein.<br />
Bildhauerische Poesie für eine naturwissenschaftliche<br />
Großtat ?<br />
Einen Entwurf gibt es schon und inzwischen<br />
auch ein Modell. (siehe Foto). Die<br />
Skulptur zeigt kompliziert ineinander<br />
verschränkte Teilskulpturen in einer<br />
Komplexität wie sie sich im Verhältnis<br />
zwischen Forscher, Chemie und Krankheit,<br />
oder Wirkung und Molekülstruktur,<br />
oder Krankheit, Patient und Forscher usw.<br />
usw. fi ndet.<br />
Johannes Vesper<br />
Der Text beruht auf einem Gespräch mit<br />
Tony Cragg am 19. 9. 2012 in seinem<br />
Atelier und auf Texten von ihm, publiziert<br />
in „Signs of Life“ (Katalog zur gleichnamigen<br />
Ausstellung in der Bundeskunsthalle<br />
Bonn vom 23. 5. – 5. 10. 2003,<br />
Richter Verlag) und Tony Cragg „Matrix“<br />
Kestnergesellschaft Verlag für Moderne<br />
Kunst (zur Ausstellung in Hannover vom<br />
14. 9. – 4. 11. 2012)<br />
Zum Thema „Tony Cragg und sein<br />
Humor“ habe ich an diesem Nachmittag<br />
viel mitbekommen. Der ist eine eigene<br />
Darstellung wert.<br />
Siehe auch www.musenblaetter.de<br />
am 10. 7. 2012 und Startseite der<br />
Medizinisch-Naturwissenschaftlichen<br />
Gesellschaft „Domagk-Cragg-Projekt“<br />
www.mng-wuppertal.de/<br />
47
48<br />
Kann ich<br />
mit Literatur Steuern sparen?<br />
Susanne Schäfer, Steuerberaterin<br />
Geschäftsführerin der Rinke Treuhand GmbH<br />
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/<br />
Steuerberatungsgesellschaft<br />
„Am liebsten auf der Bühne,<br />
und wer weiß wo sonst noch,<br />
sind mir Sätze,<br />
die man auch tanzen<br />
könnte.“<br />
Paragraphenreiter<br />
Na klar ! Sogar auf höchst kreative Art,<br />
wenn ich<br />
1. mit der Veröffentlichung des ein oder<br />
anderen literarischen Werks ordentlich<br />
Geld verdiene,<br />
2. früher Finanzminister war und<br />
3. nicht alle Honorare aus vorgenannter<br />
Veröffentlichung den Finanz-<br />
(oder anderen) Behörden gegenüber<br />
deklariere.<br />
Gibt’s nicht? – Gab’s immer schon!<br />
Zum Beispiel vor rund 200 Jahren.<br />
In den Jahren 1776 bis 1786 war<br />
Johann Wolfgang Goethe als Finanzminister<br />
in Weimar tätig. Im Jahr 1820<br />
deklarierte er gegenüber den Weimarer<br />
Steuerbehörden ein Gesamteinkommen<br />
von 28.768 Talern. Blöd war nur, dass<br />
er seine Autorenhonorare „vergaß“. Vollständig.<br />
Im Jahr 1821 deklarierte er zumindest<br />
Honorare von 4.855 Talern. Wenn man<br />
berücksichtigt, dass er in diesem Jahr<br />
allein von seinem Hauptverleger Cotta<br />
ein Honorar in Höhe von 4.900 Talern<br />
bekommen hatte, ist hier doch schon<br />
deutlich mehr Steuerehrlichkeit festzustellen.<br />
Obwohl … so ganz zutreffend waren<br />
seine Angaben immer noch nicht.<br />
Ein guter Steuerberater hätte ihm<br />
sagen können, dass<br />
1. Lügen den Charakter verdirbt,<br />
2. alles irgendwann rauskommt (und sei<br />
es 193 Jahre später) und<br />
3. der erzielte Steuervorteil bei Ausschöpfung<br />
aller rechtlichen Möglichkeiten<br />
auch auf moralisch einwandfreiem<br />
Weg hätte erreicht werden<br />
können.<br />
KARL OTTO MÜHL<br />
Zugelaufene Sprüche<br />
Neu<br />
Karl Otto Mühl<br />
Zugelaufene Sprüche<br />
2013<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal<br />
80 Seiten, 9.00 Euro<br />
ISBN: 978-3-942043-90-8<br />
Hat er zum Beispiel alle ihm entstandenen<br />
Kosten für Dienstreisen geltend<br />
gemacht? Bei gut 40.000 zurückgelegten<br />
Kilometern in 60 Jahren hätte er sowohl<br />
bei Ansatz einer Kilometerpauschale als<br />
auch bei Ansatz der tatsächlichen Kosten<br />
für Rosse, Kalesche und Kutscher erhebliche<br />
Beträge erreichen können.<br />
Hat er daran gedacht, fl eißig über<br />
Bewirtungskosten Buch zu führen? Vor<br />
dem Hintergrund, dass seine Weinrechnungen<br />
durchschnittlich 15 Prozent seiner<br />
Gesamtausgaben ausmachten, wären<br />
auch hier beträchtliche Betriebsausgaben<br />
zusammengekommen.<br />
Und was ist mit den sogenannten<br />
„außergewöhnlichen Belastungen“ wie<br />
Krankheitskosten? Hat er im Jahr 1831<br />
seine zahnmedizinische Behandlung für<br />
45 Silbergroschen und 15 Pfennig steuermindernd<br />
angesetzt?<br />
Nun könnte man natürlich einwenden,<br />
dass die Rechtslage damals eine<br />
andere war. Zieht aber nicht: schließlich<br />
war der Mann<br />
1. Jurist,<br />
2. Finanzminister und<br />
3. ein Genie.<br />
Er hätte während seiner Amtszeit auch<br />
Steuergesetze verfassen können, die so gut<br />
sind wie unsere heutigen.<br />
www.rinke.eu<br />
„Das Leben ist sportlich:<br />
Der, den du überholst, sitzt dir danach<br />
im <strong>Nacke</strong>n.“<br />
„Mit guten Absichten überschminkt die<br />
Seele ihre Pickel“<br />
„Das wäre ein wunderbares Leben<br />
gewesen, sagte der Neunzigjährige, wenn<br />
man vorher gewusst hätte, dass alles gut<br />
geht.“
Michael Zeller, 1944 in Breslau geboren,<br />
dem heutigen Wroclaw in Polen. Er studierte<br />
Literatur und Kunstgeschichte an den Universitäten<br />
Marburg und Bonn. Dort wurde<br />
er 1974 mit einer Arbeit über Thomas<br />
Mann promoviert. Mit seiner Erlangener<br />
Habilitation schloss er 1982 seine Hochschulkarriere<br />
ab und entschied sich für den<br />
Beruf des Freien Schriftstellers, der ihm seit<br />
der Kindheit vorgeschwebt hat.<br />
In den drei Jahrzehnten ist ein umfangreiches<br />
und vielgestaltiges literarisches Werk entstanden.<br />
In seinem Zentrum stehen die bisher<br />
acht Romane: so der politische Universitätsroman<br />
FOLLENS ERBE, von 1986; ein<br />
Jahr später DIE SONNE! FRÜCHTE. EIN<br />
TOD, in dem Leben und Werk der Malerin<br />
Paula Becker-Modersohn eine tragende<br />
Rolle spielen. Nach seinen „polnischen“<br />
Romanen (CAFÉ EUROPA, 1994, und<br />
DIE REISE NACH SAMOSCH, 2003,<br />
in mehreren Aufl agen und übersetzt) kam<br />
zuletzt FALSCHSPIELER heraus (2009):<br />
dem Roman liegt der authentische Fall einer<br />
literarischen Fälschung im Deutschland der<br />
Nachkriegszeit zugrunde.<br />
Daneben arbeitet Michael Zeller seit 2007<br />
regelmäßig an Schulen, überwiegend in<br />
Wuppertal, wo er ab 1998 lebt. Dabei entstehen<br />
mit den Schülern gemeinsam erzählte<br />
Geschichten, die „Schulhausromane“, Bis<br />
heute sind fünf davon erschienen, zuletzt,<br />
2012, DER SCHATZ AUF DEM DACH,<br />
zusammen mit Schülern der Realschule Am<br />
Hohenstein.<br />
2009 verfasste Michael Zeller im Auftrag der<br />
Stadt Soest das Schauspiel DIE SOESTER<br />
FEHDE. In zweijährigem Turnus wird es<br />
seither unter freiem Himmel im mittelalterlichen<br />
Kern der Stadt aufgeführt.<br />
Seit Juni 2012 erscheint im Internet Zellers<br />
SEH-REISE (unter www.culturmag.de):<br />
Jede Woche eine neue Folge seines „Tagebuchs<br />
in Bildern“. Die Serie geht, bis in den Sommer<br />
2013 hinein.<br />
Neben anderen Auszeichnungen erhielt der<br />
Autor 2008 den Von der Heydt-Kulturpreis<br />
der Stadt Wuppertal. 2011 verlieh ihm<br />
die „KünstlerGilde Esslingen“ den Andreas<br />
Gryphius-Preis.<br />
Im Frühjahr 2013 kommt ein neuer Gedichtband<br />
heraus: WIE ES ANFÄNGT :<br />
WIE ES ENDET.<br />
www.michael-zeller.de<br />
Foto: Rita Dubas, 2006<br />
Auf dem Vulkan<br />
Vom Verrechnen der Zukunft gefordert. Eine Hügellandschaft, mäßig<br />
Vor kurzem hat ein Freund mir sein<br />
Haus für eine Weile überlassen, und dieses<br />
Haus steht auf Lanzarote, eine Insel<br />
ganz aus Lava. Das wusste ich, aber ich<br />
musste es erst sehen: das Anthrazitgrau<br />
des Bodens, und vor allem: seine Allgegenwart.<br />
Tatsächlich gibt es nichts dort<br />
als das dunkle Grau der Lava. So gut wie<br />
kein Braun von Erde dazwischen, gelber<br />
Sand, gar das Grün einer Flora. Das<br />
Auge war befremdet, der Kopf heraus-<br />
hoch, wohlgeformte Tafelberge, unbewachsen,<br />
ohne Schroffen – einladend<br />
zum Wandern.<br />
Beim Gehen über die Höhen (die<br />
beste Annäherung, die ich mir hier<br />
schaffen konnte), hatte ich es unter<br />
meinem Schuh, und ich schaute, so<br />
weit das Auge reichte, über ausgekotztes<br />
Erdinneres, stumpfes Schwarz. Aber<br />
ich ging auf einem Boden, auf dem<br />
die Erdgeschichte, die in Jahrmillionen<br />
49
50<br />
rechnet, historisch geworden war, gleichsam<br />
zeitgenössisch, auf der Schnittstelle<br />
zweier Zeitrechnungen: Die Vulkane, die<br />
ich mir erwanderte, hatten vor knapp<br />
dreihundert Jahren zum letzten Mal<br />
gespuckt, zwischen 1730 und 1736.<br />
Zwanzig Jahre vor dem Erdbeben von<br />
Lissabon, an einem Allerheiligen, das die<br />
Christenheit in Europa aufgeschreckt<br />
hatte und ihr die Gottesfrage aufzwang,<br />
mit beängstigender Wucht.<br />
Die Kruste, über die ich ging, war<br />
also neu. Keine Formation hat es auf<br />
Lanzarote vor dreihundert Jahren so<br />
gegeben. Ohne Antike, ohne Mittelalter:<br />
Neuland. Nichts, was die Natur sich seither<br />
zurückgeholt hat, Pfl anze, Tier und<br />
Mensch, langt über das Jahr 1736 hinaus.<br />
(Da war gerade Joseph Haydn geboren,<br />
und Johann Sebastian Bach hatte<br />
das Weihnachtsoratorium beendet). Und<br />
je länger ich ging, umso vielgestaltiger<br />
und bunter wurde der Lavaboden. Auf<br />
der erstarrten Glut hatten sich Flechten<br />
angesetzt, in Gelb und Grün, Moose,<br />
kleine Muscheln und Schnecken, die in<br />
einer überschaubaren historischen Frist<br />
den Boden bereitet hatten, mit Hilfe<br />
von Regen und Wind, dass der Mensch<br />
daraus wieder seine Nahrung ziehen<br />
konnte: Getreide, Gemüse, Wein, wenn<br />
auch auf einem äußerst kargen Niveau.<br />
Gewaltiges ist so in dieser Zeit entstanden,<br />
im Kleinen. Und wie mag das Land<br />
aussehen in noch einmal dreihundert<br />
Jahren, nach weiteren zehn menschlichen<br />
Generationen? Der homo sapiens<br />
wird rasch keck und spielt mit den<br />
Dimensionen der Zukunft, weit über<br />
die eigenen Lebenserwartungen hinaus.<br />
Werden im Jahr 2300 auf Lanzarote<br />
Weizenfelder wehen und Obstbäume<br />
verschwenderisch Frucht tragen?<br />
Doch ein Blick auf die nackten<br />
Vulkankegel, die mich umstanden, lehrte<br />
meine faustischen Visionen gleichzeitig<br />
die Vorsicht. So sicher der Fuß<br />
eines Wanderers von ihnen heute auch<br />
gehalten wird: Das Magma des Erdkerns<br />
brodelt weiter unter ihnen, in unergründlichen<br />
Tiefen. Und eines Tages,<br />
in erdgeschichtlicher Zeitrechnung ein<br />
Wimpernschlag, wird es den Kräften<br />
in sich wieder Raum geben müssen<br />
nach außen und Feuer speien und mit<br />
glühenden Massen über die blühende<br />
Insel kommen und das in menschlicher<br />
Zeit Nachgewachsene tief unter sich begraben.<br />
Wenn dann die Lava abgekühlt<br />
ist, nach einigen Jahrzehnten, wird die<br />
Natur sich wieder regen – mit Flechten,<br />
Moosen, Muscheln und Schnecken,<br />
und Nahrung schaffen für die nächsten<br />
Insekten und Würmer, und erste<br />
Vögel werden angelockt und nisten und<br />
brüten, und nach drei Jahrhunderten<br />
wird abermals Wein hier wachsen und<br />
Getreide.<br />
Doch das ist Zeitrechnung im Großen,<br />
sie geht über das einzelne Menschenleben<br />
hinweg. Und beim Wandern<br />
in dieser Urlandschaft (bei dem ich<br />
kaum einem Zeitgenossen begegnete),<br />
verfi elen meine schweifenden Gedanken<br />
auf ein anderes Zahlenspiel, in den<br />
Grenzen der eigenen Familiengeschichte.<br />
Es war in der Obertertia eines „neusprachlichen<br />
Gymnasiums“ gewesen,<br />
wie es damals hieß, zu Anfang der<br />
1960er Jahre, als wir im Geschichtsunterricht<br />
den Versailler Vertrag nach 1918<br />
durchnahmen, als Abschluss des Ersten<br />
Weltkriegs. Die Reparationen, die die<br />
Siegermächte dem Deutschen Reich seinerzeit<br />
abforderten, wären, so wurde uns<br />
gesagt, 1986 abgegolten gewesen. Wir<br />
Schüler haben uns darüber natürlich kaputt<br />
gelacht und unsere Witze gemacht.<br />
1986 – da wären wir selbst ja vierzig<br />
Jahre alt – ein für Fünfzehnjährige ganz<br />
und gar unvorstellbar hohes Alter. 1918 :<br />
1986 – diese irrwitzige Zahlenklammer,<br />
die in die Epoche unserer Großväter<br />
hineinfasste wie in eine unendlich ferne<br />
Zukunft hinauf, ist mir nicht mehr aus<br />
dem Kopf gegangen. Begriffen habe ich<br />
es aber erst viel später.<br />
1960: Da war mein eigener Vater bereits<br />
fünfzehn Jahre tot. Wie seine beiden<br />
Brüder (die gesamte Familiengeneration)<br />
hatte ihn der nächste Weltkrieg (Numero<br />
Zwo) verschlungen. Unsere Wohn-<br />
und Lebensverhältnisse als Flüchtlinge<br />
waren auch 1960 immer noch karg. Dass<br />
meine Brüder und ich die Oberschule<br />
besuchen durften, war der einzige Luxus,<br />
den die Mutter uns gönnen konnte (das<br />
hörten wir oft genug). Und ich sollte<br />
dann noch, erwachsen geworden, als<br />
Mann mit Vierzig, die Schulden abzahlen,<br />
die die Generation gar der Großväter<br />
hinterlassen hatte? Dazwischen – ja,<br />
da lag die Eruption des Zweiten Weltkriegs<br />
– nicht in den Eingeweiden der<br />
Erde zusammengebraut, sondern denen<br />
der menschlichen Gesellschaft, in ihren<br />
Ergebnissen kaum weniger verheerend.<br />
In welche Zukunft hinein kann der<br />
Mensch planen? Die elementaren Spiele<br />
der Natur haben wir als Lebewesen<br />
dieser Erde hinzunehmen. Sie werfen<br />
uns, wenn wir Pech haben, wieder auf<br />
die ersten Tage des Planeten zurück. Bei<br />
freundlichen Winden gedeiht das Leben<br />
danach erneut: Die Fortschritte, die<br />
Lanzarote in dreihundert Jahren hinter<br />
sich gebracht hat, die Natur und der<br />
Mensch in ihr, haben mich, wandernd<br />
im Angesicht von sanften Vulkankegeln,<br />
gerührt. Diese unbesiegbare Zähigkeit<br />
des Lebenstriebs! Doch die Erträge sind<br />
kümmerlich. Bis heute reichen sie nicht,<br />
die kleine Bevölkerung der Insel zu ernähren.<br />
Wie viele Jahrhunderte bräuchte<br />
es noch dazu?<br />
Allerdings nur, wenn die Natur Zeit<br />
dazu lässt. Oder wir.<br />
Michael Zeller<br />
www.michael-zeller.de
Temporärer Architekt<br />
und jetzt auch LED-Wegbereiter:<br />
Der Wuppertaler Nico Ueberholz<br />
leistet Pionierarbeit bei der<br />
Revolution der Leuchttechnik<br />
Die Leidenschaft für Licht –<br />
sie stand schon immer im Mittelpunkt der<br />
Arbeit von Nico Ueberholz, der international<br />
als einer der Vordenker auf dem Gebiet<br />
der temporären Architektur gilt. „Wir<br />
bauen Atmosphäre“ steht als Leitidee über<br />
seinen Projekten, die im Wuppertaler Büro<br />
entworfen werden und weltweit Beachtung<br />
fi nden. Und das eben nicht zuletzt,<br />
weil kaum ein anderer so kreativ Licht als<br />
Gestaltungselement bei der Entwicklung<br />
von Messeständen, Ladenbauten und<br />
Ausstellungskonzepten einsetzt wie der<br />
Nico Ueberholz. „Licht spielt eine große,<br />
ganz wichtige Rolle in der Umsetzung der<br />
Ideen, es inszeniert Design und Raum“, so<br />
sein Credo, das jetzt in ein ungewöhnliches<br />
unternehmerisches Engagement mündete:<br />
Mit dem von ihm an den Start gebrachten<br />
Start-Up „OFFON New Lighting“ ist<br />
Nico Ueberholz vom Lichtanwender zum<br />
Entwickler und Produzenten geworden. Er<br />
kämpft dabei an vorderster Front für den<br />
Umstieg von umweltschädlichen Leuchtstoffröhren<br />
auf ökologische und wirtschaftliche<br />
LED-Technik. Und wirft fast 25<br />
Jahre Erfahrung mit gestalterischen und<br />
technischen Ideen für Licht-Inszenierungen<br />
in die Waagschale, um die neuen LED-<br />
Leuchtmittel wirkungsvoll einsetzen zu<br />
können. Mit Erfolg: Seit dem fulminanten<br />
„OFFON“-Debüt bei der Leitmesse Light<br />
& Building vor knapp einem Jahr staunen<br />
sogar die Branchenriesen über die Ideen der<br />
Innovationsschmiede.<br />
Kreativ und vielseitig: Nach 25 Jahren<br />
als temporärer Architekt engagiert sich<br />
Nico Ueberholz jetzt auch als Unternehmer<br />
für die Entwicklung umweltfreundlicher<br />
LED-Lichttechnik.<br />
Die Magie des Lichts<br />
Dabei hatten die Köpfe hinter „OFFON“<br />
eigentlich alles andere zu tun, als ausgerechnet<br />
in die Entwicklung und Produktion<br />
von LED-Tubes einzusteigen. Ueberholz<br />
machte dafür mit Werbeprofi Sven Hillie<br />
aus Hamburg und Axel Kietz, Geschäftsführer<br />
einer Apparatebau-Firma in Radevormwald,<br />
gemeinsame Sache. Das Trio,<br />
das sich zuvor bei gemeinsamen Projekten<br />
für verschiedenste Kunden aus der Markenwelt<br />
kennen und schätzen gelernt hatte,<br />
war mit den jeweiligen Jobs eigentlich<br />
mehr als ausgelastet. Aber: Ob es um einen<br />
Messeauftritt, Corporate Design oder feste<br />
Bauten ging - die Inszenierung von Licht<br />
spielte dabei immer eine bedeutende Rolle.<br />
Erst recht, seit die hoch entwickelte LED-<br />
Technologie den Spielraum dafür entscheidend<br />
erweitert hat und das Trio mit einer<br />
Idee infi zierte: LED-Lichtsysteme mit<br />
einem hohen Designanspruch, perfekter<br />
Funktionalität und maximaler Wirtschaftlichkeit<br />
zu kreieren und herzustellen.<br />
In diese Röhre schaut man gerne<br />
Mit der „T8 Extended Quality LED Tube“<br />
hat „OFFON“ auf den Weg dorthin einen<br />
ersten Schritt gemacht, der echte Breitenwir-<br />
kung entfaltet: Sie bietet auch bei kritischem<br />
Hinsehen eine taugliche Alternative für die<br />
allein in Deutschland jährlich verbauten rund<br />
60 Millionen Leuchtstoffröhren mit all ihren<br />
ökologischen und wirtschaftlichen Nachteilen.<br />
70 Prozent weniger Energieverbrauch, maximale<br />
Sicherheit, minimierte CO 2 -Emissionen,<br />
30.000 Stunden garantierte Lebensdauer und<br />
- natürlich für seine Erschaffer ein besonderes<br />
Kriterium - die besonders gute Lichtqualität<br />
sprechen für die Neuentwicklung. Von der<br />
wurden die Branchenriesen ebenso überrascht<br />
wie von der passenden Deckenschiene „Lucy<br />
(in the sky)“. Sie liefert die Antwort auf die<br />
Frage, wie Lampen aussehen können, wenn<br />
dank moderner LED-Technologie keine Platz<br />
raubenden und energiefressenden Starter<br />
mehr nötig sind. Das patentierte System<br />
kombiniert ein puristisches Erscheinungsbild<br />
mit handfesten Vorteilen bei Neuinstallation<br />
und Betrieb. „Lucy“ kommt mit deutlicher<br />
weniger Abhängungen aus als konventionelle<br />
Schienen und Sockel für Leuchtstoffröhren,<br />
ist fl exibel bestückbar und kann mit einer<br />
einzigen Einspeisung theoretisch bis zu einer<br />
Kilometer Leuchtstrecke versorgen. Das bietet<br />
ungeahnte Möglichkeiten und Flexibilität bei<br />
der Gestaltung von Räumen und Hallen.<br />
51
52<br />
Hoch hinaus: Im Frühjahr 2012 ging<br />
„OFFON New Lighting“ bei der „Light<br />
& Building“ in Frankfurt mit einem zehn<br />
Meter hohen „Leuchtturm“ und Produkten<br />
an den Start, die auch Branchenriesen<br />
staunen ließ. Für das Design des Messeauftritts<br />
erhielt Ueberholz übrigens einen<br />
ADAM-Award.<br />
Design trifft Technik: Die Leuchte „Mary<br />
(go round)“ samt T8-Tube von OFFON<br />
gewann bereits den DDC-Award. Ihre<br />
Form bekam sie auf dem Zeichenblock von<br />
Nico Ueberholz.
High-Tech aus dem Zeichenblock<br />
Entstanden ist das Design übrigens dort, wo<br />
die meisten Ideen von Nico Ueberholz Form<br />
annehmen: auf dem Zeichenblock! Für ihn<br />
immer wieder ein besonderer Moment:<br />
„Mein Beruf ist eigentlich meine Leidenschaft:<br />
entwerfen, zeichnen, träumen, Visionen<br />
zu Papier bringen Pferdefl iegen lassen!<br />
Sobald ich etwas Zeit habe, greife ich zum<br />
Bleistift. Es ist einfach immer wieder ein Erlebnis<br />
und eine Herausforderung, mit einem<br />
weißen Blatt anzufangen.“ Auf so ein Blatt<br />
hat er auch die ersten Konturen von „Mary<br />
(go round)“ skizziert – eine Deckenleuchte,<br />
dessen LED-Körper sich dank eines Kugelgelenks<br />
in jede vorstellbare Position und<br />
Richtung drehen lässt. Die LED-Tube in der<br />
mit entsprechendem Bodensockel auch als<br />
Schreibtischleuchte einsetzbaren Lampe ist<br />
dabei ebenfalls drehbar, so dass ganz einfach<br />
zwischen direkter und indirekter Beleuchtung<br />
gewechselt werden kann. Das Berühren<br />
der Tubes ist übrigens kein Problem - LEDs<br />
entwickeln bekanntlich im Gegensatz zu<br />
herkömmlichen Leuchtnmitteln kaum<br />
Wärme. Für die Eigenentwicklung ist<br />
Ueberholz im Dezember mit dem Award für<br />
Gute Gestaltung des Deutschen Designer<br />
Clubs ausgezeichnet worden. Ebenfalls in der<br />
Pipeline ist mit „Jack (of all trades)“ zudem<br />
eine Straßenleuchte mit LED-Tubes, die<br />
individuelle Lichtfelder für Fußgänger, Rad-<br />
und Autofahrer bescheinen kann.<br />
Hommage an die Magie des Lichts:<br />
Der Produktkatalog von „OFFON“ ist ein<br />
lesenswertes Themen-Magazin.<br />
„Die Ideen sprudeln nur so heraus“<br />
„Da wir alle Visionäre sind, sprudeln die Ideen<br />
nur so aus uns heraus. Wenn Menschen<br />
zusammenkommen, die einen Gedanken,<br />
ein gemeinsames Ziel haben und ohne viele<br />
Worte in die Hände spucken, kommt sehr<br />
viel gute Kreativität dabei heraus“, erklärt<br />
Nico Ueberholz, wie das erst Anfang 2012<br />
gegründete Unternehmen innerhalb weniger<br />
Monate eine kleine Produktfamilie entwickeln<br />
konnte, die bereits im März bei der<br />
„Light & Building“ in einem zehn Meter<br />
hohen Freiluftstand als zukunftsweisend für<br />
eine ganze Branche präsentiert wurde. Vorgestellt<br />
werden diese Produkte übrigens nicht<br />
in einem herkömmlichen Produktkatalog,<br />
sondern in einem Magazin, das ebenso aus<br />
dem Rahmen fällt wie die „OFFON“-Entstehungsgeschichte:<br />
Auf fast 200 Seiten erklärt<br />
es mal wissenschaftlich, mal philosophisch,<br />
mal historisch und immer voller überraschender<br />
Gestaltungs-Details die „Magie des<br />
Lichts“, aus der „OFFON“ erwachsen ist.<br />
Bei Branson im „Carbon War Room“<br />
Geadelt wurden Nico Ueberholz und die<br />
„OFFON“-Idee zuletzt, als sie in den Fokus<br />
von Richard Branson und seinem Non-Profi<br />
t-Unternehmen „Carbon War Room“ rückten,<br />
mit dem der britische Milliardär weltweit<br />
nach ökonomkisch attraktiven Wegen zur<br />
Reduzierung des Ausstoßes schädlicher Treibhausgase<br />
sucht. Ein Ziel, das ihn mit „OF-<br />
FON“ verbindet und den LED-Pionieren<br />
eine Einladung zur ersten Deutschland-Konferenz<br />
des „Carbon War Room“ bescherte. In<br />
der Berliner Siemens-Villa informierten sich<br />
im September 2012 rund 200 Führungskräfte<br />
aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung<br />
unter dem Tagungs-Motto „Creating Climate<br />
Wealth“ über die OFFON-Philosophie und<br />
die aktuelle Produktpalette für den Umstieg<br />
von Leuchtstoffröhren auf umweltfreundliche<br />
LED-Tubes. „Hören wir auf zu reden,<br />
gehen wir es an!“ lautete der Klima-Appell<br />
des „Carbon War Room“. Nico Ueberholz<br />
hat das bereits getan...<br />
53
54<br />
Das Wuppertaler TiC-Theater stellt<br />
seinen Spielplan 2013 vor<br />
oben Stefan Hüfner, unten Ralf Budde,<br />
Fotos: Frank Becker<br />
Komödie, Krimi, Klassik<br />
Komödie und Krimi, Klassik, Drama und<br />
Musical – das kleine, aber sehr feine TiC-<br />
Theater in Wuppertal-Cronenberg hat<br />
auch im Jahr 2013 für jeden Geschmack<br />
etwas im Programm. Acht Premieren<br />
und zwei Wiederaufnahmen sorgen in<br />
den drei Spielstätten Borner Straße und<br />
im Atelier Unterkirchen für einen abwechslungsreichen<br />
Kalender. Am Freitag<br />
stellten die Geschäftsführer Ralf Budde<br />
und Stefan Hüfner den Spielplan 2013<br />
vor. Traditionell beginnt das Jahr mit einem<br />
Krimi, diesmal sorgt Ralf Budde am<br />
22. Februar mit seiner Inszenierung von<br />
Edgar Wallace´ „Das indische Tuch“ für<br />
Spannung und, wie er augenzwinkernd<br />
versichert, auch für Spaß. Wer erinnert<br />
sich nicht gerne an die Verfi lmung (1963)<br />
mit Heinz Drache, Hans Nielsen, Eddi<br />
Arent, Ady Berber, Hans Clarin, Corny<br />
Collins, Elisabeth Flickenschildt, Siegfried<br />
Schürenberg und Klaus Kinski.<br />
„Welcome to the Sixties“ heißt es ab<br />
21. April mit einem Song des Musicals<br />
„Hairspray“, für das Patrick Stanke<br />
gewonnen werden konnte, der 2012 mit<br />
seiner „Hair“-Inszenierung im TiC einen<br />
fulminanten Erfolg hatte. Da gibt es<br />
dann Wiederbegegnungen mit Twist und<br />
Mashed Potato, mit den Turnbalds und<br />
den von Tussles, Gene Pitney und Little<br />
Peggy March. Mit der turbulenten Farce<br />
„Der nackte Wahnsinn“ von Michael<br />
Frayn wird ab 3. Mai unter Thomas<br />
Gimbels Regie das totale (geordnete)<br />
Chaos ins TiC einziehen. Sardinen eingeschlossen.<br />
Es gibt kaum ein komischeres<br />
Stück über Theater auf dem Theater.<br />
Zuletzt in Wuppertal 2007 an den Städtischen<br />
Bühnen aufgeführt.<br />
Der lebenslange Briefwechsel zweier<br />
Menschen, die dann doch kein Paar<br />
werden, ist Thema des berührenden<br />
Kammerspiels „Love Letters“ von A.R.<br />
Guerney. Die Besetzung steht bereits fest,<br />
wird aber noch geheimgehalten, ebenso<br />
wie der Name des Regisseurs der bewegenden<br />
Geschichte eines krebskranken<br />
Kindes „Oskar und die Dame in Rosa“<br />
von Eric-Emmanuel Schmitt, die ab<br />
Oktober gezeigt werden soll.<br />
Zuvor aber gibt es im Juli Neil Simons<br />
Seitensprung-Komödie „Der letzte der<br />
feurigen Liebhaber“ als Sommerstück<br />
unter der Regie von Julia Penner - und<br />
im September das Musical „Me and my<br />
Girl“, von Noel Gay, L. Arthur Rose<br />
und Douglas Furber. 1937 in London<br />
uraufgeführt war es mit 1646 Vorstellungen<br />
einer der größten Erfolge der 30er<br />
Jahre. Für die Musik im TiC zeichnet wie<br />
bei „Hairspray“ und der Wiederaufnahme<br />
von „My Fair Lady“ im Mai dessen<br />
musikalischer Leiter Stefan Hüfner.<br />
Weil sich das Angebot eines Klassikers<br />
pro Spieljahr bewährt hat, setzt das Tic<br />
nach „Der Parasit“, „Romeo und Julia“<br />
und „Der zerbrochne Krug“ im November<br />
2013 Friedrich Schillers „Kabale und<br />
Liebe“ auf den Spielplan. Die Regie hat<br />
Ingeborg Wolff übernommen, die dort<br />
schon etliche Male eine sehr glückliche<br />
Hand gezeigt hat. Zum Jahresschluss<br />
wird zum fünften Mal der Dauerbrenner<br />
„Die Feuerzangenbowle“ nach Heinrich<br />
Spoerl (bisher fast 200 Vorstellungen)<br />
zubereitet. Unvergessen auch hier die<br />
Verfi lmung (1944) mit Heinz Rühmann,<br />
Erich Ponto, Paul Henckels, Karin Himboldt,<br />
Hans Leibelt und Hans Richter.<br />
Ab November zu verkosten. Wie ein<br />
solches Angebot umgesetzt werden kann<br />
erklärt Ralf Budde: das ist nur möglich<br />
durch den selbstlosen Einsatz der ca. 60<br />
Ensemble-Mitglieder, allesamt (hochbegabte)<br />
Laien, die ihre gesamte Freizeit<br />
dafür einsetzen. Eine solide Basis für die<br />
anspruchsvolle Arbeit.<br />
Weitere Informationen: www.tic-theater.de<br />
Frank Becker
Franz Kafka und die Griots von Prag<br />
„... wie wenn ich mir einen Bindfaden<br />
über die Zunge führen würde –<br />
Liebste, ich lese nämlich höllisch gerne vor“<br />
Wenn in Afrika ein Griot stirbt,<br />
verbrennt eine Bibliothek, lautet ein<br />
bekanntes Sprichwort des schwarzen<br />
Kontinents. Griots, das sind die weisen<br />
Männer Westafrikas, die in ihren –<br />
häufi g auf der Cora, der afrikanischen<br />
Harfe, begleiteten – Sprechgesängen<br />
die Geschichten ihres Volkes erzählen.<br />
Sie sind lebende Enzyklopädien, die die<br />
Legenden und Mythen ihrer Heimat in<br />
ihrem Gedächtnis bewahren. Die Griots<br />
unserer Kultur sind die Literaten, die<br />
Dichter und Schriftsteller. Sie singen<br />
ihre Geschichten nicht, sie schreiben sie<br />
auf. Doch wenn ihre Bücher verbrennen,<br />
so geht mit ihnen eine ganze Welt<br />
unter, nämlich jene Welt, die sie in<br />
ihren Büchern entstehen ließen und mit<br />
diesen eine Zeit, die die Bedingung der<br />
Möglichkeit ihrer Entstehung war.<br />
Als die Nationalsozialisten 1939 Prag<br />
besetzten, ahnten die kritischen tschechischen<br />
und die aus Deutschland emigrierten<br />
Intellektuellen, was sie erwartete.<br />
Ihre Schriften würden verbrannt,<br />
sie selbst verfolgt, deportiert, ermordet.<br />
Mit der Besetzung Prags sollte eine Welt<br />
untergehen, eine Welt des Geistes – und<br />
mit ihr wesentliche Erinnerungen an die<br />
deutschsprachige Literatur der goldenen<br />
Stadt. Ist es folgerichtig, dass mit Franz<br />
Kafka vor allem ein Schriftsteller jener<br />
deutschsprachigen Prager Schriftsteller<br />
im kollektiven literarischen Gedächtnis<br />
überleben sollte, der die Okkupation –<br />
Gott sei Dank, ist man geneigt zu sagen<br />
– nicht mehr erlebt hat? Die Freunde<br />
und literarischen Wegbegleiter Kafkas,<br />
die Protagonisten der Prager Deutschen<br />
Literatur sind weitgehend in Vergessenheit<br />
geraten – einzig Franz Werfel wird<br />
noch von einer breiteren literarischen<br />
Öffentlichkeit wahrgenommen. Selbst<br />
die Romane Max Brods werden kaum<br />
noch gelesen; er bleibt vor allem als<br />
Freund und Herausgeber der Werke<br />
Franz Kafkas in Erinnerung.<br />
Die Griots von Prag werden nach dem<br />
Einmarsch der sogenannten Wehrmacht<br />
in die tschechische Republik Opfer der<br />
nationalsozialistischen Gewalt. Der<br />
Terror der Gestapo zwingt den Lyriker,<br />
Essayisten und Erzähler Johannes Urzidil,<br />
auch er ein Freund Kafkas, 1939<br />
zu Emigration nach London. Aus dem<br />
Exil wird er nicht mehr zurückkehren;<br />
er stirbt 1970 in Rom. Ein weiterer<br />
Wegbegleiter Kafkas, der Philosoph<br />
Felix Weltsch, beschäftigte sich schon<br />
frühzeitig mit dem Zionismus und dem<br />
Talmud, ihm gelingt 1939 die Flucht<br />
nach Palästina, die beiden Geschwister<br />
Weltschs aber werden in Auschwitz ermordet.<br />
Als wolle er das Elend mit dem<br />
inneren Auge nicht mehr sehen, stirbt<br />
der früh erblindete Freund Kafkas, der<br />
55
56<br />
Schriftsteller Oskar Baum, an den Folgen<br />
einer Operation, kurz bevor seine<br />
Frau durch die Nationalsozialisten in<br />
das Konzentrationslager Theresienstadt<br />
verschleppt und dort ermordet wird.<br />
Die Lebensgefährtin Kafkas, die Journalistin<br />
Milena Jesenská, die die Werke des<br />
Schriftstellers in den 20er Jahren dieses<br />
verrückten Jahrhunderts ins Tschechische<br />
übersetzen und herausgeben will,<br />
wird zwanzig Jahre später unter Einsatz<br />
ihres Lebens im besetzten Prag bedrohte<br />
Menschen retten. Sie verhilft Juden und<br />
Tschechen zur Flucht ins Ausland und<br />
gibt eine illegale Zeitschrift heraus. Die<br />
Nazis verdächtigen sie des Kommunismus<br />
und bringen die schon von Krankheit<br />
gezeichnete Freiheitskämpferin ins<br />
Konzentrationslager Ravensbrück. Eine<br />
verspätet durchgeführte Nierenoperation<br />
führt im Mai 1944 zu ihrem Tod.<br />
Dieses Prag des Franz Kafka, Max Brod,<br />
Felix Weltsch, Johannes Urzidil, Oskar<br />
Baum und der tapferen und lebensfrohen<br />
Milena Jesenská gibt es nicht mehr.<br />
Es war das Prag des Café Arco, wo sich<br />
die Schriftsteller und Intellektuellen<br />
treffen, ein Umschlagplatz für Ideen,<br />
in dem die noch druckfrischen Bücher,<br />
aber auch die Klassiker diskutiert wurden.<br />
Eine Welt, in der die Kultur des<br />
Lesens noch Raum hatte und nicht auf<br />
ein fernsehgerechtes Format von dreißig<br />
Minuten reduziert wurde. Eine Welt, in<br />
der zwar auch über Bücher gesprochen<br />
Franz Kafka mit seiner Schwester Ottla Max Brod<br />
wurde, in der vor allem aber die Bücher<br />
selbst noch gelesen wurden, über die<br />
man sprach. So war das Vorlesen ein<br />
wichtiger Teil dieser Lese-Kultur. Man<br />
las aus eigenen Werken vor – und aus<br />
denen, die einen begeisterten. Wenn wir<br />
im Folgenden an Kafka, den leidenschaftlichen<br />
Vorleser erinnern, so hoffen<br />
wir damit auch ein Mosaiksteinchen<br />
hinzu fügen zu können zur Rekonstruktion<br />
jener durch Tod und Vertreibung<br />
der Griots von Prag untergegangenen<br />
Welt. Zugleich könnte dies auch ein<br />
Beitrag sein, das oft dunkel gezeichnete<br />
Portrait jener tragisch umschatteten<br />
Lichtgestalt der Prager Deutschen<br />
Literatur ein wenig aufzuhellen. Denn<br />
gerade im Vorlesen zeigte Kafka häufi g<br />
seine heitere, lebensfrohe Seite.<br />
Kafka las oft und gern vor. Tatsächlich<br />
war dies neben dem Schreiben eine<br />
seiner großen Leidenschaften. So, wie er<br />
von der Literatur erwartete, dass sie ihn<br />
aus der Erstarrung des Alltags erlösen<br />
möge – in einem Brief an seinen Freund<br />
Oskar Pollak schreibt Kafka: „Wir<br />
brauchen aber die Bücher, die auf uns<br />
wirken wie ein Unglück, das uns sehr<br />
schmerzt,... ein Buch muss die Axt<br />
sein für das gefrorene Meer in uns“ - so<br />
stellte er auch an die Rezitation, den<br />
gelungenen Vortrag die Anforderung,<br />
dass sie die Zuhörer unmittelbar treffen<br />
und sie aus deren gewohnter Lethargie<br />
herausreißen sollte. Daher erschien ihm<br />
als Vortragsform das Anbrüllen – und<br />
dies nicht nur im metaphorischen Sinn<br />
– durchaus angemessen. So schreibt er<br />
in einem Brief an seine spätere Verlobte<br />
Felice Bauer: „Liebste, ich lese nämlich<br />
höllisch gerne vor, in vorbereitete<br />
und aufmerksame Ohren der Zuhörer<br />
zu brüllen, tut dem armen Herzen so<br />
wohl.“<br />
Obwohl das Vorlesen eine der herausragenden<br />
Leidenschaften Kafkas war,<br />
kam es doch nur zu zwei öffentlichen<br />
Lesungen. Am 11. Dezember 1913<br />
liest Kafka in der Prager Toynbeehalle<br />
Kleists „Michael Kohlhaas“ vor, den er<br />
besonders liebte und - wir werden noch<br />
darauf zu sprechen kommen - den er<br />
auch im Freundes- und Bekanntenkreis<br />
öfters vorlas. Mit der Wirkung seiner<br />
Lesung auf die zu junge und literarisch<br />
vielleicht nicht genügend sensibilisierte<br />
Zuhörerschaft ist Kafka nicht zufrieden.<br />
Er besitzt jedoch noch während des<br />
Vorlesens genügend Geistesgegenwart,<br />
um die Reaktionen des Publikums zu<br />
beobachten. Am Abend nach der Vorlesung<br />
erinnert sich Kafka und notiert in<br />
sein Tagebuch:<br />
In der Toynbeehalle den Anfang von<br />
„Michael Kohlhaas“ gelesen. Ganz und<br />
gar mißlungen. Schlecht ausgewählt,<br />
schlecht vorgetragen, schließlich sinnlos<br />
im Text herumgeschwommen. Musterhafte<br />
Zuhörerschaft. Ganz kleine Jungen<br />
Milena Jesenka
in der ersten Reihe. Einer sucht seiner<br />
unschuldigen Langeweile dadurch beizukommen,<br />
dass er die Mütze vorsichtig zu<br />
Boden wirft und dann vorsichtig aufhebt<br />
und so öfters. Da er zu klein ist, um das<br />
vom Sitz auszuführen, muss er immer<br />
ein wenig vom Sessel sich abgleiten<br />
lassen.<br />
Kafkas Lust am Vorlesen ist jedoch so<br />
unbändig, dass es ihn trotz des Misserfolgs<br />
drängt, weiter vorzulesen. In<br />
derselben Tagebuchnotiz heißt es nur<br />
ein paar Zeilen weiter: „Und am Nachmittag<br />
zitterte ich schon vor Begierde,<br />
zu lesen, konnte kaum den Mund<br />
geschlossen halten.“<br />
Kafkas zweite öffentliche Lesung fand<br />
am 10. November 1916 in der Galerie<br />
Goltz in München statt. Hier liest er<br />
neben seiner eigenen Erzählung „In<br />
der Strafkolonie“ auch Gedichte seines<br />
engen Freundes und späteren Herausgebers<br />
und Biographen Max Brod vor.<br />
Kafka, der sich für einen schlechten<br />
Gedichtvorleser hielt, hatte sich dazu<br />
bereit erklärt, weil Brod aus berufl ichen<br />
Gründen verhindert war. Während der<br />
Vorlesung der Erzählung „In der Strafkolonie“<br />
soll es im Auditorium zu drei<br />
Ohnmachtsanfällen gekommen sein.<br />
Wenn dies stimmt, so ist der Grund<br />
hierfür wohl am ehesten im Inhalt von<br />
Kafkas Erzählung zu fi nden, in der die<br />
Folterung eines Delinquenten mittels<br />
einer „Höllenmaschine“ beschrieben<br />
wird, welche die vermeintliche Schuld<br />
des Angeklagten immer wieder in dessen<br />
Körper schreibt.<br />
Die Rezensionen dieses Vortragsabends<br />
fallen wenig „günstig“ aus. Auch streifen<br />
sie nur kurz Kafkas Vortragstechnik; die<br />
literarische Qualität der vorgelesenen<br />
Texte steht im Mittelpunkt des Kritikerinteresses.<br />
In den „Münchner Neueste<br />
Nachrichten“ vom 11. November 1916<br />
heißt es lapidar: „Zunächst war Franz<br />
Kafka als Vorlesender ein recht ungenügender<br />
Übermittler.“ Auch die Kritik in<br />
der „München-Augsburger Abendzeitung“<br />
fällt nicht gerade schmeichelhaft<br />
aus: „Freilich vermochten die freundschaftlichen<br />
Gefühle, die die beiden<br />
jungen Männer verbinden [Kafka<br />
und Max Brod], die Mängel nicht zu<br />
ersetzen, die den Rezitationen Dr. Franz<br />
Kafkas anhafteten.“<br />
Kafka selbst kommt gut zwei Monate<br />
später in einem Brief an den Lyriker<br />
Gottfried Kölwel, den er anlässlich der<br />
Münchner Vorlesung kennengelernt<br />
hat, auf dieses Ereignis zu sprechen:<br />
Ich las die Gedichte dort unter ungewöhnlichen<br />
Umständen. Ich war hingekommen<br />
mit meiner Geschichte als Reisevehikel,<br />
in eine Stadt, die mich außer als Zusammenkunftsort<br />
und als trostlose Jugenderinnerung<br />
gar nichts anging, las dort meine<br />
schmutzige Geschichte in vollständiger<br />
Dora Dymant Max Brod und Franz Kafka<br />
Gleichgültigkeit, kein leeres Ofenrohr<br />
kann kälter sein...<br />
Kafkas öffentlichen Lesungen war kein<br />
besonderer Erfolg beschieden. Dennoch<br />
täuscht der Eindruck, Kafka sei ein vielleicht<br />
begabter, im Grunde aber doch<br />
durchschnittlicher Vorleser gewesen.<br />
Auf fast alle, die das Glück hatten, im<br />
Freundes- und Bekanntenkreis Kafkas<br />
Vorlesungen zuhören zu können, haben<br />
dessen Rezitationen einen tiefen Eindruck<br />
hinterlassen. Zu diesem Kreise<br />
zählten neben Max Brod auch der früh<br />
erblindete Dichter und enge Freund<br />
Oskar Baum, ferner Kafkas Schwestern<br />
und dessen Verlobte Felice Bauer sowie<br />
deren Schwestern. Auch seiner letzten<br />
Lebensgefährtin Dora Dymant hat<br />
Kafka vorgelesen.<br />
Es gibt verhältnismäßig wenige Lebenserinnerungen<br />
an Kafka. Ein<br />
Grund dafür wird sicherlich in dem<br />
erschütternden Schicksal zu fi nden<br />
sein, welches sowohl Freunde als auch<br />
Verwandte Kafkas während der Zeit<br />
des Nationalsozialismus ereilte. Bei den<br />
Lebenserinnerungen, die uns heute<br />
vorliegen, handelt es sich zumeist um<br />
recht kurze Zeitschriftenartikel. Umso<br />
erstaunlicher ist es, dass die, die noch<br />
Gelegenheit hatten, sich an Kafka zu<br />
erinnern, häufi g auf dessen Rezitationen<br />
zu sprechen kommen. So erinnert sich<br />
Oskar Baum an Kafkas Vorlesungen<br />
57
58<br />
und stellt zugleich dessen Vorlesetechnik<br />
in Zusammenhang mit seinem<br />
literarischem Stil:<br />
Wenn er [Kafka] vorlas - das war seine<br />
besondere Leidenschaft - dann unterordnete<br />
sich der Ausdruck des einzelnen Worts<br />
bei voller Klarheit jedes Lauts, in zuweilen<br />
schwindelerregendem Zungentempo,<br />
ganz einer musikalischen Breite der Phrasierung<br />
von endlos, endlos langem Atem<br />
und gewaltig sich steigernden Crescendi<br />
der dynamischen Terassen - wie ihn ja<br />
auch seine Prosa hat, deren abgeschlossene<br />
Stücke zuweilen wie die „Die Zirkusreiterin“<br />
im Wunderbau eines einzigen Satzes<br />
gewachsen sind.<br />
Auch Max Brod kommt in seinen Lebenserinnerungen<br />
wiederholt auf Kafka,<br />
den Vorleser zu sprechen. Er fi ndet,<br />
um den mitreißenden und fesselnden<br />
Eindruck zu beschreiben, den Kafkas<br />
Rezitationen hinterließen, ganz ähnliche<br />
Formeln wie Oskar Baum. In seiner<br />
Autobiographie „Streitbares Leben“<br />
schreibt Brod: „Kafkas Vorlesungen<br />
waren immer feurig, in großartigem<br />
Aufbau der Perioden, im langen Atem<br />
hinreißend.“<br />
Es ist schwer aus den vorliegenden<br />
Zeitdokumenten, Mimik und Gestik,<br />
Stimme und Tonfall Kafkas zu rekonstruieren.<br />
Sicher aber ist, dass Kafka kein<br />
„steifer“ Vorleser war. Im Gegenteil: Es<br />
konnte ihm durchaus geschehen, dass<br />
er sich selbst im Vorlesen unterbrechen<br />
musste, etwa dann, wenn der Text, den<br />
er las, ihn zu Lachen oder Tränen rührte.<br />
Kafkas Stimme hatte einen harten,<br />
für das Tschechische typischen Akzent;<br />
jedoch gelang es ihm, die Satzteile melodiös<br />
miteinander zu verbinden und so<br />
die Sinnphrasen innerhalb eines Satzes<br />
herauszukristallisieren.<br />
Kafka las vor allem die Literatur vor,<br />
die er liebte, zu der er eine Wahlverwandtschaft<br />
empfand. Er fühlte sich<br />
vor allem zu Kleist sehr hingezogen,<br />
dessen „Michael Kohlhaas“ er besonders<br />
liebte - und den er ja auch einmal<br />
öffentlich gelesen hat. Über diese von<br />
ihm sehr geschätzte Novelle schreibt<br />
Kafka in einem Brief an seine Verlobte<br />
Felice: „Gestern abend habe ich Dir<br />
nicht geschrieben, weil es über Michael<br />
Kohlhaas zu spät geworden ist (kennst<br />
Du ihn? Wenn nicht, dann lies ihn<br />
nicht! Ich werde Dir ihn vorlesen), den<br />
(...) ich in einem Zug gelesen habe.<br />
Wohl schon zum zehnten Male.“ Auch<br />
Max Brod erinnert sich in „Streitbares<br />
Leben“ daran, wie gern Kafka diese<br />
Novelle vorgelesen hat:<br />
Dagegen hat er [Kafka] im privaten<br />
Kreis der Freunde oft und wundervoll aus<br />
seinen eigenen Werken, besonders gern<br />
auch Kleistens „Michael Kohlhaas“ und<br />
die „Anekdote aus dem letzten preußischen<br />
Kriege“ vorgetragen (...) Auch zu den<br />
Eltern von Felix Weltsch ging er öfters,<br />
um dem alten kunstsinnigen Ehepaar<br />
Abschnitt für Abschnitt sein Lieblingswerk<br />
„Michael Kohlhaas“ zu Gehör zu bringen,<br />
und freute sich sehr an seiner Rezitation<br />
und deren Wirkung.<br />
Zu den Lieblingswerken Kafkas gehörte<br />
neben der Kleistschen Novelle sicherlich<br />
auch Grillparzers „Armer Spielmann“.<br />
Auf dieses Werk kommt Kafka in seinen<br />
Tagebüchern und Briefen wiederholt<br />
zu sprechen. In einem Brief an die<br />
Freundin Grete Bloch vom 15.9. 1914<br />
schreibt Kafka über diese Novelle:<br />
Der „arme Spielmann“ ist schön, nicht<br />
wahr? Ich erinnere mich, ihn einmal<br />
meiner jüngsten Schwester [Kafkas Lieblingsschwester<br />
Ottla] vorgelesen zu haben,<br />
wie ich ihn niemals vorgelesen habe.<br />
Ich war davon so ausgefüllt, dass für<br />
keinen Irrtum der Betonung ,des Atems,<br />
des Klangs des Mitgefühls, des Verständnisses<br />
in mir Platz gewesen wäre, es<br />
brach wirklich mit einer unmenschlichen<br />
Selbstverständlichkeit aus mir hervor, ich<br />
war über jedes Wort glücklich, das ich<br />
aussprach.<br />
Neben Kleist, Grillparzer und Dostojewski<br />
fand Kafka noch zu Flaubert<br />
ein ähnlich enges Verhältnis. In einem<br />
Brief an Felice Bauer bezeichnet Kafka<br />
Flaubert als seinen Blutsverwandten -<br />
und in einem anderen Brief an seine<br />
Verlobte nennt Kafka sich „ein geistiges<br />
Kind dieses Schriftstellers“, dessen<br />
„Education sentimentale“ ihm „durch<br />
viele Jahre nahegestanden ist, wie kaum<br />
zwei oder drei Menschen.“ Wie sehr<br />
Kafka dieses Buch geliebt haben muss,<br />
geht noch aus einer anderen Briefstelle<br />
hervor:<br />
Als Kind – vor ein paar Jahren war es<br />
noch – träumte ich gern davon, in einem<br />
großen mit Menschen angefüllten Saal<br />
– allerdings ausgestattet mit einer etwas<br />
größeren Herz-, Stimm- und Geisteskraft<br />
als ich sie augenblicklich hatte – die ganze<br />
„Education sentimentale“ ohne Unterbrechung<br />
so viele Tage und Nächte lang,<br />
als sich dafür notwendig ergeben würde,<br />
natürlich französisch (o du meine liebe<br />
Aussprache!) vorzulesen und die Wände<br />
sollten widerhallen.<br />
Kafka fühlte sich mit Flaubert zudem<br />
noch durch deren gemeinsame Liebe zu<br />
schönen Sätzen verbunden. In Kafkas<br />
Handbibliothek befand sich ein Bändchen<br />
von François Coppée, „Souvenirs<br />
d‘un Parisien“, welches er wohl vor<br />
allem wegen der Erinnerungen Coppées<br />
an Flaubert schätzte. Das letzte Kapitel<br />
dieses Bändchens führt den Titel „Les<br />
belles phrases de Gustave Flaubert“.<br />
In diesem Kapitel erzählt Copée, dass<br />
Flaubert, der viele schöne Prosasätze<br />
von Klassikern, aber auch von weniger<br />
bekannten Autoren auswendig wusste,<br />
diese seiner „Brüll-Methode“ unterwarf,<br />
um so die tatsächliche Qualität dieser<br />
Sätze zu überprüfen. Flauberts Theorie<br />
war nämlich, dass ein wirklich guter<br />
Satz diese Probe unbeschadet überstehen<br />
müsste. Kafka, der sich an dieser<br />
Episode ergötzen konnte, versuchte es<br />
Flaubert nachzutun. Später schenkte<br />
er seinem Freund Max Brod dieses<br />
Bändchen – eine Eigenart Kafkas, der<br />
es liebte, von ihm geliebte Bücher zu<br />
verschenken und aus ihnen vorzulesen.<br />
Max Brod erinnert sich in seiner Biographie<br />
„Über Franz Kafka“: „Ich habe<br />
es noch heute im Ohr, wie Kafka mir<br />
den letzen Teil dieser Episode vorlas. Es<br />
war, als wäre Flaubert selbst lebendig<br />
geworden. (...) Kafka lächelte und hatte<br />
Tränen in den Augen, als er mir das<br />
vorlas.“<br />
Außer aus den hier bereits erwähnten<br />
Werken hat Kafka nachweislich aus
Werken von Tolstoi, Nietzsche, Plato<br />
und Mörike vorgelesen.<br />
Jedoch waren es nicht nur die Werke<br />
der schöngeistigen Literatur, die es<br />
Kafka reizte vorzutragen. Er lehnte<br />
eine von der Literaturgeschichte und<br />
-kritik vorgegebene Scheidung in eine<br />
sogenannte gute und in eine lediglich<br />
unterhaltende ab und wollte zu einem<br />
selbständigen Urteil gelangen. So konnte<br />
ihn eine hübsche feuilletonistische<br />
Wendung entzücken. Und er scheute<br />
sich keineswegs, eine Stelle aus dem<br />
Roman eines Autors vorzulesen, den<br />
man zu seiner Zeit als Kitschautor zu<br />
verwerfen pfl egte. Sein einziges Kriterium<br />
war der Enthusiasmus, den ein Satz<br />
in ihm auslösen konnte.<br />
Kafka, dem es wenig lag, abstrakte<br />
Gespräche über Literatur zu führen,<br />
konnte seiner Begeisterung für ein<br />
Buch am besten Ausdruck verleihen,<br />
indem er längere Passagen daraus seinen<br />
Freunden vorlas. So erinnert sich Max<br />
Brod in seinem Roman „Zauberreich<br />
der Liebe“, welcher in der Gestalt des<br />
Richard Garta ein Portrait Franz Kafkas<br />
enthält:<br />
Garta [Franz Kafka] überredet nicht,<br />
das ist nicht seine Art, auch entwickelt<br />
er kein System, das Systematische liegt<br />
ihm überhaupt nur wenig. Er liest nur<br />
immer wieder diese und jene Stelle seines<br />
Lieblingsautors vor... Kurz er wirbt nicht<br />
für seinen Erwählten, er sieht immer klar,<br />
Klarheit ist auch in seiner schrankenlosen<br />
Bewunderung, niemals versucht er<br />
Christof [Max Brod] zu überrennen; indes<br />
ist es bald soweit, dass Christof für die<br />
Schriften brennt.<br />
So hat Kafka seinen Freund Max Brod<br />
mit Stefan George und chinesischer<br />
Lyrik bekannt gemacht. Und mit<br />
Robert Walser, dessen kleine Erzählung<br />
„Gebirgshallen“ Kafka Max Brod unter<br />
teils unterdrücktem, teils laut herausbrechendem<br />
Lachen vorgelesen hat.<br />
Für Kafka war das Vorlesen vor allem<br />
deshalb so wichtig, weil er darin eine<br />
Möglichkeit suchte und fand, eine<br />
intensive Nähe zur Literatur zu ge-<br />
Christiaan Tonnis, Franz Kafka, 1985<br />
winnen. Kafka, für den die Literatur<br />
lebensnotwendig war wie Atmen, fand<br />
oft häufi g archaisierende, fast mythisch<br />
anmutende Metaphern, um diese Nähe<br />
zur Literatur auszudrücken wie etwa:<br />
„Strindberg, der mich nährt“. Dementsprechend<br />
versuchte er im Vorlesen, sich<br />
den anderen Autor gleichsam einzuverleiben,<br />
mit ihm zu verschmelzen, eins<br />
zu werden. So schreibt Kafka in einer<br />
Tagebuchnotiz:<br />
Nicht dass ich überzeugt wäre, dass ich<br />
im Vorlesen etwas Bedeutendes erreichen<br />
würde, vielmehr beherrscht mich die<br />
Sucht, mich an die guten Arbeiten, die ich<br />
lese, so sehr heranzudrängen, dass ich mit<br />
ihnen in eins verfl ieße.<br />
Es spricht für Kafkas selbstkritisches<br />
Wesen, dass er dieses „falsche Gefühl<br />
der Einheit mit dem Vorgelesenen“, wie<br />
er in seinem Tagebuch notiert, als eine<br />
Form der Eitelkeit entlarvt.<br />
Psychologisch interessant ist, dass Kafka<br />
eine Art „Medium“ braucht, um im<br />
Vorlesen in jene ersehnte Nähe zum<br />
vorgetragenen Text zu gelangen. Als ein<br />
für ihn geeignetes Medium erweisen<br />
sich seine Schwestern: „Nicht durch<br />
mein[en] Verdienst“, so notiert er in<br />
seinem Tagebuch, „sondern nur in<br />
der durch das Vorgelesene aufgeregten<br />
und für das Unwesentliche getrübten<br />
Aufmerksamkeit meiner Schwestern“<br />
gelingt ihm jene ersehnte Einheit.<br />
Und in diesem Zustand liest er nach<br />
eigenem Urteil denn auch „tatsächlich<br />
bewundernswert“ und „erfüll[t] manche<br />
Betonung mit einer meinem Gefühl<br />
nach äußersten Genauigkeit“.<br />
Liest er aber seinen Freunden vor, etwa<br />
Oskar Baum oder Max Brod, die wahrscheinlich<br />
kritischere Zuhörer waren<br />
als seine Schwestern, so gelingt es ihm<br />
nicht, in jene gleichsam mythische<br />
Nähe zum Vorgetragenen zu gelangen.<br />
Er braucht das Gefühl, dass die Zuhörer<br />
ihm abnehmen, dass er mit dem Text<br />
verschmilzt. Muss er erkennen, dass<br />
„der Zuhörer die Sonderung zwischen<br />
mir und dem Vorgelesenem aufrecht<br />
erhält“, wie er es einmal in seinem Tagebuch<br />
beschreibt, so wird sein Vortrag<br />
59
60<br />
Peter Krämer, Dr. Jörg Steckhan<br />
RINKE TREUHAND GmbH – www.rinke.eu<br />
DIE KENNTNISSE UND<br />
FÄHIGKEITEN DER<br />
NÄCHSTEN GENERATION<br />
ENTSCHEIDEN ÜBER<br />
DEN ERFOLG<br />
IN DER ZUKUNFT.<br />
NACHHALTIG GUT BERATEN.<br />
lustlos und er versucht nicht wirklich in<br />
den Text einzudringen. Dann wird das<br />
Vorlesen zu einem schalen Erlebnis:<br />
„... ohne Eitelkeit ruhig und entfernt<br />
zu lesen und leidenschaftlich nur zu<br />
werden, wenn meine Leidenschaft es<br />
verlangt, das kann ich nicht leisten.“<br />
Dass für Kafka das Vorlesen ein ungewöhnlich<br />
intensives Erlebnis war, dass<br />
das Vorlesen ihm gleichsam zum Paradigma<br />
eines Lebens in der Literatur<br />
geriet, das kann den nicht wundern,<br />
der weiß, wie stark, mit welch körperlicher<br />
Intensität Kafka Sprache empfunden<br />
hat. Um das Gefühl wiederzugeben,<br />
das ein schlecht formulierter, ein<br />
mangelhaft vorgetragener Satz in ihm<br />
erzeugen konnte, benutzte er einmal<br />
folgenden Vergleich: „Ein Satz reibt<br />
sich an dem anderen, wie die Zunge an<br />
einem schlechten oder falschen Zahn.“<br />
Auch sein eigenes Vorlesen erlebt er<br />
mit solcher Sensitivität. In einer Tagebuchnotiz<br />
vom 31. Oktober 1911 etwa<br />
heißt es: „Die Novellen von Wilhelm<br />
Schäfer lese ich besonders beim lauten<br />
Vorlesen mit ebenso aufmerksamen<br />
Genuss, wie wenn ich mir einen Bindfaden<br />
über die Zunge führen würde.“<br />
Wilhelm Schäfer (1868-1952) ist ein<br />
heute fast vergessener Schriftsteller. Mit<br />
Kafka teilte er die Liebe zu J.P. Hebel<br />
und Kleist.<br />
Das Vorlesen dürfte für Kafka auch eine<br />
wichtige soziale Rolle gespielt haben.<br />
Dies galt natürlich in besonderer Weise<br />
für den Freundes- und Bekanntenkreis<br />
Kafkas, dem neben den bereits Erwähnten<br />
auch Otto Pick und Ernst Weiß<br />
angehörten. Sie alle hatten auf die eine<br />
oder andere Weise mit Literatur zu tun.<br />
Prag hatte zu Kafkas Zeiten etwa drei<br />
Millionen Einwohner, von denen nur<br />
knapp dreißigtausend deutschsprachig<br />
waren. Die gemeinsame deutsche Sprache<br />
ließ diese Prager näher aneinanderrücken<br />
und wurde – vielleicht mehr als<br />
sonst – zum Träger kultureller Identifi<br />
kation. Für Kafka, den „heimatlosen<br />
Westjuden“, der neben dem Tschechischen<br />
auch Hebräisch lernte, um<br />
seine von ihm empfundene Isolation zu<br />
überwinden, war das Identifi kationsproblem<br />
besonders groß - und es erscheint<br />
durchaus sinnvoll anzunehmen, dass für<br />
Kafka die Literatur und die zu ihr im<br />
Vorlesen gesuchte Nähe eine Möglichkeit<br />
darstellte, diese Identifi kationsprobleme<br />
zu mildern.<br />
Kafka hat im Vorlesen nicht nur die<br />
Nähe zur Literatur gesucht, sondern<br />
auch zu den Menschen, denen er vorlas.<br />
Es ist nicht uninteressant, sich vor<br />
Augen zu führen, dass Kafka ja nicht<br />
nur im Freundes- und Literatenkreis<br />
vorgelesen hat, sondern auch und vor<br />
allem den ihm nahestehenden Frauen.<br />
Der bekannte Kafka-Forscher Hartmut<br />
Binder hat darauf hingewiesen, dass<br />
das Vorlesen eine der Grundlagen der<br />
besonders engen Beziehung zwischen<br />
Kafka und seiner Lieblingsschwester<br />
Ottla war. Und so wie Kafka seiner<br />
letzten Lebensgefährtin Dora Dymant<br />
vorgelesen hat, so hat auch schon der<br />
siebzehnjährige Gymnasiast Franz seiner<br />
ersten Jugendfreundin Selma Kohn<br />
vorgelesen. An dieses Erlebnis erinnert<br />
sich Selma Kohn in einem Brief an Max<br />
Brod. Und mit dieser schönen Erinnerung<br />
an Kafka den Vorleser wollen<br />
wir diese Reise in eine Zeit und einen<br />
Ort ausklingen lassen, der „nur“ ein<br />
Jahrhundert zurück liegt und doch nach<br />
dem Tod der Griots von Prag Lichtjahre<br />
entfernt scheint:<br />
Wer bin ich? Die Tochter des Oberpostmeisters<br />
Kohn aus Roztok bei Prag.<br />
Kennen Sie Roztok, den Wald? Erinnern<br />
Sie sich an den steilen Weg dahin und<br />
wie man plötzlich auf der herrlichsten<br />
Waldlichtung steht, das hohe Grab voll<br />
Himmelschüssel, Marientränen, Glockenblumen<br />
und mitten darin eine sehr alte<br />
Eiche! Unter dieser Eiche sind wir Kinder,<br />
Franz und ich, oft gesessen und er hat<br />
mir Nietzsche vorgelesen, was und ob ich<br />
verstand, Dr. Brod, es liegen 55 Jahre dazwischen,<br />
wir haben uns angeschwärmt,<br />
wie man damals war...<br />
Heiner Bontrup
Dietrich Rauschtenberger<br />
geb. 1939 in Schwelm<br />
Trommelt seit den fünfziger Jahren,<br />
zuerst Tanzmusik und traditionellen Jazz,<br />
später Modern Jazz und Bebop.<br />
Anfang der sechziger Jahre Free Jazz mit<br />
Peter Kowald und Peter Brötzmann.<br />
Seitdem Auftritte im In- und Ausland.<br />
Seit einigen Jahren spielt er auch Saxofon.<br />
Er veröffentlichte Musik und Prosa,<br />
präsentierte eigene Texte mit Musik und<br />
war Darsteller bei Theaterstücken.<br />
In seinem Theater-Solo Die Kunst<br />
ein Schlagzeug aufzubauen erzählt er<br />
aus seinem Leben als Musiker.<br />
2006 veröffentlichte er das Hörspiel<br />
Wie wir den Freejazz erfunden haben.<br />
Er ist einer der Autoren des Wuppertaler<br />
Jazzbuchs Sounds like Whoopataal.<br />
2009 veröffentlichte er im Verlag<br />
„Das Fünfte Tier“ den Erzählband Jazz<br />
und Ikebana.<br />
Foto: Dieter E. Fränzel<br />
ROCK’N’ROLL<br />
Als der Rock’n’Roll über ihn hereinbrach,<br />
hatte Paul Trombeck gerade den Möhreneintopf<br />
zum Aufwärmen auf den Herd<br />
gestellt. Am Küchentisch saß Dölfi Kampschulte,<br />
der gekommen war, um mit Paul<br />
über neue Engagements für ihre Kapelle zu<br />
sprechen, die Cocktail Combo, mit der sie<br />
in Wuppertal und Umgebung zum Tanz<br />
aufspielten. Jeden Freitag und Samstag, fünf<br />
Stunden am Abend, pro Stunde zehn Mark.<br />
Wenn man Geld verdienen wollte, musste<br />
man vom Heideröslein singen, davon waren<br />
sie überzeugt, aber tief im Herzen waren<br />
sie echte Jazzer. Dölfi hätte am liebsten nur<br />
Bebop gespielt. Bebop, so hieß der neue<br />
Jazzstil aus New York. Nun schwadronierte<br />
er über die Band, der er aufmachen<br />
wollte. Das Repertoire sollte überwiegend<br />
aus Stücken von Charlie Parker bestehen,<br />
dem besten Saxofonisten des Bebop. Dass<br />
Bird, wie Parker von seinen Fans genannt<br />
wurde, 1955 am Rauschgift gestorben war,<br />
interessierte Dölfi nicht weiter. Parker war<br />
sein Gott. Er spielte Altsaxofon wie Parker,<br />
er hatte alle Platten, die man 1961 in<br />
Deutschland von ihm bekam und er konnte<br />
viele seiner Improvisationen auswendig<br />
nachspielen. Wenn es sein musste, kopierte<br />
er sogar die Kratzer auf den Platten. Die<br />
Idee mit der Bebop-Combo war nicht neu,<br />
aber Dölfi war wieder mal durchdrungen<br />
von ihr und brauchte jemanden, der ihm<br />
zuhörte, und wer war da besser geeignet<br />
als sein Freund, der „Tricktrommler“ Paul<br />
Trombeck.<br />
Auf dem Küchenschrank plärrte das<br />
Radio vor sich hin, mit dem Paul vor ein<br />
paar Jahren in der Wohnküche seiner Eltern<br />
Voice of America gehört und sich dabei<br />
mit dem Jazz-Virus infi ziert hatte. Dölfi<br />
schimpfte jetzt auf den Posaunisten Hans<br />
Notenbast, den er hasste, weil er mit allen<br />
Regeln des Jazz gebrochen hatte: „Der soll<br />
erst mal lernen, Blues zu spiel …“ Ihm blieb<br />
mitten im Wort die Spucke weg. Paul fi el<br />
die Maggifl asche in die Möhren. „Mach<br />
mal lauter!“ Das Radio spielte einen Song,<br />
der anders klang, als alles, was sie bis dahin<br />
gehört hatten. Sie lauschten mit offenen<br />
Ohren und Nasen, bis das Radio sagte:<br />
„Das waren die Beatles mit A Hard Day’s<br />
Night.“ Inzwischen war der Möhreneintopf<br />
61
62<br />
angebrannt. So lernte Paul, dass Möhreneintopf<br />
angebrannt noch besser schmeckt.<br />
Das sollte nicht die einzige Wirkung der<br />
Beatles bleiben, denn der Rock’n’Roll-Virus<br />
war hochgradig ansteckend. Auch Dölfi<br />
war nicht immun – trotz Charlie Parker.<br />
Kein Musiker war immun – keiner außer<br />
Notenbast. Aber dem Posaunisten gefi el<br />
sowieso nur das freie Zeug, das er selbst<br />
spielte. Pauls Dilemma war, ob er mit<br />
seinem alten Kumpel Dölfi Kampschulte<br />
Bebop spielen sollte, was er nicht wirklich<br />
konnte, oder mit Notenbast Freejazz, den<br />
nur ein paar verrückte Kunststudenten für<br />
Musik hielten.<br />
Paul haute je eine Kelle Eintopf auf die<br />
Teller, klatschte eine Portion Senf auf den<br />
Rand und schnitt das Würstchen in zwei<br />
Hälften, aber Dölfi kriegte vor Aufregung<br />
nichts runter. Vor zehn Minuten hatte er<br />
noch von Charlie Parker geschwärmt, jetzt<br />
wollte er wissen, woher er die Noten von<br />
A Hard Day’s Night kriegen könnte. „Den<br />
Song müssen wir unbedingt mit der Cocktail<br />
Combo spielen.“ Dass soeben das Ende<br />
ihrer Tanzkapelle eingeläutet worden war,<br />
konnte er nicht wissen und auch nicht, dass<br />
kein Stein auf dem anderen bleiben würde,<br />
weder kulturell noch politisch.<br />
Der Rock’n’Roll hatte einen neuen, aufregenden<br />
Rhythmus, durch den Paul zuerst<br />
nicht durchblickte. Die Art und Weise,<br />
wie man Schlagzeug spielte, änderte sich.<br />
Bis dahin war es wichtig gewesen, dass ein<br />
Schlagzeuger den eleganten Jazz-Rhythmus<br />
spielen konnte, der auf dem Becken weich<br />
und organisch dahineilte: tschicke-dingtschicke-ding-tschicke-ding-tschicke-ding.<br />
Paul konnte das ziemlich gut. Leider war<br />
das nicht mehr gefragt. Über Nacht waren<br />
maschinenartig ratternde Rhythmen angesagt.<br />
Das Publikum wollte Let’s Twist again<br />
like we did last summer. Paul schaffte es<br />
sich drauf, schnelle Sechzehntel zu klopfen:<br />
tá-ta-ta-ta tá-ta-ta-ta tá-ta-ta-ta tá-ta-ta-ta<br />
und so weiter, bis ihm der Arm abfi el. Er<br />
spielte den Twist auf der Beckenmaschine,<br />
die überraschend ihren Namen geändert<br />
hatte. Früher hieß sie Charleston-Maschine<br />
nach einem längst ausgestorbenen Tanz,<br />
jetzt nannte man sie Hihat und keiner<br />
wusste, wie das geschrieben wurde. Bis<br />
dahin hatte er sie vornehmlich mit dem Fuß<br />
gespielt, um den Off-Beat auf zwei und vier<br />
zu markieren oder das Thema zu begleiten<br />
- plötzlich wurde sie zum wichtigsten<br />
Instrument neben großer und kleiner<br />
Trommel, die neuerdings Bass Drum und<br />
Snare Drum hießen. Pauls ganzer Stolz, ein<br />
Becken von der Firma Paiste, hieß jetzt Ride<br />
Cymbal und hatte statt fünfzig Zentimetern<br />
Durchmesser auf einmal achtzehn englische<br />
Zoll, was dasselbe war und nichts an dem<br />
unbefriedigend dünnen Klang änderte. Paul<br />
kniff ein Stück von der Kette der häuslichen<br />
Klospülung ab und hängte es über das<br />
Becken, um seinen Sound mit dem stetigen<br />
Zischeln von Metall auf Metall zu füllen.<br />
Sein Vater wunderte sich, wieso er den<br />
Porzellangriff nicht mehr erreichte, wenn<br />
er auf dem Topf saß. „Vielleicht bist du<br />
geschrumpft“, sagte Paul, worauf der Alte<br />
ihm Ohrfeigen androhte.<br />
Leo Fender hatte gerade die elektrische<br />
Gitarre erfunden und Les Paul machte sie<br />
populär - allerdings auf einer Gibson. Mit<br />
seiner Partnerin Mary Ford hatte er zwei<br />
Hits: How High the Moon und The World Is<br />
Waiting for the Sunrise. Damit Egon Staal,<br />
der Gitarrist der Cocktail Combo, diese<br />
Stücke spielen konnte, schraubte Hotdog<br />
Haller, Klavierspieler und Elektro-Bastler,<br />
einen Tonabnehmer an Egons Gitarre.<br />
Als Verstärker benutzten sie das Radio<br />
von Egons Eltern (Marke Saba, Modell<br />
Schwarzwald), das Hotdog umgelötet hatte.<br />
Das klang wie Mülltonne ganz unten.<br />
Hotdog elektrifi zierte auch sein asthmatisches<br />
Akkordeon. Ein dicker Kabelstrang<br />
quoll daraus hervor, der zu einem schwarz<br />
lackierten Holzkoffer führte. Darin befand<br />
sich ein Elektronik-Bausatz, der aus der<br />
Quetschkommode eine Orgel machte.<br />
Früher hatte Pauls Mutter alle paar<br />
Wochen gesagt: „Du siehst ja verboten aus“,<br />
hatte ihm fünfundsechzig Pfennig in die<br />
Hand gezählt und ihn zu Meister Eberhard<br />
geschickt, dessen vernickeltes Seifenbecken<br />
über der Ladentür quietschend im Wind<br />
schaukelte. Neuerdings war es eine ernst zu<br />
nehmende Beschäftigung, sich die Haare<br />
wachsen zu lassen, wo doch ein Jazzer, der<br />
was auf sich hielt, die Haare kurz geschoren<br />
trug wie ein amerikanischer Soldat. Es<br />
schien eine englische Haarkrankheit zu sein,<br />
die epidemisch um sich griff. Nicht nur die<br />
Frisuren änderten sich. Bob Dylan sang:<br />
The times they are a-changin’. Manches wurde<br />
besser, vieles lustiger, das meiste nur bunter.<br />
Die musikalische Gleichschaltung hatte<br />
begonnen. Was war die Nazi-Propaganda<br />
schon gegen das, was jetzt abging – und<br />
zwar weltweit. In den Tonstudios wurde<br />
der Herzschlag der Generation mit einem<br />
elektronischen Schrittmacher versehen. Es<br />
dauerte nicht lange, bis die Musikindustrie<br />
nicht nur Instrumente produzierte, sondern<br />
auch die Musiker, die sie spielten.<br />
Die Cocktail Combo war eine beliebte<br />
Showband, die sich um Engagements keine<br />
Sorgen zu machen brauchte. Bis dahin hatte<br />
es keinen Grund gegeben, am Konzept<br />
der Cocktail Combo etwas zu ändern,<br />
sie machten da weiter, wo Tanz- und<br />
Unterhaltungskapellen vor dem zweiten<br />
Weltkrieg angefangen hatten. Eben hatten<br />
sie noch den Saal der Concordia mit Ice<br />
Cream zum Toben gebracht – plötzlich<br />
fragten die Leute nach Stücken wie Roll<br />
over Beethoven und Satisfaction. Es war noch<br />
gar nicht so lange her, da hatte Paul in der<br />
Lichtburg, dem ehrwürdigen Kino, Gary<br />
Cooper in Zwölf Uhr mittags gesehen, jetzt<br />
standen dort junge Männer auf der Bühne<br />
und schwangen elektrische Gitarren wie<br />
Penis-Attrappen. Hinter ihnen türmten<br />
sich drohend schwarze Lautsprecherboxen,<br />
die mit unbarmherziger Grausamkeit die<br />
Botschaft des elektronischen Zeitalters<br />
verkündeten: All you need is love. Dagegen<br />
war Egon mit seiner umgefi ckten Klampfe<br />
und dem erbärmlichen Radio als Verstärker<br />
eine Lachnummer.<br />
In der westlichen Welt probten Studenten<br />
die Weltrevolution, passend dazu war die aufblasbare<br />
Musik erfunden worden und Pauls<br />
Haare wucherten endgültig über die Ohren.<br />
Boxer Nelken, der Bassist der Cocktail Combo,<br />
lieh sich den Opel Rekord von seinem<br />
Vater und Dölfi , Egon, Hotdog und Paul<br />
quetschten sich hinein. Paul nahm Boxers<br />
Schwester Astrid auf den Schoß, die scharf<br />
auf ihn war und eine Karriere als Sängerin<br />
anstrebte. So fuhren sie auf Rockkonzerte,<br />
wo Paul fasziniert zuschaute, wie schwitzende<br />
Trommelknaben mit nackten Oberkörpern<br />
und langen Haaren unter bunten Scheinwerfern<br />
einen auf wild machten und mit fl inken<br />
Füßen auf zwei Basstrommeln vertrackte<br />
Akzente spielten. Bei der Anzahl der Trommeln<br />
und Becken schien es nach oben keine<br />
Grenze zu geben. Zu Hause betrachtete Paul<br />
missmutig sein Schlagzeug der Marke Tromsa<br />
mit drei Trommeln, dessen einziger Vorteil<br />
war, dass er es mit seinem Moped transportieren<br />
konnte.<br />
Dölfi zerbrach sich den Kopf, ob Saxofon<br />
noch das richtige Instrument wäre, um das
neue Lebensgefühl auszudrücken, das die<br />
Jugend der sechziger Jahre durchdrang bis in<br />
die Socken. Und ob sie die Cocktail Combo<br />
in The Cocks umbenennen sollten. An die<br />
Charlie-Parker-Gedächtnis-Combo dachte er<br />
nicht mehr. So war Pauls einzige musikalische<br />
Alternative zur Tanzmusik ein Trio mit dem<br />
Posaunisten Hans Notenbast und Boxer<br />
Nelken am Bass. Sie spielten Freejazz in zugigen<br />
Fabrikhallen bei Ausstellungseröffnungen<br />
von Fluxus-Künstlern, die gebrauchte<br />
Kondome und rostige Gabeln in ihre Werke<br />
einarbeiteten. Erstaunlicherweise gab es ein<br />
Publikum von Gegeninteressierten, das auf<br />
Freejazz stand. Leider verdienten sie damit<br />
nicht das Ketchup auf den Nudeln. Und die<br />
altmodische Tanzmusik der Cocktail Combo<br />
war auch nicht mehr angesagt. Operetten,<br />
deutsche Schlager, Tango, Dixieland und die<br />
Keuschheit vor der Ehe waren verkeimt wie<br />
Kartoffeln aus dem Vorjahr. Innerhalb von<br />
ein oder zwei Jahren war es mit den Tanzlokalen<br />
vorbei. Die Landgaststätten, wo sie<br />
gut verdient hatten, schlossen eine nach der<br />
anderen. Getanzt wurde nun in Diskotheken,<br />
die Pferdestall, Route 66 oder Starclub hießen,<br />
und die Musik kam von Schallplatten.<br />
Tanzen war zu einer Übung mutiert, bei der<br />
Frauen und Männer einander gegenüberstanden<br />
und gymnastische Bewegungen machten,<br />
die aussahen wie eine Nummer im Stehen.<br />
Als Paul im Frühjahr fünfundsechzig fi nanziell<br />
das Wasser bis zum Hals stand, arbeitete<br />
er als Fahrer für eine Großküche. Das war der<br />
untere Totpunkt. Er war zweiundzwanzig,<br />
musikalisch völlig daneben, aber von Noten<br />
wollte er immer noch nichts wissen.<br />
Eines späten Abends saßen Paul, Dölfi<br />
und Notenbast in der Küche und tranken<br />
Rotwein. Dölfi verkündete gerade seinen<br />
neuesten Plan, Rock’n’Roll und Jazz in einer<br />
Band zu vereinigen, als es klopfte. Herein kamen<br />
Boxer und seine Schwester Astrid. Boxer<br />
tat sehr geheimnisvoll. Paul musste die Tür<br />
abschließen und Kerzen anzünden. Volunteered<br />
Slavery von Roland Kirk wurde aufgelegt,<br />
dann holte Boxer aus seiner Teppichtasche<br />
ein Päckchen Tabak, Blättchen und einen<br />
braunen Klumpen, der aussah wie ein Maggi-<br />
Würfel. „Ist das Rauschgift?“, fragte Paul<br />
ehrfürchtig. Boxer nickte knapp, klebte drei<br />
Blättchen zusammen, schichtete Tabak darauf<br />
und bröselte etwas von dem braunen Zeug<br />
darüber. Dann formte er eine tütenförmige<br />
Zigarette mit einem Mundstück aus einem<br />
Pappröllchen. „Das ist ein Joint“, sagte er<br />
und zeigte ihnen, wie man ihn rauchte. In<br />
den nächsten Wochen probierten es alle mal<br />
aus. Paul fand, es regte seine Fantasie an. Notenbast<br />
machte sich nichts draus, er blieb bei<br />
Alkohol. Dölfi merkte erst nichts und als er<br />
dann doch was merkte, bekam er schreckliche<br />
Angst und versuchte es nie wieder. Astrid zog<br />
gelegentlich an einem Joint, ihr bedeutete es<br />
nicht viel. Boxer war derjenige, dessen Entwicklung<br />
vom Haschisch am nachhaltigsten<br />
beeinfl usst wurde. Ob er sein Jurastudium<br />
beendet und die Anwaltskanzlei seines Vaters<br />
fortgeführt hätte, wenn er nicht von dem<br />
Zeug abhängig geworden wäre – wer weiß<br />
das schon? Er hatte Phasen, da wollte er clean<br />
werden und versuchte es mit Meditation.<br />
Als das nicht funktionierte, ging er auf den<br />
Jesus-Trip, mit meditativem Gebet und so<br />
weiter. Eine Woche hielt er durch, dann fi ng<br />
er wieder an zu kiffen. Das war der erweiterte<br />
Jesus-Trip. „Besser ’n bekiffter Bassist als ’n<br />
besoffener Verteidiger“, sagte er. Wem das<br />
nicht passte, dem erklärte er: „Ohne Drogen<br />
gäbe es keinen Jazz und Rock’n’Roll schon<br />
gar nicht, ich denk mal, es gäbe überhaupt<br />
keine Musik.“<br />
Es konnte nicht ausbleiben, dass sich Widerstand<br />
gegen den Rock’n’Roll regte. Vertreter<br />
verschiedener Glaubensrichtungen nannten<br />
ihn eine Musik des Teufels. Bekanntlich<br />
hat der Teufel eine Vorliebe für heiße Musik,<br />
insofern lagen die Moralapostel nicht völlig<br />
daneben. Ob es nun mit dem Teufel zuging<br />
oder nicht - die Cocktail Combo hatte keine<br />
Jobs mehr. Von heute auf morgen waren die<br />
Musiker der Cocktail Combo arbeitslos. „Wir<br />
müssen aufpassen, dass es uns nicht so geht<br />
wie den Sauriern und wir aussterben“, sagte<br />
Dölfi . Aber da war es schon zu spät.<br />
Dietrich Rauschtenberger<br />
www.rauschtenberger.com<br />
www.occhio.de<br />
Frank Marschang e.K., Karlstrasse 37, 42105 Wuppertal<br />
Tel 0202-24 43 440, www.lichtbogen-wuppertal.de<br />
Di – Fr 10 –18 Uhr und 14 –18.30 Uhr, Sa 11–16 Uhr<br />
63
64<br />
Ein unglaubliches Buch,<br />
das der österreichische Jurist Alfons Dür<br />
geschrieben hat.<br />
Vor allen Dingen eine Geschichte,<br />
die ohne sein beharrliches und sich über<br />
Jahre erstreckendes Wühlen in Archiven<br />
sowie ohne hartnäckiges Korrespondieren<br />
mit Behörden, Überlebenden des Naziterrors<br />
und anderen Historikern nie<br />
zustande gekommen wäre.<br />
Das Verhängnis begann in Wuppertal<br />
Das Verhängnis begann an der damaligen<br />
Adolf-Hitler-Allee: Vor der Wuppertaler<br />
Gestapo gab die mit einem „Arier“ verheiratete<br />
Jüdin Helene Krebs bei Verhören<br />
am 7. und 15. September 1942 zu, ihrer<br />
Cousine Edith Meyer für einige Tage<br />
Unterschlupf gewährt zu haben. Helene<br />
und Paul Krebs waren von einer Nachbarin<br />
denunziert worden, die wohl auf diese<br />
Weise hoffte, günstig an die Aussteuer<br />
Edith Meyers zu gelangen.<br />
Als sich Ende September 1942 herausstellt,<br />
dass die Solingerin Helene Krebs<br />
im dritten oder vierten Monat schwanger<br />
ist, gibt die Außenstelle Wuppertal der<br />
Geheimen Staatspolizei zu bedenken,<br />
dass die „vorgesehene Inschutznahme<br />
und Überweisung in ein Konzentrationslager“<br />
aus diesem Grund „nicht erfolgen“<br />
könne. Vergeblich: Die vorgesetzte<br />
Leitstelle in Düsseldorf wendet sich<br />
schriftlich an das „Judenreferat“ im<br />
Berliner Reichssicherheitshauptamt, das<br />
entscheidet, dass Helene Krebs in das<br />
„KL Auschwitz, Frauenabteilung“ zu<br />
überführen sei. Dort fi ndet sie Anfang<br />
Januar 1943 den Tod.<br />
Die Geschichte um das Ehepaar Krebs<br />
und um die Hauptpersonen Edith Meyer<br />
und Heinrich Heinen hat der Vorarlberger<br />
Ex-Landesgerichtspräsident Alfons<br />
Dür in seiner Dienstzeit und, mehr noch,<br />
nach seiner Pensionierung ans Tageslicht<br />
gebracht. Vor einigen Tagen hat er
sein Buch in der Begegnungsstätte Alte<br />
Synagoge vorgestellt. Es trägt den Titel<br />
„Unerhörter Mut – Eine Liebe in der Zeit<br />
des Rassenwahns“.<br />
Eine unglaubliche Story: Der 20-jährige<br />
Kölner Heinrich Heinen lernt 1940 die<br />
gleichaltrige Edith Meyer kennen und lieben.<br />
Er schafft zu Ostern 1942 das schier<br />
Unmögliche und befreit seine mittlerweile<br />
deportierte Freundin unter wohl für ewig<br />
ungeklärten Umständen aus dem Ghetto<br />
von Riga. Anschließend reisen die beiden<br />
rund 3.000 Kilometer unentdeckt – illegal<br />
– durch Deutschland bis nach Feldkirch,<br />
um von diesem bis zum „Anschluss“ 1938<br />
österreichischen Ort in die Schweiz zu<br />
fl iehen. Die Flucht scheitert. Aus dem<br />
Gefängnis von Feldkirch bricht Heinen<br />
mit Mithäftlingen aus und versucht noch,<br />
dabei seine große Liebe zu befreien, die<br />
jedoch kurz zuvor den Gang ins Konzentrationslager<br />
Auschwitz angetreten hat, wo<br />
sie auch umkommt. Auch Heinen wird<br />
gefasst und „auf der Flucht erschossen“.<br />
Das Buch ist im Haymon-Verlag (Innsbruck/Wien)<br />
erschienen und im hiesigen<br />
Buchhandel für 19,90 Euro zu erwerben.<br />
Von einer „außergewöhnlichen Veröffentlichung“<br />
sprach bei der Lesung in<br />
der Begegnungsstätte deren Leiterin, Dr.<br />
Ulrike Schrader: „Die Geschichte über<br />
das Liebespaar Heinrich Heinen und<br />
The art of tool making<br />
Edith Meyer, aber auch über den Kampf<br />
von Paul Krebs um seine schwangere, im<br />
Wuppertaler Polizeipräsidium einsitzende<br />
Frau Helene ist unendlich traurig.<br />
Aber zugleich zeigt sie Menschen, die<br />
in dem aussichtlosen Kampf um ihre<br />
Liebe nicht aufgeben wollen und dafür<br />
bis zum Letzten gehen.“ Das sei „ein<br />
packender, tragischer Filmstoff, und dazu<br />
das Drehbuch zu schreiben, vielleicht mit<br />
einer Wuppertaler Schulklasse, wäre eine<br />
sinnvolle Herausforderung“.<br />
Herausgefordert fühlte sich auch Dür, als<br />
ihn 1997 eine erste Anfrage des Landenfelder<br />
Historikers Günter Schmitz erreichte,<br />
ob es am Landesgericht Feldkirch<br />
Unterlagen über die versuchte Flucht von<br />
Edith Meyer und Heinrich Heinen gebe.<br />
Wenig später meldete sich ein weiterer<br />
Geschichtsforscher, Holger Berschel,<br />
mit einem ähnlichen Anliegen. Im Jahre<br />
2005 stieß Dür dann bei Recherchen für<br />
eine Jubiläumsschrift des Landesgerichts<br />
auf erste Unterlagen, drei Jahre später<br />
auf weitere Dokumente. Mit dem Buch<br />
versucht er nach eigenem Bekunden<br />
aufzuzeigen, „welch großes Leid die<br />
nationalsozialistische Rassenpolitik über<br />
Tausende von Menschen brachte, und<br />
wie schwierig es in jener verhängnisvollen<br />
Zeit war, dem Herrschaftsapparat des<br />
Nationalsozialismus zu entfl iehen“.<br />
Das „vorrangigste Ziel“ der Veröffentlichung<br />
bestehe darin, „die bedrückende<br />
und berührende Geschichte von Heinrich<br />
Hansen und Edith Meyer in das Gedächtnis<br />
der Gegenwart zurückzuholen und<br />
das Schicksal dieses Liebespaares vor dem<br />
Vergessen zu bewahren“.<br />
Zahlreiche Fotos und Dokumente hat<br />
Dür in sein Buch hineingenommen. An<br />
geeigneter Stelle nimmt er Bezug auf die<br />
weitverzweigte NS-Forschung und auf<br />
Zeitzeugenberichte wie diejenigen von<br />
Victor Klemperer.<br />
Und: Der Autor schreibt auf eine sehr<br />
anschauliche Art. Dem Buch ist die größtmögliche<br />
Verbreitung nicht zuletzt im<br />
Bergischen Land zu wünschen.<br />
Matthias Dohmen<br />
Foto: Dohmen<br />
www.zeit.de/2012/10/Oe-Duer<br />
65
66<br />
Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />
Vorgestellt von Matthias Dohmen<br />
Bilder der Beatles, der Rolling Stones und<br />
von Twiggy leiten das Buch „Swinging London“<br />
von Rainer Metzger ein. Sowohl der<br />
Frau ohne Busen als auch den Rollenden<br />
Steinen und den Pilzköpfen begegnen wir<br />
in dem mit 342 Abbildungen versehenen<br />
Werk noch öfter, aber auch dem Musical<br />
„Hair“, den Bond-Filmen, dem Streifen<br />
„Blow-Up“, Jimy Hendrix, dem Minirock,<br />
für den demonstriert wurde, dem EM-<br />
Fußballfi nale 1966 und Christine Keeler,<br />
die zu kennen einen britischen Verteidigungsminister<br />
sein Amt kostete. Auch die<br />
großen Aktionen der Friedensbewegung fi<br />
nden in Text und Bild ihren Niederschlag.<br />
Ein grandioses Werk, das Personen und<br />
Vorgänge wieder lebendig werden lässt, die<br />
einem gut, weniger gut oder auch schon gar<br />
nicht mehr in Erinnerung waren. Verdienstvoll:<br />
ein Personenregister und auf zehn<br />
Seiten rund 160 Kurzbiographien etwa von<br />
Ursula Andress und Michelangelo Antonioni,<br />
Samuel Beckett und Petula Clark,<br />
Sean Connery und Aldous Huxley, Stanley<br />
Kubrick und Doris Lessing, Yoko Ono und<br />
John Osborne, Vanessa Redgrave und Peter<br />
Sellars oder der Musikgruppen The Kinks,<br />
Pink Floyd, The Shadows und The Who<br />
sowie der Comedy-Truppe Monty Python.<br />
Christian Brandstätter, Swinging London.<br />
Kunst & Kultur in der Weltstadt der 60er<br />
Jahre, München: Deutscher Taschenbuchverlag<br />
2011 (= dtv, Bd. 34714). 368 S., 29,90 Euro<br />
Im Osten „westlich sozialisiert zu werden“,<br />
„jedoch ohne die sich im Westen<br />
etablierende Vorstellungen von der Integration<br />
in die noch zu schaffende Demokratie<br />
kritiklos zu akzeptieren, so etwas<br />
ging damals wohl nur in und um Berlin“.<br />
Das schreibt die prominente Historikerin<br />
Helga Grebing in ihren sehr persönlich<br />
gehaltenen Erinnerungen, die unter dem<br />
Titel „Freiheit, die ich meinte“ erschienen<br />
sind, über die unmittelbare Nachkriegszeit.<br />
Das Arbeiterkind kokettiert mit<br />
der CDU, verehrt zeitweise den streng<br />
marxistischen Geschichtswissenschaftler<br />
Alfred Meusel, überwirft sich aber mit<br />
der SED und geht mit einem sozialdemokratischen<br />
Parteibuch von der östlichen<br />
Humboldt- an die westliche Freie Universität.Sie<br />
hat in allen Phasen ihres Lebens<br />
ihren eigenen Kopf bewahrt. Grebing<br />
hat sie noch alle kennengelernt und bei<br />
ihnen gehört: Fritz Rörig, Fritz Hartung,<br />
Ernst Niekisch und Hans Rosenberg.<br />
Im Schmelztiegel der alten gedrittelten<br />
und später geviertelten Reichshauptstadt<br />
trifft sie auch auf Gerhard A. Ritter. Für<br />
weitere Aufl agen, die Prof. Dr. Grebing<br />
und dem Verlag unbedingt zu gönnen<br />
sind, wünscht sich der Rezensent ein<br />
Personenregister.<br />
Helga Grebing, Freiheit, die ich meinte.<br />
Erinnerungen an Berlin, Berlin: vbb 2012,<br />
176 S., 19,95 Euro<br />
Pars pro toto: Was im Regierungsbezirk<br />
Münster den Verfolgten des Naziregimes<br />
nach der Befreiung angetan wurde (ein<br />
2001 in zweiter Aufl age erschienenes Buch<br />
spricht im Untertitel vom „Kleinkrieg<br />
gegen die Opfer“), geschah sehr vielen Antifaschisten.<br />
„Bürokratische Bewältigung“<br />
heißt denn auch zutreffend die Studie von<br />
Julia Volmer-Neumann. Sozialdemokraten,<br />
Kommunisten, CDU-Leute, Katholiken<br />
und Juden umfassten die ersten<br />
Zusammenschlüsse etwa im Rahmen<br />
des Landesvorstands der nordrheinwestfälischen<br />
VVN (S. 106 f.), bevor es im<br />
Kalten Krieg zu Konkurrenzgründungen<br />
und letztlich zu einer „Fragmentierung<br />
der Interessenvertretung der Verfolgten“<br />
(S. 111) kam. Diagramme und zahlreiche<br />
Abbildungen führen zu großer Anschaulichkeit,<br />
etwa bei der Wiedergabe einer<br />
Karikatur unter der Überschrift „Mensch,<br />
ärgere dich nicht über die Wiedergutmachung“.<br />
Fazit der Autorin: Die NRW– wie<br />
die bundesdeutsche Entschädigung war<br />
„angesichts des quantitativen und qualitativen<br />
Ausmaßes der nationalsozialistischen<br />
Verfolgungstaten unzureichend und<br />
unangemessen“(S. 477).<br />
Julia Volmer-Naumann, Bürokratische<br />
Bewältigung. Entschädigung für nationalsozialistisch<br />
Verfolgte im Regierungsbezirk<br />
Münster, Essen: Klartext 2012 (= Villa ten<br />
Hompel, Bd. 10), 507 S., 42,00 Euro
Neue Kunstbücher<br />
Zur Sprache der Architektur<br />
vorgestellt von Thomas Hirsch<br />
Mit der Architektur ist es so eine Sache.<br />
Einerseits ist sie funktional bestimmt,<br />
andererseits folgt sie der ästhetischen<br />
Handschrift zwischen Pragmatismus und<br />
Vision: Die Disziplin Architektur nimmt<br />
einen leicht ungeklärten Status innerhalb<br />
der Künste ein, zu denen sie zweifelsohne<br />
gehört. Bereits Giorgio Vasari hat sie in<br />
seine Beschreibungen aufgenommen. Die<br />
Zuordnung zur Kunst bestätigen Doppelbegabungen<br />
wie Brunelleschi oder Richard<br />
Buckminster Fuller. Eine weitere Dimension<br />
der Wertschätzung ist in der jüngsten<br />
Zeit hinzugekommen, mit der Defi nition<br />
als Stararchitekt. Aber was ist das: Ein<br />
Architekt, der in Zeiten, in denen die<br />
Umrundung der Erde ein Katzensprung<br />
ist, global Zeichen setzt? Der mit seinen<br />
Entwürfen das innerstädtische Bild prägt<br />
und zu dessen Attraktivität beiträgt? Gut<br />
für den Tourismus sind Gebäude von Gaudí<br />
und Friedensreich Hundertwasser und<br />
Frank Gehry. Dabei partizipieren Baumeister<br />
an Kunststilen und prägen ihrerseits<br />
diese mit. Einzelne Architekten entwerfen<br />
aber auch Gebäude, die sich nicht (auf<br />
Dauer) realisieren lassen, also ein hohes<br />
Maß künstlerischer Konzeption tragen.<br />
Folglich ist die Kenntnis von Architektur<br />
Teil des Grundwissens zur aktuellen<br />
Kunst. Neben den kunsthistorischen<br />
Owen Hopkins, Architektur. Das Bildwörterbuch,<br />
175 S., durchgehend bebildert, Klappenbroschur,<br />
27 x 21 cm, DVA, 29,99 Euro<br />
Standardwerken erweist sich dabei ein<br />
neu erschienenes Buch im dtv-Verlag als<br />
hilfreich. Architektur. Das Bildwörterbuch<br />
des britischen Architekturhistorikers<br />
Owen Hopkins ist knapp, verständlich<br />
und anschaulich. Anhand von Risszeichnungen<br />
und beschrifteten Detailaufnahmen<br />
von Bauelementen werden die<br />
Begriffe der Verständigung geklärt und im<br />
Glossar ein wenig vertieft. Gut sind die<br />
Bildbeispiele, die von der Antike bis in unsere<br />
Gegenwart reichen, wobei es sich aber<br />
lediglich um westliche Sakral-, Repräsentations-<br />
und Profanbauten handelt. Und<br />
man darf nicht zu viel an Hintergrundinformationen<br />
erwarten – es geht ums<br />
Grundsätzliche, da leistet das Buch von<br />
Hopkins ganze Arbeit.<br />
Deutsches Architekturmuseum (Hg.), dt./engl.<br />
Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch,<br />
Kleine Utopie, 360 S., durchgehend bebildert,<br />
Hardcover mit Schutzumschlag, 30,5 x<br />
23 cm, Scheidegger & Spiess, 65,- Euro<br />
Ein weiteres Überblicks-Buch auf dem<br />
Feld der Architektur ist mit seinem<br />
Erscheinen bereits ein Standardwerk. Das<br />
Architekturmodell, herausgegeben zu<br />
einer Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum<br />
in Frankfurt/M., widmet sich<br />
dieser kleindimensionierten plastischen<br />
Darstellung zwischen beiläufi ger Skizze<br />
und differenzierter Ausformulierung,<br />
sei es als Klärung für das eigene Büro<br />
oder als attraktive Veranschaulichung<br />
im Wettbewerb und für den Bauherren.<br />
Zur Notwendigkeit dieses Buches muss<br />
man wissen, dass das Architekturmo-<br />
dell (ähnlich der Architekturfotografi e)<br />
lange nicht besonders beachtet wurde: Es<br />
besaß temporäre dienende Relevanz. Das<br />
Buch, das sich auf die letzten hundert<br />
Jahre konzentriert, trägt den verschiedenen<br />
Ausformulierungen Rechnung,<br />
es differenziert sehr fein, thematisiert<br />
das utopische Potenzial und spricht das<br />
Verhältnis von Entwurf und Umsetzung<br />
an, indem es Ansichten der fertigen Gebäude<br />
integriert. Wahrscheinlich wurde<br />
keines der wichtigen zeitgenössischen<br />
Architekturbüros vergessen. Das Verdienst<br />
dieses monumentalen Buches ist zugleich<br />
sein Fluch: Es ist eine Pioniertat, aber im<br />
strengen Aufl isten ist es des Guten zu viel.<br />
Und auch wenn Scheidegger & Spiess<br />
zu den besten Verlagen für Kunst gehört,<br />
hier bleibt der sinnliche Reiz auf der<br />
Strecke. Vielleicht aber ist das bei dieser<br />
Art Lexikon zu viel verlangt.<br />
Eine wieder andere Annäherung an<br />
Architektur demonstriert das Buch<br />
The Watermill Center, erschienen im<br />
ambitionierten DACO Verlag. Es widmet<br />
sich nur einem Gebäude und vor allem<br />
seinem Innenleben. Anlässlich des 70.<br />
Geburtstags von Robert Wilson und des<br />
20. Gründungstages des Watermill Centers<br />
– das der weltberühmte Bühnenregisseur,<br />
der über Jerome Robbins hierher<br />
kam, auf Long Island realisiert hat – ist<br />
diese Dokumentation mit einer Menge<br />
an Texten und Fotos zugleich als eine<br />
J. E. Macián u.a. , The Watermill Center –<br />
Robert Wilson‘s Legacy, engl., 360 S. mit ca.<br />
470 üwg. farb. Abb., Leinen mit Schutzumschlag,<br />
28,5 x 24,5 cm, DACO, 78,- Euro<br />
67
68<br />
Art Festschrift für Wilson erschienen.<br />
Dabei ist das Buch wie das Watermill<br />
Center wohl sein wird: Es ist monumental,<br />
von einer pulsierenden Unruhe,<br />
eine komplexe Sache mit verschiedenen<br />
Abteilungen. The Watermill Center ist<br />
nicht der verwunschene Rückzugsort für<br />
Künstler oder eingeschworene Compagnien,<br />
sondern mehr eine geradlinige<br />
Elite-Uni heutigen Zuschnitts. Und alle<br />
waren schon da, die Pop-Musiker, die<br />
Künstler, all das wird hier gezeigt, auch<br />
die Kunstsammlung, die in den cleanen<br />
Funktionshallen leicht deplatziert wirkt.<br />
Das also soll die Zukunft und das Erbe<br />
von Robert Wilson sein, diesem großen<br />
Bühnen-Magier und Grenzgänger zwischen<br />
Bildender Kunst und Oper? Am<br />
solide gemachten Buch liegt es nicht.<br />
Aber je öfter Wilson selbst abgebildet<br />
ist, desto unpräziser wird seine Kontur.<br />
Die Architektur wird dabei zur funktionstüchtigen<br />
Hülle. Eines erkennen wir<br />
am Ende: Die Kunst von Robert Wilson<br />
fi ndet woanders statt.<br />
Doch zurück zur Architektur als Architektur.<br />
Zu den aktuell wichtigen Baumeistern<br />
aus der weiten Welt gehört der<br />
Portugiese Eduardo Souto de Moura,<br />
der bei Álvaro Siza und Aldo Rossi<br />
gelernt und selbst 2011 den Pritzker-Preis<br />
erhalten hat, das ist eine Art Nobelpreis<br />
für Architekten. Souto de Moura lässt die<br />
Fassaden kippen und verwirklicht dies bei<br />
unterschiedlichen Funktionstypen, dies<br />
reicht von Fabrikanlagen bis zu Fußballstadien.<br />
Ein angenehm handliches Buch<br />
stellt nun Souto de Mouras Baukunst auf<br />
relativ indirekte Weise vor. Es zeigt sein<br />
Archiv- und Bildermaterial, das an die<br />
Wand gepinnt ist, seien es Postkarten,<br />
Zeitungsschnipsel mit Bewegungsstudien,<br />
Fotos von Kunstwerken oder die<br />
eigenen Skizzen: Das ist der Kosmos, aus<br />
dem heraus er seine Architektur gewinnt.<br />
Leider sind die profunden, das Buch<br />
noch strukturierenden Texte lediglich<br />
in Englisch, aber Lars Müller Publishers<br />
versteht sich als internationaler Verlag mit<br />
einem theoriebestimmten Schwerpunkt<br />
auf Architektur. Und wenn man sich in<br />
das Buch zu Souto de Moura eindenkt,<br />
kommt man sehr auf seine Kosten.<br />
Immer wieder sind seine Bauten selbst<br />
zu sehen. Zugleich entstehen aus den<br />
Floating Images – Eduardo Souto de<br />
Moura‘s Wall Atlas, engl., 160 S. mit 202<br />
üwg. farb. Abb., Hardcover, 21,5 x 15 cm,<br />
Lars Müller Publishers, 38,- Euro<br />
Gegenüberstellungen aus unterschiedlichen<br />
visuellen Bereichen Typologien, die<br />
Grundsätzliches zu Fragen des Bauens<br />
mitteilen. Was wir hier sehen, ist ein<br />
Kompendium möglicher Bauformen im<br />
Kontext eines Architekten: ein intellektuelles<br />
Vergnügen.<br />
Ähnlich komplex ist das Buch Imagining<br />
the House des chinesischen Architekten<br />
Wang Shu. Auch er ist ein hochdeko-<br />
Wang Shu – Imagining the House, engl.<br />
168 S. mit 83 s/w Abb., Softcover mit<br />
japanischer Bindung, 29,5 x 24 cm, Lars<br />
Müller Publishers, 50,- Euro<br />
rierter Baumeister, auch er wurde mit<br />
dem Pritzker-Preis ausgezeichnet. Seine<br />
Sache sind einfache Bauten mit teils<br />
wiederverwendeten Materialien. Die<br />
fadengebundene Publikation setzt aber<br />
davor an; sie zeigt, wie Denken in der<br />
Architektur abläuft. Die erste Feststellung<br />
beim Blättern: Weiße Seiten. Diese<br />
müssen geöffnet werden. Dann sieht man<br />
handschriftliche Zeichnungen in unterschiedlichen<br />
Baustadien und Perspektiven,<br />
eingeleitet jeweils durch eine knappe<br />
Werkbeschreibung und einige Fotografi -<br />
en. Vorgestellt werden sechs Bauprojekte<br />
(die noch nicht alle realisiert sind), und<br />
deutlich wird, wie Wang Shu vorgeht,<br />
wie wichtig ihm der Ort selbst ist und<br />
wie er von diesem und seiner Umgebung<br />
ausgehend zu seinen Bauten fi ndet. Und<br />
hat man sich in die Zeichnungen eingesehen,<br />
dann werden auch die Gebäude<br />
selbst vorstellbar. Das Verdienst dieses<br />
Buches ist die direkte Sinnlichkeit in der<br />
Enthaltsamkeit. Architektur hat immer<br />
auch mit Partizipation zu tun.
Terra incognita – Bosnien<br />
„Mert, ein Deutschtürke im Abseits“.<br />
Von Safeta Obhodjas.<br />
1992 verließ Safeta Obhodjas ihre Heimat<br />
Bosnien, weil sie dort als Autorin nicht<br />
erwünscht war. In Wuppertal, ihrem neuen<br />
Zuhause, hat sie in den letzten Jahren ein<br />
neues Thema gefunden: die Probleme der<br />
Jugendlichen mit Migrationshintergrund.<br />
Nach einer Reihe von Büchern, die sich mit<br />
den Erfahrungen islamischer Frauen auseinander<br />
setzten, mit dem Leben in Bosnien vor<br />
und nach dem Krieg, gibt es im Leben von<br />
Safeta Obhodjas einen neuen Schwerpunkt:<br />
die Arbeit mit Jugendlichen. Sie geht an die<br />
Schulen, um aus ihren Werken zu lesen, sie<br />
bietet Workshops an, in denen gezielt Themen<br />
diskutiert werden, die den Jugendlichen<br />
unterschiedlichster Herkunft an die Nieren<br />
gehen: Integration, Mobbing oder auch der<br />
Druck der Tradition, der auf Kindern aus<br />
Einwandererfamilien lastet.<br />
Voll Stolz erzählt sie: „Letzten Sommer<br />
entstand in einem Workshop aus einer<br />
meiner Geschichten das Theaterstück ,Die<br />
Wahrheit hat kurze Beine‘. Es handelt von<br />
zwei Familien, die nach Deutschland gekommen<br />
sind. Während aber die eine Familie gut<br />
integriert ist – die Frau hat eine Arbeit als<br />
Apothekerin, und ihr Mann hat auch einen<br />
guten Job – hat die andere Familie, die der<br />
Schwester der Apothekerin, diesen Schritt<br />
nicht getan und ist in ihrem traditionellen<br />
Ghetto hängen geblieben“ Das Stück wurde<br />
beim Jungen Theaterfestival Wuppertal<br />
gezeigt und ist sehr gut angekommen.<br />
Deutschtürken im Abseits<br />
Auch die Grundlagen zu ihrem jüngsten<br />
Roman „Mert, ein Deutschtürke im Abseits“<br />
entstammen der Arbeit mit Jugendlichen,<br />
wobei Sport, Fairness im Sport und die Rolle<br />
des Sports in der Integration ein wichtiges<br />
Thema sind. „Einmal“, so erzählt sie im Interview,<br />
„hatte ich in Duisburg eine Lesung.<br />
Per Zufall fi elen mir zwei Tickets zu einem<br />
Fußballturnier in die Hand. Veranstalter war<br />
ein deutschtürkischer Verein. Ich konnte gar<br />
nicht glauben, was ich da lesen musste. Auf<br />
dem gelben Zettel stand Frauen, Behinderte,<br />
Kinder und ich glaube auch Jugendliche<br />
6 Euro, auf dem anderen Ticket stand<br />
nur ,Erwachsene‘. Ich habe mich furchtbar<br />
aufgeregt, aber keiner hat den Grund<br />
verstanden. Und dann hab ich überlegt, was<br />
passiert, wenn eine Frau gegen so ein Ticket<br />
protestiert und sagt, das geht nicht so. Das<br />
war der Grundanstoß, ,Mert‘ zu schreiben.“<br />
Noch eine andere Überlegung war für sie<br />
ausschlaggebend: „Es gibt so viele Bücher<br />
zum Thema Betroffenheit der Frauen in<br />
Familie und Tradition. Aber niemand spricht<br />
von Jungs, was die erleben, wenn sie unter<br />
Druck gesetzt werden, wenn sie eine Frau<br />
heiraten sollen, die sie gar nicht kennen, oder<br />
wenn man sie zwingt, die Schule zu verlassen.<br />
Damit ist die Entscheidung gefallen: Ich<br />
schreibe ein Buch über die Probleme eines<br />
Jungen, aus der Sicht des Jungen.“<br />
Erfolg bei Jugendlichen<br />
Der Junge heißt Mert Seyder. Er ist 16, sieht<br />
gut aus, hat etwas im Köpfchen und ist ein<br />
sehr guter Fußballspieler. Die Mädchen bewundern<br />
ihn, jede will mit ihm gehen. Nur<br />
sie nicht, Enisa, obwohl Mert seinen ganzen<br />
Charme spielen lässt. Und dann taucht auch<br />
noch Onkel Riza auf, der Bruder seines<br />
verstorbenen Vaters, der seine ganz eigenen<br />
Pläne für Mert hat: eine traditionelle Hochzeit,<br />
Hand in Hand mit einer hohen Position<br />
im Familienclan.<br />
Das Schreiben war kein Problem. „Die<br />
Sätze, die Probleme, die Reaktionen kannte<br />
ich doch aus meinen Kontakten mit den<br />
jungen Leuten. Das Buch kam bei ihnen<br />
auch sehr gut an. Aber einen Verlag zu<br />
fi nden, das war ein wirkliches Problem!“,<br />
erzählt Safeta Obhodjas. „Erst ein kleiner<br />
Münsteraner Verlag hat sich von meinen<br />
Argumenten überzeugen lassen, dass nicht<br />
nur ich etwas Gedrucktes in der Hand haben<br />
will, wenn ich in die Schulen gehe und<br />
lese, sondern dass auch die Lehrer froh und<br />
dankbar sind, wenn sie mit ihren Schülern<br />
einen Stoff beackern können, der aus dem<br />
Erlebnisbereich der jungen Leute stammt.<br />
Und die Erlebnisse bei solchen Schulauftritten<br />
geben mir durchaus recht: Die jungen<br />
Leute melden sich zu Wort, diskutieren<br />
mit mir, haben Ideen, wie die Geschichte<br />
anders weiter gehen könnte. Sie haben eine<br />
profunde Meinung zu den dargestellten<br />
Problemen.“<br />
Sport integriert nicht<br />
Dass Sport nicht der einzige Weg zu einer<br />
erfolgreichen Integration sein kann, haben<br />
die Jugendlichen sehr schnell erkannt –<br />
einerseits, weil Mädchen als aktive Partner<br />
selten oder überhaupt nicht vorkommen,<br />
andrerseits, weil der Sport – „also im<br />
wesentlichen Fußball“ – die latente Gewalt<br />
nicht kanalisiert, sondern sie im Gegenteil<br />
eskalieren lässt.<br />
„Wie oft habe gehört, wie die eine Mannschaft<br />
den Gegnern zurief: ,Wir killen euch‘,<br />
oder ,Wir bringen euch um‘. Das zeigt doch,<br />
dass Sport alleine, ohne die Einbeziehung<br />
des Wortes bzw. des Denkens in die falsche<br />
Richtung weist. Wenn das Wort nicht beachtet<br />
wird, die Integration durch das Erlernen<br />
der Sprache, dann entstehen Ghettos, in<br />
denen die Menschen zwar für sich und ohne<br />
Störungen leben können, aber ihre Kinder<br />
haben, wenn sie erwachsen sind, in der deutschen<br />
Gesellschaft keine Chance!“<br />
Safeta Obhodjas arbeitet ganz bewusst<br />
diesem Trend entgegen. „Ich muss mich als<br />
verantwortungsbewusste Autorin vor allem<br />
mit den Problemen der jungen Menschen<br />
mit Migrationshintergrund widmen und<br />
ihnen Material in die Hand geben, in dem<br />
sie ihre eigene Geschichte wieder fi nden<br />
können. In diesem Sinne habe ich auch eine<br />
Erzählung zum Thema Mobbing geschrieben.“<br />
Erfreulich, dass der Verkauf ihres<br />
ersten Jugendbuches vor allem übers Internet<br />
funktioniert, was sie als Reaktion eines jungen<br />
interessierten Publikums deutet.<br />
Friederike Raderer<br />
www.safetaobhodjas.de<br />
Safeta Obhodjas<br />
Mert, ein Deutschtürke<br />
im Abseits<br />
Ate<br />
Safeta Obhodjas<br />
„Mert, ein Deutschtürke im Abseits“<br />
AT-Verlag Münster 2012, 167 Seiten<br />
ISBN 3-89781-209-3<br />
69
70<br />
Kulturnotizen<br />
Von der Heydt-Kunsthalle Barmen<br />
Tatjana Valsang – Archipel<br />
3. März – 26. Mai 2013<br />
Abstrakte Malerei inszeniert auf meist<br />
großformatigen Leinwänden ein komplexes<br />
Zusammenspiel von Farbe, Form und<br />
Bildraum. In den neuen Arbeiten sind es<br />
häufi g von klar umrissenen Formen überlagerte<br />
Wellenformationen, die den Bildraum<br />
organisieren, ihm Tiefe, Bewegung und<br />
Dynamik verleihen. Die in Wuppertal<br />
lebende Künstlerin Tatjana Valsang (*1963)<br />
studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie<br />
als Meisterschülerin bei Dieter Krieg.<br />
Wir zeigen ihre großformatigen Bilder aus<br />
den Jahren 2009-2012.<br />
Tatjana Valsang, Karte, 2012<br />
Von der Heydt-Kunsthalle<br />
Geschw.-Scholl-Platz, 42275 Wuppertal<br />
www.von-der-heydt-kunsthalle.de<br />
Von der Heydt-Museum<br />
Wir zeigen „Highlights“ aus dem<br />
19. Jahrhundert bis zur Gegenwart sowie<br />
„Alte Meister - von Dürer bis Goya“ mit<br />
Werken ab dem 16. Jahrhundert.<br />
Die aktuelle Auswahl zeigt neue Zusammenhänge<br />
und Parallelen auf, lässt<br />
bekannte Gemälde in neuem Licht<br />
erscheinen und setzt Schwerpunkte:<br />
Unter den Highlights sind Spitzwegs<br />
biedermeierliche Idyllen, die im Vergleich<br />
zu den Stillleben- und Porträtstudien der<br />
Münchner Feinmaler Wilhelm Leibl und<br />
Otto Scholderer zu sehen sind.<br />
Von der Heydt-Museum<br />
Turmhof 8, 42103 Wuppertal<br />
www.von-der-heydt-museum.de<br />
Museum Kunstpalast Düsseldorf<br />
Wolfgang Tillmans:<br />
Düsseldorf Raum 2001-2007<br />
(Sammlung Stadtsparkasse Düsseldorf)<br />
bis zum 5. Mai 2013<br />
Der 1968 in Remscheid geborene,<br />
international renommierte Künstler hat<br />
im Jahr 2008 eigens für das Museum<br />
Kunstpalast eine 12-teilige Installation<br />
mit dem Titel „Düsseldorf Raum 2001-<br />
2007“ entwickelt. Die Installation besteht<br />
aus unterschiedlich großen Fotos, die<br />
Tillmans in seinem direkten Lebens- und<br />
Arbeitsumfeld aufgenommen hat und<br />
die er in einer fragilen Rauminszenierung<br />
präsentiert. Die Bilder und ihre Beziehungen<br />
untereinander weisen auf eine<br />
mögliche Aufl ösung von Gegenständlichkeit<br />
hin. Sie zeigen Stillleben, alltägliche<br />
Szenen und Bilder im Bild, denen Abstraktion<br />
und eine überraschende Räumlichkeit<br />
innewohnen.<br />
Stiftung Museum Kunstpalast<br />
Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf<br />
www.smkp.de<br />
Eine weitere Tillmans-Ausstellung<br />
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen<br />
Wolfgang Tillmans<br />
2. März - 7. Juli.2013 – K21 Ständehaus<br />
Die Kunstsammlung Nordrhein-<br />
Westfalen zeigt eine Überblicksausstellung<br />
des international gefeierten Fotografen<br />
Wolfgang Tillmans (geb. 1968).<br />
Zur Bandbreite seiner künstlerischen<br />
Arbeit gehören neben Porträts, Interieurs,<br />
Landschaften und Stillleben seine in der<br />
Dunkelkammer entstandenen abstrakten<br />
Bilder, Videoarbeiten, Tischinstallationen<br />
und die zuletzt auf Reisen aufgenommenen<br />
Neue Welt-Bilder. Dabei verbindet<br />
Wolfgang Tillmans mit seinen Arbeiten<br />
neben einem ästhetischen immer auch ein<br />
grundsätzliches Interesse an gesellschaftspolitischen<br />
Themen.<br />
Mit seinen Arbeiten hat Wolfgang<br />
Tillmans nicht nur eine neue Bildsprache<br />
der Fotografi e entwickelt, sondern auch<br />
eine eigene Präsentationsform geschaffen.<br />
Wolfgang Tillmans wird mit seiner<br />
Ausstellung in der Kunstsammlung<br />
Nordrhein-Westfalen einen Überblick<br />
über sein zwanzigjähriges Schaffen bieten<br />
und mit einer präzise entwickelten<br />
Gesamtkomposition auf den spezifi schen<br />
Ausstellungsort des ehemaligen Ständehauses<br />
genauso reagieren wie auf die<br />
herausragende Sammlung.<br />
Wolfgang Tillmans, after party, © 2002,<br />
courtesy Galerie Buchholz, Köln/Berlin<br />
Wolfgang Tillmans, 2009, © courtesy<br />
Galerie Buchholz, Köln/Berlin<br />
K21 STÄNDEHAUS<br />
Ständehausstraße 1, 40217 Düsseldorf<br />
www.kunstsammlung.de
Museum Kurhaus / Kleve<br />
Mein Rasierspiegel fehlt<br />
Sammlung – Von Holthuys bis Beuys<br />
noch bis zum 7. April 2013<br />
Seit dem 9. September 2012 öffnet<br />
das erweiterte Museum Kurhaus Kleve<br />
– Ewald Mataré-Sammlung wieder seine<br />
Türen für das Publikum. Erstmals zu<br />
erleben ist dann nicht nur ein neuer Museumsteil,<br />
das restaurierte sog. „Friedrich-<br />
Wilhelm-Bad“ mit dem Atelier von<br />
Joseph Beuys, sondern auch die Sammlung<br />
des Museum Kurhaus Kleve in allen<br />
ihren Facetten. Die Eröffnungsausstellung<br />
trägt den Titel „Mein Rasierspiegel“ und<br />
umfasst Meisterwerke vom Mittelalter bis<br />
zur Gegenwart.<br />
Ein großer Teil der Ausstellung ist<br />
Joseph Beuys gewidmet, der von 1957 bis<br />
1964 in dem leerstehenden Gebäude sein<br />
Atelier hatte. In dieser Zeit entstand auch<br />
das „Büdericher Ehrenmal“ (1958-59).<br />
www.museumkurhaus.de<br />
Joseph Beuys, Ohne Titel (Mein Kölner<br />
Dom), 1980, Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn<br />
2012, für Joseph Beuys<br />
Man Ray: les mannequins, / ‘resurrection Des<br />
Mannequins', ‘Mannequins présentés á l'Exposition<br />
Surréaliste de 1938', Verlag Jean Petithory,<br />
Paris 1966, Ex. H.C., © Man Ray Trust,<br />
Paris / VG Bild-Kunst, Bonn 2012<br />
Museum Ludwig Köln<br />
Man Ray<br />
Fritz Gruber Archiv. Das besondere Archiv<br />
einer außergewöhnlichen Freundschaft<br />
Bis zum 5. Mai 2013<br />
Im September 2012 konnte das Museum<br />
Ludwig dank der Unterstützung der<br />
Kulturstiftung der Länder und der Kunststiftung<br />
NRW das Man Ray-Archiv von Renate<br />
und L. Fritz Gruber erwerben, die auf eine<br />
jahrzehntelange Freundschaft zwischen Man<br />
Ray und dem Ehepaar Gruber zurückgeht<br />
und aus einer Sammlung von Arbeiten,<br />
Archivalien, Korrespondenzen, Objekten<br />
und signierten Ausstellungspublikationen<br />
besteht.<br />
Eine Besonderheit bildet ein Konvolut von<br />
50 Repro-Kontaktabzügen mit Porträts von<br />
Lee Miller, Jean Cocteau, Max Ernst, Pablo<br />
Picasso, Dora Maar und vielen anderen der<br />
bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts;<br />
denn diese hat Man Ray eigenhändig<br />
mit „Evaluationszahlen“ seiner persönlichen<br />
Wertschätzung bedacht. Außerdem erhält<br />
die Sammlung eine Reihe von 37 Kontaktabzügen<br />
von Rayographien Man Rays, die<br />
für die Man Ray-Forschung von größter<br />
Bedeutung sind.<br />
Diese persönliche, außergewöhnliche<br />
Sammlung eines der größten Fotokünstler<br />
des 20. Jahrhunderts wird in Kombination<br />
mit Porträtfotografi en Man Rays aus der<br />
Sammlung des Museum Ludwig im Grafi -<br />
schen Kabinett präsentiert.<br />
www.museum-ludwig.de<br />
Leopold-Hoesch-Museum Düren<br />
„ZERO auf Papier“<br />
bis zum 17. Februar 2013<br />
Die Ausstellung „ZERO auf Papier“<br />
im Leopold-Hoesch-Museum &<br />
Papiermuseum Düren dokumentiert<br />
die Aktivitäten und den Werdegang der<br />
internationalen Kunstbewegung ZERO<br />
um die drei Künstler Otto Piene, Heinz<br />
Mack und Günther Uecker in den 1950er<br />
und 60er Jahren. Neben Kunstwerken der<br />
beteiligten Künstler illustrieren Ausstellungsplakate,<br />
Einladungskarten, Fotos,<br />
persönliche Briefe und ein Film die vielfältigen<br />
Aktionen der ZERO-Künstler, die<br />
eine konsequente Erneuerung der Kunst<br />
forderten.<br />
Die von Heinz Mack und Otto Piene<br />
im Jahr 1958 herausgegebenen ersten<br />
beiden Ausgaben der Zeitschrift ZERO<br />
wurden für die internationale Kunstbewegung<br />
zum Manifest einer künstlerischen<br />
Neuausrichtung der Neo-Avantgarde.<br />
Durch die zahlreichen positiven Rückmeldungen<br />
von Künstlern und Kunstkritikern<br />
entschieden sich Mack und Piene, eine<br />
umfassende dritte Ausgabe der Zeitschrift<br />
zu konzipieren, die in der Düsseldorfer<br />
Galerie Schmela im Jahr 1961 präsentiert<br />
wurde. Die drei seit Jahrzehnten vergriffenen<br />
Zeitschriften wurden von der<br />
ZERO foundation Düsseldorf jetzt neu<br />
herausgegeben und im Rahmen der Ausstellungseröffnung<br />
erstmalig präsentiert.<br />
Die limitierte Sonderedition der faksimilierten<br />
ZERO-Zeitschriften (1958-1961)<br />
erscheint mit signierten und nummerierten<br />
Editionen von Heinz Mack und Otto<br />
Piene und wird in einem von den Künstlern<br />
gestalteten Schuber offeriert. Der<br />
Nachdruck der Ausgaben wird von einem<br />
Buch begleitet, in dem die Ergebnisse eines<br />
wissenschaftlichen Forschungsprojekts<br />
zu den ZERO-Zeitschriften veröffentlicht<br />
werden.<br />
www.leopoldhoeschmuseum.de<br />
71
72<br />
Kulturnotizen<br />
Tokio:<br />
Chicago Tentett am Ende<br />
Vor wenigen Wochen gab Peter Brötzmann<br />
mit seinem Chicago Tentett in<br />
Berlin einen Tag nach Ende des 2012er<br />
Jazzfestes, noch ein gefeiertes Konzert.<br />
Doch als Pressemitteilung von Brötzmann<br />
aus Tokio kam nun die Nachricht, dass<br />
Schluss sein soll. 14 Jahre seien genug,<br />
schreibt der Free-Jazz-Saxofonist und<br />
-Klarinettist, die Band habe ihr kreatives<br />
Hoch erreicht und könne nun nur noch<br />
schlechter werden. Die Routine drohe,<br />
was vielleicht durch eine Neubesetzung<br />
aufgefangen werden könnte.<br />
Peter Brötzmann macht Schluss mit seinem<br />
Chicago Tentett (Foto: Ziga Koritnik)<br />
Viel schlimmer sei jedoch, dass weder<br />
die deutsche noch die amerikanische<br />
Regierung bereit seien, diese hochkarätige<br />
transatlantische Band zu unterstützen.<br />
Besonders die Vorjahreskonzerte in London<br />
und Wuppertal seien unerreicht,<br />
schreibt der Wuppertaler Saxofonist, der<br />
mit der ungewöhnlichen Maßnahme<br />
die Mittelmäßigkeit unbedingt vermeiden<br />
möchte. Er brauche nun Zeit, um<br />
über die notwendigen Veränderungen<br />
nachzudenken, die fi nanzielle Situation<br />
sei wichtig und manchmal sei die Musik<br />
sogar von ihr bestimmt:<br />
„Wer es sich heute noch leisten kann,<br />
etwa mit einem Quintett auf Tour zu<br />
sein, der weiß, was ich meine.“ Man<br />
brauche jetzt: „,A kick in the ass' – oder<br />
wie wir auf Deutsch sagen: Verunsicherung.“<br />
Bernarda Albas Haus<br />
Theaterproduktion der Akademie Remscheid,<br />
Premiere: 3. 2. 2013, 19:30 Uhr<br />
Die Akademie Remscheid lädt die Bürgerinnen<br />
und Bürger des Bergischen Landes<br />
herzlich ein, Zeugen eines innovativen<br />
Theaterprojekts zu werden: Elf angehende<br />
Theaterpädagogen/-innen werden das<br />
Stück „Bernarda Albas Haus“ von Federico<br />
Garcia Lorca auf die Bühne der Akademie<br />
Remscheid bringen.<br />
Unter der Regie von Kordula Lobeck<br />
de Fabris, Wuppertal, bekannt durch ihr<br />
Frauentheaternetzwerk „Unter Wasser<br />
fl iegen“ und zahlreiche multiethnische Jugendtheaterprojekte,<br />
entsteht eine moderne<br />
Fassung der Vorlage von Garcia Lorca: Bei<br />
ihm gibt es keine Männerrollen, in der<br />
aktuellen Inszenierung aber spielen zwei<br />
Männer mit.<br />
Die Schauspieler/-innen stehen im<br />
Mittelpunkt dieser Theaterarbeit. Sie spielen<br />
– anders als im traditionellen Sprechtheater<br />
– alle Rollen, wechseln in rasanten Tempi die<br />
Kostüme, tanzen und singen. Und ziehen<br />
die Zuschauer in einen Bann aus Bewegung,<br />
Bildern, Gesang und Stille.<br />
Zum Inhalt des Stücks:<br />
Was machen fünf junge Frauen, deren<br />
Vater gestorben ist und die acht Jahre lang<br />
das Haus nicht verlassen, keinen Mann zu<br />
Gesicht bekommen dürfen? Eine stren-<br />
ge Mutter und die alles kontrollierende<br />
Dorfgemeinschaft wachen über Anstand<br />
und Moral. Federico Garcia Lorca, der<br />
von Faschisten ermordete spanische<br />
Autor, schrieb das Stück über eine Witwe<br />
und ihre fünf heiratsfähigen Töchter vor<br />
mehr als 80 Jahren. Es gibt eine Vielzahl<br />
von inszenatorischen Interpretationen.<br />
Der Autor selbst beschreibt das Stück als<br />
andalusisches poetisches Drama ohne<br />
Verse, als fotografi sche Dokumentation<br />
einer Familie, als den Versuch, in einem<br />
universellen Theaterstück den Konfl ikt<br />
des Individuums mit der Gesellschaft<br />
auszudrücken.<br />
Zum pädagogischen Hintergrund:<br />
In zweimal zehn Tagen entsteht in diesem<br />
Theaterprojekt ein neues Stück zur Vorlage,<br />
dessen Inszenierungsweg auch auf die<br />
Bedingungen theaterpädagogischer Praxis<br />
übertragbar ist. Die Schauspieler/-innen<br />
werden deshalb im April diese Arbeit<br />
in einer theaterpädagogischen Vor- und<br />
Nachbereitung für interessierte Schulklassen<br />
vorstellen. Sie gehen in die Schulen, die<br />
Klassen kommen zur Aufführung in die<br />
Akademie Remscheid und tauschen sich<br />
im Anschluss auch mit dem Regieteam aus.<br />
Großer Saal der Akademie Remscheid.<br />
Eintritt frei.<br />
www.akademieremscheid.de<br />
Kreativ50plus<br />
an der Akademie Remscheid<br />
Raum zur Beschäftigung mit Ihren<br />
Ideen und Interessen.<br />
Bis Ostern können Sie sich ein Seminar<br />
wünschen.<br />
Das Seminarprogramm kreativ50plus<br />
an der Akademie Remscheid bietet allen<br />
Interessierten die Möglichkeit, sich ein<br />
Seminarthema zu wünschen. Bei<br />
www.kreativ50plus.de unter „Aktuelles“<br />
können Sie mitteilen, welches Seminar<br />
Sie gerne im Programm sehen würden.<br />
Einer der Wünsche wird im Zeitraum vom
14.-18. 10. 2013 umgesetzt. Der Ideengeber<br />
sowie zwei weitere Teilnehmer<br />
gewinnen Freiplätze für das Seminar.<br />
Vorher können Sie in den Räumen der<br />
Akademie Remscheid die antike Maltechnik<br />
Enkaustik kennen lernen. Am<br />
Samstag, den 23. 2. lernen Einsteiger,<br />
wie man mit fl üssigem, farbigem Bienenwachs<br />
arbeiten kann. Am darauffolgenden<br />
Sonntag bietet sich die Möglichkeit, die<br />
Kenntnisse zu erweitern.<br />
Am Dienstag, den 26. Februar können<br />
sich Teilnehmer einen Tag lang im „Erzählen<br />
mit dem roten Faden“ üben. Mithilfe<br />
von spielerischen Übungen entwickeln sie<br />
ihre eigene Erzählung.<br />
Im März sind noch Plätze frei für die<br />
Einführung in die abstrakte Acrylmalerei<br />
(Termin:11.-15.03.2013) und für das<br />
Tango Café. Dort sollten Sie sich zu zweit<br />
anmelden, um Grundlagen des Tango<br />
Argentino erproben zu können (Termin:<br />
2. 3. 2013.).<br />
Weitere Informationen unter:<br />
www.kreativ50plus.de oder telefonisch<br />
unter 02191-794 212.<br />
Kontakt:<br />
kreativ50plus,<br />
Akademie Remscheid für kulturelle<br />
Bildung e.V.<br />
Imke Nagel, Programmleitung<br />
Anke Rauch, Organisation<br />
Küppelstein 34, 42857 Remscheid<br />
Telefon: 02191 794 212 (Anke Rauch)<br />
02191 794 200 (Imke Nagel)<br />
kreativ50plus@akademieremscheid.<br />
Müllers Maronetten-Theater<br />
Peterchens Mondfahrt<br />
nach Gerdt von Bassewitz, von Günther<br />
Weißenborn<br />
Der Maikäfer Herr Sumsemann<br />
erobert gemeinsam mit den Kindern<br />
Anneliese und Peter den Mond. Inszeniert<br />
mit den bezaubernden Marionetten von<br />
Ursula Müller-Weißenborn.<br />
Aufführungstermine:<br />
3., 9., 16., 17. und 24. Februar 2013 jeweils<br />
um 16.00 Uhr und am 27. Februar um 11<br />
Uhr<br />
Kleine Ente Plumps<br />
von Günther Weißenborn<br />
Jacob lebt bei seinem Opa, der Tubist<br />
im Orchester ist. Eines Tages bringt Jakob<br />
ein Ei nach Hause und nicht einmal der<br />
Opa weiss, ob das ein Hühnerei ist. Also<br />
ruft Jakob den Zoodirektor an, der leiht<br />
ihnen einen Brutapparat und nach kurzer<br />
Zeit sind Jakob und sein Großvater Papa<br />
und Uropa einer kleinen Ente, die es sich<br />
sogleich in Opas Tuba gemütlich einrichtet.<br />
Auch ein Räuber interessiert sich für die<br />
Ente, allerdings ist er so dumm, dass er sie<br />
für einen asiatischen Königsfl amingo hält.<br />
Da gerät er bei Jacob an den Richtigen!<br />
Aufführungstermine:<br />
2., 3., 9., 10., 16. und 17. März 2013<br />
jeweils um 16.00 Uhr und am 13. März<br />
um 11 Uhr<br />
Eine kleine Hexe<br />
Theatermärchen von Günther Weißenborn<br />
Eigentlich ist sie eine liebe kleine Hexe<br />
und genau das ist ihr Fehler! Böse soll sie<br />
sein, so böse, wie Hexen nun mal sind. Und<br />
das ist ganz schön schwer für die kleine<br />
Hexe Lilienkraut. Aber sie hat ja Hilfe, den<br />
kleinen Drachen Rüdiger, der schon richtig<br />
Feuer spucken kann und der sich auch einmal<br />
so richtig schlecht benehmen möchte.<br />
Aufführungstermine:<br />
24. und 29. März und am 1., 6., 13. und<br />
14. April 2013 jeweils um 16.00 Uhr.<br />
GEDOK Wuppertal<br />
Veranstaltungen<br />
Sonntag, 24. Februar 2013, 17:00 Uhr<br />
CityKirche Elberfeld, Kirchplatz<br />
Englische Komponist/Innen des 20.<br />
Jahrhunderts<br />
Sigrun Lefringhausen, Blockfl öte und Nina<br />
Julia Hildebrand, Klavier machen uns mit<br />
Werken von Ethel Smyth, Elisabeth Lutyens<br />
Stefanie Champion, Rebecca King, Peggy,<br />
Glanville-Hicks, Lennox Berkeley u. a.<br />
bekannt. Eintritt 8,00 / erm. 5,00 Euro<br />
Foto: www.kuenstleragentur-kade.de<br />
Vorankündigung Juni 2013<br />
Miriam Sabba Sopran sang die Rolle der<br />
„DIANA“ Anfang Oktober 2012 als Gast<br />
beim Tanztheater Wuppertal in „Iphigenie<br />
auf Tauris“.<br />
Wir konnten Miriam Sabba für einen<br />
französischen Liederabend im Juni 2013<br />
in der CityKirche Elberfeld gewinnen und<br />
freuen uns sehr auf ein Wiedersehen und<br />
-hören. Am Flügel wird sie von Michael<br />
Hänschke begleitet.<br />
www.gedok-wuppertal.de<br />
73
74<br />
Kulturnotizen<br />
Sonntag, 24. Februar, 18 Uhr, Pavillon<br />
differing movements<br />
Mit Werken von Gabriel Prokofi ev, Joe Cutler,<br />
Tan Dun, Detlev Glanert, Arvo Pärt,<br />
John Adams<br />
Es kommt Bewegung in den Pavillon –<br />
zeitgenössische Musik und Tanz fi nden<br />
zueinander. Mozart und Haydn haben<br />
Menuette geschrieben. Im 21. Jahrhundert<br />
heißen die Werke bei den Komponisten<br />
Gabriel Prokofi ev und Tan Dun hingegen<br />
Bogle Move und Black Dance. Und Folk<br />
Music des britischen Komponisten Joe<br />
Cutler ist eine zeitgemäße Umsetzung<br />
dessen, was der Titel vorgibt – lassen Sie<br />
sich überraschen. In Detlev Glanerts 2.<br />
Streichquartett verbergen sich vier Themen:<br />
Gesang, Schrei, Tanz und Flucht - zwei<br />
Äußerungsformen und zwei Bewegungsformen.<br />
Pas de Quatre ist ein fesselndes und<br />
spannungsreiches Werk mit einer klaren<br />
Sprache. Man kann den vier Themen<br />
folgen und wird gleichzeitig mit Musik<br />
konfrontiert, die einen im Innersten trifft.<br />
John Adams nannte seine Tänze für<br />
Streichquartett „alleged“ – vermeintlich,<br />
weil er meinte, dass die passenden Schrit<br />
te dazu noch ersonnen werden müssten.<br />
Die Tänzerin Szu-Wei Wu und der Tänzer<br />
Eddie Martinez (Mitglied Tanztheater Wuppertal<br />
Pina Bausch) werden den Pavillon<br />
Eddie Martinez (links) undSzu-Wei Wu<br />
in eine Bühne verwandeln und Ihre eigenen<br />
„Schritte“ und „movements“ zur Musik<br />
von John Adams und Arvo Pärt zeigen.<br />
7 Filme zur Kunst<br />
Zum zweiten Mal veranstaltet der Skulpturenpark<br />
Waldfrieden im Frühjahr 2013<br />
eine Filmreihe, deren Titel allerdings<br />
gegenüber dem vergangenen Jahr leicht<br />
verändert wurde: Aus „7 Dokumentarfi lme<br />
zur Kunst“ wurde schlicht „7 Filme<br />
zur Kunst“. Mit dieser Namensänderung<br />
verbindet sich die Absicht, das formale<br />
Spektrum des Programms zu erweitern.<br />
Außer Titeln, die einen inhaltlichen<br />
Bezug zur Bildenden Kunst haben, sollen<br />
auch solche Werke der Filmkunst<br />
präsentiert werden, die nicht ohne<br />
weiteres in das Genre der Dokumentation<br />
einzuordnen sind. Wie gewohnt fi nden<br />
die Projektionen im Café Podest im<br />
Skulpturenpark statt.<br />
Foto aus: One Way Boogie Woogie - 27 years later<br />
Freitag » 1. Februar 2013 » 20 Uhr<br />
Die Mühle und das Kreuz<br />
Freitag » 8. Februar 2013 » 20 Uhr<br />
Carvaggio<br />
Freitag » 15. Februar 2013 » 20 Uhr<br />
One Way Boogie Woogie - 27 years later<br />
Freitag » 22. Februar 2013 » 20 Uhr<br />
Jean Tinguely<br />
Freitag » 1. März 2013 » 20 Uhr<br />
Tom<br />
Freitag » 8. März 2013 » 20 Uhr<br />
W + B Hein - Materialfi lme<br />
Freitag » 15. März 2013 » 20 Uhr<br />
Marina Abramovic: The Artist is present<br />
Weitere Informationen unter:<br />
www.skulpturenpark-waldfrieden.de<br />
Ausstellung im Skulpturenpark<br />
Jan Fabre<br />
Chalcosoma – Small bronzes 2006-2012<br />
22. März bis 2. Juni 2013<br />
Jan Fabre ist ein Multitalent – als solches<br />
hat er sich in der Welt der bildenden<br />
Kunst, der Performance, des Theaters und<br />
der Literatur einen Namen gemacht. Mit<br />
der Erforschung des eigenen Körpers und<br />
seiner Umwelt hinterfragt sich der Künstler<br />
beständig selber, die intensive Suche nach<br />
Antworten führt ihn durch unterschiedlichste<br />
Disziplinen und Ausdrucksformen.<br />
In seinem Werk erschafft er ereine eigene<br />
mythische Welt, in der er sich zudem mit<br />
der visionären Ästhetik der fl ämischen<br />
Meister befasst.<br />
Der Skulpturenpark Waldfrieden zeigt<br />
die Werkreihe „Chalcosoma – small bronzes<br />
2006-20012“, die 22 Exponate umfasst<br />
und in ihrem Abwechslungsreichtum<br />
das Gesamtwerk Jan Fabres verkörpert.<br />
Ihre Ungleichheit zeigt die unterschiedlichen<br />
Themen, die für Jan Fabre<br />
durch ein Netz von komplizierten Form-<br />
Vereinigungen und Symbolen von Bedeutung<br />
sind und erstreckt sich insbesondere<br />
auf die Wahl des Materials Bronze, die<br />
Jan Fabre, Skull Compass, Bronze, 2011,<br />
14 x 18 x 20 cm<br />
er für diese Skulpturen verwendet. Sie verschafft<br />
ihnen Beständigkeit und Würde. Sie<br />
nehmen den Anspruch von Kunstgegenständen,<br />
Büsten oder Standbildern auf, die<br />
von fortdauerndem Wert zu sein scheinen.<br />
Seine Bronzeskulpturen sind Collagen,<br />
Verbindungen von tierischen und menschlichen<br />
Elementen, der Natur und der Kultur,<br />
von Vergangenheit und Gegenwart.<br />
Jan Fabre wurde 1958 in Antwerpen<br />
geboren, wo er auch heute lebt und arbeitet.<br />
Er studierte am Municipal Fine Arts Institute<br />
of Decoractive Arts und an der Academy<br />
of Fine Arts in Antwerpen. Fabre wurde mit<br />
zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem<br />
Preis der fl ämischen Gesellschaft der Bildenden<br />
Künste und überdies zum Großoffi<br />
zier des belgischen Kronenordens ernannt.<br />
Sein Werk ist in international führenden<br />
Mussen vertreten.<br />
Jazz-Konzerte im Alten Pfandhaus<br />
Freitag, 15. Februar 2013 | 19:00<br />
Zildjian Sound Lab Sessions February<br />
2013 with Dennis Chambers<br />
»Konzert«
Dienstag, 12. März 2013 | 20:00<br />
Gloria Cooper German Quintett<br />
»The Transatlantic Jazz Connection«<br />
Gloria Cooper - piano, vocal | Heiner<br />
Wiberny - sax | Klaus Osterloh -trp | Jochen<br />
Schaal - b | Marcel Wasserfuhr - Drums<br />
Donnerstag, 14. März 2013 | 20:00<br />
Richard Bargel & The Erwin Helfer Trio<br />
»Mississippi Beat - Part 5«<br />
Erwin Helfer - piano | Katherine Davis - vocals<br />
| John Brumbach - sax | Richard Bargel<br />
- slide guit. & Moderation<br />
Sonntag, 17. März 2013 | 19:00<br />
Jazz-BigBand Graz - JBBG<br />
»Urban Folktales«<br />
www.altes-pfandhaus.de/veranstaltungen<br />
Deutsches Klingenmuseum<br />
Ausstellung 50 Jahre Besteckdesign<br />
in Deutschland 1950 bis 2000<br />
20. Januar– 30. Juni 2013<br />
Der Weltkrieg hinterließ nach 1945 in<br />
vielfacher Hinsicht ein riesiges Vakuum,<br />
auch in Bezug auf die Ausstattung der<br />
Haushalte. So war auch der Bedarf an<br />
neuem Besteck groß, und zugleich bot sich<br />
die Chance, das Thema Besteck „neu zu<br />
denken“.<br />
Obwohl sich traditionelle Formen und<br />
Dekore zum Teil bis heute hartnäckig<br />
halten, so gab und gibt es doch eine starke<br />
Bewegung zum Besteck der „neuen Zeit“:<br />
Die Proportionen änderten sich deutlich<br />
(kurze Messerklinge und kurze Gabelzinken,<br />
runde Laffen, lange Griffe), das<br />
Material musste bezahlbar und tauglich für<br />
die Herstellung in großen Mengen sein<br />
Entwurf von Heinrich Maxen, Solingen,<br />
um 1965, Hersteller Picard & Wielpütz,<br />
Solingen.<br />
(Edelstahl), die aufwendige Differenzierung<br />
in Tafel- und Dessertbesteck wurde zugunsten<br />
einer mittleren Größe (das sog. Mittelbesteck)<br />
aufgegeben.<br />
Die dicht bestückte Studienausstellung im<br />
Klingenmuseum präsentiert eine exemplarische<br />
Auswahl von rund 320 Besteckmustern<br />
aus deutscher Produktion; die gesamte<br />
Produktion betrug in dieser Zeit rund 2.000<br />
Muster. Selbstverständlich steht der gute,<br />
wegweisende Entwurf im Vordergrund, aber<br />
auch eher traditionelle Stilmittel wie Dekore<br />
oder Besteckgriffe und -hefte aus unterschiedlichem<br />
Material werden als zeittypische<br />
Erscheinungen gezeigt.<br />
Die ausgestellten Bestecke stammen<br />
aus der Sammlung Heinrich Averwerser,<br />
Burgdorf.<br />
Sinfonieorchester Wuppertal<br />
Konzerte Februar/März 2013<br />
07.02.2013 | 10:00 | 12:00 Uhr<br />
Stadthalle, Mendelssohn Saal<br />
2. Schulkonzert<br />
Karneval der Tiere<br />
17.02.2013 | 11:00 Uhr<br />
18.02.2013 | 20:00 Uhr<br />
Stadthalle, Großer Saal<br />
6. Sinfoniekonzert<br />
Wünsch dir was!<br />
10.03.2013 | 11:00 Uhr<br />
Stadthalle, Großer Saal<br />
3. Familienkonzert<br />
Happy Birthday Sinfonieorchester<br />
Wuppertal<br />
11.03.2013 | 20:00 Uhr<br />
Stadthalle, Mendelssohn Saal<br />
4. Kammerkonzert<br />
17.03.2013 | 11:00 Uhr<br />
Stadthalle, Großer Saal<br />
7. Sinfoniekonzert<br />
18.03.2013 | 20:00 Uhr<br />
Stadthalle, Großer Saal<br />
7. Sinfoniekonzert<br />
29.03.2013 | 18:00 Uhr<br />
Stadthalle, Großer Saal<br />
3. Chorkonzert<br />
So 24. Februar 2013 //// Opernhaus<br />
18:00 Uhr //// PREMIERE<br />
Ein Maskenball<br />
Oper von Giuseppe Verdi in ital. Sprache<br />
mit dt. Übertiteln. Mit öffentlicher Premierenfeier.<br />
Gustavo ist ein guter Herrscher, und<br />
doch ist eine Verschwörung gegen ihn<br />
im Gange. Als sein Vertrauter Renato<br />
ihn darauf aufmerksam macht, winkt er<br />
ab: Amelia, in die er verliebt ist, ist sein<br />
einziger Gedanke. Doch sie ist verheiratet<br />
– mit Renato. Politik wird zum Werkzeug<br />
seiner Rache, als der verzweifelte Renato<br />
den Verschwörern sich als Verbündeter<br />
anbietet.<br />
Fr 8. März 2013 //// Schauspielhaus<br />
20:00 Uhr //// PREMIERE<br />
Wie es Euch gefällt<br />
nach William Shakespeare<br />
Eine Produktion des Jugendclub I der<br />
Wuppertaler Bühnen. Mit öffentlicher<br />
Premierenfeier.<br />
75
76<br />
Kulturnotizen<br />
Der Ardenner Wald, ein lauschiges Plätzchen<br />
in dem sich eine Anzahl Menschen<br />
einfi ndet, die es aus unterschiedlichsten<br />
Gründen hierher verschlagen hat. Sie alle<br />
sind Suchende und alle fi nden auch etwas,<br />
sie fi nden nicht weniger als die Liebe: die<br />
ganz große Liebe, die Liebe, die man schon<br />
gefunden glaubt und jetzt nur noch erringen<br />
will, die Liebe, die einen wie ein Schlag<br />
trifft, die Liebe, die langsam wächst und<br />
auch die Liebe, die man nicht bekommen<br />
kann. Rosalinde (verkleidet als Mann), gibt<br />
sich Orlando nicht gleich zu erkennen. Der<br />
aber ritzt Liebesschwüre in jeden Baum auf<br />
der Suche nach ebendieser Frau. Die Schäferin<br />
Phoebe verliebt sich Hals über Kopf<br />
in Ganymed (der ist aber die verkleidete<br />
Rosalinde) und will von Silvius, der sich<br />
nach ihr verzehrt, nichts wissen. Käthchen<br />
und Probstein scheinen sich gesucht und<br />
gefunden und was ist mit Celia und Jaques?<br />
Im Wald, fernab von Zivilisation und<br />
Konventionen kann allerhand passieren.<br />
Vieles ist unwirklich, nicht real und es sind<br />
Kräfte am Werk, die nicht ganz von dieser<br />
Welt sind...<br />
Do 7. März 2013 //// Opernhaus<br />
19:30 Uhr<br />
Kontakthof<br />
Mit der Kompanie Tanztheater Wuppertal<br />
Pina Bausch.<br />
Weitere Aufführungen: 8., 9. und 10. März<br />
Fr 22. März 2013 //// Schauspielhaus<br />
20:00 Uhr //// PREMIERE<br />
Aus euren Blicken bau ich mir ein<br />
Haus<br />
Schauspiel von Thomas Melle. Mit öffentlicher<br />
Premierenfeier.<br />
Birger und Kevin sind dem Nerven<br />
aufreibenden Großstadtleben entfl ohen<br />
und haben sich in einem Neubaugebiet am<br />
urbanen Speckgürtel niedergelassen. Dort<br />
möchten sie ein beschauliches, zurückgezogenes<br />
Leben führen. Offensichtlich aber<br />
steckt die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft<br />
in der Krise; Hauptbeschäftigung<br />
ist das missmutige Beobachten neuer<br />
Zuzügler. Zu den Beargwöhnten gehört<br />
zunächst auch Dorte, eine psychische<br />
Grenzgängerin, die sich nebenan ein Haus<br />
bauen will. Doch schon bald kommen sich<br />
Kevin und Dorte näher; so nah, dass Dorte<br />
von dem gemeinsamen Kinderwunsch des<br />
Paares erfährt …<br />
Raum-Maschine Theater in Köln<br />
Szene und Architektur<br />
bis 10. März 2013<br />
Die Ausstellung legt ihren Focus auf die architektonischen<br />
Grundlagen für das Entstehen<br />
von Kunstwelten im Bereic des Theaters.<br />
Raum-Maschine Theater – „Szene und<br />
Architektur“ ist eine Ausstellung des Museums<br />
für Angewandte Kunst in Köln in<br />
Kooperation mit der Theaterwissenschaftlichen<br />
Sammlung der Universität zu Köln.<br />
An der Rechtschule, 50667 Köln, Tel.<br />
0221.221 267 35, geöffnet Di – So 11.00<br />
– 18.00 Uhr. www.museenkoeln.de.<br />
Museum Haus Lange, Krefeld<br />
Anne Chu –<br />
Animula Vagula Blandula<br />
Bilder und Skulpturen<br />
bis 7. April 2013<br />
In ihren Bildern und Skulpturen beschäftigt<br />
sich Anne Chu (*1959) vorwiegend mit<br />
historischen Themen, wobei sie westliche<br />
und asiatische Kulturkreise in Dialog<br />
setzt. Sie bedient sich der Geschichte wie<br />
eines Steinbruchs und aktualisiert diese im<br />
Hinblick auf eine zeitgenössische Rezeption.<br />
Ausgangspunkte ihrer Werke sind u. a. auch<br />
Architekturmodelle von Antonio Gaudí.<br />
Anne Chu, kleiner römischer Junge, 2012<br />
Stuckmarmor, Marmor, 30,5 x 24 x 23 cm,<br />
© Anne Chu, Foto: V. Döhne<br />
Museen Haus Lange und Haus Esters,<br />
Wilhelmshofallee 91-97, 47800 Krefeld,<br />
Telefon 02151 97 55 80. Öffnungszeiten:<br />
Di. Mi, Fr – So 11 – 17, Do 11 – 20 Uhr<br />
www.kunstmuseenkrefeld.de<br />
Museum Haus Esters, Krefeld<br />
Vibrierende Bilder, lärmende<br />
Skulpturen 1958 - 1963<br />
Eine Hommage an Paul Wember<br />
bis 7. April 2013<br />
Um 1960 entsteht an den Kunstmuseen<br />
Krefeld ein Sammlungsbereich, der in seiner<br />
Vielfalt und Qualität außergewöhnlich<br />
ist, die Sammlung kinetischer Kunst. Die<br />
Ausstellung Vibrierende Bilder Lärmende<br />
Skulpturen präsentiert eine breite Auswahl<br />
der ungewöhnlichen Objekte, die noch<br />
heute, 50 Jahre später, durch Einfallsreichtum<br />
und Experimentierfreude überraschen.<br />
Die Gattungsgrenzen der bildenden Kunst<br />
erscheinen endgültig aufgelöst. Bewegung,<br />
Licht und Klang werden nicht mehr nur<br />
malerisch-plastisch simuliert, sondern als<br />
reale physikalische Gestaltungselemente<br />
eingebracht. Zu sehen sind Vibrationsbilder,<br />
Lichtreliefs, rotierende Objekte, Klangskulpturen,<br />
interaktive Arbeiten und andere<br />
kinetische Objekte, geschaffen von jungen,<br />
damals noch unbekannten Künstlern in<br />
Paris, Düsseldorf oder Mailand: Unter ihnen<br />
Jean Tinguely, Jesus Raphael Soto, Victor Vasarely,<br />
Bruno Munari, Yaakov Agam, Heinz<br />
Mack, Günther Uecker und Dieter Roth.<br />
Ausstellungsansicht Museum Haus Esters,<br />
Krefeld 2012. Foto: V. Döhne<br />
Die Ausstellung ist Paul Wember gewidmet,<br />
der als engagierter Kämpfer für die aktuelle<br />
Kunst über die Grenzen Deutschlands<br />
hinaus bekannt wurde. Als Direktor der<br />
Kunstmuseen Krefeld (1947 – 1975) zeigte<br />
er bereits in den 1950er und frühen 1960er<br />
Jahren gegen erhebliche Widerstände avantgardistische<br />
Künstler.<br />
Die Präsentation wird ergänzt durch eine<br />
Fotodokumentation der spannenden 28jährigen<br />
Ausstellungsarbeit von Paul Wember<br />
in Krefeld.<br />
Museum Haus Esters, Wilhelmshofallee<br />
97, Tel. 02151 975 58-0, geöffnet Di – So<br />
11 – 17 Uhr. www.kunstmuseenkrefeld.de
„Die Beste Zeit – Das Magazin für Lebensart“ erhalten Sie ab sofort:<br />
Steffen Schneider<br />
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Friedrich-Ebert-Straße 152a<br />
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42103 Wuppertal<br />
Telefon (0202) 563-6231<br />
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42285 Wuppertal<br />
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Neuenteich 80, 42107 Wuppertal<br />
Telefon: (0202) 44 77 66<br />
www.muellersmarionettentheater.de<br />
Tagesnotiz<br />
Gestern bin ich mit dem Zug zur Verlags-<br />
Vollversammlung nach Frankfurt – hin<br />
und zurück – gefahren. Im Zug saß mir<br />
gegenüber ein Mann, der aussah wie<br />
ein höherer Beamter, aber wir fuhren ja<br />
zweiter Klasse. Ich glaube, ich redete ihn<br />
ziemlich unbefangen an. Vielleicht war<br />
das der Grund, dass er mir in Köln zum<br />
Abschied die Hand reichte.<br />
Ich erinnere mich vom Ende her: Ich<br />
war abends zur Abfahrt zu früh dort,<br />
wollte es, um ein bisschen allein zu sein,<br />
saß in dem riesigen Frankfurter Bahnhof<br />
auf einer Bank auf Bahnsteig 6. Um mich<br />
eine wimmelnde Menschenmenge.<br />
Die Frankfurter, dachte ich, sind ein<br />
eigener Typus. Ich meine, sie sehen aus<br />
wie Einzelkämpfer, die sich durchsetzen.<br />
Dagegen sehen die Bonner aus wie Studienräte<br />
und Ministerialbeamte (die es dort<br />
ja auch gibt), und wir Wuppertaler wie<br />
Bandwirker.<br />
Dazwischen dachte ich an die Fahrt am<br />
Rhein entlang zurück, die steilen Ufer,<br />
alte Häuser, schön zum Niederknien, die<br />
Bürobedarf Illert<br />
Grabenstraße 4 · 42103 Wuppertal<br />
Telefon (0202) 97 65 808<br />
www.buero-illert.de<br />
Wohn- und Objektbeleuchtung<br />
Karlstraße 37 · 42105 Wuppertal<br />
Telefon (0202) 2 44 34 40<br />
www.lichtbogen-wuppertal.de<br />
Hauptstraße 17<br />
42349 Wuppertal<br />
Telefon (0202) 47 28 70<br />
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Sie erhalten<br />
Die Beste Zeit<br />
auch bei allen<br />
Inserenten dieser<br />
Ausgabe.<br />
Bücher Köndgen<br />
Werth 79 · 42103 Wuppertal<br />
Telefon (0202) 24 800-50<br />
www.koendgen.de<br />
Friseursalon Capilli<br />
Heinrich Wermann-Bruschke<br />
Manteuffelstr. 2, 42329 Wuppertal<br />
Telefon (0202) 30 13 22<br />
Immanuelskirche<br />
Wuppertal-Barmen<br />
42275 Wuppertal<br />
Telefon (0202) 64 19 69<br />
www.immanuelskirche.de<br />
Burgen, die erinnerten Wanderungen<br />
mit Alfred, dort über die Höhen, der ein<br />
staubtrockener, unendlich treuer Freund<br />
war. Auch hier hatte mich soeben ein treuer<br />
Freund zum Bahnhof gebracht.<br />
Beim Hinweg zum Verlag heute Vormittag<br />
ging ich immer am Main entlang. Auf<br />
dem Rasen lagen Schläfer (verstreut wie im<br />
Afrikakrieg die Gefallenen in der Wüste);<br />
eine junge Frau schob einen modernen Bollerwagen<br />
(Gummireifen) an der Deichsel<br />
vor sich her, sie eilte im Geschwindschritt,<br />
mühelos, obwohl sauber aufgereiht sechs<br />
kleine Kinder in blauen Warnwesten darinsassen<br />
- ein putziger Anblick.<br />
Am erhöhten Ufer Häuser und Mietskasernen,<br />
viele mit Balkonen, die aussahen<br />
wie Drahtkörbe, hässlich. Ein Balkon, der<br />
nicht ins Mauerwerk integriert ist, wirkt<br />
fast immer wie eine Geschwulst.<br />
Zurück zum Bahnsteig. Ermüdet, ist es<br />
mir möglich, umzuschalten auf die Ebene,<br />
auf der uns keine kritische Betrachtung<br />
erreicht.<br />
Bahnhofsbuchhandlung im<br />
Barmer Bahnhof<br />
Winklerstraße 2 · 42283 Wuppertal<br />
Telefon (0202) 59 53 85<br />
Friedrich-Ebert-Str. /<br />
Ecke Laurentiusstr. 12<br />
42103 Wuppertal<br />
Telefon (0202) 30 40 01<br />
www.mackensen.de<br />
25 Jahre<br />
Ronsdorfer Bücherstube<br />
Christian Oelemann<br />
Staasstraße 11<br />
42369 Wuppertal<br />
Telefon (0202) 2 46 16 03<br />
www.buchkultur.de<br />
In diesem Augenblick weiß ich alles.<br />
Wenn ich irgendwo hinblicke, kann<br />
ich alles sehen, was ich will. Dieses<br />
Alles spricht in Bildern eine gewaltige,<br />
eindringliche Sprache, deren Bilder jedes<br />
Gemälde übertreffen: Eine Stelle am<br />
Waldrand, Abendlicht leuchtet zwischen<br />
den Bäumen; oder der Morgen, das<br />
Spatzenkonzernt, das eifrige Hin- und<br />
Herfl iegen der Vögel; das Morgenlicht berührt<br />
den Fenstersims am Weißen Haus,<br />
der Präsident erscheint, ein Mensch mit<br />
Armen und Beinen – man sieht hier, ich<br />
weiß alles. Die Buddhisten sagen: „Es gibt<br />
keine Lösungen, weil es keine Probleme<br />
gibt.“<br />
Als ich zurückschalte, fallen mir viele<br />
Andere ein, den es schlecht ergeht, und<br />
mir fällt all das Abscheuliche ein, das<br />
geschehen ist und immer noch geschieht.<br />
Darauf weiß ich eigentlich nur die<br />
Antwort, dass es diese Welt besser nie<br />
gegeben hätte.<br />
Karl Otto Mühl<br />
77
Der Tipp für alle<br />
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