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DIE BESTE ZEIT<br />

Das Magazin für Lebensart<br />

Wuppertal und Bergisches Land Ausgabe 19, 2012 - 3,50 Euro<br />

Von Dürer bis Goya<br />

Sammlung Von der Heydt-Mueum<br />

Er ist verrückt, das ist alles<br />

Komödie „Mein Freund Harvey“<br />

Landschaften der Stille<br />

Modersohn im Osthaus Museum<br />

Kein erstarrtes Auge<br />

Fotografi e als Medium der Kunst<br />

Nur für Eingeweihte<br />

Ein Stück über das Jahr 1968<br />

Die Engel von Paul Klee<br />

Ausstellung im Museum Folkwang<br />

Bluthochzeit<br />

Tragödie im Wuppertaler Opernhaus<br />

Skulptur als Denkmal<br />

Ateliergespräch mit Tony Cragg<br />

Auf dem Vulkan<br />

Essay von Michael Zeller<br />

Magie des Lichtes<br />

Pionier Nico Ueberholz<br />

Rock ’n’ Roll<br />

Dietrich Rauschtenberger<br />

Karl Otto Mühl 90 !<br />

Glückwunsch und Würdigung<br />

ISSN 18695205<br />

1


www.barrenstein.de<br />

2<br />

Erfahrung, Einfühlungsvermögen, Verständnis<br />

und Kompetenz. Wir beraten. Wir organisieren.<br />

Wir helfen Ihnen in schweren Zeiten. Und das<br />

in der 8. Generation – seit 200 Jahren.<br />

„Wir können Ihren Schmerz nicht lindern.<br />

Wir können Ihnen in schweren Zeiten helfen.“<br />

Berliner Straße 49 + 52-54, 42275 Wuppertal, 0202.663674, www.neusel-bestattungen.de


Editorial<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Die großen Dramen im Leben kleiner Leute<br />

Wuppertal mit den Augen unserer Autoren<br />

Es heißt, Wuppertal und seine Bewohner seien für Zugezogene eine sperrige Angelegenheit.<br />

Für mich, seit 1960 hier ansässig, offenbarte die Stadt ihren leuchtend-herben Charme<br />

in dem Maße, wie mir ihre Geschichte, und vor allem ihre Literaten nahe rückten. Zur<br />

prägenden Figur wurde ganz früh der Schriftsteller Robert Wolfgang Schnell, den ich über<br />

die Autorin Ruth Dirx und ihren Mann Willi kennenlernte. Wenn er bei Bier oder gutem<br />

Essen, möglichst in verräucherten Kneipen, zu erzählen begann, brannte ein geist- und<br />

anekdotenreiches Feuerwerk ab. Irgendwann gab ich auf, zu spekulieren, wo die Wahrheit<br />

sich mit Übertreibungen oder purer Phantasie (Lüge wäre hier unangebracht!) mischte,<br />

denn er war ein Meister der Pointen, ein Liebhaber des sarkastischen, deftigen Humors,<br />

und nie kamen die Wuppertaler und seine eigene sehr bürgerliche Familie, die im vornehmen<br />

Zooviertel zu Hause war, ungeschoren davon. Denn er liebte diese Stadt und ihre<br />

menschlich-schräge Schrulligkeit. Seine eigene bemerkenswerte Schlitzohrigkeit und sein<br />

Humor hatten hier ihre Wurzeln.<br />

Er brannte als Neunzehnjähriger mit einer wesentlich älteren Schauspielerin durch – und<br />

begann sein Leben als Autor, Schauspieler, Theaterregisseur, Galeriegründer, Maler und<br />

Musiker in Berlin und in aller Welt. Er war klug genug zu wissen, dass er besser daran<br />

getan hätte, sich (wie Goethe) für eine seiner Begabungen zu entscheiden, aber das verschob<br />

er aus reiner Lebenslust immer wieder, bis zu seinem Lebensende (1986). In seinen<br />

Anekdoten aus dieser Stadt zeigte sich das große Herz des Erzählers Schnell. Für mich<br />

spiegelten sie außerdem alle lebendigen Facetten, ihre bewundernswerten Traditionen von<br />

Else Lasker-Schüler über Emil Rittershaus bis zu Mina Knallenfalls und Husch-Husch, der<br />

bald auch sein Denkmal in Barmen bekommen soll. Der pathetisch-gütige Blick für die<br />

großen Dramen kleiner Leute war und ist hier zu Hause!<br />

Schnell starb schon mit 70 Jahren; vermutlich die Quittung für ein ruheloses und trinkfreudiges<br />

Leben. In seinem Kinderbuch „Pulle und Pummi“ hatte er, vermutlich aus<br />

Freundschaft zu mir, einem Apfel den Namen Hermann gegeben.<br />

Kein Apfel, sondern ein Wuppertaler Drama stand am Anfang meiner Freundschaft mit<br />

Karl Otto Mühl, der im Februar 2013 bei bester Gesundheit seinen 90. Geburtstag feiert<br />

– und mit ihm Bürger dieser Stadt aus allen Schichten der Bevölkerung. Ich hatte in einem<br />

alten Missionsblatt von 1824 die tragische Geschichte eines schwarzen Sklaven entdeckt,<br />

der in Holland von einem Barmer Kaufmann erworben worden war. Er nahm ihn mit<br />

und zeigte ihn gegen Geld auf den Jahrmärkten. Diesen eher grausigen Fund mit herzzerreißend-frommem<br />

Ausgang schickte ich an die Wuppertaler Bühnen. Holk Freytag und<br />

Gerold Theobalt gaben ihn an den schon landesweit berühmten Autor Karl Otto Mühl; er<br />

möge überlegen, daraus ein „Heimatstück“ zu machen. „Ein Neger zum Tee“ wurde 1996<br />

aufgeführt; da gab mir Mühl schon gute Ratschläge für meinen ersten Roman. Wir sprachen<br />

über seine Kindergeschichten, und auf langen Spaziergängen über alle Gefährdungen,<br />

die das Leben lebenswert machen. Es folgten gute Jahre, als wir uns mit dem Freund Wolf<br />

Christian von Wedel Parlow im Schriftstellerverband (VS) dieser Stadt engagierten.<br />

Robert Wolfgang Schnell und Karl Otto Mühl, beide großartige Erzähler, weisen, außer<br />

dass Wuppertal sie geprägt hat, kaum biografi sche Ähnlichkeiten auf, wohl aber in ihrer<br />

Art und Weise, die Menschen zu sehen, ohne sie zu beurteilen, ohne zu verurteilen: Es ist<br />

der liebe- und humorvolle und kluge Blick auf das Leben der sogenannten Kleinen Leute.<br />

Weil bei ihnen alle Größe, und alles sonst zu fi nden ist, was die Welt wirklich bewegt.<br />

Man kann neugierig sein, wie die jüngere Generation von Autoren mit dem Erbe dieser<br />

Stadt umgehen wird.<br />

Viel Vergnügen beim Lesen.<br />

Hermann Schulz<br />

3


4<br />

Impressum<br />

Die Beste Zeit erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land<br />

Erscheinungsweise: alle zwei Monate<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong> - Die beste Zeit<br />

Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal<br />

Telefon 02 02 - 28 10 40<br />

E-Mail: verlag@hpnackekg.de<br />

V. i. S. d. P.: HansPeter <strong>Nacke</strong><br />

Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal<br />

Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des<br />

Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge<br />

zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.<br />

Winter<br />

Als ich die Augen öffne, sehe ich das<br />

Schneetreiben vor dem Fenster. Lässig<br />

segeln wässerige Flocken durcheinander,<br />

fallen und schmelzen. Das ist<br />

schön, denn es erweckt das Gefühl von<br />

Dauerhaftigkeit und Ruhe.<br />

Langsam steige ich aus dem Bett. Ich<br />

wäre schon früher aufgestanden, aber<br />

ich lag da in der Überzeugung, ich<br />

sei längst auf. Es war also nicht meine<br />

Schuld.<br />

Im Wohnzimmer sitzt die Tochter und<br />

sagt, sie sei immer noch erkältet. Sie<br />

zögert aber, zum Arzt zu gehen, denn<br />

sie weiß nicht, ob sie dann überzeugend<br />

husten kann, und wie steht sie dann da?<br />

Auf dem Parkplatz wischt der<br />

Nachbar seine Autoscheiben frei. Er<br />

berichtet, dass es zurzeit in Hattingen<br />

und am Baldeney-See viel<br />

stürmischer zugehe als hier bei uns.<br />

Das liege daran, dass die Landschaft<br />

dort einen Kessel bilde. Ich werde<br />

das nicht überprüfen, denn vielleicht<br />

stürmt es schon nicht mehr, wenn ich<br />

in Hattingen ankomme.<br />

Beim Gedanken an Husten fällt mir wi-<br />

Kürzungen bzw. Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen<br />

im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann<br />

keine Gewähr übernommen werden.<br />

Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen<br />

Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages.<br />

Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder<br />

Unterlassungen keine Haftung übernommen.<br />

Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt.<br />

Abbildung Cover:<br />

Otto Modersohn (1865-1943), Kirchgang (Neujahr - Dingstiege<br />

in Münster), 1888, Öl auf Papier auf Karton, 21 x 21 cm, © Otto<br />

Modersohn Museum, Fischerhude<br />

der alle Absicht schon wieder Hamlets<br />

Monolog ein:<br />

Zu wissen, dass ein Schlaf<br />

das Herzweh und die tausend Stöße<br />

endet,<br />

die unseres Fleisches Erbteil.<br />

Ich werde dem allen die Stirn bieten<br />

und in der Bäckerei einen Kaffee<br />

trinken. Mein Auto nimmt klaglos die<br />

steile Auffahrt. Die freie Straße und das<br />

Schneetreiben liegen vor mir.<br />

Karl Otto Mühl


Inhalt<br />

Ausgabe 19, 5. Jahrgang, Februar 2013<br />

Von Dürer bis Goya<br />

„Alte Meister“ in der Sammlung des<br />

Von der Heydt-Museums<br />

Sammlung Gigoux<br />

von Cranach bis Géricault<br />

Vorschau Von der Heydt-Museum<br />

Karl Otto Mühl 90 !<br />

Seite 6<br />

Seite 10<br />

Glückwunsch und Würdigung zum 90.<br />

Geburtstag von Frank Becker Seite 12<br />

Er ist verrückt, das ist alles<br />

Mein Freund Harvey von Mary Chase<br />

von Frank Becker Seite 14<br />

Landschaften der Stille<br />

Ausstellung Otto Modersohn<br />

im Osthaus-Museum Hagen Seite 16<br />

Bluthochzeit<br />

Lyrische Tragödie in 2 Akten im Wuppertaler<br />

Opernhaus von Fritz Gerwinn Seite 22<br />

Helmfried von Lüttichau<br />

Vom „Drachen“ in Wuppertal zum<br />

Fernseh-Serienstar, von K. Göntzsche Seite 25<br />

Fotografi e ist kein erstarrtes Auge<br />

Die Fotografi e als Medium der Kunst<br />

von Ute C. Latzke Seite 28<br />

Nur für Eingeweihte<br />

Beatles. Das weiße Album. Ein Stück<br />

über das Jahr 1968, von Frank Becker Seite 32<br />

Die Engel von Paul Klee<br />

Ausstellung im Museum Folkwang<br />

noch bis zum 14. 4. 2013 Seite 34<br />

Beweglicher als hier kann man nicht tanzen<br />

Die Tanzschule Bellinghausen im Mirker<br />

Bahnhof, von Marlene Baum Seite 38<br />

Skulptur als Denkmal<br />

Ateliergespräch mit Tony Cragg<br />

über Skulptur als Denkmal, von J. Vesper Seite 43<br />

Paragraphenreiter<br />

Interessantes zu den Themen Steuern und<br />

Recht, von Susanne Schäfer Seite 48<br />

Safeta Obhodjas<br />

Mert, ein Deutschtürke<br />

im Abseits<br />

Auf dem Vulkan<br />

Vom Verrechnen der Zukunft<br />

Essay von Michael Zeller Seite 49<br />

Die Magie des Lichts<br />

Nico Ueberholz leistet Pionierarbeit bei der<br />

Revolution der Leuchttechnik Seite 51<br />

Komödie, Krimi, Klassik<br />

Das Wuppertaler TiC-Theater stellt seinen<br />

Spielplan 2013 vor, von Frank Becker Seite 54<br />

Franz Kafka und die Griots von Prag<br />

Der Dichter als Vorleser in den Kaffeehäusern<br />

von Prag, von Heiner Bontrup Seite 55<br />

Rock ’n’ Roll<br />

Auszug aus dem Roman „Freejazz“<br />

von Dietrich Rauschtenberger Seite 61<br />

Das Verhängnis begann in Wuppertal<br />

Ein unglaubliches Buch des österreichischen<br />

Juristen Alfons Dür , von Matthias Dohmen Seite 64<br />

Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />

porträtiert von Matthias Dohmen<br />

Seite 66<br />

Neue Kunstbücher<br />

Zur Sprache der Architektur<br />

vorgestellt von Thomas Hirsch Seite 67<br />

Terra incognita – Bosnien<br />

Mert – Ein Deutschtürke im Abseits<br />

von Friederike Raderer Seite 69<br />

Kulturnotizen<br />

Kulturveranstaltungen in der Region Seite 70<br />

5


6<br />

„Alte Meister“ in der Sammlung<br />

des Von der Heydt-Museums.<br />

Albrecht Dürer, Das Meerwunder, um<br />

1498, Kupferstich, 25,6 x 18,4 cm<br />

Von Dürer bis Goya<br />

Die Sammlung des Von der Heydt-<br />

Museums geht zurück auf engagierte<br />

Bürger, die sich im 19. Jahrhundert im<br />

„Barmer Kunstverein“ und „Elberfelder<br />

Museumsverein“ zusammen schlossen<br />

und zunächst, wie damals üblich, „konservativ“<br />

sammelten: bis etwa 1900<br />

sammelte man Werke des frühen und<br />

mittleren 19. Jahrhunderts und stellte<br />

diesen Gemälde des (protestantischen)<br />

holländischen 17. Jahrhunderts gegenüber.<br />

Werke der (katholischen) fl ämischen,<br />

italienischen, französischen oder<br />

spanischen Barockmalerei und des wohl<br />

als allzu „frivol“ eingeschätzten 18.<br />

Jahrhunderts fanden dagegen zunächst<br />

keinen Eingang in die Sammlungen der<br />

protestantischen Untertanen Preußens.<br />

Etwa 80 Gemälde umfasst die heutige<br />

Sammlung „Alter Meister“ sowie eine<br />

große Anzahl bisher wenig bekannter<br />

graphischer Blätter. Die aktuelle Präsentation<br />

im 1. Obergeschoss konzentriert<br />

sich nun auf den Bestand an niederländischer<br />

Malerei und Graphik und<br />

setzt diesen in den kunsthistorischen<br />

Zusammenhang. Mit einer Auswahl von


Blättern deutscher, spanischer, französischer<br />

und italienischer Künstler gewährt<br />

sie zugleich einen Einblick in die außerordentlich<br />

reiche graphische Sammlung.<br />

Abgesehen von großen Schenkungsblöcken<br />

kamen im Lauf von mehr als<br />

100 Jahren immer wieder auch einzelne<br />

Blätter, kleinere Konvolute und Mappenwerke<br />

an das Haus, konnten aber<br />

auch exzellente Blätter gekauft werden.<br />

So spiegelt sich heute gerade in dem<br />

Bereich der „Alten Meister“ die bürgerliche<br />

Sammeltätigkeit Wuppertaler Per-<br />

sönlichkeiten. Diese erwarben vornehmlich<br />

intim wirkende Kunstwerke für die<br />

eigenen Privaträume, und gerade das<br />

macht heute den besonderen Charakter<br />

der Sammlung „Alte Meister“ im Von<br />

der Heydt-Museum aus.<br />

Die Ausstellung „Alte Meister“ wird<br />

bis zum 1. September zu sehen sein. Parallel<br />

zeigt das Museum im Zwischengeschoss<br />

Highlights aus seiner Sammlung<br />

des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ab<br />

dem 14. April wird zudem im 2. Stock<br />

eine umfangreiche Werkauswahl unter<br />

dem Titel „Himmel auf Erden“ - Kunst<br />

des 20. und 21. Jahrhunderts präsentiert.<br />

Dabei wird ein besonderes Augenmerk<br />

auf die zahlreichen Neuerwerbungen der<br />

vergangenen Jahre und ihre Einbindung<br />

in den älteren Sammlungsbestand gelegt.<br />

Ausstellung bis zum 1. September 2013<br />

Jan Olis, Der Raucher, Eiche, 34 x 28 cm<br />

7


linke Seite oben.<br />

Pieter De Bloot, Schweineschlachten,<br />

1638, Eiche, 59 x 84 cm<br />

rechts oben:<br />

Klaas Molenaer, Eisvergnügen, Leinwand,<br />

67 x 79 cm<br />

linke Seite unten:<br />

Jan van Bylert, Singende Hirten, Leinwand,<br />

75 x 103 cm<br />

rechts unten:<br />

Jan Miense Molenaer , Lautenspieler,<br />

Eiche, 26, 5 x 24, 5 cm<br />

Von der Heydt-Museum<br />

Turmhof 8, 42103 Wuppertal<br />

Telefon 0202/563-6231<br />

www.von-der-heydt-museum.de<br />

9


10<br />

Von der Heydt-Museum<br />

Vorankündigung<br />

15. 10. 2013 –23. 2. 2014<br />

Sammlung Gigoux<br />

Meisterwerke aus dem Musée des<br />

Beaux-Arts et d’Archéologie de Besançon<br />

Von Cranach bis Géricault<br />

Lucas Cranach,<br />

Selbstmord der Lucretia<br />

Die Sammlung Gigoux<br />

Cranach, Dürer, Tizian, Bellini, Rubens,<br />

Rembrandt, Goya – gemeinsam ist diesen<br />

weltbedeutenden Künstlern eines: sie alle<br />

sind in der Sammlung Jean Gigoux mit<br />

wunderbaren Gemälden und Zeichnungen<br />

vertreten.<br />

Trotzdem ist diese großartige Sammlung<br />

in Deutschland bislang nie gezeigt worden<br />

und noch völlig unbekannt. Jean Gigoux<br />

(1806-1894) war im Frankreich des<br />

19. Jahrhunderts als Maler bekannt, vor<br />

allem aber als Zeichner und als äußerst


geschätzter Illustrator. Mit seiner Arbeit<br />

gelang es ihm, ein Vermögen zu erwerben<br />

und damit eine Kunstsammlung von<br />

enormer Strahlkraft aufzubauen. Das Von<br />

der Heydt-Museum zeigt die außergewöhnlichen<br />

Meisterwerke dieser umfangreichen<br />

Sammlung nun zum ersten Mal<br />

in Deutschland. Das Besondere an dieser<br />

Ausstellung ist, dass die Kunstwerke von<br />

einem Künstler zusammengetragen wurden.<br />

Mit seinen fundierten Kenntnissen<br />

der Malerei und seiner geübten Seherfahrung,<br />

mit seinem malerischen Können<br />

und Wissen hat Jean Gigoux aus dem<br />

Besten, was die Kunst von der Renaissance<br />

bis zum 19. Jahrhundert zu bieten<br />

hatte, treffsicher die interessantesten, oft<br />

auch ungewöhnlichsten Werke für seinen<br />

Privatgebrauch ausgewählt. So ist der<br />

Parcours durch unsere Ausstellung eine<br />

Reise durch die Geschichte der Kunst,<br />

gesehen durch das Auge eines scharfsinnigen<br />

Malers. Gigoux gelang es, sich<br />

von den allgemeinen Kunstvorstellungen<br />

seiner Zeit zu lösen und – vor allem im<br />

Bereich der Zeichnungen, in dem seine<br />

Sammlung Werke von Mantegna, Cellini,<br />

Breughel, van Dyck, Jordaens, Fragonard<br />

bis hin zu seinen Zeitgenossen David,<br />

Delacroix und Géricault enthält – die<br />

Kunstgeschichte „Gegen den Strich zu<br />

bürsten“ und ebenso überraschende wie<br />

beglückende Kostbarkeiten zu vereinen.<br />

Die Ausstellung entsteht in enger Zusammenarbeit<br />

mit dem Musée des Beaux-Arts<br />

et d’Archéologie in Besançon und umfasst<br />

ca. 100 ausgewählte Gemälde und 30<br />

erlesene Zeichnungen. Sie verspricht, ein<br />

großer Augenschmaus und ein besonderes<br />

intellektuelles Vergnügen zu werden.<br />

oben:<br />

Paul de Vos, Zwei junge Seehunde am<br />

Strand, um 1650<br />

rechts:<br />

Jan Lievens, Kind mit Seifenblasen, um<br />

1645<br />

11


12<br />

Karl Otto Mühl 90 !<br />

Ein Glückwunsch<br />

Die „Musenblätter“ haben soeben ihren<br />

sechsten Geburtstag feiern können, das Kultur-Magazin<br />

„Die Beste Zeit“ seinen dritten.<br />

Daß beide so ordentlich aus den Startblöcken<br />

gekommen sind und ihre Akzeptanz auch in<br />

Literaturkreisen gefunden haben, verdanken<br />

sie nicht unerheblich der Förderung durch<br />

den Schriftsteller und Freund Karl Otto<br />

Mühl, der in diesen Tagen seinen 90. feiert.<br />

Als Mitarbeiter der ersten Stunde stellt<br />

Karl Otto Mühl beiden Magazinen seither<br />

seine Texte zur Verfügung, vermittelt<br />

vorzügliche Autoren und rührt fl eißig und<br />

uneigennützig die Werbetrommel. Dafür<br />

unseren ganz besonders herzlichen Dank!<br />

Unser Glückwunsch geht zugleich an den<br />

Schriftsteller, der nicht nur auf 90 erfüllte<br />

Lebensjahre, sondern auch auf ein umfangreiches<br />

Lebenswerk zurückblicken kann - womit<br />

nicht gesagt sein soll, daß da nicht noch<br />

einiges der Veröffentlichung harre! Gratulieren<br />

wir ihm also von ganzem Herzen.<br />

Die Unermüdlichkeit des Geistes<br />

Die Unermüdlichkeit des Geistes ist vermut-<br />

lich der Weg zu ungebrochener Schaffenskraft<br />

von der Frische der Jugend bis in die<br />

Reife des Alters. Der Dramatiker, Romancier<br />

und Lyriker Karl Otto Mühl ist diesen Weg<br />

gegangen und geht ihn noch. Am 16. Februar<br />

feiert er seinen 90. Geburtstag.<br />

An den Wänden seines Arbeitszimmers<br />

sind Fotos angeheftet: Max Schmeling ist zu<br />

sehen und Hermann Schulz. Franz Kafka<br />

und Siegmund Freud teilen sich den Platz<br />

mit Werner Zimmermann, Karl-Heinz<br />

Schniewindt und einigen anderen. Diese<br />

Männer bedeuten ihm etwas, deshalb möchte<br />

Karl Otto Mühl ihre Fotos da um sich haben,<br />

wo er schreibt.<br />

Angefangen hat es vor gut 80 Jahren,<br />

wenige Jahre nachdem der 1923 in Nürnberg<br />

geborene Sohn eines Werkmeisters durch die<br />

Versetzung des Vaters 1929 in die gerade erst<br />

zusammengefügte Stadt Wuppertal gekommen<br />

war. Der Anstoß zum Schreiben kam<br />

von einem alten Herrn aus der Nachbarschaft,<br />

einem ehemaligen Straßenbahnschaffner.<br />

Der kluge Mann, der – Mühl erinnert<br />

sich genau – ein altväterliches Hörrohr<br />

aus Messing benutzte, sprach oft mit dem<br />

Knaben und ermunterte ihn, aufzuschreiben,<br />

was da in seinem Kopf vorging. Der Junge<br />

schrieb, wandte sich an die Lokalzeitung<br />

»General-Anzeiger« – und konnte 1932 in<br />

der Jugendbeilage erste Kindergeschichten<br />

veröffentlichen. Später schrieb er neben dem<br />

Besuch der Realschule und der Lehre als<br />

Industriekaufmann weiter. Gedichte, Theaterstücke<br />

und „Epigonales“, angeregt von<br />

großen Vorbildern.<br />

1941 wurde Karl Otto Mühl zur Fahne<br />

gerufen, mußte in den Krieg ziehen. Bis<br />

1942 hatte er die literarische Produktion vom<br />

Zufall des Einfalls abhängig gemacht. Sein<br />

Krieg währte ein Jahr, er überlebte, geriet<br />

in der libyschen Wüste bei El Alamein in<br />

englische Gefangenschaft. Nun schrieb er<br />

mit Plan – Dichtung zum Überleben. Fünf<br />

Jahre verbrachte der junge Mann, der kein<br />

Soldat hatte sein wollen, in Gefangenenlagern<br />

in Afrika, Europa und den USA. Und<br />

er schrieb: Gedichte, Aphorismen, Erinnerungen,<br />

Gedankenfetzen, Ideen – in schmale<br />

Oktavhefte, Kladden, die er bewahren konnte<br />

und 1947 mit zurück nach Hause brachte.<br />

Für das zwischenzeitlich eingestellte Magazin


»Bergische Zeit« öffnete Mühl 2003 sein<br />

Archiv und erlaubte die Erstveröffentlichung<br />

bisher ungedruckter Texte:<br />

Da wir es fühlten<br />

Die bange Lust von Sommernachmittagen,<br />

und gelbe Felder, die den Himmel tragen,<br />

ein Dornbusch, starrend, wild verzweigt,<br />

der sich in seinen Schatten neigt –<br />

die Nächte nahen barfuß, nicht zu hören,<br />

und gehen früh und wissen, daß sie stören.<br />

Wir ließen stumm erschreckt die Arme nieder.<br />

Es blinzelte durch träge Augenlider<br />

ringsum mit schmalem Blick die Welt;<br />

die Krüge wurden hingestellt,<br />

und standen durstig an verdorrten Flüssen –<br />

da wir es fühlten, daß wir sterben müssen.<br />

(auf 1944/45 zu datieren)<br />

1944 hatte Mühl in Naples/New York als<br />

POW (Prisoner Of War) zum Traubenpressen<br />

dienstverpfl ichtet, den Dramatiker Tankred<br />

Dorst kennen gelernt und Impulse von<br />

ihm bekommen Die Wege der beiden sollten<br />

sich später erneut kreuzen. Ins Ruinenfeld<br />

des zerstörten Wuppertal zurückgekehrt,<br />

Karl Otto Mühl mit Hermann Schulz<br />

links:<br />

Karl Otto Mühl mit seiner Ehefrau Dagmar<br />

folgte er dem Ruf Paul Pörtners, sich der<br />

Künstlergruppe „Der Turm“ anzuschließen.<br />

Robert Wolfgang Schnell und später Tankred<br />

Dorst gehörten wie der Maler Wolfgang vom<br />

Schemm dazu. Man sprach über Literatur<br />

und Kunst, Mühl schrieb Kurzgeschichten.<br />

1948 legte er am Carl-Duisberg-Gymnasium<br />

sein nachgeholtes Abitur ab. Der Neuanfang<br />

war gemacht. Jetzt aber galten erst einmal<br />

Beruf und Brot. Diese Zeit beschrieb er in<br />

seinem erfolgreichen Romanerstling „Siebenschläfer“,<br />

den er als mittlerweile leitender<br />

Angestellter zwischen 1964 und 1969<br />

geschrieben hatte, aber erst 1975, im Jahr<br />

nach seinem Durchbruch als Dramatiker mit<br />

„Rheinpromenade“ veröffentlichte. Auch das<br />

mit durchschlagendem Erfolg (ca. 70 Inszenierungen)<br />

die deutschen Bühnen stürmende<br />

Stück hatte Mühl „nebenbei“ geschrieben:<br />

„Täglich 20 Minuten hatte ich, während ich<br />

im Ratskeller Neuss auf meine Frau wartete“,<br />

erinnert er sich. Am 5. April wird „Rheinpromenade“<br />

im Schauspielhaus Köln zu Ehren<br />

Karl Otto Mühls eine Renaissance erleben.<br />

1970 hatte Mühl geheiratet. Drei Töchter<br />

hat er mit seiner Frau Dagmar Friebel.<br />

Weitere Theaterstücke folgen: „Rosenmontag“,<br />

„Kur in Bad Wiessee“, „Die Reise<br />

der alten Männer“. Dreizehn sind es seither<br />

geworden, dazu Drehbücher zu Fernsehfi<br />

lmen, Hörspiele, Romane und Gedichte.<br />

Der 1975 verliehene Von der Heydt-Preis<br />

befl ügelte. Schon 1972 hatte sich Mühl<br />

durch Vermittlung Horst Laubes und<br />

Tankred Dorsts dem Verlag der Autoren<br />

angeschlossen, aber auch beim Hermann<br />

Luchterhand Verlag und beim Rotbuch<br />

Verlag veröffentlicht. Seit 2002 hat er für<br />

Prosa und Lyrik eine neue Verlagsheimat<br />

beim Wuppertaler NordPark Verlag<br />

gefunden, der seinen jüngsten Gedichtband<br />

„Inmitten der Rätsel“ und eine Neuaufl age<br />

von „Siebenschläfer“ vorlegte. Die Arbeit<br />

ging weiter. Karl Otto Mühl veröffentlichte<br />

2005 die Romane „Nackte Hunde“ und<br />

„Hungrige Könige“ in autobiographischer<br />

Anlehnung an die 30er und 40er Jahre in<br />

Wuppertal. In Arbeit ist der ebenfalls autobiographische<br />

Roman „Der gute Amerikaner“,<br />

der die Kriegsgefangenschaft aufarbeitet.<br />

„Geklopfte Sprüche“ Mühl denkt nicht<br />

daran, aufzuhören. „Ein bißchen weniger<br />

vielleicht“, sagt er und: „Das Leben ist ein<br />

ständiges Weiterkriechen.“ Seit einer 1982<br />

glücklich überstandenen Krebsoperation<br />

hat er einen etwas anderen Blick gewonnen.<br />

„Wir sind ein Prozeß, aber die Leute wollen<br />

immer gerne, daß wir ein Denkmal sind.“<br />

Kurzer bio-bibliographischer Abriß:<br />

Karl Otto Mühl – Dramatiker, Lyriker,<br />

Romanschriftsteller, Hörspielautor,<br />

geboren 16. Februar 1923 in Nürnberg/<br />

Bayern, lebt und arbeitet in Wuppertal/<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

1947 Künstlergruppe „Der Turm“, 1976<br />

Von-der-Heydt-Preis, Verlag der Autoren,<br />

Verband Deutscher Schriftsteller, P.E.N.<br />

Deutschland, seit 2006 „Musenblätter“-<br />

Autor<br />

Werke (Auswahl):<br />

Romane/Bücher:<br />

Die Erfi ndung des Augenblicks,<br />

Neue Geschichten, NordPark Verlag 2012<br />

Stehcafé, Geschichten, NordPark Verlag 2010<br />

Die alten Soldaten, Roman, NordPark Verlag<br />

2009<br />

Laß uns nie erwachen, Gedichte, NordPark<br />

Verlag 2008<br />

Sandsturm, Roman, NordPark Verlag 2008<br />

Hungrige Könige, Roman, NordPark Verlag<br />

2005<br />

Nackte Hunde, Roman, NordPark Verlag<br />

2005<br />

Inmitten der Rätsel, Gedichte, NordPark<br />

Verlag 2002<br />

Jakobs seltsame Uhren, Bilderbuch,<br />

Wuppertal, Hammer Verlag, 1999<br />

Fernlicht, Roman, Wuppertal, Hammer<br />

Verlag, 1997<br />

Trumpeners Irrtum, Roman, Darmstadt,<br />

Luchterhand 1981<br />

Siebenschläfer, Roman, Darmstadt,<br />

Neuwied, Luchterhand 1975/NordPark<br />

2003<br />

Theater:<br />

Das Privileg, 2001<br />

Ein Neger zum Tee, 1995<br />

Verbindlichen Dank, 1994<br />

Die Weber, von Gerhart Hauptmann, Bearbeitung<br />

1989<br />

Am Abend kommt Crispin, 1988<br />

Kellermanns Prozeß, 1982<br />

Die Reise der alten Männer, 1980<br />

Hoffmanns Geschenke, 1978<br />

Wanderlust, 1977<br />

Kur in Bad Wiessee, 1976<br />

Rheinpromenade, 1973<br />

Rosenmontag, 1975<br />

Frank Becker<br />

13


14<br />

„Mein Freund Harvey“<br />

von Mary Chase – Eine Komödie<br />

über die Psychoanalyse<br />

Das Falsche ist oft die Wahrheit, die auf<br />

dem Kopf steht. (Sigmund Freud)<br />

Inszenierung: Gert Becker<br />

Ausstattung: Elke König<br />

Dramaturgie: Christian Scholze<br />

Besetzung:<br />

Elwood P. Dowd: Berthold Schirm<br />

Ruth Kelly, Oberschwester in Dr. Chumleys<br />

Sanatorium: Julia Gutjahr<br />

Veta Louise Simmons, seine verwitwete<br />

Schwester: Vesna Buljevic<br />

Myrtle Mae, deren Tochter:<br />

Sophie Schmidt<br />

Omar Gaffney, Anwalt der Familie Dowd:<br />

Francesco Russo<br />

Dr. William R. Chumley, Psychiater:<br />

Guido Thurk<br />

Betty Chumley, seine Frau / Mrs. Ethel<br />

Chauvenet / E. J. Lofgreen, Taxi-Chauffeur:<br />

Gabriele Brüning<br />

Dr. Lyman Sanderson, Psychiater:<br />

Roni Merza<br />

Marvin Wilson, Angestellter des Sanatoriums:<br />

Bülent Özdil<br />

Er ist verrückt, das ist alles<br />

„Er ist verrückt, das ist alles.“ Wenn es<br />

so einfach wäre, wie es Elwood P. Dowds<br />

Nichte Myrtle Mae es auf den Punkt zu<br />

bringen versucht, wäre „Mein Freund Harvey“<br />

von Mary Chase ein kurzes, tragisches<br />

Stück. Ein Mann wird seit Jahren von<br />

einem unsichtbaren, großen weißen Hasen<br />

(2 Meter plus Ohren) begleitet und teilt<br />

den Alltag mit ihm - Diagnose: Wahnvorstellungen,<br />

Maßnahmen: Klapsmühle,<br />

Zwangsjacke, Eisbäder. Schrecklich.<br />

Doch Mary Chase hat mit ihrer ab 1943<br />

am Broadway 1775mal en suite aufgeführten<br />

und 1950 mit James Stewart Maßstäbe<br />

setzend verfi lmten Gesellschaftskomödie<br />

über die Psychoanalyse eine wunderbare<br />

Parabel zu der Frage geschaffen, wer denn<br />

nun verrückt sei: Elwood P. Dowd (Berthold<br />

Schirm), das medizinische Personal<br />

der Irrenanstalt, pardon, des Sanatoriums<br />

oder gar wir, die Zuschauer? Gert Becker<br />

hat mit dem Ensemble des Westfälischen<br />

Landestheaters Castrop-Rauxel auf der<br />

wunderbaren wolkig-violetten Bühne von<br />

Elke König (die auch für die kongenialen<br />

Garderoben zeichnet) eine äußerst kurzweilige<br />

Inszenierung auf die Beine gestellt,<br />

welche der Intention der Autorin folgend<br />

das Spiel zwischen Wahn und Wirklichkeit<br />

mit weiser Komik betreibt.<br />

„Das Maß von unbefriedigter Libido, das die<br />

Menschen im Durchschnitt auf sich nehmen<br />

können, ist begrenzt.“ (Sigmund Freud)<br />

Man spürt stets – gelegentlich sieht man<br />

ihn auch im Hintergrund – Sigmund<br />

Freud im Raum, und sein Satz: „Das<br />

Falsche ist oft die Wahrheit, die auf dem<br />

Kopf steht“, wird spürbar. Vor seinem Bild<br />

entwickelt sich in den absurden Dialogen,<br />

die Mary Chase ihren Figuren auf Maß<br />

geschneidert hat und die von Gert Becker<br />

glänzend inszeniert wurden, ein köstliches<br />

Spiel mit Klischees, die mit Genuß ausgeschlachtet<br />

werden. Da ist das verklemmte,<br />

nach Sex lechzende Vorstadt-Girl Myrtle<br />

Mae (Sophie Schmidt), agieren die psychiatrieverdächtigen<br />

Psychiater Dr. Sanderson


(Roni Merza) und Dr. Chumley (Guido<br />

Thurk) als Götter in Weiß, baggert der<br />

notgeile Sanatoriumshelfer Wilson (Bülent<br />

Özdil), und verzweifelt die societysüchtige<br />

Mrs. Simmons (Vesna Buljevic). Gabriele<br />

Brüning agiert gleich in vier Rollen, bei<br />

denen sie besonders als Betty Chumley Akzente<br />

setzt. Sie führen uns eine Gesellschaft<br />

vor, die natürlich in jeder scheinbaren<br />

Abweichung von der Norm eine Gefahr<br />

sehen muß. Daß Mary Chase auch ganz<br />

nebenbei im Plauderton Albert Einsteins<br />

Relativitätstheorie bemüht, sei ebenso ganz<br />

am Rande vermerkt.<br />

An der Frauenbrust treffen sich Liebe und<br />

Hunger. (Sigmund Freud)<br />

Julia Gutjahr in einer Paraderolle<br />

Die zauberhafte Julia Gutjahr nimmt<br />

als auf High-Heels stöckelnd hüftenschwingende<br />

Betty, der stets im rechten<br />

Augenblick der obere Knopf des spacken<br />

Kittelchens aufspringt, dank ihrer pikan-<br />

ten Karikatur auf die Karikatur einer sexy<br />

Krankenschwester eine besondere Position<br />

ein, die nahezu dem wunderbaren Berthold<br />

Schirm den Rang abläuft. Sympathisch süß<br />

gestrickt entzieht sie sich, den Blick auf die<br />

Liebe(n)swürdigkeit ihrer Mitmenschen<br />

gerichtet, der allgemeinen Hysterie. Auch<br />

hier wird Freud treffl ich umgesetzt: „An<br />

der Frauenbrust treffen sich Liebe und<br />

Hunger.“ Hinreißend. Und die Herren im<br />

Publikum beneiden Dr. Sanders.<br />

Das Falsche ist oft die Wahrheit, die auf dem<br />

Kopf steht. (Sigmund Freud)<br />

Berthold Schirm als „sanfter Irrer“<br />

Berthold Schirm weiß als spleeniger<br />

„sanfter Irrer“ Elwood im weichen Tweed-<br />

Anzug, ein Mann ohne Arg, der en passant<br />

Ovid zitiert, davon zu überzeugen, daß es<br />

eine Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit<br />

gibt, was Star-Psychiater Chumley schließlich<br />

zu der umkehrenden Einsicht bringt:<br />

„Fliegendreck, ich verbringe mein Leben<br />

mit Fliegendreck!“. Denn: „Auch der<br />

psychiatrische Wahn enthält ein Stückchen<br />

Wahrheit, und die Überzeugung des Kranken<br />

greift von dieser Wahrheit aus auf die<br />

wahnhafte Umhüllung über.“ (Sigmund<br />

Freud) Ein großartiges Stück, ein großartiger<br />

Abend.<br />

Das Stück ist derzeit in NRW auf Tournee.<br />

Weitere Informationen:<br />

westfaelisches-landestheater.de<br />

Frank Becker<br />

Fotos: Volker Beushausen<br />

linke Seite:<br />

Vesna Buljevic (Veta Louise Simmons)<br />

rechte Seite:<br />

v. l.: BertholdSchirm(Elwood P. Dowd),<br />

Guido Thurk(Dr. William R. Chumley)<br />

15


16<br />

Otto Modersohn<br />

Landschaften der Stille<br />

Paula Modersohn-Becker –<br />

Eine expressive Malerin<br />

Werke aus Privatbesitz<br />

Osthaus Museum Hagen<br />

noch bis zum 21. April 2013<br />

Otto Modersohn (1865-1943)<br />

Die Wolke, 1890<br />

© Otto Modersohn Museum, Fischerhude<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn, 2013<br />

Landschaften der Stille


18<br />

Otto Modersohn, Dorfstraße in Worpswede, 1897, © Otto Modersohn Museum, Fischerhude, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2013


20<br />

Das Osthaus Museum Hagen richtet bis<br />

21. April 2013 in Zusammenarbeit mit<br />

der Otto Modersohn Stiftung in Worpswede<br />

eine retrospektiv angelegte Ausstellung<br />

zum Werk des Landschaftsmalers Otto<br />

Modersohn (1865–1943) aus. Mit über<br />

100 Gemälden und rund 80 Zeichnungen<br />

ist dies die erste umfassende Museumspräsentation<br />

außerhalb des Otto Modersohn<br />

Museums in Fischerhude seit 35 Jahren in<br />

Deutschland. Ziel der Ausstellung ist es,<br />

die Eigenständigkeit des außerordentlich<br />

umfangreichen malerischen wie auch des<br />

zeichnerischen Œuvres einem breiten Publikum<br />

zugänglich zu machen. Sie umfasst<br />

alle Abschnitte seiner Werkgenese.<br />

Parallel zu dieser Präsentation, zeigt das<br />

Osthaus Museum eine exklusive Auswahl<br />

von Werken Paula Modersohn-Beckers<br />

aus Privatbesitz. Damit begegnen sich zwei<br />

grundlegend unterschiedliche künstlerische<br />

Sehweisen, die sich an einigen Punkten<br />

berühren und sich für kurze Zeit gegenseitig<br />

befruchten, dann jedoch wieder völlig andere,<br />

eigenständige Entwicklungen nehmen.<br />

Der in Soest geborene Künstler<br />

verbrachte vor seinem Studium an der<br />

Kunstakademie Düsseldorf seine Kinder-<br />

und Jugendzeit in Münster. Neben dieser<br />

familiären Verwurzelung in Westfalen<br />

besitzt auch die Sammlungsgeschichte des<br />

Osthaus Museums Hagen eine Beziehung<br />

zu Otto Modersohn und seinem Werk.<br />

Das Künstlerehepaar Otto Modersohn<br />

und Paula Modersohn-Becker hatte den<br />

Hagener Mäzen und Kunstsammler sowie<br />

Peter Behrens gemeinsam mit Heinrich<br />

Vogeler auf einer 3-tägigen Reise nach<br />

Westfalen im Jahr 1905 in Hagen kennen<br />

und schätzen gelernt.<br />

Im Juli 1899 erklärte Modersohn<br />

seinen Austritt aus der Künstlervereinigung<br />

‚Worpswede‘; nach dem Tod seiner<br />

ersten Frau Helene im darauffolgenden<br />

Jahr wurde Paula Becker, die zunächst als<br />

Malschülerin von Mackensen nach Worpswede<br />

gekommen war, seine intensivste<br />

Gesprächspartnerin; die beiden heirateten<br />

1901. Otto Modersohn und Paula<br />

Modersohn-Becker arbeiteten zum Thema<br />

der Gegenständlichkeitsauffassung in den<br />

folgenden Jahren intensiv an der Umsetzung<br />

der von ihnen deklarierten Maxime<br />

„Das Ding an sich in Stimmung“. Es entstanden<br />

Werke, die die naturalistische Darstellung<br />

zunehmend vernachlässigten und<br />

mehr einer inneren Welt entsprangen. Der<br />

plötzliche Tod Paula Modersohn-Beckers<br />

im Jahr 1907 veranlasste Otto Modersohn<br />

Worpswede zu verlassen. Die gemeinsame<br />

Arbeit wurde leider frühzeitig beendet.<br />

Auf Initiative von Otto Modersohn und<br />

Heinrich Vogeler fand 1913 posthum eine<br />

umfassende Ausstellung mit 77 Gemälden<br />

und Skizzen, 45 Zeichnungen sowie 9 Radierungen<br />

von Paula Modersohn-Becker<br />

in den Räumen des Museum Folkwang in<br />

Hagen statt. Otto Modersohn besuchte die<br />

Ausstellung zusammen mit seiner Tochter<br />

Mathilde. Er beschrieb seinen Eindruck<br />

der Ausstellung mit nur einem Wort:<br />

„überwältigend“. Die Ausstellung wurde<br />

von einem im Worpsweder Horenverlag<br />

herausgegebenen Katalog begleitet, an dessen<br />

Zustandekommen Otto Modersohn


wesentlich beteiligt war. Im Anschluss an<br />

die Ausstellung kaufte Karl Ernst Osthaus<br />

das Gemälde „Selbstbildnis mit Kamelienzweig“,<br />

entstanden 1907 in Paris, das letzte<br />

Selbstporträt Paula Modersohn-Beckers,<br />

die am 20. November 1907 an den Folgen<br />

der Entbindung ihrer Tochter Mathilde<br />

in Worpswede früh verstarb. Es befi ndet<br />

sich heute im Bestand der Sammlung des<br />

Essener Folkwang Museums.<br />

Heute besitzt das Osthaus Museum Hagen<br />

zwei Ölgemälde von Otto Modersohn.<br />

„Abend im Moor“ kaufte die Städtische<br />

Sammlung aus dem Atelier im Oktober<br />

1941 und aus der Ausstellung in Hagen,<br />

im Mai 1942, erwarb das Museum das<br />

Bild „Flusslandschaft im Rauhreif“. In<br />

Hagener Privatbesitz konnten aus dieser<br />

Ausstellung vier weitere Bilder vermittelt<br />

werden.<br />

Nach 1945 wurden auch wieder Werke<br />

von Paula Modersohn-Becker in die<br />

Sammlung des Osthaus Museums integriert,<br />

darunter neben drei grafi schen Blät-<br />

Kultur, Information und Unterhaltung im Internet<br />

Täglich neu – mit großem Archiv<br />

Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografi e – Reise<br />

Unabhängig, werbefrei und ohne Maulkorb<br />

www.musenblaetter.de<br />

linke Seite:<br />

Otto Modersohn (1865-1943)<br />

Bauerngarten mit Insel, 1911<br />

© Otto Modersohn Museum, Fischerhude,<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn, 2013<br />

rechte Seite:<br />

Otto Modersohn (1865-1943)<br />

Kirchgang (Neujahr - Dingstiege<br />

in Münster), 1888<br />

Öl auf Papier auf Karton, 21 x 21 cm,<br />

© Otto Modersohn Museum, Fischerhude,<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn, 2013<br />

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog<br />

mit Beiträgen von Erich Franz zu den<br />

Bildern und Andrea Fink-Belgin zu den<br />

Zeichnungen.<br />

Der 216 Seiten umfassende Katalog mit<br />

115 Abbildungen umreißt mit ausgewählten<br />

Beispielen das Schaffen Otto<br />

Modersohns. Der Katalog kostet in der<br />

Ausstellung 28,– Euro.<br />

Supplementband: Paula Modersohn-<br />

Becker – Eine expressive Malerin, mit<br />

einem Einleitungstext von Tayfun Belgin<br />

tern das Bildnis „Mädchen mit Lamm“,<br />

datiert auf das Jahr 1904.<br />

Die Ausstellung erfolgt in Zusammenarbeit<br />

mit dem Otto Modersohn Museum<br />

in Fischerhude, und mit der freundlichen<br />

Unterstützung der Galerie Neher, Essen.<br />

www.osthausmuseum.de<br />

21


Lyrische Tragödie in zwei Akten<br />

von Federico García Lorca<br />

Musik von Wolfgang Fortner<br />

links: Dalia Schaechter, Verena Hierholzer<br />

unten v.l.n.r.: Ingeborg Wolff, Stephan<br />

Ullrich, Dalia Schaechter, Banu Böke,<br />

Gregor Henze, Tanja Ball, Angelika März,<br />

Marco Agostini<br />

Bluthochzeit<br />

Eine junge Frau im Brautkleid sitzt schon<br />

auf der Bühne, wenn die Zuschauer ihre<br />

Plätze einnehmen. Dann springt diese Braut<br />

der Mutter auf den Rücken und will sie<br />

nicht mehr loslassen. Sie ist der Dämon, der<br />

kommt, wenn der Tod in der Nähe ist. Er<br />

wechselt im Lauf des Stückes seine Kleider,<br />

erst trägt er weiße, die werden aber immer<br />

mehr durch schwarze ersetzt. Einmal wirft er<br />

der Mutter einen schwarzen Schleier zu, den<br />

die aber nicht haben will. Er malt sich auch<br />

blutrot an und putzt sich ganz am Schluss<br />

die weiße Schminke aus dem Gesicht.<br />

Noch eine andere Frau ist fast immer anwesend:<br />

die Bettlerin, der Tod. Mit ihren beiden<br />

Plastiktüten, in einen alten Mantel und<br />

in eine Trainingshose gehüllt, wartet sie sanft<br />

lächelnd darauf, dass jemand stirbt, weist<br />

den Mond an, dass es passiert und öffnet den<br />

beiden Duellanten den Weg in ihr Reich.<br />

Beide Frauen lenken sozusagen das Stück.<br />

Die Bettlerin kommt im Libretto nur in einer<br />

Szene vor, der Dämon überhaupt nicht.<br />

Dass dem Regisseur, Christian von Goetz,<br />

das in dieser Weise darstellt, zeigt seine<br />

intensive, genaue und kreative Auseinandersetzung<br />

mit dem Stück.<br />

Das Wuppertaler Theater setzt seine<br />

hervorragende Arbeit fort, durch die Inszenierung<br />

von Wolfgang Fortners „Blut-<br />

hochzeit“, die im Jahre 1957 entstand und<br />

seit einigen Jahrzehnten in der Versenkung<br />

verschwunden ist. Die Wiederentdeckung<br />

hat sich gelohnt, weil in jeder Hinsicht beste<br />

Qualität geboten wird.<br />

Fortner hat den Text von Federico García<br />

Lorca vertont, ein spanischer Dichter, der<br />

1936 von den Franco-Faschisten ermordet<br />

wurde. Erzählt wird eine Geschichte, die<br />

aufgrund archaischer Gesetze und Bräuche<br />

blutig endet, vor allem die Geschichte einer<br />

traumatisierten Mutter, die schon Mann<br />

und ältesten Sohn durch eine Familienfehde<br />

verloren hat. Am Ende verliert sie auch noch<br />

den jüngeren, der aber seinen Widersacher<br />

aus der feindlichen Familie im Kampf um<br />

die Braut mit in den Tod nimmt.<br />

Besonders gut verstand es der Regisseur<br />

darzustellen, wie positive Gefühle anderen<br />

gegenüber keine Chance haben, weil scheinbar<br />

ewige Gesetze und überlieferte Religion<br />

dies verhindern. So bleibt die Hauptperson,<br />

die Mutter, absolut starr in ihrer Haltung,<br />

egal was passiert. Sie ist besessen vom Tod<br />

ihrer Familienmitglieder, wird ständig von<br />

Dämonen besucht, die sie immer wieder<br />

beschwört und von denen sie nicht lassen<br />

kann. Auch bei der Brautwerbung (3. Bild)<br />

wird nichts geklärt, alles bleibt formal, oberfl<br />

ächlich, von gegenseitigem Entgegenkom-<br />

23


24<br />

Martin Koch, Ingeborg Wolff<br />

men der Parteien oder gar von Liebe keine<br />

Spur, alle Intimität wird auf die Zeit nach der<br />

Hochzeit verschoben.<br />

Der Machismo spielt eine große Rolle.<br />

Leonardo, der Gegner des Bräutigams, spielt<br />

dies voll aus. Er, Mitglied der „Mörder-Familie“,<br />

der mit der Braut schon einmal verlobt<br />

war, jetzt aber mit deren Cousine verheiratet<br />

ist, benimmt sich ihr und seiner Mutter<br />

gegenüber ungeheuer brutal. Auch nicht den<br />

Hauch eines Zweifels an seiner Rolle hat er,<br />

hält sich sogar für schuldlos. Kurz vor dem<br />

Duell sagt er der von ihm entführten Braut:<br />

„Nicht mein ist die Schuld, sie ist die Schuld<br />

andalusischer Erde, des Geruchs deiner Brüste<br />

und Zöpfe“.<br />

In diese Meinung unterstützt wird er<br />

ausgerechnet von der Mutter seines Widersachers,<br />

die bedauert, dass ihr Mann sie<br />

nur zweimal mit einem Kind beglückt hat,<br />

während ihr Vater „an jeder Straßenecke ein<br />

Kind hinterlassen hat“, und preist ihren Sohn,<br />

weil er „guten Samen hat“.<br />

Wie sich unterdrückte Bedürfnisse ihren<br />

Weg bahnen, wird in sehr gelungener Weise<br />

dargestellt. Unterdrückte Sexualität zeigt sich<br />

so z.B. in masturbatorischen Bewegungen<br />

mit dem Kreuz, nach dem Entfernen des<br />

Lendenschurzes des Gekreuzigten. Während<br />

der Hochzeitsfeier tanzt ein lesbisches Pärchen<br />

auf dem Tisch, ein Mann, als Frau verkleidet,<br />

und ein Frau, als Mann verkleidet, deuten<br />

einen Koitus an, und sogar die Marienfi gur<br />

entpuppt sich als Schnapsfl asche, deren Kopf<br />

nur abgedreht werden muss, um an den<br />

Inhalt zu kommen.<br />

v.l.n.r. Stephan Ullrich, Banu Böke, Verena Hierholzer, Dalia Schaechter<br />

Der gesamte Plot ist schlüssig dargestellt, auch<br />

die surrealen Elemente der Geschichte werden<br />

sehr schön deutlich. So will der Mond, als<br />

Zwerg mit Scheinwerfer, beim Zweikampf der<br />

Rivalen besonders hell sein: „Denn das köstliche<br />

Zischen des Blutes will zwischen den Fingern<br />

ich hören.“ Auch der Kampf der beiden Männer<br />

wird nicht naturalistisch dargestellt, sondern der<br />

Tod (die Bettlerin) öffnet eine Tür, sie hören auf<br />

zu kämpfen und treten in ihr Reich ein.<br />

Dass Fortner zwölftönig komponiert hat,<br />

mag auf den ersten Blick abschrecken.<br />

Der Komponist hat es aber geschafft, die Musik<br />

sehr emotional zu gestalten, Gefühle und<br />

Seelenzustände werden deutlich und sind gut<br />

nachzuvollziehen.<br />

Erleichternd wirkt auch, dass nicht nur<br />

gesungen, sondern oft auch gesprochen wird.<br />

Auch hat Fortner lokales Kolorit verwendet,<br />

spanische und andalusische Lieder werden<br />

eingebunden, oft so, dass sie interpretierend<br />

wirken. So erscheinen Flamencoelemente nicht<br />

als Ausdruck freier Lebenslust, sondern der<br />

Unterdrückung, des nicht Herauskommens aus<br />

der traditionellen Lebenswelt; das Wiegenlied<br />

(2. Bild) wirkt nicht tröstend, sondern lastend<br />

und lebensschwer, das Hochzeitslied „Die<br />

Braut erwache am Morgen der Hochzeit mit<br />

smaragdenem Zweig, mit fl ießendem Haar,<br />

jasminener Stirn, mit schneeweißem Hemd<br />

und Lackschuh´n aus Silber“ ist angesichts der<br />

lieblosen Zeremonie eher eine Parodie, und das<br />

choralartige „Süße Nägel, süßes Kreuz, süßer<br />

Name Jesu“ kurz vor Schluss, wenn alle tot<br />

oder in anderer Weise am Ende sind, beleuchtet<br />

noch einmal die Rolle der Religion.<br />

Diese Musik wird vom Wuppertaler<br />

Sinfonieorchester unter Hilary Griffi th in ganz<br />

hervorragender Weise interpretiert. Interessanterweise<br />

spielt das Orchester nicht im Graben,<br />

sondern auf der Hinterbühne und ist teilweise<br />

sogar sichtbar. Deshalb rückt das Geschehen<br />

auf der Bühne ganz nah an die Zuschauer<br />

heran.<br />

Auch an den Leistungen der Sänger gibt<br />

es nichts zu kritisieren. Auch in schauspielerischer<br />

Hinsicht sind sie ohne Fehl und<br />

Tadel. Hervorzuheben ist die Darstellerin der<br />

Mutter, Dalia Schächter, in jeder Hinsicht die<br />

Zentrale des Stücks. Banu Böke stellt die Hin-<br />

und Hergerissenheit der Braut wunderbar dar,<br />

Thomas Laske seinen machismogeprägten<br />

Leonardo. Ebenso hoch ist das Niveau des<br />

Chors, aus dem einige Mitglieder solistisch<br />

hervortreten, und der übrigen Sänger. Besonders<br />

gut gefallen hat mir Annika Boos in einer<br />

kleinen Rolle als Kind, die Seilchen springend<br />

locker ihre Koloraturen, darunter sogar das<br />

hohe cis, bewältigt.<br />

Also: eine hervorragende Oper ist wiederentdeckt<br />

worden und wird in Wuppertal hervorragend<br />

gesungen und gespielt. Unbedingt<br />

hingehen!<br />

Weitere Aufführungen:<br />

8. und 17 Februar, 17. März<br />

Fritz Gerwinn<br />

Fotos: Uwe Stratmann


Vom „Drachen“ in Wuppertal zum<br />

Fernseh-Serienstar<br />

Auch das kann er: Helmfried von Lüttichau<br />

bei SAT 1 als Pornofi lm-Regisseur<br />

in der Komödie „Ausgerechnet Sex“…<br />

Helmfried von Lüttichau<br />

Er ist der Mann mit dem Klassenkasper-<br />

Gesicht. Etwas weniger ironisch und<br />

harmoniebetont formuliert, könnte man<br />

auch sagen: mit einem Gesicht, dem man<br />

nie böse sein kann. Es geht um Helmfried<br />

von Lüttichau. Schon der ungewöhnliche<br />

Name macht neugierig. Dabei ist es<br />

ziemlich einfach, ihn zu sehen. Derzeit<br />

jeden Montagabend um 20.15 Uhr in der<br />

4. Staffel der Serie „Der letzte Bulle“ in<br />

der Rolle des chaotischen Chefs Martin<br />

Ferchert. Ein Millionenpublikum eroberte<br />

sich auch die ARD-Vorabendserie „Hubert<br />

und Staller“, deren zweite Staffel im Februar<br />

auslief und deren Fortsetzung fest geplant<br />

ist. Bei den Titelhelden Hubert und<br />

Staller handelt es sich um zwei „mittelhelle“<br />

Dorfpolizisten in einem bayerischen<br />

Kleinstadtrevier (gedreht in Wolfratshausen<br />

und Münsing am Starnberger See), die mit<br />

höchst ungewöhnlichen Methoden ihre<br />

Fälle lösen. In den Hauptrollen der beiden<br />

unterschiedlichen Ermittler in Uniform<br />

sind Christian Tramitz und Helmfried von<br />

Lüttichau zu sehen. Der sagt über diese<br />

Rolle: „Gerade in sie fl ießt einiges von<br />

mir und meinem Charakter ein. Ich muss<br />

also nicht etwas Fremdes erfüllen, sondern<br />

kann es selbst erfi nden. Ich werde immer<br />

wieder von lachenden Menschen auf der<br />

Straße angesprochen, denen die Serie<br />

offenbar gut gefällt.“<br />

Serienrollen im Fernsehen und nun<br />

auch Autor eines Gedichtbandes mit dem<br />

Titel „Was mach ich wenn ich glücklich<br />

bin“. Helmfried von Lüttichau ist auf der<br />

Leiter der Karriere ziemlich weit oben<br />

angekommen. Die erste Stufe dieser Leiter<br />

aber war Wuppertal. Der 1956 in Hannover<br />

geborene und in München lebende<br />

Schauspieler mit dem Namen eines 1355<br />

erstmals erwähnten deutschen Adelsgeschlechts<br />

mit dem Stammsitz im Landkreis<br />

Oberspreewald-Lausitz hat, seine Karriere<br />

in der Spielzeit 1980/81 im Wuppertaler<br />

Schauspielhaus begonnen. Intendant war<br />

25


26<br />

Mit Christian Tramitz (rechts) als „Hubert und Staller“ in der ARD. (Bild: ARD/TMG/<br />

Chris Hirschhäuser)<br />

Die Protagonisten aus „Der letzte Bulle“. (v. l. n. r.) Meisner (Robert Lohr), Ferchert (Helmfried<br />

von Lüttichau), Andreas (Maximilian Grill) und Mick (Henning Baum), Steffi Averdunk<br />

(Franziska Weisz). © SAT. 1 Fotograf: Martin Rottenkolber<br />

Professor Hellmuth Matiasek, der mittlerweile<br />

81-jährige Ehemann von Cornelia<br />

Froboess. Lüttichau: „Er hat mich aus<br />

München von der Otto Falckenberg-Schule<br />

als Anfänger für zwei Jahre engagiert. Es<br />

war wunderbar, denn ich durfte sehr viel<br />

spielen. Meine erste Rolle war die Figur des<br />

Heinrich in ,Der Drache‘ .“ Der Schauspieler,<br />

der seinen seltenen Vornamen der Zusammensetzung<br />

des väterlichen Vornamens<br />

Friedrich-Wilhelm und des Großvaters<br />

Helmut verdankt, stand auch auf dem Besetzungszettel<br />

der vom Intendanten selbst<br />

inszenierten Lokalposse von JohannNestroy<br />

„Zu ebener Erde und erster Stock oder:<br />

Die Launen des Glückes.“ Franz Trager<br />

spielte die Hauptrolle, der Wuppertaler<br />

Theaterhistoriker und Siegfried Becker<br />

schrieb in seinem Standardwerk „50 Jahre<br />

Theater in Wuppertal“ über die Premiere<br />

am 1. März 1981: „Dem Nestroy Landsmann<br />

Matiasek gelang eine Aufführung,<br />

die das Publikum begeisterte.“ Doch auch<br />

damals herrschte keineswegs nur Begeisterung<br />

über das im Schauspielhaus Gebotene.<br />

Am 4. Juli 1981 kam „Strawberry<br />

Fields“ in der Inszenierung von Christoph<br />

Held zur deutschen Uraufführung und das<br />

lockte die überregionale Presse ins Tal. Der<br />

im Jahre 2007 verstorbene Kritiker Lothar<br />

Schmidt-Mühlisch verfasste in der WELT<br />

einen Totalverriss, in dem unter anderem<br />

zu lesen war: „Überhaupt machte man sich<br />

in Wuppertal viel Mühe, verschwendete<br />

großes Talent an belanglosen Schmäh.“<br />

Mit den Darstellern allerdings ging er<br />

gnädig um und bilanzierte: „Aber das<br />

verhinderte nur den totalen Durchfall des<br />

Stückes.“ Ein damals 25-jähriger Anfänger<br />

bekam die Bestnote: „Lediglich in<br />

der Figur des fast blinden Kevin ist dem<br />

Autor eine gewisse Authentizität gelungen.<br />

Offenbar ein Blumenkind von einst,<br />

gealtert, enttäuscht, zivilisationsmüde, mit<br />

intellektueller Attitüde mit der resignierend<br />

tödlichen Geste des letzten zerstörten<br />

Kraftaktes. Freilich: Auch das gewann erst<br />

Kontur durch die faszinierende Rollengestaltung<br />

Helmfried von Lüttichaus. Fast<br />

ein apokalyptischer Todesengel, dessen<br />

Traumvisionen von einem fernen Glück<br />

Helmfried von Lüttichau als fast blinder<br />

Kevin (2.v.rechts) im Jahre 1981 im Wuppertaler<br />

Schauspielhaus in der Komödie<br />

„Strawberry Fields“ mit Barbara Grupe,<br />

René Peier und Monika Hess. Foto: Kaspar<br />

Seiffert/Stadtarchiv Wuppertal<br />

die ästhetische Begründung der Zerstörung<br />

schaffen. Man möchte diesen Schauspieler<br />

in besseren Rollen sehen.“ Eine Spielzeit<br />

später mit der Premiere am 8.Mai 1982<br />

gab er in „Früchte des Nichts“ von Ferdinand<br />

Brückner die Rolle des „Foss“ und<br />

wurde von der renommierten Fachzeitung<br />

„Theater heute“ zum „Jungen Schauspieler<br />

der Saison“ gewählt. Nach zwei Spielzeiten<br />

hat er Wuppertal und seine Wohnung an<br />

der Briller Straße verlassen. Erinnerungen<br />

sind geblieben:„Besonders an Franz Trager,<br />

Ursula von Reibnitz, Rena Liebenow,<br />

Ingeborg Wolff, Erich Leukert und dessen<br />

Frau, die meine Maskenbildnerin war. Mit<br />

Hans Richter habe ich mich besonders gut<br />

verstanden. Noch besser aber mit Bernd<br />

Schäfer. Wir hatten eine Szene auf der<br />

Bühne, bei wir beide derart lachen musste,<br />

dass wir uns vom Publikum wegdrehen<br />

mussten.“


Helmfried von Lüttichau zog nach<br />

zwei Jahren weiter nach Frankfurt, an die<br />

Volksbühne Berlin, das Nationaltheater in<br />

Mannheim, nach Oberhausen, an das Düsseldorfer<br />

Schauspielhaus und als letztes festes<br />

Engagement 1997 an die später in fi nanzielle<br />

Turbulenzen geratenen Düsseldorfer<br />

Kammerspiele. Lüttichau: „Die letzte Gage<br />

bekamen wir aus der Konkursmasse.“ Schon<br />

zu diesem Zeitpunkt war er bei Film und<br />

Fernsehen gut gebucht: „Ich habe seitdem<br />

kein Theater mehr gespielt und mich nur<br />

auf Film und Fernsehen konzentriert.“ Der<br />

Bühnenanfänger aus Wuppertal der frühen<br />

80-er Jahre hat seitdem in unzähligen<br />

Filmen und Fernsehstücken- und Serien gespielt.<br />

Oft in kleineren Rollen, aber immer<br />

im Geschäft und das auch bei populären<br />

TV-Serien wie Balko, Der Fahnder, Alarm<br />

für Cobra 11, Tatort, Ein starkes Team, SK-<br />

Kölsch, Die Kommissarin, Um Himmels<br />

willen und Die Rosenheimcops. Lüttichau<br />

hat in beiden Wickie-Filmen von Bully<br />

Herbig mitgespielt und bei „Pünktchen<br />

und Anton“ drehte er gemeinsam mit der<br />

in Wülfrath lebenden und aus Wuppertal<br />

stammenden Kollegin Dorothea Walda. Die<br />

Rolle in der ARD-Serie hat ebenfalls einen<br />

H. von Lüttichau Was mach ich wenn ich<br />

glücklich bin. Verlag Fixpoetry 2012, Gedichte,<br />

144 S., ISBN 978-3-942890-15-1<br />

Preis: 14,90 Euro<br />

Wuppertal-Bezug. Lüttichau: „Redakteur<br />

der Serie ist Elmar Jaeger vom Bayerischen<br />

Rundfunk. Er hat mir erzählt, dass er mich<br />

damals in Wuppertal auf der Bühne des<br />

„Wunderbar, dass unsere Sparkasse<br />

einer der größten Kulturförderer<br />

Wuppertals ist.“<br />

Freundschaft<br />

mein Feind<br />

der mir<br />

am Stuhlbein sägt<br />

Gott sei Dank hab ich noch drei<br />

aber wackeln tut`s<br />

gewaltig<br />

mein Freund<br />

sägt wenigstens alle vier ab<br />

dann muss ich wieder stehen<br />

oder er lässt mich sitzen<br />

Das Lieblingsgedicht des Autors<br />

Schauspielhauses gesehen hat. Wuppertal<br />

war für mich also wirklich ein Sprungbrett.“<br />

Klaus Göntzsche<br />

Sparkassen-Finanzgruppe<br />

<br />

Die Stadtsparkasse Wuppertal unterstützt Soziales, Kultur und Sport in Wuppertal mit rund 5 Mio. € pro Jahr. Wir sind uns als Marktführer unserer<br />

Verantwortung für die Menschen und Unternehmen in unserer Stadt bewusst und stellen uns dieser Herausforderung. Mit unserem Engagement unterstreichen<br />

wir, dass es mehr ist als eine Werbeaussage, wenn wir sagen: Wenn’s um Geld geht – Sparkasse<br />

27


28<br />

Mario van Middendorf, Nibelungenwald,<br />

Cologne 2011, 100 cm x 80 cm,<br />

Fotografi e, C-Print<br />

Fotografi e ist kein erstarrtes Auge<br />

In ihren Anfängen, noch lange danach und<br />

zum Teil sogar heute war und ist Fotografi e<br />

als Kunstform umstritten, Motto: Kann ein<br />

leicht reproduzierbares Massenmedium, bei<br />

dem nur auf den Auslöser gedrückt wird,<br />

überhaupt Kunst sein? Schließlich bildet<br />

der Fotograf die Welt lediglich ab, während<br />

ein Maler oder Bildhauer mit seinen teils<br />

aufwändigen Arbeiten die Wirklichkeit interpretiert<br />

oder eine ganz neue Welt erschafft...<br />

Für den britischen Maler David Hockney<br />

ist „Fotografi e einfach ein Medium.<br />

Die Frage, ob sie Kunst ist oder nicht,<br />

ist für mich irrelevant. Man könnte sich<br />

genauso fragen, ob die Wasserfarbenmalerei<br />

Kunst ist. In gewisser Weise ist die<br />

Fotografi e auch ein sehr beschränktes<br />

Medium, denn sie verlangt von uns im<br />

Grunde, die Welt mit einem erstarrten<br />

Auge zu betrachten.“ Und überhaupt:


Wie soll man denn in der Fotografi e<br />

ein Original defi nieren? Zweifelsohne<br />

ein Einwand, trotzdem tut das dem<br />

Ideenreichtum, der Kreativität und Qualität<br />

vieler Protagonisten der Fotografi e<br />

keinen Abbruch. Denn zwischenzeitlich<br />

hat sich viel getan: Der Sprung von der<br />

analogen zur digitalen Fotografi e und<br />

Hilfsmittel wie Photoshop eröffnen den<br />

Kreativen vielseitige Möglichkeiten –<br />

auch wenn Fotobearbeitungsprogramme<br />

ein Reizthema sind: Von den einen<br />

werden sie als Kreativmedium geliebt,<br />

von anderen als schnödes Verschönerungswerkzeug<br />

mieser Fotos herabqualifi<br />

ziert. Aber grundsätzlich spricht doch<br />

nichts dagegen, unterschiedliche Mittel<br />

einzusetzen, insbesondere wenn es der<br />

Sache (= Kreativität) dient.<br />

Folgt man der Argumentation von<br />

Swantje Karich, Feuilletonredakteurin<br />

der FAZ und Leiterin des Kunstressorts,<br />

in ihrem Artikel „Wohin steuert die<br />

zeitgenössische Kunst?“ (FAZ.net vom<br />

11. 11. 2011), dann sind Malerei und<br />

Fotografi e ohnehin abgegessen und werden<br />

abgelöst vom bewegten Bild. Karich<br />

schreibt dazu: „Die Fotografi e hat einst<br />

den Wettstreit aufgenommen mit der<br />

Malerei. Die Malerei des 20. Jahrhunderts<br />

steht gleichzeitig unter dem<br />

Paradigma der Fotografi e. Nach dieser<br />

kamen das Video und nun auch das<br />

Netz. Das bewegte Bild wird zum Zentralfetisch<br />

der Informationswelt. Nicht<br />

im Fernsehen, sondern auf Youtube und<br />

Facebook werden die gesellschafts-künstlerischen<br />

Inhalte verbreitet.“<br />

Mag sein, dennoch gibt es schlichtweg<br />

erstklassige Fotografen mit Konzepten –<br />

ob digital oder analog –, die so kreativ,<br />

spannend, bewegend und schön sind,<br />

dass es vermessen wäre, deren Werk<br />

herabzuqualifi zieren mit Äußerungen<br />

wie: ‚nur auf den Auslöser gedrückt’ oder<br />

gar ‚ist das überhaupt Kunst?’. Solche<br />

Aussagen frei nach Karl Pawek und der<br />

in seinem Buch „Das optische Zeitalter“<br />

gedruckten Sentenz: „Der Künstler<br />

erschafft die Wirklichkeit, der Fotograf<br />

sieht sie“ sind schlichtweg borniert.<br />

Denn bei einigen Kreativen der Fotoszene<br />

kommen die vor dem eigentlichen<br />

Akt des Fotografi erens betriebenen<br />

Anstrengungen einer Regiearbeit gleich.<br />

Die aufwendigen Inszenierungen der im<br />

Sommer 2011 im C/O BERLIN gezeigten<br />

Serie „In a lonely Place“ von Gregory<br />

Crewdson beschreibt die Süddeutsche<br />

Zeitung als „Hollywood fürs Foto“. Die<br />

bekannteste Serie des amerikanischen<br />

Fotografen ist wohl „beneath the roses“.<br />

Die Süddeutsche Zeitung notierte dazu:<br />

„Jenseits, unter der schönen Oberfl äche<br />

der Häuslichkeit, so empfi ndet Crewdson<br />

es, schlummern Geheimnisse. Etwas<br />

Verbotenes, Abgründiges“. Damit haben<br />

er und der Kult-Regisseur David Lynch<br />

eines gemein: die verborgene Abgründigkeit<br />

und Verderbtheit hinter der<br />

idyllischen Fassade des Lebens.<br />

Ein ebenso aufwändiges doch weniger<br />

düsteres und zudem internettaugliches<br />

29


30<br />

links: Ian Ruhter<br />

Kim Grant/Los Angeles Ca., 2010<br />

Kollodium-Nassplatte<br />

rechts: Ian Ruhter<br />

Scotty/Los Angeles Ca., 2010<br />

Kollodium-Nassplatte<br />

Gregory Crewdson<br />

Untitled (Kent Street), ‘Beneath the Roses,<br />

2007, Digitaler Pigmentdruck<br />

144,8 x 223,5 cm, Courtesy Gagosian<br />

Gallery, New York<br />

Konzept verfolgt Crewdsons Landsmann<br />

Ian Ruhter mit „Silver & Light“:<br />

In einem umfunktionierten Bus fahren<br />

der Fotograf und sein Team durch die<br />

USA und machen Fotos, die gleich an<br />

Ort und Stelle entwickelt werden. Der<br />

Clou: Ruhter arbeitet analog und völlig<br />

traditionell, und zwar mit einer Kollodium-Nassplatte.<br />

Erstmalig wurde diese<br />

Technik 1850/51 von den Fotopionieren<br />

Frederic Scott Archer und Gustave<br />

Le Gray eingesetzt (Quelle: Wikipedia).<br />

In einem Video kann man sich anschauen,<br />

wie das Verfahren funktioniert und<br />

was dabei entsteht, wirklich sehenswert!<br />

(Internet: www.vimeo.com/39578584)<br />

Für sein Projekt setzt Ian Ruhter auf<br />

Social Media und ruft die Menschen<br />

über Facebook dazu auf, sich bei ihm zu<br />

melden, wenn sie von ihm fotografi ert<br />

werden wollen.


Die ausdrucksstarken Arbeiten von Mario<br />

van Middendorf schweben über dem<br />

schmalen Grat zwischen Fotografi e und<br />

Malerei. Irgendwie tröstlich, denn seine<br />

Bilder schaffen es, die beiden Disziplinen<br />

respektive deren jeweiligen Anhänger<br />

und Opponenten miteinander zu<br />

versöhnen. Der Kölner Fotograf kreiert<br />

magische Traumwelten, in denen selbst<br />

die ödeste Gegend leuchtet und scheinbar<br />

doch nicht so trist ist oder sogar ein<br />

Geheimnis birgt. Mit seinem Statement<br />

zur Serie „aquaCity als Zeitzeugen am<br />

Wasser von Köln und Düsseldorf“ bestätigt<br />

van Middendorf übrigens genau<br />

meinen Eindruck: „Sehr früher Morgen.<br />

Fotografi e und Malerei kommen sich<br />

bedenklich nah. Ganz gezielt, denn das<br />

besondere Morgenlicht trennt ohnehin<br />

Licht und Schatten kaum.“ Grandios<br />

ist übrigens auch die limitierte Serie<br />

zum deutschen Wald („German<br />

Woods“) – ohnehin hierzulande ein<br />

großes, mythenreiches und ergiebiges<br />

Thema – allen voran die fantastischen<br />

Foto(Gemälde): „Der Nibelungenwald“<br />

sowie „Lueneburg Heath“. van Middendorf<br />

arbeit zu unterschiedlichen<br />

Themen in Serie: „Thematische und<br />

farbliche Zusammenhänge stehen für<br />

eindeutigen Seriencharakter. Schwülstig,<br />

üppig oder cool und völlig reduziert.<br />

Hell oder dunkel, mich faszinieren<br />

Widersprüche und Experiment. Ich<br />

lasse mich ungern festlegen.“<br />

Rankin ist einer der einfl ussreichsten<br />

Beauty- und Celebrity-Fotografen und<br />

mit seinen teils provokanten Arbeiten<br />

gleichzeitig auch ein Grenzgänger<br />

zwischen Werbung/Kommerz und<br />

Kunst. Neben seiner Fotokarriere dreht<br />

der Brite Spielfi lme, Werbefi lme und<br />

Musikvideos. Erste Bekanntheit erlangte<br />

der auch mit Künstlern wie Damian<br />

Hirst kooperierende Fotograf mit<br />

seinem Kommilitonen Jefferson Hack:<br />

Gemeinsam gründeten sie das Magazin<br />

Dazed & Confused, „das sich zu einem<br />

der führenden Magazine der 90er<br />

entwickelte und bis heute die Stil-Bibel<br />

aller Kreativen ist. Stylings und Fotos<br />

in Dazed & Confused sind nach wie<br />

vor die Messlatte für die Mode-Elite“,<br />

schrieb das NRW-Forum Düsseldorf<br />

im Ankündigungstext der Ausstellung<br />

„Rankin: Show-off“, die bis zum 13.<br />

Januar zu sehen war.<br />

Wer die Ausstellung verpasst hat:<br />

Im NRW-Forum sind mehrere Kataloge<br />

von Rankin erhältlich.<br />

Ute C. Latzke<br />

www.nrw-forum.de.<br />

Gregory Crewdson<br />

Untitled (Railway Children), 'Beneath<br />

the Roses', 200, Digitaler Pigmentdruck,<br />

144,8 x 223,5 cm<br />

Courtesy Gagosian Gallery, New York<br />

31


32<br />

Beatles. Das weiße Album.<br />

Ein Stück über das Jahr 1968<br />

und den Massenmörder<br />

Charles Manson<br />

Buch und Regie: Reinhardt Friese<br />

Musikalische Leitung:<br />

Tankred Schleinschock –<br />

Ausstattung: Annette Mahlendorf<br />

Fotos: Volker Beushausen<br />

Besetzung: Beatrice Reece (Prudence)<br />

Sophie Schmidt (Julia)<br />

Cornelia Löhr (Martha)<br />

Andrea Köhler (Sadie)<br />

Roni Merza (Anchorman)<br />

Roni Merza (Charlie)<br />

Fotos: Volker Beushausen<br />

www.beushausenbild.de<br />

Nur für Eingeweihte<br />

Beatles-Revival-Show? Fehlanzeige!<br />

Nein, ein fröhliches Beatles-Revival zum<br />

mitswingen ist es nicht, das muß sich<br />

rumgesprochen haben, denn gerade mal<br />

ca. 100 Gäste zwischen 20 und 70 - die<br />

Mehrheit war Ü 60 - hatten sich im Remscheider<br />

Teo Otto Theater eingefunden,<br />

um Reinhardt Frieses Stück „Beatles. Das<br />

weiße Album“ in einer Aufführung des<br />

Westfälischen Landestheaters zu sehen.<br />

Der Prolog mit Zitaten von u.a. Josef<br />

Stalin, Mao Zedong, Che Guevara und<br />

John F. Kennedy sprach es deutlich aus:<br />

„Ein Stück über das Jahr 1968 und über<br />

Menschen, die die Kunst für die Wirklichkeit<br />

hielten“. Revolution! Es war ein<br />

erschütterndes Jahr, dieses 1968, in das<br />

zugleich mit dem Höhepunkt der Flower<br />

Power-Bewegung Ereignisse wie die<br />

Niederschlagung des „Prager Frühlings“,<br />

das Massaker von My Lai in Vietnam, das<br />

Attentat auf Rudi Dutschke, die Ermordung<br />

von Martin Luther King und Bobby<br />

Kennedy sowie die Frankfurter Kaufhaus-<br />

Brandstiftungen durch die RAF.<br />

Mystifi kationen<br />

In kein weiteres Album der Beatles außer<br />

Abbey Road wurde und wird mehr<br />

hineingeheimnist als in das „White Album“,<br />

das im November 1968 erschien,<br />

den Zerfall der besten Band aller Zeiten<br />

einläutete und legendär wurde. Daß<br />

es zugleich von Charles Manson zum<br />

Fanal für eine grauenhafte, blutrünstige<br />

Mordserie seiner „Family“ ausgerufen<br />

wurde, einer Hippie-Kommune, die sich<br />

um den Kriminellen gesammelt hatte,<br />

ist eine mehr als bittere Ironie, die sicher<br />

nicht in der Intention der genialen Musik<br />

von John Lennon und Paul McCartney<br />

gelegen hatte. Susan Atkins, Patricia<br />

Krenwinkel, Linda Kasabian, Tex Watson,<br />

Leslie Van Houten und Charles Watson<br />

hatten Anfang August 1969 auf Anweisung<br />

Mansons sieben Menschen brutal<br />

abgeschlachtet, darunter die hochschwangere<br />

Schauspielerin Sharon Tate.<br />

Reinhardt Friese, der auch Regie führte,<br />

setzt bei seinen Zuschauern die Kenntnis<br />

dieser fatalen Folgen von „Revolution No.


9“, „Happiness is a Warm Gun“, „Piggies“<br />

und des dramaturgisch als Schlachtruf<br />

(bitte wörtlich nehmen) eingesetzten<br />

„Helter Skelter“ voraus. Weiß man darum,<br />

ist es ein eingängiges, wenn auch zu<br />

verklärendes Stück, das Manson zwar als<br />

den durchgeknallten Guru darstellt, der er<br />

war, seiner durch und durch kriminellen<br />

Struktur (Drogenhandel, Diebstahl, Köperverletzung,<br />

Vergewaltigung, Zuhälterei<br />

etc.) aber nicht den notwendigen Raum<br />

gibt. Zu sehr hebt Friese auf das Sendungsbewußtsein<br />

Mansons ab, der mit<br />

dem White Album in der einen und der<br />

Offenbarung des Johannes in der anderen<br />

Hand die Welt in das Chaos eines Rassenkonfl<br />

iktes zu stürzen beabsichtigte, aus<br />

dem nur er und seine „Family“ unbeschadet<br />

hervorgehen würden.<br />

Helter Skelter<br />

Weiß man nicht darum, ist es unter<br />

dem Strich dann doch eine gut gemachte<br />

Revue über das „White Album“ der<br />

Beatles, dessen o.a. Songs und viele andere<br />

wie „Sexie Sadie“, „Honey Pie“, „I´m so<br />

tired“, „Birthday“ „Julia“, „Martha My<br />

Dear“, „Dear Prudence“, „Cry Baby Cry“,<br />

und „Back in the USSR“ vom Ensemble<br />

(Beatrice Reece, Sophie Schmidt, Cornelia<br />

Löhr, Andrea Köhler, Roni Merza – alle<br />

ganz in unschuldigem Weiß) ausgezeichnet<br />

interpretiert wurden. Dann wiederum<br />

versteht der Uneingeweihte aber auch<br />

nicht, daß die mit roter Farbe auf die<br />

Kulisse gemalten Graffi ti „Pig“, „Helter<br />

Skelter“, „Rise“ und „Death to Piggies“<br />

den an den Tatorten mit dem Blut der<br />

Opfer geschriebenen Worte entsprechen.<br />

Die begleitende Band mit Tankred<br />

Schleinschock (p), Jürgen Knautz (b,<br />

g), Rudi Marhold (dr), Claus Michael<br />

Siodmok (g, uk) und Matthias Feige (g,<br />

tb) fand brillant Sound und Gefühl der<br />

Beatles, „While my guitar gently weeps“<br />

wurde zum musikalischen Sahnestück des<br />

Abends. Und zum Trost für alle Enttäuschten<br />

gab´s als Zugabe zum versöhnlichen<br />

Schluß „All you need is Love“ aus<br />

dem Album „Magical Mystery Tour“.<br />

The Family<br />

Zur begleitenden bzw. nachbereitenden<br />

Lektüre empfi ehlt sich „The Family. Die<br />

Geschichte von Charles Manson und<br />

seiner Strand-Buggy Streitmacht“ von Ed<br />

Sanders und Volker Rebell: „Die Beatles<br />

1968. Das weiße Album“. Dann wird<br />

auch das Stück zugänglich.<br />

Das Stück ist derzeit in NRW auf Tournee.<br />

Weitere Informationen:<br />

westfaelisches-landestheater.de<br />

Frank Becker<br />

v. l. n. r.:<br />

Cornelia Löhr (Martha), Roni Merza<br />

(Charlie), Beatrice Reece (Prudence), Sophie<br />

Schmidt (Julia), Andrea Köhler (Sadie).<br />

33


34<br />

Ausstellung im Museum Folkwang<br />

noch bis zum 14. 4. 2013<br />

In Zusammenarbeit mit dem<br />

Zentrum Paul Klee, Bern<br />

Ermöglicht mit Unterstützung der<br />

Sparkasse Essen<br />

Paul Klee<br />

Engel, noch weiblich, 1939, 1016<br />

Kreide auf Grundierung auf Papier<br />

auf Karton, 41,7 × 29,4 cm<br />

Zentrum Paul Klee, Bern<br />

© Foto: Zentrum Paul Klee, Bern<br />

Die Engel von Paul Klee<br />

Paul Klees Engel gehören zu den beliebtesten<br />

Werken des Künstlers. Sie sprechen<br />

nicht nur Kunstliebhaber an, sondern<br />

haben auch als poetische Lebenshelfer<br />

eine hohe Popularität gewonnen. Als<br />

gefl ügelte Mischwesen, halb Mensch halb<br />

Himmelsbote, repräsentieren sie eine<br />

Übergangsform zwischen irdischer und<br />

überirdischer Existenz, die dem Bedürfnis<br />

nach Spiritualität entgegen kommt. Zugleich<br />

refl ektieren die Engel aber auch die<br />

moderne Skepsis gegenüber Religion und<br />

Glaubensfragen. Darüber hinaus bieten<br />

sie nicht nur Kunsthistorikern, sondern<br />

auch Schriftstellern, Philosophen,<br />

Theologen und Psychologen gedankliche<br />

Ansatzpunkte.


links:<br />

Paul Klee<br />

Schellen-Engel,<br />

1939, 966<br />

Bleistift auf Papier<br />

auf Karton<br />

29,5 × 21 cm<br />

Zentrum Paul Klee,<br />

Bern<br />

© Foto: Zentrum<br />

Paul Klee, Bern<br />

rechts:<br />

Paul Klee<br />

vergesslicher Engel,<br />

1939, 880<br />

Bleistift auf Papier<br />

auf Karton<br />

29,5 × 21 cm<br />

Zentrum Paul Klee,<br />

Bern<br />

© Foto: Zentrum<br />

Paul Klee, Bern<br />

Paul Klee<br />

mehr Vogel,<br />

1939, 939<br />

Beistift auf Papier<br />

und Karton<br />

21 × 829,5 cm<br />

Zentrum Paul Klee,<br />

Bern,<br />

© Foto: Zentrum<br />

Paul Klee, Bern<br />

35


Die meisten Engel entstanden in den<br />

letzten Lebensjahren des Künstlers zwischen<br />

1938 und 1940. Die Zeichnungen,<br />

Aquarelle und Gemälde sind damit auch<br />

Ausdruck seiner damaligen Lebenssituation,<br />

die von schwerer Krankheit und<br />

offenen Anfeindungen seitens der Nationalsozialisten<br />

geprägt war. Sie lassen<br />

erkennen, wie Klee sich am Übergang<br />

vom Leben zum Tod empfand, sie zeigen<br />

Angst und Bedrohung, aber auch intellektuelle<br />

Distanz, Witz und Heiterkeit. Klees<br />

Engel – und dies ist der tiefere Grund ihrer<br />

Popularität – sind noch weitgehend im<br />

menschlichen Dasein verhaftet. Sie haben<br />

kleine Schwächen und Schönheitsfehler,<br />

sind vergesslich oder hässlich, sorgenvoll<br />

oder verspielt, so dass jeder sich in ihnen<br />

wiederfi nden kann. Stilistisch handelt es<br />

sich um charakteristische Beispiele für den<br />

minimalistischen Zeichenstil des Spätwerks<br />

von Paul Klee.<br />

Die Ausstellung rückt erstmals diese außergewöhnliche<br />

Gruppe des mannigfaltigen<br />

Werks von Paul Klee in den Fokus und<br />

präsentiert mit rund achtzig Zeichnungen,<br />

Aquarellen, Gouachen und Gemälden<br />

den weitaus größten Teil seiner erhaltenen<br />

Werke zu dieser Thematik.<br />

Paul Klee<br />

Engel, noch tastend, 1939, 1193<br />

Kreide, Kleisterfarbe und Aquarell<br />

auf Papier auf Karton<br />

29,4 × 20,8 cm<br />

Privatbesitz Schweiz, Depositum<br />

im Zentrum Paul Klee, Bern<br />

© Foto: Zentrum Paul Klee, Bern<br />

linke Seite:<br />

Paul Klee<br />

Ohne Titel (Letztes Stilleben), 1940<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 100 x 80,5 cm<br />

Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia<br />

Klee, Foto: Zentrum Paul Klee, Bern<br />

Museum Folkwang<br />

Museumsplatz 1, 45128 Essen<br />

Telefon 0201 8845 444<br />

Öffnungszeiten:<br />

Di bis So 10 - 18 Uhr, Fr 10 - 22.30 Uhr<br />

Mo geschlossen<br />

www.museum-folkwang.de<br />

37


38<br />

Beweglicher als hier kann man nicht tanzen<br />

Die Tanzschule Bellinghausen im<br />

Mirker Bahnhof<br />

Der stillgelegte Mirker Bahnhof. Im ersten<br />

Stock liegt der Tanzsaal<br />

Edgar Bellinghausen<br />

Für Edgar Bellinghausen ist Tanzen<br />

Profession und Leidenschaft zugleich:<br />

„Seit meinem sechzehnten Lebensjahr<br />

war Tanzen mein Hobby. Nach dem<br />

Abitur und einer Lehre war von einer<br />

kaufmännsichen Ausbildung keine Rede<br />

mehr.“<br />

In der Tanzschule Koch, wo er bereits als<br />

Schüler Tanzen gelernt hat und an Wochenenden<br />

beim Unterrichten aushalf<br />

(„wobei das Wochenende immer länger<br />

wurde“), kam schließlich die Frage:<br />

„Wäre das denn nichts für Dich?“ Da<br />

war für ihn alles klar: drei Jahre Ausbildung<br />

zum Tanzlehrer und zwei Jahre für<br />

den Tanzsportlehrer, 1980 die Übernahme<br />

der Tanzschule Koch als Tanzschule<br />

Koch-Bellinghausen in der Laurentiusstraße<br />

mit seiner damaligen Frau,<br />

1995 der Umzug der Tanzschule in das<br />

damalige Edekagebäude in der Varresbeck,<br />

die Trennung, und dann, als hätte<br />

es so sein müssen, die Bekanntschaft mit<br />

dem Mirker Bahnhof im Jahre 2000 !<br />

Mit diesem Bahnhof ist Edgar Bellinghausen<br />

seitdem verheiratet. Es war Liebe<br />

auf den ersten Blick, als er das denkmalgeschützte,<br />

aber verkommene, städtebaulich<br />

hochinteressante Bauwerk aus<br />

dem Jahr 1882 durch einen ehemaligen<br />

Schüler, den Mathematiklehrer Becker,<br />

kennenlernte. „Der war wie besessen<br />

von dem Bahnhof, und der Wahnsinn<br />

ist sofort übergeschwappt.“ Edgar Bellinghausen<br />

war sofort klar, dass dies der


ideale Ort für eine Tanzschule sei. Der<br />

eigentliche Auslöser war die Holzdecke<br />

des Saales im ersten Stock. Dazu muss<br />

man wissen, dass der heute als Tanzsaal<br />

genutzte Raum insofern existierte, als<br />

man den ehemaligen „Wartesaal Zweiter<br />

Klasse“ bereits horizontal geteilt hatte,<br />

weshalb der Zugang im ersten Stock<br />

liegt. Entstanden ist ein Raum mit<br />

angenehmen Proportionen und einer<br />

prächtigen hölzernen Balkendecke, der<br />

Edgar Bellinghausen nicht widerstehen<br />

konnte. Er hat sie liebevoll restauriert.<br />

Gemeinsam machte man sich daran,<br />

Schutt und Unrat zu entfernen, das<br />

Gebäude zu entdecken und so weit wie<br />

möglich herzurichten. „Der Visionär<br />

Becker hatte den Bahnhof bis zur letzten<br />

Schraube im Kopf“, aber es gelang<br />

nicht, eine solide fi nanzielle Basis für<br />

das historische Gebäude zu entwickeln.<br />

Seit der Stilllegung der Strecke 1991<br />

scheiterten alle Konzepte für eine neue<br />

Nutzung. Über Einbrüche, Vandalismus,<br />

Brandstiftung, Besitzerwechsel,<br />

Mieterwechsel, drohende Zwangsversteigerungen<br />

und Verkäufe, konnte sich<br />

Edgar Bellinghausen bis heute mit seiner<br />

Tanzschule behaupten – mit ihr ist ein<br />

einmaliges stimmungsvolles Ambiente<br />

entstanden, das vom Sachverstand, der<br />

Liebe und der Sorgfalt, aber auch vom<br />

Idealismus seines Retters Zeugnis gibt.<br />

So offen und unkonventionell Edgar<br />

Bellinghausen mit dem Standort<br />

seiner Tanzschule umgeht, ist auch<br />

sein Konzept: Ihm ist es wichtig, dass<br />

seine Schüler „tanzend lernen, statt nur<br />

Tanzen zu lernen.“ Die Kurse sind klein,<br />

die übliche Klassifi zierung in Anfänger<br />

und Fortgeschrittene gibt es nicht, jeder<br />

kann dann kommen, wann es die Zeit<br />

erlaubt, weil er individuell betreut wird.<br />

Der Tanzlehrer hat im Kopf, wie weit<br />

seine Schüler sind. Selten steht er in<br />

der Mitte, sondern er hilft den Paaren<br />

spontan da, wo sie Hilfe benötigen. Das<br />

hat er den sogenannten „Pratica“ im<br />

„Tango Argentino“ abgelauscht: „Sonst<br />

wäre der Sprachanteil des Unterrichtes<br />

viel größer als das Tanzen selbst.<br />

Tanzlehrer sein heißt nicht, in der Mitte<br />

zu stehen und schön zu sein. In anderen<br />

39


40<br />

Tanzschulen läuft der Unterricht nach<br />

festem Programm, so dass schon mal<br />

jemand einspringen könnte.“ Für Edgar<br />

Bellinghausen wäre das undenkbar, weil<br />

ihm die persönliche Betreuung und die<br />

Atmosphäre der Tanzabende besonders<br />

am Herzen liegen.<br />

Diese Atmosphäre dankt sich nicht<br />

nur einem höchst engagierten Lehrer,<br />

sondern dem besonderen Raum mit der<br />

Architektur der kunstvollen Holzdecke,<br />

die durch seitliche Fensterreihen und<br />

das helle Parkett zur Geltung kommt<br />

und zugleich eine besonders angenehme<br />

Akustik erlaubt. Hier gibt es keine<br />

Lichteffekte, keine Discokugel, aber<br />

dafür wechselnde Ausstellungen von<br />

Kunstwerken, die ihren Teil zur Stimmung<br />

beitragen. Angelpunkt ist die<br />

Theke gleich hinter der Eingangstüre,<br />

hier empfängt Edgar Bellinghausen die<br />

Tänzer, hier gibt es Getränke, und hier<br />

steht die Musikanlage, die nie so laut ist,<br />

dass man sich nicht unterhalten könnte.<br />

Wahrscheinlich wäre Bellinghausen<br />

ebenso gut Psychologe geworden, denn<br />

sein ganzes Interesse gilt den Menschen,<br />

Blick in den Saal der Tanzschule<br />

Bellinghausen<br />

mit denen er arbeitet. Etwaigen Hemmungen<br />

seiner Schüler begegnet er mit<br />

hintergründigem Humor, der ebenso<br />

entwaffnend wie entspannend ist. „Viele<br />

haben Angst vor dem Scheitern an ‚Vor-<br />

Seit-Ran’, der eine trägt es mit Humor,<br />

dem anderen ist es peinlich, alle Paare<br />

sind unterschiedlich. Tanzen bleibt nun<br />

einmal weiblich, ob wir das wahrhaben<br />

wollen oder nicht. SIE möchte helfen,<br />

damit es funktioniert, ER aber hat nun<br />

einmal zu führen. Das ist zunächst ein<br />

rein physikalisches Problem: Es gibt kein<br />

Paar unter zwei Zentnern, und wenn einer<br />

davon nach rechts will, und der andere<br />

nach links, wird es schwierig. Erst<br />

wenn der Mann seine Füße beherrscht,<br />

kann er planen, was er tanzen möchte,<br />

das ist wie beim Autofahren, da lernt<br />

man auch nur durch Üben, Blinker,<br />

Handbremse, Gaspedal und Kupplung<br />

zu koordinieren. Tanzen lernt man eben<br />

nur durch Tanzen.“<br />

Bei so viel Humor und Sachlichkeit<br />

brauchen nur wenige Paare zu verzweifeln,<br />

manche kommen schon seit dreißig<br />

Jahren, manche hören auf, um doch zurückzukehren.<br />

Sie erkennen schnell: Die<br />

Leidenschaft ihres Lehrers liegt darin,<br />

sie so zu fördern, dass sie Freude haben:<br />

„Die Tanzenden sollen sich zur Musik<br />

bewegen und fast keinen Gedanken<br />

daran verschwenden, in einer Tanzschule<br />

zu sein. Sie sollen - ohne Druck - genießend<br />

weiterkommen.“<br />

Dieses Konzept scheint aufzugehen.<br />

Eher reserviert wehrt einer der Tänzer meine<br />

Fragen ab: „Jetzt bitte nicht, wir wollen<br />

doch tanzen.“ Aber seine Frau erzählt dann<br />

doch, ihnen gefalle gerade die lockere<br />

Atmosphäre, das Unverschulte, denn man<br />

übe nicht stur bestimmte Schrittfolgen,<br />

sondern die Freude am Tanzen stehe an<br />

erster Stelle, auf welchem Niveau auch<br />

immer, ohne Bierernst, sondern mit viel<br />

Geduld und Sinn für Humor seitens des<br />

Tanzlehrers. Dazu trägt die familiäre Stimmung<br />

bei und die Möglichkeit, andere<br />

Menschen kennenzulernen. „Trotz unterschiedlicher<br />

Leistungen führt er uns doch<br />

am Ende alle zusammen, bis wir bestimmte<br />

Schrittfolgen gemeinsam beherrschen.<br />

Ohne Druck, mit dem Gefühl, Zeit zu<br />

haben.“ So spielt auch das Alter keine<br />

Rolle. Viele Brautpaare kommen eigentlich<br />

nur, um den Brauttanz einzuüben und<br />

begeistern sich dabei fürs Tanzen.<br />

Ein anderes Paar meint, Edgar Bellinghausens<br />

Schüler seien „besondere<br />

Köpfe, Leute mit Weitwinkelobjektiv,<br />

Individualisten, auf deren unterschiedliche<br />

Ansprüche der Lehrer einzugehen weiß.


Man freut sich auf die nächste Stunde,<br />

und plötzlich ist nichts mehr wichtiger als<br />

Tanzen.“<br />

Entsprechend kritisch sieht Edgar<br />

Bellinghausen den sogenannten Tanzsport:<br />

„Tanzen ist kein Vergleichssport.<br />

Tänze bis ins Letzte durch zu choreographieren,<br />

ist fragwürdig. Ab einem<br />

gewissen Stadium erübrigt sich eine<br />

Bewertung, denn Tanzen ist schön, aber<br />

eben unterschiedlich schön.“ Konsequenterweise<br />

meidet er Tanzturniere, denn die<br />

„Tanzakrobaten“ schaden letztlich auch<br />

den Tanzschulen, weil sie zu unerreichbaren<br />

Vorbildern werden. Ihm geht es<br />

um Gesellschaftstanz im besten Sinne.<br />

Für ihn hat „Tanzen den Vorteil, dass es<br />

menschlich ist. Das Gehirn ist beschäftigt,<br />

es hört und interpretiert die Musik,<br />

die Schrittfolge im Raum muss geplant<br />

werden (denn dieser ist endlich), und<br />

es gilt, den eigenen Körper mit dem des<br />

Partners im Gleichgewicht zu halten.<br />

Damit ist jeder Gedanke an den Alltag<br />

ausgeschaltet, Körper und Seele können<br />

sich entspannen. Mein Ziel ist es, dass<br />

man nicht mehr über Schritte nachdenken<br />

muss, sondern die Bewegung im<br />

Einklang mit dem Partner zur Musik<br />

genießen kann.“<br />

So war es für Edgar Bellinghausen<br />

eigentlich keine Herausforderung, als<br />

ein ehemaliger Schüler, Lehrer an der<br />

Christian Morgenstern Schule, vorschlug,<br />

mit behinderten Menschen zu<br />

tanzen. Begonnen hat es mit etwa zehn<br />

Teilnehmern, heute sind es über dreißig.<br />

Der Lehrer braucht nicht seine Grundeinstellung<br />

zu ändern, Freude am Tanzen<br />

zu vermitteln und soziale Kontakte<br />

zu ermöglichen, wohl aber muss er seine<br />

Ansprüche reduzieren und zugeben, dass<br />

„nichts falsch ist, sondern nur anders.“<br />

Die geplanten Auftritte, und diese werden<br />

immer häufi ger, sind motivierend<br />

und helfen, sich nicht durch Wiederholungen<br />

entmutigen zu lassen. Besonders<br />

eine Schülerin freut den Lehrer, die<br />

anfänglich jeden Kontakt zu vermeiden<br />

suchte, „aber dann innerhalb von vier<br />

Jahren so gut tanzen lernte, dass sie<br />

mich ersetzen könnte. Für sie ist das<br />

Tanzen zum Lebensinhalt geworden.“<br />

Seit etwa eineinhalb Jahren tanzt<br />

Edgar Bellinghausen auch mit Demenzkranken.<br />

Dazu wurde er durch die Diakonisse<br />

Ursula Herre angeregt, die weiß,<br />

wie wichtig Bewegung ist. Während<br />

keiner der Kollegen auf<br />

entsprechende Anfragen reagierte,<br />

sieht Bellinghausen darin eine Aufgabe.<br />

Bereits die ungewohnte Umgebung des<br />

Mirker Bahnhofs stellt für die Kranken<br />

einen wichtigen Anreiz dar, den Alltag<br />

zu vergessen - auch für die Angehörigen<br />

und die Betreuer bedeuten diese Stunden<br />

in der Tanzschule Entspannung.<br />

Erstaunlicherweise erkennen ehemalige<br />

Schüler zwar den Lehrer nicht unbedingt<br />

wieder, beherrschen aber immer<br />

noch die Tanzschritte, denn oft stellt<br />

sich das Erinnern auch über die Musik<br />

ein. Ganz selbstverständlich wirkt die<br />

leitende Diakonisse als Tanzlehrerin mit<br />

– in Tracht und Haube!<br />

Seit einigen Monaten ist Edgar<br />

Bellinghausen mit seiner Tanzschule<br />

nicht mehr allein im Bahnhof: „Utopiastadt“<br />

hat das Gebäude für zweieinhalb<br />

Jahre von der Stadtsparkasse gepachtet,<br />

Bellinghausen ist einer der neuen Untermieter.<br />

„Utopiastadt“ ist eine Initiative<br />

von jungen Menschen, zu denen auch<br />

Christian Hampe gehört. Man ist dabei,<br />

unkonventionelle Konzepte zu entwickeln.<br />

So gibt es bereits ein Reparaturcafé,<br />

einen offenen sonntäglichen<br />

Treffpunkt für die Bewohner des Stadtquartiers,<br />

eine eigene Biersorte, die Bärtig<br />

Bräu, einen Improvisationschor, der<br />

Blick zur anderen Seite auf die Bar des<br />

Tanzsaals<br />

41


42<br />

dort Probenräume anmieten konnte und<br />

den Utopiagarten. Auch der Künstler<br />

Gregor Eisenmann, dessen Arbeiten derzeit<br />

in der Tanzschule Bellinghausen zu<br />

sehen sind, hat dort sein Atelier. Christian<br />

Hampe ist der Ansicht, der Mirker<br />

Bahnhof sei als zentrales Gebäude der<br />

Nordstadt geradezu prädestiniert, zum<br />

Dreh- und Angelpunkt, zur Schnittstelle<br />

für infrastrukturelle Projekte wie Kultur,<br />

Wirtschaft und Kreativität zu werden,<br />

zumal die Nordbahntrasse erstmalig<br />

Stadtviertel miteinander verbindet, die<br />

bisher durch ihre besondere Topografi e<br />

getrennt waren. „Doch eins steht fest,“<br />

sagt Christian Hampe, „ohne Edgar<br />

Bellinghausen gäbe es den Mirker Bahnhof<br />

nicht mehr.“ Auch die Gründer<br />

von Utopiastadt sind dem Reiz dieses<br />

Gebäudes verfallen und entdecken nach<br />

und nach ungeahnte Möglichkeiten.<br />

Auch sie improvisieren mit viel Idealismus,<br />

auch sie wollen beweglich bleiben<br />

und um die Ecke denken dürfen.<br />

Ebenso wie Edgar Bellinghausen lassen<br />

sie sich in kein vorgefertigtes Konzept<br />

pressen. Ihn interessieren Menschen, denen<br />

er „auf Augenhöhe“ begegnen kann,<br />

und die er für das Tanzen zu begeistern<br />

vermag: „Ich arbeite nicht, ich gehe<br />

sieben Tage in der Woche Tanzen, dabei<br />

vergesse ich die Zeit. Niemals würde ich<br />

tauschen.“<br />

Marlene Baum<br />

www.tanzschule-bellinghausen.de<br />

Die Tanzschule Bellinghausen mit einer Gruppe bei einem Auftritt in der Historischen<br />

Stadthalle anlässlich eines Benefi tzkonzertes für die Schule am Nordpark 2012. (Diese<br />

beiden Fotos sind von Uwe Schinkel, die übrigen von Edgar Bellinghausen)<br />

16. und 17. März 2013<br />

Stilblüte<br />

Schloss Lüntenbeck Knospe, Spaten und Feines<br />

Öffnungszeiten: 11 bis 18 Uhr | Tageskarte: 4 € | Schloss Lüntenbeck | 42327 Wuppertal | www.schloss-luentenbeck.de<br />

Foto: iStockphoto, LiliGraphi


Ateliergespräch<br />

mit Tony Cragg über Skulptur als<br />

Denkmal und über sein Denkmal<br />

zur Erfi ndung der Antibiotika<br />

durch Gerhard Domagk am<br />

19. September 2012 in Wuppertal<br />

Tony Cragg und Dr. J. Vesper im Gespräch.<br />

Foto: Marlies Meier<br />

Skulptur als Denkmal<br />

Zwischen London, Hannover und<br />

Shanghai, augenblicklich zu Hause in<br />

Wuppertal, befasst mit Journalisten und<br />

Videoaufzeichnungen, fi ndet Tony Cragg<br />

dann doch, wie verabredet, Zeit für unser<br />

Gespräch. Noch ist er beschäftigt, aber<br />

in seinem Atelier fällt das Warten leicht.<br />

Schnell ergibt sich ein Gespräch mit einem<br />

der Mitarbeiter. Tony Cragg arbeitet<br />

nicht alleine. Er verfügt über eine Schar<br />

von Helfern, die nach seinen Vorstellungen<br />

und Ideen Skulpturen tatsächlich<br />

„erarbeiten“ und in die Welt reisen, um<br />

die in Wuppertal entstehenden Skulpturen<br />

auf den Ausstellungen aufzubauen, zu<br />

positionieren und zu präsentieren. Allein<br />

in Shanghai werden derzeit 50 Skulpturen<br />

und 127 Zeichnungen ausgestellt,<br />

Beim Betreten des Raumes fällt der Blick<br />

auf das Regal mit Flaschen und Gefäßen,<br />

also den Urformen Craggscher Skulptur.<br />

An der großen, weißen, unübersichtlich<br />

sich windenden Skulptur aus pfl anzlich<br />

anmutenden Lianen und Keulen kann<br />

man kaum vorbei gehen, ohne diese zu<br />

berühren und zu beklopfen. Die weißen<br />

Schlangen sind hohl. Weiter hinten<br />

dann gedrehte rationale Wesen („rational<br />

beeings“), frühe Formen („early forms“),<br />

drei elegante Schichtholzskulpturen,<br />

eine davon in leuchtendem Rot, mit edel<br />

geschliffener Oberfl äche und Stapel von<br />

Ausstellungskatalogen. Ein Weichholzschrank,<br />

in den zahllose Rundhaken gebohrt<br />

wurden, ist als Schrank nicht mehr<br />

zu gebrauchen, hat seine ursprüngliche<br />

Bestimmung als Möbelstück aufgegeben<br />

und die Metamorphose zur Skulptur<br />

hinter sich.<br />

Beim Gang durch das helle Atelier fällt<br />

immer wieder der Blick durch die Fenster<br />

in das weite bergische Land. Das Atelier<br />

befi ndet sich in einer von Cragg für seine<br />

Zwecke umgebauten Panzergarage mit<br />

riesiger Glaswand nach Norden, Fenstern<br />

nach Süden und holzverkleideter Fassade.<br />

43


44<br />

Hier könnte auch ein mittelständisches<br />

Unternehmen zu Hause sein. Was<br />

draußen auf dem umgebenden Gelände<br />

an skulpturalen Objekten herumliegt,<br />

dort einer Verwendung harrt bzw. bereits<br />

verwendet und abgelegt wurde, das ist<br />

eine eigene Betrachtung wert.<br />

Schließlich öffnet sich die Tür, Tony<br />

Cragg kommt herausgelaufen, nimmt<br />

sogleich das Gespräch auf und bittet in<br />

seinen nicht kleinen Arbeitsraum, der die<br />

zahllosen Objekte und Kleinplastiken,<br />

die Tische voller Bücher aber kaum fasst.<br />

Sofort beginnt das Gespräch.<br />

Welche Beziehung hat Tony Cragg zur<br />

Medizin?<br />

Natürlich haben seine Skulpturen Bezüge,<br />

kulturelle Bezüge, persönliche Bezüge,<br />

seltener Bezüge zur Medizin. Persönliche<br />

Bezüge zur Medizin bestehen aber<br />

durchaus. „I am alive“, jene bewegte,<br />

glänzende Skulptur vor dem Opernhaus<br />

in Barmen entstand zu einer Zeit, in der<br />

nach einer längeren Leidensgeschichte<br />

endlich die Diagnose einer Zöliakie<br />

(Sprue) gestellt wurde und ihm durch<br />

Umstellung der Kost auf gliadinfreie<br />

Nahrung gut geholfen werden konnte.<br />

Damals rief er Freunde und Bekannte<br />

an und stellte fest, dass er immer wieder<br />

sagte: „I am alive. I am alive“. So wurde<br />

die Skulptur Sinnbild der Genesung. In<br />

seinem Arbeitsraum sah ich eine Holzkugel<br />

von ca. 30 cm Durchmesser mit zahlreichen,<br />

senkrecht eingeschraubten Ring-<br />

und Rundhaken und assoziierte sofort<br />

bestimmte Viren mit ihren Kapsiden.<br />

Vergleichbar stachelig in der Oberfl äche<br />

ist die Holzkomposition „Angel and<br />

other Antibodies“ (1992). Weitere Werke<br />

wie „Clear Microbe“ von 1992, „stomach“<br />

von 1986, „Milz“ und „wooden<br />

muscle“ von 1985, „Wirbelsäule“ (1996)<br />

haben von ihrem Titel her medizinischen<br />

Bezug. Jetzt schafft Tony Cragg eine<br />

weitere Skulptur mit Bezug zur Medizin.<br />

Die Medizinisch-Naturwissenschaftliche<br />

Gesellschaft Wuppertal hatte vorgeschlagen,<br />

an die Entdeckung von Prontosil, an<br />

die Entwicklung der Antibiotika für die<br />

Welt, die von Wuppertal ausgegangen ist,<br />

mit einem Denkmal zu erinnern.<br />

Hat Tony Cragg jemals ein Denkmal<br />

geschaffen?<br />

Das Denkmal sei vor Zeiten Symbol<br />

der Herrschaft, der Mächtigen gewesen<br />

oder Erinnerung an Menschen, die etwas<br />

Großes geschaffen haben: Friedrich<br />

der Große Unter den Linden, all die<br />

Bismarck-Skulpturen in Deutschland<br />

aber eben auch Skulpturen von großen<br />

Ärzten und Wissenschaftlern wie z. B.<br />

Robert Koch und Rudolf Virchow in<br />

der Charité. Nein, so ein Denkmal hat<br />

er bisher nicht geschaffen. Seine Skulpturen<br />

sind Denkmäler vor allem seiner<br />

eigenen Originalität, seines Eigensinns,<br />

Atelieransicht außen und innen<br />

Fotos: J.Vesper


seiner Gedanken, sind keine Kopie der<br />

Natur. Seine Skulpturen wollen etwas<br />

Unsichtbares zeigen, etwas, was hinter<br />

der Oberfl äche diese formt und prägt. Bei<br />

einer Reihe von Skulpturen ermöglicht<br />

er dem Betrachter sogar den Blick hinter<br />

die Oberfl äche in das Innere der Skulptur<br />

und löchert diese (27.000 mal bei „Zufuhr“<br />

in Wuppertal). Seine Skulpturen<br />

sind Ausdruck von bronzenen, hölzernen<br />

steinernen Gedanken, sind skulpturale<br />

Gedankenübertragungen, sind nichtsprachliche<br />

Metaphern in hartem Material.<br />

Tony Cragg denkt mit Material. Aber:<br />

„Ich verwende keine Symbole“ sagt er.<br />

Einerseits Symmetrie und andererseits<br />

die Sicht aus verschiedenen Blickrichtungen<br />

sind wesentliche Elemente für den<br />

formalen Aufbau seiner teilweise sehr<br />

komplexen Skulpturen. Kein Zufall, dass<br />

schon vor Jahren eine Skulptur den Titel<br />

„points of view“ trug.<br />

Dabei hat er vor Jahrzehnten mit dem<br />

Stapeln von Holz oder Backsteinen be-<br />

gonnen. Dann wird der Bildhauer in ihm<br />

lebendig und er zerschlägt Backsteine,<br />

deren Staub und Fragmente er auf dem<br />

Boden aufhäuft und verstreut. So entsteht<br />

aus den Backsteinen eine erdfarbige<br />

Bodenplastik (crushed rubble 1977), ein<br />

Schlüsselwerk der frühen Jahre. Und auf<br />

die blaue Flasche, von deren skulpturalen<br />

Qualitäten Tony Cragg fasziniert ist, lenkt<br />

er den Blick, indem er mit Fragmenten<br />

unterschiedlichster Art aber gleicher blauer<br />

Farbe die Form der Flasche erheblich<br />

vergrößert nachbildet („Blaue Flasche“<br />

(1982) im Von der Heydt-Museum<br />

Wuppertal). Die blaue Originalfl asche ist<br />

daneben sichtbar (derzeit aber geklaut)<br />

und macht mit Humor die andere Sichtweise<br />

der Dinge deutlich.<br />

Das Stapeln wurde weiter entwickelt:<br />

Porzellan wird gestapelt (Crockery stacks<br />

1996), Flaschen und Gläser, sandgestrahlt<br />

oder klar (Larder 1999, Pacifi c 1998),<br />

Holzplatten werden zu Schichtholzskulpturen<br />

gestapelt (wooden crystal 2000)<br />

und den early beeings sieht man nicht<br />

mehr an, was unter der metallenen Oberfl<br />

äche im Inneren der Skulptur die Form<br />

gibt. Dies nur als Hinweis auf das riesige<br />

Werk Tony Craggs.<br />

Und welch eine Fülle, welch ein Gebirge<br />

von Gedanken und Ideen wird im<br />

Gespräch aufgetürmt. Viele Aspekte der<br />

Naturwissenschaft und der Kunst werden<br />

ausgebreitet. Die Naturwissenschaft sei<br />

das größte Beobachtungssystem, über<br />

das wir verfügen. Der Künstler arbeite<br />

ohne Worte, ohne Mikroskop, aber mit<br />

seinem Material am Verständnis der Welt.<br />

Der Bildhauer sei mit seinem Material<br />

im Dialog, verändere es und werde auch<br />

selbst verändert. Cragg mag die Welt nicht<br />

so wie sie ist. Sie muss verändert werden.<br />

Dieser Bildhauer ist Philosoph.<br />

Absichtslosigkeit, refl ektierendes Denken<br />

und Intuition charakterisieren den<br />

Menschen, meint Cragg, und sie unterscheiden<br />

ihn von den seit vielen Millionen<br />

Jahren in der Evolution überaus erfolgrei-<br />

45


46<br />

Foto: M. Richter


chen Ameisen. Materieller Konsum und<br />

über alles herrschende Ökonomie seien<br />

unwürdige Antworten auf die menschliche<br />

Existenz. Wachstum und Gewinnoptimierung<br />

als Prinzipien führen nicht weiter,<br />

sondern zu ökologischen und ökonomischen<br />

Katastrophen. Und:<br />

„Das Zentrum der künstlerischen Arbeit<br />

ist die Neugestaltung von Rohstoffen zu<br />

Formen und Bildern, die als komplexe Zeichen<br />

neue Erfahrung, neue Einsicht und<br />

neue Freiräume erschließen“ (Tony Cragg<br />

2002, Signs of Life S. 163). Bildhauer<br />

und naturwissenschaftlicher Arzt haben<br />

Parallelitäten; denn mit seinen Gedanken<br />

Atelierfotos: J. Vesper<br />

Modell (links) und Entwurf (oben) der Skulptur<br />

und seiner Bildersprache ist der Bildhauer<br />

Cragg dem Naturwissenschaftler vergleichbar,<br />

der als freier Wissenschaftler im<br />

Labor mit Intuition und „Eigensinn“, mit<br />

Originalität im refl ektierendem Denken<br />

seine Hypothesen aufstellt, ihrer Realität<br />

experimentell nachspürt und zu neuem<br />

Verständnis, zu neuer Erfahrung der Natur<br />

kommt. Das passierte bei BAYER in<br />

Wuppertal vor 80 Jahren, als in den 30er<br />

Jahren des 20. Jahrhunderts der Pathologe<br />

Gerhard Domagk, gefördert vom Chemiker<br />

und Werksleiter Höhrlein, erstmalig<br />

die Wirkung von Prontosil erkannte und<br />

damit die Entwicklung der Antibiotika<br />

für die Welt anstieß. Das geschah in<br />

Elberfeld. Prontosil war damals das erste<br />

Medikament, mit dem die lebensbedrohlichen<br />

Streptokokken wirksam bekämpft<br />

werden konnten. Gerhard Domagk erhielt<br />

dafür den Nobelpreis. Man darf auf das<br />

Denkmal Tony Craggs gespannt sein.<br />

Bildhauerische Poesie für eine naturwissenschaftliche<br />

Großtat ?<br />

Einen Entwurf gibt es schon und inzwischen<br />

auch ein Modell. (siehe Foto). Die<br />

Skulptur zeigt kompliziert ineinander<br />

verschränkte Teilskulpturen in einer<br />

Komplexität wie sie sich im Verhältnis<br />

zwischen Forscher, Chemie und Krankheit,<br />

oder Wirkung und Molekülstruktur,<br />

oder Krankheit, Patient und Forscher usw.<br />

usw. fi ndet.<br />

Johannes Vesper<br />

Der Text beruht auf einem Gespräch mit<br />

Tony Cragg am 19. 9. 2012 in seinem<br />

Atelier und auf Texten von ihm, publiziert<br />

in „Signs of Life“ (Katalog zur gleichnamigen<br />

Ausstellung in der Bundeskunsthalle<br />

Bonn vom 23. 5. – 5. 10. 2003,<br />

Richter Verlag) und Tony Cragg „Matrix“<br />

Kestnergesellschaft Verlag für Moderne<br />

Kunst (zur Ausstellung in Hannover vom<br />

14. 9. – 4. 11. 2012)<br />

Zum Thema „Tony Cragg und sein<br />

Humor“ habe ich an diesem Nachmittag<br />

viel mitbekommen. Der ist eine eigene<br />

Darstellung wert.<br />

Siehe auch www.musenblaetter.de<br />

am 10. 7. 2012 und Startseite der<br />

Medizinisch-Naturwissenschaftlichen<br />

Gesellschaft „Domagk-Cragg-Projekt“<br />

www.mng-wuppertal.de/<br />

47


48<br />

Kann ich<br />

mit Literatur Steuern sparen?<br />

Susanne Schäfer, Steuerberaterin<br />

Geschäftsführerin der Rinke Treuhand GmbH<br />

Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/<br />

Steuerberatungsgesellschaft<br />

„Am liebsten auf der Bühne,<br />

und wer weiß wo sonst noch,<br />

sind mir Sätze,<br />

die man auch tanzen<br />

könnte.“<br />

Paragraphenreiter<br />

Na klar ! Sogar auf höchst kreative Art,<br />

wenn ich<br />

1. mit der Veröffentlichung des ein oder<br />

anderen literarischen Werks ordentlich<br />

Geld verdiene,<br />

2. früher Finanzminister war und<br />

3. nicht alle Honorare aus vorgenannter<br />

Veröffentlichung den Finanz-<br />

(oder anderen) Behörden gegenüber<br />

deklariere.<br />

Gibt’s nicht? – Gab’s immer schon!<br />

Zum Beispiel vor rund 200 Jahren.<br />

In den Jahren 1776 bis 1786 war<br />

Johann Wolfgang Goethe als Finanzminister<br />

in Weimar tätig. Im Jahr 1820<br />

deklarierte er gegenüber den Weimarer<br />

Steuerbehörden ein Gesamteinkommen<br />

von 28.768 Talern. Blöd war nur, dass<br />

er seine Autorenhonorare „vergaß“. Vollständig.<br />

Im Jahr 1821 deklarierte er zumindest<br />

Honorare von 4.855 Talern. Wenn man<br />

berücksichtigt, dass er in diesem Jahr<br />

allein von seinem Hauptverleger Cotta<br />

ein Honorar in Höhe von 4.900 Talern<br />

bekommen hatte, ist hier doch schon<br />

deutlich mehr Steuerehrlichkeit festzustellen.<br />

Obwohl … so ganz zutreffend waren<br />

seine Angaben immer noch nicht.<br />

Ein guter Steuerberater hätte ihm<br />

sagen können, dass<br />

1. Lügen den Charakter verdirbt,<br />

2. alles irgendwann rauskommt (und sei<br />

es 193 Jahre später) und<br />

3. der erzielte Steuervorteil bei Ausschöpfung<br />

aller rechtlichen Möglichkeiten<br />

auch auf moralisch einwandfreiem<br />

Weg hätte erreicht werden<br />

können.<br />

KARL OTTO MÜHL<br />

Zugelaufene Sprüche<br />

Neu<br />

Karl Otto Mühl<br />

Zugelaufene Sprüche<br />

2013<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal<br />

80 Seiten, 9.00 Euro<br />

ISBN: 978-3-942043-90-8<br />

Hat er zum Beispiel alle ihm entstandenen<br />

Kosten für Dienstreisen geltend<br />

gemacht? Bei gut 40.000 zurückgelegten<br />

Kilometern in 60 Jahren hätte er sowohl<br />

bei Ansatz einer Kilometerpauschale als<br />

auch bei Ansatz der tatsächlichen Kosten<br />

für Rosse, Kalesche und Kutscher erhebliche<br />

Beträge erreichen können.<br />

Hat er daran gedacht, fl eißig über<br />

Bewirtungskosten Buch zu führen? Vor<br />

dem Hintergrund, dass seine Weinrechnungen<br />

durchschnittlich 15 Prozent seiner<br />

Gesamtausgaben ausmachten, wären<br />

auch hier beträchtliche Betriebsausgaben<br />

zusammengekommen.<br />

Und was ist mit den sogenannten<br />

„außergewöhnlichen Belastungen“ wie<br />

Krankheitskosten? Hat er im Jahr 1831<br />

seine zahnmedizinische Behandlung für<br />

45 Silbergroschen und 15 Pfennig steuermindernd<br />

angesetzt?<br />

Nun könnte man natürlich einwenden,<br />

dass die Rechtslage damals eine<br />

andere war. Zieht aber nicht: schließlich<br />

war der Mann<br />

1. Jurist,<br />

2. Finanzminister und<br />

3. ein Genie.<br />

Er hätte während seiner Amtszeit auch<br />

Steuergesetze verfassen können, die so gut<br />

sind wie unsere heutigen.<br />

www.rinke.eu<br />

„Das Leben ist sportlich:<br />

Der, den du überholst, sitzt dir danach<br />

im <strong>Nacke</strong>n.“<br />

„Mit guten Absichten überschminkt die<br />

Seele ihre Pickel“<br />

„Das wäre ein wunderbares Leben<br />

gewesen, sagte der Neunzigjährige, wenn<br />

man vorher gewusst hätte, dass alles gut<br />

geht.“


Michael Zeller, 1944 in Breslau geboren,<br />

dem heutigen Wroclaw in Polen. Er studierte<br />

Literatur und Kunstgeschichte an den Universitäten<br />

Marburg und Bonn. Dort wurde<br />

er 1974 mit einer Arbeit über Thomas<br />

Mann promoviert. Mit seiner Erlangener<br />

Habilitation schloss er 1982 seine Hochschulkarriere<br />

ab und entschied sich für den<br />

Beruf des Freien Schriftstellers, der ihm seit<br />

der Kindheit vorgeschwebt hat.<br />

In den drei Jahrzehnten ist ein umfangreiches<br />

und vielgestaltiges literarisches Werk entstanden.<br />

In seinem Zentrum stehen die bisher<br />

acht Romane: so der politische Universitätsroman<br />

FOLLENS ERBE, von 1986; ein<br />

Jahr später DIE SONNE! FRÜCHTE. EIN<br />

TOD, in dem Leben und Werk der Malerin<br />

Paula Becker-Modersohn eine tragende<br />

Rolle spielen. Nach seinen „polnischen“<br />

Romanen (CAFÉ EUROPA, 1994, und<br />

DIE REISE NACH SAMOSCH, 2003,<br />

in mehreren Aufl agen und übersetzt) kam<br />

zuletzt FALSCHSPIELER heraus (2009):<br />

dem Roman liegt der authentische Fall einer<br />

literarischen Fälschung im Deutschland der<br />

Nachkriegszeit zugrunde.<br />

Daneben arbeitet Michael Zeller seit 2007<br />

regelmäßig an Schulen, überwiegend in<br />

Wuppertal, wo er ab 1998 lebt. Dabei entstehen<br />

mit den Schülern gemeinsam erzählte<br />

Geschichten, die „Schulhausromane“, Bis<br />

heute sind fünf davon erschienen, zuletzt,<br />

2012, DER SCHATZ AUF DEM DACH,<br />

zusammen mit Schülern der Realschule Am<br />

Hohenstein.<br />

2009 verfasste Michael Zeller im Auftrag der<br />

Stadt Soest das Schauspiel DIE SOESTER<br />

FEHDE. In zweijährigem Turnus wird es<br />

seither unter freiem Himmel im mittelalterlichen<br />

Kern der Stadt aufgeführt.<br />

Seit Juni 2012 erscheint im Internet Zellers<br />

SEH-REISE (unter www.culturmag.de):<br />

Jede Woche eine neue Folge seines „Tagebuchs<br />

in Bildern“. Die Serie geht, bis in den Sommer<br />

2013 hinein.<br />

Neben anderen Auszeichnungen erhielt der<br />

Autor 2008 den Von der Heydt-Kulturpreis<br />

der Stadt Wuppertal. 2011 verlieh ihm<br />

die „KünstlerGilde Esslingen“ den Andreas<br />

Gryphius-Preis.<br />

Im Frühjahr 2013 kommt ein neuer Gedichtband<br />

heraus: WIE ES ANFÄNGT :<br />

WIE ES ENDET.<br />

www.michael-zeller.de<br />

Foto: Rita Dubas, 2006<br />

Auf dem Vulkan<br />

Vom Verrechnen der Zukunft gefordert. Eine Hügellandschaft, mäßig<br />

Vor kurzem hat ein Freund mir sein<br />

Haus für eine Weile überlassen, und dieses<br />

Haus steht auf Lanzarote, eine Insel<br />

ganz aus Lava. Das wusste ich, aber ich<br />

musste es erst sehen: das Anthrazitgrau<br />

des Bodens, und vor allem: seine Allgegenwart.<br />

Tatsächlich gibt es nichts dort<br />

als das dunkle Grau der Lava. So gut wie<br />

kein Braun von Erde dazwischen, gelber<br />

Sand, gar das Grün einer Flora. Das<br />

Auge war befremdet, der Kopf heraus-<br />

hoch, wohlgeformte Tafelberge, unbewachsen,<br />

ohne Schroffen – einladend<br />

zum Wandern.<br />

Beim Gehen über die Höhen (die<br />

beste Annäherung, die ich mir hier<br />

schaffen konnte), hatte ich es unter<br />

meinem Schuh, und ich schaute, so<br />

weit das Auge reichte, über ausgekotztes<br />

Erdinneres, stumpfes Schwarz. Aber<br />

ich ging auf einem Boden, auf dem<br />

die Erdgeschichte, die in Jahrmillionen<br />

49


50<br />

rechnet, historisch geworden war, gleichsam<br />

zeitgenössisch, auf der Schnittstelle<br />

zweier Zeitrechnungen: Die Vulkane, die<br />

ich mir erwanderte, hatten vor knapp<br />

dreihundert Jahren zum letzten Mal<br />

gespuckt, zwischen 1730 und 1736.<br />

Zwanzig Jahre vor dem Erdbeben von<br />

Lissabon, an einem Allerheiligen, das die<br />

Christenheit in Europa aufgeschreckt<br />

hatte und ihr die Gottesfrage aufzwang,<br />

mit beängstigender Wucht.<br />

Die Kruste, über die ich ging, war<br />

also neu. Keine Formation hat es auf<br />

Lanzarote vor dreihundert Jahren so<br />

gegeben. Ohne Antike, ohne Mittelalter:<br />

Neuland. Nichts, was die Natur sich seither<br />

zurückgeholt hat, Pfl anze, Tier und<br />

Mensch, langt über das Jahr 1736 hinaus.<br />

(Da war gerade Joseph Haydn geboren,<br />

und Johann Sebastian Bach hatte<br />

das Weihnachtsoratorium beendet). Und<br />

je länger ich ging, umso vielgestaltiger<br />

und bunter wurde der Lavaboden. Auf<br />

der erstarrten Glut hatten sich Flechten<br />

angesetzt, in Gelb und Grün, Moose,<br />

kleine Muscheln und Schnecken, die in<br />

einer überschaubaren historischen Frist<br />

den Boden bereitet hatten, mit Hilfe<br />

von Regen und Wind, dass der Mensch<br />

daraus wieder seine Nahrung ziehen<br />

konnte: Getreide, Gemüse, Wein, wenn<br />

auch auf einem äußerst kargen Niveau.<br />

Gewaltiges ist so in dieser Zeit entstanden,<br />

im Kleinen. Und wie mag das Land<br />

aussehen in noch einmal dreihundert<br />

Jahren, nach weiteren zehn menschlichen<br />

Generationen? Der homo sapiens<br />

wird rasch keck und spielt mit den<br />

Dimensionen der Zukunft, weit über<br />

die eigenen Lebenserwartungen hinaus.<br />

Werden im Jahr 2300 auf Lanzarote<br />

Weizenfelder wehen und Obstbäume<br />

verschwenderisch Frucht tragen?<br />

Doch ein Blick auf die nackten<br />

Vulkankegel, die mich umstanden, lehrte<br />

meine faustischen Visionen gleichzeitig<br />

die Vorsicht. So sicher der Fuß<br />

eines Wanderers von ihnen heute auch<br />

gehalten wird: Das Magma des Erdkerns<br />

brodelt weiter unter ihnen, in unergründlichen<br />

Tiefen. Und eines Tages,<br />

in erdgeschichtlicher Zeitrechnung ein<br />

Wimpernschlag, wird es den Kräften<br />

in sich wieder Raum geben müssen<br />

nach außen und Feuer speien und mit<br />

glühenden Massen über die blühende<br />

Insel kommen und das in menschlicher<br />

Zeit Nachgewachsene tief unter sich begraben.<br />

Wenn dann die Lava abgekühlt<br />

ist, nach einigen Jahrzehnten, wird die<br />

Natur sich wieder regen – mit Flechten,<br />

Moosen, Muscheln und Schnecken,<br />

und Nahrung schaffen für die nächsten<br />

Insekten und Würmer, und erste<br />

Vögel werden angelockt und nisten und<br />

brüten, und nach drei Jahrhunderten<br />

wird abermals Wein hier wachsen und<br />

Getreide.<br />

Doch das ist Zeitrechnung im Großen,<br />

sie geht über das einzelne Menschenleben<br />

hinweg. Und beim Wandern<br />

in dieser Urlandschaft (bei dem ich<br />

kaum einem Zeitgenossen begegnete),<br />

verfi elen meine schweifenden Gedanken<br />

auf ein anderes Zahlenspiel, in den<br />

Grenzen der eigenen Familiengeschichte.<br />

Es war in der Obertertia eines „neusprachlichen<br />

Gymnasiums“ gewesen,<br />

wie es damals hieß, zu Anfang der<br />

1960er Jahre, als wir im Geschichtsunterricht<br />

den Versailler Vertrag nach 1918<br />

durchnahmen, als Abschluss des Ersten<br />

Weltkriegs. Die Reparationen, die die<br />

Siegermächte dem Deutschen Reich seinerzeit<br />

abforderten, wären, so wurde uns<br />

gesagt, 1986 abgegolten gewesen. Wir<br />

Schüler haben uns darüber natürlich kaputt<br />

gelacht und unsere Witze gemacht.<br />

1986 – da wären wir selbst ja vierzig<br />

Jahre alt – ein für Fünfzehnjährige ganz<br />

und gar unvorstellbar hohes Alter. 1918 :<br />

1986 – diese irrwitzige Zahlenklammer,<br />

die in die Epoche unserer Großväter<br />

hineinfasste wie in eine unendlich ferne<br />

Zukunft hinauf, ist mir nicht mehr aus<br />

dem Kopf gegangen. Begriffen habe ich<br />

es aber erst viel später.<br />

1960: Da war mein eigener Vater bereits<br />

fünfzehn Jahre tot. Wie seine beiden<br />

Brüder (die gesamte Familiengeneration)<br />

hatte ihn der nächste Weltkrieg (Numero<br />

Zwo) verschlungen. Unsere Wohn-<br />

und Lebensverhältnisse als Flüchtlinge<br />

waren auch 1960 immer noch karg. Dass<br />

meine Brüder und ich die Oberschule<br />

besuchen durften, war der einzige Luxus,<br />

den die Mutter uns gönnen konnte (das<br />

hörten wir oft genug). Und ich sollte<br />

dann noch, erwachsen geworden, als<br />

Mann mit Vierzig, die Schulden abzahlen,<br />

die die Generation gar der Großväter<br />

hinterlassen hatte? Dazwischen – ja,<br />

da lag die Eruption des Zweiten Weltkriegs<br />

– nicht in den Eingeweiden der<br />

Erde zusammengebraut, sondern denen<br />

der menschlichen Gesellschaft, in ihren<br />

Ergebnissen kaum weniger verheerend.<br />

In welche Zukunft hinein kann der<br />

Mensch planen? Die elementaren Spiele<br />

der Natur haben wir als Lebewesen<br />

dieser Erde hinzunehmen. Sie werfen<br />

uns, wenn wir Pech haben, wieder auf<br />

die ersten Tage des Planeten zurück. Bei<br />

freundlichen Winden gedeiht das Leben<br />

danach erneut: Die Fortschritte, die<br />

Lanzarote in dreihundert Jahren hinter<br />

sich gebracht hat, die Natur und der<br />

Mensch in ihr, haben mich, wandernd<br />

im Angesicht von sanften Vulkankegeln,<br />

gerührt. Diese unbesiegbare Zähigkeit<br />

des Lebenstriebs! Doch die Erträge sind<br />

kümmerlich. Bis heute reichen sie nicht,<br />

die kleine Bevölkerung der Insel zu ernähren.<br />

Wie viele Jahrhunderte bräuchte<br />

es noch dazu?<br />

Allerdings nur, wenn die Natur Zeit<br />

dazu lässt. Oder wir.<br />

Michael Zeller<br />

www.michael-zeller.de


Temporärer Architekt<br />

und jetzt auch LED-Wegbereiter:<br />

Der Wuppertaler Nico Ueberholz<br />

leistet Pionierarbeit bei der<br />

Revolution der Leuchttechnik<br />

Die Leidenschaft für Licht –<br />

sie stand schon immer im Mittelpunkt der<br />

Arbeit von Nico Ueberholz, der international<br />

als einer der Vordenker auf dem Gebiet<br />

der temporären Architektur gilt. „Wir<br />

bauen Atmosphäre“ steht als Leitidee über<br />

seinen Projekten, die im Wuppertaler Büro<br />

entworfen werden und weltweit Beachtung<br />

fi nden. Und das eben nicht zuletzt,<br />

weil kaum ein anderer so kreativ Licht als<br />

Gestaltungselement bei der Entwicklung<br />

von Messeständen, Ladenbauten und<br />

Ausstellungskonzepten einsetzt wie der<br />

Nico Ueberholz. „Licht spielt eine große,<br />

ganz wichtige Rolle in der Umsetzung der<br />

Ideen, es inszeniert Design und Raum“, so<br />

sein Credo, das jetzt in ein ungewöhnliches<br />

unternehmerisches Engagement mündete:<br />

Mit dem von ihm an den Start gebrachten<br />

Start-Up „OFFON New Lighting“ ist<br />

Nico Ueberholz vom Lichtanwender zum<br />

Entwickler und Produzenten geworden. Er<br />

kämpft dabei an vorderster Front für den<br />

Umstieg von umweltschädlichen Leuchtstoffröhren<br />

auf ökologische und wirtschaftliche<br />

LED-Technik. Und wirft fast 25<br />

Jahre Erfahrung mit gestalterischen und<br />

technischen Ideen für Licht-Inszenierungen<br />

in die Waagschale, um die neuen LED-<br />

Leuchtmittel wirkungsvoll einsetzen zu<br />

können. Mit Erfolg: Seit dem fulminanten<br />

„OFFON“-Debüt bei der Leitmesse Light<br />

& Building vor knapp einem Jahr staunen<br />

sogar die Branchenriesen über die Ideen der<br />

Innovationsschmiede.<br />

Kreativ und vielseitig: Nach 25 Jahren<br />

als temporärer Architekt engagiert sich<br />

Nico Ueberholz jetzt auch als Unternehmer<br />

für die Entwicklung umweltfreundlicher<br />

LED-Lichttechnik.<br />

Die Magie des Lichts<br />

Dabei hatten die Köpfe hinter „OFFON“<br />

eigentlich alles andere zu tun, als ausgerechnet<br />

in die Entwicklung und Produktion<br />

von LED-Tubes einzusteigen. Ueberholz<br />

machte dafür mit Werbeprofi Sven Hillie<br />

aus Hamburg und Axel Kietz, Geschäftsführer<br />

einer Apparatebau-Firma in Radevormwald,<br />

gemeinsame Sache. Das Trio,<br />

das sich zuvor bei gemeinsamen Projekten<br />

für verschiedenste Kunden aus der Markenwelt<br />

kennen und schätzen gelernt hatte,<br />

war mit den jeweiligen Jobs eigentlich<br />

mehr als ausgelastet. Aber: Ob es um einen<br />

Messeauftritt, Corporate Design oder feste<br />

Bauten ging - die Inszenierung von Licht<br />

spielte dabei immer eine bedeutende Rolle.<br />

Erst recht, seit die hoch entwickelte LED-<br />

Technologie den Spielraum dafür entscheidend<br />

erweitert hat und das Trio mit einer<br />

Idee infi zierte: LED-Lichtsysteme mit<br />

einem hohen Designanspruch, perfekter<br />

Funktionalität und maximaler Wirtschaftlichkeit<br />

zu kreieren und herzustellen.<br />

In diese Röhre schaut man gerne<br />

Mit der „T8 Extended Quality LED Tube“<br />

hat „OFFON“ auf den Weg dorthin einen<br />

ersten Schritt gemacht, der echte Breitenwir-<br />

kung entfaltet: Sie bietet auch bei kritischem<br />

Hinsehen eine taugliche Alternative für die<br />

allein in Deutschland jährlich verbauten rund<br />

60 Millionen Leuchtstoffröhren mit all ihren<br />

ökologischen und wirtschaftlichen Nachteilen.<br />

70 Prozent weniger Energieverbrauch, maximale<br />

Sicherheit, minimierte CO 2 -Emissionen,<br />

30.000 Stunden garantierte Lebensdauer und<br />

- natürlich für seine Erschaffer ein besonderes<br />

Kriterium - die besonders gute Lichtqualität<br />

sprechen für die Neuentwicklung. Von der<br />

wurden die Branchenriesen ebenso überrascht<br />

wie von der passenden Deckenschiene „Lucy<br />

(in the sky)“. Sie liefert die Antwort auf die<br />

Frage, wie Lampen aussehen können, wenn<br />

dank moderner LED-Technologie keine Platz<br />

raubenden und energiefressenden Starter<br />

mehr nötig sind. Das patentierte System<br />

kombiniert ein puristisches Erscheinungsbild<br />

mit handfesten Vorteilen bei Neuinstallation<br />

und Betrieb. „Lucy“ kommt mit deutlicher<br />

weniger Abhängungen aus als konventionelle<br />

Schienen und Sockel für Leuchtstoffröhren,<br />

ist fl exibel bestückbar und kann mit einer<br />

einzigen Einspeisung theoretisch bis zu einer<br />

Kilometer Leuchtstrecke versorgen. Das bietet<br />

ungeahnte Möglichkeiten und Flexibilität bei<br />

der Gestaltung von Räumen und Hallen.<br />

51


52<br />

Hoch hinaus: Im Frühjahr 2012 ging<br />

„OFFON New Lighting“ bei der „Light<br />

& Building“ in Frankfurt mit einem zehn<br />

Meter hohen „Leuchtturm“ und Produkten<br />

an den Start, die auch Branchenriesen<br />

staunen ließ. Für das Design des Messeauftritts<br />

erhielt Ueberholz übrigens einen<br />

ADAM-Award.<br />

Design trifft Technik: Die Leuchte „Mary<br />

(go round)“ samt T8-Tube von OFFON<br />

gewann bereits den DDC-Award. Ihre<br />

Form bekam sie auf dem Zeichenblock von<br />

Nico Ueberholz.


High-Tech aus dem Zeichenblock<br />

Entstanden ist das Design übrigens dort, wo<br />

die meisten Ideen von Nico Ueberholz Form<br />

annehmen: auf dem Zeichenblock! Für ihn<br />

immer wieder ein besonderer Moment:<br />

„Mein Beruf ist eigentlich meine Leidenschaft:<br />

entwerfen, zeichnen, träumen, Visionen<br />

zu Papier bringen Pferdefl iegen lassen!<br />

Sobald ich etwas Zeit habe, greife ich zum<br />

Bleistift. Es ist einfach immer wieder ein Erlebnis<br />

und eine Herausforderung, mit einem<br />

weißen Blatt anzufangen.“ Auf so ein Blatt<br />

hat er auch die ersten Konturen von „Mary<br />

(go round)“ skizziert – eine Deckenleuchte,<br />

dessen LED-Körper sich dank eines Kugelgelenks<br />

in jede vorstellbare Position und<br />

Richtung drehen lässt. Die LED-Tube in der<br />

mit entsprechendem Bodensockel auch als<br />

Schreibtischleuchte einsetzbaren Lampe ist<br />

dabei ebenfalls drehbar, so dass ganz einfach<br />

zwischen direkter und indirekter Beleuchtung<br />

gewechselt werden kann. Das Berühren<br />

der Tubes ist übrigens kein Problem - LEDs<br />

entwickeln bekanntlich im Gegensatz zu<br />

herkömmlichen Leuchtnmitteln kaum<br />

Wärme. Für die Eigenentwicklung ist<br />

Ueberholz im Dezember mit dem Award für<br />

Gute Gestaltung des Deutschen Designer<br />

Clubs ausgezeichnet worden. Ebenfalls in der<br />

Pipeline ist mit „Jack (of all trades)“ zudem<br />

eine Straßenleuchte mit LED-Tubes, die<br />

individuelle Lichtfelder für Fußgänger, Rad-<br />

und Autofahrer bescheinen kann.<br />

Hommage an die Magie des Lichts:<br />

Der Produktkatalog von „OFFON“ ist ein<br />

lesenswertes Themen-Magazin.<br />

„Die Ideen sprudeln nur so heraus“<br />

„Da wir alle Visionäre sind, sprudeln die Ideen<br />

nur so aus uns heraus. Wenn Menschen<br />

zusammenkommen, die einen Gedanken,<br />

ein gemeinsames Ziel haben und ohne viele<br />

Worte in die Hände spucken, kommt sehr<br />

viel gute Kreativität dabei heraus“, erklärt<br />

Nico Ueberholz, wie das erst Anfang 2012<br />

gegründete Unternehmen innerhalb weniger<br />

Monate eine kleine Produktfamilie entwickeln<br />

konnte, die bereits im März bei der<br />

„Light & Building“ in einem zehn Meter<br />

hohen Freiluftstand als zukunftsweisend für<br />

eine ganze Branche präsentiert wurde. Vorgestellt<br />

werden diese Produkte übrigens nicht<br />

in einem herkömmlichen Produktkatalog,<br />

sondern in einem Magazin, das ebenso aus<br />

dem Rahmen fällt wie die „OFFON“-Entstehungsgeschichte:<br />

Auf fast 200 Seiten erklärt<br />

es mal wissenschaftlich, mal philosophisch,<br />

mal historisch und immer voller überraschender<br />

Gestaltungs-Details die „Magie des<br />

Lichts“, aus der „OFFON“ erwachsen ist.<br />

Bei Branson im „Carbon War Room“<br />

Geadelt wurden Nico Ueberholz und die<br />

„OFFON“-Idee zuletzt, als sie in den Fokus<br />

von Richard Branson und seinem Non-Profi<br />

t-Unternehmen „Carbon War Room“ rückten,<br />

mit dem der britische Milliardär weltweit<br />

nach ökonomkisch attraktiven Wegen zur<br />

Reduzierung des Ausstoßes schädlicher Treibhausgase<br />

sucht. Ein Ziel, das ihn mit „OF-<br />

FON“ verbindet und den LED-Pionieren<br />

eine Einladung zur ersten Deutschland-Konferenz<br />

des „Carbon War Room“ bescherte. In<br />

der Berliner Siemens-Villa informierten sich<br />

im September 2012 rund 200 Führungskräfte<br />

aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung<br />

unter dem Tagungs-Motto „Creating Climate<br />

Wealth“ über die OFFON-Philosophie und<br />

die aktuelle Produktpalette für den Umstieg<br />

von Leuchtstoffröhren auf umweltfreundliche<br />

LED-Tubes. „Hören wir auf zu reden,<br />

gehen wir es an!“ lautete der Klima-Appell<br />

des „Carbon War Room“. Nico Ueberholz<br />

hat das bereits getan...<br />

53


54<br />

Das Wuppertaler TiC-Theater stellt<br />

seinen Spielplan 2013 vor<br />

oben Stefan Hüfner, unten Ralf Budde,<br />

Fotos: Frank Becker<br />

Komödie, Krimi, Klassik<br />

Komödie und Krimi, Klassik, Drama und<br />

Musical – das kleine, aber sehr feine TiC-<br />

Theater in Wuppertal-Cronenberg hat<br />

auch im Jahr 2013 für jeden Geschmack<br />

etwas im Programm. Acht Premieren<br />

und zwei Wiederaufnahmen sorgen in<br />

den drei Spielstätten Borner Straße und<br />

im Atelier Unterkirchen für einen abwechslungsreichen<br />

Kalender. Am Freitag<br />

stellten die Geschäftsführer Ralf Budde<br />

und Stefan Hüfner den Spielplan 2013<br />

vor. Traditionell beginnt das Jahr mit einem<br />

Krimi, diesmal sorgt Ralf Budde am<br />

22. Februar mit seiner Inszenierung von<br />

Edgar Wallace´ „Das indische Tuch“ für<br />

Spannung und, wie er augenzwinkernd<br />

versichert, auch für Spaß. Wer erinnert<br />

sich nicht gerne an die Verfi lmung (1963)<br />

mit Heinz Drache, Hans Nielsen, Eddi<br />

Arent, Ady Berber, Hans Clarin, Corny<br />

Collins, Elisabeth Flickenschildt, Siegfried<br />

Schürenberg und Klaus Kinski.<br />

„Welcome to the Sixties“ heißt es ab<br />

21. April mit einem Song des Musicals<br />

„Hairspray“, für das Patrick Stanke<br />

gewonnen werden konnte, der 2012 mit<br />

seiner „Hair“-Inszenierung im TiC einen<br />

fulminanten Erfolg hatte. Da gibt es<br />

dann Wiederbegegnungen mit Twist und<br />

Mashed Potato, mit den Turnbalds und<br />

den von Tussles, Gene Pitney und Little<br />

Peggy March. Mit der turbulenten Farce<br />

„Der nackte Wahnsinn“ von Michael<br />

Frayn wird ab 3. Mai unter Thomas<br />

Gimbels Regie das totale (geordnete)<br />

Chaos ins TiC einziehen. Sardinen eingeschlossen.<br />

Es gibt kaum ein komischeres<br />

Stück über Theater auf dem Theater.<br />

Zuletzt in Wuppertal 2007 an den Städtischen<br />

Bühnen aufgeführt.<br />

Der lebenslange Briefwechsel zweier<br />

Menschen, die dann doch kein Paar<br />

werden, ist Thema des berührenden<br />

Kammerspiels „Love Letters“ von A.R.<br />

Guerney. Die Besetzung steht bereits fest,<br />

wird aber noch geheimgehalten, ebenso<br />

wie der Name des Regisseurs der bewegenden<br />

Geschichte eines krebskranken<br />

Kindes „Oskar und die Dame in Rosa“<br />

von Eric-Emmanuel Schmitt, die ab<br />

Oktober gezeigt werden soll.<br />

Zuvor aber gibt es im Juli Neil Simons<br />

Seitensprung-Komödie „Der letzte der<br />

feurigen Liebhaber“ als Sommerstück<br />

unter der Regie von Julia Penner - und<br />

im September das Musical „Me and my<br />

Girl“, von Noel Gay, L. Arthur Rose<br />

und Douglas Furber. 1937 in London<br />

uraufgeführt war es mit 1646 Vorstellungen<br />

einer der größten Erfolge der 30er<br />

Jahre. Für die Musik im TiC zeichnet wie<br />

bei „Hairspray“ und der Wiederaufnahme<br />

von „My Fair Lady“ im Mai dessen<br />

musikalischer Leiter Stefan Hüfner.<br />

Weil sich das Angebot eines Klassikers<br />

pro Spieljahr bewährt hat, setzt das Tic<br />

nach „Der Parasit“, „Romeo und Julia“<br />

und „Der zerbrochne Krug“ im November<br />

2013 Friedrich Schillers „Kabale und<br />

Liebe“ auf den Spielplan. Die Regie hat<br />

Ingeborg Wolff übernommen, die dort<br />

schon etliche Male eine sehr glückliche<br />

Hand gezeigt hat. Zum Jahresschluss<br />

wird zum fünften Mal der Dauerbrenner<br />

„Die Feuerzangenbowle“ nach Heinrich<br />

Spoerl (bisher fast 200 Vorstellungen)<br />

zubereitet. Unvergessen auch hier die<br />

Verfi lmung (1944) mit Heinz Rühmann,<br />

Erich Ponto, Paul Henckels, Karin Himboldt,<br />

Hans Leibelt und Hans Richter.<br />

Ab November zu verkosten. Wie ein<br />

solches Angebot umgesetzt werden kann<br />

erklärt Ralf Budde: das ist nur möglich<br />

durch den selbstlosen Einsatz der ca. 60<br />

Ensemble-Mitglieder, allesamt (hochbegabte)<br />

Laien, die ihre gesamte Freizeit<br />

dafür einsetzen. Eine solide Basis für die<br />

anspruchsvolle Arbeit.<br />

Weitere Informationen: www.tic-theater.de<br />

Frank Becker


Franz Kafka und die Griots von Prag<br />

„... wie wenn ich mir einen Bindfaden<br />

über die Zunge führen würde –<br />

Liebste, ich lese nämlich höllisch gerne vor“<br />

Wenn in Afrika ein Griot stirbt,<br />

verbrennt eine Bibliothek, lautet ein<br />

bekanntes Sprichwort des schwarzen<br />

Kontinents. Griots, das sind die weisen<br />

Männer Westafrikas, die in ihren –<br />

häufi g auf der Cora, der afrikanischen<br />

Harfe, begleiteten – Sprechgesängen<br />

die Geschichten ihres Volkes erzählen.<br />

Sie sind lebende Enzyklopädien, die die<br />

Legenden und Mythen ihrer Heimat in<br />

ihrem Gedächtnis bewahren. Die Griots<br />

unserer Kultur sind die Literaten, die<br />

Dichter und Schriftsteller. Sie singen<br />

ihre Geschichten nicht, sie schreiben sie<br />

auf. Doch wenn ihre Bücher verbrennen,<br />

so geht mit ihnen eine ganze Welt<br />

unter, nämlich jene Welt, die sie in<br />

ihren Büchern entstehen ließen und mit<br />

diesen eine Zeit, die die Bedingung der<br />

Möglichkeit ihrer Entstehung war.<br />

Als die Nationalsozialisten 1939 Prag<br />

besetzten, ahnten die kritischen tschechischen<br />

und die aus Deutschland emigrierten<br />

Intellektuellen, was sie erwartete.<br />

Ihre Schriften würden verbrannt,<br />

sie selbst verfolgt, deportiert, ermordet.<br />

Mit der Besetzung Prags sollte eine Welt<br />

untergehen, eine Welt des Geistes – und<br />

mit ihr wesentliche Erinnerungen an die<br />

deutschsprachige Literatur der goldenen<br />

Stadt. Ist es folgerichtig, dass mit Franz<br />

Kafka vor allem ein Schriftsteller jener<br />

deutschsprachigen Prager Schriftsteller<br />

im kollektiven literarischen Gedächtnis<br />

überleben sollte, der die Okkupation –<br />

Gott sei Dank, ist man geneigt zu sagen<br />

– nicht mehr erlebt hat? Die Freunde<br />

und literarischen Wegbegleiter Kafkas,<br />

die Protagonisten der Prager Deutschen<br />

Literatur sind weitgehend in Vergessenheit<br />

geraten – einzig Franz Werfel wird<br />

noch von einer breiteren literarischen<br />

Öffentlichkeit wahrgenommen. Selbst<br />

die Romane Max Brods werden kaum<br />

noch gelesen; er bleibt vor allem als<br />

Freund und Herausgeber der Werke<br />

Franz Kafkas in Erinnerung.<br />

Die Griots von Prag werden nach dem<br />

Einmarsch der sogenannten Wehrmacht<br />

in die tschechische Republik Opfer der<br />

nationalsozialistischen Gewalt. Der<br />

Terror der Gestapo zwingt den Lyriker,<br />

Essayisten und Erzähler Johannes Urzidil,<br />

auch er ein Freund Kafkas, 1939<br />

zu Emigration nach London. Aus dem<br />

Exil wird er nicht mehr zurückkehren;<br />

er stirbt 1970 in Rom. Ein weiterer<br />

Wegbegleiter Kafkas, der Philosoph<br />

Felix Weltsch, beschäftigte sich schon<br />

frühzeitig mit dem Zionismus und dem<br />

Talmud, ihm gelingt 1939 die Flucht<br />

nach Palästina, die beiden Geschwister<br />

Weltschs aber werden in Auschwitz ermordet.<br />

Als wolle er das Elend mit dem<br />

inneren Auge nicht mehr sehen, stirbt<br />

der früh erblindete Freund Kafkas, der<br />

55


56<br />

Schriftsteller Oskar Baum, an den Folgen<br />

einer Operation, kurz bevor seine<br />

Frau durch die Nationalsozialisten in<br />

das Konzentrationslager Theresienstadt<br />

verschleppt und dort ermordet wird.<br />

Die Lebensgefährtin Kafkas, die Journalistin<br />

Milena Jesenská, die die Werke des<br />

Schriftstellers in den 20er Jahren dieses<br />

verrückten Jahrhunderts ins Tschechische<br />

übersetzen und herausgeben will,<br />

wird zwanzig Jahre später unter Einsatz<br />

ihres Lebens im besetzten Prag bedrohte<br />

Menschen retten. Sie verhilft Juden und<br />

Tschechen zur Flucht ins Ausland und<br />

gibt eine illegale Zeitschrift heraus. Die<br />

Nazis verdächtigen sie des Kommunismus<br />

und bringen die schon von Krankheit<br />

gezeichnete Freiheitskämpferin ins<br />

Konzentrationslager Ravensbrück. Eine<br />

verspätet durchgeführte Nierenoperation<br />

führt im Mai 1944 zu ihrem Tod.<br />

Dieses Prag des Franz Kafka, Max Brod,<br />

Felix Weltsch, Johannes Urzidil, Oskar<br />

Baum und der tapferen und lebensfrohen<br />

Milena Jesenská gibt es nicht mehr.<br />

Es war das Prag des Café Arco, wo sich<br />

die Schriftsteller und Intellektuellen<br />

treffen, ein Umschlagplatz für Ideen,<br />

in dem die noch druckfrischen Bücher,<br />

aber auch die Klassiker diskutiert wurden.<br />

Eine Welt, in der die Kultur des<br />

Lesens noch Raum hatte und nicht auf<br />

ein fernsehgerechtes Format von dreißig<br />

Minuten reduziert wurde. Eine Welt, in<br />

der zwar auch über Bücher gesprochen<br />

Franz Kafka mit seiner Schwester Ottla Max Brod<br />

wurde, in der vor allem aber die Bücher<br />

selbst noch gelesen wurden, über die<br />

man sprach. So war das Vorlesen ein<br />

wichtiger Teil dieser Lese-Kultur. Man<br />

las aus eigenen Werken vor – und aus<br />

denen, die einen begeisterten. Wenn wir<br />

im Folgenden an Kafka, den leidenschaftlichen<br />

Vorleser erinnern, so hoffen<br />

wir damit auch ein Mosaiksteinchen<br />

hinzu fügen zu können zur Rekonstruktion<br />

jener durch Tod und Vertreibung<br />

der Griots von Prag untergegangenen<br />

Welt. Zugleich könnte dies auch ein<br />

Beitrag sein, das oft dunkel gezeichnete<br />

Portrait jener tragisch umschatteten<br />

Lichtgestalt der Prager Deutschen<br />

Literatur ein wenig aufzuhellen. Denn<br />

gerade im Vorlesen zeigte Kafka häufi g<br />

seine heitere, lebensfrohe Seite.<br />

Kafka las oft und gern vor. Tatsächlich<br />

war dies neben dem Schreiben eine<br />

seiner großen Leidenschaften. So, wie er<br />

von der Literatur erwartete, dass sie ihn<br />

aus der Erstarrung des Alltags erlösen<br />

möge – in einem Brief an seinen Freund<br />

Oskar Pollak schreibt Kafka: „Wir<br />

brauchen aber die Bücher, die auf uns<br />

wirken wie ein Unglück, das uns sehr<br />

schmerzt,... ein Buch muss die Axt<br />

sein für das gefrorene Meer in uns“ - so<br />

stellte er auch an die Rezitation, den<br />

gelungenen Vortrag die Anforderung,<br />

dass sie die Zuhörer unmittelbar treffen<br />

und sie aus deren gewohnter Lethargie<br />

herausreißen sollte. Daher erschien ihm<br />

als Vortragsform das Anbrüllen – und<br />

dies nicht nur im metaphorischen Sinn<br />

– durchaus angemessen. So schreibt er<br />

in einem Brief an seine spätere Verlobte<br />

Felice Bauer: „Liebste, ich lese nämlich<br />

höllisch gerne vor, in vorbereitete<br />

und aufmerksame Ohren der Zuhörer<br />

zu brüllen, tut dem armen Herzen so<br />

wohl.“<br />

Obwohl das Vorlesen eine der herausragenden<br />

Leidenschaften Kafkas war,<br />

kam es doch nur zu zwei öffentlichen<br />

Lesungen. Am 11. Dezember 1913<br />

liest Kafka in der Prager Toynbeehalle<br />

Kleists „Michael Kohlhaas“ vor, den er<br />

besonders liebte und - wir werden noch<br />

darauf zu sprechen kommen - den er<br />

auch im Freundes- und Bekanntenkreis<br />

öfters vorlas. Mit der Wirkung seiner<br />

Lesung auf die zu junge und literarisch<br />

vielleicht nicht genügend sensibilisierte<br />

Zuhörerschaft ist Kafka nicht zufrieden.<br />

Er besitzt jedoch noch während des<br />

Vorlesens genügend Geistesgegenwart,<br />

um die Reaktionen des Publikums zu<br />

beobachten. Am Abend nach der Vorlesung<br />

erinnert sich Kafka und notiert in<br />

sein Tagebuch:<br />

In der Toynbeehalle den Anfang von<br />

„Michael Kohlhaas“ gelesen. Ganz und<br />

gar mißlungen. Schlecht ausgewählt,<br />

schlecht vorgetragen, schließlich sinnlos<br />

im Text herumgeschwommen. Musterhafte<br />

Zuhörerschaft. Ganz kleine Jungen<br />

Milena Jesenka


in der ersten Reihe. Einer sucht seiner<br />

unschuldigen Langeweile dadurch beizukommen,<br />

dass er die Mütze vorsichtig zu<br />

Boden wirft und dann vorsichtig aufhebt<br />

und so öfters. Da er zu klein ist, um das<br />

vom Sitz auszuführen, muss er immer<br />

ein wenig vom Sessel sich abgleiten<br />

lassen.<br />

Kafkas Lust am Vorlesen ist jedoch so<br />

unbändig, dass es ihn trotz des Misserfolgs<br />

drängt, weiter vorzulesen. In<br />

derselben Tagebuchnotiz heißt es nur<br />

ein paar Zeilen weiter: „Und am Nachmittag<br />

zitterte ich schon vor Begierde,<br />

zu lesen, konnte kaum den Mund<br />

geschlossen halten.“<br />

Kafkas zweite öffentliche Lesung fand<br />

am 10. November 1916 in der Galerie<br />

Goltz in München statt. Hier liest er<br />

neben seiner eigenen Erzählung „In<br />

der Strafkolonie“ auch Gedichte seines<br />

engen Freundes und späteren Herausgebers<br />

und Biographen Max Brod vor.<br />

Kafka, der sich für einen schlechten<br />

Gedichtvorleser hielt, hatte sich dazu<br />

bereit erklärt, weil Brod aus berufl ichen<br />

Gründen verhindert war. Während der<br />

Vorlesung der Erzählung „In der Strafkolonie“<br />

soll es im Auditorium zu drei<br />

Ohnmachtsanfällen gekommen sein.<br />

Wenn dies stimmt, so ist der Grund<br />

hierfür wohl am ehesten im Inhalt von<br />

Kafkas Erzählung zu fi nden, in der die<br />

Folterung eines Delinquenten mittels<br />

einer „Höllenmaschine“ beschrieben<br />

wird, welche die vermeintliche Schuld<br />

des Angeklagten immer wieder in dessen<br />

Körper schreibt.<br />

Die Rezensionen dieses Vortragsabends<br />

fallen wenig „günstig“ aus. Auch streifen<br />

sie nur kurz Kafkas Vortragstechnik; die<br />

literarische Qualität der vorgelesenen<br />

Texte steht im Mittelpunkt des Kritikerinteresses.<br />

In den „Münchner Neueste<br />

Nachrichten“ vom 11. November 1916<br />

heißt es lapidar: „Zunächst war Franz<br />

Kafka als Vorlesender ein recht ungenügender<br />

Übermittler.“ Auch die Kritik in<br />

der „München-Augsburger Abendzeitung“<br />

fällt nicht gerade schmeichelhaft<br />

aus: „Freilich vermochten die freundschaftlichen<br />

Gefühle, die die beiden<br />

jungen Männer verbinden [Kafka<br />

und Max Brod], die Mängel nicht zu<br />

ersetzen, die den Rezitationen Dr. Franz<br />

Kafkas anhafteten.“<br />

Kafka selbst kommt gut zwei Monate<br />

später in einem Brief an den Lyriker<br />

Gottfried Kölwel, den er anlässlich der<br />

Münchner Vorlesung kennengelernt<br />

hat, auf dieses Ereignis zu sprechen:<br />

Ich las die Gedichte dort unter ungewöhnlichen<br />

Umständen. Ich war hingekommen<br />

mit meiner Geschichte als Reisevehikel,<br />

in eine Stadt, die mich außer als Zusammenkunftsort<br />

und als trostlose Jugenderinnerung<br />

gar nichts anging, las dort meine<br />

schmutzige Geschichte in vollständiger<br />

Dora Dymant Max Brod und Franz Kafka<br />

Gleichgültigkeit, kein leeres Ofenrohr<br />

kann kälter sein...<br />

Kafkas öffentlichen Lesungen war kein<br />

besonderer Erfolg beschieden. Dennoch<br />

täuscht der Eindruck, Kafka sei ein vielleicht<br />

begabter, im Grunde aber doch<br />

durchschnittlicher Vorleser gewesen.<br />

Auf fast alle, die das Glück hatten, im<br />

Freundes- und Bekanntenkreis Kafkas<br />

Vorlesungen zuhören zu können, haben<br />

dessen Rezitationen einen tiefen Eindruck<br />

hinterlassen. Zu diesem Kreise<br />

zählten neben Max Brod auch der früh<br />

erblindete Dichter und enge Freund<br />

Oskar Baum, ferner Kafkas Schwestern<br />

und dessen Verlobte Felice Bauer sowie<br />

deren Schwestern. Auch seiner letzten<br />

Lebensgefährtin Dora Dymant hat<br />

Kafka vorgelesen.<br />

Es gibt verhältnismäßig wenige Lebenserinnerungen<br />

an Kafka. Ein<br />

Grund dafür wird sicherlich in dem<br />

erschütternden Schicksal zu fi nden<br />

sein, welches sowohl Freunde als auch<br />

Verwandte Kafkas während der Zeit<br />

des Nationalsozialismus ereilte. Bei den<br />

Lebenserinnerungen, die uns heute<br />

vorliegen, handelt es sich zumeist um<br />

recht kurze Zeitschriftenartikel. Umso<br />

erstaunlicher ist es, dass die, die noch<br />

Gelegenheit hatten, sich an Kafka zu<br />

erinnern, häufi g auf dessen Rezitationen<br />

zu sprechen kommen. So erinnert sich<br />

Oskar Baum an Kafkas Vorlesungen<br />

57


58<br />

und stellt zugleich dessen Vorlesetechnik<br />

in Zusammenhang mit seinem<br />

literarischem Stil:<br />

Wenn er [Kafka] vorlas - das war seine<br />

besondere Leidenschaft - dann unterordnete<br />

sich der Ausdruck des einzelnen Worts<br />

bei voller Klarheit jedes Lauts, in zuweilen<br />

schwindelerregendem Zungentempo,<br />

ganz einer musikalischen Breite der Phrasierung<br />

von endlos, endlos langem Atem<br />

und gewaltig sich steigernden Crescendi<br />

der dynamischen Terassen - wie ihn ja<br />

auch seine Prosa hat, deren abgeschlossene<br />

Stücke zuweilen wie die „Die Zirkusreiterin“<br />

im Wunderbau eines einzigen Satzes<br />

gewachsen sind.<br />

Auch Max Brod kommt in seinen Lebenserinnerungen<br />

wiederholt auf Kafka,<br />

den Vorleser zu sprechen. Er fi ndet,<br />

um den mitreißenden und fesselnden<br />

Eindruck zu beschreiben, den Kafkas<br />

Rezitationen hinterließen, ganz ähnliche<br />

Formeln wie Oskar Baum. In seiner<br />

Autobiographie „Streitbares Leben“<br />

schreibt Brod: „Kafkas Vorlesungen<br />

waren immer feurig, in großartigem<br />

Aufbau der Perioden, im langen Atem<br />

hinreißend.“<br />

Es ist schwer aus den vorliegenden<br />

Zeitdokumenten, Mimik und Gestik,<br />

Stimme und Tonfall Kafkas zu rekonstruieren.<br />

Sicher aber ist, dass Kafka kein<br />

„steifer“ Vorleser war. Im Gegenteil: Es<br />

konnte ihm durchaus geschehen, dass<br />

er sich selbst im Vorlesen unterbrechen<br />

musste, etwa dann, wenn der Text, den<br />

er las, ihn zu Lachen oder Tränen rührte.<br />

Kafkas Stimme hatte einen harten,<br />

für das Tschechische typischen Akzent;<br />

jedoch gelang es ihm, die Satzteile melodiös<br />

miteinander zu verbinden und so<br />

die Sinnphrasen innerhalb eines Satzes<br />

herauszukristallisieren.<br />

Kafka las vor allem die Literatur vor,<br />

die er liebte, zu der er eine Wahlverwandtschaft<br />

empfand. Er fühlte sich<br />

vor allem zu Kleist sehr hingezogen,<br />

dessen „Michael Kohlhaas“ er besonders<br />

liebte - und den er ja auch einmal<br />

öffentlich gelesen hat. Über diese von<br />

ihm sehr geschätzte Novelle schreibt<br />

Kafka in einem Brief an seine Verlobte<br />

Felice: „Gestern abend habe ich Dir<br />

nicht geschrieben, weil es über Michael<br />

Kohlhaas zu spät geworden ist (kennst<br />

Du ihn? Wenn nicht, dann lies ihn<br />

nicht! Ich werde Dir ihn vorlesen), den<br />

(...) ich in einem Zug gelesen habe.<br />

Wohl schon zum zehnten Male.“ Auch<br />

Max Brod erinnert sich in „Streitbares<br />

Leben“ daran, wie gern Kafka diese<br />

Novelle vorgelesen hat:<br />

Dagegen hat er [Kafka] im privaten<br />

Kreis der Freunde oft und wundervoll aus<br />

seinen eigenen Werken, besonders gern<br />

auch Kleistens „Michael Kohlhaas“ und<br />

die „Anekdote aus dem letzten preußischen<br />

Kriege“ vorgetragen (...) Auch zu den<br />

Eltern von Felix Weltsch ging er öfters,<br />

um dem alten kunstsinnigen Ehepaar<br />

Abschnitt für Abschnitt sein Lieblingswerk<br />

„Michael Kohlhaas“ zu Gehör zu bringen,<br />

und freute sich sehr an seiner Rezitation<br />

und deren Wirkung.<br />

Zu den Lieblingswerken Kafkas gehörte<br />

neben der Kleistschen Novelle sicherlich<br />

auch Grillparzers „Armer Spielmann“.<br />

Auf dieses Werk kommt Kafka in seinen<br />

Tagebüchern und Briefen wiederholt<br />

zu sprechen. In einem Brief an die<br />

Freundin Grete Bloch vom 15.9. 1914<br />

schreibt Kafka über diese Novelle:<br />

Der „arme Spielmann“ ist schön, nicht<br />

wahr? Ich erinnere mich, ihn einmal<br />

meiner jüngsten Schwester [Kafkas Lieblingsschwester<br />

Ottla] vorgelesen zu haben,<br />

wie ich ihn niemals vorgelesen habe.<br />

Ich war davon so ausgefüllt, dass für<br />

keinen Irrtum der Betonung ,des Atems,<br />

des Klangs des Mitgefühls, des Verständnisses<br />

in mir Platz gewesen wäre, es<br />

brach wirklich mit einer unmenschlichen<br />

Selbstverständlichkeit aus mir hervor, ich<br />

war über jedes Wort glücklich, das ich<br />

aussprach.<br />

Neben Kleist, Grillparzer und Dostojewski<br />

fand Kafka noch zu Flaubert<br />

ein ähnlich enges Verhältnis. In einem<br />

Brief an Felice Bauer bezeichnet Kafka<br />

Flaubert als seinen Blutsverwandten -<br />

und in einem anderen Brief an seine<br />

Verlobte nennt Kafka sich „ein geistiges<br />

Kind dieses Schriftstellers“, dessen<br />

„Education sentimentale“ ihm „durch<br />

viele Jahre nahegestanden ist, wie kaum<br />

zwei oder drei Menschen.“ Wie sehr<br />

Kafka dieses Buch geliebt haben muss,<br />

geht noch aus einer anderen Briefstelle<br />

hervor:<br />

Als Kind – vor ein paar Jahren war es<br />

noch – träumte ich gern davon, in einem<br />

großen mit Menschen angefüllten Saal<br />

– allerdings ausgestattet mit einer etwas<br />

größeren Herz-, Stimm- und Geisteskraft<br />

als ich sie augenblicklich hatte – die ganze<br />

„Education sentimentale“ ohne Unterbrechung<br />

so viele Tage und Nächte lang,<br />

als sich dafür notwendig ergeben würde,<br />

natürlich französisch (o du meine liebe<br />

Aussprache!) vorzulesen und die Wände<br />

sollten widerhallen.<br />

Kafka fühlte sich mit Flaubert zudem<br />

noch durch deren gemeinsame Liebe zu<br />

schönen Sätzen verbunden. In Kafkas<br />

Handbibliothek befand sich ein Bändchen<br />

von François Coppée, „Souvenirs<br />

d‘un Parisien“, welches er wohl vor<br />

allem wegen der Erinnerungen Coppées<br />

an Flaubert schätzte. Das letzte Kapitel<br />

dieses Bändchens führt den Titel „Les<br />

belles phrases de Gustave Flaubert“.<br />

In diesem Kapitel erzählt Copée, dass<br />

Flaubert, der viele schöne Prosasätze<br />

von Klassikern, aber auch von weniger<br />

bekannten Autoren auswendig wusste,<br />

diese seiner „Brüll-Methode“ unterwarf,<br />

um so die tatsächliche Qualität dieser<br />

Sätze zu überprüfen. Flauberts Theorie<br />

war nämlich, dass ein wirklich guter<br />

Satz diese Probe unbeschadet überstehen<br />

müsste. Kafka, der sich an dieser<br />

Episode ergötzen konnte, versuchte es<br />

Flaubert nachzutun. Später schenkte<br />

er seinem Freund Max Brod dieses<br />

Bändchen – eine Eigenart Kafkas, der<br />

es liebte, von ihm geliebte Bücher zu<br />

verschenken und aus ihnen vorzulesen.<br />

Max Brod erinnert sich in seiner Biographie<br />

„Über Franz Kafka“: „Ich habe<br />

es noch heute im Ohr, wie Kafka mir<br />

den letzen Teil dieser Episode vorlas. Es<br />

war, als wäre Flaubert selbst lebendig<br />

geworden. (...) Kafka lächelte und hatte<br />

Tränen in den Augen, als er mir das<br />

vorlas.“<br />

Außer aus den hier bereits erwähnten<br />

Werken hat Kafka nachweislich aus


Werken von Tolstoi, Nietzsche, Plato<br />

und Mörike vorgelesen.<br />

Jedoch waren es nicht nur die Werke<br />

der schöngeistigen Literatur, die es<br />

Kafka reizte vorzutragen. Er lehnte<br />

eine von der Literaturgeschichte und<br />

-kritik vorgegebene Scheidung in eine<br />

sogenannte gute und in eine lediglich<br />

unterhaltende ab und wollte zu einem<br />

selbständigen Urteil gelangen. So konnte<br />

ihn eine hübsche feuilletonistische<br />

Wendung entzücken. Und er scheute<br />

sich keineswegs, eine Stelle aus dem<br />

Roman eines Autors vorzulesen, den<br />

man zu seiner Zeit als Kitschautor zu<br />

verwerfen pfl egte. Sein einziges Kriterium<br />

war der Enthusiasmus, den ein Satz<br />

in ihm auslösen konnte.<br />

Kafka, dem es wenig lag, abstrakte<br />

Gespräche über Literatur zu führen,<br />

konnte seiner Begeisterung für ein<br />

Buch am besten Ausdruck verleihen,<br />

indem er längere Passagen daraus seinen<br />

Freunden vorlas. So erinnert sich Max<br />

Brod in seinem Roman „Zauberreich<br />

der Liebe“, welcher in der Gestalt des<br />

Richard Garta ein Portrait Franz Kafkas<br />

enthält:<br />

Garta [Franz Kafka] überredet nicht,<br />

das ist nicht seine Art, auch entwickelt<br />

er kein System, das Systematische liegt<br />

ihm überhaupt nur wenig. Er liest nur<br />

immer wieder diese und jene Stelle seines<br />

Lieblingsautors vor... Kurz er wirbt nicht<br />

für seinen Erwählten, er sieht immer klar,<br />

Klarheit ist auch in seiner schrankenlosen<br />

Bewunderung, niemals versucht er<br />

Christof [Max Brod] zu überrennen; indes<br />

ist es bald soweit, dass Christof für die<br />

Schriften brennt.<br />

So hat Kafka seinen Freund Max Brod<br />

mit Stefan George und chinesischer<br />

Lyrik bekannt gemacht. Und mit<br />

Robert Walser, dessen kleine Erzählung<br />

„Gebirgshallen“ Kafka Max Brod unter<br />

teils unterdrücktem, teils laut herausbrechendem<br />

Lachen vorgelesen hat.<br />

Für Kafka war das Vorlesen vor allem<br />

deshalb so wichtig, weil er darin eine<br />

Möglichkeit suchte und fand, eine<br />

intensive Nähe zur Literatur zu ge-<br />

Christiaan Tonnis, Franz Kafka, 1985<br />

winnen. Kafka, für den die Literatur<br />

lebensnotwendig war wie Atmen, fand<br />

oft häufi g archaisierende, fast mythisch<br />

anmutende Metaphern, um diese Nähe<br />

zur Literatur auszudrücken wie etwa:<br />

„Strindberg, der mich nährt“. Dementsprechend<br />

versuchte er im Vorlesen, sich<br />

den anderen Autor gleichsam einzuverleiben,<br />

mit ihm zu verschmelzen, eins<br />

zu werden. So schreibt Kafka in einer<br />

Tagebuchnotiz:<br />

Nicht dass ich überzeugt wäre, dass ich<br />

im Vorlesen etwas Bedeutendes erreichen<br />

würde, vielmehr beherrscht mich die<br />

Sucht, mich an die guten Arbeiten, die ich<br />

lese, so sehr heranzudrängen, dass ich mit<br />

ihnen in eins verfl ieße.<br />

Es spricht für Kafkas selbstkritisches<br />

Wesen, dass er dieses „falsche Gefühl<br />

der Einheit mit dem Vorgelesenen“, wie<br />

er in seinem Tagebuch notiert, als eine<br />

Form der Eitelkeit entlarvt.<br />

Psychologisch interessant ist, dass Kafka<br />

eine Art „Medium“ braucht, um im<br />

Vorlesen in jene ersehnte Nähe zum<br />

vorgetragenen Text zu gelangen. Als ein<br />

für ihn geeignetes Medium erweisen<br />

sich seine Schwestern: „Nicht durch<br />

mein[en] Verdienst“, so notiert er in<br />

seinem Tagebuch, „sondern nur in<br />

der durch das Vorgelesene aufgeregten<br />

und für das Unwesentliche getrübten<br />

Aufmerksamkeit meiner Schwestern“<br />

gelingt ihm jene ersehnte Einheit.<br />

Und in diesem Zustand liest er nach<br />

eigenem Urteil denn auch „tatsächlich<br />

bewundernswert“ und „erfüll[t] manche<br />

Betonung mit einer meinem Gefühl<br />

nach äußersten Genauigkeit“.<br />

Liest er aber seinen Freunden vor, etwa<br />

Oskar Baum oder Max Brod, die wahrscheinlich<br />

kritischere Zuhörer waren<br />

als seine Schwestern, so gelingt es ihm<br />

nicht, in jene gleichsam mythische<br />

Nähe zum Vorgetragenen zu gelangen.<br />

Er braucht das Gefühl, dass die Zuhörer<br />

ihm abnehmen, dass er mit dem Text<br />

verschmilzt. Muss er erkennen, dass<br />

„der Zuhörer die Sonderung zwischen<br />

mir und dem Vorgelesenem aufrecht<br />

erhält“, wie er es einmal in seinem Tagebuch<br />

beschreibt, so wird sein Vortrag<br />

59


60<br />

Peter Krämer, Dr. Jörg Steckhan<br />

RINKE TREUHAND GmbH – www.rinke.eu<br />

DIE KENNTNISSE UND<br />

FÄHIGKEITEN DER<br />

NÄCHSTEN GENERATION<br />

ENTSCHEIDEN ÜBER<br />

DEN ERFOLG<br />

IN DER ZUKUNFT.<br />

NACHHALTIG GUT BERATEN.<br />

lustlos und er versucht nicht wirklich in<br />

den Text einzudringen. Dann wird das<br />

Vorlesen zu einem schalen Erlebnis:<br />

„... ohne Eitelkeit ruhig und entfernt<br />

zu lesen und leidenschaftlich nur zu<br />

werden, wenn meine Leidenschaft es<br />

verlangt, das kann ich nicht leisten.“<br />

Dass für Kafka das Vorlesen ein ungewöhnlich<br />

intensives Erlebnis war, dass<br />

das Vorlesen ihm gleichsam zum Paradigma<br />

eines Lebens in der Literatur<br />

geriet, das kann den nicht wundern,<br />

der weiß, wie stark, mit welch körperlicher<br />

Intensität Kafka Sprache empfunden<br />

hat. Um das Gefühl wiederzugeben,<br />

das ein schlecht formulierter, ein<br />

mangelhaft vorgetragener Satz in ihm<br />

erzeugen konnte, benutzte er einmal<br />

folgenden Vergleich: „Ein Satz reibt<br />

sich an dem anderen, wie die Zunge an<br />

einem schlechten oder falschen Zahn.“<br />

Auch sein eigenes Vorlesen erlebt er<br />

mit solcher Sensitivität. In einer Tagebuchnotiz<br />

vom 31. Oktober 1911 etwa<br />

heißt es: „Die Novellen von Wilhelm<br />

Schäfer lese ich besonders beim lauten<br />

Vorlesen mit ebenso aufmerksamen<br />

Genuss, wie wenn ich mir einen Bindfaden<br />

über die Zunge führen würde.“<br />

Wilhelm Schäfer (1868-1952) ist ein<br />

heute fast vergessener Schriftsteller. Mit<br />

Kafka teilte er die Liebe zu J.P. Hebel<br />

und Kleist.<br />

Das Vorlesen dürfte für Kafka auch eine<br />

wichtige soziale Rolle gespielt haben.<br />

Dies galt natürlich in besonderer Weise<br />

für den Freundes- und Bekanntenkreis<br />

Kafkas, dem neben den bereits Erwähnten<br />

auch Otto Pick und Ernst Weiß<br />

angehörten. Sie alle hatten auf die eine<br />

oder andere Weise mit Literatur zu tun.<br />

Prag hatte zu Kafkas Zeiten etwa drei<br />

Millionen Einwohner, von denen nur<br />

knapp dreißigtausend deutschsprachig<br />

waren. Die gemeinsame deutsche Sprache<br />

ließ diese Prager näher aneinanderrücken<br />

und wurde – vielleicht mehr als<br />

sonst – zum Träger kultureller Identifi<br />

kation. Für Kafka, den „heimatlosen<br />

Westjuden“, der neben dem Tschechischen<br />

auch Hebräisch lernte, um<br />

seine von ihm empfundene Isolation zu<br />

überwinden, war das Identifi kationsproblem<br />

besonders groß - und es erscheint<br />

durchaus sinnvoll anzunehmen, dass für<br />

Kafka die Literatur und die zu ihr im<br />

Vorlesen gesuchte Nähe eine Möglichkeit<br />

darstellte, diese Identifi kationsprobleme<br />

zu mildern.<br />

Kafka hat im Vorlesen nicht nur die<br />

Nähe zur Literatur gesucht, sondern<br />

auch zu den Menschen, denen er vorlas.<br />

Es ist nicht uninteressant, sich vor<br />

Augen zu führen, dass Kafka ja nicht<br />

nur im Freundes- und Literatenkreis<br />

vorgelesen hat, sondern auch und vor<br />

allem den ihm nahestehenden Frauen.<br />

Der bekannte Kafka-Forscher Hartmut<br />

Binder hat darauf hingewiesen, dass<br />

das Vorlesen eine der Grundlagen der<br />

besonders engen Beziehung zwischen<br />

Kafka und seiner Lieblingsschwester<br />

Ottla war. Und so wie Kafka seiner<br />

letzten Lebensgefährtin Dora Dymant<br />

vorgelesen hat, so hat auch schon der<br />

siebzehnjährige Gymnasiast Franz seiner<br />

ersten Jugendfreundin Selma Kohn<br />

vorgelesen. An dieses Erlebnis erinnert<br />

sich Selma Kohn in einem Brief an Max<br />

Brod. Und mit dieser schönen Erinnerung<br />

an Kafka den Vorleser wollen<br />

wir diese Reise in eine Zeit und einen<br />

Ort ausklingen lassen, der „nur“ ein<br />

Jahrhundert zurück liegt und doch nach<br />

dem Tod der Griots von Prag Lichtjahre<br />

entfernt scheint:<br />

Wer bin ich? Die Tochter des Oberpostmeisters<br />

Kohn aus Roztok bei Prag.<br />

Kennen Sie Roztok, den Wald? Erinnern<br />

Sie sich an den steilen Weg dahin und<br />

wie man plötzlich auf der herrlichsten<br />

Waldlichtung steht, das hohe Grab voll<br />

Himmelschüssel, Marientränen, Glockenblumen<br />

und mitten darin eine sehr alte<br />

Eiche! Unter dieser Eiche sind wir Kinder,<br />

Franz und ich, oft gesessen und er hat<br />

mir Nietzsche vorgelesen, was und ob ich<br />

verstand, Dr. Brod, es liegen 55 Jahre dazwischen,<br />

wir haben uns angeschwärmt,<br />

wie man damals war...<br />

Heiner Bontrup


Dietrich Rauschtenberger<br />

geb. 1939 in Schwelm<br />

Trommelt seit den fünfziger Jahren,<br />

zuerst Tanzmusik und traditionellen Jazz,<br />

später Modern Jazz und Bebop.<br />

Anfang der sechziger Jahre Free Jazz mit<br />

Peter Kowald und Peter Brötzmann.<br />

Seitdem Auftritte im In- und Ausland.<br />

Seit einigen Jahren spielt er auch Saxofon.<br />

Er veröffentlichte Musik und Prosa,<br />

präsentierte eigene Texte mit Musik und<br />

war Darsteller bei Theaterstücken.<br />

In seinem Theater-Solo Die Kunst<br />

ein Schlagzeug aufzubauen erzählt er<br />

aus seinem Leben als Musiker.<br />

2006 veröffentlichte er das Hörspiel<br />

Wie wir den Freejazz erfunden haben.<br />

Er ist einer der Autoren des Wuppertaler<br />

Jazzbuchs Sounds like Whoopataal.<br />

2009 veröffentlichte er im Verlag<br />

„Das Fünfte Tier“ den Erzählband Jazz<br />

und Ikebana.<br />

Foto: Dieter E. Fränzel<br />

ROCK’N’ROLL<br />

Als der Rock’n’Roll über ihn hereinbrach,<br />

hatte Paul Trombeck gerade den Möhreneintopf<br />

zum Aufwärmen auf den Herd<br />

gestellt. Am Küchentisch saß Dölfi Kampschulte,<br />

der gekommen war, um mit Paul<br />

über neue Engagements für ihre Kapelle zu<br />

sprechen, die Cocktail Combo, mit der sie<br />

in Wuppertal und Umgebung zum Tanz<br />

aufspielten. Jeden Freitag und Samstag, fünf<br />

Stunden am Abend, pro Stunde zehn Mark.<br />

Wenn man Geld verdienen wollte, musste<br />

man vom Heideröslein singen, davon waren<br />

sie überzeugt, aber tief im Herzen waren<br />

sie echte Jazzer. Dölfi hätte am liebsten nur<br />

Bebop gespielt. Bebop, so hieß der neue<br />

Jazzstil aus New York. Nun schwadronierte<br />

er über die Band, der er aufmachen<br />

wollte. Das Repertoire sollte überwiegend<br />

aus Stücken von Charlie Parker bestehen,<br />

dem besten Saxofonisten des Bebop. Dass<br />

Bird, wie Parker von seinen Fans genannt<br />

wurde, 1955 am Rauschgift gestorben war,<br />

interessierte Dölfi nicht weiter. Parker war<br />

sein Gott. Er spielte Altsaxofon wie Parker,<br />

er hatte alle Platten, die man 1961 in<br />

Deutschland von ihm bekam und er konnte<br />

viele seiner Improvisationen auswendig<br />

nachspielen. Wenn es sein musste, kopierte<br />

er sogar die Kratzer auf den Platten. Die<br />

Idee mit der Bebop-Combo war nicht neu,<br />

aber Dölfi war wieder mal durchdrungen<br />

von ihr und brauchte jemanden, der ihm<br />

zuhörte, und wer war da besser geeignet<br />

als sein Freund, der „Tricktrommler“ Paul<br />

Trombeck.<br />

Auf dem Küchenschrank plärrte das<br />

Radio vor sich hin, mit dem Paul vor ein<br />

paar Jahren in der Wohnküche seiner Eltern<br />

Voice of America gehört und sich dabei<br />

mit dem Jazz-Virus infi ziert hatte. Dölfi<br />

schimpfte jetzt auf den Posaunisten Hans<br />

Notenbast, den er hasste, weil er mit allen<br />

Regeln des Jazz gebrochen hatte: „Der soll<br />

erst mal lernen, Blues zu spiel …“ Ihm blieb<br />

mitten im Wort die Spucke weg. Paul fi el<br />

die Maggifl asche in die Möhren. „Mach<br />

mal lauter!“ Das Radio spielte einen Song,<br />

der anders klang, als alles, was sie bis dahin<br />

gehört hatten. Sie lauschten mit offenen<br />

Ohren und Nasen, bis das Radio sagte:<br />

„Das waren die Beatles mit A Hard Day’s<br />

Night.“ Inzwischen war der Möhreneintopf<br />

61


62<br />

angebrannt. So lernte Paul, dass Möhreneintopf<br />

angebrannt noch besser schmeckt.<br />

Das sollte nicht die einzige Wirkung der<br />

Beatles bleiben, denn der Rock’n’Roll-Virus<br />

war hochgradig ansteckend. Auch Dölfi<br />

war nicht immun – trotz Charlie Parker.<br />

Kein Musiker war immun – keiner außer<br />

Notenbast. Aber dem Posaunisten gefi el<br />

sowieso nur das freie Zeug, das er selbst<br />

spielte. Pauls Dilemma war, ob er mit<br />

seinem alten Kumpel Dölfi Kampschulte<br />

Bebop spielen sollte, was er nicht wirklich<br />

konnte, oder mit Notenbast Freejazz, den<br />

nur ein paar verrückte Kunststudenten für<br />

Musik hielten.<br />

Paul haute je eine Kelle Eintopf auf die<br />

Teller, klatschte eine Portion Senf auf den<br />

Rand und schnitt das Würstchen in zwei<br />

Hälften, aber Dölfi kriegte vor Aufregung<br />

nichts runter. Vor zehn Minuten hatte er<br />

noch von Charlie Parker geschwärmt, jetzt<br />

wollte er wissen, woher er die Noten von<br />

A Hard Day’s Night kriegen könnte. „Den<br />

Song müssen wir unbedingt mit der Cocktail<br />

Combo spielen.“ Dass soeben das Ende<br />

ihrer Tanzkapelle eingeläutet worden war,<br />

konnte er nicht wissen und auch nicht, dass<br />

kein Stein auf dem anderen bleiben würde,<br />

weder kulturell noch politisch.<br />

Der Rock’n’Roll hatte einen neuen, aufregenden<br />

Rhythmus, durch den Paul zuerst<br />

nicht durchblickte. Die Art und Weise,<br />

wie man Schlagzeug spielte, änderte sich.<br />

Bis dahin war es wichtig gewesen, dass ein<br />

Schlagzeuger den eleganten Jazz-Rhythmus<br />

spielen konnte, der auf dem Becken weich<br />

und organisch dahineilte: tschicke-dingtschicke-ding-tschicke-ding-tschicke-ding.<br />

Paul konnte das ziemlich gut. Leider war<br />

das nicht mehr gefragt. Über Nacht waren<br />

maschinenartig ratternde Rhythmen angesagt.<br />

Das Publikum wollte Let’s Twist again<br />

like we did last summer. Paul schaffte es<br />

sich drauf, schnelle Sechzehntel zu klopfen:<br />

tá-ta-ta-ta tá-ta-ta-ta tá-ta-ta-ta tá-ta-ta-ta<br />

und so weiter, bis ihm der Arm abfi el. Er<br />

spielte den Twist auf der Beckenmaschine,<br />

die überraschend ihren Namen geändert<br />

hatte. Früher hieß sie Charleston-Maschine<br />

nach einem längst ausgestorbenen Tanz,<br />

jetzt nannte man sie Hihat und keiner<br />

wusste, wie das geschrieben wurde. Bis<br />

dahin hatte er sie vornehmlich mit dem Fuß<br />

gespielt, um den Off-Beat auf zwei und vier<br />

zu markieren oder das Thema zu begleiten<br />

- plötzlich wurde sie zum wichtigsten<br />

Instrument neben großer und kleiner<br />

Trommel, die neuerdings Bass Drum und<br />

Snare Drum hießen. Pauls ganzer Stolz, ein<br />

Becken von der Firma Paiste, hieß jetzt Ride<br />

Cymbal und hatte statt fünfzig Zentimetern<br />

Durchmesser auf einmal achtzehn englische<br />

Zoll, was dasselbe war und nichts an dem<br />

unbefriedigend dünnen Klang änderte. Paul<br />

kniff ein Stück von der Kette der häuslichen<br />

Klospülung ab und hängte es über das<br />

Becken, um seinen Sound mit dem stetigen<br />

Zischeln von Metall auf Metall zu füllen.<br />

Sein Vater wunderte sich, wieso er den<br />

Porzellangriff nicht mehr erreichte, wenn<br />

er auf dem Topf saß. „Vielleicht bist du<br />

geschrumpft“, sagte Paul, worauf der Alte<br />

ihm Ohrfeigen androhte.<br />

Leo Fender hatte gerade die elektrische<br />

Gitarre erfunden und Les Paul machte sie<br />

populär - allerdings auf einer Gibson. Mit<br />

seiner Partnerin Mary Ford hatte er zwei<br />

Hits: How High the Moon und The World Is<br />

Waiting for the Sunrise. Damit Egon Staal,<br />

der Gitarrist der Cocktail Combo, diese<br />

Stücke spielen konnte, schraubte Hotdog<br />

Haller, Klavierspieler und Elektro-Bastler,<br />

einen Tonabnehmer an Egons Gitarre.<br />

Als Verstärker benutzten sie das Radio<br />

von Egons Eltern (Marke Saba, Modell<br />

Schwarzwald), das Hotdog umgelötet hatte.<br />

Das klang wie Mülltonne ganz unten.<br />

Hotdog elektrifi zierte auch sein asthmatisches<br />

Akkordeon. Ein dicker Kabelstrang<br />

quoll daraus hervor, der zu einem schwarz<br />

lackierten Holzkoffer führte. Darin befand<br />

sich ein Elektronik-Bausatz, der aus der<br />

Quetschkommode eine Orgel machte.<br />

Früher hatte Pauls Mutter alle paar<br />

Wochen gesagt: „Du siehst ja verboten aus“,<br />

hatte ihm fünfundsechzig Pfennig in die<br />

Hand gezählt und ihn zu Meister Eberhard<br />

geschickt, dessen vernickeltes Seifenbecken<br />

über der Ladentür quietschend im Wind<br />

schaukelte. Neuerdings war es eine ernst zu<br />

nehmende Beschäftigung, sich die Haare<br />

wachsen zu lassen, wo doch ein Jazzer, der<br />

was auf sich hielt, die Haare kurz geschoren<br />

trug wie ein amerikanischer Soldat. Es<br />

schien eine englische Haarkrankheit zu sein,<br />

die epidemisch um sich griff. Nicht nur die<br />

Frisuren änderten sich. Bob Dylan sang:<br />

The times they are a-changin’. Manches wurde<br />

besser, vieles lustiger, das meiste nur bunter.<br />

Die musikalische Gleichschaltung hatte<br />

begonnen. Was war die Nazi-Propaganda<br />

schon gegen das, was jetzt abging – und<br />

zwar weltweit. In den Tonstudios wurde<br />

der Herzschlag der Generation mit einem<br />

elektronischen Schrittmacher versehen. Es<br />

dauerte nicht lange, bis die Musikindustrie<br />

nicht nur Instrumente produzierte, sondern<br />

auch die Musiker, die sie spielten.<br />

Die Cocktail Combo war eine beliebte<br />

Showband, die sich um Engagements keine<br />

Sorgen zu machen brauchte. Bis dahin hatte<br />

es keinen Grund gegeben, am Konzept<br />

der Cocktail Combo etwas zu ändern,<br />

sie machten da weiter, wo Tanz- und<br />

Unterhaltungskapellen vor dem zweiten<br />

Weltkrieg angefangen hatten. Eben hatten<br />

sie noch den Saal der Concordia mit Ice<br />

Cream zum Toben gebracht – plötzlich<br />

fragten die Leute nach Stücken wie Roll<br />

over Beethoven und Satisfaction. Es war noch<br />

gar nicht so lange her, da hatte Paul in der<br />

Lichtburg, dem ehrwürdigen Kino, Gary<br />

Cooper in Zwölf Uhr mittags gesehen, jetzt<br />

standen dort junge Männer auf der Bühne<br />

und schwangen elektrische Gitarren wie<br />

Penis-Attrappen. Hinter ihnen türmten<br />

sich drohend schwarze Lautsprecherboxen,<br />

die mit unbarmherziger Grausamkeit die<br />

Botschaft des elektronischen Zeitalters<br />

verkündeten: All you need is love. Dagegen<br />

war Egon mit seiner umgefi ckten Klampfe<br />

und dem erbärmlichen Radio als Verstärker<br />

eine Lachnummer.<br />

In der westlichen Welt probten Studenten<br />

die Weltrevolution, passend dazu war die aufblasbare<br />

Musik erfunden worden und Pauls<br />

Haare wucherten endgültig über die Ohren.<br />

Boxer Nelken, der Bassist der Cocktail Combo,<br />

lieh sich den Opel Rekord von seinem<br />

Vater und Dölfi , Egon, Hotdog und Paul<br />

quetschten sich hinein. Paul nahm Boxers<br />

Schwester Astrid auf den Schoß, die scharf<br />

auf ihn war und eine Karriere als Sängerin<br />

anstrebte. So fuhren sie auf Rockkonzerte,<br />

wo Paul fasziniert zuschaute, wie schwitzende<br />

Trommelknaben mit nackten Oberkörpern<br />

und langen Haaren unter bunten Scheinwerfern<br />

einen auf wild machten und mit fl inken<br />

Füßen auf zwei Basstrommeln vertrackte<br />

Akzente spielten. Bei der Anzahl der Trommeln<br />

und Becken schien es nach oben keine<br />

Grenze zu geben. Zu Hause betrachtete Paul<br />

missmutig sein Schlagzeug der Marke Tromsa<br />

mit drei Trommeln, dessen einziger Vorteil<br />

war, dass er es mit seinem Moped transportieren<br />

konnte.<br />

Dölfi zerbrach sich den Kopf, ob Saxofon<br />

noch das richtige Instrument wäre, um das


neue Lebensgefühl auszudrücken, das die<br />

Jugend der sechziger Jahre durchdrang bis in<br />

die Socken. Und ob sie die Cocktail Combo<br />

in The Cocks umbenennen sollten. An die<br />

Charlie-Parker-Gedächtnis-Combo dachte er<br />

nicht mehr. So war Pauls einzige musikalische<br />

Alternative zur Tanzmusik ein Trio mit dem<br />

Posaunisten Hans Notenbast und Boxer<br />

Nelken am Bass. Sie spielten Freejazz in zugigen<br />

Fabrikhallen bei Ausstellungseröffnungen<br />

von Fluxus-Künstlern, die gebrauchte<br />

Kondome und rostige Gabeln in ihre Werke<br />

einarbeiteten. Erstaunlicherweise gab es ein<br />

Publikum von Gegeninteressierten, das auf<br />

Freejazz stand. Leider verdienten sie damit<br />

nicht das Ketchup auf den Nudeln. Und die<br />

altmodische Tanzmusik der Cocktail Combo<br />

war auch nicht mehr angesagt. Operetten,<br />

deutsche Schlager, Tango, Dixieland und die<br />

Keuschheit vor der Ehe waren verkeimt wie<br />

Kartoffeln aus dem Vorjahr. Innerhalb von<br />

ein oder zwei Jahren war es mit den Tanzlokalen<br />

vorbei. Die Landgaststätten, wo sie<br />

gut verdient hatten, schlossen eine nach der<br />

anderen. Getanzt wurde nun in Diskotheken,<br />

die Pferdestall, Route 66 oder Starclub hießen,<br />

und die Musik kam von Schallplatten.<br />

Tanzen war zu einer Übung mutiert, bei der<br />

Frauen und Männer einander gegenüberstanden<br />

und gymnastische Bewegungen machten,<br />

die aussahen wie eine Nummer im Stehen.<br />

Als Paul im Frühjahr fünfundsechzig fi nanziell<br />

das Wasser bis zum Hals stand, arbeitete<br />

er als Fahrer für eine Großküche. Das war der<br />

untere Totpunkt. Er war zweiundzwanzig,<br />

musikalisch völlig daneben, aber von Noten<br />

wollte er immer noch nichts wissen.<br />

Eines späten Abends saßen Paul, Dölfi<br />

und Notenbast in der Küche und tranken<br />

Rotwein. Dölfi verkündete gerade seinen<br />

neuesten Plan, Rock’n’Roll und Jazz in einer<br />

Band zu vereinigen, als es klopfte. Herein kamen<br />

Boxer und seine Schwester Astrid. Boxer<br />

tat sehr geheimnisvoll. Paul musste die Tür<br />

abschließen und Kerzen anzünden. Volunteered<br />

Slavery von Roland Kirk wurde aufgelegt,<br />

dann holte Boxer aus seiner Teppichtasche<br />

ein Päckchen Tabak, Blättchen und einen<br />

braunen Klumpen, der aussah wie ein Maggi-<br />

Würfel. „Ist das Rauschgift?“, fragte Paul<br />

ehrfürchtig. Boxer nickte knapp, klebte drei<br />

Blättchen zusammen, schichtete Tabak darauf<br />

und bröselte etwas von dem braunen Zeug<br />

darüber. Dann formte er eine tütenförmige<br />

Zigarette mit einem Mundstück aus einem<br />

Pappröllchen. „Das ist ein Joint“, sagte er<br />

und zeigte ihnen, wie man ihn rauchte. In<br />

den nächsten Wochen probierten es alle mal<br />

aus. Paul fand, es regte seine Fantasie an. Notenbast<br />

machte sich nichts draus, er blieb bei<br />

Alkohol. Dölfi merkte erst nichts und als er<br />

dann doch was merkte, bekam er schreckliche<br />

Angst und versuchte es nie wieder. Astrid zog<br />

gelegentlich an einem Joint, ihr bedeutete es<br />

nicht viel. Boxer war derjenige, dessen Entwicklung<br />

vom Haschisch am nachhaltigsten<br />

beeinfl usst wurde. Ob er sein Jurastudium<br />

beendet und die Anwaltskanzlei seines Vaters<br />

fortgeführt hätte, wenn er nicht von dem<br />

Zeug abhängig geworden wäre – wer weiß<br />

das schon? Er hatte Phasen, da wollte er clean<br />

werden und versuchte es mit Meditation.<br />

Als das nicht funktionierte, ging er auf den<br />

Jesus-Trip, mit meditativem Gebet und so<br />

weiter. Eine Woche hielt er durch, dann fi ng<br />

er wieder an zu kiffen. Das war der erweiterte<br />

Jesus-Trip. „Besser ’n bekiffter Bassist als ’n<br />

besoffener Verteidiger“, sagte er. Wem das<br />

nicht passte, dem erklärte er: „Ohne Drogen<br />

gäbe es keinen Jazz und Rock’n’Roll schon<br />

gar nicht, ich denk mal, es gäbe überhaupt<br />

keine Musik.“<br />

Es konnte nicht ausbleiben, dass sich Widerstand<br />

gegen den Rock’n’Roll regte. Vertreter<br />

verschiedener Glaubensrichtungen nannten<br />

ihn eine Musik des Teufels. Bekanntlich<br />

hat der Teufel eine Vorliebe für heiße Musik,<br />

insofern lagen die Moralapostel nicht völlig<br />

daneben. Ob es nun mit dem Teufel zuging<br />

oder nicht - die Cocktail Combo hatte keine<br />

Jobs mehr. Von heute auf morgen waren die<br />

Musiker der Cocktail Combo arbeitslos. „Wir<br />

müssen aufpassen, dass es uns nicht so geht<br />

wie den Sauriern und wir aussterben“, sagte<br />

Dölfi . Aber da war es schon zu spät.<br />

Dietrich Rauschtenberger<br />

www.rauschtenberger.com<br />

www.occhio.de<br />

Frank Marschang e.K., Karlstrasse 37, 42105 Wuppertal<br />

Tel 0202-24 43 440, www.lichtbogen-wuppertal.de<br />

Di – Fr 10 –18 Uhr und 14 –18.30 Uhr, Sa 11–16 Uhr<br />

63


64<br />

Ein unglaubliches Buch,<br />

das der österreichische Jurist Alfons Dür<br />

geschrieben hat.<br />

Vor allen Dingen eine Geschichte,<br />

die ohne sein beharrliches und sich über<br />

Jahre erstreckendes Wühlen in Archiven<br />

sowie ohne hartnäckiges Korrespondieren<br />

mit Behörden, Überlebenden des Naziterrors<br />

und anderen Historikern nie<br />

zustande gekommen wäre.<br />

Das Verhängnis begann in Wuppertal<br />

Das Verhängnis begann an der damaligen<br />

Adolf-Hitler-Allee: Vor der Wuppertaler<br />

Gestapo gab die mit einem „Arier“ verheiratete<br />

Jüdin Helene Krebs bei Verhören<br />

am 7. und 15. September 1942 zu, ihrer<br />

Cousine Edith Meyer für einige Tage<br />

Unterschlupf gewährt zu haben. Helene<br />

und Paul Krebs waren von einer Nachbarin<br />

denunziert worden, die wohl auf diese<br />

Weise hoffte, günstig an die Aussteuer<br />

Edith Meyers zu gelangen.<br />

Als sich Ende September 1942 herausstellt,<br />

dass die Solingerin Helene Krebs<br />

im dritten oder vierten Monat schwanger<br />

ist, gibt die Außenstelle Wuppertal der<br />

Geheimen Staatspolizei zu bedenken,<br />

dass die „vorgesehene Inschutznahme<br />

und Überweisung in ein Konzentrationslager“<br />

aus diesem Grund „nicht erfolgen“<br />

könne. Vergeblich: Die vorgesetzte<br />

Leitstelle in Düsseldorf wendet sich<br />

schriftlich an das „Judenreferat“ im<br />

Berliner Reichssicherheitshauptamt, das<br />

entscheidet, dass Helene Krebs in das<br />

„KL Auschwitz, Frauenabteilung“ zu<br />

überführen sei. Dort fi ndet sie Anfang<br />

Januar 1943 den Tod.<br />

Die Geschichte um das Ehepaar Krebs<br />

und um die Hauptpersonen Edith Meyer<br />

und Heinrich Heinen hat der Vorarlberger<br />

Ex-Landesgerichtspräsident Alfons<br />

Dür in seiner Dienstzeit und, mehr noch,<br />

nach seiner Pensionierung ans Tageslicht<br />

gebracht. Vor einigen Tagen hat er


sein Buch in der Begegnungsstätte Alte<br />

Synagoge vorgestellt. Es trägt den Titel<br />

„Unerhörter Mut – Eine Liebe in der Zeit<br />

des Rassenwahns“.<br />

Eine unglaubliche Story: Der 20-jährige<br />

Kölner Heinrich Heinen lernt 1940 die<br />

gleichaltrige Edith Meyer kennen und lieben.<br />

Er schafft zu Ostern 1942 das schier<br />

Unmögliche und befreit seine mittlerweile<br />

deportierte Freundin unter wohl für ewig<br />

ungeklärten Umständen aus dem Ghetto<br />

von Riga. Anschließend reisen die beiden<br />

rund 3.000 Kilometer unentdeckt – illegal<br />

– durch Deutschland bis nach Feldkirch,<br />

um von diesem bis zum „Anschluss“ 1938<br />

österreichischen Ort in die Schweiz zu<br />

fl iehen. Die Flucht scheitert. Aus dem<br />

Gefängnis von Feldkirch bricht Heinen<br />

mit Mithäftlingen aus und versucht noch,<br />

dabei seine große Liebe zu befreien, die<br />

jedoch kurz zuvor den Gang ins Konzentrationslager<br />

Auschwitz angetreten hat, wo<br />

sie auch umkommt. Auch Heinen wird<br />

gefasst und „auf der Flucht erschossen“.<br />

Das Buch ist im Haymon-Verlag (Innsbruck/Wien)<br />

erschienen und im hiesigen<br />

Buchhandel für 19,90 Euro zu erwerben.<br />

Von einer „außergewöhnlichen Veröffentlichung“<br />

sprach bei der Lesung in<br />

der Begegnungsstätte deren Leiterin, Dr.<br />

Ulrike Schrader: „Die Geschichte über<br />

das Liebespaar Heinrich Heinen und<br />

The art of tool making<br />

Edith Meyer, aber auch über den Kampf<br />

von Paul Krebs um seine schwangere, im<br />

Wuppertaler Polizeipräsidium einsitzende<br />

Frau Helene ist unendlich traurig.<br />

Aber zugleich zeigt sie Menschen, die<br />

in dem aussichtlosen Kampf um ihre<br />

Liebe nicht aufgeben wollen und dafür<br />

bis zum Letzten gehen.“ Das sei „ein<br />

packender, tragischer Filmstoff, und dazu<br />

das Drehbuch zu schreiben, vielleicht mit<br />

einer Wuppertaler Schulklasse, wäre eine<br />

sinnvolle Herausforderung“.<br />

Herausgefordert fühlte sich auch Dür, als<br />

ihn 1997 eine erste Anfrage des Landenfelder<br />

Historikers Günter Schmitz erreichte,<br />

ob es am Landesgericht Feldkirch<br />

Unterlagen über die versuchte Flucht von<br />

Edith Meyer und Heinrich Heinen gebe.<br />

Wenig später meldete sich ein weiterer<br />

Geschichtsforscher, Holger Berschel,<br />

mit einem ähnlichen Anliegen. Im Jahre<br />

2005 stieß Dür dann bei Recherchen für<br />

eine Jubiläumsschrift des Landesgerichts<br />

auf erste Unterlagen, drei Jahre später<br />

auf weitere Dokumente. Mit dem Buch<br />

versucht er nach eigenem Bekunden<br />

aufzuzeigen, „welch großes Leid die<br />

nationalsozialistische Rassenpolitik über<br />

Tausende von Menschen brachte, und<br />

wie schwierig es in jener verhängnisvollen<br />

Zeit war, dem Herrschaftsapparat des<br />

Nationalsozialismus zu entfl iehen“.<br />

Das „vorrangigste Ziel“ der Veröffentlichung<br />

bestehe darin, „die bedrückende<br />

und berührende Geschichte von Heinrich<br />

Hansen und Edith Meyer in das Gedächtnis<br />

der Gegenwart zurückzuholen und<br />

das Schicksal dieses Liebespaares vor dem<br />

Vergessen zu bewahren“.<br />

Zahlreiche Fotos und Dokumente hat<br />

Dür in sein Buch hineingenommen. An<br />

geeigneter Stelle nimmt er Bezug auf die<br />

weitverzweigte NS-Forschung und auf<br />

Zeitzeugenberichte wie diejenigen von<br />

Victor Klemperer.<br />

Und: Der Autor schreibt auf eine sehr<br />

anschauliche Art. Dem Buch ist die größtmögliche<br />

Verbreitung nicht zuletzt im<br />

Bergischen Land zu wünschen.<br />

Matthias Dohmen<br />

Foto: Dohmen<br />

www.zeit.de/2012/10/Oe-Duer<br />

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66<br />

Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />

Vorgestellt von Matthias Dohmen<br />

Bilder der Beatles, der Rolling Stones und<br />

von Twiggy leiten das Buch „Swinging London“<br />

von Rainer Metzger ein. Sowohl der<br />

Frau ohne Busen als auch den Rollenden<br />

Steinen und den Pilzköpfen begegnen wir<br />

in dem mit 342 Abbildungen versehenen<br />

Werk noch öfter, aber auch dem Musical<br />

„Hair“, den Bond-Filmen, dem Streifen<br />

„Blow-Up“, Jimy Hendrix, dem Minirock,<br />

für den demonstriert wurde, dem EM-<br />

Fußballfi nale 1966 und Christine Keeler,<br />

die zu kennen einen britischen Verteidigungsminister<br />

sein Amt kostete. Auch die<br />

großen Aktionen der Friedensbewegung fi<br />

nden in Text und Bild ihren Niederschlag.<br />

Ein grandioses Werk, das Personen und<br />

Vorgänge wieder lebendig werden lässt, die<br />

einem gut, weniger gut oder auch schon gar<br />

nicht mehr in Erinnerung waren. Verdienstvoll:<br />

ein Personenregister und auf zehn<br />

Seiten rund 160 Kurzbiographien etwa von<br />

Ursula Andress und Michelangelo Antonioni,<br />

Samuel Beckett und Petula Clark,<br />

Sean Connery und Aldous Huxley, Stanley<br />

Kubrick und Doris Lessing, Yoko Ono und<br />

John Osborne, Vanessa Redgrave und Peter<br />

Sellars oder der Musikgruppen The Kinks,<br />

Pink Floyd, The Shadows und The Who<br />

sowie der Comedy-Truppe Monty Python.<br />

Christian Brandstätter, Swinging London.<br />

Kunst & Kultur in der Weltstadt der 60er<br />

Jahre, München: Deutscher Taschenbuchverlag<br />

2011 (= dtv, Bd. 34714). 368 S., 29,90 Euro<br />

Im Osten „westlich sozialisiert zu werden“,<br />

„jedoch ohne die sich im Westen<br />

etablierende Vorstellungen von der Integration<br />

in die noch zu schaffende Demokratie<br />

kritiklos zu akzeptieren, so etwas<br />

ging damals wohl nur in und um Berlin“.<br />

Das schreibt die prominente Historikerin<br />

Helga Grebing in ihren sehr persönlich<br />

gehaltenen Erinnerungen, die unter dem<br />

Titel „Freiheit, die ich meinte“ erschienen<br />

sind, über die unmittelbare Nachkriegszeit.<br />

Das Arbeiterkind kokettiert mit<br />

der CDU, verehrt zeitweise den streng<br />

marxistischen Geschichtswissenschaftler<br />

Alfred Meusel, überwirft sich aber mit<br />

der SED und geht mit einem sozialdemokratischen<br />

Parteibuch von der östlichen<br />

Humboldt- an die westliche Freie Universität.Sie<br />

hat in allen Phasen ihres Lebens<br />

ihren eigenen Kopf bewahrt. Grebing<br />

hat sie noch alle kennengelernt und bei<br />

ihnen gehört: Fritz Rörig, Fritz Hartung,<br />

Ernst Niekisch und Hans Rosenberg.<br />

Im Schmelztiegel der alten gedrittelten<br />

und später geviertelten Reichshauptstadt<br />

trifft sie auch auf Gerhard A. Ritter. Für<br />

weitere Aufl agen, die Prof. Dr. Grebing<br />

und dem Verlag unbedingt zu gönnen<br />

sind, wünscht sich der Rezensent ein<br />

Personenregister.<br />

Helga Grebing, Freiheit, die ich meinte.<br />

Erinnerungen an Berlin, Berlin: vbb 2012,<br />

176 S., 19,95 Euro<br />

Pars pro toto: Was im Regierungsbezirk<br />

Münster den Verfolgten des Naziregimes<br />

nach der Befreiung angetan wurde (ein<br />

2001 in zweiter Aufl age erschienenes Buch<br />

spricht im Untertitel vom „Kleinkrieg<br />

gegen die Opfer“), geschah sehr vielen Antifaschisten.<br />

„Bürokratische Bewältigung“<br />

heißt denn auch zutreffend die Studie von<br />

Julia Volmer-Neumann. Sozialdemokraten,<br />

Kommunisten, CDU-Leute, Katholiken<br />

und Juden umfassten die ersten<br />

Zusammenschlüsse etwa im Rahmen<br />

des Landesvorstands der nordrheinwestfälischen<br />

VVN (S. 106 f.), bevor es im<br />

Kalten Krieg zu Konkurrenzgründungen<br />

und letztlich zu einer „Fragmentierung<br />

der Interessenvertretung der Verfolgten“<br />

(S. 111) kam. Diagramme und zahlreiche<br />

Abbildungen führen zu großer Anschaulichkeit,<br />

etwa bei der Wiedergabe einer<br />

Karikatur unter der Überschrift „Mensch,<br />

ärgere dich nicht über die Wiedergutmachung“.<br />

Fazit der Autorin: Die NRW– wie<br />

die bundesdeutsche Entschädigung war<br />

„angesichts des quantitativen und qualitativen<br />

Ausmaßes der nationalsozialistischen<br />

Verfolgungstaten unzureichend und<br />

unangemessen“(S. 477).<br />

Julia Volmer-Naumann, Bürokratische<br />

Bewältigung. Entschädigung für nationalsozialistisch<br />

Verfolgte im Regierungsbezirk<br />

Münster, Essen: Klartext 2012 (= Villa ten<br />

Hompel, Bd. 10), 507 S., 42,00 Euro


Neue Kunstbücher<br />

Zur Sprache der Architektur<br />

vorgestellt von Thomas Hirsch<br />

Mit der Architektur ist es so eine Sache.<br />

Einerseits ist sie funktional bestimmt,<br />

andererseits folgt sie der ästhetischen<br />

Handschrift zwischen Pragmatismus und<br />

Vision: Die Disziplin Architektur nimmt<br />

einen leicht ungeklärten Status innerhalb<br />

der Künste ein, zu denen sie zweifelsohne<br />

gehört. Bereits Giorgio Vasari hat sie in<br />

seine Beschreibungen aufgenommen. Die<br />

Zuordnung zur Kunst bestätigen Doppelbegabungen<br />

wie Brunelleschi oder Richard<br />

Buckminster Fuller. Eine weitere Dimension<br />

der Wertschätzung ist in der jüngsten<br />

Zeit hinzugekommen, mit der Defi nition<br />

als Stararchitekt. Aber was ist das: Ein<br />

Architekt, der in Zeiten, in denen die<br />

Umrundung der Erde ein Katzensprung<br />

ist, global Zeichen setzt? Der mit seinen<br />

Entwürfen das innerstädtische Bild prägt<br />

und zu dessen Attraktivität beiträgt? Gut<br />

für den Tourismus sind Gebäude von Gaudí<br />

und Friedensreich Hundertwasser und<br />

Frank Gehry. Dabei partizipieren Baumeister<br />

an Kunststilen und prägen ihrerseits<br />

diese mit. Einzelne Architekten entwerfen<br />

aber auch Gebäude, die sich nicht (auf<br />

Dauer) realisieren lassen, also ein hohes<br />

Maß künstlerischer Konzeption tragen.<br />

Folglich ist die Kenntnis von Architektur<br />

Teil des Grundwissens zur aktuellen<br />

Kunst. Neben den kunsthistorischen<br />

Owen Hopkins, Architektur. Das Bildwörterbuch,<br />

175 S., durchgehend bebildert, Klappenbroschur,<br />

27 x 21 cm, DVA, 29,99 Euro<br />

Standardwerken erweist sich dabei ein<br />

neu erschienenes Buch im dtv-Verlag als<br />

hilfreich. Architektur. Das Bildwörterbuch<br />

des britischen Architekturhistorikers<br />

Owen Hopkins ist knapp, verständlich<br />

und anschaulich. Anhand von Risszeichnungen<br />

und beschrifteten Detailaufnahmen<br />

von Bauelementen werden die<br />

Begriffe der Verständigung geklärt und im<br />

Glossar ein wenig vertieft. Gut sind die<br />

Bildbeispiele, die von der Antike bis in unsere<br />

Gegenwart reichen, wobei es sich aber<br />

lediglich um westliche Sakral-, Repräsentations-<br />

und Profanbauten handelt. Und<br />

man darf nicht zu viel an Hintergrundinformationen<br />

erwarten – es geht ums<br />

Grundsätzliche, da leistet das Buch von<br />

Hopkins ganze Arbeit.<br />

Deutsches Architekturmuseum (Hg.), dt./engl.<br />

Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch,<br />

Kleine Utopie, 360 S., durchgehend bebildert,<br />

Hardcover mit Schutzumschlag, 30,5 x<br />

23 cm, Scheidegger & Spiess, 65,- Euro<br />

Ein weiteres Überblicks-Buch auf dem<br />

Feld der Architektur ist mit seinem<br />

Erscheinen bereits ein Standardwerk. Das<br />

Architekturmodell, herausgegeben zu<br />

einer Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum<br />

in Frankfurt/M., widmet sich<br />

dieser kleindimensionierten plastischen<br />

Darstellung zwischen beiläufi ger Skizze<br />

und differenzierter Ausformulierung,<br />

sei es als Klärung für das eigene Büro<br />

oder als attraktive Veranschaulichung<br />

im Wettbewerb und für den Bauherren.<br />

Zur Notwendigkeit dieses Buches muss<br />

man wissen, dass das Architekturmo-<br />

dell (ähnlich der Architekturfotografi e)<br />

lange nicht besonders beachtet wurde: Es<br />

besaß temporäre dienende Relevanz. Das<br />

Buch, das sich auf die letzten hundert<br />

Jahre konzentriert, trägt den verschiedenen<br />

Ausformulierungen Rechnung,<br />

es differenziert sehr fein, thematisiert<br />

das utopische Potenzial und spricht das<br />

Verhältnis von Entwurf und Umsetzung<br />

an, indem es Ansichten der fertigen Gebäude<br />

integriert. Wahrscheinlich wurde<br />

keines der wichtigen zeitgenössischen<br />

Architekturbüros vergessen. Das Verdienst<br />

dieses monumentalen Buches ist zugleich<br />

sein Fluch: Es ist eine Pioniertat, aber im<br />

strengen Aufl isten ist es des Guten zu viel.<br />

Und auch wenn Scheidegger & Spiess<br />

zu den besten Verlagen für Kunst gehört,<br />

hier bleibt der sinnliche Reiz auf der<br />

Strecke. Vielleicht aber ist das bei dieser<br />

Art Lexikon zu viel verlangt.<br />

Eine wieder andere Annäherung an<br />

Architektur demonstriert das Buch<br />

The Watermill Center, erschienen im<br />

ambitionierten DACO Verlag. Es widmet<br />

sich nur einem Gebäude und vor allem<br />

seinem Innenleben. Anlässlich des 70.<br />

Geburtstags von Robert Wilson und des<br />

20. Gründungstages des Watermill Centers<br />

– das der weltberühmte Bühnenregisseur,<br />

der über Jerome Robbins hierher<br />

kam, auf Long Island realisiert hat – ist<br />

diese Dokumentation mit einer Menge<br />

an Texten und Fotos zugleich als eine<br />

J. E. Macián u.a. , The Watermill Center –<br />

Robert Wilson‘s Legacy, engl., 360 S. mit ca.<br />

470 üwg. farb. Abb., Leinen mit Schutzumschlag,<br />

28,5 x 24,5 cm, DACO, 78,- Euro<br />

67


68<br />

Art Festschrift für Wilson erschienen.<br />

Dabei ist das Buch wie das Watermill<br />

Center wohl sein wird: Es ist monumental,<br />

von einer pulsierenden Unruhe,<br />

eine komplexe Sache mit verschiedenen<br />

Abteilungen. The Watermill Center ist<br />

nicht der verwunschene Rückzugsort für<br />

Künstler oder eingeschworene Compagnien,<br />

sondern mehr eine geradlinige<br />

Elite-Uni heutigen Zuschnitts. Und alle<br />

waren schon da, die Pop-Musiker, die<br />

Künstler, all das wird hier gezeigt, auch<br />

die Kunstsammlung, die in den cleanen<br />

Funktionshallen leicht deplatziert wirkt.<br />

Das also soll die Zukunft und das Erbe<br />

von Robert Wilson sein, diesem großen<br />

Bühnen-Magier und Grenzgänger zwischen<br />

Bildender Kunst und Oper? Am<br />

solide gemachten Buch liegt es nicht.<br />

Aber je öfter Wilson selbst abgebildet<br />

ist, desto unpräziser wird seine Kontur.<br />

Die Architektur wird dabei zur funktionstüchtigen<br />

Hülle. Eines erkennen wir<br />

am Ende: Die Kunst von Robert Wilson<br />

fi ndet woanders statt.<br />

Doch zurück zur Architektur als Architektur.<br />

Zu den aktuell wichtigen Baumeistern<br />

aus der weiten Welt gehört der<br />

Portugiese Eduardo Souto de Moura,<br />

der bei Álvaro Siza und Aldo Rossi<br />

gelernt und selbst 2011 den Pritzker-Preis<br />

erhalten hat, das ist eine Art Nobelpreis<br />

für Architekten. Souto de Moura lässt die<br />

Fassaden kippen und verwirklicht dies bei<br />

unterschiedlichen Funktionstypen, dies<br />

reicht von Fabrikanlagen bis zu Fußballstadien.<br />

Ein angenehm handliches Buch<br />

stellt nun Souto de Mouras Baukunst auf<br />

relativ indirekte Weise vor. Es zeigt sein<br />

Archiv- und Bildermaterial, das an die<br />

Wand gepinnt ist, seien es Postkarten,<br />

Zeitungsschnipsel mit Bewegungsstudien,<br />

Fotos von Kunstwerken oder die<br />

eigenen Skizzen: Das ist der Kosmos, aus<br />

dem heraus er seine Architektur gewinnt.<br />

Leider sind die profunden, das Buch<br />

noch strukturierenden Texte lediglich<br />

in Englisch, aber Lars Müller Publishers<br />

versteht sich als internationaler Verlag mit<br />

einem theoriebestimmten Schwerpunkt<br />

auf Architektur. Und wenn man sich in<br />

das Buch zu Souto de Moura eindenkt,<br />

kommt man sehr auf seine Kosten.<br />

Immer wieder sind seine Bauten selbst<br />

zu sehen. Zugleich entstehen aus den<br />

Floating Images – Eduardo Souto de<br />

Moura‘s Wall Atlas, engl., 160 S. mit 202<br />

üwg. farb. Abb., Hardcover, 21,5 x 15 cm,<br />

Lars Müller Publishers, 38,- Euro<br />

Gegenüberstellungen aus unterschiedlichen<br />

visuellen Bereichen Typologien, die<br />

Grundsätzliches zu Fragen des Bauens<br />

mitteilen. Was wir hier sehen, ist ein<br />

Kompendium möglicher Bauformen im<br />

Kontext eines Architekten: ein intellektuelles<br />

Vergnügen.<br />

Ähnlich komplex ist das Buch Imagining<br />

the House des chinesischen Architekten<br />

Wang Shu. Auch er ist ein hochdeko-<br />

Wang Shu – Imagining the House, engl.<br />

168 S. mit 83 s/w Abb., Softcover mit<br />

japanischer Bindung, 29,5 x 24 cm, Lars<br />

Müller Publishers, 50,- Euro<br />

rierter Baumeister, auch er wurde mit<br />

dem Pritzker-Preis ausgezeichnet. Seine<br />

Sache sind einfache Bauten mit teils<br />

wiederverwendeten Materialien. Die<br />

fadengebundene Publikation setzt aber<br />

davor an; sie zeigt, wie Denken in der<br />

Architektur abläuft. Die erste Feststellung<br />

beim Blättern: Weiße Seiten. Diese<br />

müssen geöffnet werden. Dann sieht man<br />

handschriftliche Zeichnungen in unterschiedlichen<br />

Baustadien und Perspektiven,<br />

eingeleitet jeweils durch eine knappe<br />

Werkbeschreibung und einige Fotografi -<br />

en. Vorgestellt werden sechs Bauprojekte<br />

(die noch nicht alle realisiert sind), und<br />

deutlich wird, wie Wang Shu vorgeht,<br />

wie wichtig ihm der Ort selbst ist und<br />

wie er von diesem und seiner Umgebung<br />

ausgehend zu seinen Bauten fi ndet. Und<br />

hat man sich in die Zeichnungen eingesehen,<br />

dann werden auch die Gebäude<br />

selbst vorstellbar. Das Verdienst dieses<br />

Buches ist die direkte Sinnlichkeit in der<br />

Enthaltsamkeit. Architektur hat immer<br />

auch mit Partizipation zu tun.


Terra incognita – Bosnien<br />

„Mert, ein Deutschtürke im Abseits“.<br />

Von Safeta Obhodjas.<br />

1992 verließ Safeta Obhodjas ihre Heimat<br />

Bosnien, weil sie dort als Autorin nicht<br />

erwünscht war. In Wuppertal, ihrem neuen<br />

Zuhause, hat sie in den letzten Jahren ein<br />

neues Thema gefunden: die Probleme der<br />

Jugendlichen mit Migrationshintergrund.<br />

Nach einer Reihe von Büchern, die sich mit<br />

den Erfahrungen islamischer Frauen auseinander<br />

setzten, mit dem Leben in Bosnien vor<br />

und nach dem Krieg, gibt es im Leben von<br />

Safeta Obhodjas einen neuen Schwerpunkt:<br />

die Arbeit mit Jugendlichen. Sie geht an die<br />

Schulen, um aus ihren Werken zu lesen, sie<br />

bietet Workshops an, in denen gezielt Themen<br />

diskutiert werden, die den Jugendlichen<br />

unterschiedlichster Herkunft an die Nieren<br />

gehen: Integration, Mobbing oder auch der<br />

Druck der Tradition, der auf Kindern aus<br />

Einwandererfamilien lastet.<br />

Voll Stolz erzählt sie: „Letzten Sommer<br />

entstand in einem Workshop aus einer<br />

meiner Geschichten das Theaterstück ,Die<br />

Wahrheit hat kurze Beine‘. Es handelt von<br />

zwei Familien, die nach Deutschland gekommen<br />

sind. Während aber die eine Familie gut<br />

integriert ist – die Frau hat eine Arbeit als<br />

Apothekerin, und ihr Mann hat auch einen<br />

guten Job – hat die andere Familie, die der<br />

Schwester der Apothekerin, diesen Schritt<br />

nicht getan und ist in ihrem traditionellen<br />

Ghetto hängen geblieben“ Das Stück wurde<br />

beim Jungen Theaterfestival Wuppertal<br />

gezeigt und ist sehr gut angekommen.<br />

Deutschtürken im Abseits<br />

Auch die Grundlagen zu ihrem jüngsten<br />

Roman „Mert, ein Deutschtürke im Abseits“<br />

entstammen der Arbeit mit Jugendlichen,<br />

wobei Sport, Fairness im Sport und die Rolle<br />

des Sports in der Integration ein wichtiges<br />

Thema sind. „Einmal“, so erzählt sie im Interview,<br />

„hatte ich in Duisburg eine Lesung.<br />

Per Zufall fi elen mir zwei Tickets zu einem<br />

Fußballturnier in die Hand. Veranstalter war<br />

ein deutschtürkischer Verein. Ich konnte gar<br />

nicht glauben, was ich da lesen musste. Auf<br />

dem gelben Zettel stand Frauen, Behinderte,<br />

Kinder und ich glaube auch Jugendliche<br />

6 Euro, auf dem anderen Ticket stand<br />

nur ,Erwachsene‘. Ich habe mich furchtbar<br />

aufgeregt, aber keiner hat den Grund<br />

verstanden. Und dann hab ich überlegt, was<br />

passiert, wenn eine Frau gegen so ein Ticket<br />

protestiert und sagt, das geht nicht so. Das<br />

war der Grundanstoß, ,Mert‘ zu schreiben.“<br />

Noch eine andere Überlegung war für sie<br />

ausschlaggebend: „Es gibt so viele Bücher<br />

zum Thema Betroffenheit der Frauen in<br />

Familie und Tradition. Aber niemand spricht<br />

von Jungs, was die erleben, wenn sie unter<br />

Druck gesetzt werden, wenn sie eine Frau<br />

heiraten sollen, die sie gar nicht kennen, oder<br />

wenn man sie zwingt, die Schule zu verlassen.<br />

Damit ist die Entscheidung gefallen: Ich<br />

schreibe ein Buch über die Probleme eines<br />

Jungen, aus der Sicht des Jungen.“<br />

Erfolg bei Jugendlichen<br />

Der Junge heißt Mert Seyder. Er ist 16, sieht<br />

gut aus, hat etwas im Köpfchen und ist ein<br />

sehr guter Fußballspieler. Die Mädchen bewundern<br />

ihn, jede will mit ihm gehen. Nur<br />

sie nicht, Enisa, obwohl Mert seinen ganzen<br />

Charme spielen lässt. Und dann taucht auch<br />

noch Onkel Riza auf, der Bruder seines<br />

verstorbenen Vaters, der seine ganz eigenen<br />

Pläne für Mert hat: eine traditionelle Hochzeit,<br />

Hand in Hand mit einer hohen Position<br />

im Familienclan.<br />

Das Schreiben war kein Problem. „Die<br />

Sätze, die Probleme, die Reaktionen kannte<br />

ich doch aus meinen Kontakten mit den<br />

jungen Leuten. Das Buch kam bei ihnen<br />

auch sehr gut an. Aber einen Verlag zu<br />

fi nden, das war ein wirkliches Problem!“,<br />

erzählt Safeta Obhodjas. „Erst ein kleiner<br />

Münsteraner Verlag hat sich von meinen<br />

Argumenten überzeugen lassen, dass nicht<br />

nur ich etwas Gedrucktes in der Hand haben<br />

will, wenn ich in die Schulen gehe und<br />

lese, sondern dass auch die Lehrer froh und<br />

dankbar sind, wenn sie mit ihren Schülern<br />

einen Stoff beackern können, der aus dem<br />

Erlebnisbereich der jungen Leute stammt.<br />

Und die Erlebnisse bei solchen Schulauftritten<br />

geben mir durchaus recht: Die jungen<br />

Leute melden sich zu Wort, diskutieren<br />

mit mir, haben Ideen, wie die Geschichte<br />

anders weiter gehen könnte. Sie haben eine<br />

profunde Meinung zu den dargestellten<br />

Problemen.“<br />

Sport integriert nicht<br />

Dass Sport nicht der einzige Weg zu einer<br />

erfolgreichen Integration sein kann, haben<br />

die Jugendlichen sehr schnell erkannt –<br />

einerseits, weil Mädchen als aktive Partner<br />

selten oder überhaupt nicht vorkommen,<br />

andrerseits, weil der Sport – „also im<br />

wesentlichen Fußball“ – die latente Gewalt<br />

nicht kanalisiert, sondern sie im Gegenteil<br />

eskalieren lässt.<br />

„Wie oft habe gehört, wie die eine Mannschaft<br />

den Gegnern zurief: ,Wir killen euch‘,<br />

oder ,Wir bringen euch um‘. Das zeigt doch,<br />

dass Sport alleine, ohne die Einbeziehung<br />

des Wortes bzw. des Denkens in die falsche<br />

Richtung weist. Wenn das Wort nicht beachtet<br />

wird, die Integration durch das Erlernen<br />

der Sprache, dann entstehen Ghettos, in<br />

denen die Menschen zwar für sich und ohne<br />

Störungen leben können, aber ihre Kinder<br />

haben, wenn sie erwachsen sind, in der deutschen<br />

Gesellschaft keine Chance!“<br />

Safeta Obhodjas arbeitet ganz bewusst<br />

diesem Trend entgegen. „Ich muss mich als<br />

verantwortungsbewusste Autorin vor allem<br />

mit den Problemen der jungen Menschen<br />

mit Migrationshintergrund widmen und<br />

ihnen Material in die Hand geben, in dem<br />

sie ihre eigene Geschichte wieder fi nden<br />

können. In diesem Sinne habe ich auch eine<br />

Erzählung zum Thema Mobbing geschrieben.“<br />

Erfreulich, dass der Verkauf ihres<br />

ersten Jugendbuches vor allem übers Internet<br />

funktioniert, was sie als Reaktion eines jungen<br />

interessierten Publikums deutet.<br />

Friederike Raderer<br />

www.safetaobhodjas.de<br />

Safeta Obhodjas<br />

Mert, ein Deutschtürke<br />

im Abseits<br />

Ate<br />

Safeta Obhodjas<br />

„Mert, ein Deutschtürke im Abseits“<br />

AT-Verlag Münster 2012, 167 Seiten<br />

ISBN 3-89781-209-3<br />

69


70<br />

Kulturnotizen<br />

Von der Heydt-Kunsthalle Barmen<br />

Tatjana Valsang – Archipel<br />

3. März – 26. Mai 2013<br />

Abstrakte Malerei inszeniert auf meist<br />

großformatigen Leinwänden ein komplexes<br />

Zusammenspiel von Farbe, Form und<br />

Bildraum. In den neuen Arbeiten sind es<br />

häufi g von klar umrissenen Formen überlagerte<br />

Wellenformationen, die den Bildraum<br />

organisieren, ihm Tiefe, Bewegung und<br />

Dynamik verleihen. Die in Wuppertal<br />

lebende Künstlerin Tatjana Valsang (*1963)<br />

studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie<br />

als Meisterschülerin bei Dieter Krieg.<br />

Wir zeigen ihre großformatigen Bilder aus<br />

den Jahren 2009-2012.<br />

Tatjana Valsang, Karte, 2012<br />

Von der Heydt-Kunsthalle<br />

Geschw.-Scholl-Platz, 42275 Wuppertal<br />

www.von-der-heydt-kunsthalle.de<br />

Von der Heydt-Museum<br />

Wir zeigen „Highlights“ aus dem<br />

19. Jahrhundert bis zur Gegenwart sowie<br />

„Alte Meister - von Dürer bis Goya“ mit<br />

Werken ab dem 16. Jahrhundert.<br />

Die aktuelle Auswahl zeigt neue Zusammenhänge<br />

und Parallelen auf, lässt<br />

bekannte Gemälde in neuem Licht<br />

erscheinen und setzt Schwerpunkte:<br />

Unter den Highlights sind Spitzwegs<br />

biedermeierliche Idyllen, die im Vergleich<br />

zu den Stillleben- und Porträtstudien der<br />

Münchner Feinmaler Wilhelm Leibl und<br />

Otto Scholderer zu sehen sind.<br />

Von der Heydt-Museum<br />

Turmhof 8, 42103 Wuppertal<br />

www.von-der-heydt-museum.de<br />

Museum Kunstpalast Düsseldorf<br />

Wolfgang Tillmans:<br />

Düsseldorf Raum 2001-2007<br />

(Sammlung Stadtsparkasse Düsseldorf)<br />

bis zum 5. Mai 2013<br />

Der 1968 in Remscheid geborene,<br />

international renommierte Künstler hat<br />

im Jahr 2008 eigens für das Museum<br />

Kunstpalast eine 12-teilige Installation<br />

mit dem Titel „Düsseldorf Raum 2001-<br />

2007“ entwickelt. Die Installation besteht<br />

aus unterschiedlich großen Fotos, die<br />

Tillmans in seinem direkten Lebens- und<br />

Arbeitsumfeld aufgenommen hat und<br />

die er in einer fragilen Rauminszenierung<br />

präsentiert. Die Bilder und ihre Beziehungen<br />

untereinander weisen auf eine<br />

mögliche Aufl ösung von Gegenständlichkeit<br />

hin. Sie zeigen Stillleben, alltägliche<br />

Szenen und Bilder im Bild, denen Abstraktion<br />

und eine überraschende Räumlichkeit<br />

innewohnen.<br />

Stiftung Museum Kunstpalast<br />

Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf<br />

www.smkp.de<br />

Eine weitere Tillmans-Ausstellung<br />

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen<br />

Wolfgang Tillmans<br />

2. März - 7. Juli.2013 – K21 Ständehaus<br />

Die Kunstsammlung Nordrhein-<br />

Westfalen zeigt eine Überblicksausstellung<br />

des international gefeierten Fotografen<br />

Wolfgang Tillmans (geb. 1968).<br />

Zur Bandbreite seiner künstlerischen<br />

Arbeit gehören neben Porträts, Interieurs,<br />

Landschaften und Stillleben seine in der<br />

Dunkelkammer entstandenen abstrakten<br />

Bilder, Videoarbeiten, Tischinstallationen<br />

und die zuletzt auf Reisen aufgenommenen<br />

Neue Welt-Bilder. Dabei verbindet<br />

Wolfgang Tillmans mit seinen Arbeiten<br />

neben einem ästhetischen immer auch ein<br />

grundsätzliches Interesse an gesellschaftspolitischen<br />

Themen.<br />

Mit seinen Arbeiten hat Wolfgang<br />

Tillmans nicht nur eine neue Bildsprache<br />

der Fotografi e entwickelt, sondern auch<br />

eine eigene Präsentationsform geschaffen.<br />

Wolfgang Tillmans wird mit seiner<br />

Ausstellung in der Kunstsammlung<br />

Nordrhein-Westfalen einen Überblick<br />

über sein zwanzigjähriges Schaffen bieten<br />

und mit einer präzise entwickelten<br />

Gesamtkomposition auf den spezifi schen<br />

Ausstellungsort des ehemaligen Ständehauses<br />

genauso reagieren wie auf die<br />

herausragende Sammlung.<br />

Wolfgang Tillmans, after party, © 2002,<br />

courtesy Galerie Buchholz, Köln/Berlin<br />

Wolfgang Tillmans, 2009, © courtesy<br />

Galerie Buchholz, Köln/Berlin<br />

K21 STÄNDEHAUS<br />

Ständehausstraße 1, 40217 Düsseldorf<br />

www.kunstsammlung.de


Museum Kurhaus / Kleve<br />

Mein Rasierspiegel fehlt<br />

Sammlung – Von Holthuys bis Beuys<br />

noch bis zum 7. April 2013<br />

Seit dem 9. September 2012 öffnet<br />

das erweiterte Museum Kurhaus Kleve<br />

– Ewald Mataré-Sammlung wieder seine<br />

Türen für das Publikum. Erstmals zu<br />

erleben ist dann nicht nur ein neuer Museumsteil,<br />

das restaurierte sog. „Friedrich-<br />

Wilhelm-Bad“ mit dem Atelier von<br />

Joseph Beuys, sondern auch die Sammlung<br />

des Museum Kurhaus Kleve in allen<br />

ihren Facetten. Die Eröffnungsausstellung<br />

trägt den Titel „Mein Rasierspiegel“ und<br />

umfasst Meisterwerke vom Mittelalter bis<br />

zur Gegenwart.<br />

Ein großer Teil der Ausstellung ist<br />

Joseph Beuys gewidmet, der von 1957 bis<br />

1964 in dem leerstehenden Gebäude sein<br />

Atelier hatte. In dieser Zeit entstand auch<br />

das „Büdericher Ehrenmal“ (1958-59).<br />

www.museumkurhaus.de<br />

Joseph Beuys, Ohne Titel (Mein Kölner<br />

Dom), 1980, Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn<br />

2012, für Joseph Beuys<br />

Man Ray: les mannequins, / ‘resurrection Des<br />

Mannequins', ‘Mannequins présentés á l'Exposition<br />

Surréaliste de 1938', Verlag Jean Petithory,<br />

Paris 1966, Ex. H.C., © Man Ray Trust,<br />

Paris / VG Bild-Kunst, Bonn 2012<br />

Museum Ludwig Köln<br />

Man Ray<br />

Fritz Gruber Archiv. Das besondere Archiv<br />

einer außergewöhnlichen Freundschaft<br />

Bis zum 5. Mai 2013<br />

Im September 2012 konnte das Museum<br />

Ludwig dank der Unterstützung der<br />

Kulturstiftung der Länder und der Kunststiftung<br />

NRW das Man Ray-Archiv von Renate<br />

und L. Fritz Gruber erwerben, die auf eine<br />

jahrzehntelange Freundschaft zwischen Man<br />

Ray und dem Ehepaar Gruber zurückgeht<br />

und aus einer Sammlung von Arbeiten,<br />

Archivalien, Korrespondenzen, Objekten<br />

und signierten Ausstellungspublikationen<br />

besteht.<br />

Eine Besonderheit bildet ein Konvolut von<br />

50 Repro-Kontaktabzügen mit Porträts von<br />

Lee Miller, Jean Cocteau, Max Ernst, Pablo<br />

Picasso, Dora Maar und vielen anderen der<br />

bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts;<br />

denn diese hat Man Ray eigenhändig<br />

mit „Evaluationszahlen“ seiner persönlichen<br />

Wertschätzung bedacht. Außerdem erhält<br />

die Sammlung eine Reihe von 37 Kontaktabzügen<br />

von Rayographien Man Rays, die<br />

für die Man Ray-Forschung von größter<br />

Bedeutung sind.<br />

Diese persönliche, außergewöhnliche<br />

Sammlung eines der größten Fotokünstler<br />

des 20. Jahrhunderts wird in Kombination<br />

mit Porträtfotografi en Man Rays aus der<br />

Sammlung des Museum Ludwig im Grafi -<br />

schen Kabinett präsentiert.<br />

www.museum-ludwig.de<br />

Leopold-Hoesch-Museum Düren<br />

„ZERO auf Papier“<br />

bis zum 17. Februar 2013<br />

Die Ausstellung „ZERO auf Papier“<br />

im Leopold-Hoesch-Museum &<br />

Papiermuseum Düren dokumentiert<br />

die Aktivitäten und den Werdegang der<br />

internationalen Kunstbewegung ZERO<br />

um die drei Künstler Otto Piene, Heinz<br />

Mack und Günther Uecker in den 1950er<br />

und 60er Jahren. Neben Kunstwerken der<br />

beteiligten Künstler illustrieren Ausstellungsplakate,<br />

Einladungskarten, Fotos,<br />

persönliche Briefe und ein Film die vielfältigen<br />

Aktionen der ZERO-Künstler, die<br />

eine konsequente Erneuerung der Kunst<br />

forderten.<br />

Die von Heinz Mack und Otto Piene<br />

im Jahr 1958 herausgegebenen ersten<br />

beiden Ausgaben der Zeitschrift ZERO<br />

wurden für die internationale Kunstbewegung<br />

zum Manifest einer künstlerischen<br />

Neuausrichtung der Neo-Avantgarde.<br />

Durch die zahlreichen positiven Rückmeldungen<br />

von Künstlern und Kunstkritikern<br />

entschieden sich Mack und Piene, eine<br />

umfassende dritte Ausgabe der Zeitschrift<br />

zu konzipieren, die in der Düsseldorfer<br />

Galerie Schmela im Jahr 1961 präsentiert<br />

wurde. Die drei seit Jahrzehnten vergriffenen<br />

Zeitschriften wurden von der<br />

ZERO foundation Düsseldorf jetzt neu<br />

herausgegeben und im Rahmen der Ausstellungseröffnung<br />

erstmalig präsentiert.<br />

Die limitierte Sonderedition der faksimilierten<br />

ZERO-Zeitschriften (1958-1961)<br />

erscheint mit signierten und nummerierten<br />

Editionen von Heinz Mack und Otto<br />

Piene und wird in einem von den Künstlern<br />

gestalteten Schuber offeriert. Der<br />

Nachdruck der Ausgaben wird von einem<br />

Buch begleitet, in dem die Ergebnisse eines<br />

wissenschaftlichen Forschungsprojekts<br />

zu den ZERO-Zeitschriften veröffentlicht<br />

werden.<br />

www.leopoldhoeschmuseum.de<br />

71


72<br />

Kulturnotizen<br />

Tokio:<br />

Chicago Tentett am Ende<br />

Vor wenigen Wochen gab Peter Brötzmann<br />

mit seinem Chicago Tentett in<br />

Berlin einen Tag nach Ende des 2012er<br />

Jazzfestes, noch ein gefeiertes Konzert.<br />

Doch als Pressemitteilung von Brötzmann<br />

aus Tokio kam nun die Nachricht, dass<br />

Schluss sein soll. 14 Jahre seien genug,<br />

schreibt der Free-Jazz-Saxofonist und<br />

-Klarinettist, die Band habe ihr kreatives<br />

Hoch erreicht und könne nun nur noch<br />

schlechter werden. Die Routine drohe,<br />

was vielleicht durch eine Neubesetzung<br />

aufgefangen werden könnte.<br />

Peter Brötzmann macht Schluss mit seinem<br />

Chicago Tentett (Foto: Ziga Koritnik)<br />

Viel schlimmer sei jedoch, dass weder<br />

die deutsche noch die amerikanische<br />

Regierung bereit seien, diese hochkarätige<br />

transatlantische Band zu unterstützen.<br />

Besonders die Vorjahreskonzerte in London<br />

und Wuppertal seien unerreicht,<br />

schreibt der Wuppertaler Saxofonist, der<br />

mit der ungewöhnlichen Maßnahme<br />

die Mittelmäßigkeit unbedingt vermeiden<br />

möchte. Er brauche nun Zeit, um<br />

über die notwendigen Veränderungen<br />

nachzudenken, die fi nanzielle Situation<br />

sei wichtig und manchmal sei die Musik<br />

sogar von ihr bestimmt:<br />

„Wer es sich heute noch leisten kann,<br />

etwa mit einem Quintett auf Tour zu<br />

sein, der weiß, was ich meine.“ Man<br />

brauche jetzt: „,A kick in the ass' – oder<br />

wie wir auf Deutsch sagen: Verunsicherung.“<br />

Bernarda Albas Haus<br />

Theaterproduktion der Akademie Remscheid,<br />

Premiere: 3. 2. 2013, 19:30 Uhr<br />

Die Akademie Remscheid lädt die Bürgerinnen<br />

und Bürger des Bergischen Landes<br />

herzlich ein, Zeugen eines innovativen<br />

Theaterprojekts zu werden: Elf angehende<br />

Theaterpädagogen/-innen werden das<br />

Stück „Bernarda Albas Haus“ von Federico<br />

Garcia Lorca auf die Bühne der Akademie<br />

Remscheid bringen.<br />

Unter der Regie von Kordula Lobeck<br />

de Fabris, Wuppertal, bekannt durch ihr<br />

Frauentheaternetzwerk „Unter Wasser<br />

fl iegen“ und zahlreiche multiethnische Jugendtheaterprojekte,<br />

entsteht eine moderne<br />

Fassung der Vorlage von Garcia Lorca: Bei<br />

ihm gibt es keine Männerrollen, in der<br />

aktuellen Inszenierung aber spielen zwei<br />

Männer mit.<br />

Die Schauspieler/-innen stehen im<br />

Mittelpunkt dieser Theaterarbeit. Sie spielen<br />

– anders als im traditionellen Sprechtheater<br />

– alle Rollen, wechseln in rasanten Tempi die<br />

Kostüme, tanzen und singen. Und ziehen<br />

die Zuschauer in einen Bann aus Bewegung,<br />

Bildern, Gesang und Stille.<br />

Zum Inhalt des Stücks:<br />

Was machen fünf junge Frauen, deren<br />

Vater gestorben ist und die acht Jahre lang<br />

das Haus nicht verlassen, keinen Mann zu<br />

Gesicht bekommen dürfen? Eine stren-<br />

ge Mutter und die alles kontrollierende<br />

Dorfgemeinschaft wachen über Anstand<br />

und Moral. Federico Garcia Lorca, der<br />

von Faschisten ermordete spanische<br />

Autor, schrieb das Stück über eine Witwe<br />

und ihre fünf heiratsfähigen Töchter vor<br />

mehr als 80 Jahren. Es gibt eine Vielzahl<br />

von inszenatorischen Interpretationen.<br />

Der Autor selbst beschreibt das Stück als<br />

andalusisches poetisches Drama ohne<br />

Verse, als fotografi sche Dokumentation<br />

einer Familie, als den Versuch, in einem<br />

universellen Theaterstück den Konfl ikt<br />

des Individuums mit der Gesellschaft<br />

auszudrücken.<br />

Zum pädagogischen Hintergrund:<br />

In zweimal zehn Tagen entsteht in diesem<br />

Theaterprojekt ein neues Stück zur Vorlage,<br />

dessen Inszenierungsweg auch auf die<br />

Bedingungen theaterpädagogischer Praxis<br />

übertragbar ist. Die Schauspieler/-innen<br />

werden deshalb im April diese Arbeit<br />

in einer theaterpädagogischen Vor- und<br />

Nachbereitung für interessierte Schulklassen<br />

vorstellen. Sie gehen in die Schulen, die<br />

Klassen kommen zur Aufführung in die<br />

Akademie Remscheid und tauschen sich<br />

im Anschluss auch mit dem Regieteam aus.<br />

Großer Saal der Akademie Remscheid.<br />

Eintritt frei.<br />

www.akademieremscheid.de<br />

Kreativ50plus<br />

an der Akademie Remscheid<br />

Raum zur Beschäftigung mit Ihren<br />

Ideen und Interessen.<br />

Bis Ostern können Sie sich ein Seminar<br />

wünschen.<br />

Das Seminarprogramm kreativ50plus<br />

an der Akademie Remscheid bietet allen<br />

Interessierten die Möglichkeit, sich ein<br />

Seminarthema zu wünschen. Bei<br />

www.kreativ50plus.de unter „Aktuelles“<br />

können Sie mitteilen, welches Seminar<br />

Sie gerne im Programm sehen würden.<br />

Einer der Wünsche wird im Zeitraum vom


14.-18. 10. 2013 umgesetzt. Der Ideengeber<br />

sowie zwei weitere Teilnehmer<br />

gewinnen Freiplätze für das Seminar.<br />

Vorher können Sie in den Räumen der<br />

Akademie Remscheid die antike Maltechnik<br />

Enkaustik kennen lernen. Am<br />

Samstag, den 23. 2. lernen Einsteiger,<br />

wie man mit fl üssigem, farbigem Bienenwachs<br />

arbeiten kann. Am darauffolgenden<br />

Sonntag bietet sich die Möglichkeit, die<br />

Kenntnisse zu erweitern.<br />

Am Dienstag, den 26. Februar können<br />

sich Teilnehmer einen Tag lang im „Erzählen<br />

mit dem roten Faden“ üben. Mithilfe<br />

von spielerischen Übungen entwickeln sie<br />

ihre eigene Erzählung.<br />

Im März sind noch Plätze frei für die<br />

Einführung in die abstrakte Acrylmalerei<br />

(Termin:11.-15.03.2013) und für das<br />

Tango Café. Dort sollten Sie sich zu zweit<br />

anmelden, um Grundlagen des Tango<br />

Argentino erproben zu können (Termin:<br />

2. 3. 2013.).<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.kreativ50plus.de oder telefonisch<br />

unter 02191-794 212.<br />

Kontakt:<br />

kreativ50plus,<br />

Akademie Remscheid für kulturelle<br />

Bildung e.V.<br />

Imke Nagel, Programmleitung<br />

Anke Rauch, Organisation<br />

Küppelstein 34, 42857 Remscheid<br />

Telefon: 02191 794 212 (Anke Rauch)<br />

02191 794 200 (Imke Nagel)<br />

kreativ50plus@akademieremscheid.<br />

Müllers Maronetten-Theater<br />

Peterchens Mondfahrt<br />

nach Gerdt von Bassewitz, von Günther<br />

Weißenborn<br />

Der Maikäfer Herr Sumsemann<br />

erobert gemeinsam mit den Kindern<br />

Anneliese und Peter den Mond. Inszeniert<br />

mit den bezaubernden Marionetten von<br />

Ursula Müller-Weißenborn.<br />

Aufführungstermine:<br />

3., 9., 16., 17. und 24. Februar 2013 jeweils<br />

um 16.00 Uhr und am 27. Februar um 11<br />

Uhr<br />

Kleine Ente Plumps<br />

von Günther Weißenborn<br />

Jacob lebt bei seinem Opa, der Tubist<br />

im Orchester ist. Eines Tages bringt Jakob<br />

ein Ei nach Hause und nicht einmal der<br />

Opa weiss, ob das ein Hühnerei ist. Also<br />

ruft Jakob den Zoodirektor an, der leiht<br />

ihnen einen Brutapparat und nach kurzer<br />

Zeit sind Jakob und sein Großvater Papa<br />

und Uropa einer kleinen Ente, die es sich<br />

sogleich in Opas Tuba gemütlich einrichtet.<br />

Auch ein Räuber interessiert sich für die<br />

Ente, allerdings ist er so dumm, dass er sie<br />

für einen asiatischen Königsfl amingo hält.<br />

Da gerät er bei Jacob an den Richtigen!<br />

Aufführungstermine:<br />

2., 3., 9., 10., 16. und 17. März 2013<br />

jeweils um 16.00 Uhr und am 13. März<br />

um 11 Uhr<br />

Eine kleine Hexe<br />

Theatermärchen von Günther Weißenborn<br />

Eigentlich ist sie eine liebe kleine Hexe<br />

und genau das ist ihr Fehler! Böse soll sie<br />

sein, so böse, wie Hexen nun mal sind. Und<br />

das ist ganz schön schwer für die kleine<br />

Hexe Lilienkraut. Aber sie hat ja Hilfe, den<br />

kleinen Drachen Rüdiger, der schon richtig<br />

Feuer spucken kann und der sich auch einmal<br />

so richtig schlecht benehmen möchte.<br />

Aufführungstermine:<br />

24. und 29. März und am 1., 6., 13. und<br />

14. April 2013 jeweils um 16.00 Uhr.<br />

GEDOK Wuppertal<br />

Veranstaltungen<br />

Sonntag, 24. Februar 2013, 17:00 Uhr<br />

CityKirche Elberfeld, Kirchplatz<br />

Englische Komponist/Innen des 20.<br />

Jahrhunderts<br />

Sigrun Lefringhausen, Blockfl öte und Nina<br />

Julia Hildebrand, Klavier machen uns mit<br />

Werken von Ethel Smyth, Elisabeth Lutyens<br />

Stefanie Champion, Rebecca King, Peggy,<br />

Glanville-Hicks, Lennox Berkeley u. a.<br />

bekannt. Eintritt 8,00 / erm. 5,00 Euro<br />

Foto: www.kuenstleragentur-kade.de<br />

Vorankündigung Juni 2013<br />

Miriam Sabba Sopran sang die Rolle der<br />

„DIANA“ Anfang Oktober 2012 als Gast<br />

beim Tanztheater Wuppertal in „Iphigenie<br />

auf Tauris“.<br />

Wir konnten Miriam Sabba für einen<br />

französischen Liederabend im Juni 2013<br />

in der CityKirche Elberfeld gewinnen und<br />

freuen uns sehr auf ein Wiedersehen und<br />

-hören. Am Flügel wird sie von Michael<br />

Hänschke begleitet.<br />

www.gedok-wuppertal.de<br />

73


74<br />

Kulturnotizen<br />

Sonntag, 24. Februar, 18 Uhr, Pavillon<br />

differing movements<br />

Mit Werken von Gabriel Prokofi ev, Joe Cutler,<br />

Tan Dun, Detlev Glanert, Arvo Pärt,<br />

John Adams<br />

Es kommt Bewegung in den Pavillon –<br />

zeitgenössische Musik und Tanz fi nden<br />

zueinander. Mozart und Haydn haben<br />

Menuette geschrieben. Im 21. Jahrhundert<br />

heißen die Werke bei den Komponisten<br />

Gabriel Prokofi ev und Tan Dun hingegen<br />

Bogle Move und Black Dance. Und Folk<br />

Music des britischen Komponisten Joe<br />

Cutler ist eine zeitgemäße Umsetzung<br />

dessen, was der Titel vorgibt – lassen Sie<br />

sich überraschen. In Detlev Glanerts 2.<br />

Streichquartett verbergen sich vier Themen:<br />

Gesang, Schrei, Tanz und Flucht - zwei<br />

Äußerungsformen und zwei Bewegungsformen.<br />

Pas de Quatre ist ein fesselndes und<br />

spannungsreiches Werk mit einer klaren<br />

Sprache. Man kann den vier Themen<br />

folgen und wird gleichzeitig mit Musik<br />

konfrontiert, die einen im Innersten trifft.<br />

John Adams nannte seine Tänze für<br />

Streichquartett „alleged“ – vermeintlich,<br />

weil er meinte, dass die passenden Schrit<br />

te dazu noch ersonnen werden müssten.<br />

Die Tänzerin Szu-Wei Wu und der Tänzer<br />

Eddie Martinez (Mitglied Tanztheater Wuppertal<br />

Pina Bausch) werden den Pavillon<br />

Eddie Martinez (links) undSzu-Wei Wu<br />

in eine Bühne verwandeln und Ihre eigenen<br />

„Schritte“ und „movements“ zur Musik<br />

von John Adams und Arvo Pärt zeigen.<br />

7 Filme zur Kunst<br />

Zum zweiten Mal veranstaltet der Skulpturenpark<br />

Waldfrieden im Frühjahr 2013<br />

eine Filmreihe, deren Titel allerdings<br />

gegenüber dem vergangenen Jahr leicht<br />

verändert wurde: Aus „7 Dokumentarfi lme<br />

zur Kunst“ wurde schlicht „7 Filme<br />

zur Kunst“. Mit dieser Namensänderung<br />

verbindet sich die Absicht, das formale<br />

Spektrum des Programms zu erweitern.<br />

Außer Titeln, die einen inhaltlichen<br />

Bezug zur Bildenden Kunst haben, sollen<br />

auch solche Werke der Filmkunst<br />

präsentiert werden, die nicht ohne<br />

weiteres in das Genre der Dokumentation<br />

einzuordnen sind. Wie gewohnt fi nden<br />

die Projektionen im Café Podest im<br />

Skulpturenpark statt.<br />

Foto aus: One Way Boogie Woogie - 27 years later<br />

Freitag » 1. Februar 2013 » 20 Uhr<br />

Die Mühle und das Kreuz<br />

Freitag » 8. Februar 2013 » 20 Uhr<br />

Carvaggio<br />

Freitag » 15. Februar 2013 » 20 Uhr<br />

One Way Boogie Woogie - 27 years later<br />

Freitag » 22. Februar 2013 » 20 Uhr<br />

Jean Tinguely<br />

Freitag » 1. März 2013 » 20 Uhr<br />

Tom<br />

Freitag » 8. März 2013 » 20 Uhr<br />

W + B Hein - Materialfi lme<br />

Freitag » 15. März 2013 » 20 Uhr<br />

Marina Abramovic: The Artist is present<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.skulpturenpark-waldfrieden.de<br />

Ausstellung im Skulpturenpark<br />

Jan Fabre<br />

Chalcosoma – Small bronzes 2006-2012<br />

22. März bis 2. Juni 2013<br />

Jan Fabre ist ein Multitalent – als solches<br />

hat er sich in der Welt der bildenden<br />

Kunst, der Performance, des Theaters und<br />

der Literatur einen Namen gemacht. Mit<br />

der Erforschung des eigenen Körpers und<br />

seiner Umwelt hinterfragt sich der Künstler<br />

beständig selber, die intensive Suche nach<br />

Antworten führt ihn durch unterschiedlichste<br />

Disziplinen und Ausdrucksformen.<br />

In seinem Werk erschafft er ereine eigene<br />

mythische Welt, in der er sich zudem mit<br />

der visionären Ästhetik der fl ämischen<br />

Meister befasst.<br />

Der Skulpturenpark Waldfrieden zeigt<br />

die Werkreihe „Chalcosoma – small bronzes<br />

2006-20012“, die 22 Exponate umfasst<br />

und in ihrem Abwechslungsreichtum<br />

das Gesamtwerk Jan Fabres verkörpert.<br />

Ihre Ungleichheit zeigt die unterschiedlichen<br />

Themen, die für Jan Fabre<br />

durch ein Netz von komplizierten Form-<br />

Vereinigungen und Symbolen von Bedeutung<br />

sind und erstreckt sich insbesondere<br />

auf die Wahl des Materials Bronze, die<br />

Jan Fabre, Skull Compass, Bronze, 2011,<br />

14 x 18 x 20 cm<br />

er für diese Skulpturen verwendet. Sie verschafft<br />

ihnen Beständigkeit und Würde. Sie<br />

nehmen den Anspruch von Kunstgegenständen,<br />

Büsten oder Standbildern auf, die<br />

von fortdauerndem Wert zu sein scheinen.<br />

Seine Bronzeskulpturen sind Collagen,<br />

Verbindungen von tierischen und menschlichen<br />

Elementen, der Natur und der Kultur,<br />

von Vergangenheit und Gegenwart.<br />

Jan Fabre wurde 1958 in Antwerpen<br />

geboren, wo er auch heute lebt und arbeitet.<br />

Er studierte am Municipal Fine Arts Institute<br />

of Decoractive Arts und an der Academy<br />

of Fine Arts in Antwerpen. Fabre wurde mit<br />

zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem<br />

Preis der fl ämischen Gesellschaft der Bildenden<br />

Künste und überdies zum Großoffi<br />

zier des belgischen Kronenordens ernannt.<br />

Sein Werk ist in international führenden<br />

Mussen vertreten.<br />

Jazz-Konzerte im Alten Pfandhaus<br />

Freitag, 15. Februar 2013 | 19:00<br />

Zildjian Sound Lab Sessions February<br />

2013 with Dennis Chambers<br />

»Konzert«


Dienstag, 12. März 2013 | 20:00<br />

Gloria Cooper German Quintett<br />

»The Transatlantic Jazz Connection«<br />

Gloria Cooper - piano, vocal | Heiner<br />

Wiberny - sax | Klaus Osterloh -trp | Jochen<br />

Schaal - b | Marcel Wasserfuhr - Drums<br />

Donnerstag, 14. März 2013 | 20:00<br />

Richard Bargel & The Erwin Helfer Trio<br />

»Mississippi Beat - Part 5«<br />

Erwin Helfer - piano | Katherine Davis - vocals<br />

| John Brumbach - sax | Richard Bargel<br />

- slide guit. & Moderation<br />

Sonntag, 17. März 2013 | 19:00<br />

Jazz-BigBand Graz - JBBG<br />

»Urban Folktales«<br />

www.altes-pfandhaus.de/veranstaltungen<br />

Deutsches Klingenmuseum<br />

Ausstellung 50 Jahre Besteckdesign<br />

in Deutschland 1950 bis 2000<br />

20. Januar– 30. Juni 2013<br />

Der Weltkrieg hinterließ nach 1945 in<br />

vielfacher Hinsicht ein riesiges Vakuum,<br />

auch in Bezug auf die Ausstattung der<br />

Haushalte. So war auch der Bedarf an<br />

neuem Besteck groß, und zugleich bot sich<br />

die Chance, das Thema Besteck „neu zu<br />

denken“.<br />

Obwohl sich traditionelle Formen und<br />

Dekore zum Teil bis heute hartnäckig<br />

halten, so gab und gibt es doch eine starke<br />

Bewegung zum Besteck der „neuen Zeit“:<br />

Die Proportionen änderten sich deutlich<br />

(kurze Messerklinge und kurze Gabelzinken,<br />

runde Laffen, lange Griffe), das<br />

Material musste bezahlbar und tauglich für<br />

die Herstellung in großen Mengen sein<br />

Entwurf von Heinrich Maxen, Solingen,<br />

um 1965, Hersteller Picard & Wielpütz,<br />

Solingen.<br />

(Edelstahl), die aufwendige Differenzierung<br />

in Tafel- und Dessertbesteck wurde zugunsten<br />

einer mittleren Größe (das sog. Mittelbesteck)<br />

aufgegeben.<br />

Die dicht bestückte Studienausstellung im<br />

Klingenmuseum präsentiert eine exemplarische<br />

Auswahl von rund 320 Besteckmustern<br />

aus deutscher Produktion; die gesamte<br />

Produktion betrug in dieser Zeit rund 2.000<br />

Muster. Selbstverständlich steht der gute,<br />

wegweisende Entwurf im Vordergrund, aber<br />

auch eher traditionelle Stilmittel wie Dekore<br />

oder Besteckgriffe und -hefte aus unterschiedlichem<br />

Material werden als zeittypische<br />

Erscheinungen gezeigt.<br />

Die ausgestellten Bestecke stammen<br />

aus der Sammlung Heinrich Averwerser,<br />

Burgdorf.<br />

Sinfonieorchester Wuppertal<br />

Konzerte Februar/März 2013<br />

07.02.2013 | 10:00 | 12:00 Uhr<br />

Stadthalle, Mendelssohn Saal<br />

2. Schulkonzert<br />

Karneval der Tiere<br />

17.02.2013 | 11:00 Uhr<br />

18.02.2013 | 20:00 Uhr<br />

Stadthalle, Großer Saal<br />

6. Sinfoniekonzert<br />

Wünsch dir was!<br />

10.03.2013 | 11:00 Uhr<br />

Stadthalle, Großer Saal<br />

3. Familienkonzert<br />

Happy Birthday Sinfonieorchester<br />

Wuppertal<br />

11.03.2013 | 20:00 Uhr<br />

Stadthalle, Mendelssohn Saal<br />

4. Kammerkonzert<br />

17.03.2013 | 11:00 Uhr<br />

Stadthalle, Großer Saal<br />

7. Sinfoniekonzert<br />

18.03.2013 | 20:00 Uhr<br />

Stadthalle, Großer Saal<br />

7. Sinfoniekonzert<br />

29.03.2013 | 18:00 Uhr<br />

Stadthalle, Großer Saal<br />

3. Chorkonzert<br />

So 24. Februar 2013 //// Opernhaus<br />

18:00 Uhr //// PREMIERE<br />

Ein Maskenball<br />

Oper von Giuseppe Verdi in ital. Sprache<br />

mit dt. Übertiteln. Mit öffentlicher Premierenfeier.<br />

Gustavo ist ein guter Herrscher, und<br />

doch ist eine Verschwörung gegen ihn<br />

im Gange. Als sein Vertrauter Renato<br />

ihn darauf aufmerksam macht, winkt er<br />

ab: Amelia, in die er verliebt ist, ist sein<br />

einziger Gedanke. Doch sie ist verheiratet<br />

– mit Renato. Politik wird zum Werkzeug<br />

seiner Rache, als der verzweifelte Renato<br />

den Verschwörern sich als Verbündeter<br />

anbietet.<br />

Fr 8. März 2013 //// Schauspielhaus<br />

20:00 Uhr //// PREMIERE<br />

Wie es Euch gefällt<br />

nach William Shakespeare<br />

Eine Produktion des Jugendclub I der<br />

Wuppertaler Bühnen. Mit öffentlicher<br />

Premierenfeier.<br />

75


76<br />

Kulturnotizen<br />

Der Ardenner Wald, ein lauschiges Plätzchen<br />

in dem sich eine Anzahl Menschen<br />

einfi ndet, die es aus unterschiedlichsten<br />

Gründen hierher verschlagen hat. Sie alle<br />

sind Suchende und alle fi nden auch etwas,<br />

sie fi nden nicht weniger als die Liebe: die<br />

ganz große Liebe, die Liebe, die man schon<br />

gefunden glaubt und jetzt nur noch erringen<br />

will, die Liebe, die einen wie ein Schlag<br />

trifft, die Liebe, die langsam wächst und<br />

auch die Liebe, die man nicht bekommen<br />

kann. Rosalinde (verkleidet als Mann), gibt<br />

sich Orlando nicht gleich zu erkennen. Der<br />

aber ritzt Liebesschwüre in jeden Baum auf<br />

der Suche nach ebendieser Frau. Die Schäferin<br />

Phoebe verliebt sich Hals über Kopf<br />

in Ganymed (der ist aber die verkleidete<br />

Rosalinde) und will von Silvius, der sich<br />

nach ihr verzehrt, nichts wissen. Käthchen<br />

und Probstein scheinen sich gesucht und<br />

gefunden und was ist mit Celia und Jaques?<br />

Im Wald, fernab von Zivilisation und<br />

Konventionen kann allerhand passieren.<br />

Vieles ist unwirklich, nicht real und es sind<br />

Kräfte am Werk, die nicht ganz von dieser<br />

Welt sind...<br />

Do 7. März 2013 //// Opernhaus<br />

19:30 Uhr<br />

Kontakthof<br />

Mit der Kompanie Tanztheater Wuppertal<br />

Pina Bausch.<br />

Weitere Aufführungen: 8., 9. und 10. März<br />

Fr 22. März 2013 //// Schauspielhaus<br />

20:00 Uhr //// PREMIERE<br />

Aus euren Blicken bau ich mir ein<br />

Haus<br />

Schauspiel von Thomas Melle. Mit öffentlicher<br />

Premierenfeier.<br />

Birger und Kevin sind dem Nerven<br />

aufreibenden Großstadtleben entfl ohen<br />

und haben sich in einem Neubaugebiet am<br />

urbanen Speckgürtel niedergelassen. Dort<br />

möchten sie ein beschauliches, zurückgezogenes<br />

Leben führen. Offensichtlich aber<br />

steckt die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft<br />

in der Krise; Hauptbeschäftigung<br />

ist das missmutige Beobachten neuer<br />

Zuzügler. Zu den Beargwöhnten gehört<br />

zunächst auch Dorte, eine psychische<br />

Grenzgängerin, die sich nebenan ein Haus<br />

bauen will. Doch schon bald kommen sich<br />

Kevin und Dorte näher; so nah, dass Dorte<br />

von dem gemeinsamen Kinderwunsch des<br />

Paares erfährt …<br />

Raum-Maschine Theater in Köln<br />

Szene und Architektur<br />

bis 10. März 2013<br />

Die Ausstellung legt ihren Focus auf die architektonischen<br />

Grundlagen für das Entstehen<br />

von Kunstwelten im Bereic des Theaters.<br />

Raum-Maschine Theater – „Szene und<br />

Architektur“ ist eine Ausstellung des Museums<br />

für Angewandte Kunst in Köln in<br />

Kooperation mit der Theaterwissenschaftlichen<br />

Sammlung der Universität zu Köln.<br />

An der Rechtschule, 50667 Köln, Tel.<br />

0221.221 267 35, geöffnet Di – So 11.00<br />

– 18.00 Uhr. www.museenkoeln.de.<br />

Museum Haus Lange, Krefeld<br />

Anne Chu –<br />

Animula Vagula Blandula<br />

Bilder und Skulpturen<br />

bis 7. April 2013<br />

In ihren Bildern und Skulpturen beschäftigt<br />

sich Anne Chu (*1959) vorwiegend mit<br />

historischen Themen, wobei sie westliche<br />

und asiatische Kulturkreise in Dialog<br />

setzt. Sie bedient sich der Geschichte wie<br />

eines Steinbruchs und aktualisiert diese im<br />

Hinblick auf eine zeitgenössische Rezeption.<br />

Ausgangspunkte ihrer Werke sind u. a. auch<br />

Architekturmodelle von Antonio Gaudí.<br />

Anne Chu, kleiner römischer Junge, 2012<br />

Stuckmarmor, Marmor, 30,5 x 24 x 23 cm,<br />

© Anne Chu, Foto: V. Döhne<br />

Museen Haus Lange und Haus Esters,<br />

Wilhelmshofallee 91-97, 47800 Krefeld,<br />

Telefon 02151 97 55 80. Öffnungszeiten:<br />

Di. Mi, Fr – So 11 – 17, Do 11 – 20 Uhr<br />

www.kunstmuseenkrefeld.de<br />

Museum Haus Esters, Krefeld<br />

Vibrierende Bilder, lärmende<br />

Skulpturen 1958 - 1963<br />

Eine Hommage an Paul Wember<br />

bis 7. April 2013<br />

Um 1960 entsteht an den Kunstmuseen<br />

Krefeld ein Sammlungsbereich, der in seiner<br />

Vielfalt und Qualität außergewöhnlich<br />

ist, die Sammlung kinetischer Kunst. Die<br />

Ausstellung Vibrierende Bilder Lärmende<br />

Skulpturen präsentiert eine breite Auswahl<br />

der ungewöhnlichen Objekte, die noch<br />

heute, 50 Jahre später, durch Einfallsreichtum<br />

und Experimentierfreude überraschen.<br />

Die Gattungsgrenzen der bildenden Kunst<br />

erscheinen endgültig aufgelöst. Bewegung,<br />

Licht und Klang werden nicht mehr nur<br />

malerisch-plastisch simuliert, sondern als<br />

reale physikalische Gestaltungselemente<br />

eingebracht. Zu sehen sind Vibrationsbilder,<br />

Lichtreliefs, rotierende Objekte, Klangskulpturen,<br />

interaktive Arbeiten und andere<br />

kinetische Objekte, geschaffen von jungen,<br />

damals noch unbekannten Künstlern in<br />

Paris, Düsseldorf oder Mailand: Unter ihnen<br />

Jean Tinguely, Jesus Raphael Soto, Victor Vasarely,<br />

Bruno Munari, Yaakov Agam, Heinz<br />

Mack, Günther Uecker und Dieter Roth.<br />

Ausstellungsansicht Museum Haus Esters,<br />

Krefeld 2012. Foto: V. Döhne<br />

Die Ausstellung ist Paul Wember gewidmet,<br />

der als engagierter Kämpfer für die aktuelle<br />

Kunst über die Grenzen Deutschlands<br />

hinaus bekannt wurde. Als Direktor der<br />

Kunstmuseen Krefeld (1947 – 1975) zeigte<br />

er bereits in den 1950er und frühen 1960er<br />

Jahren gegen erhebliche Widerstände avantgardistische<br />

Künstler.<br />

Die Präsentation wird ergänzt durch eine<br />

Fotodokumentation der spannenden 28jährigen<br />

Ausstellungsarbeit von Paul Wember<br />

in Krefeld.<br />

Museum Haus Esters, Wilhelmshofallee<br />

97, Tel. 02151 975 58-0, geöffnet Di – So<br />

11 – 17 Uhr. www.kunstmuseenkrefeld.de


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Tagesnotiz<br />

Gestern bin ich mit dem Zug zur Verlags-<br />

Vollversammlung nach Frankfurt – hin<br />

und zurück – gefahren. Im Zug saß mir<br />

gegenüber ein Mann, der aussah wie<br />

ein höherer Beamter, aber wir fuhren ja<br />

zweiter Klasse. Ich glaube, ich redete ihn<br />

ziemlich unbefangen an. Vielleicht war<br />

das der Grund, dass er mir in Köln zum<br />

Abschied die Hand reichte.<br />

Ich erinnere mich vom Ende her: Ich<br />

war abends zur Abfahrt zu früh dort,<br />

wollte es, um ein bisschen allein zu sein,<br />

saß in dem riesigen Frankfurter Bahnhof<br />

auf einer Bank auf Bahnsteig 6. Um mich<br />

eine wimmelnde Menschenmenge.<br />

Die Frankfurter, dachte ich, sind ein<br />

eigener Typus. Ich meine, sie sehen aus<br />

wie Einzelkämpfer, die sich durchsetzen.<br />

Dagegen sehen die Bonner aus wie Studienräte<br />

und Ministerialbeamte (die es dort<br />

ja auch gibt), und wir Wuppertaler wie<br />

Bandwirker.<br />

Dazwischen dachte ich an die Fahrt am<br />

Rhein entlang zurück, die steilen Ufer,<br />

alte Häuser, schön zum Niederknien, die<br />

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Wohn- und Objektbeleuchtung<br />

Karlstraße 37 · 42105 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 2 44 34 40<br />

www.lichtbogen-wuppertal.de<br />

Hauptstraße 17<br />

42349 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 47 28 70<br />

www.nettesheim.com<br />

Sie erhalten<br />

Die Beste Zeit<br />

auch bei allen<br />

Inserenten dieser<br />

Ausgabe.<br />

Bücher Köndgen<br />

Werth 79 · 42103 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 24 800-50<br />

www.koendgen.de<br />

Friseursalon Capilli<br />

Heinrich Wermann-Bruschke<br />

Manteuffelstr. 2, 42329 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 30 13 22<br />

Immanuelskirche<br />

Wuppertal-Barmen<br />

42275 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 64 19 69<br />

www.immanuelskirche.de<br />

Burgen, die erinnerten Wanderungen<br />

mit Alfred, dort über die Höhen, der ein<br />

staubtrockener, unendlich treuer Freund<br />

war. Auch hier hatte mich soeben ein treuer<br />

Freund zum Bahnhof gebracht.<br />

Beim Hinweg zum Verlag heute Vormittag<br />

ging ich immer am Main entlang. Auf<br />

dem Rasen lagen Schläfer (verstreut wie im<br />

Afrikakrieg die Gefallenen in der Wüste);<br />

eine junge Frau schob einen modernen Bollerwagen<br />

(Gummireifen) an der Deichsel<br />

vor sich her, sie eilte im Geschwindschritt,<br />

mühelos, obwohl sauber aufgereiht sechs<br />

kleine Kinder in blauen Warnwesten darinsassen<br />

- ein putziger Anblick.<br />

Am erhöhten Ufer Häuser und Mietskasernen,<br />

viele mit Balkonen, die aussahen<br />

wie Drahtkörbe, hässlich. Ein Balkon, der<br />

nicht ins Mauerwerk integriert ist, wirkt<br />

fast immer wie eine Geschwulst.<br />

Zurück zum Bahnsteig. Ermüdet, ist es<br />

mir möglich, umzuschalten auf die Ebene,<br />

auf der uns keine kritische Betrachtung<br />

erreicht.<br />

Bahnhofsbuchhandlung im<br />

Barmer Bahnhof<br />

Winklerstraße 2 · 42283 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 59 53 85<br />

Friedrich-Ebert-Str. /<br />

Ecke Laurentiusstr. 12<br />

42103 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 30 40 01<br />

www.mackensen.de<br />

25 Jahre<br />

Ronsdorfer Bücherstube<br />

Christian Oelemann<br />

Staasstraße 11<br />

42369 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 2 46 16 03<br />

www.buchkultur.de<br />

In diesem Augenblick weiß ich alles.<br />

Wenn ich irgendwo hinblicke, kann<br />

ich alles sehen, was ich will. Dieses<br />

Alles spricht in Bildern eine gewaltige,<br />

eindringliche Sprache, deren Bilder jedes<br />

Gemälde übertreffen: Eine Stelle am<br />

Waldrand, Abendlicht leuchtet zwischen<br />

den Bäumen; oder der Morgen, das<br />

Spatzenkonzernt, das eifrige Hin- und<br />

Herfl iegen der Vögel; das Morgenlicht berührt<br />

den Fenstersims am Weißen Haus,<br />

der Präsident erscheint, ein Mensch mit<br />

Armen und Beinen – man sieht hier, ich<br />

weiß alles. Die Buddhisten sagen: „Es gibt<br />

keine Lösungen, weil es keine Probleme<br />

gibt.“<br />

Als ich zurückschalte, fallen mir viele<br />

Andere ein, den es schlecht ergeht, und<br />

mir fällt all das Abscheuliche ein, das<br />

geschehen ist und immer noch geschieht.<br />

Darauf weiß ich eigentlich nur die<br />

Antwort, dass es diese Welt besser nie<br />

gegeben hätte.<br />

Karl Otto Mühl<br />

77


Der Tipp für alle<br />

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Wir sind für Sie da!<br />

MobiCenter Barmen,<br />

Alter Markt 10 · 42275 Wuppertal<br />

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(Festnetz 0,09 €/Min.; Mobil max. 0,42 €/Min.)<br />

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