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Der Schwächste fliegt - Friedrich-Schiller-Universität Jena

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Stadt<br />

Elder Fock und<br />

Elder Speelman<br />

auf ihrem täglichenRundgang.<br />

KATHARINA<br />

SCHMIDT<br />

16<br />

„<br />

In täglicher Mission<br />

Unterwegs mit den Mormonen in <strong>Jena</strong><br />

Ich bin Elder Speelman. Wir sprechen<br />

Leute an, weil wir herausgefunden haben,<br />

dass es einen Sinn in diesem Leben<br />

gibt.“ Freundlich lächelnd, die Hände gefaltet,<br />

schaut der junge Mann seinem Gegenüber<br />

in die Augen. Sein Kollege, Elder<br />

Fock, steht daneben und schmunzelt<br />

zurückhaltend. Beide sehen seriös und<br />

konservativ aus in ihren schwarzen Stoffhosen<br />

und den Schlipsen, die aus den<br />

Wetterjacken gucken. Vorne an die Jacke<br />

ist ihr schwarzes Namensschildchen geheftet:<br />

Kirche Jesu Christi der Heiligen der<br />

letzten Tage. Beide sind mormonische<br />

Missionare und beginnen heute ihren<br />

Werbegang vor ihrem Gemeindezentrum<br />

am Teichgraben mitten im Stadtzentrum<br />

<strong>Jena</strong>s.<br />

Elder Speelman ist ins Mormonentum<br />

hineingewachsen. Er stammt aus Idaho<br />

und entschied sich dafür, zwei Jahre lang<br />

als Missionar tätig zu sein. „Das ist kein<br />

Zwang“, sagt er, es sei aber eindeutig erwünscht.<br />

Seinen Bestimmungsort – Ostdeutschland<br />

– hat sich der Zwanzigjährige<br />

genauso wenig ausgesucht wie sein<br />

Begleiter Elder Fock, der aus Hamburg<br />

stammt. Vielmehr wurden sie berufen:<br />

<strong>Der</strong> Prophet und Kirchenpräsident betete<br />

über ihren Zielort. Während sie durchs<br />

Damenviertel laufen, erzählen sie, dass<br />

es ihnen hier aber durchaus<br />

gefällt.<br />

Als eine Mutter mit ihrem<br />

Kind die Straße „Am Planetarium“<br />

heruntergelaufen<br />

kommt, halten sie inne.<br />

Und wieder: „Guten Tag,<br />

ich bin Elder Speelman.“<br />

Wieder lächeln beide. Wie-<br />

der erzählen sie, dass sie herausgefunden<br />

haben, dass Gott wirklich da ist; dass er<br />

einen Plan für uns alle hat; dass wir alle<br />

eine Aufgabe auf der Erde haben. Und diese<br />

Aufgabe verlangt den beiden während<br />

ihrer Missionszeit einiges ab: Sie legen für<br />

zwei Jahre ihren eigentlichen Vornamen<br />

ab und werden zu „Elder“. Sie leben fern<br />

von ihrer Familie und dürfen diese nicht<br />

sehen. Nur zweimal im Jahr dürfen sie mit<br />

ihr telefonieren, einmal in der Woche E-<br />

Mails schreiben, Briefe immer. Die Stadt,<br />

in der sie missionieren, kann alle sechs<br />

Wochen wechseln – Elder Speelman war<br />

bereits in Prenzlau, Zwickau und Nordhausen.<br />

Sobald der Missionspräsident in<br />

Berlin, der für die Mission Ostdeutschland<br />

zuständig ist, einen Städtewechsel<br />

ankündigt, ziehen sie um – auch wenn<br />

es ihnen in der Stadt gefällt. „Wir können<br />

ja wiederkommen, wenn unsere Zeit<br />

als Missionar vorbei ist“, berichtet Elder<br />

Fock. Dann könne man auch machen,<br />

was man will.<br />

Zügigen Schrittes marschieren die beiden<br />

durch <strong>Jena</strong>. „Wir sind heute bis 21.00 Uhr<br />

unterwegs“, erzählen sie. Im Moment ist<br />

es gerade einmal 12.00 Uhr. Außerdem<br />

sieht es nach Regen aus, es ist kalt und<br />

ungemütlich. Schlafwetter eigentlich.<br />

Den beiden Missionaren hat das egal zu<br />

sein: Wie immer sind sie um 6.30 Uhr<br />

aufgestanden, haben ihren Morgensport<br />

absolviert, die Bibel studiert, sich darüber<br />

ausgetauscht und Sprachunterricht bekommen.<br />

Nur der Montag ist frei von Terminen:<br />

An diesem Tag wird die Woche<br />

geplant, sie können E-Mails schreiben<br />

oder Sehenswürdigkeiten besuchen. Auf<br />

dem Weg nach Zwätzen sind nicht viele<br />

Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der<br />

letzten Tage ist eine der größten Glaubensgemeinschaften<br />

der Welt. Sie geht,<br />

wie auch andere Gruppierungen, aus dem<br />

Wirken Joseph Smiths hervor, des Gründervaters<br />

des Mormonentums. Mormonen<br />

bezeichnen sich als Christen, jedoch gibt es<br />

einige Unterschiede zum „herkömmlichen“<br />

Christentum: Neben der Bibel haben Mormonen<br />

noch andere Heilige Schriften, darunter<br />

das Buch Mormon. Die Kindstaufe<br />

wird erst im Alter von acht Jahren vollzogen,<br />

auch eine Totentaufe ist möglich. Gläubigen<br />

ist es verboten, Alkohol, Kaffee, schwarzen<br />

Tee oder Tabak zu konsumieren. <strong>Der</strong> Kontakt<br />

zu aus der Religion Ausgestiegenen ist<br />

Mitgliedern der Kirche untersagt. In Tem-<br />

Menschen unterwegs, und so haben die<br />

beiden Zeit, noch ein bisschen zu plaudern.<br />

Bevor ihre Zeit als Elder begann,<br />

besuchten sie eine Missionarsschule.<br />

Dort bekamen sie, wie im Fall von Elder<br />

Speelman, Unterricht in der Landessprache,<br />

studierten ihre Heiligen Schriften<br />

und lernten auf Menschen zuzugehen<br />

und mit ihnen zu sprechen. „Damit es<br />

nicht komisch ist“, sagt Elder Speelman<br />

und lacht. Träfe man ihn einfach so auf<br />

der Straße – die beiden versichern, dass<br />

sie auch zivile Kleidung haben –, würde<br />

er wohl nicht in das ernste, strenge, landläufig<br />

verbreitete Bild eines Mormonen<br />

passen. Er macht Scherze, singt vor sich<br />

hin und lacht viel.<br />

Doch dieses betont freundliche Auftreten<br />

zeigt nicht bei jedem Wirkung. Elder<br />

Speelman erzählt von einem anderen Missionar,<br />

der schon zweimal zusammengeschlagen<br />

wurde. Nicht jeder kann seinen<br />

Unmut angemessen artikulieren, wenn<br />

Mormonen an der Haustür klingeln oder<br />

einen an der Ampel in ein Gespräch verwickeln.<br />

Pro Tag sprechen nur etwa fünf<br />

bis sieben Leute überhaupt länger mit ihnen.<br />

Heute Mittag hört nur eine Passantin<br />

aufmerksam zu – sie selbst ist Anhängerin<br />

der Zeugen Jehovas. Als Elder Fock einen<br />

Mann anspricht und davon erzählt, dass<br />

er herausgefunden hat, dass es einen Sinn<br />

im Leben gibt, reagiert dieser ungehalten:<br />

„Für mich aber nicht!“ Davon lassen sich<br />

die beiden nicht die Laune verderben.<br />

Höchstens ein bisschen. „Aber dann kaufen<br />

wir ein Eis und der Tag ist besser“, gibt<br />

Elder Speelman mit einem Grinsen zu.<br />

Anna Zimmermann<br />

peln vollziehen die für würdig befundenen<br />

Mitglieder geheime Zeremonien, über die<br />

sie außerhalb des Tempels nicht sprechen<br />

dürfen. Nichtgläubigen ist der Zutritt untersagt.<br />

Die Kirche Jesu Christi ist nur in zwei<br />

Bundesländern eine Körperschaft des öffentlichen<br />

Rechts, von anderen Christen wird sie<br />

teilweise als Sekte betrachtet. Da es sich um<br />

eine bekehrende Kirche handelt, wird den<br />

jungen Männern im Alter zwischen 19 und<br />

25 Jahren angeraten, für zwei Jahre zu missionieren.<br />

Diese Mission wird selbstständig<br />

finanziert. Dazu sparen die Missionare über<br />

Jahre möglichst viel Geld und überweisen<br />

es als Spende an die Kirche. Während ihrer<br />

Tätigkeit werden anfallende Kosten von der<br />

Kirche getragen. (zim)

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