Supervision und Kollegiale Beratung im Rettungsdienst - Parallels!

Supervision und
Kollegiale Beratung im
Rettungsdienst
Diplomarbeit
Hochschule Mannheim – Fakultät Sozialwesen
Paul-Wittsack-Str. 10
68163 Mannheim
vorgelegt bei
Erstprüfer: Prof. Dr. phil. Richard Utz
Zweitprüfer: Prof. Dr. phil. Rainer Kilb
von
Simon Schönecker
Kirchenstraße 4
68794 Oberhausen
Matrikelnummer 613043
9. Semester
Sommersemester 2010
1

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ..................................................................................................................... 2
Abstract .................................................................................................................................... 4
Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................ 5
Einleitung ................................................................................................................................. 6
I Das deutsche Rettungsdienstsystem ....................................................................................... 8
1. Rettungsmittel und deren Besatzung .............................................................................. 10
1.1 Fahrzeuge im Rettungsdienst ................................................................................... 10
1.2 Berufsgruppen im Rettungsdienst Baden-Württemberg ........................................... 11
1.3 Psychosoziale Unterstützungskomponenten im Rettungsdienst ............................... 17
1.4 Vom Notruf zum eintreffenden Rettungsmittel ........................................................ 19
II Supervision und Kollegiale Beratung ................................................................................. 20
1. Der weitgefasste Begriff Supervision und deren Gegenstand ........................................ 20
1.1 Supervisionsinhalte .................................................................................................. 22
1.2 Beratungsaufgaben von Supervision ........................................................................ 23
1.3 Der institutionelle Rahmen von Supervision ............................................................ 24
1.4 Supervisorische Beziehungen ................................................................................... 25
1.5 Ziele von Supervision ............................................................................................... 26
2. Kollegiale Beratung ........................................................................................................ 27
2.1 Merkmale der Kollegialen Beratung ........................................................................ 27
2.2 Anwendungsfelder und Themen der Kollegialen Beratung ..................................... 29
2.3 Ziele und Nutzen Kollegialer Beratung .................................................................... 31
3. Abgrenzung von Supervision zu Kollegialer Beratung .................................................. 33
III Forschungsdesign ‚rettungsdienstlicher Alltag‘ ................................................................ 35
2

Inhaltsverzeichnis
1. Methode ‚Problemzentriertes Interview‘ ........................................................................ 35
2. Fragestellung .................................................................................................................. 38
3. Sampling ......................................................................................................................... 40
4. Vorbereitung und Durchführung der Interviews ............................................................ 40
5. Methodenkritik ............................................................................................................... 41
IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland ................................................. 43
1. Beschreibung der Rettungsdienstmitarbeiter .................................................................. 43
2. Motivation zur Arbeit im Rettungsdienst und ‚Faszination Rettungsdienst‘ ................. 46
3. Problemlagen im Rettungsdienst .................................................................................... 52
3.1 Schattenseiten des Berufes ....................................................................................... 52
3.2 Der ‚schiefgelaufene‘ Einsatz ................................................................................... 63
3.3 Konsequenzen aus den Problemlagen für das Rettungsfachpersonal: Frustration,
Demotivation, Burnout ................................................................................................... 65
4. Coping-Strategien der RD-Mitarbeiter ........................................................................... 67
5. Psychosoziale Unterstützung - Was ist installiert? ......................................................... 69
V Supervision und Kollegiale Beratung im Rettungsdienst ................................................... 73
Literatur- und Quellenverzeichnis .......................................................................................... 78
Anlage 1: Interviewleitfaden .................................................................................................. 80
Anlage 2: Interviews .............................................................................................................. 81
3

Abstract
Abstract
Die Diplomarbeit beschreibt den deutschen Rettungsdienst und dessen Akteure.
Die Akteure, das Rettungsfachpersonal sind in ihrer täglichen Arbeit vielen
Belastungen, seien sie psychischer oder physischer Art, ausgesetzt. Daraus resultiert,
dass aus zunächst hoch motivierten, jungen Mitarbeitern erfahrene, aber oftmals
ausgebrannte Rettungsdienstler werden. Die Belastungen und die negative
Persönlichkeitsentwicklung der Rettungsdienstler werden in dieser Arbeit näher
dargestellt. Letztendlich werden Möglichkeiten zur Aufarbeitung der täglichen
Belastungen im Rettungsdienst in Form von Supervision und Kollegialer Beratung
aufgezeigt.
4

Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abs. Absatz
ASB Arbeiter Samariter Bund e.V.
DIN Deutsche Industrie Norm
DLRG Deutsche-Lebens-Rettungs Gesellschaft e.V.
DRK Deutsches Rotes Kreuz e.V.
e.V. eingetragener Verein im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches
ebd. ebenda
EN Europäische Norm
et al. und andere
etc.
und so weiter
gem. gemäß
GG Grundgesetz
ggf. gegebenenfalls
i.d.R in der Regel
IHK Industrie- und Handelskammer
ILS Integrierte Leitstelle
JUH Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.
KTW Krankentransportwagen
LRA Lehrrettungsassistent
MHD Malteser Hilfsdienst e.V.
NEF Notarzteinsatzfahrzeug
PSU Psychosoziale Unterstützung
RDG Rettungsdienstgesetz
RettAss Rettungsassistent
RettAssG Rettungsassistentengesetz
Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die
RettAssPrV Rettungsassistentenausbildung
RD
Rettungsdienst
RLS Rettungsleitstelle
RS Rettungssanitäter
RTW Rettungstransportwagen
sog. sogenannte
u.a. unter anderem
vgl. vergleiche
z.B. zum Beispiel
5

Einleitung
Einleitung
Das deutsche Rettungsdienstsystem gilt als eines der fortschrittlichsten in der Welt.
Daher lassen viele ausländische Rettungsdienste ihr Personal an deutschen Schulen
für Rettungsfachpersonal ausbilden. Junge Menschen sind von der Tätigkeit im
Rettungsdient fasziniert und lassen sich zu Fachpersonal ausbilden. Doch bei
genauerer Betrachtung erkennt man, dass wenige Rettungsdienstler bis ins
Rentenalter aktiv im Rettungsdient arbeiten. Andere betreiben die rettungsdienstliche
Tätigkeit als Hobby oder zur Finanzierung weiterer Ausbildungs- bzw.
Studiengänge.
In meiner nun neun Jahre umfassenden Tätigkeit im Rettungsdienst, zunächst als
Rettungssanitäter, dann als Rettungsassistent, konnte ich genau diese Beobachtung
machen: viele junge, motivierte Mitarbeiter, wenige ältere und viele frustrierte
Mitarbeiter im mittleren Alter.
Wie kommt es zu solch einer Entwicklung vom jungen motivierten zum frustrierten,
älteren und erfahrenen Rettungsdienstler? Warum arbeiten die Jungen gerne im
Rettungsdienst, aber nehmen weitere Ausbildungs- oder Studiengänge auf und
betreiben dann Rettungsdienst lediglich als Hobby weiter?
Diese Tatsachen resultieren aus meiner Sicht vor allem aus den verschiedenen
Belastungen, denen das Rettungsfachpersonal ausgesetzt ist und den fehlenden
Aufarbeitungsmöglichkeiten dieser Belastungen.
Dies soll die vorliegende Arbeit veranschaulichen und Vorbeugemöglichkeiten
gegen die Entwicklung vom jungen, motivierten zum älteren, ausgebrannten Helfer
in Form von Supervision und Kollegialer Beratung im Rettungsdienst aufzeigen.
Im ersten Kapitel wird der deutsche Rettungsdienst in seiner Organisation und
Struktur anhand des Beispiels Rettungsdienst in Baden-Württemberg dargestellt.
Zunächst erhält der Leser einen Überblick von den im Rettungsdienst eingesetzten
Rettungsmitteln. Danach werden die personellen Qualifikationen erläutert, welche im
Rettungsdienst eingesetzt werden. Ebenfalls werden die Inhalte der Ausbildung der
Ausbilder des Rettungsfachpersonals dargestellt. Es folgt eine Beschreibung von
6

Einleitung
angestrebten oder bereits installierten psychosozialen Unterstützungskonzepten. Zum
besseren Verständnis der weiteren Arbeit wird schließlich noch auf die Alarmierung
der Rettungsmittel durch eine Rettungsleitstelle eingegangen.
Supervision und Kollegiale Beratung sind das Thema des zweiten Kapitels. Beide
Begriffe werden definiert, in ihren Settings, ihrer Zielsetzung und deren Merkmale
beschrieben. Danach folgt eine Abgrenzung der beiden Begriffe voneinander.
Ein Hauptbestandteil dieser Arbeit ist die Befragung von Rettungsfachpersonal durch
ein Problemzentriertes Interview. Die Methode und die Begründung der
Methodenwahl sind im dritten Kapitel erklärt.
Danach folgt die Auswertung der Interviews im vierten Teil. Die Befragten schildern
die Faszination die vom Rettungsdienst ausgeht; erklären ihre Motivation zur Arbeit
im Rettungsdienst, diskutieren aber auch die Schattenseiten ihres Berufes und wie sie
damit umgehen.
Der letzte, fünfte Teil verbindet alle vorherigen Kapitel miteinander. Darin wird
beschrieben welche Anwendungsmöglichkeiten von Supervision und Kollegialer
Beratung im Rettungsdienst existieren und welche Möglichkeiten sich daraus für das
Rettungsfachpersonal entstehen, aber die sich auch für die Arbeitgeber ergeben
könnten.
Zur besseren Lesbarkeit und dem besseren Verständnis wurde auf das Nennen beider
Geschlechter verzichtet. Es sind dennoch immer beide Geschlechter gemeint.
7

I Das deutsche Rettungsdienstsystem
I Das deutsche Rettungsdienstsystem
‚Rettungsdienst‘, für viele ein gleichermaßen klarer wie unklarer Begriff. Jeder kann
sich darunter etwas vorstellen. Doch fragt man genauer nach, so können die meisten
Menschen mit Rettungsdienst lediglich Blaulicht, Martinshorn, Autos mit rotem
Kreuz und vielleicht den Film ‚Flatliners‘ assoziieren. Sicherlich prägt auch die
Darstellung des Rettungsdienstes in amerikanischen Filmen die Meinung der breiten
Bevölkerung.
Der Rettungsdienst und die damit verbundene Notfallmedizin entwickeln sich stetig
weiter; gerade die Richtlinien zur Reanimation werden alle fünf Jahre von Kuratorien
überarbeitet und entsprechend durch die Verbände dem rettungsdienstlichen
Personal, aber auch den Laienhelfern mittels Schulungen nähergebracht. Trotz
internationaler Standards, z.B. die Reanimation nach den Guidelines 2005 1 oder der
Traumaversorgung nach PHTLS 2 , ist der Rettungsdienst international
unterschiedlich. Die größten Unterschiede gibt es vor allem bei der Ausbildung und
den Kompetenzen des rettungsdienstlichen Fachpersonals, aber auch bei der
Besetzung von Rettungsmitteln. In den englisch-sprachigen Ländern ist eine
notfallmedizinische Versorgung durch Paramedics üblich. In der Schweiz und in
Österreich sind diese Paramedics oder national Diplom-Rettungssanitäter (HF) bzw.
Notfallsanitäter weitestgehend ohne Notärzte tätig. In Deutschland existiert ein
Rettungsdienstsystem in dem Rettungsfachpersonal die notfallmedizinische
Erstversorgung von Patienten übernimmt. Bei bestimmten Einsatzstichworten und
Notfallgeschehen, z.B. „Reanimation 3 “, „bewusstloser Patient“, „Herzinfarkt“, oder
„schwerer Verkehrsunfall“, etc. werden Notärzte bodengebunden oder per Helikopter
parallel mit dem Rettungsfachpersonal an den Einsatzort von der zuständigen
Leitstelle entsendet 4 .
1 Nach Richtlinien der ILCOR (International Liaison Committee on Resuscitation)
2 PHTLS – Pre Hospital Trauma Life Support – ein internationaler Standard zur präklinischen
Versorgung von körperlich traumatisierten Patienten.
3 Wiederbelebungsversuch von Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand
4
Im Jahr 2009 wurde das Rettungsfachpersonal im Rettungsdienstbereich Karlsruhe bei 69% der
Notfälle primär ohne Notarzt alarmiert. Vgl. Notfallhilfe-Statistik DRK OV Oberhausen-Rheinhausen.
8

I Das deutsche Rettungsdienstsystem
Das Grundgesetzt räumt den bundesrepublikanischen Ländern eine weitreichende
Gesetzgebungskompetenz ein 5 . Aufgrund des Föderalismus existieren in
Deutschland 16 verschiedene Rettungsdienstgesetze.
Die Qualifikationen der am Rettungsdienst beteiligten Berufsgruppen sind dennoch
bundeseinheitlich geregelt 6 . Lediglich die Besetzung der Rettungsmittel weist
Unterschiede auf.
Strukturell kann man von einem ‚Nord-Süd-Gefälle‘ sprechen. In Norddeutschland
überwiegen öffentliche Träger des Rettungsdienstes, z.B. Landkreise und
Feuerwehren. Im Süden übernehmen traditionell die Hilfsorganisationen DRK, ASB,
MHD und JUH in Delegation 7 den Rettungsdienst.
Die folgenden Abschnitten und Erklärungen orientieren sich am Beispiel der
Organisation des Rettungsdienstes in Baden-Württemberg.
Gem. § 1 des Landesrettungsdienstgesetzes Baden-Württemberg ist es die Aufgabe
des Rettungsdienstes eine „bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit
Leistungen der Notfallrettung und des Krankentransportes zu sozial tragbaren
Benutzungsentgelten“ sicherzustellen. Hierin zeigt sich die Trennung von
Notfallrettung und Krankentransporten. Als Notfallrettung bezeichnet man die
Erhaltung des Lebens von Notfallpatienten bzw. deren Schutz vor weiteren
gesundheitlichen Schäden, die darüber hinaus gehende Herstellung deren
Transportfähigkeit und den anschließenden Transport durch medizinisches
Fachpersonal in eine geeignete Versorgungseinrichtung 8 (also in ein geeignetes
Krankenhaus, zu Fachärzten oder ggf. zu anderen Behörden). In der Notfallrettung
werden also immer vital gefährdete Patienten versorgt.
Im Krankentransport werden Kranke, Verletzte und sonstige hilfsbedürftige Personen
unter fachlicher Betreuung ohne vitale Gefährdung befördert 9 . Klassisch sind dies
5 Vgl. Art. 30 GG
6 Ausbildung zum Rettungssanitäter nach dem 520-Stunden-Programm und zum Rettungsassistenten
nach dem Rettungsassistentengesetz (RettAssG) vom 10. Juli 1989.
7 Vgl. §2 Abs. 1 RDG Baden-Württemberg
8 Vgl. § 1 Abs. 2 RDG Baden-Württemberg
9 Vgl. § 1 Abs. 3 RDG Baden-Württemberg
9

I Das deutsche Rettungsdienstsystem
Transporte von z.B. nicht gehfähigen Patienten, Abklärung von vermuteten
Frakturen bei Röntgenärzten, Transport von Patienten zur Katheter-neu-Anlage, etc.
1. Rettungsmittel und deren Besatzung
Das Rettungsdienstgesetz Baden-Württemberg unterscheidet grundsätzlich den
bodengebundenen Rettungsdienst vom Rettungsdienst zu Wasser und in der Luft. Im
Wesentlichen werden die Vorgaben zum bodengebundenen Rettungsdienst
angesprochen. Eine Unterscheidung von Rettungsdienst zu Regelrettungsdienst 10
wird hier nicht getroffen.
1.1 Fahrzeuge im Rettungsdienst
Notfallpatienten können ihre akute Situation nicht immer richtig einschätzen.
Notfälle können an jedem Ort und zu jeder Zeit passieren. So können die
Notfallpatienten i.d.R. nicht mehr aus eigener Kraft eine geeignete Versorgungsstelle
aufsuchen. Daher wurden Normen und Gesetze zur Bereitstellung der Fahrzeuge für
einen adäquaten Patiententransport verabschiedet. Folgend wird kurz auf die
gängigen, bodengebundenen Rettungsmittel eingegangen.
Krankentransportwagen
Krankentransportwagen sind nach der DIN EN 1789 Typ A entsprechend
ausgerüstete Fahrzeuge, welche für Krankentransporte gem. § 1 Abs. 3 RDG Baden-
Württemberg vorgesehen sind. Diese Fahrzeuge sind personell mit mindestens einem
Rettungssanitäter und einer weiteren, geeigneten Person zu besetzen 11 .
10
Originäre Notfallrettung ohne den Blick auf Krankentransport, Auslandsrückholungen und
Sanitätsdienste.
11
Vgl. § 9 Abs. 2 RDG Baden-Württemberg
10

Rettungswagen
I Das deutsche Rettungsdienstsystem
Die im Sinne von § 1 Abs. 2 RDG Baden-Württemberg eingesetzten Rettungswagen
entsprechen in der Ausrüstung entweder der DIN EN 1789 Typ B
„Notfallkrankenwagen“, oder der DIN EN 1789 Typ C „Rettungswagen“.
Sie sind mit mindestens einem Rettungsassistenten und einer weiteren geeigneten
Person zu besetzen 12 .
Notarzteinsatzfahrzeug
Das Notarzteinsatzfahrzeug (DIN 75079) dient der Zuführung eines für den
Rettungsdienst qualifizierten Arztes 13 (folgend Notarzt genannt) an einen
Schadensort bzw. dessen Zubringen zum Notfallpatienten. Neben dem Notarzt ist das
Notarzteinsatzfahrzeug mit einem Rettungsassistenten „oder einer gleich geeigneten
Person“ 14 (Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin, z.B. NEF der
Universitäts-Chirurgie Heidelberg) zu besetzen.
1.2 Berufsgruppen im Rettungsdienst Baden-Württemberg
Grundsätzlich kann man das rettungsdienstliche Personal in ärztliches und
nichtärztliches unterteilen. An dieser Stelle wird die Ausbildung bzw. dessen Inhalt
des nichtärztlichen, rettungsdienstlichen (Fach-)Personals näher beschrieben. Die
folgend genannten Ausbildungen finden in Bildungszentren von Hilfsorganisationen
oder privaten Trägern statt. Rettungsassistenten werden grundsätzlich an staatlich
anerkannten Schulen 15 von privaten oder öffentlichen Trägern (z.B.
Feuerwehrlandesschulen) und von Hilfsorganisationen ausgebildet. Die Lehrkräfte
an diesen Schulen sind in der Regel erfahrene Rettungsassistenten mit verschiedenen
12
Vgl. § 9 Abs. 2 RDG Baden-Württemberg
13
Gem. § 10 Abs. 1 RDG Baden-Württemberg
14
§ 9 Abs. 1 RDG Baden-Württemberg
15
Kurtenbach/Gorgaß/Raps; Rettungsassistentengesetz mit Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für
Rettungsassistentinnen und –assistenten, Kommentar; Kohlhammer, S. 73
11

I Das deutsche Rettungsdienstsystem
nicht geregelten pädagogischen Qualifikationen. Im Verlauf wird genauer auf die
bisher häufigste pädagogische Weiterbildung zum „Lehrrettungsassistenten“
eingegangen. Grundsätzlich finanziert das Fachpersonal seine spezifischen
Qualifikationen selbst. Ausnahmen hiervon sind die Ausbildungen zum
Rettungshelfer oder Rettungssanitäter, die bei Personen, welche ein Freiwilliges
Soziales Jahr oder ihren Zivildienst absolvieren, von den entsendenden
Organisationen übernommen werden. Auch die Kosten der Ausbildung zum
Rettungsassistenten können in bestimmten Fällen als Berufsförderungsmaßnahmen
durch die Bundesagentur für Arbeit übernommen werden. Weitere Ausnahmen sind
Berufsfeuerwehrleute und Sanitätssoldaten, welche von ihren Dienststellen zur
Ausbildung im medizinischen Bereich abgestellt sind. An den Baden-
Württembergischen Rettungsdienstschulen belaufen sich die Kosten für eine
Rettungssanitäterausbildung auf ca. 2000,- Euro und die für einen
Rettungsassistentenlehrgang je nach Lehrgangsform auf bis zu 5000,- Euro.
Vorgeschriebene Ausbildungspraktika in Kliniken sind unter Umständen ebenfalls
kostenpflichtig, d.h. die vorgeschriebenen Ausbildungsstunden an Kliniken werden
durch das angehende Rettungsfachpersonal bezahlt.
Geeignete Person
Die im § 9 Abs. 1 RDG Baden-Württemberg geeignete Person 16 wird in ihrer
Ausbildung nicht näher beschrieben. So verfügt die weitere geeignete Person
bestenfalls über eine Rettungsassistentenausbildung. Andere Auslegungen des
Paragraphen z.B. aufgrund von finanziellen Überlegungen sind dennoch möglich. So
wäre ein „worst-case“ Szenario die Besetzung eines Rettungsmittels mit einem
Rettungsassistenten auf einem RTW bzw. einem Rettungssanitäter auf dem KTW
und einer weiteren Person, welche lediglich über einen Führerschein und demnach
über eine sechs Stunden andauernde Schulung der Lebensrettenden
Sofortmaßnahmen 17 verfügt. Bei diesem Szenario wäre auf dem jeweiligen
16
Also die zusätzliche - zu den Mindestbesetzungen von Rettungswagen und Krankentransportwagen
nach § 9 Abs. 2 RDG Baden-Württemberg - eingesetzte Person.
17
Gem. den gemeinsamen Grundsätzen der BAGEH
12

I Das deutsche Rettungsdienstsystem
Rettungsmittel nur eine Person mit rettungsdienstlicher Qualifikation zugegen. In
einigen Rettungsdienstbereichen werden Sanitäter 18 als geeignete Personen
eingesetzt. In anderen Rettungsdienstbereichen ist die (über das Gesetz
hinausgehende) Mindestqualifikation zur Teilnahme am Rettungsdienst die des
Rettungshelfers.
Rettungshelfer 19
Rettungshelfer sollten die niedrigste Qualifikation des nicht-ärztlichen
Rettungsdienstpersonals haben 20 . Für die Ausbildung zum Rettungshelfer bestehen
keine gesetzlichen Regelungen 21 . Der Titel ist daher auch nicht rechtlich geschützt
und die Hilfsorganisationen bilden Rettungshelfer unterschiedlich aus. In der Regel
lernen aber die Rettungshelfer die gleichen Inhalte wie die Rettungssanitäter,
absolvieren allerdings nicht die gleiche Stundenzahl an Praktika und besuchen keine
Abschlusswoche. So verfügen Rettungshelfer in der Regel über eine medizinische
und rettungsdiensttaktische Ausbildung im Umfang von 320 Stunden 22 .
Rettungssanitäter nach 520-Stunden-Programm 23
Vor der Einführung des Rettungsassistentengesetzes am 10. Juli 1989 stellte der
Rettungssanitäter die höchste nicht-ärztliche Qualifikation im Rettungsdienst dar. Ein
Rettungssanitätergesetz gab es vorher und gibt es seither allerdings nicht. Der Begriff
des „Rettungssanitäters“ ist damit keine Berufsbezeichnung. Das 520-Stunden-
18 Mit einer Mindestausbildung von 12 Stunden in Erster-Hilfe und einer aufbauenden 18-stündigen
Sanitätsschulung nach den gemeinsamen Grundsätzen der BAGEH und zusätzlicher
organisationsabhängiger, bis zu 30 Stunden dauernder Schulung.
19 Vgl. Hündorf/Lipp (Hrsg.); Der Lehrrettungsassistent, Lehrbuch für Ausbilder im Rettungsdienst;
Edewecht/Wien: S&K 2003, S. 185
20 Vgl. Kühn/Luxem/Runggaldier (Hrsg.); Rettungsdienst; 1. Auflage, München: Urban & Fischer
1998, S. 662/674
21 Ausnahmen bestehen in Nordrhein-Westfalen und Hessen im Gegensatz zu den anderen
Bundesländern v.a.im Ausbildungsumfang.
22
Vgl. Kühn/Luxem/Runggaldier (Hrsg.); Rettungsdienst; 1. Auflage; München: Urban & Fischer
1998, S. 674
23
Vgl. Hündorf/Lipp (Hrsg.); Der Lehrrettungsassistent, Lehrbuch für Ausbilder im Rettungsdienst;
Edewecht/Wien: S&K 2003, S. 184 f.
13

I Das deutsche Rettungsdienstsystem
Programm zur Ausbildung der Rettungssanitäter wurde vom Bund-Länder-
Ausschuss „Rettungswesen“ im September 1977 beschlossen und findet seitdem
Anwendung. Dadurch ist eine einheitliche Mindestausbildung in allen Ländern
gewährleistet. Die 520-stündige Ausbildung gliedert sich in einen 160 Stunden
umfassenden Schulblock, indem alle relevanten medizinischen und taktischen
(rettungsdienstliche Einsatztaktik) Themen vermittelt werden. Im Anschluss daran
absolvieren die angehenden Rettungssanitäter ein 160-stündiges Klinikpraktikum
und ein ebenso langes Praktikum auf einer Rettungswache. Die Ausbildung schließt
mit einer 40-stündigen Prüfungswoche ab. Rettungssanitäter können sich ihre
Ausbildung nach dem Rettungsassistentengesetz 24 in vollem Umfang bei der
Ausbildung zum Rettungsassistenten anrechnen lassen.
Rettungsassistent
„Rettungsassistent“ ist eine anerkannte Berufsbezeichnung, die zu führen eine
vorherige Erlaubnis bedingt 25 . Die Erlaubnis wird u.a. nach der Teilnahme an einem
Lehrgang und dem Bestehen der Prüfung erteilt 26 . Der Rettungsassistent soll nach
einer mindestens 1200 Stunden umfassenden theoretischen Ausbildung 27 und einer,
nach der staatlichen Prüfung begonnenen, mindestens 1600 stündigen praktischen
Tätigkeit 28 in der Lage sein, lebensrettende Maßnahmen bei Notfallpatienten
durchzuführen 29 . Des Weiteren besteht das Ausbildungsziel darin, den
Rettungsassistenten als Helfer des Arztes so zu qualifizieren, dass er die
lebenswichtigen Körperfunktionen eines Patienten auf Transporten aufrecht erhalten
kann 30 . Die genauen Ausbildungsinhalte sind gem. § 10 RettAssG in der
„Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Rettungsassistentinnen und
Rettungsassistenten (RettAssAPrV)“ festgelegt.
24
Gem. § 8 Abs. 2 RettAssG
25
Vgl. § 1 RettAssG
26
Vgl. § 2 Abs. 1 RettAssG
27 Vgl. § 4 RettAssG
28 Vgl. § 7 Abs. 1 RettAssG
29 Vgl. § 3 RettAssG
30 Ebd.
14

I Das deutsche Rettungsdienstsystem
Die schulische Ausbildung von Rettungsassistenten ist breit gefächert und vermittelt
medizinische, sowie einsatztaktische und darüber hinaus gesellschaftspolitische,
bzw. berufsbezogene, sowie juristische Themen. Im praktischen Jahr werden die
schulischen Kenntnisse angewendet und gefestigt.
Trotz der umfangreichen Ausbildungsinhalte ist die Rettungsassistentenausbildung
keine duale Ausbildung, d.h. die Schüler müssen die anfallenden Schulkosten selbst
tragen. Im praktischen Jahr fungieren die „Rettungsassistenten im Praktikum“ als
Auszubildende und bekommen, sofern dieser Ausbildungsteil hauptamtlich
absolviert wird, eine entsprechende Vergütung.
Die o.g. Regel- bzw. Vollzeitausbildung gem. §§ 4 und 7 RettAssG kann durch
verkürzte Ergänzungslehrgänge für Krankenpflegepersonal 31 , verkürzte
Sonderlehrgänge für Rettungssanitäter 32 , oder durch verkürzte Sonderlehrgänge für
Sanitätsbeamte der Bundespolizei bzw. Sanitätssoldaten der Bundeswehr 33 ersetzt
werden.
Lehrrettungsassistenten
Die schulische Ausbildung von Rettungsassistenten erfolgt durch im Rettungsdienst
erfahrene Ärzte, Rettungsassistenten, oder wird in speziellen Fächern von
Rettungsdienst-fremden Fachdozenten übernommen 34 . Die praktische Tätigkeit des
angehenden Rettungsfachpersonals findet unter Aufsicht eines Rettungsassistenten 35
statt.
In der Rettungsassistentenausbildung werden keine Inhalte der Wissensvermittlung
(etwa ‚Methodik-Didaktik für Rettungsfachpersonal‘) gelehrt. Daher wurden durch
die ausbildenden Stellen verschiedene Weiterbildungen konzipiert. Bundesweit
31
Vgl. § 8 Abs. 3 RettAssG
32
Vgl. § 8 Abs. 2 RettAssG
33
Vgl. § 8 Abs. 4 RettAssG
34
In Abstraktion des § 5 Abs. 1 4. RettAssAPrV
35 Vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 RettAssG
15

I Das deutsche Rettungsdienstsystem
durchgesetzt hat sich hierbei die 120 Unterrichtseinheiten umfassende Ausbildung
zum „Lehrrettungsassistenten“ 36 . Darüber hinaus gibt es noch verschiedene
Qualifikationsprogramme, die allerdings wegen ihres zeitlichen oder finanziellen
Aufwands noch wenig akzeptiert werden 37 .
Lehrrettungsassistenten sind Rettungsassistenten, die das 24. Lebensjahr vollendet
haben und über eine mindestens zweijährige Erfahrung im Rettungsdienst verfügen.
Zur Teilnahme am Lehrgang muss ein polizeiliches Führungszeugnis abgegeben
werden. Der Lehrgang schließt mit einer Prüfung ab 38 .
Gemäß der Bundesagentur für Arbeit koordinieren und leiten
„Lehrrettungsassistenten und -assistentinnen […] die fachpraktische Ausbildung der
rettungsdienstlichen Nachwuchskräfte. Sie erstellen Ausbildungspläne, vermitteln
notfallmedizinische Inhalte und stehen z.B. bei rechtlichen Fragen beratend zur
Seite“ 39 .
Aktuell wird nach zwei Curricula ausgebildet.
Die Ausbildung umfasst im älteren Curriculum folgende Inhalte 40 :
• Grundfragen der Berufsausbildung (12 UE)
• Planung und Durchführung der Ausbildung (75 UE)
• Der Heranwachsende und der Erwachsene in der
Ausbildung (15 UE)
• Rechtsgrundlagen (18 UE)
Durch eine Überarbeitung dieser Inhalte und die praktische Lehrerfahrung werden
einzelne Schwerpunkte im neuen Curriculum anders gesetzt 41 :
36 Gem. Rahmenvereinbarung der Hilfsorganisationen zur Ausbildung von Lehrrettungsassistenten
37 Hündorf/Lipp (Hrsg.); Der Lehrrettungsassistent, Lehrbuch für Ausbilder im Rettungsdienst;
Edewecht/Wien: S&K 2003, S. 28
38 Vgl. Hündorf/Lipp (Hrsg.); Der Lehrrettungsassistent, Lehrbuch für Ausbilder im Rettungsdienst;
Edewecht/Wien: S&K 2003
39 Bundesagentur für Arbeit: http://infobub.arbeitsagentur.de/berufe/start?dest=profession&prof-
id=8884 (13.04.2010)
40 Hündorf/Lipp (Hrsg.); Der Lehrrettungsassistent, Lehrbuch für Ausbilder im Rettungsdienst;
Edewecht/Wien: S&K 2003, S. 24
16

I Das deutsche Rettungsdienstsystem
• Rechtsgrundlagen (16 UE)
• Pädagogik / Andragogik (72 UE)
• Soziales Management (32 UE)
Die Qualifikation des „Lehrrettungsassistenten“ ist also der
Ausbildereignungsprüfung nach IHK bzw. des öffentliches Dienstes gleichzusetzen.
1.3 Psychosoziale Unterstützungskomponenten im Rettungsdienst
Psychosoziale Unterstützungskomponenten sollen den Einsatzkräften der
Hilfsorganisationen und Feuerwehren helfen, ihre Erfahrungen und Erlebnisse, sowie
den Stress, welchen sie im Einsatzfall ausgesetzt waren, zu bearbeiten. Dadurch soll
Posttraumatischen Belastungsstörungen oder dem Burnout-Syndrom vorgebeugt
werden. Sie sind nicht zu verwechseln mit dem Kriseninterventionsdienst, der zur
Notfallnachsorge von Betroffenen und Angehörigen bei Schadenslagen eingesetzt
wird. In Baden-Württemberg werden diese Dienste entweder durch ehrenamtliche
Helfer von Hilfsorganisationen, oder von Fachkräften auf ehrenamtlicher Basis
angeboten. Die Ausbildungsdauer und –inhalte für psychosoziale
Unterstützungskräfte oder Notfallnachsorger differieren innerhalb der ausbildenden
Organisationen und den Ländern. Daher wird folgend exemplarisch auf die Arbeit
des Arbeitskreises PSU im DRK Kreisverband Karlsruhe e.V. eingegangen.
Definition und Zielsetzung
„Psychosozial“ in diesem Kontext bedeutet die Sensibilisierung der Einsatzkräfte im
Bezug auf ihre psychische Gesundheit. Die Einsatzkräfte und deren privates, sowie
berufliches Umfeld sollen auf das Erkennen von Persönlichkeitsveränderungen der
Einsatzkräfte nach belastenden Einsätzen geschult werden, um unterstützend bei der
41 Hündorf/Lipp (Hrsg.); Der Lehrrettungsassistent, Lehrbuch für Ausbilder im Rettungsdienst;
Edewecht/Wien: S&K 2003, S. 25
17

I Das deutsche Rettungsdienstsystem
Bewältigung der Einsätze wirken zu können. Dabei umfasst die psychosoziale
Unterstützung von Einsatzkräften Vorsorge-, Begleit- und Nachsorgekonzepte 42 .
Das Angebot des Arbeitskreises PSU gilt für ehrenamtliche, als auch hauptamtliche
Einsatzkräfte. Diese sollen zum einen auf belastende Einsätze vorbereitet werden
(Vorsorge), zum anderen eine Begleitung bzw. Betreuung im täglichen Einsatz oder
bei akut belastenden Einsätzen (Akuthilfe) und letztendlich bei abgeschlossenen
Einsätzen Hilfe zur Bewältigung und Nachbesprechung bekommen 43 .
Ausbildung und Voraussetzungen der Mitarbeit in einer PSU-Gruppe
Wie oben beschrieben rekrutieren sich die Mitglieder einer PSU-Gruppe sowohl aus
dem Hauptamt als auch dem Ehrenamt der jeweiligen Organisation. Demnach
verfügen die einzelnen Helfer über unterschiedliche Einsatzerfahrung in Bezug auf
den Rettungsdienst. Grundsätzlich müssen die PSU-Anwärter über eine Erste-Hilfe-
Ausbildung, verschiedene Organisations-interne Ausbildungen in PSU und über eine
geeignete Persönlichkeit verfügen 44 .
„Kollegiale Ansprechpartner“ absolvieren einen 34 bzw. 64 45 Unterrichtseinheiten
umfassenden Lehrgang. Das Lernziel beinhaltet die Themenbereiche
Gesprächsführung und Kommunikation, Umgang mit Stress und
Psychotraumatologie. Berufliche Qualifikationen, z.B. pädagogische und
psychologische Studienabschlüsse können bei den Lehrgängen angerechnet werden.
„Psychosoziale Ansprechpartner“ besuchen einen auf den „Kollegialen
Ansprechpartner“ aufbauenden 78 Unterrichtseinheiten umfassenden Lehrgang. Hier
werden die o.g. Themen weiter vertieft und darüber hinaus weitere Leitungsaspekte
42 Vgl. Richtlinie des Arbeitskreises PSU im DRK Kreisverband Karlsruhe e.V.
43 Ebd.
44 Vgl. Lehrgangsprogramm der DRK Landesschule Baden-Württemberg
45 Vgl. Lehrgangsprogramm der DRK Landesschule Baden-Württemberg mit dem Lehrangebot der
DRK Landesrettungsschule Baden
18

I Das deutsche Rettungsdienstsystem
gelehrt. So ist der „Psychosoziale Ansprechpartner“ auch im Bereich von
Dienstplangestaltung, und Gesundheit am Arbeitsplatz ausgebildet.
Die Ausbildungskosten sind i.d.R. von den freiwilligen Teilnehmern bzw. den
entsendenden Organisationen zu tragen.
1.4 Vom Notruf zum eintreffenden Rettungsmittel
Die notfallmedizinische Versorgung der Bevölkerung bedarf einer umfassenden
Strukturanalyse mit einhergehender Planung der benötigten Rettungsmittel. Diese
sollen über die Gebiete so verteilt werden, dass die Hilfsfrist ab Eingang eines
Notrufes bei medizinischen Notfällen in der Regel zehn und maximal 15 Minuten
umfasst 46 . Das heißt, zwischen der Meldung eines Notfalls an die Rettungsleitstelle
und dem Eintreffen des geeigneten Rettungsmittels vergeht die o.g. Zeitspanne.
Daher werden die Rettungsmittel durch einen Bereichsausschuss in Umfang und
Standort festgelegt 47 .
Die Entgegennahme von Notrufen geschieht durch die Mitarbeiter von
Rettungsleitstellen unter der europaweit gültigen Notrufnummer 112. Die Mitarbeiter
verarbeiten die im Gespräch gewonnenen Informationen und legen die Dringlichkeit
der Einsätze fest. Danach erfolgt die Auftragserteilung an die nächsten geeigneten
Rettungsfahrzeuge 48 .
46 Vgl. § 3 Abs. 2 RDG Baden-Württemberg
47 Vgl. § 3 Abs. 3 i.V.m. §5 RDG Baden-Württemberg
48 Vgl. § 6 RDG Baden-Württemberg
19

II Supervision und Kollegiale Beratung
II Supervision und Kollegiale Beratung
Zur Darstellung eines passenden Supervisons- bzw. kollegiales Beratungsmodell für
den Rettungsdienst müssen die Begriffe zunächst definiert werden. Die
Zielsetzungen dieser Beratungsmethoden werden ebenfalls aufgezeigt.
1. Der weitgefasste Begriff Supervision und deren Gegenstand
Supervision lässt sich als Begriff wie auch im Verständnis nicht genau definieren.
Sie ist im weitesten Sinne als besondere Form der Beratung zu sehen. Zudem gibt es
noch weitere Bezeichnung und dabei im Beratungskontext noch das Coaching,
wodurch eine genaue Abgrenzung immer schwieriger wird. Je mehr Literatur man
über Supervision zur Hand nimmt, desto breiter werden die Sichtweisen aus deren
Blickwinkel an die Erklärung des Begriffes heran gegangen wird. Fengler 49 hat
alleine eine Recherche über 16 Definitionen von Coaching abgeschlossen.
Aber wie lässt sich nun der Begriff „angesichts der immer breiter und oft kontrovers
geführten Debatten“ 50 genauer fassen? Mit den Ausführungen von Schreyögg soll
diese Frage weitgehend beantwortet werden.
Aktuell wird, wenn es um den Gegenstand Supervision geht, über diese in den
Arbeitsfeldern Psychotherapie und Soziale Arbeit debattiert. Innerhalb dieser
traditionellen Arbeitsfelder lassen sich wiederum viele verschiedene konzeptionelle
Ausrichtungen erkennen. Wurden in beiden Feldern zunächst nur einzelne Personen
supervidiert, so werden heute auch Team- und Gruppensupervisionen, sowie
Supervisionen zur Organisationsentwicklung durchgeführt. Die weiter
fortschreitende Differenzierung der Supervision in den klassischen Arbeitsfeldern,
aber auch weitere, aus der Praxis entstandenen Anforderungen bewirkten, dass
49
Fengler; Coaching: Definition, Prinzipien, Qualifikationen, illustriert anhand einer Fall-Vignete. In:
Gruppendynamik und Organisationsberatung, 32. Jhg., Opladen/Leverkusen: Leske&Budrich 2001; S.
37-60
50
Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4., überarbeitete
und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004; S. 17
20

II Supervision und Kollegiale Beratung
Supervision sich auf andere Bereiche ausdehnte. Dadurch stellt sie heute eine
eigenständige Beratungsform da 51 .
Die grundsätzliche Unterscheidung von ‚Administrative Supervision‘ und ‚Clinical
Supervision‘ teilen sich Schreyögg und Rappe-Giesecke. Rappe-Giesecke wiederum
beschreibt eine weitere Form, die ‚Educational Supervision‘ oder auch
Ausbildungssupervision 52 . Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird lediglich auf die
‚Clinical Supervision‘ eingegangen, da diese als berufsbegleitende Supervision auf
das Tätigkeitsfeld Rettungsdienst gut bezogen werden kann.
Schreyögg benennt fünf Charakteristiken der Supervision, welche diese für den
Gegenstandbereich Rettungsdienst anwendbar machen 53 :
1. Die Supervision ist inhaltlich auf die Handlungen von Praktikern fokussiert
und soll diese Handlungen unter Berücksichtigung der Umgebungsstruktur
und den personellen Voraussetzungen letztlich verbessern.
2. Diese Verbesserung geschieht über verschiedene Beratungsaufgaben: eine auf
die Kognition bezogene Fachberatung, eine an die Psychotherapie angelehnte
Beratung oder Organisationsberatung.
3. Die unterschiedlichen Beratungsaufgaben werden in verschiedenen
Kontexten durchgeführt. Deren Variation entsteht durch die Anzahl der
Supervisanden oder aber in „welcher Weise er an ein organisatorisches
System angebunden ist.“ 54 Der Kontext bestimmt also dann die
„unterschiedliche formale Rollenkonstellation in der Supervision.“ 55
51
Vgl. Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4.,
überarbeitete und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004; S. 18
52
Rappe-Giesecke; Supervision für Gruppen und Teams;3. Auflage, Berlin/Heidelberg: Springer 2003;
S. 5
53
Vgl. Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4.,
überarbeitete und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004; S.23
54
Ebd.
55 Ebd.
21

II Supervision und Kollegiale Beratung
4. „Diese thematischen Auseinandersetzungen mit ihren jeweiligen
kontextbezogenen Beratungsaufgaben realisieren sich in konkreten
supervisorischen Beziehungen.“ 56
5. „Themen und durch den Kontext geprägte Beziehungen charakterisieren die
jeweilige supervisorische Situation. Diese muss vom Supervisor als
professionellem Akteur entsprechend eines konzeptionellen Ansatzes
gehandhabt werden.“ 57
Petzold definiert Supervision wie folgt:
„Supervision ist ein interaktiver Prozess, in dem die Beziehungen zwischen
personalen und sozialen Systemen (z.B. Institutionen und Personen) bewusst,
transparent und damit veränderbar gemacht werden, mit dem Ziel, die
personale, soziale und fachliche Kompetenz und Performanz der
supervidierten Personen durch die Rückkoppelung und Integration von
Theorie und Praxis zu erhöhen und weiterhin eine Steigerung der Effizienz
bei der supervidierten Institution im Sinne ihrer Aufgabenstellung zu
erreichen. Diese Aufgaben selbst müssen reflektiert und gegebenenfalls den
Erfordernissen der relevanten Umwelt entsprechend verändert werden.“ 58
Bei der Supervision geht es also um die Reflexion des eigenen beruflichen Handelns,
welche durch professionelle Berater unterstützt wird und in verschiedenen Settings
passiert.
1.1 Supervisionsinhalte
Die Supervisionsinhalte ergeben sich aus dem Praxisfeld, in dem sie angewendet
werden sollen, also aus der ‚professionellen Praxis‘ Bei diesem Begriff handelt es
sich immer um eine Beziehung, eine Interaktion zwischen Professionellem und
56 Vgl. Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4.,
überarbeitete und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004; S. 24
57 Ebd.
58 Petzold; Integrative Supervision, Meta-Consulting, Organisationsentwicklung. Ein Handbuch für
Modelle und Methoden reflexiver Praxis; 2. Auflage; Wiesbaden: VS 2007a; S. 28
22

II Supervision und Kollegiale Beratung
Klienten, wobei der Professionelle versucht, den Klienten in einem bestimmten
Rahmen zu verändern 59 .
Der bestimmte Rahmen ergibt sich aus der Organisation in der die Interaktion
zwischen Professionellem und Klienten eingebunden ist. Dies ist somit der
„unmittelbare Kontext“ 60 . Im Rettungsdienst zum Beispiel ist die Behandlung eines
Patienten nur dann möglich, wenn das Rettungsdienstpersonal untereinander in
Interaktion tritt. Neben dieser Interaktion als unmittelbarer Einflussfaktor auf die
Praxis, wirken noch weitere Faktoren (ökonomische, politische, gesellschaftliche)
auf die Praxis ein.
Die unmittelbaren und weiteren Einflussfaktoren, sowie die berufliche Interaktion
Professioneller - Klient sind somit die zentralen Inhalte einer Supervision.
1.2 Beratungsaufgaben von Supervision
Die Inhalte der Supervision lassen sich nach Schreyögg mit verschiedenen
Beratungsaufgaben verhandeln. Sie unterscheidet dabei zwischen Veränderung von
Deutungs- und Handlungsmustern des Supervisanden gegenüber seinem Klienten
und denen des Supervisanden gegenüber seinem unmittelbarem Kontext und den
unmittelbaren, weiteren Einflussfaktoren.
Die Deutungs- und Handlungsmuster des Supervisanden gegenüber seinem Klienten
lassen sich laut Schreyögg über „kognitiv orientierte Fachberatung“ oder
„psychotherapie-ähnliche Beratung“ verändern. Es werden in diesem Fall die
fachspezifische Methoden und Diagnosen der Supervisanden-Klienten-Interaktion
analysiert, differenziert und korrigiert 61 . Darüber hinaus gibt es nicht planmäßige
Deutungs- und Handlungsmuster des Supervisanden gegenüber seiner Klienten. Also
die persönlichen Befindlichkeiten, die der Supervisand hat und gegebenenfalls
59
Vgl. Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4.,
überarbeitete und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004; S. 24
60
Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4., überarbeitete
und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004; S.25
61
Vgl. Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4.,
überarbeitete und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004; S.28
23

II Supervision und Kollegiale Beratung
Vorurteile, welche er dem Klienten entgegen bringt. Nach Schreyögg muss in solch
einem Fall eher eine psychotherapieähnliche Beratung als Supersision erfolgen, um
den Supervisanden persönlich weiter zu qualifizieren 62 .
Supervision ermöglicht weiter die Verbesserung der Wahrnehmung der
innerbetrieblichen und formalen Aufgaben des Supervisanden. Der Supervisand kann
durch Supervision auch lernen, sich innerbetriebliche Freiräume für effizienteres
Arbeiten zu schaffen.
So profitiert nicht nur der Supervisand durch die Beratungsaufgaben der Supervision,
sondern auch die Organisation, der Betrieb entwickelt sich weiter. Denn gute
Supervision bedeutet die Einbeziehung der Organisationsinterna und –abläufe. Und
gerade diese Betriebsinterna oder Organisationsstrukturen bedeuten häufig
Schwierigkeiten für den Subervisanden 63 . Hier kann Supervision den Supervisanden
darin unterstützen, Veränderungen in der Organisationsstruktur anzuregen oder
durchzuführen. Diese Art von Supervision bezeichnet Schreyögg parallel zu anderen
Autoren als Organisationsberatung 64 .
1.3 Der institutionelle Rahmen von Supervision
Supervision steht als professionelle Praxis selbst in einem bestimmten,
institutionalisierten Kontext. So findet man nach Schreyögg verschiedene
Supervisionsformen vor:
• „Ein Vorgesetzter supervidiert einen oder mehrere unterstellte Mitarbeiter im
Rahmen einer formalen Organisation.
• Ein Aus-/Fortbilder supervidiert einen oder mehrere Aus-/Fortzubildende im
Rahmen einer Aus- oder Fortbildungsorganisation.
• Ein ‚organisationsinterner‘ Supervisor, der eine Stabsstelle als Supervisor
einer Organisation innehat, supervidiert ein oder mehrere
62
Vgl. Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4.,
überarbeitete und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004; S.28
63
Ebd. auch Petzold et al. (2003; S. 166) sehen große Schwierigkeiten der Organisationsstruktur für
den Supervisanden.
64
Vgl. Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4.,
überarbeitete und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004; S. 29
24

II Supervision und Kollegiale Beratung
Organisationsmitglieder als einzelne oder organisatorische Einheit bzw. als
‚Team‘.
• Ein ‚freier‘ Supervisor, der frei- oder nebenberuflich tätig ist, supervidiert
einen oder mehrere Supervisanden, die ihn als einzelne oder organisatorische
Einheit bzw. als ‚Team‘ aufsuchen.“ 65
Der Kontext bestimmt auch die Rollenkonstellationen der Supervision.
Dementsprechend nehmen organisationsinterne Supervisoren als Angestellte der
Organisation eine andere Position als externe, wieder ‚ausladbare‘ Supervisoren ein.
1.4 Supervisorische Beziehungen
Supervision ist in seiner Eigenschaft als Beratungsform immer auch
Beziehungsarbeit 66 . Trotz dieser Beziehung gilt es sich als Supervisor auch
angemessen abzugrenzen, um nicht selbst betroffen zu werden. Dem Supervisor
muss es gelingen empathisch zu sein, also sich in die Situation der Klienten
hineinversetzen und die Situation derer verstehen zu können 67 . Die supervisorischen
Beziehungen ergeben sich grundsätzlich aus den jeweiligen Rollenkonstellationen
zwischen Supervisor und Klienten. Es macht also einen Unterschied, ob es sich bei
dem Supervisor zum Beispiel um einen Vorgesetzten, Kollegen, Ausbilder oder um
eine externe Personen handelt.
Am häufigsten wird die Supervision durch einen externen Supervisor durchgeführt.
Er ist nicht in die Organisation und deren Struktur eingebunden und dessen
Beratungsleistung wird durch die Arbeitgeber oder die Supervisanden bezahlt. Die
Supervision kann einzeln oder als Teamsupervision durchgeführt werden.
Durch das Konsultieren eines externen, zum Schweigen verpflichteten Supervisors
ist zu erwarten, dass dieser eine Vertrautheit zu den Supervisanden aufgebaut hat und
durch die ungezwungene Beratungsatmosphäre eine große Offenheit gewährleistet
65 Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4., überarbeitete
und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004; S. 30
66 Loos in Fatzer (Hrsg.); Supervision und Beratung. Ein Handbuch; Auflage 1993; Köln: EHP 1993
67 Petzold; Integrative Supervision, Meta-Consulting, Organisationsentwicklung. Ein Handbuch für
Modelle und Methoden reflexiver Praxis; 2. Auflage; Wiesbaden: VS 2007a; S.97
25

II Supervision und Kollegiale Beratung
ist. In der Einzelsupervision geht es oft um Themen mit intimen persönlichen
Anteilen und organisatorische Probleme 68 . Dahingegen sollen in der
Teamsupervision die Teilnehmer in ihrer Aufgabenerfüllung gefördert werden. Dafür
bekommt der Supervisor durch die Auftraggeber Führungsfunktionen delegiert 69 .
Eine Supervision findet im geschützten Rahmen statt und ist idealerweise frei von
Bewertung und Kontrolle.
1.5 Ziele von Supervision
Obgleich bereits einige Ziele von Supervision genannt wurden, sollen diese weiter
konkretisiert werden. Das dies nicht ganz einfach ist, lässt sich bereits aus dem
Definitionsversuch und der Gegenstandsbeschreibung erkennen. Schwierig wird eine
genaue Zielformulierung nicht nur deshalb, weil sie in verschiedenen Praxisfeldern
eingesetzt wird, sondern auch durch das Fehlen einer allgemeinen Theorie über
Supervision aus der man allgemeine Ziele ableiten könnte 70 .
Nach der Durchsicht verschiedener Literatur ergibt sich für die Supervision laut
Pallasch ein gewisser, in manchen Punkten sich ähnelnder Zielkatalog der
Supervision:
• „Allgemeine Verbesserung der (Praxis-) Arbeit;
• Erhöhung der beruflichen Kompetenz;
• Auseinandersetzung mit der beruflichen Rolle;
• Auseinandersetzung mit den Zielen und Ansprüchen des Arbeitgebers;
• Auseinandersetzung mit der beruflichen Identität;
• Auseinandersetzung mit der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns;
• Auseinandersetzung mit und Klärung von berufsethischen Fragen;
• Auseinandersetzung mit beruflichen Perspektiven;
• Verbesserung der Kooperation mit den Mitarbeitern bzw. Vorgesetzten;
68 Vgl. Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4.,
überarbeitete und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004; S. 33
69 Ebd.
70 Vgl. Pallasch; Supervision: Neue Formen beruflicher Praxisbegleitung in pädagogischen
Arbeitsfeldern; 3. Auflage; Weinheim: Juventa 1997; S. 47f.
26

II Supervision und Kollegiale Beratung
• Verminderung von persönlichen Problemen durch Psycho- und
Sozialhygiene;
• Möglichkeit zur Regeneration;
• Auseinandersetzung mit der Loyalitätsfrage;
• Überprüfung der eigenen Fachkompetenz;
• Auseinandersetzung mit Macht- und Interessensfragen;
• Klärung von Statusfragen
• Supervision als Lerninstrument;
• Hilfe zur Selbsthilfe.“ 71
Aus dieser Zielangabe lässt sich wiederum die breite Einsatzmöglichkeit in
verschiedenen Praxisfeldern erkennen.
2. Kollegiale Beratung
Kollegiale Beratung basiert auf der einfachen Idee, dass Personen aus gleichen oder
ähnlichen Arbeitsfeldern sich gegenseitig und qualifiziert in beruflichen
Problemlagen beraten können. Es wird eine bestimmte Struktur eingehalten und die
Beratung funktioniert unter Gleichen in Gruppen 72 . Die folgende Definition wird
danach weiter konkretisiert:
„Kollegiale Beratung ist ein strukturiertes Beratungsgespräch in einer
Gruppe, in dem ein Teilnehmer von den übrigen Teilnehmern nach einem
feststehenden Ablauf mit verteilten Rollen beraten wird mit dem Ziel,
Lösungen für eine konkrete berufliche Schlüsselfrage zu entwickeln.“ 73
2.1 Merkmale der Kollegialen Beratung
Die Kollegiale Beratung erhält ihre Charakteristik aufgrund verschiedener
Kennzeichen:
71
Pallasch; Supervision: Neue Formen beruflicher Praxisbegleitung in pädagogischen Arbeitsfeldern;
3. Auflage; Weinheim: Juventa 1997; S. 50
72
Vgl. Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek:
rororo 2008; S. 11
73
Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek: rororo
2008; S. 11
27

II Supervision und Kollegiale Beratung
• Die Beratung findet in Gruppen ohne externe Steuerung statt.
• Der Ablauf ist zeitlich und förmlich stets gleich.
• Die Methoden zur Beratung werden transparent gewählt und dargestellt.
• Arbeits- und Rollenverteilungen sind den Teilnehmern klar.
• Alle beteiligen sich aktiv.
• Der Fokus liegt auf beruflichen und arbeitsbezogenen Themen. 74
Die Gruppen sollten bei der Kollegialen Beratung zwischen fünf und zehn Personen
umfassen. Aufgrund des Beratungsansatzes und der beteiligten Personen müssen
allerdings auch mindestens fünf besser sechs Personen anwesend sein.
Die Kollegiale Beratung findet ohne Beratungsexperten statt. Sämtliche wichtigen
Methoden und Kompetenzen werden von den Beratungsteilnehmern selbst erarbeitet.
Daraus ergibt sich eine paritätische Verantwortungsteilung auf alle Teilnehmer
während des Beratungsprozesses. Jeder besitzt die gleichen Kenntnisse über Ablauf
und Struktur der Beratung.
Diese Struktur bzw. der Ablauf ist einfach und wird immer gleich gehalten und
besteht aus mehreren Phasen oder Schritten. So kann jeder gleich beraten werden,
wobei trotzdem durch die Methodenwahl eine Variationsmöglichkeit besteht. Die
festen Strukturen garantieren eine Beachtung der für den Problemlösungsprozess
notwendigen Schritte.
Auch die Methoden sind allen Teilnehmern bekannt. So ist der Beratungsverlauf
absolut transparent und alle Gruppenmitglieder wissen, was in der Beratung auf sie
zu kommt.
Mit der Verteilung von Beratungsrollen und Aufgaben ist jeder aktiv beteiligt und
damit kann jeder sein Wissen und seine Erfahrungen in den Beratungsprozess mit
einbringen.
Als zentrale Punkte werden die beruflichen und arbeitsbezogenen Problemlagen,
welche die Teilnehmer einbringen, behandelt. Das garantiert eine effiziente
74 Vgl. Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek:
rororo 2008; S. 11
28

II Supervision und Kollegiale Beratung
Bearbeitung dieser Probleme ohne dass auf allgemeine, den Berufsalltag betreffende
Themen eingegangen wird. Auch werden keine persönlichen Konflikte der
Teilnehmer untereinander thematisiert 75 .
2.2 Anwendungsfelder und Themen der Kollegialen Beratung
Da mittels Kollegialer Beratung ein breites Spektrum beruflicher bzw.
arbeitsbezogener Themen bearbeitet werden kann, eignet sich diese Beratungsform
für unterschiedliche Berufsgruppen 76 . Die daraus resultierende Offenheit und der
immer gegebene Praxisbezug der Kollegialen Beratung lässt es zu, diese entweder
als eigenständiges Beratungsprogramm, oder aber als Teil eines Maßnahmenpaketes
zur Qualifizierung von Personal einzusetzen 77 .
Jede Fachkraft eines Berufes kommt im Laufe seiner Tätigkeit in Situationen in
denen neues Wissen und Kenntnisse erforderlich sind, über die sie aber noch nicht
verfügen. Die Erwartungen von Seiten der Organisation in diesen Fällen sind freilich
sehr hoch, sollen doch diese ‚Hürden‘ schnell durch das Fachpersonal bewältigt
werden. Dennoch können diese Situationen eine größere Herausforderung darstellen,
als zunächst der Anschein war. Gerade Situationen, die soziales Geschick und eine
entsprechende Interaktion erfordern sind solche Herausforderungen. So kommt es,
dass ein Einzelner nie über ein so umfassendes Wissen verfügen kann, um niemals
ratlos zu werden. Diesen ‚Alltagsherausforderungen‘ sind wir täglich ausgesetzt und
einzelne, punktuelle bzw. standardisierte Qualifizierungsmaßnahmen garantieren
hierfür nicht die notwendige Wissens- und Erkenntnisvermittlung.
75 Vgl. Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek:
rororo 2008; S. 12f.;
Die Lösung von Konflikten der Teilnehmer untereinander bedarf z.B. einer extern geleiteten
Konfliktberatung.
76 Vgl. Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek:
rororo 2008; S.27
77 Ebd.
29

II Supervision und Kollegiale Beratung
Für die Berufsgruppen, welche immer wieder neue soziale Kompetenzen in ihrer
täglichen Arbeit anwenden müssen, eignet sich die Kollegiale Beratung als Hilfe 78 .
Kollegiale Beratung findet auch in Verbindung mit anderen Maßnahmen statt.
Denkbar ist sie dabei als „fester praxisorientierter Bestandteil von länger angelegten
Qualifizierungsprogrammen“ 79 , also als zu Seminaren ergänzende Fallarbeit, deren
Inhalte sich auf die Seminare beziehen. Eine weitere Möglichkeit besteht in der
Anwendung Kollegialer Beratung im Anschluss an ein Seminar, um einen
Praxistransfer zu gewährleisten 80 . Sie eignet sich allerdings auch zur reflektierenden
Begleitung von Veränderungsprozessen in Unternehmen. Erfahrungsgemäß kommt
es bei diesen Prozessen zu Schwierigkeiten und besonders herausfordernde
Situationen. Darüber hinaus kann Kollegiale Beratung Bestandteil einer
Moderations- bzw. Beratungsausbildung für interne Berater sein. Die internen
Berater agieren in der täglichen Praxis in einem Spannungsfeld von verschiedenen
Interessen und sind somit einer bestimmten Aufmerksamkeit ausgesetzt. Da sie mit
den verschiedenen Interessensgruppen möglichst sensibel umgehen müssen, kann sie
Kollegiale Beratung in einem angemessenen Umgang unterstützen 81 .
Die zu besprechenden Themen und Fragestellungen in der Kollegialen Beratung
rekrutieren sich aus dem beruflichen Alltag des Fachpersonals und sind so breit
gefächert. Es ist wichtig, dass diese so genau wie möglich geschildert werden, um
eine effektive Beratung durchführen zu können. In Bezug auf zeitliche Einordnungen
können die Themen bereits abgeschlossen sein. Man will und kann durch Kollegiale
Beratung also aus dem Vergangenen lernen. Das zu behandelnde Thema kann aktuell
sein und der Themenschilderer möchte einen akuten Rat. Oder aber das Thema liegt
78
Vgl. Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek:
rororo 2008; S.27f.
79
Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek: rororo
2008; S.28
80 Vgl. Ebd.
81 Vgl. ebd.
30

II Supervision und Kollegiale Beratung
in der Zukunft und man möchte z.B. die bestmögliche Handlungsstrategie für ein
Meeting im Voraus besprechen 82 .
Mit ‚Fällen‘ werden (v.a. in Supervision und Coaching) Probleme und Geschehnisse
beschrieben, welche für den Einzelnen besonders ungewöhnlich oder herausfordernd
waren und somit stark vom Alltäglichen abweichen. Somit können sich die in
Kollegialer Beratung zu behandelnden Fälle „auf alle Personen und Probleme
beziehen, denen wir im Berufsalltag begegnen“ 83 . Trotz der bereits beschriebenen
Bandbreite die Kollegiale Beratung abdeckt müssen die darin zu bearbeitenden
Themen und Fragestellungen bestimmte Anforderungen erfüllen:
• „Der Fall bezieht sich aus aktuellem, konkretem Anlass auf eine konkrete
soziale Situation mit einem oder mehreren konkreten Interaktionspartnern.
• Die Interaktionspartner und das Problemfeld liegen außerhalb der
Beratungsgruppe. Außer dem Fallerzähler ist niemand aus der Gruppe direkt
in den Fall involviert.
• Den Fallerzähler beschäftigt die Frage derzeit noch. Er wünscht sich
Reflexion einer offenen Frage, auf die er noch keine befriedigende Antwort
gefunden hat.“ 84
2.3 Ziele und Nutzen Kollegialer Beratung
Die Maßnahme der Kollegialen Beratung soll eine Verbesserung der beruflichen
Praxis der Teilnehmer bewirken. Diese Praxis besteht v.a. aus Interaktionen
zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten, zwischen Mitarbeitern und Klienten und
den Kollegen untereinander. So können durch Kollegiale Beratung drei miteinander
verwobene Ziele erreicht werden:
1. „Praxisberatung near-the-job: Lösungen für konkrete Praxisprobleme,
82
Vgl. Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek:
rororo 2008; S. 30
83
Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek: rororo
2008; S.31
84 Ebd.
31

II Supervision und Kollegiale Beratung
2. die Reflexion der beruflichen Tätigkeit und der Berufsrolle sowie
3. Qualifizierung durch den Ausbau von praktischen Beratungskompetenzen.“ 85
Oberstes Ziel der Kollegialen Beratung ist natürlich die Lösungsfindung in
beruflichen Problemlagen. Alle aktiven Beteiligten ermöglichen in der
Beratungssituation eine umfassende Rückmeldung und Vermittlung von
Lösungsstrategien des fallschildernden Fachpersonals. Bewiesen ist die Steigerung
von beruflicher Zufriedenheit und Arbeitsmotivation der Teilnehmer kollegialer
Beratungsprozesse, da Probleme reflektiert werden und somit die subjektive
Belastung sinkt. Es besteht weiter die Möglichkeit seine eigenen Verhaltensweisen
und Einstellungen zu hinterfragen. Diese werden von der Gruppe dann entweder
bestätigt, oder es werden Ratschläge zur Korrektur dieser gegeben. Somit profitiert
nicht nur der Einzelne aus der Beratung, sondern alle Teilnehmer können neue
Blickwinkel und Positionen einnehmen. Oft gibt es auch Parallelen zwischen den
besprochenen Fällen und dem eigenen Erleben, wodurch wiederum ein Benefit für
die Teilnehmer entsteht.
Durch Kollegiale Beratung werden somit Schlüsselqualifikationen weiterentwickelt,
welche in sämtlichen Unternehmen und Organisationen immer größere Bedeutung
bekommen. 86
Reflexionsfähigkeit ist eine Grundvoraussetzung des Lernens im Erwachsenenalter.
Durch die Fallschilderungen in der Kollegialen Beratung wird auch immer wieder
die eigene Berufsrolle der Teilnehmer reflektiert. Das eigene Verhalten und das
professionelle Handeln können also in der Beratungssituation durch die Einnahme
verschiedener Rollen und Positionen überprüft und ggf. verbessert werden und das
Ganze in einem geschützten Rahmen.
Die ständige Reflexion bewirkt auch eine Öffnung zu anderen Sichtweisen und das
Wecken von Neugier auf die Probleme anderer. Diese sozialen Kompetenzen werden
somit durch die Kollegiale Beratung gestärkt. Darüber hinaus entwickeln die
85
Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek: rororo
2008; S.19
86
Vgl. Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek:
rororo 2008; S. 19ff.
32

II Supervision und Kollegiale Beratung
Teilnehmer umfangreiche Beratungskompetenzen und lernen eine Vielfalt an
Methoden kennen, welche im beruflichen Alltag auch außerhalb der Kollegialen
Beratung hilfreich sind. 87
Aus den Zielen der Kollegialen Beratung lässt sich auch deren Nutzen erkennen.
Zum einen bekommt der einzelne Gruppenteilnehmer einen großen Rückhalt und
Entlastung in der Gruppe, die Verständnis für Problemlagen aufbringt und
Lösungsstrategien dafür sucht. Zudem werden fachliche Kenntnisse durch die
Interaktion mit gleichen Fachkräften ausgebaut und gestärkt. Letztlich führt
Kollegiale Beratung zu einer sehr wertschätzenden Arbeitskultur in den
durchführenden Organisationen.
Die Organisationen profitieren damit von qualifizierten Mitarbeitern und einer
Vernetzung dieser untereinander. So können z.B. schwierige Arbeitsprozesse
schneller gelöst werden. Das steigert wiederum die Qualität der Arbeit. Das Personal
entwickelt sich positiv ohne dass größere finanzielle Aufwendungen stattfinden. 88
3. Abgrenzung von Supervision zu Kollegialer Beratung 89
Supervision findet grundsätzlich unter der Anleitung eines professionellen Beraters
statt, welcher über das Wissen einer mehrjährigen Weiterbildung verfügt. Wie bereits
beschrieben, kann die Supervision als Einzel- oder Gruppensupervision konzipiert
sein.
Kollegiale Beratung ähnelt der Gruppensupervision. Dennoch fehlt hierbei ein
professioneller Supervisor.
Kollegiale Beratung kann somit professionelle Beratungen wie Supervision nicht
ersetzen, aber gut ergänzen.
87
Vgl. Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek:
rororo 2008; S. 23f.
88
Vgl. Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek:
rororo 2008; S. 26
89
Vgl. Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek:
rororo 2008; S. 39f.
33

II Supervision und Kollegiale Beratung
Es bleibt festzuhalten, dass sich sowohl Supervision und Kollegiale Beratung zum
Einsatz in allen Betrieben eignen. Die Methoden bewirken nachhaltige steigende
Mitarbeiterqualifikation und eine Organisationsentwicklung. Zudem liegen beide
Methoden zunehmend im ‚Trend‘ in der Wirtschaft um die Arbeitseffizienz zu
steigern.
34

III Forschungsdesign ‚rettungsdienstlicher Alltag‘
III Forschungsdesign ‚rettungsdienstlicher Alltag‘
Man kann den rettungsdienstlichen Alltag in Deutschland nicht verallgemeinern.
Allein durch die unterschiedlichen Rettungsdienstgesetze (vgl Kap. II) gibt es
strukturelle Unterschiede. Sogar innerhalb eines Bundeslandes können die
rettungsdienstlichen Gepflogenheiten aufgrund verschiedener Leistungsträger
differieren. Letztlich gibt es auch innerhalb eines Rettungsdienstbereiches große
Unterschiede: Rettungsdienstmitarbeiter, welche in sog. Landwachen 90 arbeiten
haben ein anderes Einsatzspektrum als ihre Kollegen in den städtischen
Rettungsdiensten.
Durch die Erhebung sollten verschiedene Rettungsdienstmitarbeiter nach ihren
persönlichen Erfahrungen mit und in ihrem Beruf befragt werden. Dadurch ist es
möglich, einen Einblick in die subjektive Wahrnehmung der Gesprächspartner zu
bekommen und damit eine objektive Sichtweise des rettungsdienstlichen Alltags
abzuleiten. Durch meine eigene, mittlerweile neunjährige Berufserfahrung im
Rettungsdienst kenne ich das Forschungsfeld sehr gut. Daher wurde die qualitative
Befragungsmethode ‚Problemzentriertes Interview‘ gewählt.
1. Methode ‚Problemzentriertes Interview‘
Annähernd alle relevanten Daten von sozialwissenschaftlichen Fragestellungen
werden durch Befragungen erhoben. Man kann Befragungen in schriftlicher Form
über Fragebögen, oder mündlich als Interview durchführen. Entsprechend der
genauen Fragestellung ist die eine Methode einer anderen vorzuziehen.
Da es viele Varianten an mündlichen Befragungen gibt und man sie nicht gänzlich in
ein einziges System einpassen kann, werden die Interviews nach ihrer
Standardisierung, der Art des Kontakts zu den Befragten, nach Anzahl der befragten
90
Rettungswache in strukturell ländlichen Gebieten, welche für mehrere Gemeinden und Ortschaften
für die notfallmedizinische Versorgung zuständig ist.
35

III Forschungsdesign ‚rettungsdienstlicher Alltag‘
Personen, der Anzahl der Interviewer und schließlich nach ihrer Funktion
unterschieden 91 . Weiter unterscheiden sich die Interviews anhand der verschiedenen
Settings bei denen sie durchgeführt werden.
Standardisierte bzw. voll strukturierte Interviews besitzen für den Interviewer
verbindliche Frageabfolgen und –wortlaute. Die Fragen müssen genau formuliert
werden, damit die Befragten prägnant antworten können. Bereitet man Interviews gut
vor und notiert sich bereits vorher mögliche Antwortalternativen der Befragten, so
genügt es die entsprechende anzukreuzen und ein wörtliches Mitschreiben entfällt.
Diese Alternativen sollten allerdings den Befragten nicht offeriert werden, wenn man
an möglichst spontanen Äußerungen interessiert ist. Diese Art von Interview eignet
sich besonders, wenn der Interviewer über ein klar begrenztes Themengebiert gute
Vorkenntnisse besitzt und wenn Vorversuche bereits durchgeführt wurden. In diesen
Vorversuchen sollte getestet werden, ob die Struktur der Fragen spontane
Äußerungen der Befragten noch zulässt oder diese zu sehr bei der Antwort
einschränkt.
Bei nichtstandardisierten Interviews (auch qualitative oder unstrukturierte Interviews
genannt) wird lediglich ein grober Rahmen der Thematik vorgegeben. Der
Interviewer hält es in der Hand, wie aktiv sein Gegenüber bei dieser Interviewform
wird. Es muss ein stichpunktartiges Mitschreiben der Aussagen des Befragten
erfolgen. Bei Einverständnis kann auch auf ein Aufzeichnungsgerät zurück gegriffen
werden. Dem Interviewer muss bewusst sein, dass sein Auftreten den Befragten zu
bestimmten Aussagen provoziert. Damit können Interviewergebnisse verändert
werden.
Ein Hybrid beider Interviewformen sind halb- oder teilstandardisierte Interviews. Sie
besitzen teils offene, teils geschlossene Fragen und werden durch einen Leitfaden
charakterisiert.
In Interviews ist die Kommunikation zwischen Frager und Befragtem von zentraler
Bedeutung; Unklarheiten können durch Nachfragen und nochmaligem Erklären
sofort ausgeräumt werden. Darüber hinaus können direkte, nonverbale Reaktionen
91 Vgl. Bortz/Döring; Forschungsmethoden und Evaluation; 4. Auflage. Heidelberg: Springer 2006, S.
236
36

III Forschungsdesign ‚rettungsdienstlicher Alltag‘
den Gesprächsfluss forcieren. Ebenso ist die Wiederholung der Antworten durch den
Interviewer mit eigenen Worten möglich (sog. Paraphrasieren). Dadurch bietet es
dem Interviewer auch die Möglichkeit des vorsichtigen Deutens bzw. er kann die
Antworten interpretieren. Zusätzlich ist es möglich die Frageabfolge zu variieren und
das Gespräch so flüssiger und freier zu gestalten. 92 Auch Diekmann ist der Meinung,
dass bei qualitativen Befragungsmethoden die interviewten Personen ihre Sichtweise
der Dinge wie in Alltagsgesprächen frei formulieren können 93 .
Nicht nur Schaffer hält im Bereich der Sozialen Arbeit „vor allem das
Problemzentrierte Interview für sinnvoll einsetzbar“ 94 . Auch Mayring findet, das
Problemzentrierte Interview „eignet sich hervorragend für eine theoriebegleitete
Forschung, da es keinen rein explorativen Charakter hat, sondern die Aspekte der
vorrangigen Problemanalyse in das Interview Eingang finden. Überall dort also, wo
schon einiges über den Gegenstand bekannt ist, überall dort, wo dezidierte,
spezifischere Fragestellungen im Vordergrund stehen, bietet sich diese Methode
an.“ 95 Es ist eine Form der Qualitativen Interviews, wobei es bei dieser Form um die
Erfassung von persönlichen Eindrücken, dem Empfinden und
Wirklichkeitswahrnehmungen der Befragten im Mittelpunkt stehen 96 .
Ein Problemzentriertes Interview legt den Fokus auf bestimmte Problemlagen,
welche vom Interviewer während der Befragung eingeführt werden und als zentrale
Ausgangspunkte immer wieder angesteuert werden. 97 Voraussetzung zur
Durchführung dieser Interviewform ist allerdings, dass sich der Interviewer –
zumindest theoretisch - in dem Forschungsfeld auskennt. Dadurch werden der Inhalt
92 Vgl. Schaffer; Empirische Sozialforschung für die Soziale Arbeit: Eine Einführung. 2., überarbeitete
Auflage. Freiburg: Lambertus 2009. S. 106
93 Vgl. Diekmann; Empirische Sozialforschung: Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 16. Auflage.
Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 2006. S. 444
94 Vgl. Schaffer; Empirische Sozialforschung für die Soziale Arbeit: Eine Einführung. 2., überarbeitete
Auflage. Freiburg: Lambertus 2009. S. 110
95 Mayring; Einführung in die Qualitative Sozialforschung. 5., überarbeitete und neu ausgestattete
Auflage. Weinheim: Beltz 2002. S. 70
96 Vgl. Schaffer; Empirische Sozialforschung für die Soziale Arbeit: Eine Einführung. 2., überarbeitete
Auflage. Freiburg: Lambertus 2009. S. 106
97 Vgl. Schaffer; Empirische Sozialforschung für die Soziale Arbeit: Eine Einführung. 2., überarbeitete
Auflage. Freiburg: Lambertus 2009. S. 114
37

III Forschungsdesign ‚rettungsdienstlicher Alltag‘
und die Struktur des Gesprächsleitfadens beeinflusst. Die vorab gebildeten Thesen,
Untersuchungsaspekte und Themenbereiche können somit systematisch überprüft
werden. Obgleich hierbei Parallelen zu quantitativen Erhebungsinstrumenten
erkennbar werden, bleibt dennoch das Erzählprinzip durch die offenen Fragen
aufrechterhalten und ermöglicht eine Themenfelderweiterung bzw. –modifikation
durch die Befragten. 98 Eine weitere Voraussetzung für die Durchführung dieser
Interviewform ist die sog. ‚narrative Kompetenz‘, also die Fähigkeit und der Wille
der zu befragenden Personen zur freien Erzählung. 99 Die Möglichkeit zum
induktiven Schließen, d.h. einzelnen Untersuchungsergebnisse auf das Allgemeine,
oder auf eine Theorie übertragen zu können, ist ein weiteres Abgrenzungsmerkmal
des Problemzentrierten Interviews gegenüber einer quantitativen Befragungsform.
Die im Vorfeld gebildeten Annahmen und Thesen „können revidiert, erweitert oder
auch differenziert werden, so dass keine Perspektivenverengung vorliegt.“ 100
2. Fragestellung
Nach dem Studium der Literatur über die empirische Sozialforschung wurden
Fragenkomplexe (vgl. Anhang 1) zu der individuellen, rettungsdienstlichen Situation
der zu Befragenden entwickelt.
Die Frage nach dem ersten Kontakt mit dem Rettungsdienst bzw. wie die Befragten
in den Rettungsdienst als Beruf gekommen sind, ist von besonderer Bedeutung.
Dadurch kann man Rückschlüsse auf die Interessenslagen der Befragten und im
weiteren Sinn auch auf die Motivation zur Arbeit im Rettungsdienst und auf deren
Persönlichkeitsstruktur ziehen.
Darauf zielen auch die Fragen nach Motivation zur Arbeit im Rettungsdienst und
nach der Faszination, welche vom Rettungsdienst ausgeht. Weitestgehend kann man
98
Vgl. Schaffer; Empirische Sozialforschung für die Soziale Arbeit: Eine Einführung. 2., überarbeitete
Auflage. Freiburg: Lambertus 2009. S. 114
99
Vgl. Diekmann; Empirische Sozialforschung: Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 16. Auflage.
Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 2006. S. 450
100
Vgl. Schaffer; Empirische Sozialforschung für die Soziale Arbeit: Eine Einführung. 2.,
überarbeitete Auflage. Freiburg: Lambertus 2009. S. 115
38

III Forschungsdesign ‚rettungsdienstlicher Alltag‘
also die Helfer im Rettungsdienst, das Rettungsfachpersonal, durch ihre Aussagen
nach ihrer Persönlichkeitsstruktur klassifizieren.
Um die dieser Arbeit zugrunde liegenden Problemstellung der potenziell hohen
psychischen und physischen Belastung der Rettungsdienstmitarbeiter zu überprüfen,
wird anschließend die Frage nach den Schattenseiten der Tätigkeit im Rettungsdienst
gestellt. Bei Unverständnis der Fragestellung wird diese weiter konkretisiert und z.B.
danach gefragt, welche Erfahrungen, Situationen und Erkenntnisse Probleme in
diesem Beruf verursachen könnten. Dabei werden Vorgaben zu Schichtarbeit und
Einsatzgeschehen gemacht.
Daran schließt sich die Frage nach Coping-Strategien 101 der Einsatzkräfte an.
Explizit wird danach gefragt, wer die Ansprechpartner sind, welche Initiativen von
Arbeitgeberseite kommen und ob die Einsatzkräfte Hilfe von Dritten wie
Psychologen oder anderen Beratungsberufen in Anspruch nehmen. Durch diese
Fragestellung ist es möglich, einen Ist-Stand der gemachten Angebote durch den
Arbeitgeber zu erfahren. Darüber hinaus kann man Informationen über die Team-
Interaktion 102 und dem gegenseitigen Verhältnis der Teampartner und dem
Stellenwert des gegenseitigen Vertrauens gewinnen. Zusätzlich kann das
Freizeitverhalten der Befragten als Nebenaspekt evaluiert werden.
Mit der Frage nach weiterem Bedarf an Unterstützung bzw. nach
Veränderungswünschen werden Ideen der Befragten zur Verbesserung der
psychosozialen Unterstützung gesammelt. Es soll deutlich werden welche Angebote
die Einsatzkräfte von ihrem Arbeitgeber wünschen, oder welche sie auch von
externen Anbietern in Anspruch nehmen würden.
Es schließt sich eine unkommentierte Frage nach den Definitionen von Supervision
und Kollegialer Beratung an. Damit wird überprüft, ob die Fachkräfte der
Notfallmedizin diese Begriffe richtig einordnen. Dies ist von Interesse, weil
Supervision und Kollegiale Beratung nachweislich (vgl. Kap. II) die Arbeit, also das
Produkt der Fachkräfte in den helfenden Berufen verbessern und auch die
Organisationen in ihrer Entwicklung unterstützen.
101 Bewältigungsstrategie, (von englisch: to cope with = "bewältigen", "überwinden")
102 Im Sinne des am Patienten arbeitenden Teams auf einem Rettungsmittel.
39

III Forschungsdesign ‚rettungsdienstlicher Alltag‘
Bei den Interviews wurden die Interview-Teilnehmer auch zu ihrem
Konsumverhalten von harten und weichen Drogen befragt. In der Transkription sind
die Antworten nicht abgebildet. Nach einiger Überlegung wird klar, dass die
Fragestellung sicherlich richtig wäre und Angaben über das Konsumverhalten
gemacht werden können, aber die getroffenen Aussagen in einer Face-to-Face-
Situation nicht immer wahrheitsgemäß und so verfälscht sind.
Ebenso sind die Antworten zur Frage nach dem Verhältnis zu Glaube und Religion
nicht mit dokumentiert. Nicht wahrheitsgemäße Aussagen können auch hier erwartet
werden.
3. Sampling
Die Gruppe der im Rettungsdient arbeitenden Personen ist wie in Kapitel I
beschrieben eine heterogene Personengruppe. Die verschiedenen Ausbildungsstufen
und die aufgrund unterschiedlicher Tätigkeitsprofile 103 gesammelten, verschiedenen
Erfahrungen bedingen unter Umständen andere Sichtweisen der einzelnen Personen.
Damit differiert auch der Blick auf mögliche Probleme im Beruf. Daher wurden
Interviewpartner mit verschiedenen rettungsdienstlichen Qualifikationen, sowie
Tätigkeiten, verschiedenen Geschlechts und unterschiedlich langer Berufserfahrung
ausgewählt. So wird ein breites Spektrum der Rettungsdienstmitarbeiter abgedeckt
und die Erhebung kann daher als repräsentativ eingestuft werden. Einige Befragte
waren mir vorher bekannt, zu anderen hatte ich nur in der Befragungssituation
Kontakt.
4. Vorbereitung und Durchführung der Interviews
Die Interviews mussten zeitlich terminiert werden. Eine besondere Schwierigkeit
bestand darin, sich mit den Gesprächspartnern auf einen Termin zu verabreden.
Daher erfolgten die ersten beiden Interviews in unterschiedlichen Gaststätten.
103 Haupt-, oder ehrenamtliche Tätigkeit, bzw. den Grund der Tätigkeit (z.B. Zivildienst, FSJ, primär
zum Verdienst des täglichen Unterhaltes)
40

III Forschungsdesign ‚rettungsdienstlicher Alltag‘
Weitere Interviews wurden in den Räumlichkeiten der Rettungswachen geführt.
Einige Interviewpartner konnten in einem laufenden Rettungsassistenten-Lehrgang
gefunden werden. Diese Interviews fanden in einem Besprechungsraum der
Berufsfachschule statt.
Alle Gespräche wurden durch ein Diktiergerät aufgezeichnet. Die Teilnehmer waren
damit stets einverstanden und beachteten das Gerät während des Interviews nicht
weiter. Sozialstatistisch relevante Daten wurden nach den Interviews mündlich
abgefragt und entsprechend auf Papier dokumentiert. Die Interviewdauer variierte
zwischen circa zwölf (bei Einzelinterviews) und 65 Minuten (bei
Gruppeninterviews).
5. Methodenkritik
Die Methode Problemzentriertes Interview bedingt eine kontinuierliche
Aufmerksamkeit des Interviewers. Dieser muss auf unverständliche Aussagen
reagieren und dementsprechend nachfragen. Gerade wenn man selbst ‚vom Fach ist‘
nimmt man viele Aussagen als selbstverständlich hin, bzw. lässt diese nicht genauer
erläutern, weil man sie subjektiv versteht. Ob allerdings der Befragte die Aussage
genauso interpretiert wie der Interviewer kann im Nachhinein nicht mehr überprüft
werden. Ähnlich verhält es sich mit der offenen Frageweise. Trotz dem Leitfaden
entwickeln sich verschiedene Gespräche und so kann es sein, dass die eigentlichen
Kernaussagen nicht beachtet werden.
Beides war bei der Durchführung der Interviews und der späteren Interpretation nicht
leicht und so wurden die Interviews unterschiedlich durch mich gelenkt. Dies führte
zu verschiedenem Verständnis der Fragen und damit zu verschiedenen Aussagen.
Bei der Auswertung der Interviews wurde klar, dass nicht alle im Interview gestellten
Fragen verwertbar waren. So wurde letztlich zum Beispiel die Frage nach dem
Familienstand der Interviewpartner nicht weiter beachtet bzw. betrachtet und geht
daher nicht in eine Ergebnisfindung ein.
Ebenso verhält es sich mit der Frage, ob die Interviewpartner Kollegiale Beratung
und Supervision kennen und diese definieren können. Die Tatsache, dass weder
41

III Forschungsdesign ‚rettungsdienstlicher Alltag‘
Supervisions- noch Kollegiale Beratungsformen in den Rettungsdiensten praktiziert
werden, lässt sich aus anderen Aussagen der Interviewpartner schließen.
Somit waren beide Fragestellungen nicht für diese Arbeit notwendig und damit
überflüssig.
42

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Im ersten Kapitel dieser Arbeit werden der Rettungsdienst in seiner Struktur und den
Gegebenheiten sowie die gesetzlichen Vorgaben beschrieben. Wie sehen aber nun
die Beschäftigten im Rettungsdienst ihre Situation und ihren Alltag? Und wer sind
denn diese Beschäftigten? Die in den insgesamt neun Interviews befragten 13
Personen schildern ihre Motivation zur Arbeit im Rettungsdienst, die Faszination die
von ihrer Tätigkeit ausgeht und mit welchen Problemen sie dabei konfrontiert sind.
Diese bewältigen die Personen auf ihre eigene Art, sei es durch Gespräche oder
durch bloßes ‚Abstreifen‘ der Dienstkleidung. Sie berichten auch über
Verbesserungsmöglichkeiten, welche die Arbeitgeber realisieren könnten. Die
Aussagen sind durch den Anhang II belegt und werden weiter mittels Fachliteratur
verifiziert. Ein Verweis „[2/66]“ heißt z.B., dass der Beleg für eine bestimmte
Aussage im zweiten Interview in der 66. Zeile zu finden ist.
1. Beschreibung der Rettungsdienstmitarbeiter
Der ‚typische‘ Rettungsdienstmitarbeiter im engen Sinne existiert nicht. Große
Unterschiede bestehen darin, wie die Personen zum Beruf ‚Rettungsdienst‘
gekommen sind. Es gibt auch hochgradige Unterschiede in den Persönlichkeiten. Die
bisherige Tätigkeitsdauer und die im Rettungsdienst gewonnenen Erfahrungen
prägen die Rettungsdienstler ebenso wie ihre persönlichen Einstellungen zu sich und
der Gesellschaft.
Wie kommt man zum Rettungsdienst? Diese Frage kann durch verschiedene
Aussagen beantwortet werden: einerseits waren die Personen schon vor dem
Ergreifen des Berufes in einer Hilfsorganisation tätig, fanden daher die Arbeit sehr
spannend und sehen darin einen Traumberuf 104 . Oft beginnen diese Personen direkt
nach dem Schulabschluss (Abitur) oder nach längeren Praktika. Haupt- und
104 Vgl. [2/2-6], [3/14-37], [5/2-8], [6/2-6], [9/5-8]
43

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Realschüler beginnen die Tätigkeit im Rettungsdienst meist nach einer
Berufsausbildung. Dies liegt u.a. an der Altersvoraussetzung von 18 Jahren
Mindestalter zur Mitarbeit im Rettungsdienst.
Andererseits wiederum kamen Andere über den Zivildienst oder das Freiwillige
Soziale Jahr 105 zum Rettungsdienst und hatten vorher kaum, oder gar keine
Berührungspunkte mit dem Berufsfeld. Die Altersspanne ist dabei natürlich etwas
größer; manche absolvieren ihren Dienst an der Allgemeinheit direkt nach der
Schule, andere orientieren sich im Verlauf von Ausbildung oder Studium um.
Die dritte Gruppe besteht aus den Umschülern. Diese haben bereits einen Beruf
erlernt und erlernen, oft durch die Bundesagentur für Arbeit gefördert, dann die
Theorie und Praxis der präklinischen Notfallmedizin 106 . Diese Gruppe tritt oftmals in
einem, für Berufsanfänger unüblich hohen Alter, in das Berufsleben ein.
Auffällig ist die hohe Anzahl an Studien- bzw. Ausbildungsabbrechern, die ihre
beruflichen Planungen zu Gunsten der Tätigkeit im Rettungsdienst nicht weiter
verfolgen. So haben vier der 13 befragten Personen bereits einen oder mehrere
Studiengänge, auch in höheren Semestern, bzw. ihre begonnene Berufsausbildung
abgebrochen 107 . Weitere drei Befragte arbeiten nicht mehr auf ihren gelernten
Berufen 108 .
Rettungsassistenten bilden die am höchsten ausgebildete nichtärztliche Berufsgruppe
im Rettungsdienst. Darüber hinaus gibt es keine medizinischen
Weiterbildungsmöglichkeiten. Auffällig ist dennoch, dass 12 von den Befragten sich
aktuell entweder vom Rettungssanitäter zum Rettungsassistenten ausbilden lassen
oder alle der bereits tätigen Rettungsassistenten Weiterbildungen in rechtlichen,
einsatztaktischen oder pädagogischen Bereichen abgeschlossen haben. Man erkennt
daran die hohe Bereitschaft zum Erlangen weiterführender Kenntnisse und das
105 Vgl. [1/2], [1/64], [3/2], [4/6], [4/18], [6/8], [7/2], [8/2]
106 Vgl. [3/38-63], [5/2-8]
107 Vgl. [1], [6][7], [8].
108 Vgl. [2], [3], [9]
44

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Engagement des Rettungsfachpersonals sich (auf eigene Kosten) auf dem aktuellen
‚Stand‘ zu halten.
Während den Interviews mit den älteren Kollegen fällt besonders auf, wie diese ihre
Antworten zu gestellten Fragen formulieren:
„Wurde dann aber mit einem Zivildienststellenleiter konfrontiert, der mich
zuerst aufforderte mir meine Haare zu schneiden. Worauf ich dann dieses
großzügige Dienstangebot verweigert habe.“ 109
„Also der typische, verkackte Lebenslauf einer gebrochenen Existenz.“ 110
„Meiner ist noch typischer. Ich hatte irgendwann mal angefangen
festzustellen, dass so wie ich aussehe und wie ich so bin, keine Freunde finde.
Und keine Anerkennung im Leben. Mein voller Ernst.“ 111
„Dann habe ich das zwei Jahre gemacht und die Ausbildung zum Spediteur
fertig gemacht. Man soll ja etwas Ordentliches lernen.“ 112
Man erkennt die Häufung an ironischen, sarkastischen und zynischen 113
Äußerungen. Es stellt sich die Frage, ob diese Kommunikationsart von allen
Rettungsdienstlern gewählt wird oder nur von den älteren. Bei einem Gespräch mit
erfahrenen Kollegen über neue FSJ-Kräfte imponierte folgende Aussage:
109 [3/3-5]
„Wenn die Anna mit ihren 18 Jahren direkt nach der RS-Schulung zu uns auf
die Wache kommt ist sie ganz schüchtern und bekommt keinen Ton heraus.
Nach dem Jahr bei uns verabschiedet sie sich mit den Worten ‚Bis dann ihr
Wichser!‘“
110
[3/13]
111
[3/14-16]
112
[3/49-50]]
113
„Die Ironie (griechisch) ist eine Äußerung, die – häufig unausgesprochene – Erwartungen
aufdeckt, indem zum Schein das Gegenteil behauptet wird. Der Begriff Sarkasmus bezeichnet
beißenden, bitteren Spott und Hohn. […] als Zynismus zum einen eine Haltung, die in (oft absichtlich)
verletzender Weise die Wertvorstellungen anderer herabsetzt oder missachtet, und zum anderen auch
eine Haltung, die moralische Werte grundsätzlich in Frage stellt (und sich darüber hinaus manchmal
auch über sie lustig macht). Auch eine hieraus folgende berechnend-amoralische Einstellung und
Verhaltensweise kann Ausdruck dieser Haltung sein. Zynismus kann Folge und Anzeichen von
Resignation sein. (Ein Zyniker ist jemand, der Ideale hat, aber zu wissen glaubt, dass sie nicht
realisierbar sind.)“ aus www.wikipedia.org unter den Suchbegriffen „Ironie, Sarkasmus, Zynismus“
am 18.05.2010
45

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Parallelen kann man an meiner Persönlichkeitsentwicklung der letzten neun Jahre
erkennen, wie mir Freunde und Bekannte bestätigen. Während der Schulzeit war ich
zwar immer offen, hielt mich allerdings mit kritischen, ironischen Äußerungen
zurück. Seitdem ich im Rettungsdienst arbeite findet sich auch bei mir der oben
skizzierte Duktus. Auch die Interviewpartner berichteten nach dem Interview bei
abschließenden Worten, dass sie sich seit Beginn ihrer Arbeit im Rettungsdienst
verändert hätten.
Trotz der unterschiedlichen Werdegänge scheinen die Befragten doch einiges
gemeinsam zu haben:
• Eine bestimmte Motivation zur Arbeit im Rettungsdienst und die Faszination
die davon ausgeht.
• Sie erleben im Verlauf ihrer beruflichen Aktivitäten eine persönliche
Veränderung.
• Nach längerer Tätigkeit im Rettungsdienst sind ironische, zynische und
sarkastische Elemente selbstverständlich in der Alltagssprache des
Rettungsdienstlers verankert.
Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden diese Punkte genauer betrachtet.
2. Motivation zur Arbeit im Rettungsdienst und ‚Faszination
Rettungsdienst‘
Berufe werden in erster Linie zum Bestreiten des Lebensunterhalts erlernt und
ausgeführt. Die Gegenleistung, welche man für seine Arbeit bekommt, ist, von
Ehrenamtlichen abgesehen, in der Regel das Einkommen. Dem entsprechend nannten
einige Befragte das Geld als Motivationsanreiz. Seit der Einführung des
Berufsbildes Rettungssanitäter sank das reale Einkommen bzw. die Kaufkraft. In den
80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war diese Tätigkeit noch gut
bezahlt. Dies hielt sich bis 2006 neue Dienstleistungsverträge im öffentlichen Dienst
eingeführt wurden. Die Tarifverträge der Hilfsorganisationen passen sich denen des
46

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
öffentlichen Dienstes an. Seit 2006 werden Berufsanfänger zwei Lohnklassen
niedriger eingestuft als ihre Kollegen vor 2006 114 .
In mancher Fachliteratur wird vom Helfen als Ware gesprochen. So wurde aus der
Nächstenliebe ein persönliches Verlangen nach Entlohnung für eine Tätigkeit 115 .
Während der Interviews wurde daher wahrscheinlich die monetäre Motivation nur
von den älteren Rettungsassistenten genannt 116 .
Nahezu alle Gesprächspartner nennen das Helfen als Motivation ihrer Tätigkeit im
Rettungsdienst. Helfen an sich kann ebenfalls aus verschiedenen Intentionen
herrühren. Fengler beschreibt Helfen als „spontane Anteilnahme und
Hilfsbereitschaft, als Freude daran, anderen Menschen etwas Gutes zu tun.“ 117
Ausschlaggebend ist bei diesem prosozialen Verhalten 118 , dass es uns berührt und es
uns Befriedigung gibt, wenn es anderen durch uns besser geht 119 . Fenglers Ansatz
bestätigt sich durch die Aussagen der Befragten 120 . Des Weiteren beschreibt Fengler
das Helfen als eine andere Art von Beziehungsaufbau und –gestaltung. Durch das
Helfen kommt der Helfer zwangsläufig mit anderen Personen in Kontakt 121 . Viele
helfen auch, um sich selbst von seinen Problemen abzulenken oder diese zu
bearbeiten 122 . Dies wird auch in folgender Aussage eines Befragten deutlich:
„Ich hatte irgendwann mal angefangen festzustellen, dass so wie ich aussehe
und wie ich so bin, keine Freunde finde. Und keine Anerkennung im Leben.
[…]
Ich saß in jeder freien Minute auf der Rettungswache und habe über die
Schiene ein soziales Netzwerk aufgebaut; überhaupt zum ersten Mal in
meinem Leben.“ 123
114 Vergleich von Arbeitsverträgen innerhalb des DRK Kreisverband Karlsruhe e.V.
115 Fengler; Helfen macht müde, Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher
Deformation; München: Pfeiffer 1991, S. 14
116 Vgl.[1/70-75], [9/13]
117 Fengler; Helfen macht müde, Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher
Deformation; München: Pfeiffer 1991, S. 13
118 Helfen als spontane Anteilnahme und Hilfsbereitschaft
119 Vgl. ebd.
120 Vgl. [4/97]
121 Vgl. Fengler; Helfen macht müde, Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher
Deformation; München: Pfeiffer 1991, S. 13
122 Vgl. Fengler; Helfen macht müde, Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher
Deformation; München: Pfeiffer 1991, S. 14
123 [3/14-25]
47

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Weitere, das Helfen kennzeichnende Faktoren, sind Macht und Abhängigkeit 124 . Im
rettungsdienstlichen Alltag hat man es immer mit ‚Unterlegenen‘ zu tun. Jeder
Patient ist auf die Hilfe des eintreffenden Fachpersonals angewiesen, sie befinden
sich also in einer (subjektiv empfundenen) Notlage. Bezeichnend für eine solche
subjektive Notlage ist das Notfallbild ‚Hypoglykämie‘ 125 . Es wird häufig als
'dankbarer' Notfall bezeichnet, da er sehr schnell und beeindruckend heilbar ist. So
werden bei der Hypoglykämie die Patienten oft bewusstlos vorgefunden und können
durch die Angehörigen nicht mehr erweckt werden. Die rettungsdienstliche Strategie
sieht hier die Anlage eines peripher-venösen Zuganges und die anschließende
Applikation einer sterilen Zuckerlösung vor. Ist dies erfolgt, kommt es zu einer
Bewusstseinsaufklarung des Patienten innerhalb kürzester Zeit. Meist verbleiben
diese auch zu Hause. So ist das Rettungsfachpersonal der ‚Retter‘ aus einer
lebensgefährlichen Situation. Oder der ‚Herr‘ über Leben und Tod.
Das Machtgefälle zwischen Rettungsfachpersonal und Klienten wird auch bei der
Kommunikation der beiden Gruppen untereinander deutlich. Das Fachpersonal hat
das Wissen über bestimmte Vorgänge im Körper und kann Maßnahmen zur
Sicherung der Vitalfunktionen ergreifen. Dieses Wissen und Können wird den
Patienten häufig und unpassend ausführlich durch Erklärungen demonstriert.
Besonders ausgeprägt ist diese Verhaltensweise gegenüber anderen helfenden
Berufen oder gegenüber den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben.
So zum Beispiel werden Polizisten bei Verkehrsunfällen überschwänglich für die
Erstversorgung von Verletzten gelobt; gefolgt von ausführlichen
Verbesserungsvorschlägen ‚für das nächste Mal‘.
Alle Befragten geben an, sie seien zur Arbeit im Rettungsdienst auch deshalb
motiviert, weil jeder Tag und jeder Einsatz anders verläuft. Sie wüssten nicht was auf
sie zukommt. Daraus ergibt sich für sie eine Art Adrenalin-Kick:
124
Vgl. Fengler; Helfen macht müde, Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher
Deformation; München: Pfeiffer 1991, S.18
125
Also eine Unterzuckerung des gesamten Organismus, welche sich besonders auf die Gehirnfunktion
und damit das Bewusstsein auswirkt. Das Gehirn braucht für eine regelrechte Funktion einen
adäquaten Sauerstoff- und Blutzuckerspiegel. Zu diesem Notfallbild wird das Fachpersonal meist
ohne Notarzt alarmiert.
48

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
„Für mich […] ist die Faszination […]Menschen in Extremsituationen zu
erleben, mich in Extremsituationen zu erleben.“ 126
„Unter spektakulären Bedingungen und mit aufsehenerregenden Maßnahmen
Gutes zu tun am Nächsten. In dem man Menschenleben rettet.“ 127
„Rettungsdienst macht einfach Spaß, man sieht viel, man erlebt viel, es ist
einfach spannend.“ 128
„Man sitzt im Auto und meldet sich frei und dann ist es auch so ein gewisser
Adrenalinkick, wenn man nicht weiß wo man jetzt hin geht.“ 129
„Die heutige Faszination ist einfach nie zu wissen was morgen auf einen
zukommt. […] Das Ungewisse, das mag ich an meinem Job. […] So die
‚Nicht-Routine‘.“ 130
„Kleines bisschen Abenteuer! Du bist mit deinen Kollegen, Artgenossen,
Kumpels zusammen auf dem Dienst. Machst dir zusammen Frühstück und
dann geht der Piepser runter und dann fährst du zum Einsatz. Und jeder
Einsatz ist anders, ob es ein Krankentransport ist oder ein Notfalltransport,
ob es jetzt ein Verkehrsunfall ist, das ist ja ein Notfalleinsatz. Oder, ob es
etwas Internistisches ist, oder ein Herzinfarkt, es ist immer etwas anderes,
immer ein neues Erlebnis. Das ist wie der Bergsteiger, der sich immer eine
neue Wand sucht zum Beklettern. Und er findet immer eine neue Wand. Es ist
nie die gleiche Wand die er beklettert. Es ist immer Abenteuer dabei.“ 131
Grundsätzlich laufen Notfallbilder bzw. die notfallmedizinischen Behandlungen der
Patienten immer nach den gleichen Algorithmen ab. Prinzipiell ist das Ziel der
Notfallmedizin die Sicherung, Erhaltung oder Wiederherstellung der
Vitalfunktionen 132 . Dies erreicht man durch sogenannte Basis- und erweiterte
Maßnahmen. Diese sind die richtige Lagerung des Patienten, Sauerstoffgabe,
Untersuchungsgänge bzw. Diagnostik und ggf. Medikamentenapplikation. Demnach
wiederholen sich die Versorgungsmuster immer wieder. Was macht also den
besonderen Reiz und den ‚Adrenalinkick‘ aus?
126 [3/71-73]
127 [3/65-70]
128 [4/28-29]
129 [4/49-51]
130 [6/13-15]
131 [9/23-30]
132 Die Vitalfunktionen sind die lebenswichtigen Funktionen des Patienten, also Bewusstsein, Atmung
und Kreislauf.
49

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Oerter 133 beschreibt diesen Motivationsansatz als Neugiermotivation. Grundsätzlich
wird in diesem Motivationsmodell beschrieben, dass wir nur motiviert werden, wenn
wir uns in einer ausgewogenen Zone zwischen Alt-Bekanntem und neuen
Herausforderungen bewegen. Sind Situationen zu bekannt, dann erscheinen sie
jemandem also als langweilig. Wird man allerdings mit sehr komplexen, schwierigen
Situationen konfrontiert, so können die extremen Reize Angst und
Vermeidungshaltung provozieren. Der Rettungsdienstmitarbeiter ist also am besten
motiviert wenn sie in dieser Zone arbeiten.
„Das Helfen an sich und die ständige Herausforderung Neues zu lernen. Die
Medizin ist im ständigen Wandel.“ 134
Eine Häufung von Routinearbeiten, z.B. Krankentransporte wirkt demotivierend:
„Du wie ich sind doch genau diejenigen, die morgens um acht in das Auto
einsteigen, in der Hoffnung, wenn du gerade deine Fahrt vom Klinikum
Hauptaufnahme zurück ins ‚Joseph-Bauer-Haus‘ auf dem Melder hast, dann
fährst du extra langsam, in der Hoffnung du bekommst auf dem Weg ins
Klinikum noch irgendwie eine Auftragsänderung (Anmerkung:
Auftragsänderung = Notfall).“
„Uns Jüngere motiviert jetzt natürlich super wenn es abgeht, aber für die
Älteren, die kucken dann eher, dass sie die Fernfahrten bekommen, […]“ 135
Ein weiterer Motivationsaspekt der genannt wurde, ist das Fahren mit Blaulicht 136 .
Dieser Aspekt beinhaltet zwei Gesichtspunkte. Wenn ein Einsatzfahrzeug Blaulicht
und Einsatzhorn einschaltet, so tangiert der Einsatzfahrer zwei gesetzliche
Regelungen. Der § 35 StVO regelt die Sonderrechte, also die zulässige
Überschreitung der Straßenverkehrsordnung zur Gefahrenabwehr, bzw. um Schaden
von der Gesundheit eines Menschen abzuwenden und zu vermeiden. Im § 38 StVO
ist hingegen das sog. Wegerecht geregelt. Dies besagt, dass bei Nutzung von
Blaulicht mit Einsatzhorn alle anderen Verkehrsteilnehmer sofort Platz zu schaffen
haben. So darf sich der Rettungsdienstmitarbeiter nicht nur über bestehende Gesetze
133 Vgl. Oerter, Montada; Entwicklungspsychologie; 4. Auflage; Weinheim: Beltz 1998; S. 769
134 [9/15-16]
135 [4/109-110]
136 Vgl. [3/85], [5/35]
50

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
hinwegsetzen, also Grenzen überwinden, sondern er weist alle anderen auch an,
sofort die Straße zu räumen. Der Rettungsdienstler hebt sich somit in seiner Selbst-
und Fremdwahrnehmung aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit offensichtlich von
der Masse ab.
Rettungsfachpersonal trägt zum Schutz vor Wetter und Infektionen sowie zur
besseren Sichtbarkeit im Verkehr eine Dienst-Uniform. Damit zeigt es (das Personal)
nach außen zum einen die Zugehörigkeit zu ihrer Berufsgruppe, zum anderen wird
dadurch Interesse von Dritten am Fachpersonal geweckt. Auch hier hebt sich dieses
wieder von der breiten Masse ab und erfährt subjektiv eine Sonderstellung gegenüber
der breiten Bevölkerung.
„[…] die Leute mit ihrer Dienstkleidung wo jeder guckt und ‚ah, die
Retter‘.“ 137
Die Betrachtung der oben genannten Motivationsaspekten und der Faszination die
vom Rettungsdienst ausgeht, komme lässt eine „Urmotivation“ aller
Rettungsdienstmitarbeiter erkennen: die Steigerung des Selbswertgefühls.
Mehrere Befragte tätigten diese Aussage und einer bestärkte diese noch dadurch,
dass ihm die Tätigkeit im Rettungsdienst Selbstbefriedigung gäbe:
„Einsatz mit viel Publikum drum rum ist natürlich auch etwas für das
Selbstwertempfinden.“ 138
„Weil ursprüngliche Motivation war was zu erzählen zu haben,
Geltungsbedürfnis und ein gewisses Maß an Selbstbefriedigung; mittlerweile
ist es fast nur noch Selbstbefriedigung.“ 139
Nach Maslow 140 ist die Wertschätzung ein bedeutender Punkt in der
Bedürfnishierarchie, welche unsere Motivation steuert. Wertschätzung heißt das
137 [5/37-38]
138 [3/75-76]
139 [3/95-97]
140 In Zimbardo/Gerrig; Psychologie; 16., aktualisierte Auflage; München:Pearson 2004; S. 540
51

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Bedürfnis nach Vertrauen, das Gefühl kompetent zu sein, sich selbst wert zu
schätzen und durch andere Anerkennung zu bekommen.
3. Problemlagen im Rettungsdienst
Der Rettungsdienstmitarbeiter ist in seinem Alltag mit vielseitigen Problemen
konfrontiert. Einsätze werden nicht wie gewünscht abgearbeitet oder man hat keinen
Behandlungserfolg am Patienten, private Probleme beeinträchtigen die Arbeit, oder
strukturelle Voraussetzungen gewährleisten nicht die gewünschten bzw.
erforderlichen Handlungsoptionen. Im Folgenden werden Belastungen und
Problemlagen beschrieben und die Schattenseiten der Tätigkeit im Rettungsdienst
aufgezeigt, welche durch die Befragten genannt wurden. Im Anschluss daran wird
beleuchtet, welche Faktoren einen Einsatz ‚scheitern‘ lassen können.
3.1 Schattenseiten des Berufes
Die Aussagen zu den Schattenseiten im Beruf Rettungsdienst werden folgend auch
bei Einzelnennungen beschrieben. Klewer et al. 141 gehen von verschiedenen
Belastungsfaktoren entsprechend nach Ursachenbereichen aus:
141 Klewer/Dix; Gesundheitsförderung im Rettungsdienst: Welche Belastungen wirken auf die
Mitarbeiter ein?; in Rettungsdienst 11/2009;Esewecht: S&K 2009; S. 20-24
52

Patientenabhängige
Belastungsfaktoren
IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Verteilung der Belastungsfaktoren nach Ursachenbereichen
Administrative
Belastungsfaktoren
Alter der Patienten Fehlende Rückmeldung über
die geleistete Arbeit am
Patienten
Berufsbedingte
Belastungsfaktoren
Entscheidungszwang
Extreme Gerüche Schichtarbeit Fahrt unter Nutzung von
Heben / Tragen der Patienten Umgang mit wechselnden
Umfeld / persönliche Situation
des Patienten
Teamkollegen
Sonder- und Wegerecht
Abrupte Wechsel zwischen
Ruhe- und Aktivphasen
Unklare Einsatzmeldungen Unbestimmte Wartezeiten
zwischen den Einsätzen
Unregelmäßige
Nahrungsaufnahme
Verantwortung für das Leben
der anvertrauten Patienten
Eigene Tabelle in Anlehnung an Klewer et al.
Nachfolgend wird auf einige der von Klewer et al. genannten Faktoren eingegangen.
3.1.1 Schichtarbeit
Einige der Befragten sehen die Schichtarbeit als größte Schattenseite im Beruf an.
Die Schichtmodelle sind von Rettungsdienstbereich zu Rettungsdienstbereich und
dabei auch im Bezug auf die Rettungswachen oder Hilfsorganisationen
unterschiedlich. Letztlich muss eine 24 Stunden umfassende notfallmedizinische
Versorgung der Bevölkerung gewährleistet sein. Aschoff et al. 142 beschreiben eine
massive Beeinträchtigung des Bio-Rhythmus von Schichtarbeitern. Gerade bei
Schichtwechseln von Tag- auf Nachtdiensten, oder umgekehrt muss sich der
Organismus darauf einstellen. In manchen Schichten kann das Rettungsfachpersonal
sich zum Schlafen hinlegen. Kommt es dann in einer Tiefschlafphase oder in einer
142 Vgl. Aschoff/von Goetz/Wildgruber; Meal timing humans during isolation without time cues;
Journal of Biological Rhythms; 1986; S. 151-162
53

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
nächtlichen Ruhephase zu einem Einsatz, so wirkt sich das negativ auf das physische
Regenerationsvermögen aus.
3.1.2 Physische Belastungen durch Tragen und Heben
Nicht nur die Schichtarbeit, sondern auch weitere physische Belastungen wurden von
den Befragten genannt. Als physisch besonders belastend wird das Tragen und
Heben von Patienten angegeben 143 . Gebhardt et al. 144 führen dazu aus, dass das
Heben und Tragen (auch von schweren Patienten) mit ungünstiger Körperhaltung,
die plötzlich einsetzenden Belastungen (Wechsel Ruhe- und Aktionsphase), das
Ziehen und Schieben von Tragen, das nicht zur Ruhe kommen und kniendes
Arbeiten (z.B. bei Reanimationen), spezifische Belastungen für das
rettungsdienstliche Fachpersonal darstellen.
3.1.3 Über- und Unterforderung
Einige der Befragten nannten den Stress, welchem sie bei den Einsätzen ausgesetzt
sind, als besonders belastend:
„Einfach dieser Stress auch, die Schichtarbeit…“ 145
„Hm, Schattenseiten sind, das es manchmal schon stressig ist. Vor allem
wenn viel los ist und dann vom einen zum anderen geschickt wird und
zwischendurch nicht mal kurz runterkommen kann.“ 146
Dieser Stress wurde im Verlauf der Interviews nicht näher definiert. Maßberg 147
sieht hier zwei konkurrierende Extreme während des Schichtablaufes: Zum einen den
143 Vgl. [3/95-101], [4/59-60]
144 Vgl. Gebhardt/Klußmann/Maßbeck/Topp/Steinberg; Sicherheit und Gesundheit im Rettungsdienst.
Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin; Forschungsbericht 1068
145 [4/102]
146 [7/19]
54

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Dauereinsatz als Überforderung und zum anderen das ungewisse Warten auf den
nächsten Einsatz, die Unterforderung. Beides gleichermaßen bedeutet eine erhebliche
psychische Belastung. Im ersten Fall hat man keine Zeit Erlebtes aufzuarbeiten. Die
Unterforderung deshalb, weil die Einsatzkraft nicht weiß wann welcher Einsatz
kommt. Dadurch kommt es zu einer erheblichen psychischen Anspannung.
3.1.4 Belastung durch strukturelle Bedingungen
Der rettungsdienstliche Ablauf ist strukturell durch Gesetze und
Organisationsabläufe der Rettungsdienstanbieter geregelt. Trotz der Freiheiten 148 ,
welche die Einsatzkräfte in ihrem Tätigkeitsfeld haben, sehen manche Fachkräfte die
rettungsdienstlichen Strukturen als Problem:
„Und ansonsten, dass man sich halt immer von Hausärzten sagen lassen
muss, was man macht oder machen muss soll und sie gemacht haben. Und im
Endeffekt davon ausgehen kannst, dass es nicht unbedingt das Beste für den
Patienten ist was sie gemacht haben. Und du dann im Endeffekt nichts sagen
kannst.“ 149
„Warum soll ich mich verausgaben, wenn ein Patient, den ich im Schockraum
anmelde, erstmal eine Viertelstunde irgendwo rumliegt, weil sich keine Sau
drum kümmert und der Herr Anästhesist noch schläft. Oder warum soll ich
mir draußen, äh, den Wolf diagnostizieren, wenn meine Verdachtsdiagnose
nicht von der Leitstelle an die Klinik gemeldet wird. Warum soll ich mich
überhaupt noch mit jemandem sinnvoll auseinandersetzen, wenn es Menschen
gibt, die aufgrund von Statusdünkel, das ist auch wieder Frustration, oder die
Ärzte und Pflege mit denen wir zu tun haben leiden ja auch unter den
Systemzwängen. Ähm, aber sie sind nicht erkenntnisreich genug diese
Systemzwänge am System auszulassen, sondern am vermeintlich
147
Vgl. Maßberg; Psychische und physische Fehlbelastungen – Vergleichende Analyse verschiedener
Studien im Rettungsdienst. In: Konferenz über gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen; Köln
2005
148
Während einer Einsatzschicht arbeitet man am Patienten weitestgehend selbstverantwortlich.
Darüber hinaus können private Erledigungen innerhalb der Bereitschaftszeit getätigt werden.
Innerhalb der Einsätze kann der zeitliche Arbeitsablauf seiner individuellen ‚Motivation‘ angepasst
werden, d.h. die jeweiligen Aufenthaltszeiten in den Kliniken und Patienten-Zielorten können
entweder hinausgezögert oder zeitlich stark durch das Fachpersonal eingeschränkt werden. Bei der
Fahrt zu Krankentransporten können kleine Umwege, ohne dass dies die Leitstelle bemerkt, gefahren
werden.
149
[2/41-46]
55

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Niedergestellten; das ist der Rettungsdienstler. Ein Assistenzarzt der
Chirurgie, der einfach die Vakuummatratze wegreißt und die Stif-Neck
wegreißt, ohne ein Röntgenbild in der Hand zu haben, das bahnt jeder
Vernunft und Intellekt. Ist aber rettungsdienstlicher Alltag.“ 150
„Wenn es irgendwelche sinnlosen Diskussionen im Krankenhaus gibt, oder
mit Angehörigen, oder mit der Leitstelle, oder mit…, was weiß ich. Es gibt so
oft Ärger wegen nichts, wo man sich aber trotzdem irgendwann wieder
darüber aufregt.“ 151
„M: Je länger man dabei ist, desto mehr Schattenseiten lernt man kennen.
Äh, Schattenseiten… es ist die Tätigkeit, also das Aufgabenspektrum welches
man wirklich macht. Die sind vor allem bei Entscheidungsträgern, die rund
herum existieren wenig bekannt, wie Rettungsdienst tatsächlich aussieht und
wirklich funktioniert.
I: Wer sind solche Entscheidungsträger?
M: Politiker, also auf kommunaler Ebene, auf Bundesebene, die guten
Ärztlichen Leiter Rettungsdienst. Oder auch Leitende Notärzte, das ist auch
personenabhängig. Die auch wenig Einblicke haben, wie der Dienst
funktioniert. Und hier unten im Süden auch die Führungsebene immer weiter
weg ist vom Arbeitsgeschehen.“ 152
An diesen Aussagen lassen sich mehrere Faktoren der Schattenseite
‚Rettungsdienststruktur‘ erkennen 153 .
Durch die allgemeine Weisungsbefugnis der Ärzte gegenüber dem
Rettungsfachpersonals entstehen Spannungen, welche sich auf die Spezialisierung
der Ärzte zurückführen lassen. Bei den Aussagen ist auffällig, dass keine kritisiert
werden. Vielmehr beziehen sich die Befragten auf Hausärzte oder auf Fachärzte,
welche nur unzureichende rettungsdienstlichen Kenntnisse vorweisen können.
Im Umgang mit diesen nicht notfallmedizinisch ausgebildeten Ärzten kommt es
häufig zu Konfrontationen im Bezug auf Behandlungsstrategien. Beispielsweise
sehen einige Hausärzte in der Immobilisation eines wirbelsäulenverletzten Patienten
eine rein notärztliche Maßnahme, welche sie selbst nicht durchführen und es daher
dem Rettungsfachpersonal nicht erlauben. Hier steht der Rettungsdienstler unter
150 [3/178-186]
151 [4/84-87]
152 [8/25-34]
153 Vgl. Kühn/Luxem/Runggaldier (Hrsg.); Rettungsdienst; 1. Auflage, Urban & Fischer, München,
1998, S.700-701
56

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Abwägungs-Druck. Einerseits ist er zwar an die Weisung des Arztes gebunden,
andererseits weiß er aber, dass die Immobilisation solcher Patienten internationaler
Standard ist und auch Sanitätspersonal 154 diese Maßnahmen anwendet Der
Rettungsdienstler ist also (nicht nur moralisch) verpflichtet, die Maßnahme
anzuwenden und sich gegen den Arzt durchzusetzen. Die daraus resultierende
Konsequenz ist nicht selten eine Beschwerde des Arztes beim Arbeitgeber des
Rettungdienstlers.
Auch wird die Schnittstelle Rettungsdienst-Notaufnahme indirekt kritisiert. Die
Übergabe des Patienten geschieht häufig an das diensthabende Pflegepersonal. Auch
hier differieren die Sichtweisen / Interessen des Rettungsdienst- gegenüber dem
Pflegepersonal. Belegbar ist, dass Ärzte wie auch Pflegepersonal im Krankenhaus
stets auf beste Umgebungsverhältnisse zurückgreifen können: Die
Behandlungsräume sind durchweg optimal ausgeleuchtet und es ist warm, es gibt
i.d.R. keine Platzprobleme (Patienten können von mehreren Seiten, von mehreren
Personen gleichzeitig behandelt werden), medizinisches Material und diagnostische
Geräte sind vorhanden und Spezialisten (Fachärzte, Fachpflegepersonal) können
schnell hinzugezogen werden.
Das Beispiel ‚Verkehrsunfall‘ (hier fiktiv, dennoch realistisch) ist bezeichnend für
oben umrissenes Spannungsfeld:
In der Nacht und bei strömendem Regen kommt ein mit einem Insassen besetzten
PKW in einer Geschwindigkeit von 50km/h von der Straße ab und überschlägt sich
mehrfach. Es kommt im Straßengraben neben mehreren Bäumen zum Liegen. Das
Fahrzeug ist total beschädigt und deformiert. Dem Insassen gelang es sich zu
befreien. Beim Eintreffen des Rettungsfachpersonals und des Notarztes sitzt der
Patient völlig desorientiert neben dem Fahrzeug und klagt primär über keine
Schmerzen, aber fragt was denn passiert sei. Nach internationalem Standard beginnt
das Rettungsteam die Versorgung des Patienten in unwegsamen Gelände bei
154 Vgl. Kapitel I „Geeignete Person“
57

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
schlechten Sichtverhältnissen. Der zügige Transport wird angestrebt, um weitere
Diagnostik in der Klinik betreiben zu können. Während der Fahrt verbessert sich der
Zustand des Patienten zunehmend und in der Klinik angekommen kann er sich
wieder an den Unfallhergang erinnern und verspürt lediglich leichte Schmerzen im
Brustbereich wegen des Gurtes, ansonsten ein leichtes ‚Ziehen‘ im Nackenbereich.
Er könne in die Aufnahme laufen. Das Fachpersonal entschließt sich den Patienten
trotzdem voll immobilisiert in die Aufnahme zu bringen. Der Arzt und das
Pflegepersonal hören sich die Übergabe an, sprechen einen kurzen Satz mit dem
Patienten, bauen die Immobilisation ab und lassen den Patienten im Wartebereich
Platz nehmen.
Einige der Befragten sehen auch Probleme darin, dass Hilfsorganisationen
rettungsdienstliche Leistungserbringer sind und deren Führungskräfte eine weitere
Qualifizierung von rettungsdienstlichem Personal nicht anstreben.
Hilfsorganisationen sind grundsätzlich ehrenamtliche Vereine, welche sich
hauptamtlichen Personals für Aufgaben, welche sie nicht ehrenamtlich bewältigen
können, bedienen. Daraus resultiert die hohe Anzahl an ehrenamtlichen Helfern im
Rettungsdienst, welche entsprechende Qualifikationen vorweisen müssen (also die
rettungsdienstlichen Fachausbildungen absolvieren und finanzieren). Daneben ist der
Rettungsdienst nur einer von vielen Tätigkeitsbereichen der Hilfsorganisationen.
3.1.5 Belastungen durch Patienten und Einsatzcharakteristik
Schattenseiten des Berufes oder psychische Belastungen resultieren auch aus den
Klienten und Patienten 155 des Rettungsdienstes. Einsätze mit schwer erkrankten oder
verletzten Kindern und jüngeren (junge Erwachsene) Patienten werden als besonders
belastend empfunden. Dabei ist oft auch die Interaktion mit den Angehörigen
schwierig: Das Rettungsfachpersonal muss psychisch betreuen und in
Ausnahmefällen begleitende Trauerarbeit leisten:
155
Patienten sind die originären Klienten des Rettungsdienstes. Dennoch belastet die Situation eines
Patienten dessen ganzes persönliches Umfeld. Diese Personengruppen müssen, auch wenn sie nicht
selbst erkrankt oder verletzt sind, betreut werden.
58

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
„Bei meiner letzten Schicht habe ich noch einer Mutter erklärt, dass ihr Kind
tot ist auf dem KTW. Ich habe sechs oder sieben Reanimationen gehabt,
darunter auch welche von jüngeren Personen so um die 30. Oder auch die
legendäre Reanimation am Frühstückstisch vom 40-jährigen Vater mit zwei
Kindern hatte ich schon.“ 156
Weiterhin schildern nahezu alle Befragten die fehlenden Rückmeldungen seitens der
weiterversorgenden Institution als Schattenseite des Berufes. So fehlen in
Deutschland bislang standardisierte, organisationsübergreifende Rückmeldesysteme.
Das Rettungsfachpersonal versorgt die Patienten und bringt sie dann i.d.R. in die
Klinik. Komplizierte Verletzten- bzw. Erkrankungsmuster stellen für den
Rettungsdienst aufgrund der eingeschränkten Diagnosemöglichkeiten eine große
Herausforderung dar. Gerade bei solchen Notfällen möchte das Rettungsfachpersonal
wissen, welche Diagnose festgestellt wird, welche weiteren Maßnahmen an den
Patienten ergriffen werden und wie der klinische Heilungsverlauf ist.
„Oder ich versuche es mit einem Notarzt, den ich leiden kann, zu reflektieren,
ob das alles ok war.“ 157
Pietzek 158 sieht neben den psychisch belastenden Problemen ‚junger Patient‘ und
‚fehlende Rückmeldung‘ zusätzlich noch die Einblicke in die Privatsphäre der
Patienten bzw. deren Lebensumstände als weitere kritische Punkte. So kann es sein,
dass Rettungsdienstler Zeuge von Gewalttätigkeiten in Familien werden, ohne dieses
Wissen aufgrund der Schweigepflicht weitergeben zu dürfen. Häufig sind die Helfer
auch über die persönliche Situation der Patienten erschreckt: Beim Einsatz betritt
man als Fremder die Wohnungen der Patienten und bekommt Zutritt zu allen
Räumen. Gerade in Wohnungen älterer Patienten oder in Messie-Wohnungen 159
156
[6/35-39]
157
[1/163-164]
158
Pietzek; Rettungsdienst bis 67?, Pro und Contra für das Arbeiten im Rettungsdienst bis zum
Rentenalter; Bachelorarbeit; Hochschule Magdeburg-Stendal: 2007; S. 26-27
159
„Der Begriff Messie-Syndrom (von engl. mess = Unordnung, die korrekte englische Bezeichnung
lautet Compulsive Hoarding) bezeichnet schwerwiegende Defizite in der Fähigkeit, die eigene
Wohnung ordentlich zu halten und die Alltagsaufgaben zu organisieren; es können ernsthafte
seelische Störungen vorliegen.“ www.wikipedia.org am 18.05.2010
59

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
kommen die Rettungskräfte oft an ihre körperlichen (olfaktorische Belastung) und
psychischen Grenzen.
Bei manchen Einsätzen kann es zu Gefährdungen der Helfer kommen:
„Ich habe auch schon ein paarmal Angst um mein Leben haben müssen, weil
jemand mit einer Rasierklinge mir hinterher gerannt ist.“ 160
Nicht nur spektakuläre Einsatzgeschehen wie Geiselnahmen oder Amokläufe,
sondern auch Routineeinsätze können gefährlich werden. Bei Notfällen im
öffentlichen Straßenverkehr, oder aber bei der Versorgung von Verletzten nach
Schlägereien, oder aber bei Familienstreitigkeiten müssen die Helfer an ihre
Sicherheit denken. Im Umgang mit drogenintoxikierten Patienten ist ebenso Vorsicht
geboten, wie in normalen Wohnungen, wo Hunde frei umherlaufen können. In der
Wahrnehmung des Hundes wirken die „ins Haus eindringenden“ und dem „Herrchen
nahekommenden“ Rettungsdienstmitarbeiter bedrohlich, was durch die angespannte
Stimmung noch verstärkt wird
3.1.7 Problem ‚Teampartner‘
Rettungsdienst ist ein ‚Team-Sport‘. In jedem Team muss man sich auf seine
Mitspieler verlassen können. Viele befragte Personen geben an, dass sie sich nach
den Einsätzen mit ihren Teampartnern darüber unterhalten (siehe Kapitel IV 4.) und
dadurch das Erlebte aufarbeiten können. Rettungsfachpersonal bewegt sich bei der
Abwicklung von den Notfällen oft in rechtlichen Grauzonen 161 - u.a. deshalb ist es
unabdingbar, dass sich das Fachpersonal
a) in der Entscheidungsfindung und dem Therapieentschluss ergänzt und
b) sich die Rettungsdienstler ‚blind‘ vertrauen können.
160 [6/39-41]
161 Z.B. bei der Ergreifung von originär ärztlichen Maßnahmen, welche aber zur Abwehr von
gesundheitlichen Schäden der Patienten durch Rettungsfachpersonal gem. der Empfehlungen der
Bundesärztekammer zur Notkompetenz durchgeführt werden können und müssen.
60

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
a) Wie in Kapitel I beschrieben werden Rettungsmittel in Baden-Württemberg nicht
immer durch zwei Rettungsassistenten besetzt. So müssen Rettungsassistenten unter
Umständen mit Partnern, welche über eine kurze Ausbildung verfügen, ihren Dienst
verrichten. Diesen Partnern fehlen nicht nur theoretisches und praktisches Wissen zur
Versorgung von Notfallpatienten, sondern auch die praktische Erfahrung.
Ein Rettungsassistent wird beispielsweise mit einem frisch ausgebildeten
Zivildienstleistenden in einer Schicht eingesetzt. Diese Besatzung wird von der
Leitstelle zu einem Verkehrsunfall mit mehreren betroffenen Personen beordert und
trifft als erstes Rettungsmittel ein. Die Aufgabe des Rettungsassistenten wäre es, die
Betroffenen zu sichten, den Zivildienstleistenden zur Versorgung der Patienten
anzuleiten und schließlich eine Lagemeldung an die Leitstelle zu geben.
Problematisch wird dabei die eigenständige Versorgung durch den ‚Zweiten Mann‘.
Dieser hat in der RS-Ausbildung z.B. lediglich die Assistenz zur Venenpunktion
erlernt.
Ein zweites Beispiel: Der Zivildienstleistende (RS-Qualifikation) fährt zum ersten
Mal eigenverantwortlich mit einer weiteren geeigneten Person in einer
Krankenwagen-Schicht. Bei einer Fernfahrt 162 bekommt der Patient einen
Herzinfarkt. Der noch unerfahrene Rettungssanitäter muss nun über Funk bei einer
fremden Leitstelle in unbekanntem Gebiet einen Rettungswagen und Notarzt
nachfordern und gleichzeitig die notfallmedizinische Erstversorgung des Patienten
mit spärlichem Material 163 übernehmen.
Bei diesen Beispielen wird deutlich, welcher komplexen Aufgabenstellung bzw.
Erwartungshaltung das Rettungsfachpersonal gerecht werden muss. Deren routinierte
Abarbeitung ist schwierig und bedarf einer entsprechenden Erfahrung. In beiden
Beispielen ist zum einen der Rettungsassistent, zum anderen der Rettungssanitäter
für die Gesundheit und Koordination von bis zu vier Personen 164 verantwortlich.
162
Längere Fahrten außerhalb des eigentlichen Einsatzgebietes; meist Rückholtransporte oder
Verlegungen.
163
Vgl. Kapiten I: KTW sind weniger umfangreich ausgestattet als RTW
164 Bei sich selbst, dem unterstellten Kollegen, evtl einem Praktikanten und dem Patienten.
61

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Diese Aufgaben erfordern eine gefestigte Persönlichkeit des
Rettungsfachpersonals 165 .
b) „Es sind auch gute Kollegen. Es ist wie überall, es gibt halt nette und es gibt
halt weniger nette. Es gibt Leute mit denen versteht man sich ganz gut, die
auch in aller Regel fit sind und es gibt jede Menge Leute, die doof sind. Die
einfach gestrickt sind. Es hängt aber auch mit der Bezahlung zusammen. Du
bekommst halt für dieses Gehalt mit dem man im Moment anfängt keine
cerebral suffizienten Typen mehr dazu im Rettungsdienst anzufangen. Aber
wir haben auch Ausnahmen. Ganz wenige Idealisten, die das noch gerne
machen.“ 166
„Wobei ja, gut der Faktor Kollegen spielt auch schon mit. Ein paar
Kollegen…“ 167
„Also es fahren einfach noch viel zu viele Badkappen rum.“ 168
Rettungsdienstliche Schichtmodelle sind von Arbeitgeber zu Arbeitgeber
verschieden. Sie reichen von sieben bis zu 24-Stunden-Schichten. Einige
Rettungsdienstträger teilen dazu feste Schichtpartner ein. Die meisten jedoch haben
wechselnde Schichtpartner. Bei der langen Dauer der Schichten und dem
unmittelbaren Zusammenarbeiten ist ein zwischenmenschlich gutes Verhältnis
unabdingbar. Bestehen große Konflikte innerhalb der Einsatzteams ist es nicht nur
eine große psychische Belastung für das Team, sondern letztlich auch das Wohl der
Patienten gefährdet.
3.1.8 Problem ‚Ernährung‘
„Ich meine, das ist hier auch kein gesunder Lebensstil: Man trinkt Kaffee,
man ernährt sich nicht besonders gut während der Arbeit, weil man auch
einfach nicht die Möglichkeit hat.“ 169
165 Vgl. Overhagen; Einsatz ohne Grenzen: Zum Problem des Burn-out im Rettungsdienst; in
Rettungsdienst 1/2010; Edewecht: S&K 2010; S. 56-59
166 [1/88-94]
167 [2/26]
168 [3/188-189]
169 [4/111-113]
62

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
„Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen…“, ein alt bekanntes Sprichwort,
welcher im Rettungsdienst eine besondere Bedeutung zukommt. Eine gesunde
Ernährung ist Basis für körperliche und geistige Leistungsstärke und –bereitschaft.
Durch die besonderen Arbeitszeiten im Rettungsdienst und den vor allem bei dem
Dienst auf Rettungswagen nicht planbaren Einsätzen ist eine gesunde Ernährung nur
eingeschränkt möglich. Oft bleibt für ein geregeltes Essen keine Zeit. Dies führt zu
verstärktem Konsum von Fast-Food und dem ‚Runterschlingen‘ der Mahlzeiten.
Zudem finden die Mahlzeiten dann über den Tag selten statt und fallen daher
dementsprechend üppig aus. Problematisch ist dieses Essverhalten für das
Rettungsfachpersonal auf zweierlei Weise. Zum einen können die Mitarbeiter im
Rettungsdienst in einen Bereich der Unterzuckerung kommen. Das bewirkt einen
abrupten psychischen und physischen Leistungsverlust mit unter Umständen
verstärkte Aggressivität und Konzentrationsverlust als mögliche Symptomatik. Zum
anderen ist der Rettungsdienstler nach den üppigen Mahlzeiten sehr träge, es kommt
zu Leistungseinbußen aufgrund einer unter Rettungsdienstlern so genannten
‚Fressnarkose‘. Spätfolgen dieser Ernährung sind mögliches Übergewicht und das
damit verbundene Risiko kardio-vaskulärer Erkrankungen.
3.2 Der ‚schiefgelaufene‘ Einsatz
Viele der von den befragten Rettungsdienstlern genannten Schattenseiten und
Problemlagen wurden nun beleuchtet. Bei weiteren Gesprächen (während meiner
Arbeit im Rettungsdienst, in Pausen, oder auf der Rettungswache geführte
Gespräche) mit Rettungsfachpersonal wurde ich auf weitere Probleme im
Einsatzablauf aufmerksam gemacht, welche einen alltäglichen Einsatz zu einem
psychisch belastenden Einsatz werden lassen können. Schuld daran sind
verschiedene (menschliche) Faktoren, die für sich gesehen kleine Probleme
darstellen, aber in Summe auftreten und somit ein nicht zu unterschätzender Stressor
darstellen. Bei diesen Einsätzen ist der Patient danach vielleicht objektiv optimal
versorgt, doch das Rettungsteam sagt am Ende der Schicht ‚den einen Einsatz hätte
man sich sparen können‘.
63

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Die Rettungsleitstelle koordiniert, wie bereits beschrieben, die Einsätze. Bei der
Aufnahme der Einsatzdaten von den Anrufern kann es zu verschiedenen
Missverständnissen, bzw. Abfragefehlern des Leitstellenpersonals kommen. So
können verschiedene, nebeneinander liegende Städte die gleiche Vorwahl haben (vgl.
Mannheim und Ludwigshafen). Diese Städte haben oft auch die gleichen
Straßennamen und so kommt es, dass die Rettungsmittel in der falschen Stadt zum
Einsatzort geschickt werden und keinen Patienten vorfinden, während in der anderen
Stadt jemand dringend Hilfe benötigt. Oft wissen auch die Anrufer nicht wo sie sich
genau befinden. Die Mitarbeiter auf der Leitstelle müssen dann eine länger dauernde
Ortung über die Polizei machen lassen 170 . Oder aber, die Anrufer nennen ihren
Namen und nicht den Namen des Patienten, was zu Verwirrung vor Ort führt.
Die aufgenommenen Daten werden anschließend dem nächsten geeigneten
Rettungsmittel nonverbal 171 mitgeteilt. Neben den Übermittlungsfehlern können auch
andere Missverständnisse / Missdeutungen vorkommen. So kommt es vor, dass eine
Krankenwagenbesatzung ohne Notarzt und ggf. ohne Rettungsassistenten zu einem
tatsächlichen Infarkt geschickt wird, obwohl es sich um eine Einweisung wegen
Bauchschmerzen handelt. Es kommt auch vor, dass ein Rettungswagen samt
Hubschrauber zu einer gemeldeten Pfählungsverletzung entsendet wird und es sich
vor Ort lediglich um einen Holzsplitter im Finger des Patienten handelt. Häufig
werden auch falsche Namen, Hausnummern und Straßen angegeben. Das
Rettungsteam vor Ort sucht dann (auch bei zeitkritischen Einsätzen) lange nach der
richtigen Örtlichkeit.
Neben den bereits oben genannten Problemen im Umgang mit dem
Krankenhauspersonal und der Situation beim Patienten vor Ort, kann es auch zu
Kommunikationsschwierigkeiten zwischen dem Personal der Vorschicht und
aktueller Schicht kommen. Häufig werden Fahrzeuge unzureichend übergeben: Der
170 Zur Handy-Ortung wird der Anruf zunächst von der Rettungsleitstelle gehalten und die
Polizeileitstelle direkt kontaktiert. Danach werden die Handydaten von der RLS an die Polizei
übermittelt. Diese ortet dann das Mobiltelefon und gibt den Standort an die RLS weiter. Ein
zeitaufwändiger Vorgang.
171 Entweder auf einen Pager oder per SMS.
64

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Tank ist fast leer, Sauerstoffvorräte sind erschöpft, die EKG 172 -Akkus sind nicht
geladen, oder wichtiges medizinisches Material fehlt. Gerade diese genannten
‚Kleinigkeiten‘ beeinflussen die Versorgung des Patienten und erfordern wiederum
ein hohes Maß an Improvisationsfähigkeit der jeweiligen rettungsdienstlichen
Besatzung.
3.3 Konsequenzen aus den Problemlagen für das Rettungsfachpersonal:
Frustration, Demotivation, Burnout
Was sind nun die Konsequenzen aus den beschriebenen Problemlagen, mit denen das
Rettungsfachpersonal in der täglichen Arbeit konfrontiert ist? Warum sind alle
Rettungsdienstler zu Anfang ihrer Tätigkeit hoch motiviert, erfahren während ihrer
Tätigkeit im Rettungsdienst einen Persönlichkeitswandel und verwenden nach langer
Rettungsdiensterfahrung zunehmend Ironie, Sarkasmus und Zynismus in ihrer
Alltagssprache? Wieso sprechen Personen, die ihren Beruf zwar nach wie vor gerne
machen, zunehmend von ‚verkackten Ausbildungen‘, Frustration, Resignation und
Burnout?
„Interessant ist, dass ich als Christ nach dem Motto lebe ‚Herr gib mir die
Gelassenheit Dinge zu ertragen, die ich nicht ändern kann‘, andere denken
ich hätte Burn-Out. Wo ist der Unterschied?“ 173
Burisch 174 illustriert in seinem Buch mehrere Theorien zu Burnout-Phasen. Dabei
zählen bei nahezu allen Theorien Demotivation, Frustration, Zynismus und
Sarkasmus zu den Symptomen eines Burnout-Syndroms 175 . Burisch würde
wahrscheinlich Burnout im Rettungsdienst folgendermaßen definieren 176 :
172 Elektrokardiogramm; ein Gerät zur Überwachung der elektrischen Herzfunktion.
173
[3/200-202]
174
Burisch; Das Bournout-Syndrom, Theorie der inneren Erschöpfung; 3., überarbeitete Auflage;
Heidelberg: Springer 2006, S. 39-40
175
„Syndrom: […] statist. Überzufällige Kombination der Einzelsymptome.“ (Zetkin/Schaldach;
Lexikon der Medizin; 16., neu bearbeitete Auflage; Wiesbaden: Ullstein Medical 1998)
176
Vgl. Burisch; Das Bournout-Syndrom, Theorie der inneren Erschöpfung; 3., überarbeitete Auflage;
Heidelberg: Springer 2006, S. 2
65

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Burnout ist der 38-jährige Rettungsassistent, der sich schon während der
Schulzeit und seiner Ausbildung im Roten Kreuz aktiv beteiligte, der Gefallen
daran fand, anderen in jeder Lebenslage zu helfen, der seines
Berufswunsches Rettungsdienst wegen den Biologie-Kurs besuchte und sich
das Geld, welches er für seine Ferienjobs bekam, sparte um die Ausbildung
zum Rettungsassistenten zu machen, der schon immer bei den älteren
Nachbarn sehr beliebt war, weil er sich auch für belanglose Gespräche mit
ihnen Zeit nahm und der heute sagt:
„Die blöden Pissbeutelfahrten 177 gehen mir auf den Sack. Soll doch der Opa
mit dem Taxi fahren!“
Fengler 178 definiert nach Emener et al. Burnout als einen „Zustand physischer oder
seelischer Erschöpfung, der als Auswirkung langanhaltender negativer Selbstgefühle
entsteht, die sich in Arbeit und Selbstbild des Menschen entwickeln“.
Nach seiner Auffassung sind sämtliche helfende Berufe besonders gefährdet ein
Burnout-Syndrom zu erlangen. Für ihn resultiert das Ausbrennen aus einer Häufung
an emotionaler Belastung und dem andauernden Einsatz für andere, wobei der Helfer
dabei erkennen muss, dass seine Bemühungen selten oder gar nicht fruchten und er
sich dabei erschöpfend involviert hat 179 . Auch Fengler sieht Zynismus als Indiz für
ein beständiges Ausbrennen und nennt weiter die berufliche Sackgasse 180 und die
Verschwendung der psychischen und physischen Fähigkeiten des Helfers als Gründe
für das Ausbrennen 181 .
177 Rettungsdienstliches Jargon für Patiententransporte zur harnableitenden Katheter-(Neu-)Einlage.
178 Fengler; Helfen macht müde, Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher
Deformation; München: Pfeiffer 1991, S. 103
179 Vgl. Fengler; Helfen macht müde, Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher
Deformation; München: Pfeiffer 1991, S. 104
180 Vgl. in diesem Kapitel 1.
181 Fengler; Helfen macht müde, Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher
Deformation; München: Pfeiffer 1991, S. 107
66

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Helfer, welche in Organisationen arbeiten in denen keine Supervision stattfindet und
angeboten wird, erliegen laut Constable et al. 182 besonders häufig burnoutartigen
Erschöpfungszuständen.
4. Coping-Strategien der RD-Mitarbeiter
Die Bewältigungsstrategien von belastenden Einsatzsituationen der in den Interviews
befragten Personen sind sehr vielseitig. In dieser Arbeit wurde bereits erwähnt, dass
primär der Teampartner als Ansprechpartner in solchen Fällen dient. Darüber hinaus
gaben viele an, dass sie mit Freunden und ihrer Familie über ihre Erlebnisse
sprechen.
„Also, je nachdem mit welchem Kollege man Dienst hat, kann man mit dem
darüber sprechen. Ansonsten spreche ich auch viel mit meiner Freundin
darüber.“ 183
„[…] und ich habe Freunde und Familie mit denen ich mich darüber
unterhalten kann, wo ich es nochmal durchsprechen kann.“ 184
Diese Bewältigungspraxis scheint gängig zu sein und auch die Familien und Freunde
scheinen ein wirkliches Interesse an den Geschehnissen zu haben. Aus eigener
Erfahrung aber kippt dieses Interesse, wenn man ins Detail geht oder geschehene
Dinge verharmlost und ggf. ins Lächerliche zieht. Viele Freunde und Familien sehen
diese Aussagen als sehr makaber an und wundern sich über die ‚Abstumpfung‘ des
Erzählers:
„I: Ok, willst du das zu Hause nicht erzählen weil es Arbeit ist, oder willst du
andere nicht damit behelligen? Oder sagst du sie verstehen es nicht?
M: Mich und meine Familie nicht belasten damit.“ 185
182 In Fengler; Helfen macht müde, Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher
Deformation; München: Pfeiffer 1991, S. 107
183 [2/84-85]
184 [1/162-163]
185 [9/47-49]
67

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
Andere sehen ihre Uniform als ‚Schutzmantel‘ vor psychischen Belastungen, den sie
nach der Arbeit abstreifen können:
„Deswegen finde ich es auch gut, dass wir eine Uniform tragen. Ich zieh sie
an, bin für alles bereit und sobald ich sie ausziehe die Uniform, fällt alles so
ein Stück weit von mir ab.“ 186
„Wie ich den Stress außen vor bekomme? In dem Moment wenn ich die
Uniform ausziehe ist für mich ein anderes Leben da. Da bin ich privat, da ist
das vergessen. Da ist Beruf Beruf und Rettungsdienst und ich bin ich.“ 187
Diese Bewältigungsstrategie funktioniert aufgrund zweier Mechanismen. Zum einen
kann man seine Berufskleidung in eine zivile Kleidung umtauschen. Zum anderen
wird die tatsächlich mit Keimen belastete Dienstkleidung auf der Rettungswache
gelassen und vom Arbeitgeber gereinigt. Das Ausziehen der Dienstkleidung kann
also als ein Reinigungsritual betrachtet werden.
Einige Befragte betätigen sich sportlich, um die beruflichen Belastungen hinter sich
zu lassen. Aufgrund der Schichtarbeit sind aber nur wenige in Vereinen engagiert,
sodass sie ihren Sport entweder alleine, oder mit den Kollegen der Dienststelle
verrichten.
Andere wiederum holen sich fachliche Rückmeldungen oder erkundigen sich nach
dem Wohlergehen der Patienten.
Gerade bei dem befragten erfahrenen Rettungsfachpersonal sind weitere sprachliche
Besonderheiten aufgefallen:
186 [4/119-121]
187 [9/38-40]
188 [1/134-141]
„Ich hab‘ da ein Polytrauma, was wir ins Krankenhaus gefahren haben,
unter Reanimationsbedingungen, da habe ich mal nachgefragt, und der hat
das überlebt, erstaunlicherweise. Oder eine Reanimation, die funktioniert hat,
die relativ schnell angesprungen ist, habe ich im Krankenhaus auch besucht
und hat ohne neurologisches Defizit überlebt. Und das ist dann schon ein
enormer Anreiz da weiter zu machen und weiter zu versuchen gut zu sein.“ 188
68

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
„Wenn ich den Patienten abgegeben habe, ist es nicht mehr mein Patient. In
dem Moment wo ich die ‚4‘ drücke, bis zu dem Moment wo ich die ‚8‘ drücke
bekommt er von mir alles und, äh, danach ist er für mich nur noch eine
Nummer. Irgendwie eine Kerbe in meinem Colt.“ 189
Diese Befragten verdinglichen ihre Patienten und bauen somit eine Distanz zum
Patienten auf. Evers 190 (Diplom-Sozialpädagoge und Systemischer Coach) sieht
ebenfalls in der Verdinglichung eine gängige Praxis der Bewältigung belastender
Situationen in der Medizin und Sozialen Arbeit.
Trotz aller dargestellten Schattenseiten und berufsbezogenen Probleme des
Rettungsdienstes hat keiner der Befragten bisher professionelle Hilfe 191 bei
belastenden Situationen in seinem Berufsalltag in Anspruch genommen.
5. Psychosoziale Unterstützung - Was ist installiert?
Das Rettungsfachpersonal soll im Fall einer psychischen Überbelastung
Ansprechpartner an die Hand bekommen, um diese bearbeiten zu können. Demnach
wurden Interviewteilnehmer befragt, welche Möglichkeiten ihnen von
Arbeitgeberseite im Überlastungsfall zur Verfügung stehen.
Dabei gab es verschiedene Aussagen. Bei einigen Rettungsdienstanbietern scheint es
nach landläufiger Meinung professionelle Beratungsangebote zu geben, diese werden
aber offensichtlich nicht vom Arbeitgeber propagiert:
„Es gibt wohl im Hintergrund so eine Psychologin die man aufsuchen kann.
Aber ich weiß nicht wie sie heißt; müsste man dann über die Leitstelle
nachfragen wie man rankommt. Ich glaube auch nicht, dass sie regen
Zuspruch hat.“ 192
„M3: Wir haben einen betriebspsychologischen Dienst, der auch dem
Mitarbeiter zur Verfügung steht.
189 [3/223-226]
190 http://blog.thomas-evers.net/?p=71
191 Also jegliche Form der psychologischen oder pädagogischen Bearbeitung von belastenden
Situationen.
192 [1/191-193]
69

193 [3/250-260]
194 [4/140-151]
195 [5/67-69]
196 [6/59-63]
197 [7/53-59]
198 [8/48-49]
IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
M2: Das wusste ich z.B. nicht.
M3: Da gab es auch einen Aushang.
M2: Das wusste ich nicht.
I: Wie lange bist du im Betrieb?
M2: Fünf Jahre.
M3: Ist ja keine Verpflichtung den aufzusuchen. Die Mitarbeiter können auch
zu Psychologen ihres Vertrauens.
M2: Ich bin ziemlich sicher, dass wenn ich 20 unserer Mitarbeiter nach
einem psychologischen Dienst frage, mir 19 sagen, sie kennen das Angebot
nicht.“ 193
„I: Gibt es vom Arbeitgeber irgendwie Möglichkeiten euch zu helfen?
W: Nein, nein,…[…]
M: Direkt nicht. Also sie haben…, der eine von denen die haben mich
angesprochen, ob alles ok wäre, oder ob ich vielleicht nach Hause gehen
wollte. Aber das war es dann auch. Direkte Hilfe angeboten…“ 194
„I: […] Gibt es vom Arbeitgeber Hilfen zur Stressbewältigung?
M: Nein, ich weiß es nicht, ich glaube es nicht das es so etwas gibt. Habe ich
aber auch noch nicht in Anspruch genommen.“ 195
„M: Man kann bei uns auf der Rettungsleitstelle anrufen und sich die
Nummer von einem Psychologen geben lassen.
I: Wird das offen propagiert?
M: Es gab eine Ausschreibung, ja, es hing mal am schwarzen Brett, das es so
etwas gibt. Es war auch mal in einer Fachzeitschrift für uns drin.“ 196
„I: Gibt dir der Arbeitgeber noch etwas mit an die Hand, wenn du Stress
hast, oder eine Situation aufarbeiten musst?
W: Ich denke ich könnte schon. Also bei uns ist es relativ freundschaftlich
familiär das Verhältnis auf der Wache. Ich denke da könnte ich auf alle Fälle
zu den Leuten hin gehen.
I: Aber offen propagiert wird nichts?
W: Ich glaube nicht. Nein.“ 197
„I: Gibt es Hilfe vom Arbeitgeber in die Richtung?
M: Hm, aktuell nicht das ich wüsste.“ 198
70

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
„Es gab einmal Hilfe, ja. Da war mal eine psychotherapeutische Praxis in
Karlsruhe, die man aufsuchen konnte bis sie zu viel Geld gekostet hatte, oder
bis die den Kollegen die Wahrheit ins Gesicht gesagt hat.“ 199
Es stellt sich die Frage, warum so wenige Mitarbeiter im Rettungsdienst diese evtl.
angebotenen Beratungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen. Einerseits ist sicherlich
die persönliche Hemmschwelle zu einer professionellen Beratung zu gehen - ist man
doch ‚ein ganzer Kerl‘, bzw. professionelle Beratung ist ‚uncool‘ für Mitarbeiter im
Rettungsdienst:
„Also, wenn du mich fragst, ich habe für so einen psychologischen
Scheißdreck überhaupt keinen Sinn.“ 200
Oder es findet, in den Augen eines Befragten, andererseits eine professionelle
Beratung nicht auf gleicher medizinischer Augenhöhe statt:
„Da war dann so eine Diplom-Psychologie-Studentin, die wollte uns etwas
darüber erzählen wie man das so macht, aber hat in ihrem eigenen Leben
noch nie einen toten Menschen gesehen. Wie will mir so jemand in solchen
Situationen helfen?“ 201
Ebenfalls stellt sich die Frage der fehlenden Werbung für die professionelle Beratung
durch die rettungsdienstlichen Leistungsträger. Das lässt sich allerdings in dieser
Arbeit nicht abschließend klären. Hierzu müssen Befragungen mit dem zuständigen
Führungspersonal durchgeführt werden.
Zwei Mitarbeiter nennen die Möglichkeit von der Konsultation von (im ersten
Kapitel erklärten) PSU- oder Kriseninterventionseinheiten. Das
Rettungsfachpersonal kann allerdings die beiden Begriffe und die verschiedenen
Intentionen der beiden Institutionen nicht unterscheiden 202 .
Die Aussagen des befragten Rettungsfachpersonals zeigen also deutlich, dass
199 [9/51-55]
200 [9/86-87]
201
[6/82-85]
202
Also die PSU als unterstützende Komponente für den Helfer und die Krisenintervention als Hilfe
für die Patienten und deren Umfeld bzw. von Unglücken betroffenen Personen.
71

IV Analyse des rettungsdienstlichen Alltags in Deutschland
1. es ein Defizit von Bereitstellung professioneller Beratung gibt und
2. professionelle Beratung eher negativ belastet ist, weil wer sich beraten lässt
‚krank‘ oder ‚sonderbar‘ ist.
Auch in meinem rettungsdienstlichen Alltag werden Kollegen, die sich wegen
verschiedener psychischen Erkrankungen in professionelle Beratung begeben,
belächelt und als ‚Psychos‘ abgetan. Hier bedarf es weiterhin einer umfassenden
Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagne von Seiten der rettungsdienstlichen
Anbieter.
72

V Supervision und Kollegiale Beratung im Rettungsdienst
V Supervision und Kollegiale Beratung im Rettungsdienst
Im letzten Kapitel wurde dargestellt, dass bisher wenige bis gar keine
Beratungsmethoden für Rettungsdienstmitarbeiter installiert sind.
Eine Notwendigkeit der Installation von Kollegialer Beratung und Supervision im
Rettungsdienst ergibt sich aus den Zielen und dem Nutzen, welche den
Beratungskonzepten zugrunde liegen und zum anderen aus den Forderungen des
Rettungsfachpersonals. Zurückblickend war ein großer Kritikpunkt der
Rettungsdienstmitarbeiter die fehlende (fachliche) Rückmeldung nach einer
Patientenversorgung und der Übergabe an weitere Fachkräfte.
Darüber hinaus lässt sich aus der Entwicklung der Profession des
Rettungsfachpersonals, aber auch anhand der geführten Interviews erkennen, dass
das Rettungsfachpersonal von außen, aber auch von den eigenen Organisationen und
klinischem Fachpersonal immer noch als reines Assistenzpersonal angesehen wird.
Im Verlauf des letzten Kapitels wurde ebenfalls heraus gearbeitet, welchen
psychischen und physischen Belastungen das Rettungsfachpersonal täglich
ausgesetzt ist. Festgestellt wurde auch, dass das Rettungsfachpersonal grundsätzlich
hoch zur Arbeit im Rettungsdienst motiviert ist und diese Motivation mit der
Tätigkeit im Rettungsdienst aufgrund verschiedener, genannter Faktoren abfällt.
Schließlich wurde auch heraus gearbeitet, dass langjährig im Rettungsdienst tätiges
Personal eine gewisse Persönlichkeitsentwicklung erfährt und sich ein eigenes
sarkastisch-zynisches Vokabular aneignet.
Die Grobziele von Kollegialer Beratung und Supervision sind im Allgemeinen
• die Verbesserung des Fachwissens,
• die Motivation der Mitarbeiter,
• die Verbesserung der Arbeitskultur,
• der Beitrag zu Psycho- und Sozialhygiene.
Das Ganze geschieht letztlich durch Reflexion der eigenen Persönlichkeit und des
Handelns sowie der Interaktion mit anderem Fachpersonal.
73

V Supervision und Kollegiale Beratung im Rettungsdienst
Somit ergibt sich der Schluss, dass der Einsatz von Supervision und Kollegialen
Beratung im Rettungsdienst im Interesse der Rettungsdienstträger stattfinden muss.
In diesem letzten Kapitel möchte ich die vorherigen miteinander verknüpfen und
aufzeigen, in welcher Form Kollegiale Beratung und Supervision im Rettungsdienst
funktionieren kann.
Zunächst wird hierbei auf die Supervision eingegangen. Dabei ist eine kürzere
Darstellung möglich, weil die Ausarbeitung eines Supervisionsprogramms den
Rahmen dieser Arbeit überschreitet. Danach wird eine umsetzbare Form der
Kollegialen Beratung im Rettungsdienst skizziert.
Supervision im Rettungsdienst
Manche Rettungsdienstmitarbeiter haben den Wunsch mitgeteilt, dass sie gerne einen
externen Ansprechpartner zur Aufarbeitung von belastenden Einsätzen hätten. Extern
daher, um einen geschützten Rahmen der Gespräche zu haben und dadurch sich auch
‚gehen lassen‘ zu können.
Andere Mitarbeiter im Rettungsdienst hätten gerne professionelle Ansprechpartner,
welche selbst rettungsdienstliche Erfahrungen gemacht haben.
Einzelsupervisionen durch einen externen Supervisor scheinen hier eine gute
Symbiose beider Wünsche darzustellen. Dieser Supervisor sollte also über eine
rettungsdienstliche oder medizinische Ausbildung bzw. Studium mit entsprechender
Erfahrung und darüber hinaus über eine qualifizierte Weiterbildung zum Supervisor
absolviert haben. Das Rettungsfachpersonal, welches Bedarf an einem Angebot sieht,
konsultiert dann (regelmäßig) diesen Supervisor.
Die Vorteile einer Einzelsupervision liegen auf der Hand. Das Rettungsfachpersonal
könnte bei der Inanspruchnahme dieser Beratung frei von organisatorischen und
persönlichen Zwängen die ‚brennenden‘ Themen bearbeiten und das ohne
Beteiligung von Kollegen und Vorgesetzten. Sie bekämen eine direkte fachliche
Rückmeldung und könnten Problemlagen direkt bearbeiten. Durch das intensive
74

V Supervision und Kollegiale Beratung im Rettungsdienst
Einzelgespräch würde auch eine tiefere Beziehung zum Supervisor aufgebaut und
somit weitere Beratungsgespräche sicher intensiver und noch effektiver.
Nachteilig an solch einer Methode wären (neben wirtschaftlichen Aspekten für den
Rettungsdienstanbieter) folgende:
• Nicht alle Supervisoren verfügen über einschlägige rettungsdienstliche
Erfahrung und Kenntnisse
• Die Rettungsdienstanbieter müssten ‚Raum‘ für Beratungen bereitstellen, also
tatsächliche Räumlichkeiten vorhalten und Dienstpläne entsprechend der
Nachfrage flexibel gestalten.
• Rettungsfachpersonal, welches Supervision in Anspruch nimmt, könnte durch
unverständige Kollegen stigmatisiert werden (s.o.).
• Zynisches und sarkastisches Rettungsfachpersonal müsste ggf. seine
Einstellung gegenüber Beratungssituationen überdenken.
Meiner Ansicht nach überwiegen klar die Vorteile gegenüber den Nachteilen und ein
Modellversuch in ausgesuchten Rettungsdienstbereichen bzw. auf größeren Wachen
ist anzustreben.
Kollegiale Beratung im Rettungsdienst
Im vierten Kapitel wurden bereits die Coping-Strategien des Rettungsfachpersonals
bei belastenden Einsätzen aufgezeigt. Viele Befragte nannten bekanntlich ihren
Teampartner und die Kollegen auf der Rettungswache als direkten Ansprechpartner
zur Aufarbeitung und Besprechung von Einsatzsituationen. Demnach findet bereits
(unwillkürlich) eine gewisse Form Kollegialer Beratung im rettungsdienstlichen
Alltag statt und wird überdies akzeptiert. Diese Gespräche finden allerdings während
der normalen Schichten in den Einsatzfahrzeugen, in der Pause, oder aber nach
Dienstschluss in den Wachenräumlichkeiten statt.
Anzustreben ist also eine bewusste und unter den Mitarbeitern und in der
rettungsdienstlichen Organisation verwurzelte kollegiale Beratungsmethode.
75

V Supervision und Kollegiale Beratung im Rettungsdienst
Die Voraussetzung für eine Installation einer solchen Methode wären also von der
organisatorischen Seite die Bereitstellung von passenden Räumlichkeiten und
Arbeitszeit, sowie eine finanzierte Basisschulung der interessierten Mitarbeiter in der
Methode. Die Schulung sollte Moderations- und Fragetechniken, wie auch
Methodenbausteine 203 der Kollegialen Beratung vermitteln.
Denkbar ist auch die Integration der Inhalte der o.g. Schulung in die Ausbildung von
Lehrrettungsassistenten und Ausbildern im Rettungsdienst. Diese könnten dann als
Multiplikatoren ihr Wissen über Kollegiale Beratung an interessierte Kollegen
weitergeben.
Als personelle Voraussetzung müssen sich die am Beratungsangebot Interessierten in
entsprechenden kleinen Gruppen (je nach Literatur vier bis zehn Personen
umfassend) organisieren. Die Beratungstermine müssen regelmäßig stattfinden.
Auch hier liegen die Vorteile einer installierten Kollegialen Beratung auf der Hand:
• Das Rettungsfachpersonal kann eigenverantwortlich ein Beratungsangebot
installieren.
• Alle Mitarbeiter kennen Reflexionen ihrer Arbeit aus täglichen Gesprächen
mit Kollegen.
• Unerfahrene Mitarbeiter profitieren vom Erfahrungsreichtum der ‚alten
Hasen‘
• Das Selbstwertgefühl der ‚alten Hasen‘ steigt, weil sie ihr Wissen und die
Erfahrungen an die ‚Neulinge‘ weitergeben dürfen.
• Junge Mitarbeiter bzw. frisch ausgebildetes Fachpersonal kennen von Anfang
der Tätigkeit im Rettungsdienst an die Kollegiale Beratung als Hilfe zur
Selbsthilfe und wenden diese selbstverständlich an.
• Das Rettungsfachpersonal übt konstruktive Kritik an der Organisationsform
und stößt daher auf mehr Gehör bei den Vorgesetzten.
• Fest eingefahrene Strukturen weichen zu Gunsten neuer Ideen.
203 Vgl. Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage; Reinbek:
rororo 2008; S.115fff. und Schlee; Kollegiale Beratung und Supervision für pädagogische Berufe:
Hilfe zur Selbsthilfe, Ein Arbeitsbuch; 2., erweiterte Auflage; Stuttgart: Kohlhammer 2008; S. 75fff.
76

V Supervision und Kollegiale Beratung im Rettungsdienst
• Die rettungsdienstlichen Leistungsträger profitieren auch wirtschaftlich
aufgrund motivierter Mitarbeiter, dadurch sinkenden Krankenzahlen und die
Arbeitsleistung wird gesteigert.
Der einzige Nachteil, den Kollegiale Beratung im Rettungsdienst hat, ist die
Tatsache, dass Neues im Rettungsdienst lange braucht um etabliert zu werden.
Auch das Berufsbild des Rettungsfachpersonals wird sich in den nächsten Jahren
wandeln. Es muss den rettungsdienstlichen Berufsfachschulen ein Anliegen sein, die
neuen Generationen an Fachpersonal auf die Problemlagen im Rettungsdienst
hinzuweisen und gleichzeitig Lösungsansätze aufzuzeigen. Durch Kollegiale
Beratung und Supervision im Rettungsdienst ist das der Fall. Somit bekäme
Deutschland reflektierte und motivierte Mitarbeiter im Rettungsdienst, welche auch
nach 49 Jahren Tätigkeit und im Rentenalter sagen können:
„Rettungsdienst war und ist mein Traumberuf!“
77

Literatur- und Quellenverzeichnis
Literatur- und Quellenverzeichnis
Aschoff/von Goetz/Wildgruber; Meal timing humans during isolation without time
cues; Journal of Biological Rhythms; 1986
Bortz/Döring; Forschungsmethoden und Evaluation. 4. Auflage. Heidelberg:
Springer 2006
Burisch; Das Bournout-Syndrom, Theorie der inneren Erschöpfung; 3., überarbeitete
Auflage; Heidelberg: Springer 2006
Diekmann; Empirische Sozialforschung: Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 16.
Auflage. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 2006
DRK Kreisverband Karlsruhe e.V.; Richtlinie des Arbeitskreises PSU
DRK Landesverband Baden-Württemberg e.V.; Landesschule
Lehrgangsprogramm 2010
Fengler; Coaching: Definition, Prinzipien, Qualifikationen, illustriert anhand einer
Fall-Vignete. In: Gruppendynamik und Organisationsberatung, 32. Jhg.,
Opladen/Leverkusen: Leske&Budrich 2001
Fengler; Helfen macht müde, Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und
beruflicher Deformation; München: Pfeiffer 1991
Gebhardt/Klußmann/Maßbeck/Topp/Steinberg; Sicherheit und Gesundheit im
Rettungsdienst. Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin; Forschungsbericht 1068
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
http://blog.thomas-evers.net/?p=71
http://www.wikipedia.org
http://infobub.arbeitsagentur.de
Hündorf/Lipp (Hrsg.); Der Lehrrettungsassistent, Lehrbuch für Ausbilder im
Rettungsdienst; Edewecht/Wien: S&K 2003
Karutz; Wenn die Belastungsgrenze erreicht ist: Psychologische Selbsthilfe in
Extremsituationen; in Rettungsdienst 12/2009, Edewecht: S&K 2009
Klewer/Dix; Gesundheitsförderung im Rettungsdienst: Welche Belastungen wirken
auf die Mitarbeiter ein?; in Rettungsdienst 11/2009;Edewecht: S&K 2009
Kühn/Luxem/Runggaldier (Hrsg.); Rettungsdienst; 1. Auflage; München: Urban &
Fischer 1998
78

Literatur- und Quellenverzeichnis
Kurtenbach/Gorgaß/Raps; Rettungsassistentengesetz mit Ausbildungs- und
Prüfungsverordnung für Rettungsassistentinnen und –assistenten, Kommentar;
Kohlhammer
Loos in Fatzer (Hrsg.); Supervision und Beratung. Ein Handbuch; Auflage 1993;
Köln: EHP 1993
Maßberg; Psychische und physische Fehlbelastungen – Vergleichende Analyse
verschiedener Studien im Rettungsdienst. In: Konferenz über
gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen; Köln 2005
Mayring; Einführung in die Qualitative Sozialforschung. 5., überarbeitete und neu
ausgestattete Auflage. Weinheim: Beltz 2002
Oerter/Montada; Entwicklungspsychologie; 4. Auflage; Weinheim: Beltz 1998
Overhagen; Einsatz ohne Grenzen: Zum Problem des Burn-out im Rettungsdienst;
in Rettungsdienst 1/2010; Edewecht: S&K 2010
Pallasch; Supervision: Neue Formen beruflicher Praxisbegleitung in pädagogischen
Arbeitsfeldern; 3. Auflage; Weinheim: Juventa 1997
Petzold; Integrative Supervision, Meta-Consulting, Organisationsentwicklung. Ein
Handbuch für Modelle und Methoden reflexiver Praxis; 2. Auflage; Wiesbaden:
VS 2007a
Pietzek; Rettungsdienst bis 67?, Pro und Contra für das Arbeiten im Rettungsdienst
bis zum Rentenalter; Bachelorarbeit; Hochschule Magdeburg-Stendal: 2007
Rappe-Giesecke; Supervision für Gruppen und Teams; 3. Auflage,
Berlin/Heidelberg: Springer 2003
Rettungsassistentenausbildungs-Prüfungsverordnung
Rettungsassistentengesetz
Rettungsdienstgesetz des Landes Baden-Württemberg
Schaffer; Empirische Sozialforschung für die Soziale Arbeit: Eine Einführung. 2.,
überarbeitete Auflage; Freiburg: Lambertus 2009
Schreyögg; Supervision: ein integratives Model. Lehrbuch zu Theorie und Praxis; 4.,
überarbeitete und erweiterte Auflage; Wiesbaden: VS 2004
Tietze; Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln; 3. Auflage;
Reinbek: rororo 2008
Zetkin/Schaldach; Lexikon der Medizin; 16., neu bearbeitete Auflage; Wiesbaden:
Ullstein Medical 1998
Zimbardo/Gerrig; Psychologie; 16., aktualisierte Auflage; München: Pearson 2004
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Anlage 1: Interviewleitfaden
Anlage 1: Interviewleitfaden
Interviewleitfaden zur Zielgruppenbefragung im Rahmen der Diplomarbeit
„Supervision und Kollegiale Beratung im Rettungsdienst“
• Wie bist du / sind Sie zum Rettungsdienst gekommen?
• Was motiviert dich / Sie zur Arbeit im Rettungsdienst?
Sind es die Kollegen,
das Unternehmen,
oder die Tätigkeit an sich?
• Was ist für dich / für Sie die Faszination, welche vom Rettungsdienst
ausgeht?
• Gibt es Schattenseiten der Tätigkeit im Rettungsdienst / des Berufes?
Sind es z.B. die Belastungen des Schichtdienstes, der Einsätze an sich, der
Trennung von Partner/Familie?
• Hast du / haben Sie eigene Strategien / Möglichkeiten zur Bewältigung von
Stresssituationen im Beruf
entwickelt,
oder gibt es Hilfen des Arbeitgebers,
oder Hilfen von Dritten (Freunden/Familien/professionellen Einrichtungen)?
• Hättest du / hätten Sie Bedarf an einer Unterstützung in entsprechenden
Situationen, oder einen Wunsch nach Veränderung der aktuellen Situation?
• Was ist Supervision? Was ist Kollegiale Beratung?
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Anlage 2: Interviews
Interview 1
Anlage 2: Interviews
Die folgende Transkription ist das Ergebnis eines Problemzentrierten Interviews.
Das Gespräch wurde mit Hilfe eines Aufzeichnungsgerätes geführt. Der Befragte
war mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Die Transkription wurde
anonymisiert. Demnach ist der Interviewer mit „I“ und der Befragte nach
Geschlecht mit „M“ bezeichnet. Sprachliche Dialekt-Variationen mit der damit
verbundenen Grammatik wurden weitestgehend geglättet. Doppelte Ausführungen,
oder nicht relevante Gesprächsteile sind durch Auslassungskennzeichen „[…]“
kenntlich gemacht. Der Gesprächspartner seit 1986 im Rettungsdienst als
Rettungsassistent mit der Zusatzqualifikation LRA tätig.
I: Also, es geht darum, wie du zum Rettungsdienst gekommen bist?
M: Einfach, über den Zivildienst; über den Zivildienst hinein geschlittert. Zuerst im
Behindertenfahrdienst und dann im Rettungsdienst gelandet.
I: OK, wie kann ich mir das vorstellen, gehe ich da irgendwie ans Amt, oder man
muss sich das ja raussuchen irgendwie?
M: Ich war bloß sicher, dass ich Zivildienst machen möchte und dann hat meine
Mutter gemeint, ja sie kennt da jemand beim Roten Kreuz. Und plötzlich hatte ich
eine Zivildienststelle beim Roten Kreuz. Und war da auch gleich für Rettungsdienst
vorgesehen, nur gab’s da nicht gleich einen Platz, sondern du hast zuerst die
Ausbildung machen müssen zum Rettungshelfer, das war damals die
Minimalausbildung und dann bin ich nach Pfalzgrafenweiler gekommen und bis es
soweit war, habe ich Essen ausgefahren und Behinderte durch die Gegend gefahren.
I: OK, das heißt, du hast vorher gar keine Vorstellung gehabt was das eigentlich ist?
M: Nein, überhaupt nicht. Es hat mir auch so gut bei den Behinderten gefallen, dass
ich dort bleiben wollte, nur leider war es dann zu spät und so bin ich dann zum
Rettungsdienst gekommen.
I: OK. Und, äh, ja wie war es dann für dich die erste Zeit?
M: Es war komisch. Ich habe gedacht, was wollen die von mir. Da lernst du fast
nichts an der Schule, da weißt du fast nichts und dann sind wir Krankenwagen
gefahren. Und plötzlich war der RTW weg und der KTW ist Notfälle gefahren. Der
erste Notfall war: da sind drei Arbeiter vom Gerüst gefegt worden von so einer
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Anlage 2: Interviews
Schaltafel. Wir sind dann da hin gefahren und ich habe mir gedacht: Oh Gott, oh
Gott, was mache ich jetzt, was mache ich jetzt?! Und der Kollege nebendran hat das
schon ewig gemacht, hat gesungen und gelacht.
I: Achso,…
M: Wir sind dahin gekommen und die sind auf einen riesigen Sandhaufen gefallen;
da war gar nichts. Und ansonsten habe ich mit dem Rettungshelfer-Kurs bloß
gestaunt, immer wieder. Mich gewundert, warum da jetzt jemand hektisch wird.
Nicht, wir hatten einen Infarktpatient im KTW drinnen mit Sauerstoff, dem ist der
Schweiß runtergelaufen, aber war noch gut drauf, der hat sich mit mir unterhalten,
ne. Und der andere ist mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren. Der hat einen Infarkt
gehabt, das habe ich nicht erkannt damals. Da ist ein Schädelhirntrauma auf der
Straße gelegen, vom Fahrrad gefallen und es war mir auch nicht so bewusst am
Anfang, mit dem KTW.
I: Ok, das heißt dein Kollege war schon länger dabei damals.
M:Jaja, du bist da immer mit Älteren gefahren, die schon länger dabei waren. Die
waren im Rettungswagen-Umlauf drin und sind eine Woche Krankenwagen oder
NEF gefahren. Also alleine warst du nie. War immer ein anderer Zivi, also niemand
der nichts kann. Es war immer einer dabei der fit war.
I: Da hat man also gekuckt, dass es vom Niveau zwei unterschiedliche sind?!
M: Jaja, das passt Rettungshelfer und mindestens ein Rettungssanitäter; mehr gabs
damals noch nicht.
I: Und dann du bist damals da drin gewesen in dieser, in dem Job und wie war das
dann gleich?
M:Und dann hab ich da meinen Zivildienst fertig gemacht und dann habe ich
verlängert. Ich habe dann ein bisschen Maschinenbau studiert und dann abgebrochen
und dann habe ich beim Roten Kreuz wieder angefangen und habe dann den
Rettungssanitäter gemacht und das hat dann deutliches Wissen gebracht. Da konnte
man dann selbst Notfälle erkennen. Und konnte dann so allmählich auch ein bisschen
was machen. Und dann habe ich mit dem Medizin-, äh Maschinenbaustudium
aufgehört und dann Medizin studiert und nebenher noch im Krankenhaus was
gearbeitet. Auf der Wachstation, auf der chirurgischen Wachstation. Und da hat man
auch intensivmedizinisch mehr Einblicke bekommen. Und hab dann aber noch beim
Roten Kreuz gearbeitet und bei Pro Medic als Aushilfe. Und da hab ich dann, da bin
ich dann in die Schule mit hinein geschlittert und dann irgendwann den
Lehrrettungsassistenten gemacht und da die Assistenten-Ausbildung gemacht und
diesen Intensiv-Transport ein bisschen mit aufgebaut und dann ist da halt immer
mehr dazu gekommen. Und dann letztendlich recht fit war und mittlerweile sogar
Notfälle selbstständig erkennen kann. Wenn man ein bisschen was tut…
I: Ok, das heißt also wirklich ohne das du es geplant hast mit reingekommen in die
ganze Geschichte?
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M: Genau!
I: Ohne Vorwissen. Komplett…
Anlage 2: Interviews
M: Ja, so sind ja die meisten reingekommen, damals.
I: Ok, gut. Ähm…
M: Da sind ja heute noch ein Haufen die noch vom Zivildienst drinnen sind.
I: Ja und was denkst du ist die Motivation zu arbeiten da in dem Beruf? Also kann
man sich das so vorstellen, ist das ein super Arbeitsklima, super Kollegen, super
Unternehmen in dem man da arbeitet, oder wie ist das? Was ist die Motivation?
M: Weiß ich nicht. Früher sind die Leute durch Zufall hinein geschlittert über den
Zivildienst zum größten Teil. Oder weil sie noch einen anderen Job gebraucht haben;
im Gegensatz zu heute wurde das damals noch recht gut bezahlt. Da gabs
Bereitschaftsdienste und Zulagen und das war richtig fett bezahlt. Und es war nicht
viel zu tun. Mittlerweile ist richtig viel zu fahren und die Motivation? Weiß ich nicht
warum die Leute heute anfangen. Ich denke helfen wollen sie…
I: Und du? Was ist für dich die Motivation in dem Beruf immer noch drin zu sein?
M: Es ist eine vier-Tage-Woche und ich bin mein eigener Herr auf dem Auto. Ich
kann machen was ich will. Die Entscheidungen die ich treffe, werden irgendwie
durchgezogen. Und irgendwo ist da eine gehörige Portion Adrenalinjunkie mit dabei,
denke ich. Und es ist doch immer noch aufregend ab und zu. Man weiß nie was
passiert. Der Überraschungsmoment ist da und es ist auch recht abwechslungsreich.
I: Das heißt, dass die Tätigkeit an sich dich reizt?
M: Die Tätigkeit an sich, ja.
I: Ok, ähm, gut. Irgendwie dass du sagst die Leute sind auch cool, oder wie kann ich
mir das vorstellen. Also ich meine, klar die Tätigkeit an sich reizt, aber wenn die
komplette Infrastruktur z.B. nicht stimmen würde, ähm, das glaube ich nicht dass du
dann dabei bleibst…
M: Es sind auch gute Kollegen. Es ist wie überall, es gibt halt nette und es gibt halt
weniger nette. Es gibt Leute mit denen versteht man sich ganz gut, die auch in aller
Regel fit sind und es gibt jede Menge Leute, die doof sind. Die einfach gestrickt sind.
Es hängt aber auch mit der Bezahlung zusammen. Du bekommst halt für dieses
Gehalt mit dem man im Moment anfängt keine cerebral suffizienten Typen mehr
dazu im Rettungsdienst anzufangen. Aber wir haben auch Ausnahmen. Ganz wenige
Idealisten, die das noch gerne machen.
I: Du meinst die Tätigkeit an sich…
M: Nicht die Rahmenbedingungen, weil es nicht so tolle Aufstiegsmöglichkeiten
oder sonst etwas gibt. Und das Umfeld, die Mini-Infrastruktur um einen rum, dieser
Mikrokosmus ist so toll bei und auch nicht.
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Anlage 2: Interviews
I: Das heißt, dieser Idealismus ist wichtig für den ganzen Job, wenn man ihn gut
machen will?!
M: Jaja und man muss sein Handeln oder seine Diagnose ständig hinterfragen.
I: Hm, also Reflexion ist wichtig.
M: Ja, ständige Reflexion, die braucht man auf alle Fälle….
I: Ok…
M: Sonst bleibt man auf einem Punkt stehen und Fortbildungen gibt es ja leider nicht
allzu viele.
I: Gut, es gibt ja anscheinend auch Schattenseiten. Wenn ich das zusammenfassen
darf, irgendwie Kollegenproblem.
M: Nein, man muss sich halt arrangieren mit den Kollegen und wenn es gar nicht
geht geht man denen halt aus dem Weg und tauscht mal einen Dienst weg. Und
ansonsten positives Feedback bekommt man von Seiten der Patienten selten und von
Seiten des Geschäfts oder Organisation so gut wie überhaupt nicht. Da ist es wichtig,
dass das Auto läuft und das die Leute da sind. Viel mehr kommt da nicht zurück.
I: Das heißt du fängst morgens an, egal welche Uhrzeit und hörst abends auf, oder
umgekehrt und das wars?
M: Das wars. Dann fahr ich heim, ja und gut. Ich bin in einer halben Stunde daheim
und dann ist Rettungsdienst passé.
I: Ok, wie siehst du das mit den Schichtzeiten? Ist das in Ordnung so, oder
empfindest du das als Belastung?
M: Für mich, für mich finde ich Schichtzeiten göttlich, die zwölf-Stunden-Schichten
die wir fahren. Dadurch habe ich halt nur eine vier-Tage-Woche; normalerweise bin
ich drei Tage daheim. Und so belastend ist das auch wieder nicht mit den
Schichtzeiten bei den zwölf Stunden. Es ist halt stressig wenn man durchfährt, aber
dann hat man auch wieder Schichten wo es ganz ruhig ist.
I: Hm, und äh, du hast vorhin gesagt als Zivi bist du irgendwie immer wieder in was
Neues reingestolpert. Das siehst du auch als Reiz…
M: Ja…
I: Ich könnte mir aber vorstellen, dass du bist irgendwie für einen Patienten zuständig
und gibst alles, machst alles was du machen kannst, das du den versorgst, fährst dann
in das Krankenhaus und gibst ihn ab, dann ist er weg. Und äh, dann kann es sein,
dass du aus dieser Situation gleich wieder zum nächsten gehst…
M: Jaja…
I: Wie ist das für dich?
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Anlage 2: Interviews
M: Das ist ganz selten da frägst du mal nach bei dem Patienten, oder rufst an wie es
ihm geht. Aber die Regel ist das nicht. Selten das man da mal nachfragt. Ich hab‘ da
ein Polytrauma, was wir ins Krankenhaus gefahren haben, unter
Reanimationsbedingungen, da habe ich mal nachgefragt, und der hat das überlebt,
erstaunlicherweise. Oder eine Reanimation, die funktioniert hat, die relativ schnell
angesprungen ist, habe ich im Krankenhaus auch besucht und hat ohne
neurologisches Defizit überlebt. Und das ist dann schon ein enormer Anreiz da
weiter zu machen und weiter zu versuchen gut zu sein.
I: Gibt es auch Situationen wo du sagst, na ja, das nehme ich dann doch mit heim;
irgendwie so von der Belastung her oder von der Einsatzgeschichte an sich.
M: Enorm selten.
I: Aber es kann vorkommen?
M: Das kommt schon vor, ja. Gerade mit Kindern, die involviert sind. Oder, ja, wenn
es heftig riecht: Verbrennungen, das auch. Aber da ist wohl jeder verschieden
empfindlich.
I: Hm, ähm, das heißt du gehst die Mehrzahl der Einsätze routiniert an und dann ist
das ein ‚A/B-Programm‘?
M: ‚ABC‘ und Tschüss. Gute Besserung, alles Gute.
I: Und das ist in Ordnung?
M: Ja.
I: Ok, ähm…
M: Ich denke es entsteht auch keine emotionale Bindung zum Patienten, weil man
den nur kurz hat und dann nicht mehr sieht. Da ist es halt eine distanzierte Art nur
die Verletzungen oder Erkrankungen zu sehen und nicht den Menschen. Das kommt
recht selten vor, dass ich den Menschen dahinter sehe.
I: Ja, und wenn es dann doch relativ heftig ist bzw. es gibt Stress, oder ein
belastender Einsatz. Welche Möglichkeiten hast du für dich selbst die Situation
aufzuarbeiten?
M: Ich gehe laufen und ich habe Freunde und Familie mit denen ich mich darüber
unterhalten kann, wo ich es nochmal durchsprechen kann. Oder ich versuche es mit
einem Notarzt, den ich leiden kann, zu reflektieren, ob das alles ok war.
I: Das heißt die fachliche Seite bzw. die Maßnahmen nochmals durchzusprechen und
abzugleichen mit dem Standard?
M: Jaja, genau mit dem Standard. Ob ich das Optimum rausgeholt habe, oder ich
vielleicht etwas verbessern könnte.
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Anlage 2: Interviews
I: Ok, das ist ja jetzt die medizinische Seite und die persönliche Seite? laufen und
Familie?
M: Genau. Und das Gewissen ist beruhigt, wenn die medizinische Seite ok ist. Oder
im Rahmen seiner Möglichkeiten alles getan hat. Oder wenn man weit mehr
ausgeschöpft, als man tun darf. Und seine Kompetenzen sozusagen überschritten hat,
ob das alles richtig war. Und solange das im ‚Grünen Bereich‘ ist geht es mir
eigentlich recht gut damit. Ich glaube wenn das nicht funktioniert, dann wird es
schwierig. Ist mir aber noch nicht passiert, dass ich katastrophal Scheiße gebaut
hätte.
I: Das heißt ihr habt irgendwie eine Grenze, wo ihr sagt: Bis dahin und nicht weiter
in Bezug auf die Maßnahmen?
M: Das ist dann durch technische Sachen in aller Regel eingeschränkt.
Thoraxdrainagen können wir nicht legen, weil wir keine Thoraxdrainagen haben.
Und Medikamente können wir bloß die geben, die wir dabei haben.
I: Das kann auch Probleme machen sowas? Wenn man Medikamente gibt und es
verrutscht was?
M: Ja, natürlich. Da hast du zunächst mal ein Gespräch beim Ärztlichen Leiter
Rettungsdienst, da darf man nochmal erklären was man alles gemacht hat und
warum. Und dann ist in aller Regel gut. Ich wüsste nicht, dass deswegen jemand
richtig Ärger bekommen hätte.
I: Gibt es von Seiten des Arbeitgebers eine Hilfestellung zur Bearbeitung von Stress,
oder von belastenden Einsätzen?
M: Es gibt wohl im Hintergrund so eine Psychologin die man aufsuchen kann. Aber
ich weiß nicht wie sie heißt; müsste man dann über die Leitstelle nachfragen wie
man rankommt. Ich glaube auch nicht, dass sie regen Zuspruch hat.
I: Wir das propagiert vom Arbeitgeber, oder kümmert sich jemand darum?
M: Ich denke das Qualitätsmanagement, einzelne Leitstellendisponenten haben nach
dem Einsatz schon nachgefragt, ob man das haben möchte. Da wurde das wohl schon
angeboten.
I: Also ist es nicht die Regel, dass es propagiert wird?
M: Nein, nein, nein. Ich weiß auch nicht, ob es jedem auf der Arbeit bewusst ist, dass
es so etwas gibt. Da hat sich ein Kollege von mir in Bretten umgebracht und seine
Mutter hat sich dafür eingesetzt, dass es so jemanden geben sollte, in Zukunft. Und
darauf ist das Ganze, glaube ich, zurück zu führen.
[…]
I: Hast du in diese Richtung einen Wunsch, bzw. würdest du dir dahingehend eine
Veränderung wünschen? […]
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Anlage 2: Interviews
M: Ich denke, das Angebot sollte bloß stehen und immer mal wieder in Erinnerung
gerufen werden, dass es das auch gibt. Weil jeder seine eigene Wege gefunden hat
mit belastenden Situationen umzugehen. Und nicht jeder möchte Hilfe in Anspruch
nehmen. Weil es einem selbst gut geht und man selbst gut klar kommt mit seinen
Lösungsstrategien. Bitter ist es bloß dann, wenn er gerne Hilfe hätte, aber keine
bekommt. Oder er nicht auf ein Angebot zurück greifen kann, weil er nichts davon
weiß. Das ist doof. Gerade für die Leute die neu einsteigen wäre es wichtig jemanden
zu haben mit dem sie sprechen könnten, oder der ein entsprechendes Angebot
unterbreitet.
I: Was ist Supervision?
M: Supervision?! Wenn man einen Einsatz nochmal durchgeht und seine Wünsche,
Vorstellungen und das Erlebte noch einmal wiedergibt. Und gleichzeitig auch
Verbesserungsvorschläge mit einbringen kann.
I: Ok und was ist Kollegiale Beratung?
M: Da hab ich noch nichts davon gehört.
I: Ok, vielen Dank.
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Interview 2
Anlage 2: Interviews
Die folgende Transkription ist das Ergebnis eines Problemzentrierten Interviews.
Das Gespräch wurde mit Hilfe eines Aufzeichnungsgerätes geführt. Der Befragte
war mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Die Transkription wurde
anonymisiert. Demnach ist der Interviewer mit „I“ und der Befragte nach
Geschlecht mit „M“ bezeichnet. Sprachliche Dialekt-Variationen mit der damit
verbundenen Grammatik wurden weitestgehend geglättet. Doppelte Ausführungen,
oder nicht relevante Gesprächsteile sind durch Auslassungskennzeichen „[…]“
kenntlich gemacht. Der Gesprächspartner ist seit 2003 zunächst als Sanitäter
ehrenamtlich und seit 2008 als Rettungssanitäter hauptamtlich im Rettungsdienst
tätig.
I: Wie bist du zum Rettungsdienst gekommen?
M: Eigentlich durch meine Mutter ganz ursprünglich. Sie ist Krankenschwester und
dadurch hatte sie eine Beziehung zum Wachenleiter von Bretten. Da hatte ich schon
einmal ein Vorpraktikum gemacht, mit 16. Ja dann hat sich das entwickelt, der ist
dann gestorben und dann konnte ich nicht mehr mitfahren eine Zeit lang. Und dann
über die Notfallhilfe Untergrombach bin ich voll und ganz reingerutscht.
I: Du bist also dann komplett weg gewesen vom Rettungsdienst und dann irgendwie
bei der Feuerwehr dabei gewesen?
M: Ja, Feuerwehr. Und dann hat das Kreuz zusammen mit der Feuerwehr in die
Notfallhilfe aufgebaut. Dann hat sich das ganze wieder entwickelt. Dann zuerst als
‚Dritter Mann‘, dann als ‚Zweiter Mann‘ zuerst Praktika gemacht und dann als
‚Zweiter‘ auf dem RTW. Dann machte ich meinen RS, dann hat es mit der Stelle
funktioniert.
I: Das heißt das Ganze ist noch gar nicht so lange her. Sondern wir sprechen über
einen Zeitraum von…
M: Also inklusive Notfallhilfe fünf Jahre.
I: Ok, ähm, ja. Was ist denn die Motivation zur Arbeit im Rettungsdienst für dich?
M: Zum ersten um anderen Leuten zu helfen und zweitens weißt du eigentlich nicht
wenn du morgens ins Geschäft kommst, was dich den Tag über erwartet.
I: Das heißt, ähm, die Abwechslung…
M: Genau.
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Anlage 2: Interviews
I: Ok, gibt es irgendwie einen besonderen Reiz noch an dieser Tätigkeit? Also die
Tätigkeit an sich, das Medizinische, oder du sagst die Kollegen sind total geil, oder
die Räumlichkeiten sind geil, oder das Unternehmen ist super? Ähm,…
M: Eigentlich eher der medizinische Aspekt. Das Anwenden von dem Gelernten.
Wobei ja, gut der Faktor Kollegen spielt auch schon mit. Ein paar Kollegen…
I: Ok, mmh, das Medizinische. Also, dass du jeden Tag etwas Neues hast und…
M: Ja, an der Herausforderung.
I: …und das du durch dein Wissen anderen Leuten helfen kannst?
M: Genau.
I: Ok, ähm, ist das dann auch die Faszination am Rettungsdienst für dich, oder…?
M: Was meinst du mit Faszination?
I: Also, klar, Tätigkeit ist eine Sache, aber da muss es ja auch einen Auslöser geben,
dass du sagst das ist jetzt mein Beruf…
M: Es macht einfach Spaß. Schlichtweg das Hobby zum Beruf gemacht sozusagen.
I: Ok. Wenn man so einen Beruf hat, dann gibt es bestimmt auch Schattenseiten.
Irgendwas ist immer blöd an einem Beruf. Was ist es hier in deinem Bereich?
M: In meinem Bereich speziell?
I: Was siehst du als negativ in diesem Beruf an?
M: Ok, natürlich die Nachtdienste. Die sind nicht gerade so, mh, ja, was heißt
prickeln; die gehören dazu, die macht man halt. Und ansonsten, dass man sich halt
immer von Hausärzten sagen lassen muss, was man macht, oder machen muss, soll
und sie gemacht haben. Und im Endeffekt davon ausgehen kannst, dass es nicht
unbedingt das Beste für den Patienten ist was sie gemacht haben. Und du dann im
Endeffekt nichts sagen kannst.
I: Ok, das heißt du hast gar keine Chance Einfluss zu nehmen wenn ein Arzt da ist?
M: Es gibt auch Hausärzte die sich leiten lassen mehr oder weniger. Aber, ja, manche
halt auch nicht. Ich meine wenn sie Medikamente spritzen wo sie nicht wissen für
was diese sind und eigentlich im Endeffekt total kontraindiziert sind.
I: Da meinst du dir seien die Hände gebunden?
M: Die sind mir gebunden, weil das Medikament ist schon gespritzt bis du kommst.
Da kannst du nichts dagegen machen. Und die Notärzte nehmen vieles auch hin von
den Hausärzten und sagen nichts.
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Anlage 2: Interviews
I: Ok, also von den Schichtzeiten findest du es ein bisschen blöd, oder aber im
Miteinander mit Ärzten, oder mit Externen im Endeffekt. Gibt es noch was, welches
dich stört? Also, in dem Beruf?
M: Im Beruf selbst eigentlich nicht. Die Umgebung drum herum ist je nachdem nicht
die beste. Also die Wache müsste man noch ein wenig ausbauen, aber ansonsten.
Also, den Bedürfnissen der Leute sich anpassen, sagen wir es mal so.
I: Ok, ähm, nochmal zu den Einsätzen zurück. Klar, Kombination mit Externen, ähm,
ich glaube vorstellen ist relativ schwierig; du hast einen Patienten, du musstest dich
um ihn kümmern, gibst eigentlich alles mehr oder weniger; so stelle ich mir das vor
und fährst dann irgendwie ins Krankenhaus und gibst ihn ab, so ‚aus den Augen aus
dem Sinn‘. Ist das so?
M: Es gibt ein paar wenige Einsätze wo man sich danach erkundigt wie es dem
Patienten geht. Gerade wenn es irgendwas Spezielles war, oder so. Ansonsten sieht
man die Patienten recht selten nochmal.
I: Und findest du das problematisch, oder findest du gerade das gut?
M: Also je nachdem sind meine Einsätze eigentlich damit abgeschlossen wenn ich
den Patienten im Krankenhaus übergebe. Weil dann sehe ich das wieder als erledigt
an. Ich meine wenn es etwas ganz Außergewöhnliches war, dann erkundigt man sich
doch mal was der Patient letztendlich hatte und was rausgekommen ist bei den
Untersuchungen. Aber ansonsten, eigentlich weniger.
I: Was wäre denn etwas Außergewöhnliches? Gib mal ein Beispiel.
M: Was war denn Außergewöhnlich bei dem wir uns erkundigt hatten?
I: Nein, für dich. So spontan.
M: Ach so, spontan. Zustand nach Verkehrsunfall, oder so. Wo man draußen nicht
wusste was der Patient hat; wo man nicht zuordnen konnte. Oder einfach Einsätze,
wo… Letztenns hatte ich ein junges Mädchen mit einer Intoxikation, wo wir nicht
wirklich wussten was es war. Danach hatte ich auch angerufen. So Sachen, also
wirklich außergewöhnliche Sachen.
I: Ok, ähm, wenn es so stressige Einsätze gibt, welche Möglichkeiten hast du dann
um dich damit auseinander zu setzen?
M: Also, je nachdem mit welchem Kollege man Dienst hat, kann man mit dem
darüber sprechen. Ansonsten spreche ich auch viel mit meiner Freundin darüber.
Gut, sie will es dann auch jedes Mal wissen; sie fragt dann auch nach. Ansonsten
nehme ich so professionelle Hilfe keine in Anspruch.
I: Das heißt, ähm, es gäbe die Möglichkeit mit Professionellen darüber zu sprechen?
M: Die Möglichkeit gäbe es, ja. Notfallseelsorger, oder das KIT-System, bzw.
Notfallnachsorge. Das gibt es auch bei uns im Landkreis.
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Anlage 2: Interviews
I: Ok, ist das eine Einrichtung vom Arbeitgeber?
M: Teils teils, also bei uns gibt es Kollegen die darin ausgebildet sind. Aber die sind
eigentlich auch bekannt bei uns.
I: Gab es bei dir schon Situation bei denen dich dein Arbeitgeber darauf hingewiesen
hat, oder sie sagten: Hör zu da gibt es die und die Möglichkeit. Gab es das bei dir
schon?
M: Nein!
I: Weißt du dann von deinem Arbeitgeber, dass es das gibt, oder?
M: Ich weiß es von meinem stellvertretenden Wachenleiter. Weil der da involviert ist
und das auch macht. Daher weiß ich das. Offiziell weiß ich nicht, ob es da mal etwas
schriftlich gegeben hat, wo der Arbeitgeber mitteilte, dass es so etwas gibt.
I: Gäbe es von dir in diesem Zusammenhang einen Wunsch nach Veränderung oder
Unterstützung durch den Arbeitgeber?
M:Gut, die Einsätze sind belastend, aber so ‚den belasteten Einsatz‘ hatte ich so noch
nicht. Zumindest nicht im Rettungsdienst. Deshalb kann ich so weder etwas Positives
noch Negatives sagen.
I: Also für dich ist es jetzt so gut wie es ist?
M: Ja ich habe ja die andere Seite noch nicht kennen gelernt. Ich habe es ja noch
nicht gebraucht. Somit kann ich jetzt nicht sagen, ob es so gut ist, oder nicht gut ist
weil ich es brauche. Das weiß ich nicht.
I: Was ist Supervision?
M: Supervision? Kann ich gar nichts mit anfangen.
I: Und mit Kollegialer Beratung? Kannst du damit was anfangen?
M: Du meinst jetzt speziell bei Einsätzen? Wenn du das meinst, dass man sich mit
dem Kollegen berät und austauscht; dann ja. Ansonsten: nein.
I: Du hast also beides noch nicht in Anspruch genommen?
M: Nein.
I: Vielen Dank.
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Interview 3
Anlage 2: Interviews
Die folgende Transkription ist das Ergebnis eines Problemzentrierten Interviews.
Das Gespräch wurde mit Hilfe eines Aufzeichnungsgerätes geführt. Die Befragten
waren mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Die Transkription wurde
anonymisiert. Demnach sind der Interviewer mit „I“ und die Befragten nach
Geschlecht mit „M“ mit zusätzlicher Zahl bezeichnet. Sprachliche Dialekt-
Variationen mit der damit verbundenen Grammatik wurden weitestgehend geglättet.
Doppelte Ausführungen, oder nicht relevante Gesprächsteile sind durch
Auslassungskennzeichen „[…]“ kenntlich gemacht. M1 arbeitet an einer
Berufsfachschule für den Rettungsdienst als LRA. M2 ist LRA an einer
Berufsfachschule für den Rettungsdienst. M3 arbeitet als LRA an einer
Berufsfachschule für den Rettungsdienst.
I: Wie seid ihr damals zum Rettungsdienst gekommen?
M1: Ich wollte eigentlich in Heidelberg Zivildienst machen. Als KFZ-Mechaniker.
Hatte die Idee KFZ-Mechaniker zu werden. Wurde dann aber mit einem
Zivildienststellenleiter konfrontiert, der mich zuerst aufforderte mir meine Haare zu
schneiden. Worauf ich dann dieses großzügige Dienstangebot verweigert habe. Dann
habe ich mich umgehört. Dann hat mir ein Kollege erzählt, dass ein Freund von ihm
Rettungsdienst-Zivildienst machen würde und dass der das toll fände. Dann bin ich
nach Mannheim gegangen. DRK Heidelberg war dann gestorben für mich. Wurde
dann von dem Kollegen quasi ein bisschen informiert, der hat mir ein paar Sachen
erzählt und dann zum ASB geschickt. Dann habe ich beim ASB Zivildienst gemacht,
habe in meinem Leben eh nichts Besonderes vor gehabt; hatte schon ein Studium
abgebrochen. Dann hat mir das sehr viel Spaß gemacht und dann bin ich dabei
geblieben. Also der typische, verkackte Lebenslauf einer gebrochenen Existenz.
M2: Meiner ist noch typischer. Ich hatte irgendwann mal angefangen festzustellen,
dass so wie ich aussehe und wie ich so bin, keine Freunde finde. Und keine
Anerkennung im Leben. Mein voller Ernst. Meine Cousine war bei den Johannitern,
da habe ich dann einen Erste-Hilfe Kurs gemacht und mich danach gefühlt wie der
‚Käse‘. Und so bin ich dann über die Schiene ins Ehrenamt hinein gewachsen der
JUH. Der jeden Samstag auf dem Sportplatz saß – auch wenn das Kreuz Betreuung
hatte übrigens – mit einem… - irgendwann habe ich aus so einer Zeitschrift so ein
Johanniter-Emblem ausgeschnitten und mir einen Button gemacht und bin so auf den
Sportplatz gelaufen und San-Dienst gemacht. Heute kann ich sagen, ich habe das
Glück beide Sichtweise zu kennen: die professionelle und unprofessionelle. Ich saß
in jeder freien Minute auf der Rettungswache und habe über die Schiene ein soziales
Netzwerk aufgebaut; überhaupt zum ersten Mal in meinem Leben. Seit dem weiß
ich, dass gerade der Rettungsdienst ein Auffangbecken für ‚strange‘ Gestalten ist.
Wenn man sich ankuckt, welche Leute bei DRK-Ortsgruppen, oder –Abenden immer
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Anlage 2: Interviews
da sind, dann sind das die fetten und hässlichen, oder im Zweifelsfall die fetten und
hässlichen. Ich war selbst fett und hässlich. Entweder du gehst zur Feuerwehr – das
konnte ich nicht wegen meiner Höhenangst – oder du gehst zum Roten Kreuz, oder
den Johannitern, oder ähnliches. Überhaupt keine Sorge damit. Die Motivation war
klar, dass ich das hauptamtlich machen wollte. Nur habe ich irgendwie in mir
wohnend anscheinend so eine Art Perfektionismus mich immer zum Guten zu
entwickeln. Aus diesem Grund habe ich dann angefangen mich zu entwickeln und
nach ein paar Jahren Rettungsdienst bekommst du eh deine eigene Sichtweise;
bekommst auch berufspolitisch eine andere Einstellung, z.B. zum Ehrenamt.
Deswegen bin ich heute ein großer Feind des Ehrenamtes im Rettungsdienst.
M3: Sehr interessante Geschichte. Durch spannende Ausbildung zum
Speditionskaufmann und ähm, ich wollte den Führerschein machen für das Auto, da
braucht man einen LSM-Kurs. Den habe ich dann gemacht beim ASB und war der
einzige Teilnehmer. Da der Ausbilder die Maßnahmen dann nur an mir selbst
demonstrieren konnte und das dadurch auch nicht richtig sehen und üben konnte, hat
er gemeint, ich bekomme jetzt meinen Schein, aber ich solle doch nochmal zu einem
Sanitätskurs kommen, der irgendwann am Wochenende beginnt. Da könnte man
Sanitäter werden, da könnte man alles sehen. Dann habe ich das gemacht. Habe den
Kurs auch sehr genossen, habe dann eine Prüfung gemacht und habe gesagt
bekommen „so jetzt kannst du als Dritter Mann mitfahren“. Da dachte ich mir jetzt
bist du so weit gekommen, jetzt machst du das aber. Dann war ich ehrenamtlich und
begeistert. Dann habe ich das zwei Jahre gemacht und die Ausbildung zum Spediteur
fertig gemacht. Man soll ja etwas Ordentliches lernen. Dann kam der Zivildienst und
ich dachte mir: ok, das war eine schöne Zeit; 20 Monate. Rettungshelfer-Ausbildung
komplett, Rettungssanitäter-Ausbildung komplett und dann kam der jähe Absturz:
ich musste eigenverantwortlich mit anderen Zivis ins Auto und dachte mir:
irgendwas stimmt da nicht, das muss man besser machen können. Dann habe ich mir
überlegt da muss man was machen in Sachen Ausbildung, um die Menschen in der
Situation besser zu schulen und dann war die Idee der Ausbildung geboren 1987.
Dann habe ich auch ein sehr gutes Angebot bekommen vom ASB weiter zu machen
beruflich und das aufzubauen. Ja und habe das dann gemacht, war im Schichtbetrieb,
habe die Ausbildungsabteilung mit aufgebaut, dann kam 1991 die Lehrrettungswache
mit hinzu, 1993 die Berufsfachschule, die ich zusammen mit ‚M1‘ gegründet habe.
Ja und hatte ausreichend Zeit im Schichtbetrieb viel praktische Erfahrung zu
sammeln. Sicherlich hat sich die Faszination des Berufs sehr geändert, ist aber nicht
verloren gegangen.
I: Gutes Stichwort. Was ist denn die Faszination am Beruf?
M3: Unter spektakulären Bedingungen und mit aufsehenerregenden Maßnahmen
Gutes zu tun am Nächsten. In dem man Menschenleben rettet, für andere da ist. Das
ist sicherlich die ‚Gut-Mensch‘ Definition. Man könnte aber auch z.B.
gesellschaftspolitisch sagen im Gegensatz zu den, äh, ‚Wall-Street-Ärschen‘, die
jeden Tag vielleicht die Idee haben mein Geld zu verzocken, habe ich die Idee, dass
ich etwas Gutes mache.
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Anlage 2: Interviews
M1: Das würde ich für mich, äh, etwas einschränken wollen. Also, für mich, äh, ist
die Faszination letztendlich Menschen in Extremsituationen zu erleben, mich in
Extremsituationen zu erleben, Zugang zu allen, äh, gesellschaftlichen Schichten in
unmöglichen Situationen zu haben und natürlich auch im Mittelpunkt zu stehen, das
ist auch ein ganz wichtiger Punkt. Also der, äh, jetzt, was weiß ich, Einsatz mit viel
Publikum drum rum ist natürlich auch etwas für das Selbstwertempfinden. Wenn
man danach einigermaßen gute Arbeit abliefert. Ja und auch letztendlich die
Möglichkeit vielleicht zu sagen, dass meine Arbeit heute dazu geführt hat, dass es ein
Patient noch lebt, oder dass seine Lebensqualität nicht schlechter als notwendig
geworden ist. Also, das ist von mir ein relativ geringer Ansatz, weil im Grunde hasse
die meisten Deutschen. In dem Moment wo sie meine Notfallpatienten sind, sind sie
meine Kunden und sie erhalten alle meine Fähigkeiten und ich bin auch sehr witzig
und emphatisch, tralala, aber bei näherer Betrachtung ist das genau der gleiche
Patient, der die CDU wählt, äh, den Sozialstaat abbaut und Sonstiges. Also, da hat
sich bei mir eine deutliche, äh, also da hat sich bei mir der Hilfsgedanke, äh, ist zwar
ein schöner Aspekt, aber kein Haupttrieb von, äh, und was man nicht vergessen darf:
Ich bin ‚blaulichtgeil‘. Ich fahre gerne Blaulicht, obwohl es die anstrengendste und
aufregendste, ja auch gefährlichste Geschichte ist die ich in meinem Leben je
gemacht habe. Aber trotzdem ist es geil und wer was anderes sagt lügt.
M3: Nach dem amerikanischen Pathos zu urteilen, würde ich sagen, dass ich gelernt
habe in meinem Beruf, dass ich in einer elitären Berufsgruppe bin, weil ich
festgestellt habe, dass nur einige Wenige den Beruf wirklich gut machen können.
I: Möchtest du auch noch etwas dazu sagen ‚M2‘?
M2: Bis auf den Teil ‚ich hasse alle Deutschen‘ könnte ich das Statement von ‚M1‘
völlig unterschreiben. Weil ursprüngliche Motivation war was zu erzählen zu haben,
Geltungsbedürfnis und ein gewisses Maß an Selbstbefriedigung; mittlerweile ist es
fast nur noch Selbstbefriedigung. Aber ich bin so arrogant zu sagen, dass ich den Job
sehr gut mache und hole mir meine Selbstbefriedigung genau dann wenn ich nämlich
abends von der Wache nach Hause gehe und sage heute habe ich meinen Job wieder
gut gemacht.
M3: Also ich finde Notfallmedizin, vor allem im präklinischen Bereich, nach wie vor
faszinierend. Es ist definitiv eine Herausforderung, der stelle ich mich gerne.
M2: Man macht aber nicht immer Notfallmedizin präklinisch. Man transportiert
kranke Leute.
M3: Ja, gut, ich weiß nicht du es machst, ich mache es ein wenig anders.
M2: Wie viel Prozent deiner, äh, Alltagssituationen sind denn so anspruchsvoll, dass
du sagst heute haben wir es mal wieder richtig krachen lassen.
M3: Naja, Notfallmedizin hat ja verschiedene Facetten. Es reicht auch für Menschen
da zu sein, ihnen die Hand zu halten.
M2: Du wie ich sind doch genau diejenigen, die morgens um acht in das Auto
einsteigen, in der Hoffnung, wenn du gerade deine Fahrt vom Klinikum
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Anlage 2: Interviews
Hauptaufnahme zurück ins ‚Joseph-Bauer-Haus‘ auf dem Melder hast, dann fährst du
extra langsam, in der Hoffnung du bekommst auf dem Weg ins Klinikum noch
irgendwie eine Auftragsänderung.
M3: Einspruch euer Ehren. Ich hatte genügend Notfälle in knapp 26 Jahren; ich
brauche sie nicht mehr. Wenn sie kommen stelle ich mich ihnen, versuche sie
qualitativ hochwertig abzuarbeiten, aber ich suche sie nicht mehr.
M1: Ich möchte das vorig Gesagte noch um eines ergänzen, was mir auch sehr viel
Befriedigung bereitet. Obwohl in meiner Brust zwei Seelen wohnen, ist, äh, durch
einfache Höflichkeit und Zuneigung gerade älteren Menschen kurzfristig wieder mal
das Gefühl von Geborgenheit und Zuwendung zu geben, ähm, das ist eines der
tiefsten emotionalen Erlebnisse in meinem Leben. Wenn man den älteren Menschen
einfach die Hand hält, derjenige dann nicht mehr los lässt, oder so Geschichten. Das
macht mir auch Spaß so einfach nett zu sein und durch wirklich übertriebene
Höflichkeit und Service-Orientiertheit den Leuten alles zu geben was ich kann.
I: Was sind denn die Schattenseiten des Berufs?
M1: Schattenseiten? Das ist ganz einfach. Die größten Schattenseiten sind die
strukturellen Probleme des deutschen Rettungsdienstes. Erstens weil Organisationen
und Hilfsorganisationen nicht in Anbindung zu Krankenhäuser sind. Zweitens…
M2: …oder an den Staat, oder Kommunen.
M1: Ja, genau. Wobei die Anbindung an die Krankenhäuser aufgrund der
Transparenz der Gesundheitsberufe…, das ist das Nächste: Rettungsdienstausbildung
ist ein Sackgassen-Beruf. D.h. du hast keine Entwicklungsmöglichkeiten, wir haben
nicht die Möglichkeit der Ausbildung einer Berufshierarchie. Das ist auch ein
strategisches und strukturelles Problem. Die Hilfsorganisationen haben keinerlei
Interesse daran den Beruf des Rettungsdienstlers, ähm, auf qualitativ hochliegendes
Niveau zu heben, weil sie dadurch sehr selbstkritische Mitarbeiter schaffen würden.
Die Hilfsorganisationen sind zunehmend, aus meiner Sicht, Ausbeuter. Sie wollen
materielles und ideelles, also, Engagement. Gerade die jungen Leute mit sozialem
Engagement, die von der Politik ja gerne gefördert werden, werden häufig
unverantwortlich behandelt. Ähm, daraus resultieren Probleme für das spätere Leben,
aber da sind sie ja nicht mehr in den Hilfsorganisationen. Ein weiteres Problem ist
die absolut unbefriedigende Kenntnis der Gesellschaft über unsere Tätigkeit. Die
Einordnung als Sancar-Fahrer oder Rotkreuzler, die, ähm traditionell mit diesem
Dienst verbundene Ehrenamtlichkeit, ja, das sind die Jungs vom Fußballplatz, also
das Nicht-unterscheiden-können, auch faktisch nicht unterscheiden können des
Ehrenamtlichen gegenüber des Profis. Ähm, die Ausbildungssituation ist beschissen.
Äh, als einer der wenigen Berufe haben wir noch kein duales Berufsbildungssystem.
Haben eine zweijährige, voll verkackte, auf einem höchst handwerklich schlecht
gemachten Gesetz basierenden Ausbildung mit Selbstfinanzierung.
M2: Das DRK war dran schuld…
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Anlage 2: Interviews
M1: Ja, also die Wurzel allen Übels sind die Hilfsorganisationen. Ähm, also ich sage
immer zu meinen Schülern ‚Helfen ist unsere Aufgabe‘, das steht auf den Fahnen.
Damit da ganz klar nicht die Mitarbeiter gemeint sind, sieht man immer das stark
pigmentierte Kind aus einem offensichtlichen Entwicklungsland und es ist klar die
Mitarbeiter sind nicht gemeint. Es gibt keine Mitarbeiterentwicklung, es gibt keine
Personalentwicklung. Das ist punktuell natürlich. Es gibt auch viele Ortsverbände
und Kreisverbände die sich da ins Zeug legen. Es gibt viele unterschiedliche
Strukturen und Engagement. Das nächste Problem ist: Rettungsdienst ist
Ländersache. Es gibt 16 Rettungsdienstgesetze. Es macht überhaupt keinen Sinn
warum ein Hamburger anders gerettet werden soll als ein Berliner. Das ist
geschichtlich gewachsen.
M2: Wobei die beiden gleich schlecht gerettet werden.
M1: In dem konkreten Fall, ja. Dann stehen wir noch unter den undurchschaubaren
lobbyistischen Interessen, Stichwort Feuerwehr, die ja immer wieder versucht den
Rettungsdienst an sich zu ziehen, ähm, teilweise ja auch macht; dort natürlich mit
höchster Qualität, was man von Leuten die dort schaffen hört. Lange Rede kurzer
Sinn, Rettungsdienst in Deutschland ist faktisch in einer Situation, wo ich sage da
muss ein kompletter Systemwechsel her.
M2: Hier geht’s um Schattenseiten; du bist tief frustriert.
M1: Ja, das sind die Schattenseiten. Resignation, Frustration, Burn-Out. Ganz
konkret bei mir war es dann so, dass ich gesagt habe ich muss jetzt eine Pause
machen sonst bringe ich Leute um. Also nicht aktiv, sondern einfach durch
Abschalten. Warum soll ich mich verausgaben, wenn ein Patient, den ich im
Schockraum anmelde, erstmal eine Viertelstunde irgendwo rumliegt, weil sich keine
Sau drum kümmert und der Herr Anästhesist noch schläft. Oder warum soll ich mir
draußen, äh, den Wolf diagnostizieren, wenn meine Verdachtsdiagnose nicht von der
Leitstelle an die Klinik gemeldet wird. Warum soll ich mich überhaupt noch mit
jemandem sinnvoll auseinandersetzen, wenn es Menschen gibt, die aufgrund von
Statusdünkel, das ist auch wieder Frustration, oder die Ärzte und Pflege mit denen
wir zu tun haben leiden ja auch unter den Systemzwängen. Ähm, aber sie sind nicht
erkenntnisreich genug diese Systemzwänge am System auszulassen, sondern am
vermeintlich Niedergestellten; das ist der Rettungsdienstler. Ein Assistenzarzt der
Chirurgie, der einfach die Vakuummatratze wegreißt und die Stif-Neck wegreißt,
ohne ein Röntgenbild in der Hand zu haben, das bahnt jeder Vernunft und Intellekt.
Ist aber rettungsdienstlicher Alltag. Und was dann noch dazu kommt; wenn die
Kollegen, die Standardbeispiele für schlechte Kollegen sind, vor mir in der
Notaufnahme waren, kann ich es dem Doktor nicht mal verübeln. Also es fahren
einfach noch viel zu viele Badkappen rum.
I: Würdet ihr das unterschreiben?
M2: In weiten Punkten, ja. Ich würde nicht so weit ausholen, aber im Großen und
Ganzen schon. Der letzte Punkt z.B. das da halt auch, ja, was immer frustriert ist
auch dies Haltung der Kollegen. Kein Wunder das da draußen keiner etwas mit uns
zu tun haben möchte, oder keiner uns da draußen für professionell hält, wenn man
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Anlage 2: Interviews
sieht was da draußen für Flachpfeifen so rumfahren. Ansonsten unterschreibe ich das
voll und ganz.
M3: Ja, in wesentlichen Teilen stimmt das schon. Ich denke, dass ein Großteil der
Probleme hausgemacht sind. Wir sind selbst schuld. Aktiv geförderte Politik der
Hilfsorganisationen. Vielleicht noch ein interessanter Aspekt, den ich beleuchten
möchte. Interessant ist, dass ich als Christ nach dem Motto lebe ‚Herr gib mir die
Gelassenheit Dinge zu ertragen, die ich nicht ändern kann‘, andere denken ich hätte
Burn-Out. Wo ist der Unterschied?
I: Bei all dem Negativem. Was müsste geändert werden, damit es besser wird?
M2: Abschaffung der Hilfsorganisationen. Entweder staatliche Trägerschaft, oder
Privatisierung. Wobei mir die staatliche Trägerschaft besser gefallen würde.
M1: Ja.
M3: Ja.
M2: Wie bei der Feuerwehr als Bestandteil mit Beamtenverhältnis von mir aus, keine
Ahnung…
I:Seht ihr die Belastung durch Einsätze an sich als Problem? Also unter Umständen
auch der schnelle Ablauf verschiedener Patienten?
M1: Ich persönlich sehe es nicht als Belastung. Ich sehe es als großen Vorteil. Ich
habe tierischen Respekt vor Pflegekräften im Altenheim, weil sich dort eine
persönliche, emotionale Beziehung zum Patienten aufbaut. In der Regel ist die
Versorgungszeit im Rettungsdienst kurz genug, um zwar einen Zugang zum
Patienten zu finden, sowohl im physikalischen als auch psychischen Sinne, aber kurz
genug um eben nicht emotional zu tief einzutauchen. Was ein Problem ist, ist die
fehlende Bindung an ein Krankenhaus, d.h. du kannst einen weiteren Verlauf deines
Patienten häufig nur auf eigene Initiative verfolgen, du bekommst kein Feedback.
Eine zeitnahe Qualitäts-Response wäre mir wichtig, das bekommst du nicht. Und das
Verfolgen des Patienten ist halt auch Privatinitiative.
M2: Ich habe mir angewohnt die private Ebene völlig auszublenden. Wenn ich den
Patienten abgegeben habe, ist es nicht mehr mein Patient. In dem Moment wo ich die
‚4‘ drücke, bis zu dem Moment wo ich die ‚8‘ drücke bekommt er von mir alles und,
äh, danach ist er für mich nur noch eine Nummer. Irgendwie eine Kerbe in meinem
Colt. Nur wenn es medizinisch interessante Sachen sind, wo es mir darum geht was
er eigentlich gehabt hat, da erkundige ich mich mal. Aber was ich nie wie andere
Kollegen machen würde, den Patienten einen Tag später im Krankenhaus mal
besuchen; im Leben nicht. Es ist wesentlich belastender was du manchmal so außen
herum mitbekommst. Unter welchen Umständen manche Menschen leben, oder unter
welchen Umständen manche Menschen sterben.
M1: Genau! Vor allem unter welchen Umständen manche sterben.
I: Was ist Supervision? Was ist Kollegiale Beratung?
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Anlage 2: Interviews
M2: Supervision hat vom Begriff her den Anschein von Kontrolle. Kollegiale
Beratung ist eher kollegial.
M1: Kollegiale Beratung ist für mich Teil des Erfahrungsschatzes, Teil des
persönlichen Umgangs mit Problemsituationen, ggf. Hinweis auf Möglichkeiten wo
man sich Hilfe holen kann. Supervision ist eine organisierte, durch in der Regel
ausgebildete professionelle, mit Beratungskompetenz versehenen Menschen, die bei
bestimmten Dingen dann auch erkennen, dass es sich um Schaden oder Probleme
handelt.
M3: Und das ganz wichtige Element der Lenkung beanspruchen. Gesprächslenkung,
Moderationslenkung.
I: Habt ihr so etwas schon in Anspruch genommen?
M1: Ich persönlich Kollegiale Beratung. Supervision gibt es nicht bei uns, kenne ich
also daher nicht. Inzwischen gibt es zwar psychologische Stellen, aber dass man
tatsächlich im Rettungsbereich einen Supervisor hat ist mir nicht bekannt.
I: Wird es euren Auszubildenden propagiert, dass es so etwas gibt?
M1: Ja.
M3: Wir haben einen betriebspsychologischen Dienst, der auch dem Mitarbeiter zur
Verfügung steht.
M2: Das wusste ich z.B. nicht.
M3: Da gab es auch einen Aushang.
M2: Das wusste ich nicht.
I: Wie lange bist du im Betrieb?
M2: Fünf Jahre.
M3: Ist ja keine Verpflichtung den aufzusuchen. Die Mitarbeiter können auch zu
Psychologen ihres Vertrauens.
M2: Ich bin ziemlich sicher, dass wenn ich 20 unserer Mitarbeiter nach einem
psychologischen Dienst frage, mir 19 sagen, sie kennen das Angebot nicht.
M1: Wichtig ist eigentlich seine eigene Situation zu erkennen und Hilfe bei Bedarf in
Anspruch zu nehmen.
I: Ok, vielen Dank für eure Zeit.
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Interview 4
Anlage 2: Interviews
Die folgende Transkription ist das Ergebnis eines Problemzentrierten Interviews.
Das Gespräch wurde mit Hilfe eines Aufzeichnungsgerätes geführt. Die Befragten
waren mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Die Transkription wurde
anonymisiert. Demnach sind der Interviewer mit „I“ und die Befragten nach
Geschlecht mit „M“ und „W“ bezeichnet. Sprachliche Dialekt-Variationen mit der
damit verbundenen Grammatik wurden weitestgehend geglättet. Doppelte
Ausführungen, oder nicht relevante Gesprächsteile sind durch
Auslassungskennzeichen „[…]“ kenntlich gemacht. M arbeitet hauptamtlich als
RettAss i.P. im Rettungsdienst. W arbeitet als Rettungsassistentin im
Rettungsdienst.
I: Wie seid ihr zum Rettungsdienst gekommen?
M: Durch einen dummen Zufall. Also, ich habe ja meine Schule verkackt, also
meinen Abschluss verkackt. Und dann hat mein Vater mal gesagt, also ich hatte
durch meinen Vater ein bisschen Kontakt zum Rettungsdienst, weil der Notarzt
gefahren ist im Ort wo ich wohne; und dann habe ich gesagt ok ich kucke mal was es
da so gibt. Dann habe ich mich mal informiert. Habe gesehen es gibt so ein FSJ, das
geht 12 Monate; das ist ok, da bist du mal 12 Monate unter Dach und Fach. Dann
habe ich hier mal in Mannheim gekuckt, weil da meine Großeltern wohnen. Das
würde ja auch passen; mal raus aus der kleinen Stadt, in die Großstadt, mal ein
bisschen was erleben im Rettungsdienst, da passiert mehr als zu Hause. Und ja, dann
bin ich so zum Rettungsdienst gekommen. Und jetzt bin ich hängen geblieben.
I: Also direkt von der Schule in den Rettungsdienst?
M: Ja.
I: Von der Schule zum FSJ und dann weiter die Ausbildung?
M: Ja.
W: Ich wollte eigentlich ein Jahr nach Amerika; als Au-pair. Blieb aber hier wegen
meinem damaligen Freund. Der war Zivi beim Roten Kreuz und ich wollte Medizin
machen und dann bin ich auch zum Roten Kreuz, habe FSJ gemacht, am Ende vom
FSJ RS, mit der Absicht dann RA zu machen, weil ich noch Wartesemester habe und
dann hängen geblieben.
I: Also auch eher unverhofft rein geschlittert?
W: Als ich Rettungshelfer gemacht habe war ich mir 100% sicher, dass ich niemals
Rettungsassistentin werde. Und auch nicht Rettungssanitäter, dass hat sich aber dann
alles so ergeben, weil es Spaß macht und man hängen bleibt.
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Anlage 2: Interviews
I: Was ist eure Motivation im Rettungsdienst zu arbeiten?
M: Also, wie soll ich sagen. Es stand während meiner Schulzeit fest, dass ich einen
Job bei dem ich im Büro rumsitzen muss, oder irgendwas mit Computern nicht mein
Ding ist. Ich wollte schon immer was mit Menschen zu tun haben. Rettungsdienst
macht einfach Spaß, man sieht viel, man erlebt viel, es ist einfach spannend.
I: Was macht das Spannende genau aus?
M: Man weiß nie was der Tag bringt. Also man weiß nie, oh ich muss heute ins
Geschäft gehen, das machen heute, dieses bearbeiten, das Projekt muss noch fertig
werden… Man weiß nie was kommt. Man geht zur Arbeit und wird überrascht
sozusagen.
W: Ja ich denk, also dieser Mythos man macht das um Menschenleben zu retten, ist
Quatsch.
M: Ja.
W: Weil wenn man das eine Weile macht, weiß man, dass man eher Leiden
verlängert. Aber ich denke jemand Außenstehendes kann es auch gar nicht
nachvollziehen wenn ich sage mir macht das Spaß. Weil alle denken immer ‚O Gott,
die Krankenwagenfahrer sehen viel Schlimmes und sammeln die Knochen von der
Autobahn auf und sind immer bei den schlimmen Unfällen‘, aber wenn wir sagen es
macht uns Spaß, dann kommt es bei manchen Leuten auch irgendwie krankhaft an.
Meine Eltern sagen auch immer: „Wie es war langweilig?! Sei doch froh, dass heute
mal nichts passiert ist.“ Wenn ich heimkomme und sage ey heute KTW war wieder
langweilig. Dann sagen sie: „Es ist auch schön wenn den Leuten nichts passiert ist.“
Aber…
M: Wie gesagt, es ist nicht alles so greifbar, wieso und weshalb es Spaß macht.
W: Man hat viel mit Menschen zu tun. Man sitzt im Auto und meldet sich frei und
dann ist es auch so ein gewisser Adrenalinkick, wenn man nicht weiß wo man jetzt
hin geht. Geht man auf die Schönau…
M: Erlebst du jetzt was, oder…
W: Oder komme ich jetzt an den Oberen Luisenpark und helfe da den Leuten. Es ist
abwechslungsreich.
M: Muss man jetzt zu einer Reanimation fahren, oder ist jemand vom Hochhaus
gesprungen, oder solche Sachen. Es ist auch die Faszination am Perversen, so ein
bisschen.
W: Ja!
I: Gutes Stichwort. Was ist die Faszination am Rettungsdienst?
M: Faszination: Adrenalinkick. Spezielle Situationen. Man erlebt auch viel was die
Geschichten von Menschen angeht. Schicksale.
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Anlage 2: Interviews
W: Ja, was das Leben eigentlich so bringt. Man kommt von der Schule und denkt
sich ‚Boah, das ist jetzt das Leben‘ und dann kommt man erst mal in so ein
Berufsgebiet und sieht was das Leben so bringt.
M: Genau das ist das Faszinierende, die Menschen an sich.
W: Und natürlich, was Spaß macht, ist wenn du wirklich mal jemandem helfen
kannst. […] Wir waren neulich bei einem Motorradfahrerunfall, wir haben uns auch
danach erkundigt. Also, mir hat es ein gutes Gefühl gegeben zu wissen, der ist nach
14 Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden. Manchmal kann man ja wirklich
helfen.
M: Oder wenn du der alten Omi einfach ins Bett hinein hilfst. Oder einfach auch an
Weihnachten wenn man zu den vereinsamten Patienten kommt, mit denen einfach
nur redet und die fühlen sich wieder wohl und man kann gehen. Die Faszination ist
einfach die Faszination Mensch.
[…]
M: Man lebt auch intensiver. Ich muss sagen ich habe mich jetzt schon in der Zeit,
also allein im FSJ habe ich mich stark verändert im Gegensatz zu damals. Ich merke
es auch jetzt: ich verändere mich immer mehr. Wenn ich überlege wie ich noch vor
einem halben Jahr war, habe ich mich stark verändert.
W: Es prägt einen. Aber nicht immer nur positiv.
M: Ja, aber auch nicht nur negativ.
I: Wenn ein Beruf so faszinierend ist, dann gibt es doch auch Schattenseiten?
W: Es gibt auch Tage und Wochen wo man heimgeht und sagt ‚ey, ich habe keinen
Bock mehr‘. Wenn es irgendwelche sinnlosen Diskussionen im Krankenhaus gibt,
oder mit Angehörigen, oder mit der Leitstelle, oder mit…, was weiß ich. Es gibt so
oft Ärger wegen nichts, wo man sich aber trotzdem irgendwann wieder darüber
aufregt.
M: Ich habe bis jetzt noch nie so einen Tag erlebt, wo ich sage ich habe sowas von
überhaupt keinen Bock…
W: Doch!
[…]
M: Klar es gibt immer verschiedene Nachteile. Körperliche Nachteile, psychische
Nachteile, das gibt es ja überall. Als Büro-Jobber bekommst du ja auch irgendwann
mal Rückenprobleme.
W: Aber gerade, wenn du irgendwie, den Tag über viel tragen musstest und man
kommt heim und dir tut alles weh, oder psychisch auch. Ich denke das stressige an
dem Job ist, dass man ihn nicht bis zur Rente machen kann. Man ist entweder
psychisch, oder körperlich, oder beides so kaputt, dass…
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Anlage 2: Interviews
I: Und was sind da genau die Belastungen, wenn ihr sagt, das kann man nicht
machen bis zur Rente?
W: Einfach das ständige Tragen, und…
M: Einfach dieser Stress auch, die Schichtarbeit…
W: Ja Schichtarbeit, dieser ständige Adrenalinkick; irgendwann ist der bestimmt
auch belastend. Wenn du echt auch noch privat Probleme hast und auf der Arbeit
schon wieder wo hinfährst, wo du nicht weißt was dich erwartet.
M: Im Alter will man ja auch mal Kontinuierlichkeit haben. […] Diese Beständigkeit
haben einfach. Die haben ihren Job: ‚Ich weiß einfach was passiert und es ist alles in
Ordnung und so was‘.
W: Uns Jüngere motiviert jetzt natürlich super wenn es abgeht, aber für die Älteren,
die kucken dann eher, dass sie die Fernfahrten bekommen, …., dann machen sie
keine Nachtdienste mehr, weil sie sagen, das wirft sie aus der Bahn. Ich meine, das
ist hier auch kein gesunder Lebensstil: Man trinkt Kaffee, man ernährt sich nicht
besonders gut während der Arbeit, weil man auch einfach nicht die Möglichkeit hat.
M: Geregelte Tagesabläufe hat man sowieso nicht mehr.
W: Manchmal hat man, gerade die älteren Kollegen die selbst Familie und Kinder
haben, die irgendwelche Kindernotfälle haben, für die ist es ja noch viel belastender
als für uns.
[…]
M:Deswegen finde ich es auch gut, dass wir eine Uniform tragen. Ich zieh sie an, bin
für alles bereit und sobald ich sie ausziehe die Uniform, fällt alles so ein Stück weit
von mir ab.
[…]
I: Allein schon der Weg hilft euch den Stress zu bewältigen?
W: Also Stressbewältigung finde ich vor allem, wenn ich mit dem Kollege, der dabei
war, darüber redet. Ich hatte auch schon einen Einsatz, bei dem ich viel, viel mit
meiner Kollegin darüber reden musste. Sie hat es auch belastet, es war eine
Reanimation einer jungen Frau, ähm, wo dann noch die Rahmenbedingungen
schlecht waren, wo wir selbst Angst hatten, ähm, na gut, sie war eine Frau, sie hatte
Lungenkrebs und dann stirbt sie direkt im Krankenhaus. Ich finde schon, dass dieser
Heimweg ein bisschen… Man schaltet ganz ab[…].
I: Habt ihr noch irgendwelche Möglichkeiten die ganzen Belastungen auszublenden,
anzuschalten?
W: Also ich denke bei dir (Anmerkung: Auszubildender] die Berichte…
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Anlage 2: Interviews
M: Ich sage mal so: ich bin ziemlich immun dagegen. Während der Schule, als ich zu
Hause war, habe ich alles vergessen im Endeffekt, also ich kann trotzdem noch mit
Arbeitskollegen darüber reden was passiert war und alles, aber so einen Stress mache
ich mir nicht zu Hause. Aber der Heimweg ist echt schon ein Stück, also, wenn ich
nach Hause fahre, bin ich mit dem Kopf schon wieder ganz wo anders.
W: Ja, ja, wenn ich heim fahre bin ich auch mit dem Kopf ganz wo anders…
I: Gibt es vom Arbeitgeber irgendwie Möglichkeiten euch zu helfen?
W: Nein, nein,…
M: Also, ich habe bis jetzt noch nicht so viel gehabt. Also, ich bin bis jetzt noch nie
auf den Arbeitgeber zugegangen und habe gesagt, dass es mir irgendwie nach einem
Einsatz scheiße ging, oder sowas, deshalb kann ich auch das nicht ganz sagen. Aber
nach einer Kinderreanimation war es einfach so, dass uns die Kollegen der Leitstelle
einfach rausgenommen haben und uns einfach die Zeit gegeben haben.
I: Aber der Arbeitgeber dir nicht direkt?
W: Das war ja auch nicht der richtige Ansprechpartner.
M: Direkt nicht. Also sie haben…, der eine von denen die haben mich angesprochen,
ob alles ok wäre, oder ob ich vielleicht nach Hause gehen wollte. Aber das war es
dann auch. Direkte Hilfe angeboten…
[…]
M: Wenn es wirklich ein krasser, belastender Einsatz wäre, wo irgendwie
Familienangehörige, oder sowas behandeln hätte müssen… Ich denke mal, wenn
man darauf pochen würde, vielleicht…
W: Mir wurde am Anfang gesagt, […], dass wenn man privat oder geschäftlich
Probleme hätte man kommen könnte, aber, ich glaube, ich würde es nicht machen.
M: Ja, aber das sind ja die ganzen Kollegen…
W: …die haben genug um die Ohren…
I: Ok, die ganzen Kollegen. Habt ihr noch von Dritten, die gar nichts mit dem Job zu
tun haben, Hilfe?
W: Ich rede schon, wenn ich irgendwas ganz Krasses erlebt habe mit meiner Mutter.
[…] Aber irgendwas was mich beschäftigt hat, sage ich ihr dann schon. Oder mit
meinem Freund rede ich auch manchmal darüber.
[…]
I: Hättet ihr in diese Richtung einen Wunsch nach Unterstützung? Wolltet ihr
irgendwas verändern? Sollte da mehr angeboten werden?
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Anlage 2: Interviews
M: Also, ich denke schlecht wäre es schon nicht. Den Wunsch direkt verspüre ich
jetzt nicht. Weil, wie gesagt, es einen großen Rückhalt von Kollegen gibt. Jeder
Kollege der hier fährt hat vielleicht schon mal etwas ähnlichen erlebt. Mit denen
kann man auch über alles reden, die wissen Bescheid wie alles abläuft und
Außenstehenden muss man das immer wieder erklären, […].
W: Aber wenn wir einen Psychologen im Haus hätten, der auch weiß was wir jeden
Tag erleben und so, das wäre natürlich schon schön…
M: Das wäre natürlich eine tolle Angelegenheit…
W: Aber wie gesagt, wie oft sitzt man hier mittags beim Essen und erzählt über
welche Einsätze, die entweder total witzig waren, oder total krass waren, oder gerade
wenn man noch am Ende zusammen sitzt und erzählt was man total Krasses erlebt
hat…
M: Da kommen die Kollegen auch selbst schon auf einen zu und sagen: „Hey, wie
war denn das? Willst du darüber reden?“
W: Da entwickelt sich auch ganz automatisch ein Gespräch,[…]
I: Also, für euch ist es jetzt ok wie es ist?
W: Ich fände es nicht verkehrt, wenn es eine Möglichkeit gäbe.
M: Wie gesagt, für solche krassen Fälle, wenn irgendjemand gar nicht mit Kollegen
darüber reden kann, oder sich halt abkanzelt von denen, so…
W: Man versteht sich ja auch nicht immer mit den Kollegen mit denen man den
Einsatz hat.
[…]
I: Was ist Supervision?
M: Beobachtung. Also, wenn jemand sozusagen über unserer Arbeit steht und uns
beobachtet was wir machen. So etwas wie Qualitätsmanagement. Nur auf einer
anderen Ebene.
W: Ich kann mit dem Begriff nichts anfangen.
I: Was ist Kollegiale Beratung?
M: Ich denke mal, das ist was wir machen. Bzw. was die Kollegen untereinander
machen…
[…]
W: …Ich habe einen Kollegen angerufen, was ich machen soll….
I: Das war es. Danke schön für das Interview.
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Interview 5
Anlage 2: Interviews
Die folgende Transkription ist das Ergebnis eines Problemzentrierten Interviews.
Das Gespräch wurde mit Hilfe eines Aufzeichnungsgerätes geführt. Der Befragte
war mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Die Transkription wurde
anonymisiert. Demnach ist der Interviewer mit „I“ und der Befragte nach
Geschlecht mit „M“ bezeichnet. Sprachliche Dialekt-Variationen mit der damit
verbundenen Grammatik wurden weitestgehend geglättet. Doppelte Ausführungen,
oder nicht relevante Gesprächsteile sind durch Auslassungskennzeichen „[…]“
kenntlich gemacht. Der Gesprächspartner ist 23 Jahre alt und ledig. Er arbeitet seit
2008 im Rettungsdienst als Rettungssanitäter und besucht gerade an der
Berufsfachschule einen Aufbaulehrgang zum Rettungsassistenten.
I: Wie bist du zum Rettungsdienst gekommen?
M: Ich wollte das schon immer als kleines Kind machen. Aber als Kind dachte ich
dafür muss man studieren. Ähm, ich habe lange Zeit im Lager gearbeitet und
irgendwann dachte ich das ist jeden Tag das Gleiche und man bräuchte irgendwie
eine Veränderung. Dann habe ich überlegt was ist ein Job bei dem nicht jeden Tag
das Gleiche passiert. Dann habe ich ein bisschen im Internet gekuckt und dann hae
ich gesehen: Rettungssanitäter-Ausbildungen. Habe ich dann gemacht in Düsseldorf
als berufsbegleitender Lehrgang.
I: Zur normalen Tätigkeit die du gemacht hast?
M: Genau. Ich habe den RH dort gemacht und dann hier meinen RS fertig gemacht.
Und dann habe ich das FSJ da drüben beim ASB angefangen. Ja und so bin ich zum
Rettungsdienst gekommen.
I: Das heißt du hast dich selbst über den Beruf informiert und hast dann gesagt ok
das ist eigentlich eine gute Sache?
M: Ja.
[…]
I: Das heißt du hast ihn dann auch selbst finanziert?
M: Ja.
I: Was ist die Motivation im Rettungsdienst zu arbeiten? Die Kollegen, der
Arbeitgeber, die Tätigkeit an sich?
M: Die Tätigkeit. Also man trifft jeden Tag neue Leute und wenn man denen etwas
Gutes getan hat, oder etwas Gutes tun kann, dann ist das auch gut für mich.
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Anlage 2: Interviews
I: Kannst du mir ein Beispiel dafür machen?
M: Ja wenn jetzt jemand gestürzt ist und kann nicht mehr aufstehen; so ein
Krankentarnsport zum Beispiel. Denen kann man dann helfen, wenn sie sich nicht
mehr selbst helfen können. Dann kommen wir und helfen denen. Und das finde ich
klasse. In anderen Ländern gibt es so etwas gar nicht. Und so allgemein den Leuten
helfen.
I: Also diese Motivation resultiert aus deinem eigenen Wunsch anderen Leuten zu
helfen?
M: Ja.
I: Ok und die Faszination im Rettungsdienst? Ich meine du sagtest du hast die Leute
gesehen und dachtest das muss man studieren; da muss ja auch eine bestimmte
Faszination ausgegangen sein. Was war das?
M: Ja, früher war ich sehr fasziniert von den Blaulichtern. Heute, jetzt wo ich schon
ein bisschen länger als ein Jahr im Rettungsdienst fahre, da sind die Blaulichter nicht
mehr so faszinierend. Aber damals waren es eben die Blaulichter und die Leute mit
ihrer Dienstkleidung wo jeder guckt und ‚ah, die Retter‘. Heute ist es einfach nur der
Spaß an der Arbeit.
I: […] Man möchte sich auch präsentieren?
M: Ja, genau.
I: Gut, ähm, was sind denn für dich die Schattenseiten an dem Beruf oder dem
Tätigkeitsfeld?
M: Negative Seiten? Man kann natürlich nicht jeden retten; es gibt auch Tote. Also
man muss Tote zurück lassen. Äh, manche Leute wissen auch nicht wirklich was sie
vom Rettungsdienst haben, die sind eben undankbar. Die Schichtarbeit natürlich, also
unregelmäßig.
I: Das frustriert dann wenn die Leute undankbar sind? Oder Tote. Was löst das bei
dir aus?
M: Ich meine bei den Toten, der Rettungsdienst stößt auch mal an seine Grenzen und
jeder muss mal sterben. Aber bei undankbaren Leuten, da entsteht schon so ein
Wutgefühl im Bauch.
I: Du sagtest Schichtdienst. Was noch?
M: Das war es eigentlich. Sonst bin ich mit allem im Rettungsdienst zufrieden.
I: Du siehst keine weitere Problematik, die vom Beruf ausgeht?
M: Nein.
I: Du befindest dich ja gerade in der Ausbildung zum Rettungsassistenten. Was
glaubst du was später in dem Beruf mal Probleme machen könnte?
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Anlage 2: Interviews
M: Ja, ein kaputter Rücken natürlich. Das ist ja auch so eine Sache, man muss viel
heben und irgendwann werde ich das wohl auch merken, wenn ich älter werde.
I: Wenn es Stresssituationen gibt, […] hast du da für dich Strategien entwickelt,
diese Stresssituationen auszugleichen?
[…]
M: Während dem Dienst da bin ich ganz belastbar in Stresssituationen. Wenn ich
dann heim komme brauche ich einfach ein bisschen meine Ruhe, ein bisschen Musik
hören. Relaxen.
I: […] Gibt es vom Arbeitgeber Hilfen zur Stressbewältigung?
M: Nein, ich weiß es nicht, ich glaube es nicht das es so etwas gibt. Habe ich aber
auch noch nicht in Anspruch genommen.
I: Wie ist es mit Freunden und Familie? Redest du da bei Stress mit denen darüber?
M: Ja, ab und an. Mit denen kann man auch reden. Die wissen eben nicht immer
genau wie das im Rettungsdienst ist. Dann muss man es halt erklären. Wenn sie es
dann verstanden haben…
I: Hättest du Bedarf an Unterstützung in bestimmten Situationen? […] Hättest du
Bedarf an Veränderung? […]
M: Es wäre schön wenn es so etwas geben würde in jeder Wache. Wenn spezielle
Psychologen immer in der Wache verfügbar wären. Bei denen man dann in der Pause
oder nach Feierabend hingehen könnte und über den Tag reden, wenn etwas
Schlimmeres passiert ist.
I: Fändest du das nur für dich nicht schlecht, oder meinst du, dass das auch andere
gebrauchen könnten?
M: Das könnten auch andere gebrauchen.
I: Ok, was ist denn Supervision? Weißt du das?
M: Nein.
I: Und Kollegiale Beratung?
M: Ja, unter Kollegen sich eben beraten, denke ich.
I: Vielen Dank.
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Interview 6
Anlage 2: Interviews
Die folgende Transkription ist das Ergebnis eines Problemzentrierten Interviews.
Das Gespräch wurde mit Hilfe eines Aufzeichnungsgerätes geführt. Der Befragte
war mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Die Transkription wurde
anonymisiert. Demnach ist der Interviewer mit „I“ und der Befragte nach
Geschlecht mit „M“ bezeichnet. Sprachliche Dialekt-Variationen mit der damit
verbundenen Grammatik wurden weitestgehend geglättet. Doppelte Ausführungen,
oder nicht relevante Gesprächsteile sind durch Auslassungskennzeichen „[…]“
kenntlich gemacht. Der Gesprächspartner ist 22 Jahre alt und ledig. Er arbeitet seit
vier Jahren als Rettungssanitäter im Rettungsdienst. Momentan besucht er einen
Aufbaulehrgang zum Rettungsassistenten an einer Berufsfachschule.
I: Wie bist du zum Rettungsdienst gekommen?
M: Primär hat die Geschichte mit 12 Jahren angefangen, da bin ich in die Feuerwehr
reingegangen. Also schon grob in die Richtung, Jugendfeuerwehr. Irgendwann war
die damalige Verlobte meines Bruders im Rettungsdienst, die hat dann immer davon
erzählt. Das hat mich noch mehr fasziniert als Feuerwehr. Dann habe ich eine Lehre
als Zimmermann angefangen, die ich eigentlich nicht machen wollte. Nach einem
Jahr wurde die Lehre im beiderseitigen Einverständnis beendet und dann habe ich
FSJ im Rettungsdienst gemacht und bin daher hängen geblieben so seit vier Jahren.
I: Es ist also eher die klassische Schiene so vom Ehrenamt durch Interesse
hineingeschlittert?
M: Ja, Interesse war schon vorher da.
I: Du sagtest Faszination. Was ist denn diese Faszination?
M: Faszination?! Früher war es eine andere als heute. Die heutige Faszination ist
einfach nie zu wissen was morgen auf einen zukommt. […] Das Ungewisse, das mag
ich an meinem Job. […] So die ‚Nicht-Routine‘.
I: Ok und früher?
M: Früher war es die Action, das Einsatzgeschehen. So der Blaulicht-Job allgemein,
das ‚Heldentum‘. Heute ist es nicht zu wissen was kommt und auch den Menschen
helfen zu können.
I: Was ist aktuell die Motivation?
M: Ich habe meinen Traumjob gefunden. Ich hatte vorher effektiv keine Ahnung
vom Rettungsdienst. Ich wusste, dass es einen Krankenwagen gibt und einen Notarzt
und das war es und das die mit zwei Autos kommen und mit Hubschrauber; der
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Anlage 2: Interviews
kommt wenn es ganz schlimm ist. Und ich habe den Job über die Jahre kennen
gelernt und habe sehr viel gesehen. Viele schöne Sachen, aber auch ganz schlimme
Sachen und habe dadurch den Job lieben gelernt. Es ist einfach mein Traumjob,
deshalb möchte ich es weitermachen.
[…]
I: Du sagtest viele schlimme Einsätze. Gibt es auch Schattenseiten von dem Beruf?
M: Ich habe schon viele schwere Verkehrsunfälle erlebt. Wo auch viele in meinem
Alter verletzt waren. Zum Beispiel ein VW Punto morgens mit fünf Jugendlichen in
einen 40-Tonner reingedonnert, hat dann zu Brennen angefangen. Ein 40-Tonner
ungebremst in ein Stauende reingedonnert, das erste was man am Einsatzort gesehen
hat waren zwei offene Schädelhirntraumen dritten Grades die tot waren. Viele
zerlegte Leichen, usw. beim Verkehrsunfall. Bei meiner letzten Schicht habe ich
noch einer Mutter erklärt, dass ihr Kind tot ist auf dem KTW. Ich habe sechs oder
sieben Reanimationen gehabt, darunter auch welche von jüngeren Personen so um
die 30. Oder auch die legendäre Reanimation am Frühstückstisch vom 40-jährigen
Vater mit zwei Kindern hatte ich schon. Ich habe auch schon ein paarmal Angst um
mein Leben haben müssen, weil jemand mit einer Rasierklinge mir hinterher gerannt
ist. Und solche Scherze eben. Das sind so Kleinigkeiten auf die man verzichten
könnte.
I: Wie geht man damit um?
M: Es ist schon ein Stress. Es nimmt mich schon manchmal ein paar Tage lang mit.
Manchmal nur Stunden. Am Anfang hat es mich mehr mitgenommen, am Ende
weniger. […]
I: Welche Strategien zur Bewältigung solcher Stresssituationen hast du?
M: Primär spreche ich viel mit meinen Kollegen darüber. Und eben auch mit
gewissen Freunden, die ein bisschen Ahnung von der Materie haben. Deshalb kann
man das nicht mit jedem machen. Weil wenn ich einem Kumpel erzähle ich habe das
und das gesehen, die interessiert das einfach nicht, dann können die es sich nicht
emotional vorstellen. Aber es gibt ein paar Freunde mit denen setzt man sich
zusammen und spricht darüber. Und eigentlich gibt es sich ganz schnell wieder bei
mir. Am Anfang hat es ein paar Tage bis Wochen gedauert, aber mittlerweile kann
ich es innerhalb von zwei, drei Stunden abarbeiten, dann ist es so gut wie für mich
erledigt. Ich denke dann auch im Nachhinein noch ein kleines bisschen darüber nach,
aber so nach spätestens eineinhalb Tagen […] ist das für mich abgehakt.
I: Gibt es Hilfe von deinem Arbeitgeber in solchen Situationen?
M: Man kann bei uns auf der Rettungsleitstelle anrufen und sich die Nummer von
einem Psychologen geben lassen.
I: Wird das offen propagiert?
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Anlage 2: Interviews
M: Es gab eine Ausschreibung, ja, es hing mal am schwarzen Brett, das es so etwas
gibt. Es war auch mal in einer Fachzeitschrift für uns drin.
I: Ähm, der Arbeitgeber an sich bietet aber nichts an?
M: Der ASB selber nicht, das wurde vom Roten Kreuz gemacht. Die stehen auch für
uns zur Verfügung. […]
I: Hättest du in bestimmten Situationen Bedarf, oder würdest du gerne die aktuelle
Praxis dahin gehend verändern, dass es Unterstützung gibt?
M: Ich habe schon in der Hinsicht sehr viel Gesehen und bin eigentlich mit allem
sehr gut klar gekommen. In den meisten Fällen, das eine mehr das andere weniger.
[…] Das freiwillige Angebot, das einem zur Verfügung steht ist meines Erachtens
nicht effektiv. Die meisten die akut ein Problem haben gehen nicht auf die Leute zu,
sondern hier sollte es ein passives Programm geben. […] Wenn man weiß, der
Kollege würde das mit sich machen lassen. Ich kenne auch einige Kollegen, die
würden sagen: „Du Psychotante, mach‘ mal einen Abgang hier. Ich möchte nichts
mit dir zu tun haben.“ Aber ich kann mir auch einige vorstellen, die gut darauf
eingehen; die von sich aus kommen würden. […]
I: Ähm, du hättest also gerne eine nicht professionelle Ebene, die trotzdem weiß, wie
man solche Gespräche führt? Also die Wachenleitung oder die Kollegen, die sich
schulen lassen und dann so etwas machen?
M: Ja, das fände ich besser, weil gerade diese hoch Spezialisierten hatten wir schon
öfter im FSJ-Seminar. Da war dann so eine Diplom-Psychologie-Studentin, die
wollte uns etwas darüber erzählen wie man das so macht, aber hat in ihrem eigenen
Leben noch nie einen toten Menschen gesehen. Wie will mir so jemand in solchen
Situationen helfen? Der von der Materie keine Ahnung hat. Der noch nie etwas mit
Rettungsdienst zu tun hatte. Wie will er mich da ‚behandeln‘? Der weiß nicht was ich
erlebt habe. Der weiß nicht was ich jeden Tag mitmache. […] Der erzählt mir dann
irgendwas von „ja es ist nicht so schlimm, du konntest nichts dafür“ und so und so.
Aber das sind so Sachen da denke ich mir ‚hm, das kann mir mein bester Kumpel der
keine Ahnung hat auch erzählen‘. Das sind eben so die Erfahrungen die ich mit
denen gemacht habe.
I: Ok, was ist Supervision?
M: Supervision?! Eine gute Vision, oder wie darf man das verstehen?
I: OK, und Kollegiale Beratung?
M: Kollegial. Eine Beratung ist effektiv jemand zu beraten. Und kollegial? Neutral in
einer gewissen Hinsicht. Kann ich jetzt nicht genau definieren, aber ich kann mit
dem Wort Kollegial sehr wohl etwas anfangen.
I: Bist du einer Konfession angehörig?
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Anlage 2: Interviews
M: Ich bin offiziell evangelisch, aber ich lebe das nicht aus. Ich bin nicht gläubig. Ich
war mal gläubig, aber ich konnte den Glauben mit dem Job nicht vereinbaren.
I: Hat deine Tätigkeit im Rettungsdienst deinen Glauben verändert?
M: In gewisser Weise ja. Als ich anfing habe ich wirklich an Gott geglaubt und habe
aber durch den Rettungsdienst das was da erzählt wurde von schöner heiler Welt und
Gott liebt alles und Gottes Gnade, mit dem Job nicht vereinbaren können. […]
I: Was sagen deine Freunde, Bekannte, Familie? Hast du dich verändert in den vier
Jahren Rettungsdienst?
M:Ja, sehr stark. Das sagen sehr viele zu mir. Als ich anfing war ich echt ein kleiner,
zurückhaltender, schüchterner Junge. […] Mit dem Job bin ich so langsam in mir
aufgegangen, aufgeblüht. Und mittlerweile ziehe ich da Dinger durch, bei denen ich
selbst denke ‚wow‘. Also sehr zum Positiven.
[…]
I: Vielen Dank.
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Interview 7
Anlage 2: Interviews
Die folgende Transkription ist das Ergebnis eines Problemzentrierten Interviews.
Das Gespräch wurde mit Hilfe eines Aufzeichnungsgerätes geführt. Der Befragte
war mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Die Transkription wurde
anonymisiert. Demnach ist der Interviewer mit „I“ und die Befragte nach Geschlecht
mit „W“ bezeichnet. Sprachliche Dialekt-Variationen mit der damit verbundenen
Grammatik wurden weitestgehend geglättet. Doppelte Ausführungen, oder nicht
relevante Gesprächsteile sind durch Auslassungskennzeichen „[…]“ kenntlich
gemacht. Die Gesprächspartnerin ist 24 Jahre alt und ledig. Im Rettungsdienst ist sie
seit 2008 als Rettungssanitäterin tätig. Sie studierte vier Semester Psychologie und
Soziologie. Momentan besucht sie einen Aufbaukurs vom Rettungssanitäter zum
Rettungsassistenten an einer Berufsfachschule.
I: Wie kamst du zum Rettungsdienst?
W: Ich habe ein FSJ gemacht. Ich habe vorher in Mannheim studiert, […] habe das
abgebrochen und möchte eigentlich Medizin machen.
[…]
I: Was motiviert dich zur Arbeit im Rettungsdienst?
W: Pff, gute Frage. Ich weiß es nicht, also es macht, also kein Fall ist so wie der
vorherige. Und, ähm, es ist eben spannend heraus zu finden was los ist, was nicht
und was man einfach machen. […] Einfach auch mal selber was zu machen.
I: Kannst du das genauer beschreiben?
W: Am Patienten was zu machen, also gerade Anamneseerhebung, oder auch mal
kleine Sachen wie Zugang legen, oder solche Sachen. Und einfach ein bisschen in
Austausch zu kommen, sich mit den Krankheiten zu befassen und zu sehen welche
verschiedenen Auswirkungen das so hat.
I: Und welche Faszination geht vom Rettungsdienst aus?
W: Einfach nicht zu wissen was kommt, zu improvisieren. Ja.
[…]
I: Bei viel Motivation und Faszination gibt es doch bestimmt auch Schattenseiten am
Rettungsdienst. Was würdest du sagen?
W: Hm, Schattenseiten sind, das es manchmal schon stressig ist. Vor allem wenn viel
los ist und dann vom einen zum anderen geschickt wird und zwischendurch nicht mal
kurz runterkommen kann.
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I: Und was da genau das Problem?
Anlage 2: Interviews
W: Also z.B. wenn man gerade von einem Einsatz kommt und dann beim Reingehen
mit dem Patienten schon wieder zum nächsten Notfall gepiepst wird. Wenn man
dann so hektisch alles machen muss.
[…]
W: Und, ansonsten manchmal die Arbeitszeiten in der Nacht, oder so. Aber das
gehört dazu. Und teilweise auch, dass man eben mit manchen Leuten zu tun hat […]
wo man sich dann manchmal ein bisschen verarscht vorkommt.
I: Oh ok. Mach‘ mal ein Beispiel.
W: Wenn man nachts um drei zu jemandem gerufen wird der jetzt irgendwie seit
zehn Wochen Schmerzen in den Beinen hat, oder im Fuß, oder so. Und es ihm nachts
um drei einfällt ‚oh jetzt könnt ich doch mal‘, obwohl es sich eigentlich nicht
verändert hat, sondern seit drei Wochen konstant ist, oder so etwas.
I: Jetzt würde ich provokativ sagen, das ist dein Job, Leute von A nach B fahren.
W: Klar, das schon. Aber man muss ja immer abwägen, […] aber es gibt vielleicht
auch andere die es nötiger brauchen.
I: Eine Schattenseite wäre dann der Umgang mit Lappalien, wobei es schlimmere
Notfälle gäbe?
W: Ja.
I: Hat das mit Frustration zu tun?
W: Das weiß ich jetzt nicht. Das würde ich nicht so sagen.
I: Wie ist es mit Kinderreanimationen, Polytraumen oder einem Zugunglück? Wie
gehst du damit um?
W: Kinderrea hatte ich bis jetzt zum Glück noch nie. Ähm, aber solche schwereren
Sachen, also in dem Moment denkt man eigentlich gar nicht darüber nach. Sondern
macht einfach und danach redet man darüber mit dem Kollegen, oder dann mal auch
privat zu Hause, aber ich denke man muss es auch bei der Arbeit lassen.
I: Mh, ok. Das heißt du hast für dich Strategien entwickelt um solche Stressmomente
[…] zu bewältigen? Das ist also das Gespräch mit dem Kollegen und das Gespräch
zu Hause?
W: Ja.
I: Gibt dir der Arbeitgeber noch etwas mit an die Hand, wenn du Stress hast, oder
eine Situation aufarbeiten musst?
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Anlage 2: Interviews
W: Ich denke ich könnte schon. Also bei uns ist es relativ freundschaftlich familiär
das Verhältnis auf der Wache. Ich denke da könnte ich auf alle Fälle zu den Leuten
hin gehen.
I: Aber offen propagiert wird nichts?
W: Ich glaube nicht. Nein.
I: […] Hättest du vielleicht in bestimmten Situationen noch Bedarf an
Unterstützung? Oder aber möchtest du gerne Veränderungen sehen vom Arbeitgeber,
dass er noch irgendetwas installieren sollte bei stressigen Ereignissen?
W: Ja ich denke gerade das Anbieten. Das man sagt wenn etwas war man soll eben
kommen.
I: Was ist Supervision?
W: Überwachung.
I: Was ist Kollegiale Beratung?
W: Kollegiale Beratung eben. Wenn mir der Kollege einen Rat gibt.
I: Hat sich dein Verhältnis zu deinem Glauben während der Tätigkeit im
Rettungsdienst verändert?
W: Hm, ich glaube eigentlich nicht, nein. Wenn dann eher zu dem hin, dass man froh
sein muss wenn es einem gut geht.
[…]
I: Vielen Dank für deine Zeit.
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Die folgende Transkription ist das Ergebnis eines Problemzentrierten Interviews.
Das Gespräch wurde mit Hilfe eines Aufzeichnungsgerätes geführt. Der Befragte
war mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Die Transkription wurde
anonymisiert. Demnach ist der Interviewer mit „I“ und der Befragte nach
Geschlecht mit „M“ bezeichnet. Sprachliche Dialekt-Variationen mit der damit
verbundenen Grammatik wurden weitestgehend geglättet. Doppelte Ausführungen,
oder nicht relevante Gesprächsteile sind durch Auslassungskennzeichen „[…]“
kenntlich gemacht. Der Gesprächspartner arbeitet seit 1989 als übergeleiteter
Rettungsassistent hauptamtlich im Rettungsdienst.
I: Wie bist du zum Rettungsdienst gekommen?
M: Zivildienst. Ich habe meinen Zivildienst im Rettungsdienst gemacht, damals. Das
waren noch zwei Jahre.
I: Wusstest du, dass du zum Rettungsdienst gehst, oder bist du zufällig da gelandet?
M: Zufällig nicht. Also dann schon gezielt darauf beworben. Als Jugendlicher habe
ich mal so eine Jugendrotkreuzfahrt mitgemacht […].
I: Was motiviert dich zur Arbeit im Rettungsdienst?
M: Hauptsächlich die Tätigkeit selbst, weil man selbstständig arbeiten kann.
I: Was ist es genau an dieser Tätigkeit?
M: Man muss sich praktisch ständig neu einstellen, wie man den Leuten hilft, man
sieht auch ständig neue Leute. Man sieht auch den Unterschied zwischen Schule und
dem wirklichen Leben. Der Zivildienst hat sicherlich mein Bild der Tätigkeit sehr
stark geprägt. Man hat damals sehr viel am Patienten machen dürfen als
Zivildienstleistender, das wurde damals auch gefordert und irgendwie ist es dabei
geblieben.
I: War das dann auch die Faszination an der Tätigkeit?
M: Als Jugendrotkreuzler habe ich das nicht so gesehen, das kam später. Die
Faszination Rettungsdienst kam mit der Aufnahme der Tätigkeit.
I: Tatsächlich? Und was waren da so die ausschlaggebenden Punkte?
M: Ich habe sehr früh sehr aufregende Einsätze gehabt. Damals war es ein ganz tolles
Team gewesen; von den Kollegen her, von der Einarbeitung, was man machen
konnte und durfte. Es waren damals auch so nicht gekannte Freiheiten. Und das im
Berufsleben.
I: Welche Schattenseiten im Rettungsdienst kennst du?
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Anlage 2: Interviews
M: Je länger man dabei ist, desto mehr Schattenseiten lernt man kennen. Äh,
Schattenseiten… es ist die Tätigkeit, also das Aufgabenspektrum welches man
wirklich macht. Die sind vor allem bei Entscheidungsträgern, die rund herum
existieren wenig bekannt, wie Rettungsdienst tatsächlich aussieht und wirklich
funktioniert.
I: Wer sind solche Entscheidungsträger?
M: Politiker, also auf kommunaler Ebene, auf Bundesebene, die guten Ärztlichen
Leiter Rettungsdienst. Oder auch Leitende Notärzte, das ist auch personenabhängig.
Die auch wenig Einblicke haben, wie der Dienst funktioniert. Und hier unten im
Süden auch die Führungsebene immer weiter weg ist vom Arbeitsgeschehen.
I: Gibt es auch belastende Einsätze? Sind die auch ein Problem?
M: Es gibt belastende Einsätze, wobei ich jetzt nicht sagen kann es ist grundsätzlich
diese Art des Einsatzes die mich belastet, das ist sehr unterschiedlich, kommt auf die
Personen an die da mit involviert sind. Das kann also belastend sein, weil es mit dem
Kollegen gar nicht geklappt hat, oder weil es den extrem belastet hat und es einen
selbst mitnimmt, oder dass man trotz der kurzen Zeit eher eine Bindung zum
Patienten aufgebaut hat und man den gut verstehen konnte. Persönlich habe ich jetzt
nicht das Problem mit den häufig geäußerten Kindernotfällen.
I: Wenn du jetzt einen belastenden Einsatz hast, oder es geht dir richtig was auf den
Sack, wie kompensierst du das dann?
M: Ich habe den Vorteil, dass meine Frau in einem ähnlichen Tätigkeitsfeld arbeitet,
dass wir uns gut über diese Dinge austauschen können und da so Frust gegenseitig
abladen können. Das funktioniert sehr gut.
I: Gibt es Hilfe vom Arbeitgeber in die Richtung?
M: Hm, aktuell nicht das ich wüsste.
I: Dritte, Freunde, Kollegen; beziehst du die noch mit ein?
M: Also, man spricht sicherlich mit Kollegen darüber, ob es jetzt die von der Wache
sind, oder andere. Das macht man schon. Aber, so mit Freunden spricht man schon
drüber, aber selten, um die Belastung abzuladen.
I: Ok. Hättest du Bedarf an der Unterstützung deines Arbeitgebers? Oder das der
Arbeitgeber irgendetwas verändert in die Richtung? Oder etwas installiert an
Unterstützung?
M: Bislang nicht, aber ich finde es trotzdem sinnvoll, wenn man so etwas hätte, so
als geregelte Struktur. So wie es mal ein Polizist vorgestellt hat wie es bei der
Polizeidirektion Karlsruhe läuft.
I: Ok, wie machen es die?
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Anlage 2: Interviews
M: Da gibt es quasi mehrere Ansprechpartner, die jederzeit von den Kollegen
angesprochen werden können und die sich dann mit denen austauschen können. Die
haben auch einen Gesprächsleitfaden. Die auch von sich aus auf Kollegen zugehen
nach bestimmten Ereignissen, z.B. nach Schusswaffengebrauch. Die können dann
auch jederzeit auf diese Mentoren, so nenne ich sie mal, zugehen. So etwas in der Art
wäre sicherlich bei uns nicht verkehrt. Wobei der Mentor in meiner Sicht nie auf der
Wache sein sollte.
I: Ok, was ist Supervision?
M: Das ist unterschiedlich. Bei uns ist Supervision so, dass Einsätze entweder
nachbetrachtet werden in der Gruppe. Ein Einsatz mit mehreren Fahrzeugen, dass die
nachbesprechen wie es war. Es ist aber auch denkbar, dass sich jemand während des
Einsatzes einschaltet und sagt, was zu beachten ist.
I: Und was ist Kollegiale Beratung?
M: Kollegiale Beratung während des Einsatzes findet eigentlich ständig statt,
unabhängig von der Funktion, also auch mal wenn der RS den RA berät, das ist
meine persönliche Auffassung […]. Man sollte immer offen sein für die Meinung
oder die Ratschläge des anderen.
I: Vielen Dank.
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Interview 9
Die folgende Transkription ist das Ergebnis eines Problemzentrierten Interviews.
Das Gespräch wurde mit Hilfe eines Aufzeichnungsgerätes geführt. Der Befragte
war mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Die Transkription wurde
anonymisiert. Demnach ist der Interviewer mit „I“ und der Befragte nach
Geschlecht mit „M“ bezeichnet. Sprachliche Dialekt-Variationen mit der damit
verbundenen Grammatik wurden weitestgehend geglättet. Doppelte Ausführungen,
oder nicht relevante Gesprächsteile sind durch Auslassungskennzeichen „[…]“
kenntlich gemacht. Der Gesprächspartner ist seit 1993 ist er hauptamtlich im
Rettungsdienst als Rettungsassistent tätig.
I: Wie bist du zum Rettungsdienst gekommen?
M: Wie kommt man zum Rettungsdienst? Ganz einfach! Wie kommt man zum
Jugendrotkreuz?
I: Ok, d.h. vom Jugendrotkreuz zum Rettungsdienst…
M: Ganz normale Karriere: Vom Jugendrotkreuz zum Sanitäter im Roten Kreuz,
dann über einen Bekannten als Dritter mitgefahren. Junger Kerl, engagiert, motiviert.
Ja und dann das Interesse geweckt worden durch die alten die dabei waren. So kam
ich zum Rettungsdienst. Die ehrenamtliche Freizeit-Hobbyretter-Schiene.
I: Und was motiviert dich zu der Arbeit im Rettungsdienst?
M: Es ist jeden Tag eine andere Tätigkeit. Man kann, ja, Menschen helfen.
Menschen, die in Not geraten sind helfen. Menschen, die alt und gebrechlich sind
und nicht vorwärts kommen helfen, z.B. wenn jetzt jemand im Rollstuhl sitzt, den
zum Arzt karren. Und mein tägliches Brot verdiene ich damit, ganz einfach.
I: Monetäre Gründe also und die Tätigkeit an sich?
M: Das Helfen an sich und die ständige Herausforderung Neues zu lernen. Die
Medizin ist im ständigen Wandel. Wenn man überlegt, was der kleine Sanitäter 1989
machen durfte am Patienten, was man heute im Jahr 2010 machen darf am Patienten,
der Rettungsassistent. Das Berufsbild entwickelt sich immer mehr und man muss
sich ja fortbilden um mehr zu tun und dem Patienten medizinisch mehr helfen zu
können und zu dürfen. Wobei uns die Rechtsgrundlagen ein wenig fehlen noch.
I: Und was war für dich früher die Faszination am Rettungsdienst als kleiner
Sanitäter?
M: Kleines bisschen Abenteuer! Du bist mit deinen Kollegen, Artgenossen, Kumpels
zusammen auf dem Dienst. Machst dir zusammen Frühstück und dann geht der
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Piepser runter und dann fährst du zum Einsatz. Und jeder Einsatz ist anders, ob es ein
Krankentransport ist oder ein Notfalltransport, ob es jetzt ein Verkehrsunfall ist, das
ist ja ein Notfalleinsatz. Oder, ob es etwas Internistisches ist, oder ein Herzinfarkt, es
ist immer etwas anderes, immer ein neues Erlebnis. Das ist wie der Bergsteiger, der
sich immer eine neue Wand sucht zum Beklettern. Und er findet immer eine neue
Wand. Es ist nie die gleiche Wand die er beklettert. Es ist immer Abenteuer dabei.
I: Was sind denn die Schattenseiten des Berufs?
M: Die Schattenseiten; ein Apoplex, verkotzt, verschissen, riecht schlecht, sieht
schlecht aus. Ein Mensch, der im Sterben liegt, der vor einem stirbt. Ja, die seelische
Belastung, ja das sind so die Schattenseiten im Beruf. Man kommt nicht immer
pünktlich nach Hause, bei der Routine ist das auch eine Schattenseite.
[…]
I: Wie machst du das, dass du diese Schattenseiten nicht an dich ran lässt?
M: Wie ich den Stress außen vor bekomme? In dem Moment wenn ich die Uniform
ausziehe ist für mich ein anderes Leben da. Da bin ich privat, da ist das vergessen.
Da ist Beruf Beruf und Rettungsdienst und ich bin ich.
I: Gibt es noch andere Hilfsmittel? Also Dritte, Familie, Freunde, Bekannte?
M: Gut, mit Kollegen redet man viel und diskutiert man viel, streitet viel. Ja, die
täglichen Gespräche so im Dienst miteinander. Schon, ja. Gut, diverse Sachen
werden auch daheim erzählt, aber eher weniger.
I: Warum nicht zu Hause?
M: Weil ich da privat bin!
I: Ok, willst du das zu Hause nicht erzählen weil es Arbeit ist, oder willst du andere
nicht damit behelligen? Oder sagst du sie verstehen es nicht?
M: Mich und meine Familie nicht belasten damit.
I: Gibt es Hilfe vom Arbeitgeber wenn etwas Belastendes aufgetreten ist?
M: Es gab einmal Hilfe, ja. Da war mal eine psychotherapeutische Praxis in
Karlsruhe, die man aufsuchen konnte bis sie zu viel Geld gekostet hatte, oder bis die
den Kollegen die Wahrheit ins Gesicht gesagt hat. Es gibt bei uns Menschen im
Betrieb, die sich als KIT fühlen mit denen man reden kann, wo ich aber nie reden
würde.
I: Und was heißt das KIT?
M: Das Kriseninterventionsteam. Wo man so Gespräche miteinander führen kann
über den Einsatz. Wenn man schwierige Einsätze hatte, kann man mit denen darüber
reden und sich psychische Stabilisierung, oder Beistand holen.
I: Wird das öffentlich beworben vom Arbeitgeber?
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M: Nein! Gut für unsere Kunden draußen, für unsere Opfer, Kranke, Verletzte gibt es
Angebote, ja.
I: Also KIT wurde eigentlich für die initialisiert?
M: Richtig, genau. Sie sprechen aber auch mit unseren Einsatzkräften.
I: Sie sind aber nicht für euch gedacht?
M: Ich weiß jetzt nicht für was die sich gegründet haben. Für die Opfer oder für uns.
Das kann ich dir jetzt nicht sagen. Aber man kann sie holen wenn man sie braucht,
für sich selbst, für die Einsatzkräfte. Vom Arbeitgeber selbst, vom DRK gibt es keine
Unterstützung.
I: Hättest du Bedarf an Unterstützung, oder meinst du der Arbeitgeber müsste etwas
verändern, etwas installieren, oder ist es ok?
M: Ich denke für einige Kollegen wäre schon Bedarf da, ja. Aber ich selbst fühle
mich nicht so, dass ich das jetzt so bräuchte oder wollte.
I: Was könntest du dir vorstellen? Was sollte gemacht werden?
M: Ich kann mir jetzt eigentlich nichts darunter vorstellen, was der Arbeitgeber
machen sollte. Teams bilden, die dann psychotherapeutische Fachkräfte unter
Bezahlung nehmen und mit einem reden, oder so. Aber keine die man kennt privat.
So dass man z.B. von irgendeiner Bereitschaft jemanden nimmt, […], das eher nicht,
weil ich denke mit jemandem Fremden redet man besser, als mit jemandem den man
gut kennt und mit dem man schon zusammen gearbeitet hat. Weil ja auch immer
Gefühle zum Ausdruck kommen, dann fühlt man sich, ja, schwach, oder auch
verletzlicher. Das ist mir lieber bei einem Fremden wie bei einem den man kennt.
I: Was ist Supervision?
M: Supervision, ja, das ist so etwas, wo man über solche Dinge redet in Gruppenoder
in Einzelgesprächen. Da werden solche Gefühlsausbrüche von Kollegen
rausgekitzelt und werden auf den Tisch gelegt. Also, wenn du mich fragst, ich habe
für so einen psychologischen Scheißdreck überhaupt keinen Sinn. Für mich ist
Supervision wenn meine Bekannte stirbt, oder sie ist gestorben, dann gehe ich auf
den Friedhof und weine mich dort aus, trauere. Trauere um meine Freunde die
gestorben sind und trauere daheim und dann ist das für mich erledigt. Trauere in mir
drin. Ich brauche keine Supervision. Und ja, es gibt Kollegen die bräuchten sie. Die
gibt es.
I: Was ist Kollegiale Beratung?
M: Kollegiale Beratung, das denke ist, wenn man mit Kollegen redet über diverse
Sachen: Einsatznachgespräche, oder was hätte man besser machen können, was hat
der schlecht gemacht, was hat der gut gemacht. Was machen wir das nächste Mal
genauso. Das sind kollegiale Gespräche, die hat man täglich in diesem Job.
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Diejenigen, die nicht kollegial miteinander reden, sollten auch nicht miteinander
fahren.
I: Vielen Dank.
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