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Potenzial und Risiken in der Onkologie: Eine objektive ... - Vet Journal

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Abb. 1<br />

16 | Coverstory | Kle<strong>in</strong>tierpraxis<br />

© Oncept (<strong>Vet</strong>jet)<br />

<strong>Potenzial</strong> <strong>und</strong> <strong>Risiken</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Onkologie</strong>:<br />

E<strong>in</strong>e <strong>objektive</strong> Gegenüberstellung<br />

Über die Tumorprävention, neue Wege <strong>der</strong> Medikamentenentwicklung, Konzepte <strong>der</strong> vergleichenden<br />

<strong>Onkologie</strong> <strong>und</strong> warum im Zeitpunkt <strong>der</strong> Diagnosestellung das größte <strong>Potenzial</strong> liegt.<br />

VON DR. MED. VET. MiChaEl WillMaNN<br />

E<strong>in</strong>leitung Es ist e<strong>in</strong>e bekannte Tatsache, dass die Zahl <strong>der</strong> Krebserkrankungen<br />

bei Haustieren rasant zunimmt. Aktuell müssen wir<br />

<strong>in</strong> Österreich mit 10.000 Neuerkrankungen/Jahr rechnen.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> fortschrittlichen veter<strong>in</strong>ärmediz<strong>in</strong>ischen Versorgung<br />

unserer Haustiere <strong>und</strong> <strong>der</strong> damit verb<strong>und</strong>enen höheren<br />

Lebenserwartung muss davon ausgegangen werden, dass Tumor-<br />

vet journal 02/12<br />

erkrankungen bei H<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Katzen bereits <strong>in</strong> den nächsten<br />

5 Jahren zu den häufigsten Fragestellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> tierärztlichen<br />

Praxis gehören.<br />

Beitragende Faktoren s<strong>in</strong>d auch <strong>der</strong> dem Menschen zusehends<br />

angepasste „Lifestyle“ (Bewegungsmangel, Adipositas, etc.) <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er ähnlichen Umgebung (Umwelt). Diesem Trend sollte <strong>in</strong>


© Michael Willmann, Miriam Kleiter/vetmeduni vienna<br />

Abb. 2 Abb. 3<br />

je<strong>der</strong> tierärztlichen Praxis mit <strong>der</strong> Fokussierung auf „Tumorprävention“<br />

<strong>und</strong> „Früherkennung“ begegnet werden. Der enorme<br />

Wissenszuwachs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zellbiologie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Tumorgenese <strong>in</strong><br />

den letzten 30 Jahren führte zu e<strong>in</strong>em rasanten Fortschritt <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Tumordiagnostik <strong>und</strong> -therapie – vor allem im Bereich <strong>der</strong> Humanonkologie.<br />

Zahlreiche dieser neuen <strong>Potenzial</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> onkologischen<br />

Diagnostik <strong>und</strong> Behandlung konnten <strong>in</strong> die <strong>Vet</strong>er<strong>in</strong>ärmediz<strong>in</strong><br />

übernommen, viele im Laufe <strong>der</strong> letzten 5 Jahre, sogar<br />

geme<strong>in</strong>sam entwickelt werden – alles mit dem Ziel, tierischen<br />

Tumorpatienten e<strong>in</strong>e angemessene Behandlung zukommen<br />

lassen zu können. Geplante chirurgische E<strong>in</strong>griffe <strong>und</strong> Bestrahlungstherapie<br />

sowie <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz von Chemotherapeutika <strong>und</strong><br />

die Entwicklung neuer Medikamente machen es heute möglich,<br />

viele an Krebs erkrankte H<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Katzen zu heilen o<strong>der</strong> ihr<br />

Leben bei hoher Lebensqualität zu verlängern.<br />

Umso obsoleter ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Zeit die Empfehlung des<br />

Abwartens bei e<strong>in</strong>er vermuteten Krebserkrankung. War dies vor<br />

10 Jahren <strong>in</strong> <strong>der</strong> tierärztlichen Praxis noch üblich, entspricht<br />

diese Vorgehensweise längst nicht mehr dem wissenschaftlichen<br />

Stand <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erwartungshaltung unserer Gesellschaft.<br />

Haustiere, vorwiegend H<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Katzen, haben <strong>in</strong> vielen<br />

Fällen den Stellenwert von Familienmitglie<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>genommen.<br />

Nicht zuletzt deshalb bedarf die angemessene tierärztliche Versorgung<br />

e<strong>in</strong>es an Krebs erkrankten Tieres ähnlich komplexer<br />

diagnostischer wie auch therapeutischer Verfahren wie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Humanmediz<strong>in</strong>. Hervorzuheben ist, dass die Aufrechterhaltung<br />

e<strong>in</strong>er hohen, nahezu une<strong>in</strong>geschränkten Lebensqualität e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

wichtigsten Voraussetzungen bleibt.<br />

Bedarf vs. Kritik Der Bedarf an veter<strong>in</strong>äronkologischer Betreuung<br />

ist <strong>in</strong> den letzten Jahren ungeme<strong>in</strong> gestiegen, gleichzeitig<br />

melden sich aber KritikerInnen zu Wort, die mögliche <strong>Risiken</strong> im<br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Anwendung bestimmter Arzneimittel<br />

Coverstory | Kle<strong>in</strong>tierpraxis | 17<br />

Abb. 1 (li.): impfen gegen Krebs; die therapeutische Tumorvakz<strong>in</strong>e (Oncept ® ) zur Behandlung des hochmalignen oralen Melanoms wird mit e<strong>in</strong>em<br />

trans<strong>der</strong>malen <strong>in</strong>jektor (Gene Gun) appliziert; Abb. 2+3: Computergestützte Strahlentherapieplanung.<br />

„Es ist unsere Aufgabe, die Gesellschaft davon<br />

zu überzeugen, dass Früherkennung <strong>der</strong><br />

sicherste Weg zur Heilung ist.“<br />

wie Zytostatika diskutieren. Können TierärztInnen diese <strong>Risiken</strong><br />

geme<strong>in</strong>sam mit den TierbesitzerInnen korrekt e<strong>in</strong>schätzen <strong>und</strong><br />

auch kontrollieren? Diese Fragen <strong>und</strong> auch das <strong>Potenzial</strong> <strong>der</strong> Entwicklung<br />

neuer Arzneimittel mit zielgerichteter Wirkung (Targeted<br />

Drugs) <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>geren <strong>Risiken</strong> sowie die Entwicklung <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären vergleichenden Forschung zwischen Human-<br />

<strong>und</strong> <strong>Vet</strong>er<strong>in</strong>ärmediz<strong>in</strong> werden immer häufiger thematisiert.<br />

Die <strong>Potenzial</strong>e, 1. Tumorprävention An erster Stelle je<strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>nen Mediz<strong>in</strong> steht immer die Präventivmediz<strong>in</strong>; ganz beson<strong>der</strong>s<br />

gilt das natürlich auch für die <strong>Onkologie</strong>. Seit Jahren<br />

s<strong>in</strong>d zahlreiche natürliche Agenzien wie Aflatox<strong>in</strong>e, UV-Strahlen<br />

<strong>und</strong> Viren, wie HPV (BPV, CPV, FPV), FeLV, FeSV, Herpesvirus,<br />

usw. sowie synthetische Stoffe wie Benzol, Asbest, Formal-<br />

dehyd, Thalidomid (Contergan), usw. mit karz<strong>in</strong>ogener Wirkung<br />

bekannt. Obwohl versucht wird, diese Substanzen bestmöglich<br />

aus <strong>der</strong> Nahrungskette sowie dem unmittelbaren Umfeld von<br />

Mensch <strong>und</strong> Tier zu entfernen, bestehen zahlreiche weitere nicht<br />

identifizierte <strong>Risiken</strong>, die den Menschen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Haustiere belasten.<br />

Hier hat die <strong>Onkologie</strong> nach wie vor e<strong>in</strong>en sehr großen<br />

Aufholbedarf gegenüber (z.B.) <strong>der</strong> Allergologie. Gel<strong>in</strong>gt es, diese<br />

Wissenslücke zu verkle<strong>in</strong>ern, wird <strong>in</strong> Zukunft auch e<strong>in</strong>e<br />

verbesserte Krebsverhütung (Primäre Tumorprävention)<br />

möglich se<strong>in</strong>. Das <strong>Potenzial</strong>, Krebs zu<br />

heilen, ist neben <strong>der</strong> Tumorart ganz beson<strong>der</strong>s<br />

abhängig vom Erkrankungsstadium,<br />

<strong>in</strong> dem sich <strong>der</strong> Patient bef<strong>in</strong>det. Im Zeitpunkt<br />

<strong>der</strong> Diagnosestellung liegt zurzeit<br />

das größte <strong>Potenzial</strong> <strong>der</strong> <strong>Onkologie</strong>. Es<br />

ist daher unsere Aufgabe als TierärztInnen,<br />

die Gesellschaft zu <strong>in</strong>formieren<br />

<strong>und</strong> auch davon zu überzeugen, dass die<br />

Früherkennung e<strong>in</strong>er Krebserkrankung<br />

<strong>der</strong> sicherste Weg zu e<strong>in</strong>er Heilung ist<br />

(Sek<strong>und</strong>äre Tumorprävention).<br />

Auch die Nachsorge im Anschluss an<br />

e<strong>in</strong>e onkologische Behandlung ist zur Rezidivprophylaxe<br />

unumgänglich (Tertiäre Tumorprävention).<br />

Die Maßnahmen können von <strong>der</strong> Mo-<br />

vet journal 02/12


© Rodesian Ridge, OSa<br />

18 | Coverstory | Kle<strong>in</strong>tierpraxis<br />

Abb. 4<br />

Abb. 4: „Tutu“, Rhodesian Ridgeback, 4 Jahre: nicht resezierbares hochmalignes Rhabdomyosarkom im Musculus quadriceps; rezidivfrei 2 Jahre<br />

nach amputation <strong>der</strong> Gliedmaße.<br />

bilmachung des Patienten mithilfe von Physiotherapie bis h<strong>in</strong><br />

zu <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Immunabwehr mit komplementärmediz<strong>in</strong>ischen<br />

Methoden alles be<strong>in</strong>halten. Die psychologische<br />

Belastung, die e<strong>in</strong>e Krebserkrankung mit sich br<strong>in</strong>gt, dürfte bei<br />

tierischen Patienten nicht gegeben se<strong>in</strong>, sobald sie schmerzfrei<br />

„Neue Medikamente werden sowohl bei<br />

H<strong>und</strong>e- wie auch bei Humanpatienten <strong>in</strong><br />

kl<strong>in</strong>isch def<strong>in</strong>ierten Studien geprüft <strong>und</strong><br />

verglichen.“<br />

<strong>und</strong> mit hoher Lebensqualität leben können. Dennoch sollten<br />

TierärztInnen die TierbesitzerInnen <strong>in</strong>formieren <strong>und</strong> sie darauf<br />

h<strong>in</strong>weisen, dass sie ihre Vierbe<strong>in</strong>er durch ihr eigenes geän<strong>der</strong>tes<br />

Verhalten (Sorge um <strong>der</strong>en Ges<strong>und</strong>heit o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> plötzliches<br />

außerordentliches Verwöhnen, etc.) eher verunsichern als unterstützen.<br />

POTENZIALE DER TUMORPRÄVENTION<br />

1. Primäre Tumorprävention – echte Tumorverhütung<br />

identifizieren <strong>und</strong> Entfernen von Karz<strong>in</strong>ogenen aus <strong>der</strong><br />

Nahrungskette <strong>und</strong> <strong>der</strong> Umwelt<br />

2. Sek<strong>und</strong>äre Tumorprävention – Krebsfrüherkennung<br />

Patienten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em frühen Krebsstadium können häufig<br />

geheilt werden<br />

3. Tertiäre Tumorprävention – Rezidivprophylaxe<br />

E<strong>in</strong>e Nachsorge soll e<strong>in</strong>er Verschlimmerung <strong>der</strong><br />

bestehenden Erkrankung vorbeugen <strong>und</strong> die hohe<br />

lebensqualität sichern<br />

vet journal 02/12<br />

2. Konzepte <strong>der</strong> vergleichenden <strong>Onkologie</strong> Basis für die<br />

Entstehung <strong>und</strong> weitere Entwicklung <strong>der</strong> vergleichenden <strong>Onkologie</strong><br />

zwischen Mensch <strong>und</strong> H<strong>und</strong> zur Entwicklung neuer Krebstherapien<br />

ist sicherlich die Entschlüsselung des H<strong>und</strong>egenoms<br />

<strong>und</strong> dessen Ähnlichkeit mit dem des Menschen (2003). Doch<br />

auch die deutlich erhöhte Bereitschaft <strong>der</strong> TierbesitzerInnen, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e kosten<strong>in</strong>tensive Therapie zu <strong>in</strong>vestieren, solange die Lebensqualität<br />

<strong>der</strong> Tiere nicht bee<strong>in</strong>trächtigt wird, ist e<strong>in</strong> wesentlicher<br />

Faktor. Obwohl die vergleichende <strong>Onkologie</strong> e<strong>in</strong>e sehr lange<br />

Geschichte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> hat, wurden Tiere über Jahrzehnte<br />

ausschließlich als Versuchstiere e<strong>in</strong>gesetzt, um die humanmediz<strong>in</strong>ische<br />

Forschung zu unterstützen.<br />

Mittlerweile hat sich diese Situation geän<strong>der</strong>t <strong>und</strong> neue Medikamente<br />

werden sowohl bei H<strong>und</strong>epatienten als auch bei<br />

Humanpatienten <strong>in</strong> def<strong>in</strong>ierten kl<strong>in</strong>ischen Studien geprüft <strong>und</strong><br />

verglichen. Möglich wurde dieses Vorgehen durch den Nachweis<br />

von vergleichbaren genetischen Ursachen bestimmter Tumor-<br />

erkrankungen bei beiden Spezies. Der direkte Vergleich <strong>der</strong><br />

7 KREBSWARNZEICHEN<br />

W <strong>und</strong>en <strong>und</strong> hautverän<strong>der</strong>ungen, die nicht heilen<br />

A ndauern<strong>der</strong> husten o<strong>der</strong> Stimmverän<strong>der</strong>ungen<br />

R egelmäßige anhaltende Schluck-, Magen- <strong>und</strong>/o<strong>der</strong><br />

Darmbeschwerden, Blut im Stuhl<br />

N eu entstandene Knoten <strong>in</strong> <strong>und</strong> unter <strong>der</strong> haut, Milchleiste<br />

<strong>und</strong> hoden<br />

U ngewöhnliches Tr<strong>in</strong>kverhalten – vermehrtes Tr<strong>in</strong>ken<br />

N icht erklärbarer Gewichtsverlust bei normalem appetit<br />

G er<strong>in</strong>ge Mengen von Blut im harn, Störungen <strong>und</strong><br />

Schmerzen beim harnabsatz


Coverstory | Kle<strong>in</strong>tierpraxis | 19<br />

vet journal 02/12


© aaCR<br />

20 | Coverstory | Kle<strong>in</strong>tierpraxis<br />

Abb. 5<br />

Abb. 5: Die vergleichende kl<strong>in</strong>ische Entwicklung von neuen Medikamenten führte zur Zulassung von neuesten, zielgerichteten Medikamenten<br />

für die <strong>Vet</strong>er<strong>in</strong>ärmediz<strong>in</strong>, hier am Beispiel von Masit<strong>in</strong>ib (MaSiVET) <strong>und</strong> SU 11564 (PallaDia). Zitiert aus + Credit: Khanna C, Gordon i. Catch<strong>in</strong>g<br />

cancer by the tail: New perspectives on the use of k<strong>in</strong>ase <strong>in</strong>hibitors. Cl<strong>in</strong> Cancer Res. 2009 Jun 1;15(11):3645-7.<br />

Medikamentenwirksamkeit auf die Tumoren von H<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

Mensch führte <strong>und</strong> führt zu e<strong>in</strong>er sehr viel schnelleren <strong>und</strong><br />

auch wirksameren Selektion <strong>der</strong> Arzneimittel als artifizielle Tier-<br />

modelle, die nur e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen Voraussagewert, betreffend e<strong>in</strong>er<br />

möglichen therapeutischen Anwendung, haben (< 50%).<br />

3. Neue Wege <strong>der</strong> Medikamentenentwicklung E<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressanter<br />

Aspekt <strong>der</strong> <strong>Vet</strong>er<strong>in</strong>äronkologie liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tatsache begründet,<br />

dass die <strong>der</strong>zeitige Medikamentenentwicklung für die<br />

Krebsbehandlung von Tieren Dimensionen annimmt, die <strong>Vet</strong>er<strong>in</strong>ärmediz<strong>in</strong>erInnen<br />

noch vor wenigen Jahren niemals erwartet<br />

hätten. Viele KollegInnen, aber auch TierbesitzerInnen, fragen<br />

sich daher zu Recht, womit diese rasante Medikamentenentwicklung<br />

zu begründen ist <strong>und</strong> warum Pharmakonzerne weltweit<br />

diese Entwicklung för<strong>der</strong>n.<br />

Die Anwendung <strong>der</strong> vergleichenden <strong>Onkologie</strong> zwischen H<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Mensch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Medikamentenentwicklung br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>erseits<br />

die Zulassung mo<strong>der</strong>nster Medikamente für die Behandlung<br />

krebskranker H<strong>und</strong>e mit sich. An<strong>der</strong>erseits reduziert sie teilweise<br />

nutzlose Tierversuche. Diese Art <strong>der</strong> Medikamentenentwicklung<br />

wurde bereits 2003 vom National Cancer Institute (NCI) <strong>der</strong><br />

USA erstmals als Comparative Oncology Program (COP) umgesetzt<br />

(https://ccrod.cancer.gov/confluence/display/ccrcopweb/<br />

home); es wurde e<strong>in</strong> nationales Konsortium (Comparative Oncology<br />

Trial Consortium) für kl<strong>in</strong>ische Studien etabliert. Der<br />

Erfolg gab den InitiatorInnen recht: Es gibt mittlerweile zielgerichtete<br />

Medikamente (Targeted Drugs) <strong>der</strong> neuesten Generation<br />

(Masivet® <strong>und</strong> Palladia®), die sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> EU als auch <strong>in</strong> den<br />

vet journal 02/12<br />

USA für die Behandlung von H<strong>und</strong>en mit Krebserkrankungen<br />

zugelassen wurden. Auch die erste therapeutische Tumorvakz<strong>in</strong>e<br />

für H<strong>und</strong>e (Oncept), die zur Behandlung des oralen Melanoms<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden kann, ist bereits durch die Food and Drug Adm<strong>in</strong>istration<br />

(FDA) <strong>in</strong> den USA zugelassen <strong>und</strong> soll laut Hersteller<br />

im Jahr 2012 durch die European Medic<strong>in</strong>es Agency (EMEA)<br />

auch für die EU zugelassen werden.<br />

„Die erste therapeutische Vakz<strong>in</strong>e für H<strong>und</strong>e, die<br />

zur Behandlung des oralen Melanoms e<strong>in</strong>gesetzt<br />

wird, ist <strong>in</strong> den USA bereits zugelassen.“<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>ärer Ansatz Dieser <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Ansatz <strong>der</strong><br />

vergleichenden <strong>Onkologie</strong> wird <strong>in</strong> Österreich seit 2007 durch den<br />

Vere<strong>in</strong> „Rote Pfote – Krebsforschung für das Tier“ (www.rotepfote.<br />

at) verfolgt. Gegründet von WissenschaftlerInnen <strong>der</strong> <strong>Vet</strong>er<strong>in</strong>ärmediz<strong>in</strong>ischen<br />

Universität Wien (<strong>Vet</strong>meduni Vienna) <strong>und</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Universität Wien (MedUni Wien), liegt <strong>der</strong> Fokus des Vere<strong>in</strong>s<br />

Rote Pfote <strong>in</strong> <strong>der</strong> wissenschaftlichen Zusammenarbeit <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Entwicklung neuer zielgerichteter Medikamente (Targeted Drugs)<br />

für e<strong>in</strong>e wirksamere <strong>und</strong> nebenwirkungsärmere Therapie von krebskranken<br />

Tieren. Es besteht <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die Hoffnung,<br />

<strong>in</strong> absehbarer Zukunft mo<strong>der</strong>nste Immuntherapien mit kan<strong>in</strong>isierten<br />

monoklonalen Antikörpern, das s<strong>in</strong>d therapeutische Antikörper,<br />

die gegen e<strong>in</strong> Tumorantigen gerichtet s<strong>in</strong>d, für die Behandlung<br />

von H<strong>und</strong>en mit Krebs zur Verfügung stellen zu können – analog


<strong>der</strong> humanisierten Antikörper zur Therapie menschlicher Krebs-<br />

erkrankungen.<br />

<strong>Risiken</strong> <strong>der</strong> <strong>Onkologie</strong> Insbeson<strong>der</strong>e die Chemotherapie<br />

steht immer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Zentrum <strong>der</strong> Kritik. Das Risiko, welches<br />

durch die Chemotherapie selbst für den Krebspatienten entstehen<br />

könnte, wird durch das tierärztliche bzw. ärztliche Behandlungsteam<br />

kontrolliert <strong>und</strong> überwacht. Zur Risikom<strong>in</strong>imierung<br />

werden – bevor es überhaupt zu e<strong>in</strong>er kl<strong>in</strong>ischen Anwendung<br />

am Patienten kommt – kontrollierte präkl<strong>in</strong>ische <strong>und</strong> kl<strong>in</strong>ische<br />

Studien durchgeführt, die die Sicherheit <strong>und</strong> Wirksamkeit <strong>der</strong><br />

Chemotherapeutika untersuchen.<br />

Der zweite Aspekt <strong>der</strong> möglichen <strong>Risiken</strong> umfasst die Belastung<br />

für die unmittelbar Betreuenden (Therapieteam) <strong>und</strong> die<br />

BesitzerInnen des behandelten Tieres. Sowohl die Gebrauchsfertigmachung<br />

<strong>und</strong> die Therapie, aber auch die Ausscheidung<br />

von Residuen <strong>der</strong> Zytostatika durch den Krebspatienten selbst<br />

können <strong>Risiken</strong> darstellen.<br />

Um diesen <strong>Risiken</strong> zu begegnen, wurde <strong>in</strong> Österreich das<br />

<strong>Vet</strong>er<strong>in</strong>äronkologische Netzwerk Austria (VONA), bestehend<br />

aus <strong>der</strong> <strong>Vet</strong>meduni Vienna <strong>und</strong> ausgewählten Kompetenzzentren<br />

<strong>und</strong> unterstützt durch die Richter Pharma AG <strong>und</strong> die Österreichische<br />

Tierärztekammer, gegründet. Ziel dieses Netzwerks ist es,<br />

die evidenzbasierte Therapie für krebskranke Tiere <strong>in</strong> Österreich<br />

zu för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> die sichere Anwendung von Zytostatika <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

tierärztlichen Praxis sicherzustellen. Zuletzt gilt es, auf das Risiko,<br />

Coverstory | Kle<strong>in</strong>tierpraxis | 21<br />

welches durch die möglichen Ausscheidungen von Zytostatika-<br />

residuen entstehen kann, e<strong>in</strong>zugehen. Bislang wurde dieser Aspekt<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Vet</strong>er<strong>in</strong>äronkologie nur mangelhaft untersucht. Aus<br />

<strong>der</strong> Humanmediz<strong>in</strong> ist allerd<strong>in</strong>gs bekannt, dass Zytostatikaresiduen<br />

vorwiegend über Speichel, Harn <strong>und</strong> Stuhl ausgeschieden<br />

werden können. Die Dauer ihrer Nachweisbarkeit liegt im Schnitt<br />

zwischen 1 bis 7 Tagen <strong>und</strong> ist von <strong>der</strong> Dosis <strong>der</strong> verabreichten<br />

Medikamente <strong>und</strong> den Medikamenten selbst abhängig.<br />

„Im Harn behandelter H<strong>und</strong>e können nach<br />

e<strong>in</strong>er Chemotherapie ger<strong>in</strong>ge Mengen an<br />

Zytostatika nachgewiesen werden.“<br />

Mangels veter<strong>in</strong>ärmediz<strong>in</strong>ischer Daten hat das European College<br />

of <strong>Vet</strong>er<strong>in</strong>ary Medic<strong>in</strong>e – Companion Animals (ECVIM-<br />

CA) an humanmediz<strong>in</strong>ische Untersuchungen angepasste Richtl<strong>in</strong>ien<br />

für die Anwendung von Zytostatika für TierärztInnen<br />

herausgegeben. Diese sollen die potenziellen Belastungen des<br />

Behandlungsteams, aber auch <strong>der</strong> TierbesitzerInnen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Umwelt, vermeiden (ECVIM-CA, 2007 2nd version). Aktuelle<br />

Studien an <strong>der</strong> Tierärztlichen Hochschule Hannover (TIHO) zeigen,<br />

dass nach e<strong>in</strong>er Chemotherapie ger<strong>in</strong>ge Mengen von Zyto-<br />

statika, abhängig von <strong>der</strong> jeweiligen Substanz, im Harn behandelter<br />

H<strong>und</strong>e nachgewiesen werden können (Hamscher et al.,<br />

vet journal 02/12


© Michael Willmann (5)<br />

22 | Coverstory | Kle<strong>in</strong>tierpraxis<br />

Abb. 6a<br />

2010; Knobloch et al., 2010a <strong>und</strong> b). Die str<strong>in</strong>gente Aufklärung<br />

<strong>der</strong> TierbesitzerInnen betreffend des verantwortungsbewussten<br />

Umgangs mit den Ausscheidungen ihrer H<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Katzen<br />

nach Chemotherapie zum eigenen Schutz <strong>und</strong> zum Schutz <strong>der</strong><br />

Umwelt ist daher unumgänglich. Wichtig ist hierbei vor allem<br />

die beson<strong>der</strong>e Berücksichtigung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Schwangeren,<br />

die mit den Ausscheidungen <strong>der</strong> Patienten nicht <strong>in</strong> Kontakt<br />

kommen sollten.<br />

„Die str<strong>in</strong>gente Aufklärung <strong>der</strong> Tierbesitzerbezüglich<br />

des Umgangs mit Ausscheidungen<br />

nach Chemotherapien ist unumgänglich.“<br />

Was überwiegt? <strong>Potenzial</strong> o<strong>der</strong> Risiko? Zweifelsohne geht die<br />

<strong>Onkologie</strong> mit <strong>Risiken</strong> e<strong>in</strong>her, kommen doch zytotoxische Substanzen<br />

zum E<strong>in</strong>satz. Dieser Aspekt sollte <strong>und</strong> darf nicht negiert werden,<br />

son<strong>der</strong>n muss, ganz im Gegenteil, die Basis gründen für den verantwortungsbewussten<br />

<strong>und</strong> gezielten E<strong>in</strong>satz von Chemotherapeutika<br />

<strong>und</strong> die ständige Weiterentwicklung sicherer Therapieformen.<br />

Unvergleichlich größer als die <strong>Risiken</strong> s<strong>in</strong>d jedoch die <strong>Potenzial</strong>e,<br />

die durch die rasanten Fortschritte im Bereich <strong>der</strong> veter<strong>in</strong>är-<br />

<strong>und</strong> humanmediz<strong>in</strong>ischen sowie vergleichenden <strong>Onkologie</strong><br />

e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> durch die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Tumorprävention durch<br />

Früherkennung, frühzeitige Behandlung <strong>und</strong> konsequente<br />

Nachsorge an<strong>der</strong>erseits entstehen.<br />

vet journal 02/12<br />

Abb. 6b Abb. 6c<br />

Abb. 6d Abb. 6e<br />

Abb. 6a–6e: „Stan“, Briard, m, 9 Monate: nichtresezierbares, hochaggressives <strong>in</strong>vasives Sarkom im rechten Gesichtsschädelbereich – Computertomografie<br />

mit 3D-Rekonstruktion (Fotos: Kl<strong>in</strong>ische abteilung für Bildgebende Diagnostik, Department für Kle<strong>in</strong>tiere <strong>und</strong> Pferde, <strong>Vet</strong>meduni Vienna).<br />

© Michael Willmann<br />

Literatur<br />

Glickman LT, Schofer FS, McKee LJ, Reif JS, Goldschmidt MH: Epidemiologic<br />

study of <strong>in</strong>secticide exposures, obesity, and risk of blad<strong>der</strong><br />

cancer <strong>in</strong> household dogs. J Toxicol Environ health. 1989;28(4):407-14.<br />

Khanna C, Gordon I: Catch<strong>in</strong>g cancer by the tail: new perspectives on<br />

the use of k<strong>in</strong>ase <strong>in</strong>hibitors. Cl<strong>in</strong> Cancer Res. 2009 Jun 1;15(11):3645-7.<br />

Standards für das Gebrauchsfertigmachen, die Applikation <strong>und</strong><br />

die Entsorgung von Zytostatika; Erlass des BMG; gem. § 2 Z 12<br />

GQG; Mai 2011.<br />

Cl<strong>in</strong>ical Practice Guidel<strong>in</strong>es: The adm<strong>in</strong>istration of cytotoxic chemotherapy.<br />

Recommendations and Technical Report, 1998. Royal College<br />

of Nurs<strong>in</strong>g.<br />

Hamscher G, Mohr<strong>in</strong>g S, Knobloch A, Eberle N, Nau H, Nolte I,<br />

Simon D: Determ<strong>in</strong>ation of drug residues <strong>in</strong> ur<strong>in</strong>e of dogs receiv<strong>in</strong>g anticancer<br />

chemotherapy: is there an environmental or occupational risk?<br />

J anal Tox 2010; 34(3):142-148.<br />

Knobloch A, Mohr<strong>in</strong>g S, Eberle N, Nolte I, Hamscher G, Simon D:<br />

Drug residues <strong>in</strong> serum of dogs receiv<strong>in</strong>g anti-cancer chemotherapy.<br />

J <strong>Vet</strong> <strong>in</strong>tern Med 2010; 24(2): 379-383.<br />

Knobloch A, Mohr<strong>in</strong>g S, Eberle N, Nolte I, Hamscher G, Simon D:<br />

Cytotoxic drug residues <strong>in</strong> ur<strong>in</strong>e of dogs receiv<strong>in</strong>g anticancer chemotherapy.<br />

J <strong>Vet</strong> <strong>in</strong>tern Med 2010; 24(2): 384-390.<br />

Dr. med. vet Michael Willmann<br />

<strong>Onkologie</strong>, Kl<strong>in</strong>ische Abteilung für Interne Mediz<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>tiere, Department<br />

für Kle<strong>in</strong>tiere <strong>und</strong> Pferde, <strong>Vet</strong>meduni Vienna. Mitbegrün<strong>der</strong> des Vere<strong>in</strong>s<br />

„RotePfote – Krebsforschung für das Tier“, Mit<strong>in</strong>itiator des <strong>Vet</strong>er<strong>in</strong>äronkolo-<br />

gischen Netzwerks Austria (VONA); michael.willmann@vetmeduni.ac.at


Coverstory | Kle<strong>in</strong>tierpraxis | 23<br />

vet journal 02/12

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