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Kakophonie und Selbstorganisation in der digitialen Agora

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Innerhalb von wenigen M<strong>in</strong>uten kann sich so z. B. auf dem Wege re<strong>in</strong> horizontaler<br />

Kommunikation e<strong>in</strong>e Konsensbildung vollziehen, die früher nur durch vertikale<br />

Persuasion seitens professioneller Medienkommunikatoren möglich war.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs stellt man aber fest, dass die traditionellen Medienschaffenden ebenso<br />

wie die politischen Eliten bisher wenig Neigung zeigen, die durch sie ausgelösten<br />

Reaktionen auch nur explizit zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn materiell<br />

darauf zu reagieren. 3 Tatsächlich haben traditionelle «Offl<strong>in</strong>e Eliten» im Netz viel<br />

zu verlieren, weil sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Medium, das alle User zu gleichrangigen Lieferanten<br />

von Textvoten degradiert, ke<strong>in</strong>e Möglichkeiten sehen, ihre angestammte Autoritätsposition<br />

(die <strong>in</strong> offl<strong>in</strong>e Veranstalungen z. B. durch e<strong>in</strong>en bevorzugten Sitz im<br />

Frontpanel zum Ausdruck kommt) zu bewahren. Überdies belasten sie sich nur<br />

selbst mit Anfragen, <strong>der</strong>en Beantwortung wie<strong>der</strong> wertvolle Zeit verschl<strong>in</strong>gen kann<br />

– ohne dass gesichert ist, dass e<strong>in</strong>e über e<strong>in</strong>zelne Rezipienten weit h<strong>in</strong>ausreichende<br />

Wirkung erzielt werden kann. So kommt es, dass die von den Führungseliten<br />

alle<strong>in</strong> gelassenen (o<strong>der</strong> im besten Fall aktiv zensurierten) Netizens häufig irrelevanten<br />

«loser created content» produzieren, <strong>der</strong> die realen politischen Deliberations-<br />

<strong>und</strong> Entscheidungsprozesse <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise bestimmt. 4<br />

Gesteigerte Individualisierung als H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis politischer Konsensbildung <strong>und</strong><br />

Organisation<br />

Wenn sich politische Aktivität als Partizipation an Sitzungen, Versammlungen o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>n Anlässen <strong>der</strong> face-to-face-Kommunikation vollzieht, begeben sich die Individuen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> dichtes soziales Feld, <strong>in</strong>nerhalb dem sich mannigfachen Bee<strong>in</strong>flussungen<br />

<strong>und</strong> Kontrollen unterliegen (Geser 2002). Beispielsweise werden sie häufig<br />

genötigt, sich auch die Voten unliebsamer Redner anzuhören, bis zum Ende e<strong>in</strong>er<br />

Zusammenkunft auszuharren, e<strong>in</strong>en von niemand an<strong>der</strong>em kritisierten Beschluss<br />

selbst bei abweichen<strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung stillschweigend mitzutragen o<strong>der</strong> an Demonstrationen<br />

<strong>in</strong> den Chor <strong>der</strong> Protestierenden e<strong>in</strong>zustimmen. Dies alles hat zur Folge,<br />

dass Intensität <strong>und</strong> Form des partizipativen Verhaltens nur zum Teil als authentischer<br />

Ausdruck subjektiver Motivationen <strong>und</strong> Präferenzen erklärt werden kann, im<br />

übrigen aber durch soziale Faktoren determ<strong>in</strong>iert wird, <strong>der</strong>en erfolgreiche Pflege<br />

<strong>und</strong> Manipulation e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wichtigsten Aufgaben <strong>der</strong> jeweiligen Versammlungs-<br />

3 Diese abweisende «Wagenburgmentalität» ist am Abend des 29. Nov 2009 beson<strong>der</strong>s drastisch ans<br />

Licht getreten, wo die Annahme <strong>der</strong> M<strong>in</strong>arettverbots<strong>in</strong>itiative durch die Schweizer Stimmbürger<br />

die deutschen Zeitungsredaktionen zu äusserst heftigen e<strong>in</strong>heitlich politisch-korrekten Ablehnungsreaktionen<br />

(«Schande über dieses Land») verleitet hat, während über 80% <strong>der</strong> Kommentare e<strong>in</strong>e<br />

ebenso beherzte Zustimmung zum Schweizer Entscheid signalisierten.<br />

4 Während die meisten Bürger im Umfragen das Netz als sehr wirkungsvolles Instrument für politische<br />

Artikulation, Diskussion, Kampagnenführung <strong>und</strong> Organisation betrachten, wird ihm für die vertikale<br />

Kommunikation <strong>und</strong> E<strong>in</strong>flussnahme (mit politischen Eliten o<strong>der</strong> <strong>der</strong> öffentlichen Verwaltung)<br />

bezeichnen<strong>der</strong>weise wenig Bedeutung beigemessen – offensichtlich weil hier negative Erfahrungen<br />

dom<strong>in</strong>ieren (vgl. Oblak 2003).<br />

Hans Geser www.medienpaed.com > 31.5.2012<br />

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