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Kakophonie und Selbstorganisation in der digitialen Agora

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herige «schweigende Mehrheit» zunehmend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e volatile Vielfalt von «sprechenden<br />

M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten» transformiert. Aus demselben Gr<strong>und</strong> kann die Netzkommunikation<br />

den <strong>in</strong>neren Zusammenhalt konsensbedürftiger Organisationen<br />

(Parteien, Verbände, religiöse Sekten u. a.) bedrohen, weil <strong>der</strong>en Führungsorgane<br />

ke<strong>in</strong> Monopol mehr über den Zugang zur Öffentlichkeit mehr besitzen, da<br />

jede dissidente M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit ohne Kosten <strong>und</strong> Mühe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist, ihre abweichenden<br />

Positionen eigenständig <strong>in</strong> <strong>der</strong> Netzöffentlichkeit zu publizieren (Geser<br />

2001). Für die Führungseliten wird es dadurch schwieriger, das Wort «wir» zu<br />

verwenden – <strong>und</strong> damit e<strong>in</strong>en kollektiven Konsens zu unterstellen. Denn wenn<br />

alle sich mühelos zu Wort melden können, wird es viel wahrsche<strong>in</strong>licher, dass<br />

faktisch bestehen<strong>der</strong> Dissens auch offensichtlich wird <strong>und</strong> bisher für unproblematisch<br />

gehaltene Konsensannahmen sich als unhaltbar erweisen (Geser 1996).<br />

Polyvalente E<strong>in</strong>heitsplattform für vertikale <strong>und</strong> horizontale Kommunikationen<br />

Die Computernetze ermöglichen es, sämtliche Formen technisch vermittelter<br />

Kommunikation, die bisher auf völlig getrennten Kanälen gesendet worden s<strong>in</strong>d,<br />

auf <strong>der</strong>selben Plattform stattf<strong>in</strong>den zu lassen <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em umfassenden Gesamtzusammenhang<br />

zu <strong>in</strong>tegrieren (Oblak 2003). Ke<strong>in</strong>e Fotokopien s<strong>in</strong>d mehr nötig,<br />

um e<strong>in</strong>e schriftliche E<strong>in</strong>sendung e<strong>in</strong>em grösseren Kreis zugänglich zu machen; digitale<br />

Sitzungsprotokolle haben bereits die Form, die sie für ihre Veröffentlichung<br />

brauchen, <strong>und</strong> formelle Dokumente können sehr leicht <strong>in</strong> den privaten Emailverkehr<br />

o<strong>der</strong> <strong>in</strong> öffentliche Forumsdiskussionen e<strong>in</strong>geschlossen werden.So impliziert<br />

die Teilnahme an e<strong>in</strong>er typischen Onl<strong>in</strong>e-Diskussion (z. B. bei Telepolis o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

«Welt»), dass ich im selben Medium, <strong>in</strong> dem ich den redaktionellen Artikel lese,<br />

– me<strong>in</strong>e eigene Reaktion darauf publizierere<br />

– die Stellungnahme an<strong>der</strong>er Leser zur Kenntnis nehme<br />

– me<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung zu diesen an<strong>der</strong>en Stellungnahmen (z. B. dichotom als<br />

«Zustimmung» vs. «Ablehnung») deponiere;<br />

– zur Kenntnis nehme, wie an<strong>der</strong>e me<strong>in</strong>en eigenen Beitrag (sowie alle übrigen<br />

Beiträge) werten.<br />

Bereits dieses sehr bescheidene Instrumentarium von Web 2.0 Technologien eröffnet<br />

e<strong>in</strong>e Verdichtung <strong>und</strong> Dynamisierung <strong>der</strong> öffentlichen Me<strong>in</strong>ungsbildung, die <strong>in</strong><br />

früheren Onl<strong>in</strong>e-Diskussionsformen noch <strong>und</strong>enkbar war. Denn <strong>in</strong>dem die aus allen<br />

vergangenen Voten entstandene aktuellen Me<strong>in</strong>ungskonstellatioen <strong>in</strong> Realzeit<br />

offen zu tage liegen, sehen sich alle Teilnehmer dazu fähig, ihre eigenen Positionen<br />

im Lichte dieser aggregierten öffentlichen Me<strong>in</strong>ungsbildung zu verorten <strong>und</strong><br />

evtl. reflexiv neu zu positionieren.<br />

Hans Geser www.medienpaed.com > 31.5.2012<br />

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