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Kakophonie und Selbstorganisation in der digitialen Agora

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Frontalunterricht dem offeneren Gruppen- <strong>und</strong> Teamunterricht gewichen, <strong>in</strong> Unternehmungen<br />

werden Mitarbeiter im Rahmen <strong>der</strong> «lean production» stärker <strong>in</strong><br />

die betriebliche Verantwortung <strong>in</strong>tegriert <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Parteien ist <strong>der</strong> die Tradition<br />

des Grossvaters fortführende Stammwähler dem unberechenbaren Wechselwähler<br />

gewichen, <strong>der</strong> sich se<strong>in</strong>e eigene unabhängige Me<strong>in</strong>ung bildet <strong>und</strong> <strong>in</strong> je<strong>der</strong> neuen<br />

Sachfrage neu überzeugt werden will.<br />

Vor allem s<strong>in</strong>d seit den 1970er-Jahren «Neue Soziale Bewegungen» entstanden,<br />

die sich nicht mehr auf charismatische Führerschaft <strong>und</strong> monopolistisch verwaltete<br />

Ideologien abstützen, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> ihrem Kern aus relativ offenen dezentralen Netzwerken<br />

semi-autonomer Gruppierungen <strong>und</strong> Aktivisten bestehen, die andauernde<br />

Diskurse über die Priorität verschiedener Ziele <strong>und</strong> Aktivitäten führen.<br />

Es ist bemerkenswert, dass sich bereits seit den späten 60er Jahren des letzten<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts trotz dieser restriktiven Medienöffentlichkeit auf <strong>der</strong> Basis von Flugblättern,<br />

FAX-Botschaften, Fotokopien <strong>und</strong> billigen Taschenbüchern e<strong>in</strong>e vielfältige<br />

Szene von marg<strong>in</strong>alen «weak publics» ausgebildet hat, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fem<strong>in</strong>ist<strong>in</strong>nen,<br />

Homosexuelle, Obdachlose, Migrantengruppen, religiöse F<strong>und</strong>amentalisten usw.<br />

ihre eigenen, vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> oft astronomisch weit entfernten Diskurse führen (vgl.<br />

z. B. Fraser 1992, 118 ff.).<br />

All diese wachsenden Bedürfnisse medialer Selbstartikulation habe ganz objektiv<br />

das Bedürfnis nach ganz neuartigen Medientechnologien anwachsen lassen,<br />

die e<strong>in</strong>en nie<strong>der</strong>schwelligeren Zugang zu öffentlicher Kommunikation gewähren<br />

<strong>und</strong> die neben traditionellen «one-to many» Emissionen auch vertikale Aufwärtskommunikation<br />

(«many to one») <strong>und</strong> sowie den horizontalen Austausch («many to<br />

many») technisch unterstützen.<br />

So richten sich heute berechtigte Hoffnungen auf die neuen weltweiten Computernetze,<br />

<strong>der</strong>en Hauptfunktion ja dar<strong>in</strong> besteht, ihren Nutzern unabhängig von<br />

Ort, Zeit <strong>und</strong> sozialen Kontrollen äusserst nie<strong>der</strong>schwellige Möglichkeiten zur Information<br />

<strong>und</strong> Kommunikation <strong>in</strong> <strong>der</strong> globalen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.<br />

Wurde das Web 1.0 <strong>der</strong> späten 90er Jahre noch primär als e<strong>in</strong> alternativer<br />

Kanal für monologische Emissionen begriffen, s<strong>in</strong>d im neueren Web 2.0 die für das<br />

Internet spezifischen Aspekte dezentralisiert-<strong>in</strong>teraktiver Kommunikation stärker<br />

<strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> getreten. Wi<strong>der</strong> Erwarten haben sich die durchschnittlichen<br />

User ke<strong>in</strong>eswegs als re<strong>in</strong> konsumptive «Couch Potatoes» erwiesen, son<strong>der</strong>n als<br />

«Prosumenten», die ihre kommunikativen Aktivitäten zunehmend im öffentlichen<br />

Raum (vor allem auf «Social Network Sites» wie Facebook o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Chats, Blogs,<br />

Diskussionsformen <strong>und</strong> Wikis) stattf<strong>in</strong>den lassen. 1<br />

1 So hat e<strong>in</strong>e Nielsen-Studie vom Juni 2010 gezeigt, dass amerikanische Nutzer durchschnittlich 36%<br />

ihrer Onl<strong>in</strong>ezeit mit <strong>in</strong>teraktiven «Social Media» verbr<strong>in</strong>gen, wobei sich <strong>der</strong> Schwerpunkt immer<br />

mehr von bilateralen Emails auf multilaterale «Social Network Sites» (Facebook, Twitter u. a.) verschiebt<br />

(Nielsen Wire 2010).<br />

Hans Geser www.medienpaed.com > 31.5.2012<br />

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