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Kakophonie und Selbstorganisation in der digitialen Agora

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ung unterwerfen können, weil diese je<strong>der</strong>zeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage s<strong>in</strong>d, auf Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten<br />

<strong>und</strong> Unzufriedenheiten mit Inaktivität <strong>und</strong> Abwan<strong>der</strong>ung (d. h. mit<br />

«exit» anstatt «voice») zu reagieren. Dementsprechend bleibt ihre Aktionsfähigkeit<br />

zu jedem Zeitpunkt an e<strong>in</strong>en freiwilligen Konsens geb<strong>und</strong>en. Selbst millionenfach<br />

«unterzeichnete» Onl<strong>in</strong>e-Petitionen entfalten ke<strong>in</strong>e Wirkung, weil man davon ausgehen,<br />

dass sich die teilnehmenden Stubensurfer von spontan-volatilen Momentanreaktionen<br />

leiten liessen <strong>und</strong> ke<strong>in</strong> Commitment signalisieren, das z. B. mit <strong>der</strong><br />

Teilnahme an e<strong>in</strong>er Demonstration vergleichbar wäre<br />

Zweitens fehlt den (ausschliesslich) digitalen politischen Akteuren das kollektive<br />

Konfliktpotential, das bei realweltlichen Organisationen aus ihren E<strong>in</strong>flussmöglichkeiten<br />

auf die physische Umwelt entsteht. Streiks, Demonstrationen, Sit <strong>in</strong>s <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>e Störaktionen müssen durch viel weichere Aktionen (z. B. Petitionen) ersetzt<br />

werden, die von den politischen Adressaten leicht ignoriert werden – auch wenn<br />

sie mit hoher Reichweite <strong>und</strong> zeitlicher Unmittelbarkeit wettzumachen versuchen,<br />

was ihnen an physischer Durchschlagskraft <strong>und</strong> öffentlicher Auffälligkeit fehlt. Die<br />

von «Weblogestan» ausgehende Soft Power im asymmetrischen Krieg mit <strong>der</strong><br />

«Hard power» territorial basierter politischen Autoritären höchstens temporäre<br />

taktische Gew<strong>in</strong>ne zu verbuchen.<br />

Drittens erweisen sich webgestützte politische Aktionen zum<strong>in</strong>dest deshalb als<br />

kurzlebig <strong>und</strong> unwirksam, weil über die h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er Webplattform stehenden<br />

Akteure <strong>und</strong> Gruppierungen (bezüglich Mitglie<strong>der</strong>zahl, Beziehungsnetzwerken<br />

Ressourcen etc.) häufig ke<strong>in</strong>e Klarheit besteht, <strong>und</strong> die meisten von ihnen von<br />

unbezahlten Freiwilligen unterhalten werden, <strong>der</strong>en Engagement sich auf nebenberufliche<br />

Randst<strong>und</strong>en, kurzfristige Zeiträume <strong>und</strong> partikuläre Zielsetzungen<br />

beschränkt. (Parker <strong>und</strong> Song 2006, 192). Die Tatsache, dass die Anfangsphasen<br />

politischer Onl<strong>in</strong>e-(?)Mobilisierung ohne Aufbau formaler Organisation <strong>und</strong> beruflicher<br />

Rollenstrukturen vonstatten gehen können, erweist sich <strong>in</strong> den späteren<br />

Phasen als grosser Nachteil, wo e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Organisation erfor<strong>der</strong>lich wäre, um<br />

politische Handlungsstrategien auf Dauer zu stellen <strong>und</strong> im <strong>in</strong>stitutionellen Gefüge<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft e<strong>in</strong>e verlässliche Rolle (z. B. durch E<strong>in</strong>sitznahme <strong>in</strong> wichtige<br />

Gremien) zu übernehmen. Mangels geme<strong>in</strong>samer Führung, Zielsetzung, Regeln<br />

<strong>und</strong> organisatorischer Rahmenstrukturen bleiben re<strong>in</strong> digitale Bewegungskollektive<br />

nach aussen h<strong>in</strong> unscharf begrenzte <strong>und</strong> nach <strong>in</strong>nen polymorph zusammengesetzte<br />

Aggregate, wo sich autonom bleibende Subgruppen <strong>in</strong> wechselnden Koalitionen<br />

zu kurzfristigen Ad-hoc-Aktionen zusammenf<strong>in</strong>den, ohne sich unter umfassen<strong>der</strong>e<br />

<strong>und</strong> längerfristige Ideologen <strong>und</strong> Programme zu subord<strong>in</strong>ieren. Dementsprechend<br />

verbleiben sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em «sub<strong>in</strong>stitutionellen» Zustand, <strong>der</strong> es ihnen oft<br />

verunmöglicht, den von ihnen attackierten Akteuren überhaupt klare For<strong>der</strong>ungen<br />

Hans Geser www.medienpaed.com > 31.5.2012<br />

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