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Valérie und Uli Jahreszeiten

„Also nur angenehme Empfindungen, kein Fetischist. Deine Freundin braucht nicht beim Sex zu singen, oder so etwas. Was sagt denn eigentlich deine Freundin dazu, wenn du so gern andere Frauen singen hörst?“ fragte Valérie streng ernst bleibend. „Was soll das, Valérie? Du bist heute noch verrückter als beim letzten mal. Meine Freundin muss ständig singen. Ich halte sie als Gesangssklavin, nur habe ich leider gar keine.“ lautete Ulis Antwort. Ob sich daran etwas änderte, zeigte sich für die beiden in den folgenden Jahreszeiten.

„Also nur angenehme Empfindungen, kein Fetischist.
Deine Freundin braucht nicht beim Sex zu singen,
oder so etwas. Was sagt denn eigentlich deine Freundin
dazu, wenn du so gern andere Frauen singen hörst?“
fragte Valérie streng ernst bleibend. „Was soll das, Valérie?
Du bist heute noch verrückter als beim letzten mal.
Meine Freundin muss ständig singen. Ich halte sie als Gesangssklavin, nur habe ich leider gar keine.“
lautete Ulis Antwort. Ob sich daran etwas änderte,
zeigte sich für die beiden in den folgenden Jahreszeiten.

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<strong>Valérie</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Uli</strong><br />

<strong>Jahreszeiten</strong><br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 1 von 46


Evimad<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong><br />

<strong>Jahreszeiten</strong><br />

Erzählung<br />

Travaille comme si tu n'avais pas besoin d'argent,<br />

Aime comme si personne ne t'avait fait souffrir,<br />

Danse comme si personne ne te regardait,<br />

Chante comme si personne ne t'écoutait,<br />

Vis comme si le paradis était sur terre<br />

„Also nur angenehme Empfindungen, kein Fetischist.<br />

Deine Fre<strong>und</strong>in braucht nicht beim Sex zu singen,<br />

oder so etwas. Was sagt denn eigentlich deine Fre<strong>und</strong>in<br />

dazu, wenn du so gern andere Frauen singen hörst?“<br />

fragte <strong>Valérie</strong> streng ernst bleibend. „Was soll das, <strong>Valérie</strong>?<br />

Du bist heute noch verrückter als beim letzten mal.<br />

Meine Fre<strong>und</strong>in muss ständig singen. Ich halte sie als<br />

Gesangssklavin, nur habe ich leider gar keine.“<br />

lautete <strong>Uli</strong>s Antwort. Ob sich daran etwas änderte,<br />

zeigte sich für die beiden in den folgenden <strong>Jahreszeiten</strong>.<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 2 von 46


<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> Inhalt<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> - <strong>Jahreszeiten</strong>............................................................. 4<br />

Schlechte Laune..............................................................................4<br />

Veränderungen................................................................................ 4<br />

Öko-Freak.......................................................................................6<br />

Bei Kerzenschein im Runkelrübenhaus.................................................7<br />

Morgen alles vergessen?................................................................... 9<br />

Eine schöne Frau treffen..................................................................10<br />

Die keusche Diva............................................................................10<br />

Gesangssklavin.............................................................................. 12<br />

Auf drei Bühnen spielen..................................................................13<br />

Anderes Leben in der 'Freien Republik'..............................................15<br />

Warenfetischistin............................................................................ 16<br />

L’elisir d’amore...............................................................................18<br />

Herbststurm.................................................................................. 19<br />

Die Entwicklung macht Angst........................................................... 20<br />

Begehrst du mich eigentlich?...........................................................21<br />

Ulrike........................................................................................... 23<br />

Eine andere <strong>Valérie</strong>.........................................................................24<br />

In rasender Rache.......................................................................... 25<br />

Die Seele weint.............................................................................. 26<br />

Verstehen <strong>und</strong> nicht beurteilen......................................................... 27<br />

Verrückte Hühner <strong>und</strong> starke Frauen.................................................28<br />

Dicke Schmiermittel........................................................................29<br />

Warum hast du dir keins gemacht?...................................................31<br />

Keine Brut hinterlassen................................................................... 33<br />

Wenn ich deine Augen sehe.............................................................34<br />

'No Name' Baby............................................................................. 35<br />

Malas Weg ins Paradies...................................................................36<br />

Sklavenmentalität..........................................................................37<br />

Kaffee mit Mala.............................................................................. 37<br />

Primaballerina................................................................................38<br />

Assistenzprofessorin....................................................................... 39<br />

Gott mag die Frauen nicht...............................................................40<br />

Mein Ulysse <strong>und</strong> seine Komödiantin...................................................42<br />

Wertvoller Kuss.............................................................................. 43<br />

Sinfonie der vier <strong>Jahreszeiten</strong>...........................................................43<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 3 von 46


<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> - <strong>Jahreszeiten</strong><br />

Schlechte Laune<br />

Jede Jahreszeit hat ein Bild, ja sogar einen Klang. Es gibt eine Vielzahl von<br />

Musikstücken, deren Klanggemälde die jeweilige Jahreszeit versinnbildlichen.<br />

Am bekanntesten sind wohl Antonio Vivaldis Violinkonzerte „Die vier <strong>Jahreszeiten</strong>“.<br />

Aber auch jeder Mensch hat ein Bild, das ihm sofort gegenwärtig ist,<br />

wenn jemand eine Jahreszeit erwähnt, oder wenn du selber daran denkst. In<br />

der Regel ist es das Bild von einem Tag, der dir für diese Jahreszeit repräsentativ<br />

erscheint. An die warmen goldigen Herbsttage vom letzten Jahr wirst du dabei<br />

nicht denken. Das Bild vom Herbst vermittelt immer Totensonntagsstimmung,<br />

grauer Wolkenteppich, der es gar nicht richtig hell werden lässt, Nieselregen,<br />

<strong>und</strong> die kahlen Bäume recken ihre dunklen Äste den Fingern der Hand<br />

des Todes ähnlich in den Himmel. Freude, Glück <strong>und</strong> lustig sein passen nicht zu<br />

diesem Bild. Tristesse dominiert, wenn du an den Herbst denkst. Jeder hat seine<br />

Vorlieben, den einen verzücken die weißen Schneehauben an Wintertagen,<br />

der andere spürt in sich selbst neues Leben wachsen, wenn er sonnige Frühlingstage<br />

mit den Knospen <strong>und</strong> ersten Blumen erlebt. <strong>Uli</strong>s Favoriten waren<br />

Sommertage ohne Bruthitze <strong>und</strong> drückende Schwüle. Er liebte die sanfte Wärme<br />

<strong>und</strong> den lauen Sommerwind, der seine hauchzarten Wellen vorbei streichen<br />

ließ. Als Tage des Glücks empfand er sie. Genauso ein Tag wie heute, nur <strong>Uli</strong><br />

empfand nicht so. Es war ihm selber aufgefallen, dass seine gedrückte Stimmung<br />

nicht zum Eindruck passte, die dieser Tag vermittelte. Wieder <strong>und</strong> wieder<br />

hatte er nach Gründen gesucht, aber nichts, kein Ärger, kein Misserfolg. Es gab<br />

keinen Anlass für seine schlechte Laune. Vielleicht streikten heute seine Dopamin<br />

<strong>und</strong> Serotonin Rezeptoren. Hatte er sich außergewöhnlich ernährt? Keine<br />

Ahnung. Oder sah so vielleicht der Anfang zur Entwicklung von Depressionen<br />

aus? Am besten sofort zum Arzt gehen, <strong>und</strong> sagen: „Ich bin heute so schlecht<br />

gelaunt. Ich bekomme bestimmt Depressionen. Helfen sie mir.“. Morgen wäre<br />

alles vergessen. Bei einem heißen Espresso den quirligen Menschen in der Fußgängerzone<br />

zuschauen, würde ihn bestimmt schon auf andere Gedanken bringen.<br />

Nur heute schien die gesamte Stadt unterwegs zu sein. Alle Straßencafés<br />

waren voll. Da vorne saß eine einzelne Frau allein an einem Tisch. <strong>Uli</strong> fragte,<br />

sie lächelte <strong>und</strong> bat ihn, Platz zu nehmen. Die Frau war etwa im Alter seiner<br />

Mutter, nein, nein, sie war eindeutig jünger. Vielleicht lag es aber auch nur an<br />

ihrem Erscheinungsbild. Trotz ihres sommerlich, luftigen Kleidchens machte sie<br />

einen sehr gepflegten Eindruck. <strong>Uli</strong> empfand sie schlicht als elegant. Seine<br />

Mutter hielt er dagegen eher für bieder.<br />

Veränderungen<br />

Als <strong>Uli</strong> Platz genommen hatte, blickten die warmen, braunen Augen der Frau<br />

<strong>Uli</strong> wieder an, die Frau lächelte wieder <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> lächelte zurück. Bewusst schauten<br />

sie jetzt in andere Richtungen, aber es ist nicht so leicht, seinen Tischnachbarn<br />

nicht auch mal anzuschauen. Wieder dieses gegenseitige Lächeln. Warum<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 4 von 46


zeigte man sich nicht die Zähne, anstatt Fre<strong>und</strong>lichkeit vorzuspielen. Ein<br />

Friedensangebot stellte das Lächeln dar, 'Der Friede sei mit dir.' sollte es wohl<br />

heißen. Die Mimik um die milden Augen der Frau, ließen <strong>Uli</strong> aber vermuten,<br />

dass sie nicht nur Frieden sondern auch Dominantes anzubieten hattte. <strong>Uli</strong> war<br />

es peinlich. Er müsse jetzt mal etwas sagen. Immer konnte er drauf los reden,<br />

aber jetzt schien alles blockiert. Bei der Frau hatten sich wohl ähnliche<br />

Empfindungen entwickelt, nur sie sprach: „Man ist immer wieder erstaunt, wie<br />

schnell sich alles verändert. Im letzten Jahr ...“ sie unterbrach sich <strong>und</strong> fuhr<br />

fort, „Entschuldigung, was rede ich für ein Gewäsch, aber man kann sich doch<br />

nicht nur immer anschauen <strong>und</strong> lächeln. Warum sagen sie denn nichts?“ „Wenn<br />

man so dicht beieinander am Tisch sitzt, reden Menschen gewöhnlich<br />

miteinander. Das denke ich auch. Was sie gesagt haben mit den<br />

Veränderungen, das halte ich überhaupt nicht für Gewäsch. Ich finde es sehr<br />

wichtig, sie wahrzunehmen <strong>und</strong> zu beobachten.“ bemerkte <strong>Uli</strong> dazu. „Wenn sie<br />

reden <strong>und</strong> lächeln, sehen sie schon viel besser aus. Sie blicken, als ob heute<br />

Volkstrauertag wäre. Sind sie traurig oder haben sie Ärger, wenn ich das fragen<br />

darf.“ reagierte die Frau. „Nein, nein, es ist nur ziemlich viel Stress mit dem<br />

Studium. Sie müssen ackern, bis es nicht mehr geht, <strong>und</strong> dabei handelt es sich<br />

nicht gerade um etwas, das sie erfreut <strong>und</strong> glücklich sein lässt.“ log <strong>Uli</strong>, <strong>und</strong><br />

die Frau blickte auch skeptisch. Dass Studenten <strong>und</strong> Studentinnen wegen der<br />

vielen Arbeit in der Regel griesgrämig blickten, war ihr noch nicht aufgefallen.<br />

„Warum sind ihnen die Veränderungen so wichtig? Ich halte sie nur für<br />

erstaunlich.“ fragte die Frau. „Sehen sie, es verändert sich ständig etwas. Alles<br />

was getan wird, hat eine irgendwie geartete Veränderung zur Folge. Das<br />

meiste nehmen wir gar nicht wahr. Fast alle Veränderungen geschehen aber<br />

nicht einfach so schicksalhaft, sondern sie sind mit Intentionen <strong>und</strong> Interessen<br />

verb<strong>und</strong>en. Der Optiker da vorne zum Beispiel hat das Outfit seines Geschäftes<br />

sicherlich nicht verändert, weil es so seinem Geschmack entspricht. Er muss<br />

gegen Fielmann bestehen, <strong>und</strong> da bemüht er Architekten <strong>und</strong> Designer, die mit<br />

ihrer Marketingästhethik dem Laden ein prägnantes, einladendes Äußeres<br />

vermitteln. Aber so etwas sind im Gr<strong>und</strong>e Kinkerlitzchen. Entscheidend sind ja<br />

die großen, meistens weltweiten Veränderungen, die wir vorher gar nicht<br />

erträumen konnten, weil sie <strong>und</strong>enkbar waren.“ antwortete <strong>Uli</strong> der Frau. „Und<br />

woran genau denken sie jetzt dabei?“ wollte sie wissen. „Meine Mutter hat zum<br />

Beispiel erzählt, dass es in ihrer Kindheit weit <strong>und</strong> breit nur ein Telefon gab,<br />

<strong>und</strong> das stand bei einer Hebamme. Wenn man dringend den Arzt anrufen<br />

musste, ging man zur Telefonzelle oder eben zur Hebamme. Den Wunsch,<br />

selbst einen Telefonanschluss zu haben, hätte man nicht gekannt. Was sollte<br />

man damit? Immer den Arzt oder eine Behörde anrufen? Die anderen hatten ja<br />

auch kein Telefon. Heute ist es offensichtlich zu einem neuen Körperteil<br />

geworden. Haben sie schon mal junge Menschen ohne ein Handy am Ohr über<br />

den Bürgersteig gehen sehen? Ständig wird telefoniert, einen Anlass braucht es<br />

nicht. Der Anlass ist, das Handy zu benutzen. Überall wird telefoniert, selbst in<br />

Geschäften. „Hallo Rolf, bei Aldi haben sie gerade wieder diesen Pumpernickel<br />

in den blauen Dosen. Sicher kennst du Pumpernickel, ist wie Vollkornbrot nur<br />

viel dunkler. Bestimmt hast du das schon gegessen. Auf Empfängen gibt es das<br />

immer als Unterlage für Käsehäppchen. Na hör mal, das ist die einzige<br />

westfälische Spezialität. Nein stimmt nicht, den westfälischen Schinken gibt’s<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 5 von 46


ja auch noch. Aber der ist ja auch nicht mehr, was er früher mal war. Da hat er<br />

ewige Zeiten über einem richtigen Herdfeuer gehangen, das jeden Abend<br />

angezündet wurde. Ich seh' noch das Bild, wie meine Oma sich den großen<br />

Schinken vor die Brust nahm <strong>und</strong> dann mit dem Küchenmesser hauchdünne<br />

Scheibchen abschnitt. Hauchdünn müssen sie sein, sonst schmeckt's nicht. Wir<br />

Kinder haben darum gestritten, wer die nächste Scheibe bekommt. Da<br />

entwickelte sich Geschmacksempfinden. Die Kids heute, die den ganzen Tag<br />

nur Nutella fressen <strong>und</strong> Kola saufen, bei denen sind die Geschmackspapillen<br />

doch verkümmert, wenn sie erwachsen sind. Du Rolf, wir müssen uns<br />

unbedingt mal wieder treffen, aber jetzt muss ich Schluss machen. Ich steh<br />

nämlich an der Kasse. Tschau Rolf, Mach's gut.“ Die breiten Lippen <strong>und</strong> die<br />

ganze Mimik verkündeten neben dem stummen Lachen das Amüsement, das<br />

<strong>Uli</strong>s Spiel der Frau bereitet hatte. „War ich bei Aldi, oder haben sie das jetzt so<br />

frei erf<strong>und</strong>en?“ erk<strong>und</strong>igte sie sich. „Eine absolute Nullwert Kommunikation, die<br />

können sie doch jederzeit zu allem führen <strong>und</strong> wird bei den meisten<br />

Gesprächen wahrscheinlich auch praktiziert.“ meinte <strong>Uli</strong>. „Der Mensch redet<br />

eben gern, dazu ist er ja auch gemacht. Schweigen gefällt ihm nur manchmal.<br />

Wir wollten uns ja auch lieber unterhalten, als stumm nebeneinander zu<br />

sitzen.“ entgegnete die Frau. „Im Prinzip gebe ich ihnen schon Recht, nur sie<br />

wollten ja auch kein Gewäsch plappern. Sich über Veränderungen zu<br />

unterhalten, die Menschen bewirken <strong>und</strong> dabei unser aller Lebensbedingungen<br />

gravierend verändern, ist doch kein Gespräch über Pumpernickel, das sie gar<br />

nicht kennen.“ meinte <strong>Uli</strong> dazu. „Ja, schon, die ganze Handykultur ist ja nicht<br />

uninteressant, aber ich muss ihnen sagen, dass ich für mich froh bin, dass es<br />

so etwas gibt. Diejenigen, die damit unsinnige Gespräche führen, interessieren<br />

mich weniger.“ erwiderte die Frau. „Das meine ich doch auch nicht.“ <strong>Uli</strong> darauf,<br />

„Bei den Handys gibt es sicherlich Schlimmeres als die damit<br />

zusammenhängende Gesprächskultur. Dass die Menschen Emissionen<br />

produzieren, die klimaverändernd sind <strong>und</strong> unabsehbare Folgen haben, das<br />

aber nicht stoppen wollen. Dass man Schiffe <strong>und</strong> Techniken entwickelte, mit<br />

denen man die Meere leer fischte. Von Ähnlichem gibt es endlos mehr. Wenn<br />

der Mensch auch nicht des Menschen Wolf ist, aber er zerstört seine Welt, die<br />

ihm gar nicht gehört.“ erklärte <strong>Uli</strong> engagiert.<br />

Öko-Freak<br />

Die Frau schwieg, machte große Augen, <strong>und</strong> dann entwickelten sich in der Mimik<br />

um ihre Augen, in der <strong>Uli</strong> schon längst nichts Dominantes mehr erkennen<br />

konnte, schelmische Züge. „Bist auch so ein Öko Freak, nicht wahr?“ sagte sie,<br />

„Hast bestimmt einen Baum als Fre<strong>und</strong>.“ Die Frau war erschrocken über sich<br />

selbst. Weshalb hatte sie Lust, den ihr unbekannten jungen Mann zu provozieren,<br />

<strong>und</strong> dann hatte sie ihn einfach geduzt, aber was sie gesagt hatte, ging mit<br />

'sie' auch nicht. <strong>Uli</strong> stutzte auch über das Gehörte, aber seine Tristesse war<br />

längst verschw<strong>und</strong>en. „Alle Bäume sind meine Fre<strong>und</strong>e,“ antwortete er mit<br />

leichtem Schmunzeln, „nur die in den grässlichen Monokulturen nicht. Das sind<br />

ja keine Bäume, das ist kein Wald, sondern Betriebsgelände der Holz- <strong>und</strong> Papierindustrie,<br />

auf dem sie den Waldboden zerstören. Das ist widernatürlich, es<br />

gehörte verboten. Immer wenn die Menschen etwas zur Profitmaximierung<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 6 von 46


tun, läuft es dem Natürlichen zuwider. Ist dir denn persönlich das Natürliche<br />

nicht auch lieber?“ fragte <strong>Uli</strong>, die Frau bewusst duzend. Die hatte verstanden<br />

<strong>und</strong> grinste. „Ist ja meine Schuld. Macht aber nix. Nur sollten wir uns dann<br />

auch wenigstens sagen, wie wir heißen. Mein Name ist <strong>Valérie</strong>.“ sagte sie.<br />

Nachdem <strong>Uli</strong> gesagt hatte, wie er hieße, lächelten sie sich doch wieder an, jetzt<br />

aber anders, keine gespielte Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> nicht verlegen wie zu Anfang.<br />

„Natürlich? Ich weiß nicht, ob das immer richtig <strong>und</strong> besser ist. Alles ist doch<br />

von Menschen be- <strong>und</strong> verarbeitet. Dein Hemd ist doch auch bestimmt aus<br />

irgendeinem Polyamid oder ähnlichem Kunststoff.“ <strong>Valérie</strong> zur Natürlichkeit.<br />

„Soll ich mir einen Jutesack überhängen?“ fragte <strong>Uli</strong>, „Ich verstehe 'natürlich'<br />

umfassender. Jede Autobahn zerstört ein Stück natürliches Leben <strong>und</strong> jeder<br />

asphaltierte Parkplatz ebenso. Mich faszinieren die Regionen auf der Erde, in<br />

denen die Natur für sich lebt, Steppen, Savannen, Wüsten, Urwald. Hier zeigt<br />

sie dem Menschen, dass er nicht gebraucht wird, dass die Welt ohne ihn leben<br />

kann. Da, wo er regulierend eingegriffen hat, in den Kulturländern, hat er das<br />

meiste zerstört. Vergiftete Böden, ausgestorbene Pflanzen <strong>und</strong> Tiere, der<br />

Mensch ist nicht mehr Teil der Natur, ist nicht mehr natürlich.“ „Aber, Gott lob,<br />

wirst du das ja alles wieder ändern.“ scherzte <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> lachte. „Was willst du<br />

denn tun? Nur daneben stehen <strong>und</strong> zuschauen, wie andere aktiv dabei sind, es<br />

so weiter zu betreiben?“ <strong>Uli</strong> darauf. „Also, ich, die Umwelt retten? Meinst du<br />

nicht, dass es für mich 'ne Nummer zu groß sein könnte?“ wollte <strong>Valérie</strong><br />

wissen. „So darfst du das nicht sehen. Du musst nur wissen, auf welcher Seite<br />

du stehst. Wenn du weißt, dass du gegen die Zerstörung der natürlichen<br />

Lebensgr<strong>und</strong>lagen bist, wirst du viele treffen, die genauso denken wie du, <strong>und</strong><br />

die alle irgendwo irgendetwas dagegen tun. Das solltest du auch, irgendwo<br />

anfangen.“ erklärte <strong>Uli</strong>.<br />

Bei Kerzenschein im Runkelrübenhaus<br />

„Na ja, das mit der Klimaerwärmung gefällt mir ja auch nicht, wohl niemandem,<br />

aber ansonsten habe ich zu der ganzen Ökowelt keinen Bezug. Ich kaufe<br />

keine Bioprodukte <strong>und</strong> trage auch keine wollene Unterhose.“ erklärte sich<br />

<strong>Valérie</strong>. Obwohl <strong>Uli</strong> dazu etwas Kritisches sagen wollte, fand er es lustig, lachte<br />

<strong>und</strong> meinte: „Seide, du könntest ja auch ein Seidenhöschen tragen. Das ist<br />

auch Natur.“ „Würde dir das gefallen? Ja?“ fragte <strong>Valérie</strong> grinsend, „Was trägst<br />

du denn, Schiesser Doppelripp mit Eingriff, oder so etwas?“ „Ist das ein interessantes<br />

Thema, bei dem wir gelandet sind? Am besten führen wir sie uns vor,<br />

dann wissen wir Bescheid <strong>und</strong> können das Thema abschließen.“ lautete <strong>Uli</strong>s<br />

Vorschlag. Ob das ihr Unbewusstes war? Sie hätte ja alles Mögliche benennen<br />

können. War sie auf Unterhose gekommen, weil sie sich eigentlich neue Sets<br />

kaufen wollte? Sie war frustriert, dass sie nur ein passables gef<strong>und</strong>en hatte.<br />

Als sie am Café vorbei kam, meinte sie, Kaffee <strong>und</strong> ein Stück Kuchen könne<br />

den Frust vertreiben. Nach Hause wollte sie nicht direkt. Wegen des schönen<br />

Wetters war sie auf die Idee gekommen, raus zu gehen <strong>und</strong> nicht weil sie unbedingt<br />

neue Dessous brauchte. „Aber du hast dir doch eine Frau, wahrscheinlich<br />

mich, in einer gestrickten Unterhose vorzustellen versucht. Worüber sonst<br />

hast du gelacht. Tust du das öfter, stellst du dir öfter Frauen in Unterhosen<br />

vor?“ versuchte <strong>Valérie</strong> <strong>Uli</strong> weiter zu provozieren. Warum sie Lust dazu hatte,<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 7 von 46


konnte sie nicht festmachen. Sicher sprach er ernst <strong>und</strong> machte sich ernsthafte<br />

Gedanken. Aber das war nicht übertrieben, <strong>und</strong> sich deshalb über ihn lustig zu<br />

machen, das konnte es nicht sein. Bestimmt war ihr Frust verflogen <strong>und</strong> diese<br />

Art von Sommertagen ließ einen auch unbeschwert empfinden <strong>und</strong> vermittelte<br />

ein Hintergr<strong>und</strong>gefühl, das einer leichten Hochstimmung glich. Da hatte man<br />

eben schon mal Lust auf Jux <strong>und</strong> Albernheiten. <strong>Uli</strong> durchschaute es. „Muss das<br />

sein? Natürlich denke ich ständig an Frauen in Unterhosen. Nicht nur mein<br />

ganzer Kopf ist davon voll, auch in meiner Wohnung sind die Wände voll von<br />

Bildern mit Frauen in Unterhosen. Jetzt weißt du Bescheid. Reicht das zum<br />

Thema 'Unterhosen'?“ reagierte <strong>Uli</strong>, aber keineswegs böse oder genervt. „Habe<br />

ich dich geärgert? Das tut mir leid. Das wollte ich nicht.“ erklärte <strong>Valérie</strong> mit<br />

Augen, die dabei lachten. „Valerie, sollen wir uns nicht wieder normal<br />

unterhalten, wie vorhin? Du hast zum Beispiel gesagt, dass du keine<br />

Bioprodukte kaufst, warum nicht?“ <strong>Uli</strong> darauf. „Ich glaube es liegt am Wetter.<br />

Mir geht’s zu gut, <strong>und</strong> dann bin ich im Moment ja auch völlig frei, keine Arbeit,<br />

keine sonstigen Verpflichtungen. Dein Tiefdruckgebiet scheint sich aber auch<br />

verzogen zu haben. Genau kann ich es überhaupt nicht sagen, warum ich keine<br />

Bioprodukte kaufe. Die Öko-Bio-Welt ist nicht meine Welt. Ich habe dabei<br />

immer Bilder vor Augen, die nicht zu meinem Leben passen. Ich empfinde das<br />

auch nicht als natürlich, es ist ihre Ideologie oder Theorie, die das so sehen<br />

möchte. Zu einem natürlichen Leben gehört auch, dass ich ins Konzert oder die<br />

Oper gehe <strong>und</strong> nicht die Abende bei Kerzenschein in meinem Runkelrübenhaus<br />

verbringe.“ versuchte <strong>Valérie</strong> ihre Einstellung zu verdeutlichen. <strong>Uli</strong> lachte <strong>und</strong><br />

fragte: „Muss es unbedingt ein Runkelrübenhaus sein? Der bekannteste Mann,<br />

der zurück zur Natur wollte, hat für einige Zeit in einem Holzhaus gelebt. Du<br />

hast Klischeebilder, Valerie, übelste Klischees. Mag sein, dass es den einen<br />

oder anderen gibt, der es ideologisch überhöht <strong>und</strong> nur Dinge liebt, die sich<br />

ihm in grober Textur <strong>und</strong> in Farben der Mutter Erde präsentieren, aber darüber<br />

würden die meisten Bioprodukt Hersteller auch nur müde lächeln. Das sind in<br />

der Regel sehr rational denkende Menschen <strong>und</strong> ausgezeichnete Ökonomen,<br />

<strong>und</strong> warum sollte es ein Problem sein, in die Oper zu gehen, wenn sie Musik<br />

mögen? Die ganze Milchproduktion gleicht einer technologisierten Fabrik, wenn<br />

da jemand Kühe fressen lässt, was sie gewöhnlich fressen <strong>und</strong> sie frei auf der<br />

Weide laufen lässt, empfinden wir das als sonderbar <strong>und</strong> ungewöhnlich.<br />

Jemand der sagt, ich mach das nicht mehr mit <strong>und</strong> aus dieser widernatürlichen<br />

Praxis aussteigt, seine Tiere natürlich leben lässt <strong>und</strong> nach Wegen sucht,<br />

ökonomisch trotzdem zurecht zu kommen, belächeln wir <strong>und</strong> finden es<br />

sonderbar. Das Widernatürliche ist uns zum Gewöhnlichen, Natürlichen<br />

geworden. Wir sind pervers, merken es nicht, <strong>und</strong> das nicht nur bei der Milch.“<br />

<strong>Uli</strong> zum Öko-Leben. „Mag sein, dass ich da ein unbewusstes Ekelpotential<br />

habe, das ich, wahrscheinlich zu Unrecht, mit den Öko-Freaks verbinde. Diese<br />

apodiktischen Verkündigungen, das ist ja zum Teil schlimmer als in der Kirche.<br />

Ich muss mich als böse, umweltzerstörend empfinden, wenn ich normale statt<br />

Bio-Steaks esse.“ <strong>Valérie</strong> darauf. „Das sind fleißig geschürte Vorurteile. Ein<br />

vernünftiger Mensch wird so etwas nicht erklären. Die Agrarindustrie möchte,<br />

dass die Bevölkerung es so sieht. Aber erklär mir doch mal, was normale<br />

Steaks sind. Mit Hochleistungsfutter, wachstumsfördernden Hormonen <strong>und</strong><br />

Antibiotika gezüchtetes Fleisch, oder von Tieren, die nur das gefressen haben,<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 8 von 46


wovon sich diese Tiere natürlich ernähren?“ fragte <strong>Uli</strong>. „Ich glaube, ganz<br />

Unrecht hast du nicht. Dann müsste man eigentlich das andere kennzeichnen,<br />

weil biologisch dynamisch das Natürliche ist, nicht war?“ <strong>Valérie</strong> war es kein<br />

Scherz, aber sie schmunzelte trotzdem dabei. „Jedenfalls hast du mir die<br />

Absolution erteilt. Ich darf auch etwas anderes kaufen, <strong>und</strong> dann kann ich auch<br />

Bio-Sachen kaufen. Gibt es eigentlich Untersuchungen darüber, ob sich bei<br />

Menschen, die sich von Bio-Produkten ernähren, körperlich etwas verändert?<br />

Werden sie größer, stärker, fiter, schlauer, <strong>und</strong> bleiben sie immer ges<strong>und</strong>?“<br />

wollte <strong>Valérie</strong> wissen. „Ich habe schon mal davon gehört, aber Genaues weiß<br />

ich nicht. Ich fühle mich einfach besser dabei. Die technologisierte Welt hat<br />

mich sowieso schon total im Griff, <strong>und</strong> da bin ich froh, wenn das, was ich zu<br />

mir nehme, nicht auch noch ihre Produkte sind, sondern ganz natürliche<br />

Lebensmittel.“ „<strong>Uli</strong>, es hat mir sehr gut gefallen, <strong>und</strong> ich bin froh, dich<br />

getroffen zu haben, aber wir haben schon sehr lange geredet. Ich habe keinen<br />

Kaffee mehr <strong>und</strong> mein Kuchen ist auch aufgegessen, ich werde jetzt nach<br />

Hause fahren.“ erklärte <strong>Valérie</strong>. „Ja, solche Gespräche würde ich gern öfter<br />

erleben. Ich denke, dass ich sonst auch viel plaudere, aber heute, das war sehr<br />

angenehm.“ <strong>Uli</strong> darauf. „Meinst du, wir sollten uns wiedertreffen? Nein, nicht<br />

wahr?“ fragte <strong>Valérie</strong>. <strong>Uli</strong> sah auch keinen Gr<strong>und</strong>. Valerie bestätigte ihn <strong>und</strong><br />

sah ebenfalls keinen Gr<strong>und</strong>. Beide hielten mit mehrfachen Begründungen ein<br />

erneutes Treffen für nicht erforderlich, merkten aber auch, das man nicht<br />

ehrlich war, sondern sagte, was man meinte, sagen zu müssen, sich eigentlich<br />

aber gern wiedertreffen würde, nur keinen allgemein plausiblen Gr<strong>und</strong> dafür<br />

nennen konnte. „Also nächsten Donnerstag wieder hier zur gleichen Uhrzeit?“<br />

beendete <strong>Valérie</strong> durch einen Schnitt die Diskussion zur Überflüssigkeit eines<br />

erneuten Treffens. <strong>Valérie</strong> ging's wirklich gut. Bei der Verabschiedung gab sie<br />

<strong>Uli</strong> noch einen Gruß an seinen Baum mit, <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> freute sich, dass es ihr gefiel,<br />

ihn zu necken.<br />

Morgen alles vergessen?<br />

Was war ihr da geschehen? Auf dem Weg zum Auto konnte <strong>Valérie</strong> es gar nicht<br />

fassen. Da hatte sie st<strong>und</strong>enlang mit diesem jungen Mann geredet zu einem<br />

Thema, das sie sonst nicht im Entferntesten tangierte. Und es hatte ihr sogar<br />

gefallen. War der Inhalt beliebig? Vielleicht. Natürlich bekam sie in den News<br />

hin <strong>und</strong> wieder etwas mit, aber der ganze Umweltbereich lag außerhalb ihres<br />

alltäglichen Horizontes. Sie kaufte auch nicht deshalb keine Bio-Produkte, weil<br />

sie etwas gegen die Ökos hatte, das war im Moment frei erf<strong>und</strong>en. Sie kaufte<br />

einfach das, was sie gewohnt war zu kaufen, <strong>und</strong> mit dem sie zufrieden war.<br />

Im Übrigen kaufte Mala das meiste ein, <strong>und</strong> was sie kaufte war o. k.. Sollte sie<br />

ihr sagen, dass sie demnächst Bio-Produkte kaufen müsse? Alles Quatsch,<br />

morgen wäre alles vergessen. Vielleicht auch nicht. Es schien <strong>Valérie</strong>, als ob sie<br />

heute für einen Kaffee in einer anderen Welt gewesen sei. Außerhalb ihrer Welt<br />

zu Hause <strong>und</strong> in der Firma. Selbst anders erlebt hatte sie sich, aber da wusste<br />

sie nicht, ob es mehr am Wetter oder an dem traurigen jungen Mann lag. Was<br />

ihn wohl wirklich bedrückte? Aber allzu schlimm konnte es ja nicht sein, wenn<br />

es bei ihrem Gespräch verschwand. Ob er auch etwas mit Ökologie, also Biologie<br />

studierte. Nein, so sah er nicht aus. Die Biologen ziert doch in der Regel als<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 9 von 46


Aperçu ein leicht rustikales Flair. Etwas Naturverb<strong>und</strong>enes war an <strong>Uli</strong>s<br />

Erscheinungsbild nicht auszumachen. Was er wohl studierte? <strong>Valérie</strong> würde ihn<br />

beim nächsten mal fragen. Bestimmt redeten sie wieder über Umwelt <strong>und</strong> Bio-<br />

Produkte, aber deshalb lag ihr nicht an einem erneuten Treffen. Die gesamte<br />

Situation, die Atmosphäre, die Stimmung hatte ihr gefallen, aber ganz genau<br />

konnte <strong>Valérie</strong> es für sich gar nicht formulieren. Es hatte ihr einfach sehr gut<br />

gefallen, ihr Spaß gemacht, sie hatte sich wohl gefühlt.<br />

Eine schöne Frau treffen<br />

<strong>Uli</strong> sinnierte. Es reicht nicht aus, dass dir nichts Unangenehmes widerfahren<br />

ist, du brauchst ein Erlebnis, das dich erfreut, <strong>und</strong> das hält dann vor, sogar für<br />

einen ganzen Tag. Vielleicht nur eine schöne Frau treffen. „<strong>Uli</strong>, was bist du für<br />

ein Idiot?“ dachte er <strong>und</strong> schüttelte den Kopf, als ob er so unerwünschte Gedanken<br />

wieder los werden könne. Er hatte doch keine schöne Frau getroffen.<br />

So ein Unsinn. <strong>Valérie</strong> gefiel ihm allerdings schon sehr gut, sie anzuschauen,<br />

vor allem ihre sich verändernde Mimik, schmeichelte seinen Augen <strong>und</strong> veranlasste<br />

einen leichten Kitzel. Ob sie schön war? <strong>Uli</strong> konnte es gar nicht sagen.<br />

Das beurteilte man doch in der Regel nach der Harmonie von Gesichtszügen<br />

entsprechend dem goldenen Schnitt, dafür hatte <strong>Valérie</strong> sicher ein viel zu markantes<br />

Gesicht. Für <strong>Uli</strong> war <strong>Valérie</strong> jedenfalls sehr schön. Das Auge vermisst ja<br />

nicht die Proportionen, sondern setzt den visuellen Eindruck in Bezug zu den<br />

übrigen Wahrnehmungen, <strong>und</strong> da entsprach <strong>Uli</strong>s Bild von <strong>Valérie</strong> bestimmt dem<br />

Ideal von kalós kagathós ,"schön <strong>und</strong> edel". Aber der Sommer war ja nicht in<br />

sein Gemüt zurückgekehrt, weil er <strong>Valérie</strong> angeschaut hatte. Mit solchen Leuten<br />

hatte er sonst nichts zu tun. Er war kein großer Umweltschützer oder Ökologe,<br />

was er gesagt hatte, gehörte zum allgemeinen Verständnishintergr<strong>und</strong><br />

der Menschen, mit denen er zu tun hatte. Mit Leuten wie <strong>Valérie</strong> hätte er sich<br />

eigentlich gar nicht unterhalten. Warum er es doch getan, <strong>und</strong> es ihm sogar<br />

Freude gemacht hatte, konnte er sich nicht erklären. Vielleicht waren es gar<br />

nicht die Inhalte, die ihn stören oder erfreuen konnten. Es war vieles, nicht nur<br />

<strong>Valérie</strong>s Anblick gefiel <strong>Uli</strong>, auch ihre Lust, ihn zu provozieren, ihre Stimme hörte<br />

er gern <strong>und</strong> ihr Lächeln erwärmte <strong>Uli</strong>s Gemüt. Er beschloss für sich, es sei<br />

das Ensemble aller Eindrücke dieses ungewöhnlichen Erlebnisses gewesen, das<br />

offensichtlich die Produktion von Glückshormonen bei ihm wieder angeregt<br />

hatte. <strong>Valérie</strong> tat gut gegen schlechte Laune. <strong>Uli</strong> mochte sie, <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong> fände<br />

ihn mit Sicherheit nicht unsympathisch. Warum sie ihn wohl nochmal sehen<br />

wollte, einen triftigen Gr<strong>und</strong> konnte sie doch auch nicht haben. Dass sie noch<br />

Näheres <strong>und</strong> mehr zu Bio, Öko <strong>und</strong> Umweltzerstörung hören wollte, glaubte <strong>Uli</strong><br />

eher nicht. Vielleicht hatte sie ja auch schlechte Laune gehabt, was man ihr<br />

nur nicht ansah, <strong>und</strong> die war durch das Gespräch bei ihr genauso verschw<strong>und</strong>en.<br />

Wenn sie sich wieder träfen, würde er sie bestimmt besser kennenlernen.<br />

Die keusche Diva<br />

Heute war es nicht so voll. Ein Sommertag, aber heiß <strong>und</strong> extrem schwül war<br />

es. Gewitter hatte man für den Abend angekündigt. Da bewegten sich die Men-<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 10 von 46


schen nicht so gern. Statt etwas zu unternehmen, lagen sie irgendwo schlaff<br />

<strong>und</strong> schwitzten. <strong>Uli</strong> schwitzte auch, als er seine Blicke über die Tische des Straßencafés<br />

gleiten ließ. <strong>Valérie</strong> saß schon da <strong>und</strong> hob ihren Arm. Sie stand auf,<br />

um <strong>Uli</strong> die Hand zu geben. Menschen, die das auch getan hätten, wären unter<br />

seinen Bekannten wohl seltener, meinte <strong>Uli</strong>. Wie alte Bekannte grinsten sie sich<br />

an <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> legte seine zweite Hand auf die beiden sich begrüßenden. „Alle würden<br />

jetzt zuerst mal etwas zum Wetter sagen, wir auch?“ blickte <strong>Uli</strong> <strong>Valérie</strong> fragend<br />

an. Die schüttelte den Kopf <strong>und</strong> meinte: „Dazu ist es viel zu schwül.“ <strong>Uli</strong>s<br />

Kopf beugte sich zu <strong>Valérie</strong>s Ohr <strong>und</strong> flüsterte scherzend: „Na, schon ganz viel<br />

Bio-Milch gekauft?“ „Nein, ich war im Konzert, „Klavierkonzert Nr.3“ von Rachmaninov.<br />

Ich bin jetzt noch ganz erfüllt davon. Früher haben sich weltberühmte<br />

Pianisten nicht getraut, es zu spielen, heute kannst du es bei Prüfungen in<br />

der Musikhochschule hören. Das sind auch Veränderungen, die faszinierend<br />

sind, w<strong>und</strong>ervoll. Nicht nur beim Piano, bei der Violine ist es nicht anders, alles<br />

kleine Zaubergeigerinnen. Gehst Du auch manchmal ins Konzert?“ erk<strong>und</strong>igte<br />

sich <strong>Valérie</strong>. „Leider nur sehr selten, ich würde schon gern öfter Konzerte besuchen,<br />

nur allein? Da muss mich schon etwas besonders interessieren.“ antwortete<br />

<strong>Uli</strong>. „Aber was kann einen denn mehr interessieren als Rachmaninovs drittes,<br />

oder stehst du nicht so auf Piano? Was hörst du denn am liebsten?“ fragte<br />

Valerie nach. „Natürlich mag ich Klavierkonzerte <strong>und</strong> Rachmaninovs drittes besonders,<br />

ich habe es gar nicht mitbekommen, weil ich sowieso alleine gehen<br />

müsste. Bei meinen Bekannten sind wahrscheinlich die Haarzellen des Innenohres,<br />

die für klassische Musik empfänglich wären, auch schon in der Kindheit<br />

verkümmert. Dass ich klassische Musik liebe, liegt bestimmt an meiner Mutter.<br />

Sie spielt nicht schlecht Klavier. Schade, dass ich mich gewehrt habe, es auch<br />

zu lernen. Aber bei mir geht nichts über Opern. Bei den Arien der Sopranistinnen<br />

schmelze ich <strong>und</strong> wünsche mir immer Wiederholungen. Das liegt aber<br />

nicht an meiner Mutter sonder an Maria Callas. Ihr „Casta Diva“, die Cavatine<br />

der Norma aus Vincenzo Bellinis gleichnamiger Oper, hat mich verrückt gemacht.<br />

Immer wieder habe ich es gehört, <strong>und</strong> dann musste ich alles von ihr<br />

hören. Sie ist auch heute noch mein Maßstab, an dem alles gemessen wird. Es<br />

geht ja nicht nur darum, ob die Sängerin den Ton richtig trifft, es gibt eine Vielzahl<br />

von weiteren Aspekten, die entscheidend für das gesamte Klangbild sind.<br />

Jede Stimme hört sich anders an, auch bei Arien genauso wie beim Sprechen.<br />

Bei der Klangbildung ist ja bei jedem vieles beteiligt, vom Bauch bis zu den<br />

Lippen <strong>und</strong> der emotionalen Verfasstheit auch. Völlig Gleiches kann es da,<br />

glaube ich, nicht geben. Jede Stimme hat ein unterschiedliches Timbre.“ meinte<br />

<strong>Uli</strong>. „Und meine Stimme, wie hört sich die an, hat die das richtige Timbre,<br />

würde die auch gut zu „Casta Diva“, der keuschen Diva, passen?“ fragte <strong>Valérie</strong><br />

lachend. „Diva bestimmt, aber keusch, das musst du selbst beurteilen. Ich<br />

denke, deine Stimme passt eher zu „Una voce poco fa“ aus dem Barbier von<br />

Sevilla, die Stimme, die wir gerade jetzt hören. Kennst du, oder?“ meinte <strong>Uli</strong>.<br />

<strong>Valérie</strong> machte einen krausen M<strong>und</strong> <strong>und</strong> schüttelte den Kopf. „Solltest du aber.“<br />

war <strong>Uli</strong>s Ansicht, „Ist fast so schön wie „Casta Diva“. Kann ich dir ja mal mitbringen.<br />

Ach, Quatsch, habe ich doch dabei, auf meinem Laptop, allerdings<br />

nicht mit Maria Callas sondern Cecilia Bartoli, <strong>und</strong> das ist keinesfalls weniger<br />

faszinierend.“ <strong>Valérie</strong> sagte nichts. Was sollte sie auch sagen, es amüsierte sie<br />

nur. Jetzt hörten sie eben im Straßencafé Oper von einem Computer. Sie hat-<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 11 von 46


ten ihre Köpfe dicht an dicht vor dem kleinen Bildschirm des Computers beieinander.<br />

Und ihre Ohren? Nein, im Opernhaus waren die nicht. <strong>Valérie</strong>s Zwerchfell<br />

kitzelte. Es schien so irreal. Von der Seite schaute sie sich <strong>Uli</strong> an, lächelte<br />

<strong>und</strong> strich ihm mit dem Rücken der Finger über seine Wange. Fand sie <strong>Uli</strong> süß?<br />

Nein so nicht, ihr war einfach danach, aber liebevoll war es schon, was sie für<br />

<strong>Uli</strong> empfand. Erstaunt blickte <strong>Uli</strong> sie an <strong>und</strong> formte ein Lächeln, das man nicht<br />

verstehen konnte, genauso wenig wie <strong>Uli</strong> verstand, was es mit dem Streicheln<br />

auf sich hatte. „Ich finde Opern so langweilig. Die Inhalte sind meistens alter<br />

Kitsch <strong>und</strong> dann diese Rezitative. Da kann ich doch besser ins Theater gehen.<br />

Sie sollten die Arien zusammenfassen. Mir gefällt die Oper von Georg Kreisler<br />

am besten.“ erklärte <strong>Valérie</strong> mit Augen, die <strong>Uli</strong> sagten, dass sie nicht sehr<br />

ernst war. <strong>Uli</strong>s Augen blickten nur fragend, aber seine Mimik brachte zum Ausdruck,<br />

dass er <strong>Valérie</strong> nicht traute. „Kennst du nicht?“ fragte die, „Sie ist feurig<br />

<strong>und</strong> wild. Seine Oper ist die schönste von allen. Selbst gehört habe ich sie auch<br />

noch nicht. Ich kenne sie nur aus seiner Beschreibung im Opernboogie.“ Jetzt<br />

war <strong>Uli</strong> ein Licht aufgegangen. „Allerdings, die Oper finde ich auch am schönsten.<br />

Er hat sie ja mit den Opern sämtlicher Komponisten verglichen, auch denen,<br />

die gar keine Opern geschrieben haben. Da muss sie ja die beste sein.<br />

Kennst du noch mehr von Kreisler?“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Uli</strong>. „Ich habe mal einen<br />

Abend mit ihm besucht. „Zwei alte Tanten tanzen Tango“ hatte ich im Radio gehört,<br />

<strong>und</strong> als er hier auftrat, musste ich unbedingt hin. Aber er hat ja nicht nur<br />

die bitteren satirischen Songs geschrieben, auch ganz empfindsam Lyrisches.<br />

Dieses Frühlingsmärchen, „Dreht ein Mädchen namens Mia sich gen Mekka ...“,<br />

zum Beispiel finde ich absolut süß. Was hörst du denn sonst für Musik, wenn<br />

du nicht Maria Callas oder Cecilia Bartoli lauscht?“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Valérie</strong>. „Janis<br />

Joplin ist meine Favoritin, aber genauso gut anderer Jazzgesang, Blues, nur<br />

muss es von Frauen gesungen sein. Ich bin bestimmt ein Frauenstimmen Fetischist.“<br />

erläuterte <strong>Uli</strong>. Bei Fetischist hatte <strong>Valérie</strong> etwas Sexuelles vor Augen.<br />

Menschen, die sich durch Lack <strong>und</strong> Leder oder sonst wo durch erregen, zum<br />

Beispiel. Ob es <strong>Uli</strong> auch erregte, Frauen singen zu hören? Sie lächelte in sich<br />

hinein. „Du hast bestimmt einen Mutti-Komplex, bist schon ganz entzückt, ihre<br />

Stimme zu hören. Magst du deine Mutter sehr?“ fragte <strong>Valérie</strong> mit grinsender<br />

Mimik. „Bestimmt, ich höre in allen singenden Frauen meine Mami, fühle mich<br />

wohl <strong>und</strong> geborgen <strong>und</strong> bin glücklich. Was für eine blöde Frage, <strong>Valérie</strong>. Wer<br />

nicht Stress zu Hause hat, liebt im Allgemeinen seine Mutter, einen Ödipuskomplex<br />

hat er deshalb aber noch lange nicht. Stimmen von Frauen bewegen<br />

mich emotional. Ich weiß gar nicht, welche Assoziationen sie genau wecken,<br />

aber sie stimmen mich freudig <strong>und</strong> beglücken mich.“ erklärte <strong>Uli</strong>.<br />

Gesangssklavin<br />

„Also nur angenehme Empfindungen, kein Fetischist. Deine Fre<strong>und</strong>in braucht<br />

nicht beim Sex zu singen, oder so etwas. Was sagt denn eigentlich deine<br />

Fre<strong>und</strong>in dazu, wenn du so gern andere Frauen singen hörst?“ fragte <strong>Valérie</strong><br />

streng ernst bleibend <strong>und</strong> erwartete mit zusammengepressten Lippen gespannt<br />

<strong>Uli</strong>s Reaktion. Der lachte erst mal stumm <strong>und</strong> fragte: „Was soll das, <strong>Valérie</strong>? Du<br />

bist heute noch verrückter als beim letzten mal. Meine Fre<strong>und</strong>in muss ständig<br />

singen. Ich halte sie als Gesangssklavin, nur habe ich leider gar keine.“ ant-<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 12 von 46


wortete <strong>Uli</strong>. „Oh! Magst du sagen, warum nicht? Du liebst keine Männer, nicht<br />

war?“ reagierte <strong>Valérie</strong>. <strong>Uli</strong> überlegte <strong>und</strong> druckste dann: „Nein, Männer liebe<br />

ich nicht.“ Pause, „Aber es ist so, ich habe offensichtlich Probleme mit Frauen.“<br />

<strong>Valérie</strong> blickte ihn fragend an, ein bisschen näher sollte er es schon erklären.<br />

„Na ja, also, ich mag Frauen schon, bekomme auch näheren Kontakt, aber irgendwann<br />

kommt es zu einem Punkt, an dem du merkst, dass deine Fre<strong>und</strong>in<br />

sich vorstellen könnte oder sich wünscht eine tiefergehende, längerfristige Beziehung<br />

zu dir zu haben, <strong>und</strong> dann bekomme ich Panik. Ich stelle mir vor, dass<br />

sie bei mir wohnt, alles mitbekommt, was ich mache, sie alles für sich bewertet,<br />

ich mich für etwas rechtfertigen muss, alles mit ihr abzustimmen habe<br />

<strong>und</strong>, <strong>und</strong>, <strong>und</strong>. Das ertrag ich nicht, <strong>Valérie</strong>. Die Beziehung muss ich dann ganz<br />

schnell beenden. Ich sage dem Mädchen, was für eine tolle Frau sie ist, es aber<br />

mit uns nichts werden kann. Das habe mit ihr nichts zu tun, sondern läge ausschließlich<br />

an mir. Genaueres lasse ich mir nicht entlocken. Was sie sich wohl<br />

vorstellen? Sie scheinen eher Mitleid mit mir zu haben, auf jeden Fall bleiben<br />

wir w<strong>und</strong>ervolle Fre<strong>und</strong>e. Drei potentielle Fre<strong>und</strong>innen gehören zu meinen<br />

engsten Fre<strong>und</strong>en. Das ist die kurz gefasste Quintessenz meiner Beziehungsversuche.<br />

Jedes mal geht es so. Das weiß ich ja im Voraus, <strong>und</strong> trotzdem lasse<br />

ich mich immer wieder darauf ein, kann es nicht bleiben lassen. Es ist ja auch<br />

sehr angenehm, eine Kommunikation auf ausschließlich wohlwollender, zutraulicher<br />

Basis. Das gibt es sonst doch nirgendwo. So ist es <strong>und</strong> macht ein sehr<br />

gutes Gefühl, aber derart rational läuft das ja gar nicht ab. Das Entscheidende<br />

ist immer ein irgendwie gearteter Reitz, wie ein Kitzel, den du gar nicht beschreiben<br />

kannst. Verstehst du, was ich meine?“ erklärte <strong>Uli</strong> es genau. „Ich<br />

kann da nichts zu sagen, <strong>Uli</strong>, keine Erfahrung. Ich lerne nicht so häufig neue<br />

Jungs kennen.“ reagierte <strong>Valérie</strong> schmunzelnd. Bei leichtem Lächeln ließ<br />

<strong>Valérie</strong> sich das Gehörte zu <strong>Uli</strong>s Liebschaften durch den Kopf gehen. „Brauchst<br />

<strong>und</strong> willst also gar keine Fre<strong>und</strong>in?“ suchte <strong>Valérie</strong> Bestätigung. „Es ist so zwiespältig.<br />

Im Gr<strong>und</strong>e möchte ich schon, aber ich habe Angst vor dem Clinch, von<br />

ihr abhängig zu sein, davor, nicht mehr ich selbst sein zu können.“ <strong>Uli</strong> darauf.<br />

„Wo ist denn da das Problem? Da wären du <strong>und</strong> deine Fre<strong>und</strong>in nicht die ersten<br />

<strong>und</strong> bei weitem nicht die einzigen, die trotz Partnerschaft ein eigenständiges<br />

Leben führen, <strong>und</strong> sich nur treffen, wenn sie beide Lust darauf haben.“ empfahl<br />

<strong>Valérie</strong>. Wieso hatte <strong>Uli</strong> daran eigentlich noch nie gedacht? Machte er jetzt<br />

ein erleuchtetes Gesicht? Nein, er dachte nach <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong> half ihm dabei.<br />

„Kannst also deinen drei Fre<strong>und</strong>innen sagen, es ginge jetzt doch <strong>und</strong> nennst<br />

die Bedingung.“ schlug <strong>Valérie</strong> vor <strong>und</strong> beide lachten. „Oder hast du schon an<br />

eine Kommilitonin gedacht, um die du dich unter diesen Bedingungen gern näher<br />

kümmern würdest?“ fragte Valerie. „Nein, ich kann es nicht fassen <strong>und</strong><br />

auch nicht ertragen, wenn ich bei mir selbst feststellen muss, dass ich auch in<br />

simplen, dummen Klischees gedacht <strong>und</strong> empf<strong>und</strong>en habe. Natürlich braucht<br />

man nicht zusammen zu wohnen, ich setze aber voraus, dass es zwangsläufig<br />

so wäre. Das ärgert mich. Im Übrigen gibt es bei uns so gut wie keine Kommilitoninnen.“<br />

antwortete <strong>Uli</strong>. „Was studierst du denn?“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Valérie</strong>.<br />

„Informatik, aber für die Schule. In die Wirtschaft will ich nicht. Das musste ich<br />

unbedingt machen. Etwas anderes ging nicht.“ lautete <strong>Uli</strong>s Antwort. „Muss man<br />

in der Schule nicht zwei Fächer haben? Was machst du denn noch?“ fragte<br />

<strong>Valérie</strong>. „Geschichte, Geschichte/Politik heißt das dann in der Schule. Das<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 13 von 46


musste auch sein.“ <strong>Uli</strong> darauf.<br />

Auf drei Bühnen spielen<br />

<strong>Valérie</strong> fixierte <strong>Uli</strong>. Ein zukünftiger Lehrer also, das mochte sie gar nicht. Es<br />

passte doch auch nicht zu <strong>Uli</strong>, aber die Schule würde ihn schon passend machen.<br />

Armer <strong>Uli</strong>. „Das passt nicht zu dir, <strong>Uli</strong>. Du bist kein Lehrer.“ sagte <strong>Valérie</strong><br />

nur. „Nein, warum denn nicht? Was bin ich denn sonst.“ wollte er wissen. „Ach,<br />

was weiß ich, du bist ein frischer, aufgeweckter, lustiger, fre<strong>und</strong>licher, junger<br />

Mann. So wie du bist, mag ich dich. Lehrer mag ich nicht. Das sind im Übrigen<br />

sehr unnatürliche Menschen <strong>und</strong> vieles Üble mehr verkörpern sie, finde ich. Ich<br />

habe den Eindruck, dass wir uns sehr gut verstehen, über alles offen reden<br />

können, Spaß miteinander haben, obwohl wir uns im Gr<strong>und</strong>e überhaupt nicht<br />

kennen. Kannst du dir vorstellen, dass so etwas mit einem Lehrer möglich<br />

wäre?“ antwortete ihm <strong>Valérie</strong>. <strong>Uli</strong>s Blick zeigte stumme Freude. Er starrte<br />

<strong>Valérie</strong> an, suchte ihre Hand <strong>und</strong> legte sie in seine. „<strong>Valérie</strong>, es tut sehr gut, zu<br />

hören, was du gesagt hast über mich <strong>und</strong> über uns. Jemandem zu sagen, dass<br />

man ihn nicht mag, fällt glaube ich nicht schwer, aber zu sagen, dass ich dich<br />

mag, kann ganz schön kompliziert sein, nicht war? Es ist ja auch nicht leicht.<br />

Zu sagen, ich mag dich, weil mir deine Haare gefallen, das ist dumm. Warum<br />

ich dich mag, das kann ich gar nicht benennen. Mir gefällt alles an dir, aber<br />

warum mein Herz lacht, wenn wir uns treffen, das weiß ich nicht. Dafür habe<br />

ich keine Worte.“ erklärte <strong>Uli</strong>, <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong> legte die zweite Hand auf ihre<br />

beiden. „Ich habe mich gew<strong>und</strong>ert, als wir uns jetzt trafen, dass wir uns so<br />

schnell als gute Bekannte empfanden, aber wir verhalten uns eher so<br />

vertrauensvoll <strong>und</strong> offen wie gute Fre<strong>und</strong>e. Über meine Beziehungsprobleme<br />

habe ich zum Beispiel noch nie mit jemandem geredet. Und dabei kenne ich<br />

dich gar nicht. Wir leben wahrscheinlich in sehr verschiedenen Welten, nur<br />

stört es überhaupt nicht, zwischen uns ist es irrelevant.“ <strong>Uli</strong>s Ansicht. „Ich<br />

komme mir vor, als ob ich jetzt in drei Welten lebte, auf drei Bühnen spielte.“<br />

bemerkte <strong>Valérie</strong>, „Die eine Welt ist meine Arbeit. Da habe ich eine<br />

Mitarbeiterin, früher hätte man Sekretärin gesagt. Aber so etwas ist sie auch<br />

überhaupt nicht. Wir sind eigentlich ein Team, nur mein Name steht eben für<br />

alles. Wir mögen uns gut leiden, ich sehe es schon so, das wir befre<strong>und</strong>et sind.<br />

Aber das gilt nur für die Arbeit. Die Arbeit macht mir mit Sanne Spaß, aber es<br />

auf den Privatbereich übertragen, das wollte keiner von uns beiden. Wir spielen<br />

in dem gleichen Stück unterschiedliche Rollen, nach einem Drehbuch, das die<br />

Firma geschrieben hat, <strong>und</strong> auf ihrer Bühne mit ihren Kulissen bewegen wir<br />

uns. Zu Hause spiele ich eine andere Rolle, mit anderen Kulissen <strong>und</strong> einem<br />

anderen Ensemble. Dazu gehören mein Mann, unsere Mala, meine Fre<strong>und</strong>innen<br />

<strong>und</strong> unsere Bekannten, das ganze Home-Life Ensemble eben. Wo mein<br />

eigentliches Leben stattfindet, was meine wichtigere Rolle ist, kann ich nicht<br />

sagen. Ich brauche beides, das eine neben dem anderen. Eine dritte Bühne ist<br />

jetzt hinzu gekommen, nur sie passt überhaupt nicht zu dieser meiner Welt.<br />

Sie muss außerterrestrisch sein, auf einem anderen Planeten liegen. Auf ihr<br />

gibt es keine Kulissen <strong>und</strong> keine Rollen, die ich zu spielen habe, eine nackte<br />

Bühne, keine Kostüme, keine Masken, ich bin nur ich selber. Ein Zuschauer<br />

sitzt im Parterre. Es ist nicht der Regisseur, der mir sagt, was ich zu tun habe,<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 14 von 46


es ist ein Fan, der alles was ich mache, bew<strong>und</strong>ert, gleichgültig ob ich tanze,<br />

springe oder Purzelbäume schlage. Weiß du auf welchem Planeten oder in<br />

welchem Land es diese Bühne geben könnte?“ fragte <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> blickte <strong>Uli</strong> in<br />

die Augen. Den prägte ein wonnevoller Gesichtsausdruck. „Meinst du, sie<br />

könnte sich hier im Café befinden, oder wäre das zu profan gedacht?“ schlug<br />

<strong>Uli</strong> vor. „Nein, nein, auf dieser Welt <strong>und</strong> in diesem Land kann sie nicht sein.<br />

Hier werden nur Bühnen zugelassen, bei denen jeder in allen Szenen seine ihm<br />

zugewiesene Rolle zu spielen hat.“ <strong>Valérie</strong> dazu. Sie überlegten. „Ich weiß, wo<br />

sie ist.“ verkündete <strong>Uli</strong> plötzlich <strong>und</strong> lachte, „Sie muss in der „Freien Republik<br />

Valériana“ liegen, da bin ich absolut sicher.“ „Ulrico, Ulrico hast du vergessen,<br />

das gehört auch noch zum Namen. 'Valériana <strong>und</strong> Ulrico' muss sie heißen,<br />

sonst ergibt es keinen Sinn.“ fügte <strong>Valérie</strong> an. Dass <strong>Uli</strong> <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong> sich in der<br />

nächsten Woche wieder in der freien Republik treffen wollten, bedurfte keiner<br />

Frage. Zum Abschied standen sie voreinander, <strong>und</strong> wer als erster, statt die<br />

Hand zu reichen, seine Arme zum Hals des anderen zur Umarmung streckte,<br />

konnte man nicht entscheiden. Bevor sie sich wieder ganz lösten, bekam <strong>Uli</strong><br />

noch einen Kuss auf die Wange.<br />

Anderes Leben in der 'Freien Republik'<br />

Das stabile Hochdruckgebiet der letzten Wochen hatte jetzt doch einer isländischen<br />

Tiefdruckzone Platz machen müssen. Es regnete zwar nicht ständig, aber<br />

der Himmel war wolkenverhangen, <strong>und</strong> mit Schauern war jeder Zeit zu rechnen.<br />

Natürlich war es auch viel kälter, aber draußen sitzen hätte man schon<br />

können. Nur die Cafés hatten ihre Schirme zugeklappt <strong>und</strong> keine Polster mehr<br />

in die Sesselchen gelegt. Draußen wurde nicht mehr serviert. <strong>Uli</strong> war noch nie<br />

hier gewesen, aber es gefiel ihm, ein sehr harmonisch eigerichtetes Environment<br />

mit einem Touch ins Noble. Suchend ging er durchs Café, <strong>Valérie</strong> war<br />

noch nicht da. Dass man sich französisch, Umarmung mit Küsschen auf beide<br />

Wangen, begrüßte, schien selbstverständlich zu sein, als <strong>Valérie</strong> kam. „Weißt<br />

du, <strong>Uli</strong>,“ begann Valerie, „in unserer freien Republik scheint es doch Vorschriften<br />

<strong>und</strong> Regelungen zu geben. Normalerweise trage ich Hosenanzüge oder Kostüme,<br />

auch schon mal ein Kleid, aber das kann ich nicht anlassen, wenn ich<br />

hierher komme. Ich schäme mich vielleicht nicht, nur ich denke, es würde<br />

überhaupt nicht passen.“ „Und wie sieht die Kleiderordnung der Republik aus?“<br />

erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Uli</strong>. „Das Kleid bist du ja auch. Es sagt, als wer du dich siehst<br />

<strong>und</strong> gesehen werden willst, wie du meinst, gemocht <strong>und</strong> anerkannt zu werden.<br />

Und Frauen, die sich gern in der Rolle von Businessfrauen mit Hosenanzug <strong>und</strong><br />

Kostümchen sehen, sind in der 'Freien Republik' Persona non grata. Hier werden<br />

keine Rollen gespielt.“ antwortete <strong>Valérie</strong>. „Ja schön, aber was zieht die<br />

rollen- <strong>und</strong> maskenlose Frau denn dann an? Nichts, sie sieht sich als reiner,<br />

bloßer Mensch, völlig nackt, oder?“ wollte <strong>Uli</strong> wissen. „Ja, wäre eigentlich schon<br />

richtig, nur der wirkliche Mensch, wie im Paradies, allenfalls ein hauchdünnes<br />

Tüllkleidchen. Aber wo ist denn dein Tüllkleidchen? Männer meinen, sie könnten<br />

immer anziehen, was sie wollen. Na ja, Jeans ist o. k., aber dein Oberhemd<br />

das könnte von jedem Wühltisch bei C & A stammen. Es gibt da schon etwas<br />

Natürliches <strong>und</strong> Schönes, nicht nur Wolle, Jute <strong>und</strong> Seide. Es gibt sogar ein<br />

Versandhaus für Naturmoden. Habe ich aber auch noch nicht nachgeschaut.<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 15 von 46


Mein Top ist übrigens aus Seide. Sieht aus wie Unterwäsche, nicht wahr? Ist es<br />

auch. Aber wenn dir seidene Höschen so gut gefallen, wird es bei einem Camisole<br />

nicht anders sein, habe ich gedacht.“ <strong>Valérie</strong> scherzend zur Kleiderordnung.<br />

„Ich habe überhaupt keine Ahnung von Seide, <strong>und</strong> eine Frau in einer Unterhose<br />

aus Seide habe ich noch nie gesehen. Ich habe gedacht, der leichte<br />

Glanz deines Tops läge an der Kunstfaser, dass es auch schwarze Seide gibt,<br />

wusste ich gar nicht. Aber du wirkst sehr léger, sportlich, jugendlich, entspricht<br />

das deiner Gefühlslage?“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Uli</strong>. „Meinst du? Das kann schon sein.<br />

Bewusst so wirken wollte ich nicht, es erschien mir nur passend. Wenn ich beschreibe,<br />

wie ich mich fühle, dann ist das nicht nur frei <strong>und</strong> ungezwungen, ich<br />

spüre, dass ich mir jünger, lebenshungriger vorkomme als sonst. Auch andere<br />

Gefühle <strong>und</strong> Bedürfnisse zeigen sich, die sonst nie auftauchen. Ich möchte lustig<br />

sein, mich freuen, tanzen <strong>und</strong> singen wie ein junges Mädchen vielleicht oder<br />

eben ein freier Mensch.“ erläuterte <strong>Valérie</strong>. „Und ich in meinem C & A Hemd<br />

passe dazu?“ fragte <strong>Uli</strong> nach. „Du bis Schuld daran, du hast es doch ausgelöst.<br />

Vornehmen oder wünschen konnte ich es nicht, ich konnte es gar nicht denken.<br />

Ich erlebe, was ich nicht planen konnte.“ erklärte <strong>Valérie</strong>. „Mir geht es ja auch<br />

so. Ich freue mich darauf, dass wir uns treffen <strong>und</strong> es sind für mich meine<br />

glücklichsten Momente der Woche. Ob ich sonst sehr viel anders bin, das weiß<br />

ich nicht. Natürlich spiele ich auch unterschiedliche Rollen, tut wohl jeder.<br />

Wenn ich meine Mutter besuche, spiele ich eine andere Rolle, als wenn ich im<br />

Seminar sitze, aber ein anderer Mensch bin ich dann doch nicht. Es ist immer<br />

meine Person, meine Persönlichkeit, die in den Jahren eine Vielzahl von Facetten<br />

entwickelt hat <strong>und</strong> unterschiedlichste Rollen spielen kann. Das wird bei dir<br />

nicht anders sein. Du wirst auch immer die gleiche Persönlichkeit haben, immer<br />

die eine <strong>Valérie</strong> sein.“ erklärte <strong>Uli</strong>. <strong>Valérie</strong> schaute in die Ferne <strong>und</strong> überlegte.<br />

„Das stimmt nicht.“ sagte sie plötzlich, „Meine Persönlichkeit, meine<br />

Identität, mein Selbstwertgefühl generierte sich aus der Frau, die ich bei der<br />

Arbeit war <strong>und</strong> der privaten Frau zu Hause. Das war beides etwas anderes,<br />

aber passte zusammen, das war eine, meine Persönlichkeit. Ich habe aber<br />

durch unser Treffen festgestellt, dass es in mir auch etwas ganz anderes geben<br />

muss. Da ist mir erst bewusst geworden, dass ich zu Hause <strong>und</strong> bei der Arbeit<br />

nach gewissen Rollenvorgaben lebe, <strong>und</strong> dass ich das eigentlich nicht selber<br />

bin. Wer ich wirklich selber bin, das kann ich nicht beschreiben, meine frühere<br />

Identität ist es jedenfalls nicht. Mit uns komme ich mir vor, als ob ich mich selber<br />

leben könnte, auch wenn ich nicht genau weiß, wer es ist. Durch dich ist<br />

mir klar geworden, dass es ein anderes Leben mit anderen Wünschen, Bedürfnissen<br />

<strong>und</strong> Gefühlen in mir gibt.“ erläuterte es <strong>Valérie</strong>. „Ich lebe sicher auch affirmativ<br />

nach vorgegebenen Rollenmustern, auch wenn ich mich für kritisch<br />

<strong>und</strong> weit vom Mainstream entfernt halte. Ich habe mir noch nie viele Gedanken<br />

darüber gemacht, aber ich möchte schon natürlich <strong>und</strong> ich selber sein. In einer<br />

Lehrerrolle sehe ich mich jedoch bislang noch keinesfalls.“ <strong>Uli</strong> dazu.<br />

Warenfetischistin<br />

„Das wird schon noch kommen.“ meinte <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> erklärte, warum Lehrer<br />

zwangsläufig bekloppt werden müssten. „Du machst eine Ausbildung als Informatiker<br />

<strong>und</strong> Historiker. In deinen Berufen wirst du aber nie etwas produzieren.<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 16 von 46


Du machst etwas ganz anderes, Primitives, zum Teil Entwürdigendes, Klassenarbeiten<br />

nachschauen zum Beispiel. Trotzdem musst du dir einreden, dass alles<br />

ganz wichtig <strong>und</strong> wertvoll sei. Du siehst dich immer noch als Historiker <strong>und</strong> Informatiker,<br />

nur machst du da ja nichts. Jeden Tag redest du dir deine verlogene<br />

Konstruktion zum Selbstwertgefühl neu ein, immer <strong>und</strong> immer wieder, bis du<br />

es völlig internalisiert hast, dann bist du bekloppt, dann bist du Lehrer.“ lautete<br />

<strong>Valérie</strong>s Erklärung. <strong>Uli</strong> fand es amüsant <strong>und</strong> lachte. „Du bist eine Warenfetischistin.“<br />

kommentierte er dann. „Warenfetischist? Das habe ich schon mal gehört.<br />

Woher kommt das?“ wollte <strong>Valérie</strong> wissen. „Karl Marx, Das Kapital. Produkte<br />

der Arbeit fetischisieren, ihnen Bedeutungen zumessen, die sie in Wirklichkeit<br />

gar nicht haben. Es ist schade, wie man mit Marx umgeht. Weil die<br />

Lage der arbeitenden Klasse in England nicht mehr so ist wie damals, sind<br />

doch Marx Analyse <strong>und</strong> Theorie nicht veraltet.“ erklärte <strong>Uli</strong>. <strong>Valérie</strong> meinte<br />

dazu, dass es sich doch überall gezeigt habe, warum sozialistische Wirtschaft<br />

nicht funktioniere, <strong>und</strong> wo man sie noch beibehalte, lebten die Menschen in<br />

Armut oder verhungerten sogar. „<strong>Valérie</strong>, du bist äußerst nett <strong>und</strong> ich mag dich<br />

sehr, aber du scheinst nicht nur in Umwelt- sondern auch in Wirtschaftsfragen<br />

ein sehr naives Verständnis zu haben.“ war <strong>Uli</strong>s Reaktion. <strong>Valérie</strong> bog sich vor<br />

Lachen, umfing <strong>Uli</strong> <strong>und</strong> konnte nicht wieder aufhören. „Es ist sicher gut, wenn<br />

man sich einen gewissen Grad an Naivität bewahrt. Du wirst es mir erklären,<br />

wo der bei mir liegt. Ich habe nämlich nicht nur Wirtschaftswissenschaften<br />

studiert, sondern darin auch noch promoviert. Eine Doktorin rerum<br />

oeconomicarum bin ich. Als Wissenschaftlerin sollte ich aber doch nicht mehr<br />

allzu naiv sein, oder?“ erklärte <strong>Valérie</strong> immer noch lachend dem über seine<br />

Peinlichkeit auch lachenden <strong>Uli</strong>. „Zu sagen, weil es in der DDR <strong>und</strong> den<br />

anderen Ländern politisch <strong>und</strong> wirtschaftlich nicht geklappt hat, ist Marx<br />

Beschreibung des Kapitalismus falsch. Das meinte ich für einen sehr naiven<br />

Schluss halten zu müssen. Entschuldigung. Ich habe offensichtlich nicht nur<br />

meine Rollenvorgaben sondern auch meine Vorurteile.“ versuchte sich <strong>Uli</strong> zu<br />

entschuldigen. „Aber was machst du denn eigentlich? Wo arbeitest du denn als<br />

Frau Dr. rer. oec.?“ fragte <strong>Uli</strong>. „Bei Volaris bin ich beschäftigt.“ laute <strong>Valérie</strong>s<br />

knappe Antwort. „Und als was? Was machst du da?“ hakte <strong>Uli</strong> nacht. „<strong>Uli</strong>, muss<br />

das sein? Ich habe keine Lust, über meine Arbeit zu sprechen.“ <strong>Valérie</strong> leicht<br />

mürrisch. <strong>Uli</strong> blickte sie erstaunt an. Was hatte er denn gefragt? „<strong>Valérie</strong>,<br />

meine Liebe, ich wollte doch nur wissen, ob du in der Telefonzentrale arbeitest<br />

oder die Konzernmanagerin bist. Dann spreche ich auch kein Wort weiter über<br />

deine Arbeit.“ so <strong>Uli</strong>. „Ich dachte, es sei besser für uns, wenn du es nicht<br />

weißt, aber das ist ja albern. Also gut, ich bin bei Volaris im Vorstand <strong>und</strong> da<br />

für Export/Import zuständig. Direkt habe ich da nichts mit zu tun, das machen<br />

die Einzelunternehmen selbständig. Ich muss nur kontrollieren, koordinieren,<br />

beraten <strong>und</strong> natürlich dem Vorstand berichten. Meine Aufgabe ist es, die<br />

Verantwortung zu tragen. Kannst du dir etwas darunter vorstellen?“ erklärte<br />

<strong>Valérie</strong>. Jetzt war <strong>Uli</strong> doch verwirrt. Eine Vorstandsfrau von Volaris sitzt einfach<br />

nachmittags zwei St<strong>und</strong>en mit ihm im Café, <strong>und</strong> er unterhält sich mit ihr, als ob<br />

sie eine Kommilitonin sei. <strong>Uli</strong> starrte <strong>Valérie</strong> lange an <strong>und</strong> grinste dann ein<br />

wenig verlegen. „Bin ich jetzt eine andere für dich geworden?“ wollte <strong>Valérie</strong><br />

wegen <strong>Uli</strong>s Blick wissen. „Das geht nicht mehr, <strong>Valérie</strong>.“ antwortete <strong>Uli</strong> langsam<br />

<strong>und</strong> getragen, „Die andere war schon eher da, <strong>und</strong> sie ist nicht wieder zu<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 17 von 46


vertreiben. Ich werde nur Obacht geben müssen, damit ich nicht zu oft daran<br />

denke <strong>und</strong> dich im Vorstand sehe.“ „Und woher kommt dein Interesse für die<br />

Wirtschaft.“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Valérie</strong>. „Politisch, ich war in der Schule, nein bin<br />

es immer noch, politisch sehr interessiert <strong>und</strong> aktiv. Nicht zuletzt war das<br />

einem Lehrer für Geschichte/Politik zu verdanken. Mein Studium musste etwas<br />

mit Politik zu tun haben. Politikwissenschaften studieren? Das ist etwas ganz<br />

anderes. Deshalb studiere ich Geschichte. In die Schule musst du da sowieso.<br />

Wenn du nicht eine wissenschaftliche Koryphäe bist, bleibst du als Historiker<br />

arbeitslos.“ erläuterte <strong>Uli</strong>. „Aber als Informatiker doch nicht. Die sind doch<br />

begehrt wie warme Semmeln.“ <strong>Valérie</strong> darauf. „Ja schon, aber ich möchte nicht<br />

für Google oder sonstige Software Unternehmen arbeiten.“ meinte <strong>Uli</strong>. „Ich<br />

glaube, jetzt bist du der Naive, <strong>Uli</strong>. Wahrscheinlich werden sogar weniger<br />

Informatiker in den Softwareschmieden arbeiten, als in den<br />

Forschungsinstituten. Ich habe nicht viel Ahnung davon, aber wozu soll sich ein<br />

kleiner Betrieb einen eigenen Informatiker leisten, wenn er die Ergebnisse der<br />

Institute vermarkten kann. Du wirst dann beim Fraunhofer- oder Max-Planck-<br />

Institut den Schlüssel für das ultimative mp9 Format entwickeln, statt mit<br />

deinen Schülern am Computer zu spielen.“ erklärte ihm <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> lachte.<br />

„Und meine Geschichte, meine Politik? Das bedeutet mir nichts mehr? Das<br />

werde ich dann schlicht alles ganz vergessen?“ fragte <strong>Uli</strong> bedauernd. „Nein, das<br />

wirst du nicht verlieren. Es wird ein Teil deiner Identität bleiben, weil wir<br />

darüber sprechen werden, müssen. Ich hab's doch nötig, oder?“ scherzte<br />

<strong>Valérie</strong>. „Ich habe übrigens etwas Schönes für dich. Wahrscheinlich wirst du es<br />

nicht kennen, einen Atlas zur Globalisierung. Ich bringe ihn dir beim nächsten<br />

mal mit.“ kündigte <strong>Uli</strong> an, erläuterte ein wenig, worum es sich dabei handle.<br />

„Oder komm doch einfach gleich bei mir vorbei, dann kannst du ihn direkt<br />

mitnehmen.“ schlug <strong>Uli</strong> vor.<br />

L’elisir d’amore<br />

„Oh, wie süß. Oh, wie süß.“ verkündete <strong>Valérie</strong> immer wieder als sie bei <strong>Uli</strong> war<br />

<strong>und</strong> sich ständig umdrehte, um alles nochmal zu sehen. <strong>Uli</strong>s Arbeitszimmer war<br />

auch sein Lebensraum, aber das Schlafzimmer war auch wohnlich gestaltet, so<br />

dass man auf dem Bett sitzen, liegen, lesen <strong>und</strong> Fernsehen schauen konnte.<br />

Eine kleine Küche <strong>und</strong> ein Bad gab's noch. „Beklemmend eng ist es ja nicht.<br />

Mir kommt es eher vor wie ein Nest. Es vermittelt mehr Heimlichkeit <strong>und</strong> Wärme,<br />

wenn die Weitläufigkeit großer Räume fehlt. Ich kann mir vorstellen, dass<br />

du dich hier sehr wohl fühlst. Ist es so?“ fragte <strong>Valérie</strong>. „Ich fühle mich schon<br />

wohl hier. Noch wohler fühle ich mich, wenn nette Fre<strong>und</strong>e mich hier besuchen,<br />

<strong>und</strong> am wohlsten fühle ich mich, wenn du hier bist.“ antwortete <strong>Uli</strong> mit einem<br />

Schmunzeln. „Hast du denn noch Zeit <strong>und</strong> Lust auf einen Kaffee, oder musst<br />

du dringend nach Hause?“ fragte <strong>Uli</strong>. Er holte den Atlas <strong>und</strong> während <strong>Uli</strong> die<br />

Kaffeemaschine aktivierte, saß <strong>Valérie</strong> am Küchentisch <strong>und</strong> schaute sich die<br />

Karten des Atlasses an. <strong>Uli</strong> trank Espresso immer pur, <strong>Valérie</strong> schaufelte sich so<br />

viel Zucker hinein, dass sie ihn kaum noch umrühren konnte. Sie belächelten<br />

ihr Werk <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> meinte: „So ist es eigentlich richtig.“ „Wieso?“ <strong>Valérie</strong>.<br />

„Schwarz wie die Nacht, heiß wie die Hölle <strong>und</strong> süß wie die Liebe muss er sein.<br />

Bei mir sieht's mit der Liebe kläglich aus, nicht wahr?“ erläuterte <strong>Uli</strong>. „Das<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 18 von 46


muss nicht sein.“ kommentierend gab <strong>Valérie</strong> einen Löffel Zucker nach dem anderen<br />

in <strong>Uli</strong>s Tasse. <strong>Uli</strong> war völlig handlungsunfähig, lachte nur <strong>und</strong> jammerte<br />

dabei: „Das kann ich doch nicht trinken.“ „So ist der L’elisir d’amore erst fertig.<br />

Du hast selbst gesagt, dass es dazu gehört. Trinke es <strong>und</strong> liebe mich.“ <strong>Valérie</strong><br />

strikt, aber <strong>Uli</strong> machte sich einen neuen Espresso. Sie schauten sich einige<br />

Karten im Atlas an, <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> empfahl <strong>Valérie</strong>: „Nimm ihn mit <strong>und</strong> schau es dir zu<br />

Hause genau an.“ „Besser gefällt es mir aber, ihn mit dir anzuschauen.“ entgegnete<br />

<strong>Valérie</strong>. „Wir machen es so. Du nimmst ihn mit, schaust ihn dir an <strong>und</strong><br />

bringst ihn beim nächsten Treffen wieder mit. Dann sprechen wir über die Karten,<br />

über die du gern mit mir reden möchtest, ja?“ suchte <strong>Uli</strong> <strong>Valérie</strong>s Zustimmung.<br />

„Sollen wir uns nicht gleich bei dir treffen? Ich bringe Kuchen mit <strong>und</strong><br />

du sorgst für den Kaffee. Das fände ich viel gemütlicher <strong>und</strong> angenehmer als in<br />

einem anonymen Café steif herumsitzen zu müssen.“ schlug <strong>Valérie</strong> vor. „Ja,<br />

prima, das wäre sehr schön, ich freue mich.“ <strong>Uli</strong> dazu.<br />

Herbststurm<br />

Sie trafen sich jetzt immer bei <strong>Uli</strong>. Alles wurde besprochen <strong>und</strong> für beide hatte<br />

sich auch manches im übrigen Leben verändert. Bei <strong>Valérie</strong> wurden längst Bioprodukte<br />

gekauft <strong>und</strong> auch den Naturmoden-Katalog hatten sie gemeinsam<br />

durchgeschaut. Es gab sehr Elegantes <strong>und</strong> Edles auch für die Firma, nur für <strong>Uli</strong><br />

waren manche Produkte unerschwinglich teuer. <strong>Valérie</strong> war auch Mitglied bei<br />

attac geworden <strong>und</strong> sie informierten sich über globalisierungskritische Organisationen.<br />

Aber das waren mehr Äußerlichkeiten. Vertraulich <strong>und</strong> selbstverständlich<br />

wie Geschwister verhielten sie sich, bei denen <strong>Uli</strong> aber keineswegs<br />

die Rolle des kleineren Bruders spielte. Wie sie sich bei ihren Treffen erlebten,<br />

blieb nicht ohne Auswirkung auf die Wahrnehmung ihrer übrigen Alltagserfahrungen.<br />

Viele Werte verschoben sich oder wurden bedeutungslos. <strong>Uli</strong> hatte viele<br />

Informationen eingeholt <strong>und</strong> lange nachgedacht. Jetzt war er absolut sicher,<br />

dass er nicht als Lehrer in die Schule wollte. Er sah es mittlerweile auch so,<br />

dass für ihn, der in der Schule immer als mathematisches Genie gegolten hatte,<br />

der Lehrerjob eine Zumutung wäre, die ihn niemals befriedigen würde. Die<br />

beiden waren sich sehr nahe gekommen <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong> hatte mal gemeint, <strong>Uli</strong> sei<br />

der Partner zu ihrem eigentlichen Ego. Mittlerweile war es Herbst geworden,<br />

aber trübe Stimmung kam bei <strong>Uli</strong> auch an grauen Regentagen nicht auf. Valerie<br />

brachte immer den Sommer für ihn mit, gleichgültig wie das Wetter draußen<br />

sich gebärdete. Heute war es wild <strong>und</strong> stürmisch, als ob der Wind jetzt unbedingt<br />

jedem Baum das letzte Blatt entreißen wollte. „Faszinierend, nicht wahr?<br />

Ich liebe diese wilde Natur.“ kommentierte <strong>Valérie</strong> das Wetter. „Sollen wir ein<br />

wenig spazieren gehen, dann erlebst du es unmittelbar.“ schlug <strong>Uli</strong> vor. Kühn<br />

wagten sie sich in die wilden Böen des Sturms. Sie blickten sich öfter an <strong>und</strong><br />

lächelten stolz <strong>und</strong> verwegen. Warum sie stehen blieben <strong>und</strong> sich zueinander<br />

wandten, wusste keiner genau, nur <strong>Valérie</strong> wusste, dass sie ihr Gesicht für<br />

einen Kuss auf <strong>Uli</strong> zubewegen wollte. Ob es die Erfahrung des wilden Sturms<br />

war, oder etwas, dass sich schon lange in ihnen angesammelt hatte? Der einfache<br />

Kuss entwickelte sich äußerst leidenschaftlich <strong>und</strong> hätte immer fortdauern<br />

können. „Stop! Hör auf! Es ist genug! Ich will das nicht!“ stieß <strong>Valérie</strong> <strong>Uli</strong> plötzlich<br />

zurück. Der war leicht verstört wegen des Kusses <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong>s Worten. Sie<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 19 von 46


gingen ruhig nebeneinander her, als ob nichts gewesen sei, lächelten sich aber<br />

auch nicht mehr an, sondern gingen bald nach Hause. „Hast du das zu mir gesagt,<br />

<strong>Valérie</strong>, oder zu dir selbst?“ fragte <strong>Uli</strong>, als sie wieder zu Hause waren.<br />

<strong>Valérie</strong> sinnierte kurz <strong>und</strong> meinte dann: „Du hast Recht, <strong>Uli</strong>, ich wollte es ja.<br />

Nur wie es sich entwickelt hat, das konnte ich vorher nicht ahnen. Du bedeutest<br />

mir außerordentlich viel, <strong>Uli</strong>, <strong>und</strong> ich mag dich sehr, offensichtlich viel zu<br />

sehr. Das habe ich gespürt. Aber ich brauche kein zweiten Mann. Ich will das<br />

auch nicht zwischen uns. Es würde manches zerstören oder verdrängen, denke<br />

ich. Meine Beziehung zu dir ist sicher das, was man als Liebe bezeichnen würde,<br />

aber ich brauche einen geliebten Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> nicht einen Mann fürs Bett.<br />

Ich begehre deine Worte <strong>und</strong> nicht deinen Körper.“ erklärte <strong>Valérie</strong>. Im Prinzip<br />

sah <strong>Uli</strong> es ja nicht anders, nur ob sich das Begehren an die Beschlüsse des<br />

Bewusstseins halten würde, bezweifelte er. Er wusste ja nicht genau, wie<br />

<strong>Valérie</strong> das Küssen erlebt hatte, nur dass sich ihre Libido wohl selbständig<br />

gemacht hatte, würde sie doch nicht bestreiten können. Einerseits war alles<br />

geklärt <strong>und</strong> der Vorfall zu den Akten gelegt, aber geschehen war es ja. Sie<br />

hatten sich anders erlebt. Wahrscheinlich war man sich durch den Kuss mit<br />

begehrlichen Gefühlsregungen auch insgesamt körperlich näher gekommen.<br />

Sonst hatte <strong>Valérie</strong> <strong>Uli</strong> schon mal fre<strong>und</strong>lich über die Wange gestrichen, <strong>und</strong> <strong>Uli</strong><br />

hatte <strong>Valérie</strong>s Handrücken befühlt, jetzt schien aber ein Zärtlichkeitstabu<br />

gebrochen zu sein. Sie liebten Gesicht <strong>und</strong> Hals des anderen ausgiebig zu<br />

streicheln, <strong>und</strong> Küsschen gab es auch dabei. Bald küssten sich auch wieder<br />

intensiv, <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong> hatte es im Griff, aufzuhören, wenn es ihr zu<br />

leidenschaftlich wurde. „Küssen ist eben schön. Wir liegen deshalb ja noch<br />

nicht im Bett.“ begründete <strong>Valérie</strong> es ihrem Bedürfnis entsprechend schlicht.<br />

Ihre Gespräche wurden jetzt häufig durch ausgiebige Kussszenen<br />

unterbrochen. Was <strong>und</strong> wie <strong>Valérie</strong> oder <strong>Uli</strong> gesprochen hätte, sei so anmutig<br />

gewesen, dass man sie oder ihn dafür erst einmal habe küssen müssen.<br />

Die Entwicklung macht Angst<br />

Dass es lange dabei bleiben würde, <strong>und</strong> sich das häufige Küssen nicht irgendwann<br />

weiterentwickeln würde, bezweifelte <strong>Valérie</strong> zu Recht, besonders wenn<br />

sie nicht mehr bei <strong>Uli</strong> war. Dann meinte sie, vieles nüchterner zu sehen. Bei <strong>Uli</strong><br />

sei sie glückstrunken <strong>und</strong> danach süchtig. Nur war das für sie eine Horrorvorstellung,<br />

einen Liebhaber zu haben, mit dem sie ins Bett ging. Sie hatte die<br />

Frauen mit Liebhaber nicht verstehen können, hatte es für irrational gehalten.<br />

Wenn man mit seinem Partner nicht mehr zufrieden sei, solle man sich von ihm<br />

trennen. <strong>Valérie</strong> hatte nichts gegen Ralf, ihren Mann. Da war alles beim alten<br />

geblieben. Direkt verändert hatte sich nichts. Sie schliefen sowieso nur selten<br />

miteinander <strong>und</strong> wenn, dann war es mit der Lust, die sie bei <strong>Uli</strong> verspürte,<br />

nicht zu vergleichen. Vielleicht lebte sie dabei auch nach einem Muster, nach<br />

dem Frauen wie sie mit Sex umzugehen <strong>und</strong> zu empfinden hätten. Aber sie<br />

verstanden sich gut, <strong>und</strong> ihre Family-Rolle war ihr keineswegs unangenehm.<br />

Das wollte <strong>und</strong> konnte sie nicht aufgeben. Als ihren Liebhaber sah sie <strong>Uli</strong><br />

schon, aber solange sie nicht miteinander ins Bett gingen, riskierte sie nichts,<br />

solange war er ein guter Fre<strong>und</strong>. Sollten sie nüchterner werden? Das Küssen<br />

wieder einstellen? Aber wie abstrus wäre das denn? <strong>Valérie</strong>s Leben, das war<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 20 von 46


ihre Arbeit <strong>und</strong> ihr zu Hause. <strong>Uli</strong>, das war ein Traum, w<strong>und</strong>erschön, aber letztlich<br />

jede Woche wie ein kurzfristiger Besuch bei ihrem Prinzen im Märchenland.<br />

Ja, <strong>Valérie</strong> hatte es schon so gesehen, dass sie mit <strong>Uli</strong> ihr Leben als Mensch<br />

nach ihren wirkliche Bedürfnissen <strong>und</strong> Gefühlen leben konnte, aber wäre es<br />

nicht auch möglich, das verstärkt zu Hause zu praktizieren? Konnte sie sich da<br />

nicht auch von vielen Attitüden ihrer Rollenvorgabe lösen, mehr ihre wirklichen<br />

Bedürfnisse <strong>und</strong> Gefühle erkennen <strong>und</strong> leben? Valerie hatte viel mit <strong>Uli</strong> gelernt.<br />

Das war w<strong>und</strong>ervoll, nur die sich abzeichnende Entwicklung machte ihr Angst.<br />

Die Überlegungen ließen sie nicht los <strong>und</strong> beschäftigten sie ständig. Das nächste<br />

Treffen mit Ulli sagte sie ab. Aber es ließ <strong>Valérie</strong> nicht in Ruhe. Das Problem<br />

war nicht einfach zu lösen <strong>und</strong> eine Entscheidung zu finden. Sich nicht mehr<br />

mit <strong>Uli</strong> zu treffen, dagegen sträubte sich ihre gesamte Emotionalität. Sie würde<br />

es nicht verkraften, den Verlust nicht ertragen können, aber ein Leben führen,<br />

mit dem sie rational nicht einverstanden war, schien ihr genauso unerträglich.<br />

Am nächsten Donnerstag ging sie auch nicht zu <strong>Uli</strong>, ließ einfach nichts von sich<br />

hören. <strong>Uli</strong> machte sich Sorgen <strong>und</strong> grübelte, wollte herausfinden, was er<br />

gesagt oder gemacht hatte, dass <strong>Valérie</strong> nicht mehr kam. Eigentlich sollte <strong>Uli</strong><br />

sie nicht in der Firma oder zu Hause anrufen. Jetzt sah er aber einen Notfall,<br />

dass er nicht anders konnte. Sie hätte in den letzten Wochen so viel Stress in<br />

der Firma gehabt. Etwas Gr<strong>und</strong>sätzliches sei umorganisiert worden, <strong>und</strong> in<br />

ihrer Position müsse man einfach für die Firma da sein. Alles gelogen, den<br />

wahren Gr<strong>und</strong> konnte <strong>Valérie</strong> nicht nennen. „<strong>Valérie</strong>, ich muss dich sehen. Wir<br />

können uns jederzeit treffen auch abends spät <strong>und</strong> am Wochenende, wann du<br />

willst, aber sehen muss ich dich.“ bat <strong>Uli</strong> sie, <strong>und</strong> <strong>Uli</strong>s Bitte konnte <strong>und</strong> wollte<br />

<strong>Valérie</strong> nicht ablehnen, weil sie spürte, wie es sie selbst dazu drängte <strong>und</strong> sie<br />

sich auch danach sehnte. All ihre Skrupel <strong>und</strong> Bedenken konnte sie nicht<br />

erkennen, als <strong>Valérie</strong> sich wieder im Nest bei <strong>Uli</strong> befand. Trotzdem fragte <strong>Uli</strong><br />

sie: „Du musst mir etwas erklären, <strong>Valérie</strong>. Warum hast du dich die ganze Zeit<br />

nicht gemeldet? Die Arbeit wird dich doch nicht so eingenommen haben, dass<br />

du gar nicht mehr an mich gedacht hast.“ forderte <strong>Uli</strong> sie auf. „Ich bin<br />

manchmal ein wenig disturbed.“ erklärte <strong>Valérie</strong> nur knapp. „Du meinst, dass<br />

du Zweifel an unserer Beziehung hattest, trifft das zu?“ vermutete <strong>Uli</strong>. „Ach,<br />

<strong>Uli</strong>!“ stöhnte <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> warf sich ihm um den Hals. „Ich habe wirklich eine<br />

gespaltene Persönlichkeit. Mein Leben das ist meine Arbeit <strong>und</strong> mein Zuhause.<br />

Das will ich nicht verlieren <strong>und</strong> will nichts riskieren. Nur, <strong>Uli</strong>, wenn wir uns nicht<br />

sehen können, das ertrag ich nicht. Für meine Seele bist du mein Leben. Ich<br />

brauche deine Nähe, ich brauche deine Küsse, ich brauche das Gefühl, dass du<br />

mich liebst. Alles andere ist vernünftig, nett <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lich, aber du bist ...“<br />

dann stoppte <strong>Valérie</strong>, lächelte <strong>und</strong> legte ihre Wange an <strong>Uli</strong>s. „Du musst es<br />

sagen, <strong>Valérie</strong>, was ich für dich denn anders bin als vernünftig, nett <strong>und</strong><br />

fre<strong>und</strong>lich.“ forderte <strong>Uli</strong> sie auf. <strong>Valérie</strong> scherzte, aber <strong>Uli</strong> wollte es unbedingt<br />

wissen. „Wenn ich nicht vernünftig, nett <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lich bin, hältst du mich<br />

dann für unvernünftig, unfre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> böse?“ versuchte es <strong>Uli</strong>. „Nein, mein<br />

Liebster, du musst damit leben können. Es ist etwas sehr Schönes, was dich<br />

freuen würde, aber ich möchte es nicht gesagt haben.“ beschloss <strong>Valérie</strong> die<br />

Diskussion dazu. 'Meine Leidenschaft' hatte sie gedacht, dann jedoch<br />

befürchtet, dass es Reaktionen fördern könnte, die sie eigentlich vermeiden<br />

wollte. Sie trafen sich jetzt auch wieder jede Woche. <strong>Valérie</strong> hatte eingesehen,<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 21 von 46


dass die Trennung von <strong>Uli</strong> eine unrealistische Forderung an sie selbst war. Die<br />

Beziehung zu <strong>Uli</strong> gehörte zu ihrem Leben, war ebenso fester Bestandteil ihrer<br />

Persönlichkeit.<br />

Begehrst du mich eigentlich?<br />

Dass man beim Küssen nicht nur isoliert mit den Lippen zusammen kam, sondern<br />

auch den Körper des anderen umfing <strong>und</strong> ihn streichelte, war ja nichts<br />

Ungewöhnliches. Bislang geschah dies über der Kleidung. Jetzt befand sich <strong>Uli</strong>s<br />

Hand unter <strong>Valérie</strong>s Pullover <strong>und</strong> unter ihrem Unterhemd. <strong>Uli</strong> streichelte<br />

<strong>Valérie</strong>s Haut. Die sagte nichts, auch als sie sich nicht mehr küssten. <strong>Uli</strong> wollte<br />

vorsichtig sein <strong>und</strong> nahm seine Hand wieder zurück. „Das ist sehr schön.“ sagte<br />

<strong>Valérie</strong>, „Mach weiter.“ <strong>Uli</strong> war verblüfft. Er ließ seine Hand überall hingleiten,<br />

wo er <strong>Valérie</strong>s Haut erreichen konnte. Die zog ihren Pullover <strong>und</strong> ihr Unterhemd<br />

aus, lag auf dem Bauch <strong>und</strong> drehte sich später um. <strong>Uli</strong> ließ seine<br />

Fingerkuppen sanft jede Pore ertasten <strong>und</strong> bedachte sie häufig mit Küssen.<br />

Plötzlich setzte sich <strong>Valérie</strong> hin. „Sag mal, <strong>Uli</strong>, wir küssen uns immer <strong>und</strong> sind<br />

zärtlich zueinander, das ist sehr schön, aber begehrst du mich eigentlich auch<br />

als Frau? Ich meine so richtig, wie ein Mann eine Frau begehrt. Bin ich als Frau<br />

nicht eigentlich viel zu alt für dich.“ äußerte <strong>Valérie</strong> ihr dringendes Klärungsverlangen.<br />

<strong>Uli</strong> bog sich vor Lachen, umfing <strong>Valérie</strong>, küsste <strong>und</strong> schmuste mit<br />

ihr. „Das ist schon ein großes Problem, <strong>Valérie</strong>, sexuell stehe ich nämlich eigentlich<br />

auf ganz junge Frösche, so junge Frolleins, bei denen die sexuelle Reife<br />

gerade erfolgreich abgeschlossen ist. Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste,<br />

<strong>und</strong> da suchen Männer eben ihre Jugend bei der Frau.“ erklärte <strong>Uli</strong>. <strong>Valérie</strong> hatte<br />

ihm mokant grinsend zugehört. „Du bist ein Blödmann.“ sagte sie, „Verstehst<br />

nichts. Ich will nicht deine schalen Witze hören, sondern dass du mich<br />

gut leiden magst, dass ich dir gefalle, begreifst du das nicht?“ „<strong>Valérie</strong>, wir lieben<br />

uns doch. Ist das Alter dabei von Bedeutung? Was kann eine Frau in den<br />

Augen eines Mannes denn schöner machen als Liebe. Aber ja, es ist vielleicht<br />

richtig. Ich hätte es sagen müssen. Auch wenn du mich sehr gut verstehst,<br />

wirst du doch nicht alle meine Gedanken lesen können. Direkt bei unserem<br />

ersten Treffen war ich fasziniert von dir <strong>und</strong> hätte dich immer anschauen können.<br />

Ja, <strong>Valérie</strong>, dich anzublicken, schmeichelt meinen Augen, schon damals<br />

<strong>und</strong> heute immer wieder. Ich habe damals zuerst gedacht, meine schlechte<br />

Laune sei verflogen, weil ich eine schöne Frau getroffen hätte.“ erklärte sich<br />

<strong>Uli</strong>. „Zieh dein Hemd aus. Ich will dich auch streicheln.“ forderte <strong>Valérie</strong> <strong>Uli</strong> auf.<br />

Sie streichelte <strong>und</strong> küsste <strong>Uli</strong>s Rücken. <strong>Valérie</strong> legte ihren BH ab <strong>und</strong> ließ ihre<br />

Brüste <strong>Uli</strong>s Rücken spüren. Langsam drehte er sich um <strong>und</strong> ertaste mit seine<br />

Fingern <strong>Valérie</strong>s Brüste. „Was tust du, <strong>Valérie</strong>? Ich dachte, du wolltest das<br />

nicht.“ fragte <strong>Uli</strong> erstaunt. „Gewollt habe ich es immer. Seit unserem ersten<br />

Kuss. Das Gefühl verschwindet nicht wieder. Du kannst es nicht wieder vergessen.<br />

Ich habe es mir nur verboten.“ <strong>Valérie</strong> darauf. „Und heute ist das Verbot<br />

gelockert oder aufgehoben?“ wollte <strong>Uli</strong> wissen. „Frag nicht so viel. Vielleicht.<br />

Sei ganz lieb zu mir.“ antwortete <strong>Valérie</strong>. Die beiden lagen küssend, streichelnd<br />

<strong>und</strong> schmusend auf dem Bett. Sie betasteten überall die Haut des anderen <strong>und</strong><br />

sagten sich Liebes, ganz leise, fast flüsternd. Manchmal rieben sie ihre Oberkörper<br />

aneinander, <strong>und</strong> ihre Beine hatten sie verflochten. <strong>Uli</strong> blickte <strong>Valérie</strong> Ein-<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 22 von 46


verständnis suchend an, als er an ihrem Hosenb<strong>und</strong> nestelte. Die lächelte nur<br />

<strong>und</strong> zog sich die Jeans selber aus, den Slip aber ließ sie an. Offensichtlich waren<br />

sie glücklich. Sie balgten ein wenig, fast wie Kinder. <strong>Valérie</strong> lag auf <strong>Uli</strong> <strong>und</strong><br />

spürte seinen erigierten Penis. „Heute noch nicht, <strong>Uli</strong>, ist das o. k.?“ sagte sie.<br />

<strong>Uli</strong> war nur glücklich. Er sah sich im Land der tausend Wonnen. Gar nichts wollte<br />

er, was er empfand, überstieg seine Träume. „Warst du schon mal im Paradies,<br />

meine Liebe?“ fragte er <strong>Valérie</strong>. „Fühlt sich das so an? Ja, ich glaube<br />

schon, so ähnlich könnte es sein.“ meinte die. „Das ist schon äußerst viel für<br />

mich,<strong>Uli</strong>. Auch wenn es w<strong>und</strong>erschön ist, bin ich doch ein bisschen aufgeregt.<br />

So unverhofft, plötzlich hat es sich entwickelt. Weiteres das kann ich heute<br />

nicht.“ „Was willst du denn. So wie es ist, ist es doch paradiesisch. Mach dir<br />

keine Gedanken <strong>und</strong> genieße es. Ich werde sowieso deinen Pulli <strong>und</strong> deine<br />

Hose verstecken, damit du immer so bei mir bleiben musst.“ scherzte <strong>Uli</strong>,<br />

„Aber wenn wir zusammen schlafen, fände ich es unerträglich, dass du dann<br />

auch verschwinden würdest, weil du um sechs Uhr nach Hause musst.“ <strong>Valérie</strong><br />

blies die Luft hörbar durch die vorgereckten Lippen <strong>und</strong> machte ein Problemgesicht.<br />

„Was sollen wir denn tun?“ fragte sie ratlos. „Kannst du nicht mal übers<br />

Wochenende zu einer Tagung oder Konferenz fahren?“ schlug <strong>Uli</strong> vor. Beglückt<br />

machte es <strong>Valérie</strong>s Mimik nicht. „Aus irgendeinem Gr<strong>und</strong>e ruft Ralf an <strong>und</strong> erfährt,<br />

dass dort überhaupt keine Konferenz stattfindet. Das ist mir sowieso zuwider,<br />

Ralf mit irgendwelchen Märchengeschichten zu belügen. Warum kann ich<br />

nicht einfach sagen: „Du, ich habe da einen tollen, jungen Mann kennengelernt.<br />

Er liebt mich <strong>und</strong> ich ihn auch, <strong>und</strong> da würden wir jetzt gern mal eine<br />

Nacht miteinander verbringen.“ Ralf darauf: „Na selbstverständlich, wo ist das<br />

Problem? Ich wünsche euch viel Freude.“ Ralf ist sehr generös, musst du wissen,<br />

aber ob das nicht vielleicht doch eine zu hohe Anforderung an seine Großzügigkeit<br />

stellte? Da bin ich mir nicht so sicher.“ erklärte <strong>Valérie</strong>, <strong>und</strong> im gemeinsamen<br />

Lachen umschlangen sie sich. „Aber wirklich, <strong>Uli</strong>, ich möchte es am<br />

liebsten gar nicht verheimlichen. Das ist doch nichts Böses, was wir tun. Das<br />

Gegenteil davon trifft zu. „Am höchsten aber steht die Liebe.“ so heißt es schon<br />

in der Bibel.“ erläuterte <strong>Valérie</strong>. Nette Gespräche, aber zu einem Schluss waren<br />

sie nicht gekommen. <strong>Uli</strong> wollte wenigstens eine Nacht mit <strong>Valérie</strong> verbringen,<br />

wenn sie sich liebten. Donnerstags zwischen vier <strong>und</strong> sechs, das wäre für ihn<br />

Gebraussex, keine Liebe zwischen <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong>.<br />

Ulrike<br />

Nach dem Abendbrot saß Ralf, <strong>Valérie</strong>s Mann, schon in der Couch im Wohnraum<br />

<strong>und</strong> sah sich die Tagesschau an. <strong>Valérie</strong> kam dazu <strong>und</strong> setzte sich neben<br />

ihn. „<strong>Valérie</strong>, nicht, dass du denkst, ich wollte dich kontrollieren oder dergleichen,<br />

nur es ist so ungewöhnlich.“ sagte Ralf, „Du bist jeden Donnerstag bei<br />

einer Fre<strong>und</strong>in. Das ist ja o. k.. Nur sonst sagst du immer, bei wem du bist.<br />

Jetzt weiß ich nur, dass du bei einer Fre<strong>und</strong>in bist. Das ist ja in Ordnung, aber<br />

warum erzählst du denn nicht mehr? Kenne ich die Fre<strong>und</strong>in auch?“ „Nein, sie<br />

ist eine alte Studienfre<strong>und</strong>in, die jetzt wieder hier ist. Wir haben uns zufällig in<br />

der Stadt getroffen.“ <strong>Valérie</strong> darauf. „Und wie heißt sie?“ wollte Ralf wissen.<br />

„Ulrike.“ lautete <strong>Valérie</strong>s knappe Antwort. „Warum kommt sie denn nicht mal<br />

zu uns, deine anderen Fre<strong>und</strong>innen kenne ich doch auch.“ fragte Ralf weiter.<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 23 von 46


Lange Zeit antwortete <strong>Valérie</strong> nicht, alles lief ihr rasend durch den Kopf, dann<br />

hatte sie sich entschlossen: „Das geht nicht, weil sie ein Mann ist <strong>und</strong> <strong>Uli</strong><br />

heißt.“ Langes Schweigen. <strong>Valérie</strong> erklärte: „Ich wollte es verhindern, aber es<br />

geht nicht. Vor allem aber hat es mit dir überhaupt nichts zu tun. Ich habe<br />

nichts an dir auszusetzen, Ralf. Es gibt nichts was mir bei dir gefehlt hätte <strong>und</strong><br />

mich nach einem anderen Mann Ausschau halten ließ. <strong>Uli</strong> ist kein anderer<br />

Mann, er ist etwas Zusätzliches. Man kann einen Mann lieben, manche lieben<br />

eine Frau, da ist mir nicht nach, <strong>und</strong> man kann <strong>Uli</strong> lieben, da kann ich mich<br />

nicht gegen wehren.“ <strong>Valérie</strong> versuchte noch vieles zu erklären, <strong>und</strong> Ralf wollte<br />

alles wissen, bis es <strong>Valérie</strong> manchmal zu intim wurde. „Es ist nicht zu verstehen,<br />

Ralf. Ich hätte es auch vorher nicht verstehen können, ob ich es jetzt verstehe,<br />

weiß ich nicht, aber ich erlebe es.“ meinte <strong>Valérie</strong>. Ralf war der Ansicht,<br />

dass sie jeden Donnerstag zusammen ins Bett gingen. <strong>Valérie</strong> platzte los.<br />

„Noch nie, Ralf, was hast du für Vorstellungen. Ein Mann <strong>und</strong> eine Frau mögen<br />

sich nur deshalb gut leiden, weil sie miteinander schlafen können? Sexistisch,<br />

mein Lieber, ist das. Aber du hast schon Recht, ich habe es keinesfalls gewollt,<br />

aber es wir mit Sicherheit dazu kommen, <strong>und</strong> ich will es auch gar nicht mehr<br />

zu verhindern versuchen, weil das nicht funktioniert. Deine emotionalen Bedürfnisse<br />

<strong>und</strong> deine Libido scheren sich nicht viel darum, was dein Kopf beschließt.“<br />

machte ihm <strong>Valérie</strong> klar. Sie unterhielten sich noch lange über Mehrfachbeziehungen<br />

<strong>und</strong> Polyamorie. <strong>Valérie</strong> sah sich aber nicht so. Ihre Liebe zu<br />

Ralf <strong>und</strong> zu <strong>Uli</strong> sei überhaupt nicht vergleichbar, sondern etwas, das auf verschiedenen<br />

Planeten stattfinde. Es sei jeweils eine andere Person, die Ralf liebe<br />

<strong>und</strong> die <strong>Uli</strong> liebe. Ralf fragte immer wieder, glaubte er es dadurch für sich erträglicher<br />

machen zu können, aber allzu detailliert wollte <strong>Valérie</strong> sich auch<br />

nicht offenbaren, begreifen könnte er es sowieso nicht, auch wenn er die persönlichsten<br />

Details kennen würde. Dass Ralf glücklich darüber war, wie <strong>Valérie</strong><br />

sich nun auch mit <strong>Uli</strong> um das höchste Gut kümmerte, konnte man eher nicht<br />

vermuten, aber völlig verständnislos schien er auch nicht zu sein. <strong>Valérie</strong> war<br />

der Ansicht, er würde es als unvermeidlich akzeptieren, er hatte sie ja nicht<br />

verloren <strong>und</strong> würde sie nicht verlieren, zumindest äußerlich nicht. Wenn er sich<br />

gegen <strong>Valérie</strong>s Beziehung zu <strong>Uli</strong> sträubte, wäre das gewiss nicht auszuschließen.<br />

Während Ralf sich wahrscheinlich häufig Gedanken machen würde, wie er<br />

die veränderte Situation ertragen <strong>und</strong> mit ihr leben könne, vermittelte sich<br />

<strong>Valérie</strong> ein Empfinden von Befreiung. So hätte sie es eigentlich gewollt, aber<br />

von sich aus ansprechen, hatte sie es nicht gekonnt. Die dumme Geschichte<br />

mit der Ulrike hatte den Anstoß gegeben. Jetzt sah sie Blütenträume. „<strong>Uli</strong> <strong>und</strong><br />

ich fahren für's Wochenende mal aufs Land.“ würde sie sagen <strong>und</strong> lachte dabei<br />

in sich hinein. Bis zum nächsten Donnerstag warten konnte sie nicht, aber heute<br />

Abend von zu Hause aus <strong>Uli</strong> anrufen, das wollte sie nicht. Am nächsten Morgen<br />

im Büro versuchte sie ihn zu erreichen. Er saß gerade in einem Seminar<br />

<strong>und</strong> hatte die Vibrationen seines Handys gespürt. <strong>Uli</strong> konnte es nicht fassen. Er<br />

bew<strong>und</strong>erte <strong>Valérie</strong>. „Das entspricht doch so deinem Traum, nicht wahr?“ vermutete<br />

<strong>Uli</strong>. „Freu dich nicht zu früh, <strong>Uli</strong>. Ralf weiß es jetzt, aber wie er damit<br />

klar kommen wird, steht ja noch aus. Ich hatte ihm zwar berühmte Leute genannt,<br />

die auch so leben oder gelebt hätten, aber das ist für deine Ratio, dein<br />

emotionales Empfinden lässt es unberührt. Ich denke aber schon, das Ralf sich<br />

danach entscheiden wird, was er für das Vernünftigste hält. Das kommt bei uns<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 24 von 46


eiden ja überhaupt nicht vor, oder?“ scherzte <strong>Valérie</strong>. „In der Tat,“ bestätigte<br />

sie <strong>Uli</strong>, „wir sind willenlose Objekte unserer Leidenschaft.“ Und beide lachten.<br />

Eine andere <strong>Valérie</strong><br />

Am Donnerstag kamen sie gar nicht auf die Idee, sich körperlich zu lieben <strong>und</strong><br />

miteinander ins Bett zu wollen. <strong>Valérie</strong> musste alles genau erzählen. Noch aufregender<br />

war es aber, sich Gedanken über mögliche zukünftige Entwicklungen<br />

zu machen. Wenn Ralf nicht doch noch auf dumme Gedanken käme, stünde ihnen<br />

alles offen. War das erst der Blick ins Paradies? Am folgenden Donnerstag<br />

waren sie nur glücklich, <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong> rief, schon halb ausgezogen, zu Hause an,<br />

dass es heute ein wenig später werden könne. Das war in den frühen<br />

Morgenst<strong>und</strong>en des folgenden Tages. <strong>Valérie</strong> ging ins Bad <strong>und</strong> kleidete sich für<br />

die Arbeit. Beim Kaffee am Küchentisch wollte sie ein wenig sinnieren, aber es<br />

zeigte sich immer nur das wonnevolle Bild, wie sie gerade mit <strong>Uli</strong> geschlafen<br />

hatte. Wie schön, wenn sie den ganzen Tag <strong>und</strong> vielleicht auch morgen noch<br />

dieses Bild vor Augen <strong>und</strong> im Gemüt hätte. Sie würde ihren Chef verstehen<br />

<strong>und</strong> fragen, wo sie ihm behilflich sein könne. Der Untergebene käme sich im<br />

Gespräch verstanden, ja vielleicht sogar geliebt vor. Sie wäre eine andere<br />

<strong>Valérie</strong>. Die gefiel ihr, oder würde von ihr erwartet, dass sie harsch <strong>und</strong> rigide<br />

wäre. Die andere <strong>Valérie</strong>, das war sie aber doch selbst, so waren ihre<br />

wirklichen Gefühle, strikt <strong>und</strong> energisch zu sein, entsprach nicht ihren<br />

persönlichen Wünschen <strong>und</strong> Bedürfnissen. Das waren Vorgaben der Rolle, in<br />

der man sie sah, <strong>und</strong> in die sie sich selbst meistens unbewusst fallen ließ.<br />

Leider würde sich das Bild wahrscheinlich schnell verflüchtigen. Wenn sie<br />

Sanne träfe, wäre es vielleicht noch da. Sollte sie Sanne von <strong>Uli</strong> erzählen? Es<br />

war ja jetzt kein Geheimnis mehr. Auch wenn sie eine Fre<strong>und</strong>in war, verstehen<br />

<strong>und</strong> mitfühlend nachempfinden würde sie es wahrscheinlich doch nicht können,<br />

eventuell nur sonderbare Vorstellungen entwickeln. Wie gern hätte <strong>Valérie</strong><br />

auch andere Fre<strong>und</strong>innen an ihrem Glück teilhaben lassen, aber sie hielt es für<br />

sinnvoller, zu schweigen. Natürlich war das Bild schnell verschw<strong>und</strong>en, aber<br />

dass sie nicht nur in ihre beruflichen Aktivitäten vertieft war, sondern jetzt viel<br />

öfter mal an <strong>Uli</strong> dachte, das fiel ihr schon auf.<br />

In rasender Rache<br />

Sie schliefen nicht jeden Donnerstag miteinander, das hatte <strong>Valérie</strong> ja auch auf<br />

keinen Fall gewollt, aber es kam eben häufiger dazu. Vor allem brauchten sie<br />

nicht mehr jedes mal eine ganze Nacht. Meistens fuhr <strong>Valérie</strong> zwischen elf <strong>und</strong><br />

eins nach Hause. „Ich kann das nicht mehr, <strong>Uli</strong>.“ begann <strong>Valérie</strong>. „Seitdem er<br />

weiß, dass wir uns lieben, ist Ralf auf einmal viel fre<strong>und</strong>licher, höflicher <strong>und</strong> liebevoller.<br />

Ich will das nicht, diese plötzlichen, affektierten Zutraulichkeiten. Was<br />

soll das? Vorher war es o. k.. Vor allem aber will er jetzt mit mir schlafen.<br />

Sonst ging die Intention immer von mir aus. Ich habe das auch noch gemacht,<br />

als schon klar war, das wir uns liebten, aber jetzt kann ich es nicht mehr haben.<br />

Wenn auch der Sex zwischen dir <strong>und</strong> mir etwas völlig anderes ist, als mit<br />

Ralf, kann ich es trotzdem nicht ertragen. Bei uns ist es eine Liebesorgie, <strong>und</strong><br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 25 von 46


das geht mit sexueller Erregung am besten. Ich möchte mich in Liebe austoben.<br />

Mit Ralf ist es 08/15 Sex. Es erregt mich nicht, ein Gefühl, als ob du gekitzelt<br />

wirst <strong>und</strong> es nicht willst. Dann kannst du auch nicht lachen. Es kommt<br />

mir so vor, dass körperliche Liebe jetzt uns beiden gehört. Bei Ralf empfinde<br />

ich mich wie eine Prostituierte, die sich zur Verfügung stellt. Das ertrag ich<br />

nicht mehr länger.“ <strong>Uli</strong> machte ein gequältes Gesicht. Was sollte er dazu<br />

sagen? <strong>Valérie</strong> etwa Tipps geben, wie sie mit Ralf doch lustvollen Sex haben<br />

könnte? Andererseits versuchte er ihre Situation nachzuempfinden. Kein einziges<br />

mal würde er das tun, dachte er. Aber <strong>Valérie</strong> befand sich in dem Zwang,<br />

Ralf keine Veränderungen ihrer Beziehung spüren zu lassen. Arme <strong>Valérie</strong>, er<br />

nahm sie in die Arme <strong>und</strong> drückte sie lange <strong>und</strong> fest an sich. Die empfand sein<br />

Mitgefühl <strong>und</strong> lächelte ihn dankend an. „Ich kenne deinen Mann ja nicht, aber<br />

wenn er sonst kein oder nur selten sexuelles Interesse an dir zeigte, <strong>und</strong> seitdem<br />

er von mir weiß, mit dir schlafen will, halte ich das für äußerst perfide <strong>und</strong><br />

niederträchtig. Du hast ihn offensichtlich doch sehr tief getroffen, das seine<br />

Emotionen aus rasender Rache für die Kränkung nicht wissen, was er tut. In<br />

den antiken Dramen bringen die beleidigten Männer ihre Frauen reihenweise<br />

für so etwas um. Die Absicht, dich durch Sex zu demütigen, kann er dann doch<br />

nicht verleugnen. Ich könnte mir so etwas gar nicht gefallen lassen. Du<br />

brauchst ja keinen Streit zu provozieren, aber das solltest du ihm doch mal<br />

ganz deutlich aufzeigen. Wenn ihm klar wird, wie entwürdigend sein Verhalten<br />

ist, wird er sich bestimmt schämen. Du kannst ihn ja mal fragen, ob plötzlich<br />

seine Testosteronproduktion angestiegen sei, oder wie er es sich sonst erklären<br />

würde.“ lautete <strong>Uli</strong>s Ansicht <strong>und</strong> höchstwahrscheinlich auch Hilfe. Sehr erfolgreich<br />

war <strong>Uli</strong>s Hilfe. <strong>Valérie</strong>s Mann war es äußerst peinlich, sodass er nie wieder<br />

von sich aus sexuelle Bedürfnisse vorbrachte, <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong> tat es auch nicht.<br />

Ralf hatte dadurch aber nicht nur einen groben Fehler im Bett begangen, sondern<br />

gezeigt zu welchem Verhalten er <strong>Valérie</strong> gegenüber fähig sein konnte.<br />

Dem Vertrauen in der Beziehung untereinander hatte er einen sarken, irreparablen<br />

Schaden zugefügt.<br />

Die Seele weint<br />

<strong>Valérie</strong> hatte eine schwere Grippe mit hohem Fieber. Sie musste im Bett liegen.<br />

<strong>Valérie</strong> war krank. Wie gern wäre <strong>Uli</strong> bei ihr gewesen, hätte ihr geholfen, sie<br />

getröstet, so konnte sie nur ein paar Worte durchs Telefon krächzen. Das Fieber<br />

sank, aber es ging nicht weg <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong> fühlte sich weiterhin äußerst malade.<br />

Eine Lungenentzündung wurde diagnostiziert. Zunächst sollte sie im<br />

Krankenhaus bleiben, aber sie setzte sich durch <strong>und</strong> konnte nach Hause fahren.<br />

Sechs Wochen Bettruhe. Sie konnte es nicht fassen. Die Antibiotika reichten<br />

nur für gut eine Woche, dann müssten die Keime doch bekämpft sein. Mag<br />

schon sein. <strong>Valérie</strong> fühlte sich auch wesentlich besser, nur fit war sie keinesfalls.<br />

An einem Donnerstag kam sie einfach zu <strong>Uli</strong> <strong>und</strong> legte sich bei ihm aufs<br />

Bett. Sie hätte es nicht mehr ausgehalten. „Noch drei Wochen zu Hause bleiben,<br />

werde ich auch nicht.“ sagte sie. „Ich kann nicht einfach sieben Wochen<br />

fehlen, damit ich auch schön erholt zurück komme. Das geht in meiner Position<br />

nicht. Offiziell hat ein Vorstandskollege den Bereich mit übernommen, tatsächlich<br />

macht Sanne aber die Arbeit ganz alleine.“ <strong>Uli</strong> sah das skeptisch <strong>und</strong> äu-<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 26 von 46


ßerte Bedenken. „Als Vorstand ist man nicht einfach sieben Wochen krank, da<br />

hat man ges<strong>und</strong> zu sein.“ kommentierte <strong>Valérie</strong>. „Warum sind die anderen ges<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> du bist krank? Du warst doch auch immer ges<strong>und</strong>.“ fragte <strong>Uli</strong> naiv.<br />

Beide lachten, aber trotzdem erklärte <strong>Valérie</strong> genau die Ursache ihrer Krankheit<br />

<strong>und</strong> die Art der Keime. „Nicht dass du denkst, ich würde dir nicht glauben,<br />

Valerie. Kein Arzt würde es dir anders erklären. Nur mir hat mal jemand gesagt:<br />

„Wenn der Körper krank wird, zeigt es, dass die Seele weint.“ Valerie<br />

schaute ihn mit großen, fragenden Augen an. „Ja, als ich noch klein war, hat<br />

mein Vater erzählt, dass es in seiner Jugend noch viele Kinderkrankheiten gegeben<br />

habe. Am gefürchtetsten sei die Kinderlähmung gewesen. Viele seien<br />

daran gestorben, <strong>und</strong> in fast jeder Klasse sei ein Schüler mit körperlichen Fehlbildungen<br />

durch die Kinderlähmung gewesen. Es bekamen sie ja nicht alle,<br />

sondern nur relativ wenige Kinder. Warum ausgerechnet diese <strong>und</strong> die anderen,<br />

die die gleiche Luft mit den gleichen Viren einatmeten, nicht. Dafür gab's<br />

keine Erklärung. Das ließ mich nicht in Ruh. Später sagte man bei anderen<br />

Krankheiten, die einen seien kräftiger <strong>und</strong> widerstandsfähiger als die anderen,<br />

aber das ist Quatsch. Die Größten <strong>und</strong> Stärksten können einen Schnupfen bekommen<br />

<strong>und</strong> die Kleinen <strong>und</strong> Schwachen bleiben davon verschont. Hier wird<br />

alles mit biochemischen Prozessen erklärt, natürlich werden sie auch immer<br />

beteiligt sein. So auch, als wir uns trafen <strong>und</strong> ich schlechte Laune hatte. Wenn<br />

ich nicht dich, sondern jemanden mit einem Schnupfen getroffen hätte, wäre<br />

ich bestimmt krank geworden. Infizieren lassen habe ich mich schon, aber dein<br />

Virus vermittelt nicht nur Glücksgefühle, sondern schützt auch vor Krankheiten.<br />

Vielleicht ist dir selber etwas von diesem Schutzvirus abhanden gekommen.“<br />

versuchte es <strong>Uli</strong> zu erklären. „Trotzdem verstehe ich nicht richtig, was du<br />

sagen willst.“ <strong>Valérie</strong> dazu. „Es gibt Kräfte in uns, für die es keine medizinische<br />

Erklärung gibt. Da lässt sich jemand, der jahrelang an einer Gürtelrose<br />

leidet, von einem Heiler die Hand auflegen, <strong>und</strong> die Gürtelrose verschwindet.<br />

Die magischen Energien des Heilers, wie der meint, sind es sicher nicht.<br />

Selbstheilungskräfte konnte er beim Patienten auslösen. Diese Kräfte waren<br />

doch immer in ihm, warum konnte er sie selber nicht aktivieren. Die Chinesen<br />

sehen den Menschen nicht aufgeteilt nach Körper, Seele, Geist, sondern entscheidend<br />

ist, das alles miteinander harmoniert, alles im Einklang ist. Wenn<br />

dein Bewusstsein etwas anderes will als dein Unbewusstes, wirst du krank psychisch<br />

oder körperlich oder beides. Bei dir stimmt die Harmonie nicht. Das<br />

meine ich, was bei dir sein könnte ist, dass du mit irgendwelchen Disharmonien<br />

lebst, <strong>und</strong> dich deshalb nicht genügend gegen die Krankheit wehren konntest.“<br />

erklärte <strong>Uli</strong>. <strong>Valérie</strong> schaute mit nachdenklicher Mine <strong>Uli</strong> an, blickte zur<br />

Wand, sah wieder zu <strong>Uli</strong> <strong>und</strong> lächelte leicht. „Das wäre ja äußerst kurios, wenn<br />

ich sonst keine Grippe bekommen hätte, <strong>und</strong> mein Körper mit den Lungenentzündungsbakterien<br />

selber fertig geworden wäre. Es ist in der Tat nicht mehr so<br />

wie früher, <strong>Uli</strong>. Sonst war in der Firma alles in Ordnung <strong>und</strong> zu Hause ebenso.<br />

Du warst mein funkelndes Juwel am Donnerstag. So ist es nicht mehr. Ich habe<br />

sonst natürlich auch schon mal an dich gedacht, aber jetzt geschieht es sehr,<br />

sehr häufig. „Wie schön wäre es, wenn <strong>Uli</strong> jetzt da sein könnte.“ ist mein häufigster<br />

Gedanke. In allen Situationen taucht er auf, immer <strong>und</strong> immer wieder.<br />

Na ja, <strong>und</strong> wenn du denkst, wie schön es wär, wenn es anders wär, lassen sich<br />

stärkere Glücksempfindungen für die derzeitige Situation nur schwer entwi-<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 27 von 46


ckeln. Das bekommt Ralf auch mit. Ich hätte gesagt, es würde sich nichts verändern,<br />

aber das stimme nicht, meint er. Ich selbst hätte mich verändert. Vieles<br />

sei mir unwichtig geworden, <strong>und</strong> das höchste Gewicht läge für mich eindeutig<br />

bei dir. Es kann schon sein. Mein Empfinden für zu Hause ist keinesfalls<br />

mehr glücklich <strong>und</strong> harmonisch, eher würde ich es als aufwühlt bezeichnen.<br />

Schuld daran bist du, du bist kein zusätzliches Juwel mehr, sondern ständig<br />

präsent.“ reagierte <strong>Valérie</strong> darauf.<br />

Verstehen <strong>und</strong> nicht beurteilen<br />

Natürlich blieb <strong>Valérie</strong> keine sechs Wochen im Bett. Zwei Wochen zu früh ging<br />

sie schon wieder zu Volaris, blieb allerdings nur bis mittags <strong>und</strong> legte sich dann<br />

hin. „Das Entscheidende geschieht immer morgens.“ sagte sie zu <strong>Uli</strong>, der sie<br />

jetzt auch manchmal mittags besuchte, wenn Ralf noch nicht zu Hause war. <strong>Uli</strong><br />

schwärmte davon, wie er <strong>Valérie</strong> verwöhnen <strong>und</strong> ges<strong>und</strong> pflegen würde, wenn<br />

sie bei ihm wohnte. „Au ja, das machen wir. Ich ziehe einfach zu dir in dein<br />

kleines Nest. Nur das Bad, ich weiß nicht, ich will mal sagen, es hat für mich<br />

etwas Rustikales. Ein klein wenig mehr Komfort, käme mir da schon gelegen.“<br />

meinte <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> beide lachten. „Ja,“ <strong>Uli</strong> zögerlich darauf, „die Vorstellung,<br />

mit dir zusammenzuleben hat etwas Berauschendes. All meine Bedenken <strong>und</strong><br />

Ängste, die mich sonst beim Gedanken an ein Zusammenleben peinigten, kommen<br />

mir gar nicht in den Sinn. Du bist heute da, morgen da, immer da. W<strong>und</strong>ervoll.<br />

Ich denke, dass ich dich gar nicht oft genug erleben könnte. Kontrolliere<br />

mich so viel du möchtest, ich würde mich jedes mal aufs Neue darüber freuen.<br />

Aber wir würden uns ja nicht nur anschauen, uns am Anblick des anderen<br />

erfreuen. Wir leben beide unseren Alltag, der sieht sehr verschieden aus. Donnerstags<br />

harmoniert es immer w<strong>und</strong>ervoll, nur das ist nicht unser Alltag. Ob<br />

wir den auch harmonisch miteinander gestalten könnten, wissen wir nicht. Versucht<br />

haben wir es jedenfalls noch nicht.“ <strong>Valérie</strong>s Mimik formte keine Züge,<br />

von denen erfreuliche Zustimmung zu erwarten war. „<strong>Uli</strong>, was redest du? Weil<br />

mir dein Bad nicht komfortabel genug ist, dir aber schon, würden wir uns streiten<br />

<strong>und</strong> denken, der andere ist nicht ganz gescheit. So etwa? <strong>Uli</strong>, <strong>Uli</strong>, <strong>Uli</strong>! Wir<br />

lieben uns, nicht weil wir meinen, zu wissen, was der andere zu wollen hat. Wir<br />

wissen, dass alles, was der andere oder die andere tut oder denkt, für ihn eine<br />

Berechtigung hat, die wir so vielleicht nicht erkennen können. Wir werden den<br />

anderen fragen <strong>und</strong> keine Urteile über ihn fällen. Wenn du siehst, ich gebe für<br />

etwas Geld aus, was du für überflüssig hältst, wirst du nicht denken, wie verschwenderisch<br />

ich bin, sondern es wird dich interessieren, warum ich es nicht<br />

für verschwenderisch halte. Wir lieben uns, haben Lust daran, unser Anderssein<br />

zu verstehen <strong>und</strong> nicht es zu beurteilen. Aber, <strong>Uli</strong>, wir sind nicht nur anders,<br />

wie jeder Mensch eben ein anderer ist, wir kommen aus sehr unterschiedlichen<br />

Welten. Mit der ganzen Welt von Business, Finanzen <strong>und</strong> Technologie<br />

willst du nichts zu tun haben. Das war von Kindheit an meine Heimat, darin<br />

lebe ich. Kapitalismuskritik? Ich habe gewusst, dass es so etwas gibt, aber ich<br />

empfand mich nicht als im Kapitalismus lebend. Das war die Welt, so wie sie<br />

eben war, <strong>und</strong> ich sah, dass sie gut war. So war es üblich <strong>und</strong> so lebte man. Ich<br />

lebte, wie alle lebten, wie man so lebt. Kritik von anderer Seite, hätte mich genervt,<br />

oberflächlich pauschalierend würde ich sie zurückgewiesen oder gar<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 28 von 46


nicht zur Kenntnis genommen haben. Von dir will ich sie hören. Das war selbst<br />

bei unserem ersten Treffen schon so. Ich konnte es nicht verstehen, warum ich<br />

mich mit dir über Umwelt <strong>und</strong> Ökologie unterhalten, <strong>und</strong> sogar noch Gefallen<br />

daran gef<strong>und</strong>en hatte. Wir haben sehr unterschiedliche Leben, aber in der freien<br />

Republik da leben wir nicht, wie man so lebt. Da existieren die Masken <strong>und</strong><br />

Kostüme der Rollen nicht, da sind wir uns ganz nah <strong>und</strong> verstehen uns bis ins<br />

Tiefste <strong>und</strong> Kleinste. Da sind die unterschiedlichen Lebensweisen zu Äußerlichkeiten<br />

degeneriert, nur der wirkliche Mensch ist uns bedeutsam. Nur ihn sehen<br />

wir <strong>und</strong> wollen wir sehen.“ erläuterte <strong>Valérie</strong>, wie es sich für sie darstellte.<br />

Verrückte Hühner <strong>und</strong> starke Frauen<br />

Als <strong>Valérie</strong> zum ersten mal nach ihrer Krankheit wieder zu <strong>Uli</strong> kam, war sie<br />

ausgelassen vor Freude, als ob <strong>Uli</strong> nach sieben Jahren 'Lost in T<strong>und</strong>ra' wiedergef<strong>und</strong>en<br />

worden sei. Dabei war er vor einigen Tagen noch bei ihr gewesen.<br />

<strong>Uli</strong>s Appartement war eben nicht nur ein kleines Nest, sondern auch die Heimat<br />

ihrer Liebe <strong>und</strong> nicht zuletzt die Lokalität, der sich ihre 'Freie Republik' am<br />

ehesten räumlich zuordnen ließ. „<strong>Uli</strong> ich bin richtig high, möchte etwas<br />

Blödsinniges tun, ein verrücktes Huhn spielen oder so, aber ich weiß überhaupt<br />

nicht, wie das geht, was ich da tun müsste oder könnte.“ verkündete <strong>Valérie</strong><br />

lachend. „Du erwartest, dass ich dir aus meinem reichen Erfahrungsschatz<br />

Tipps dazu geben würde? <strong>Valérie</strong>, dazu mache ich das auch viel zu selten, aber<br />

es gibt bestimmt Ratgeber „How to be a crazy chicken“ oder so ähnlich. Ich<br />

denke, es ist eher umgekehrt, du planst es nicht, sondern du tust etwas, <strong>und</strong><br />

diejenigen, die es erleben oder erleiden müssen, meinen: „Nein,nein, die<br />

<strong>Valérie</strong>, so ein verrücktes Huhn.“.“ <strong>Uli</strong> darauf. „Ja, aber genau darum geht es<br />

doch. Wann würdest du denn meinen, dass ich ein verrücktes Huhn wäre?“<br />

erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Valérie</strong>. „Keine Angst, <strong>Valérie</strong>, das meine ich jetzt schon. Mit<br />

Sicherheit bist du es längst.“ erklärte <strong>Uli</strong>, umfing <strong>Valérie</strong>, <strong>und</strong> sie ließen sich<br />

auf's Bett fallen. „Es ist schon außergewöhnlich, <strong>Uli</strong>, ich spüre mein Glück<br />

physiologisch im Bauch, richtiges Kribbeln. Bestimmt ist es die stärkste Form,<br />

in der sich unsere Zuneigung <strong>und</strong> Liebe für mich zeigen kann, es ist sowieso<br />

mein stärkstes Gefühl, das ich kenne.“ sagte <strong>Valérie</strong>. „Aber auch andere<br />

Gefühle, die ich mit dir erfahre, sind mir sehr bedeutend, weil ich mich in ihnen<br />

sehe, erkenne, wer ich bin. Das kommt sonst nicht vor. Da sehe ich nur die<br />

bunten Kleider der Kostüme für meine Rollen, die ich spiele. Doch die bunten<br />

Farben der Stoffe haben ihre Leuchtkraft verloren, zunehmend schal <strong>und</strong> falb<br />

erscheinen sie mir. Es kommt mir vor, als ob an dem Rock ein Schild hinge:<br />

„Dies ist ein leuchtendes Rot.“, die Wirklichkeit zeigt ihn mir jedoch in einem<br />

verwaschenen Beige-Grau. Ralf hat schon Recht, wenn er meint, mir sei vieles<br />

Unbedeutend geworden, aber nicht, weil ich es übersehe oder vergesse, mich<br />

darum zu bemühen, sonder weil ich durchschaue, um welches Kartenhaus, um<br />

welchen Popanz es sich dabei tatsächlich handelt. Ich habe immer gedacht,<br />

eine äußerst starke Frau zu seinen, nur komme ich mir jetzt viel stärker vor.<br />

Mein früheres Bild der starken Frau hat sehr große Schwächen.“ „Ich habe mal<br />

gehört, Frauen seien von Natur aus das schwache Geschlecht.“ versuchte <strong>Uli</strong><br />

einen Scherz. Eindringlich, mokant blickte <strong>Valérie</strong> ihn längere Zeit an. „Oh, <strong>Uli</strong>,<br />

du gehst doch nicht davon aus, dass so ein übler Witz ungestraft verklingen<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 29 von 46


wird.“ meinte <strong>Valérie</strong>. „Kennst du den Fischer von Goethe, „Halb zog sie ihn,<br />

halb sank er hin“? Der wusste auch schon, dass Frauen gr<strong>und</strong>sätzlich die<br />

Stärkeren sind.“ „Ich glaube auch,“ meinte <strong>Uli</strong>, „Sie sprach zu ihm, sie sang zu<br />

ihm; da war's um ihn geschehn.“ Anders als bei uns? Kein bisschen.“ Lachen<br />

mussten sie trotzdem.<br />

Dicke Schmiermittel<br />

„Jetzt bin ich wieder ges<strong>und</strong>, habe kein Fieber mehr <strong>und</strong> in meinem Blut ist<br />

auch nichts mehr zu erkennen. Mit der Harmonie, das hätte ich sonst immer<br />

als Spinnerei zurück gewiesen, aber dir glaube ich es. Der Unterschied ist, dass<br />

ich dir zuhöre <strong>und</strong> Lust daran habe, dich zu verstehen, <strong>und</strong> nicht beim ersten<br />

Wort schon das ablehnende Urteil für mich feststeht. Nur wenn es so ist, dass<br />

meine Disharmonien zu Hause mich anfällig gemacht haben, dann werde ich<br />

bald wieder krank sein, denn daran hat sich ja nichts geändert. Es ist eher<br />

schlimmer geworden.“ vermutete <strong>Valérie</strong>. „Wo <strong>und</strong> wie zeigt sich das?“ fragte<br />

<strong>Uli</strong> nach. „Es sollte ja alles so bleiben, wie es war, sich nichts verändern. In unserem<br />

Verhalten <strong>und</strong> Umgang miteinander hat sich nichts besonders verändert,<br />

aber es ist in vielem sehr äußerlich, hat an Substanz <strong>und</strong> Inhalt verloren.<br />

Nachgemachtes Verhalten ist es, dem die frühere Vertrauens- <strong>und</strong> Verb<strong>und</strong>enheitsbasis<br />

fehlt. In mancher Hinsicht ist es hohl geworden, wie die menschliche<br />

Ebene unserer Beziehung insgesamt. Etwas Erstrebenswertes kann ich darin<br />

nicht mehr sehen.“ erläuterte es <strong>Valérie</strong>. <strong>Uli</strong> starrte sie mit ernsten Gesichtszügen<br />

an, sagte aber nichts. <strong>Valérie</strong> sagte auch nichts, nur ihre Mimik drückte<br />

bestätigend: „Ja, so ist das.“ aus. „<strong>Valérie</strong>, du solltest dir genau überlegen, was<br />

du gerade gesagt hast. Wenn es tatsächlich so ist, wie du es darstellst, dann<br />

handelt sich bei eurem Verhältnis, meiner Ansicht nach, nur noch um eine<br />

Scheinbeziehung.“ erklärte <strong>Uli</strong>. „Was soll ich denn tun? Was soll ich denn ändern?“<br />

<strong>Valérie</strong> fast gequält. „<strong>Valérie</strong>, nicht dass du denkst, ich wolle dich beeinflussen<br />

oder sogar zu etwas drängen. Ich sage nur, wie es sich für mich darstellt.<br />

Falsch <strong>und</strong> verlogen kommt mir so ein Verhalten vor. Du sagst es ja<br />

selbst, hohl <strong>und</strong> substanzlos sei es. So eine Beziehung wollte ich für mich<br />

nicht, ich könnte sie gar nicht ertragen. Das wäre meiner Persönlichkeit, meinem<br />

ganzen Wesen zuwider. So etwas fortzuschreiben, das könnte mich schon<br />

krank machen, denke ich.“ lautete <strong>Uli</strong>s Sicht. „Du meinst, ich sollte mich von<br />

Ralf trennen? Du spinnst wohl. Ralf ist mein Liebster. Ich habe ihn erst spät<br />

kennengelernt. Früher dachte ich auch, Fre<strong>und</strong>, Mann, so etwas brauche ich<br />

nicht <strong>und</strong> will ich nicht. In der Schule hatte ich einen Fre<strong>und</strong>. Als es mir auf einer<br />

Party mit einem anderen Jungen gut gefiel, <strong>und</strong> ich dachte, mit ihm im<br />

Bett wäre es bestimmt auch sehr schön, da ging das nicht, weil Tom ja mein<br />

Fre<strong>und</strong> war. Wieso hatte Tom über mich <strong>und</strong> mein Vergnügen zu bestimmen. Er<br />

bestimmte noch über vieles mehr, wurde mir klar. Das wollte ich nicht, über<br />

mich sollte niemand bestimmen können, über mich bestimmte nur ich selber<br />

allein. Tiefgreifende Nachteile bei nur mäßigen Vorteilen hatte ein Fre<strong>und</strong> oder<br />

Partner zu bieten. Diese Einstellung gehörte zu mir, so würde es immer bleiben.<br />

Als ich Ralf kennenlernte, war ich schon älter. Dass er mich dominieren<br />

könnte, solche Gedanken kamen mir bei ihm nicht. Wir verstanden uns einfach<br />

ausgezeichnet, rangierten auf den gleichen Gleisen, wir würden uns wohlfühlen<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 30 von 46


miteinander, <strong>und</strong> wir hatten uns gegenseitig auch einiges zu bieten. Das hast<br />

du nicht, <strong>Uli</strong>.“ erklärte sich <strong>Valérie</strong>. <strong>Uli</strong> hatte nur zugehört, obwohl ihn <strong>Valérie</strong>s<br />

Darstellungen nicht wenig erstaunten, aber er war der Ansicht, es sei in dieser<br />

Situation weiser, zu schweigen, <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong> das Wort zu überlassen. Die fuhr<br />

fort: „Zwei Teile hat mein Leben, der erste Part ohne Mann <strong>und</strong> der zweite mit.<br />

Der zweite ist klar besser, aber das liegt eindeutig an Ralf. Diesen zweiten Teil<br />

soll ich ersatzlos streichen, ihn als bedeutungslos vergessen? Dann wird er ein<br />

großes Loch in meiner Persönlichkeit hinterlassen. Du kannst kein Ersatz für<br />

Ralf sein, du bist etwas ganz anderes. Ich liebe meine Eltern, ich liebe Sanne,<br />

ich liebe meine Fre<strong>und</strong>innen, ich liebe Ralf, nur jetzt kommt es mir vor, als ob<br />

ich sagen müsste: „Sie bedeuten mir sehr viel, ich mag sie gern.“. Zu welcher<br />

tiefen, bedingungslosen Beziehung zu einem anderen Menschen ich fähig sein<br />

konnte, das wusste ich nicht, <strong>und</strong> konnte es mir nicht vorstellen. Mich nicht dominieren<br />

lassen? Lächerlich. Es macht mich glücklich, dir alles schenken zu<br />

dürfen <strong>und</strong> erlebe dein Glück, dich mir zu schenken. Mit uns habe ich kennengelernt,<br />

was Liebe sein kann <strong>und</strong> ist. Du magst alles können, der angesehenste<br />

Mensch der Welt sein, „hättest aber die Liebe nicht“ wäre doch alles nichts<br />

wert. Jetzt verstehe ich das. Ich hatte die Liebe nicht, wusste nicht, was sie<br />

war. Mit dir habe ich sie kennengelernt, <strong>und</strong> sie hat mich einen anderen Menschen<br />

in mir entdecken lassen.“ <strong>Uli</strong> sagte auch jetzt noch nichts. <strong>Valérie</strong> legte<br />

sich auch hin, ihren Kopf auf <strong>Uli</strong>s Schulter <strong>und</strong> ihr linkes Bein umschlang <strong>Uli</strong>s<br />

Oberschenkel. Mit dem Zeigefinger der linken Hand fuhr sie über <strong>Uli</strong>s Hemd,<br />

als ob sie Figuren darauf malte. <strong>Uli</strong> streichelte ihr das Haar. Eine ganze Weile<br />

lagen die beiden still da. „Ich glaube, du trägst die Widersprüche, die Disharmonien<br />

in dir selbst <strong>und</strong> willst sie dort auch kultivieren.“ meinte <strong>Uli</strong> nach einiger<br />

Zeit. „Wieso?“ wünschte <strong>Valérie</strong> Näheres zu erfahren. „Na, du hast Vorstellungen,<br />

die widersprüchlich sind <strong>und</strong> sich nicht miteinander vertragen. Du hast<br />

das schöne Bild von Ralf, was er dir bedeutet, gleichzeitig eine Ikone für den<br />

zweiten, besseren Teil deines Lebens, du sagst aber, dass es jetzt so nicht<br />

mehr ist, die Substanz verschw<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> es das Vertrauen gar nicht mehr<br />

gibt, eure gemeinsamen Gleise zerstört sind oder in andere Richtungen führen.<br />

Das schöne Bild aber ist dir so kostbar, dass du es nicht verlieren möchtest.“<br />

erläuterte <strong>Uli</strong>. „Das passt nicht zueinander, nicht wahr? Das reibt sich, wie ein<br />

Motor, der kein Gleitmittel mehr hat, bleibt sofort stehen <strong>und</strong> ist kaputt.“ fasste<br />

es <strong>Valérie</strong>, womit sie <strong>Uli</strong> zum Lachen brachte. „Öl heißt das Gleitmittel für den<br />

Motor, aber was divergierende Ansichten in dir selbst mit einem Gleitfilm überziehen<br />

könnte, weiß ich nicht. Ich denke auch, das dickste Schmiermittel wird<br />

da nicht helfen, du musst das Problem lösen. Vielleicht geht es ja mathematische,<br />

als Gleichung mit zwei Diskrepanzen, aber logisch denkend können wir<br />

Rot nicht auch als Grün erkennen.“ erläuterte <strong>Uli</strong>. „Mag sein, dass du logisch<br />

denkend Recht hast, aber Ralf zu sagen: „Wir sind getrennte Leute. Ich will mit<br />

dir nichts mehr zu tun haben.“ <strong>Uli</strong>, das kann doch nicht gehen. Als ob ich es zu<br />

mir selbst sagte, so käme es mir vor.“ erklärte <strong>Valérie</strong>. „Meine Liebste, wer<br />

wäre ich, dir zu raten, dass du so etwas tun solltest. Vielleicht gibt es ja doch<br />

so etwas Ähnliches wie ein Gleitmittel. Wenn du Zusammenhänge erkennst,<br />

weißt, wie du es einzuordnen <strong>und</strong> zu bewerten hast, wirst du manches sicher<br />

nicht mehr als quälend empfinden. Das beste Gleitmittel aber wird zweifellos<br />

sein, darüber zu reden. Denke nicht, dass es uns am Donnerstag stören würde.<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 31 von 46


Was ist mir wichtiger, als dich „highly pleased“ zu erfahren, <strong>und</strong> das gehört mit<br />

Sicherheit dazu.“ stellte <strong>Uli</strong> klar. <strong>Valérie</strong> schmunzelte: „Ich würde mich dann<br />

nicht nur auf Donnerstag freuen, sondern auch die ganze Woche danach. Weißt<br />

du noch, beim ersten mal hat unser Gespräch, deine Traurigkeit vertrieben,<br />

jetzt würde unser Gespräch für mich so wirken, wie eine Dopamin Gabe mit<br />

lang anhaltender Wirkung. So könnte es doch sein, oder?“ fragte <strong>Valérie</strong> mit<br />

schelmischem Blick. „So wird es sein, <strong>Valérie</strong>. Wie könnte es anders sein.“ reagierte<br />

<strong>Uli</strong> lächelnd.<br />

Warum hast du dir keins gemacht?<br />

So ähnlich muss es auch wohl gewesen sein. <strong>Valérie</strong> litt nicht mehr. Das Leben<br />

zu Hause machte sie zwar nicht glücklich, aber sie schien darüber zu stehen.<br />

Es quälte sie nicht mehr, sie störte sich nicht mehr daran. Wochen <strong>und</strong> Monate<br />

vergingen, <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> hatten gemeinsam Skiurlaub gemacht, <strong>und</strong> an Wochenenden<br />

blieb sie auch häufiger bei <strong>Uli</strong>. Mittlerweile war es wieder Frühling,<br />

<strong>und</strong> als sie bei einem Spaziergang im Parkcafé saßen, blickte <strong>Valérie</strong> <strong>Uli</strong> mit einem<br />

wohligen, fast mütterlichen Lächeln an. „<strong>Uli</strong>, ich muss dir etwas ganz<br />

Wichtiges sagen. Erschrick nicht gleich. Ich habe die Pille nicht genommen,<br />

<strong>und</strong> jetzt bin ich guter Hoffnung. Ich werde Mami.“ teilte sie mit. Ob <strong>Uli</strong> erschrocken<br />

war, oder was auch immer, jedenfalls bekam er seinen M<strong>und</strong> nicht<br />

wieder zu. „<strong>Uli</strong>, ich bin schwanger <strong>und</strong> bekomme ein Kind.“ wiederholte es<br />

<strong>Valérie</strong>. Verstanden würde <strong>Uli</strong> es schon haben, nur in seinem Großhirn musste<br />

es plötzlich zu chaotischen Zuständen geführt haben. Wie hatte er selbst gesagt?<br />

Veränderungen, die du nicht träumen kannst, weil du sie nicht denken<br />

kannst. Um so etwas Ähnliches musste es sich handeln. „Seit wann weißt du<br />

es?“ fragte <strong>Uli</strong> ganz milde. Von den tausend Fragen in seinem Sprachzentrum,<br />

die auf klangliche Präsentation warteten, hatte sich diese wohl vorgedrängt.<br />

<strong>Valérie</strong> wusste es seit Montag <strong>und</strong> hatte es Ralf am Abend direkt mitgeteilt.<br />

Der hatte nur schlicht gesagt: „Das kann ich nicht. Ich werde mir eine Wohnung<br />

suchen. Wir werden uns trennen müssen. Schade. Es wird weh tun. Aber<br />

dich mit einem Kind von <strong>Uli</strong>, das würde noch mehr weh tun.“ <strong>Valérie</strong> hatte<br />

überhaupt nichts dazu gesagt. Wahrscheinlich füllte das beginnende Leben in<br />

ihrem Bauch, das befürchtete Loch in ihrer Persönlichkeit aus. Ein dritter Part<br />

in ihrem Leben, der sie vom Verlust des zweiten kaum Notiz nehmen ließ.<br />

<strong>Valérie</strong> war es leicht gefallen. Kein Problem hatte sie damit gehabt, es Ralf zu<br />

sagen. Ihre Unbeschwertheit war ihr selber aufgefallen. Vielleicht empfand sie<br />

es ja so, das jeder, der von ihrem künftigen Glück erfuhr, sich ebenfalls freuen<br />

müsse, auch Ralf. „Das kann nicht sein.“ äußerte sich <strong>Uli</strong> erstaunt, „Wir schlafen<br />

ganz harmlos miteinander <strong>und</strong> in deinem Bauch vereinigen sich unsere Zellen<br />

<strong>und</strong> beginnen sich zu vermehren. Wir merken nichts davon, <strong>und</strong> du fährst<br />

möglicherweise um Zwölf nach Hause, während in deinem Bauch das Baby fleißig<br />

wächst.“ <strong>Valérie</strong> lachte sich schief. „Was willst du machen? Zuschauen<br />

kannst du nicht. Bei allen Leuten läuft es so, merken kann es niemand. Aber es<br />

muss an einem Wochenende gewesen sein. Nachts, als wir geschmust, <strong>und</strong> ich<br />

an dich gekuschelt geschlafen habe, werden sie in deinem Bett ihr Teilungs-<br />

<strong>und</strong> Vermehrungswerk begonnen haben.“ bemerkte <strong>Valérie</strong>. <strong>Uli</strong> verhielt sich so,<br />

als ob alles selbstverständlich sei. Erst zu Hause konnte er seine drängendsten<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 32 von 46


Fragen los werden. „Warum hast du mir vorher kein Wort davon gesagt?“ erklang<br />

<strong>Uli</strong> in einem schon recht vorwurfsvollen Tonfall. „Du fühlst dich gekränkt,<br />

<strong>Uli</strong>, nicht wahr? Ganz unverständlich ist mir das keineswegs, aber ich wusste<br />

nicht, wie ich es hätte vermeiden können. Nie in meinem Leben habe ich mir<br />

vorstellen können, dass mir das Leben mit Kindern etwas gäbe. Mit ihnen<br />

kämen Anforderungen auf mich zu, die lebensverändernd sein würden. Wozu?<br />

Das brauchte ich nicht. Jetzt kann ich es ganz anders sehen <strong>und</strong> empfinden.<br />

Kinder sind prinzipiell Bürger unserer 'Freien Republik'. Sie leben ihre wirklichen,<br />

menschlichen Gefühle <strong>und</strong> Bedürfnisse natürlich, bis sie später von Eltern,<br />

Schule <strong>und</strong> Fernsehen verdorben <strong>und</strong> der Volksgenossenschaft einverleibt<br />

werden. Kinder lernen alles von ihrer Mutter, wenn sie klug ist, lernt sie auch<br />

viel von ihnen. Ganz langsam ist es in mir gewachsen, wie eine Knospe, die im<br />

harten Holz anfängt, sich zu formen. Sie hat sich immer weiter entwickelt <strong>und</strong><br />

zeigte mir dann deutlich: Ich würde jetzt mit Kindern leben wollen, würde mich<br />

darauf freuen, es entsprach meinem neuen Bild von mir. Es war mein Wunsch.<br />

Ich wollte ein Kind. Mein Kind würde es sein.“ erläuterte <strong>Valérie</strong>, aber zufriedenstellend<br />

erklärt schien es nach <strong>Uli</strong>s Mimik nicht zu sein. „Ja schön, aber<br />

warum hast du nicht trotzdem darüber gesprochen?“ monierte <strong>Uli</strong>. „Dann hätten<br />

wir darüber diskutiert, ob wir Kinder wollten. Darum ging es aber nicht. Ich<br />

wollte ein Kind. Das war meine Entscheidung. Die stand fest.“ begründete<br />

<strong>Valérie</strong>. „Warum hast du dir dann keins gemacht?“ fragte <strong>Uli</strong> schnippisch.<br />

<strong>Valérie</strong> grinste nur abfällig wie über einen schlechten Scherz. „Das gibt es nicht<br />

<strong>Valérie</strong>. Kinder sind nie eine Einzelsache. Seit mehreren h<strong>und</strong>ert Millionen Jahren<br />

gehören bei den meisten Lebewesen immer zwei dazu. Alle Menschen haben<br />

auch einen Vater, immer.“ stellte <strong>Uli</strong> klar. Sie stritten <strong>und</strong> unterhielten sich<br />

mit verschiedensten Argumenten <strong>und</strong> aus unterschiedlichsten Perspektiven<br />

darüber, ob <strong>Uli</strong> vorher hätte informiert werden müssen. Die Wirklichkeit sah so<br />

aus, das <strong>Valérie</strong> Kinder wollte, von <strong>Uli</strong>. Sie wollte ihn aber keinesfalls damit<br />

überfordern <strong>und</strong> hätte sich dann auch allein um die Kinder gekümmert. Alles<br />

ein riesiges Missverständnis, tatsächlich freute sich <strong>Uli</strong> genauso wie <strong>Valérie</strong>,<br />

vielleicht um wenige Grade geringer, aber so genau kann man sich auf die Laetitiometer<br />

ja nicht verlassen. Ob die Freude auch so groß gewesen wäre, wenn<br />

<strong>Valérie</strong> vorher gefragt hätte, das weiß man nicht, aber jede Antwort wäre der<br />

Versuch einer überflüssigen Hypothese. Auch wenn <strong>Uli</strong> sich freute, mit <strong>Valérie</strong><br />

ein Kind zu bekommen, blieb ihre Vorgehensweise trotz aller Erklärungen <strong>und</strong><br />

<strong>Uli</strong>s Versuchen, sie zu verstehen, weiterhin mit Rätseln behaftet. Alles besprach<br />

<strong>Valérie</strong> mit <strong>Uli</strong>, aber dass sie ein Kind mit ihm haben wolle <strong>und</strong> es auch<br />

realisierte, konnte sie verschweigen. Wenn er gesagt hätte, dass er es nicht<br />

wolle, hätte er über sie <strong>und</strong> ihren Kinderwunsch bestimmt, <strong>und</strong> das durfte<br />

selbst <strong>Uli</strong> nicht. Aber ein Wunsch, der ihr allein gehörte, war es ja von Anfang<br />

an nicht, weil sie ihn nicht allein realisieren konnte. <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> liebten es<br />

offensichtlich immer wieder darüber zu diskutieren, Gespräche, die kein Ende<br />

finden mussten, wenn man es nicht wollte. Alles konnte man daran diskutieren,<br />

vom Feminismus bis zur Menschenwürde. Emotional <strong>und</strong> spannend würde<br />

es immer werden, Voraussetzung war nur, dass jeder seine Gr<strong>und</strong>position beibehielt,<br />

es sagen oder nicht sagen zu müssen. Aber im Gr<strong>und</strong>e handelte es<br />

sich nur um die erforderliche Diskussionsbasis, ernst nahmen es beide schon<br />

längst nicht mehr.<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 33 von 46


Keine Brut hinterlassen<br />

Nach Ralfs Auszug war <strong>Uli</strong> häufig, fast ständig bei <strong>Valérie</strong>. 'Wie schön es wäre,<br />

wenn <strong>Uli</strong> jetzt hier wäre', hatte sich realisiert. Der Traum vom Paradies, von<br />

der immerwährenden 'Freien Republik' war er jetzt erfüllt? Direkt zu <strong>Valérie</strong> ge -<br />

zogen war <strong>Uli</strong> nicht. Nicht etwa, weil er ein selbstbestimmtes Leben in einer eigenen<br />

Wohnung führen wollte. Er zöge ja nicht zu <strong>Valérie</strong>, erklärte es <strong>Uli</strong>, sondern<br />

in das gemeinsame Haus von Ralf <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong>. „<strong>Uli</strong>, ich habe sehr viel Verständnis<br />

für dich. Wir haben neue Matratzen <strong>und</strong> Bettwäsche besorgt, müssen<br />

wir jetzt auch noch jeden Stuhl <strong>und</strong> Sessel verbrennen, auf dem Ralf mal gesessen<br />

hat? Ralf ist in diesem Haus für mich nicht mehr oder weniger gegenwärtig,<br />

als wenn ich bei dir lebte. Wahrscheinlich hast du in deinem Bett auch<br />

schon mit einem anderen Mädchen geschlafen. Hat mich das interessiert? Dieses<br />

Haus ist nicht Ralfs Haus, in seinem Zimmer hat mein Großvater gearbeitet<br />

ebenso wie mein Vater, Ralf nur die kürzeste Zeit. Eine Brut, die du töten<br />

müsstest, hat er auch nicht hinterlassen, aber die Aerosole aus seinem Atem<br />

werden sich überall an Tapeten <strong>und</strong> Möbeln abgelagert haben. <strong>Uli</strong>, wie empfindlich<br />

du sein kannst. Ich möchte allerdings auch schon, dass es unser Haus,<br />

unser Nest, unsere Republik wird. Ich hatte gedacht, der kleine <strong>Uli</strong> sollte in<br />

eine andere Welt geboren werden. Vielleicht sollten wir aber jetzt schon<br />

anfangen, es zu planen <strong>und</strong> eine Innenarchitektin einladen.“ erklärte <strong>Valérie</strong>.<br />

Wenn ich deine Augen sehe<br />

'Der kleine <strong>Uli</strong>' wurde das Krabbeltier in <strong>Valérie</strong>s Bauch immer genannt. Sieben<br />

kleine <strong>Uli</strong>s wollte <strong>Valérie</strong> haben, nur ob das einer Frau mit drei<strong>und</strong>vierzig noch<br />

möglich wäre, hatte <strong>Valérie</strong> nicht genau analysiert, aber wenn sie es für sich so<br />

bestimmt hatte, wer wollte daran etwas ändern. Nach der Geburt hatte sich die<br />

Anzahl schon erheblich reduziert. Einmal wolle sie es noch versuchen. Die Renovierung<br />

war schon im Sommer abgeschlossen. Vor <strong>Uli</strong>s endgültigem Umzug<br />

mussten die beiden noch eine Abschiedsnacht in seinem Nest verbringen. Alles<br />

wollten sie aus <strong>Uli</strong>s Höhle mitnehmen, aber bei den Sachen, die man in Umzugskartons<br />

packen konnte, handelte es sich um die weniger wichtigen, selbst<br />

bei der Kaffeemaschine. Alles andere, was sie hier entwickelt hatten vom ersten<br />

Espresso bis zum Wachsen der Frühlingsknospe in <strong>Valérie</strong>s Bauch war nicht<br />

nur ein Film, den sie sich rückwärts blickend vor ihrem inneren Auge anschauen<br />

konnten. Sie hatten sich in diesem einen Jahr selbst stark verändert. <strong>Uli</strong>s<br />

Nest glich einem Studio, in dem sie ihre Persönlichkeiten geformt hatten. Von<br />

<strong>Valérie</strong>s Persönlichkeit, die nach ihrer Ansicht aus den zwei Bereichen, Beruf<br />

<strong>und</strong> dem Leben zu Hause, bestand, waren nur noch Ruinen übrig, <strong>und</strong> <strong>Uli</strong><br />

meinte, durch die Liebe zu <strong>Valérie</strong> ein ganz anderer Mensch geworden zu sein.<br />

Zufrieden sei er mit sich gewesen, für klug, kritisch <strong>und</strong> gebildet habe er sich<br />

gehalten, aber was es eigentlich über ihn selber sagte, habe er gar nicht fragen<br />

können. Als er mal versuchte, sich Klarheit darüber zu verschaffen, was sein<br />

Verhältnis zu <strong>Valérie</strong> für ihn bedeute <strong>und</strong> bewirke, wurde ihm deutlich, in welchen<br />

Dimensionen <strong>und</strong> Schemen er dachte. Er fragte sich, ob ein Verhältnis mit<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 34 von 46


einer vierzehn Jahre älteren Frau, eine <strong>und</strong> wenn dann welche Perspektive haben<br />

könnte. Gedanken, wie sie alle denken würden, nach denen ein Mensch,<br />

der klug, kritisch <strong>und</strong> gebildet war, viel galt. So ein Unsinn, er liebte <strong>Valérie</strong><br />

doch, ihr gehörte sein Herz, was sollten diese dummen Gedanken? Sein Bild<br />

von sich hatte er auf einem Klischee der allgemeinen Bilder von wertvollen<br />

Menschen begründet. Wenn er <strong>Valérie</strong> fragte, die würde ihm etwas ganz anderes<br />

sagen, was sie an ihm als wertvoll schätze, als diesen Sermon, den man so<br />

zu denken gewohnt ist. Liebe macht nicht nur schön sondern auch wahr <strong>und</strong><br />

meidet das Allgemeine. Er sehe sich jetzt unter völlig anderen Prämissen,<br />

meinte <strong>Uli</strong>. Außer der Vereinigung von Küche <strong>und</strong> Wohnraum hatte es keine<br />

baulichen Veränderungen gegeben. <strong>Valérie</strong> bestand auf einem normalen Küchentisch<br />

aus Holz. Sich auf Hockern um die Herdplatten zu gruppieren hielt<br />

sie für abartig. Küche brauche eine gemütliche Atmosphäre. Das sah Mala genauso.<br />

Mala war aufgeblüht, <strong>und</strong> offensichtlich auch dabei, in die 'Freie Republik'<br />

überzusiedeln. Sie war als kleines Kind mit ihren Eltern aus Kroatien gekommen.<br />

<strong>Uli</strong> meinte, dass sich Mala daran nicht erinnern könne, sie sei in<br />

Wirklichkeit eine indische Frau. Die beiden verstanden sich äußerst gut <strong>und</strong><br />

liebten es, miteinander zu scherzen. Auch <strong>Valérie</strong>s Verhältnis zu Mala änderte<br />

sich dadurch. Mala war nicht mehr die Hausangestellte, sondern gehörte mit<br />

zur Familie. Jetzt wurden natürlich auch die Fre<strong>und</strong>innen eingeladen, was sie<br />

letztendlich dachten, konnte man natürlich nicht ergründen. „So was Junges,<br />

Knackiges, wie hat sie das nur gemacht?“ oder „Wie kann man nur? Ein Student.“,<br />

wer weiß, bestimmt dachten manche ähnlich, sie lobten <strong>Valérie</strong> gegenüber<br />

aber alle, dass man sich mit <strong>Uli</strong> sehr gut unterhalten könne. Die beiden<br />

hatten darüber diskutiert, aber <strong>Uli</strong> bestand darauf, dass auch Sanne eingeladen<br />

würde. Zum Abbau der eigenen Rollenkonkretionen gehöre auch, die Rollenzuschreibungen<br />

für andere zu lockern, argumentierte er. Natürlich mussten<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> in ihr Café, wo sie sich vor einem Jahr kennengelernt hatten.<br />

Das genaue Datum wussten sie allerdings nicht. <strong>Uli</strong> recherchierte. Es musste<br />

der vorletzte Donnerstag vorm Ende der Hochdruckphase gewesen sein. Jetzt<br />

wussten sie, wann sie sich kennengelernt hatten. „Muss ich auch wieder ein<br />

Volkstrauertagsgesicht machen?“ fragte <strong>Uli</strong> im Café scherzend. „Ja, bitte, was<br />

gibt es Schöneres als einem anderen seine schlechte Laune zu vertreiben. Was<br />

hattest du damals eigentlich wirklich, weißt du das noch?“ fragte <strong>Valérie</strong>. „Nix,<br />

einfach nur schlechte Laune. Hast du nie, nicht war?“ <strong>Uli</strong> dazu. „Doch, wenn ich<br />

wach werde, ist es jeden Morgen anders. Liegt wahrscheinlich an den Träumen.<br />

Bei mieser Stimmung weck ich dich, du strahlst immer, wenn du wach wirst.<br />

Hast du keine unangenehmen Träume?“ wollte <strong>Valérie</strong> wissen. „Mag schon<br />

sein, aber die sind direkt vergessen, wenn ich deine Augen sehe. Das wird der<br />

kleine <strong>Uli</strong> auch machen, wenn er Mamas Augen sieht, wird er glücklich sein,<br />

weil die Welt dann für ihn in Ordnung ist. Meinst du für mich könnte die Welt in<br />

Unordnung sein, wenn ich deine Augen sehe. Du hast sehr schöne Augen<br />

<strong>Valérie</strong>, die können vieles erzählen <strong>und</strong> zum Ausdruck bringen, wie dich etwas<br />

bewegt.“ sagte <strong>Uli</strong>. Aber mit <strong>Uli</strong>s Trauermine, das wollte selbst mit <strong>Valérie</strong>s Anleitung<br />

nicht klappen, auch wenn es heute gar kein w<strong>und</strong>ervoller Sommertag<br />

war. „Frau Senger, immer wieder ist man erstaunt, wie viel sich in einem Jahr<br />

verändert, nicht wahr.“ meinte <strong>Uli</strong> <strong>und</strong> es fiel ihm schwer, ernst zu bleiben. „Allerdings,<br />

aber nicht nur staunen, du hältst die Veränderungen doch wohl für<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 35 von 46


sehr bedeutsam, will ich hoffen. Veränderungen, die wir wahrnehmen mussten,<br />

auch wenn sie von niemandem intendiert waren.“ so sah es <strong>Valérie</strong>. „Unser Bewusstsein<br />

hat es nicht intendiert, da gebe ich dir Recht. Unsere Herzen müssen<br />

es sein, die es so gewollt <strong>und</strong> durchgesetzt haben.“ meinte <strong>Uli</strong> <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong><br />

nickte mit einer breit lächelnden Schnute Zustimmung. „Liebe ist das einzig<br />

unplanbare, unkalkulierte, nicht berechnende Verhalten des Menschen. Es<br />

steht in Widerspruch zu seinem ganzen sonstigen Gebaren. Pure Lust am Geben<br />

<strong>und</strong> Schenken, ohne an irgendeinen eigenen Vorteil zu denken. Vielleicht<br />

ist das der wirkliche Mensch, <strong>und</strong> das andere hat sich im Laufe der Evolution<br />

dazu entwickelt. Man sollte das Prinzip der Liebe auch auf andere Bereiche<br />

ausdehnen.“ formulierte <strong>Uli</strong> seine Gedanken. „Alles verschenken, meinst du,<br />

auch anderswo. Na, das wollte aber gut durchdacht sein. Die meisten meiner<br />

Mitarbeiter, würden dem zur Zeit sicher noch nicht so ohne weiteres folgen<br />

können.“ sah <strong>Valérie</strong> es bei gemeinsamem Lachen.<br />

'No Name' Baby<br />

Sehen konnte man es an <strong>Valérie</strong>s Bauch schon, aber Umstandskleidung<br />

brauchte sie noch nicht. Weihnachten würden sie mit dem kleinen <strong>Uli</strong> feiern,<br />

dann wäre er vier Wochen alt, nur wie sein Name lauten sollte, konnte noch<br />

niemand sagen. <strong>Uli</strong> war es egal. Ihm kam es nur darauf an, einen Namen zu<br />

finden, der ihm <strong>und</strong> dem Kind gefallen würde, aber <strong>Valérie</strong> hätte ihn gern auch<br />

<strong>Uli</strong> genannt. Der Name klang gut in ihren Ohren, wohl nicht zuletzt wegen der<br />

damit verb<strong>und</strong>enen Assoziationen. „Er ist ja ein anderer <strong>Uli</strong>. <strong>Uli</strong> Senger <strong>und</strong><br />

nicht <strong>Uli</strong> Brauer, nach der Mutter, siehst du.“ argumentierte <strong>Valérie</strong>. Auch wenn<br />

<strong>Uli</strong> lachen musste, zwei <strong>Uli</strong>s hielt er aber für falsch, <strong>und</strong> dass <strong>Valérie</strong> ihn selbst<br />

zur Unterscheidung eventuell auch Papi nennen würde, könne er nicht ertragen.<br />

„Aber andere Namen mit 'U' gibt es nicht. Uwe oder Udo scheidet doch<br />

wohl aus. Ulrico, italienisch, oder Ulysse käme vielleicht noch in Frage. So<br />

einen völlig exotischen Namen möchte ich nicht, das würde ihn mir entfremden.“<br />

meinte <strong>Valérie</strong>. Man wollte mit der Entscheidung warten. Vielleicht käme<br />

ja unverhofft eine Lösung zustande.<br />

Malas Weg ins Paradies<br />

„Das haben sie sehr gut gemacht, Frau Senger.“ meinte Mala beim Kaffee am<br />

Küchentisch zu <strong>Valérie</strong>. Auf ihre fragenden Augen antwortete Mala: „Das mit<br />

<strong>Uli</strong> Berger, meine ich. Jetzt ist alles ganz anders.“ „Du fühlst dich wohl, bist<br />

sehr glücklich, nicht wahr? Ein bisschen wie im Paradies vielleicht?“ <strong>Valérie</strong><br />

dazu. „Für sie ist es bestimmt wie im Paradies.“ meinte Mala. <strong>Valérie</strong> lächelte<br />

<strong>und</strong> fragte erstaunt: „Für dich nicht?“ „Na, fürs Paradies müsste man doch<br />

auch einen Liebsten haben, oder nicht?“ meinte Mala. „Ja, das stimmt. Und du<br />

findest keinen?“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Valérie</strong>. „Ich habe zu hohe Ansprüche, <strong>und</strong> wer<br />

nimmt denn schon eine Frau, die im Haushalt arbeitet.“ lautete Malas Begründung.<br />

„Ha, Mala, ich habe einen Studenten genommen, <strong>und</strong> wenn <strong>Uli</strong> zuerst<br />

dich <strong>und</strong> nicht mich kennengelernt hätte, würde er dich bestimmt genommen<br />

haben. Er mag dich nämlich gut leiden. Mala, die Liebe interessiert es doch<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 36 von 46


nicht, wo du arbeitest.“ erklärte <strong>Valérie</strong>. Auch wenn Mala über die Vorstellung<br />

mit <strong>Uli</strong> lachen musste, sah sie die Aussagen zur Liebe doch skeptisch. „Wenn<br />

dich jemand nicht lieben will, weil du im Haushalt arbeitest, vergiss es. Wahre<br />

Liebe ist das sowieso nicht. Die sieht nur den Menschen, den nackten Menschen,<br />

Beruf, Geld, Vermögen oder Ähnliches, das sind nur unbedeutende Äußerlichkeiten.<br />

Ein Liebster liebt dein Herz <strong>und</strong> nicht dein Geld oder deine Bildung.<br />

Außerdem gehst du ja auch jetzt zum Abendgymnasium. Wenn du dann<br />

studierst, wirst du im Sommer in einem Café sitzen <strong>und</strong> Herr Köhler, mein<br />

Chef, setzt sich zu dir an den Tisch. Er wird angetan von dir sein <strong>und</strong> verliebte<br />

Augen machen. Frau <strong>und</strong> Kinder wird er verlassen, weil er nur noch Mala will.“<br />

fabulierte <strong>Valérie</strong> unter gemeinsamem Lachen. „Und ich werde sagen, dass ich<br />

nicht mitkomme, weil ich bei Frau Senger das Paradies habe.“ Mala dazu. „Vielleicht<br />

wäre es schön, wenn wir sagen könnten: „Hier ist das Paradies.“ Aber ich<br />

glaube es geht anders. Das Paradies wird keinen festen Ort haben, wo es immer<br />

bleibt, den kann es glaube ich nicht geben. Es ist eher ein Weg, den wir<br />

gehen, <strong>und</strong> zur Zeit gehen wir Schritt für Schritt auf dem Weg, der direkt ins<br />

Paradies führt, gemeinsam mit dir Mala auch ohne einen Liebsten.“ <strong>Valérie</strong> zu<br />

den paradiesischen Zuständen.<br />

<strong>Uli</strong> hielt es für unerträglich <strong>und</strong> der 'Freien Republik' höchst unwürdig, Mala mit<br />

du anzureden, während sie für Mala Frau Senger sei. Dann solle sie gefälligst<br />

Mala auch mit Frau Baric anreden. <strong>Valérie</strong> sträubte sich, was <strong>Uli</strong> gar nicht verstehen<br />

wollte. Er hatte Mala direkt das Du angeboten. „<strong>Valérie</strong>, hör auf. Es gibt<br />

keine Gründe außer denen, die dir peinlich sein müssten. Du kannst sie ja fragen,<br />

was sie lieber möchte.“ erklärte <strong>Uli</strong>. <strong>Valérie</strong> war aus der Firma Hierarchien<br />

gewohnt, <strong>und</strong> sah sie auch für sich als Frau als recht bedeutsam an. Außerdem<br />

galt dieses Verhältnis zu Mala seit Beginn ihrer Beschäftigung als selbstverständlich.<br />

<strong>Valérie</strong> bot Mala die Veränderungsmöglichkeiten an, <strong>und</strong> ließ sie<br />

wählen. „Sie mich jetzt Frau Baric nennen, das wäre doch sehr kurios, nicht<br />

wahr? Ich zu ihnen <strong>Valérie</strong> sagen? Oh Gott.“ kommentierte Mala <strong>und</strong> kicherte.<br />

„Muss das denn sein? Können wir's nicht einfach so lassen?“ meinte sie <strong>und</strong><br />

<strong>Valérie</strong> musste ihr erklären, warum das nicht richtig sei. Mala wollte es mal<br />

versuchen mit <strong>Valérie</strong>. Ohne Auswirkung auf die Beziehung zwischen den<br />

beiden blieb es nicht, dass <strong>Valérie</strong> für Mala nicht mehr die Frau Senger war.<br />

Sklavenmentalität<br />

Zum Staatsempfang bei Frau Dr. Senger schien <strong>Uli</strong>s Fre<strong>und</strong> Tim gekommen zu<br />

sein. <strong>Uli</strong> kannte ihn nicht wieder, so hatte er ihn noch nie erlebt. Sonst hatte<br />

sich Tim bei <strong>Uli</strong> aufs Bett gefletzt, jetzt saß er steif <strong>und</strong> verklemmt am Kaffeetisch<br />

<strong>und</strong> beantwortete artig <strong>Valérie</strong>s Fragen. <strong>Uli</strong>s Auflockerungsversuche blieben<br />

erfolglos. Was war nur in ihn gefahren? <strong>Uli</strong> schämte sich für Tim. <strong>Valérie</strong><br />

hob die Augenbrauen, schloss die Lieder <strong>und</strong> öffnete sie langsam wieder. Genauso<br />

sah <strong>Uli</strong> es auch, am liebsten hätte er ihn rausgeworfen. Wie konnte ein<br />

erwachsener Mensch, der sein Fre<strong>und</strong> sein wollte, nur derartig subalterne Verhaltensweisen<br />

zeigen. Dabei ging es doch um nichts. Er hatte sich ja nicht beworben<br />

<strong>und</strong> wollte sich jetzt schön brav <strong>und</strong> korrekt zeigen. Vielleicht gibt es in<br />

den, oder in vielen Menschen einen Hang zur Subalternität, sie gefallen sich in<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 37 von 46


der Rolle des Untergebenen <strong>und</strong> nehmen sie freiwillig an, auch da wo es lächerlich<br />

ist. Es kotzte <strong>Uli</strong> an. Am Telefon hatte er Tim später ausgeschimpft,<br />

aber der schien gar nicht richtig zu verstehen, <strong>und</strong> erklärte nur immer wieder,<br />

es sei alles so ungewohnt gewesen. Auf solche Fre<strong>und</strong>esbesuche legte <strong>Uli</strong> keinen<br />

Wert. <strong>Valérie</strong> meinte, Machtausübung <strong>und</strong> Unterwürfigkeit seien bestimmt<br />

an tiefe emotionale Wurzeln geb<strong>und</strong>en, zum Beispiel Menschen, die es sexuell<br />

erregte, gedemütigt zu werden. „Die Herrschaftsverhältnisse sind sicher nicht<br />

allein von einer Gruppe von Sklavenhaltern begründet, sie werden erst durch<br />

die Sklavenmentalität vieler Menschen ermöglicht. Aber wann wächst ein Kind<br />

denn in diese Rolle der Servilität hinein? Kannst du dir das vorstellen? Unser <strong>Uli</strong><br />

soll jedenfalls immer freier Bürger der freien Republik bleiben, nicht wahr?“<br />

wusste <strong>Valérie</strong> dazu.<br />

Kaffee mit Mala<br />

John kam öfter vorbei. Er war nicht eingeladen. An der Tür hatte er Mala gefragt,<br />

er habe gehört, <strong>Uli</strong> Brauer wohne jetzt hier. <strong>Uli</strong> <strong>und</strong> John waren schon in<br />

der Schule befre<strong>und</strong>et. Sie hatten John bew<strong>und</strong>ert. Er konnte Argumentationen<br />

von Hegel, Kant <strong>und</strong> Nietzsche in seine Aufsätze einfließen lassen. Dass er Philosophie<br />

studieren würde, stand für alle fest. Aber John studierte Biochemie. Er<br />

sei sich manchmal nicht sicher, ob es sich dabei nicht auch um eine Philosophie<br />

handele. Sehen könne man nichts, alles nur theoretische Gedankengebäude<br />

aus Formeln. Meistens saßen sie bei <strong>Uli</strong> im Zimmer. John war ein sehr ruhiger,<br />

bedächtiger, vielleicht ein wenig vergeistigter Mensch. Wenn man ihn aber erlebte,<br />

wie er biochemische Zusammenhänge in Geschichten erzählte, die selbst<br />

im Kindergarten verstanden worden währen, erweckte er überhaupt keinen besonnenen<br />

Eindruck. Mala kicherte immer <strong>und</strong> stellte unsinnige Fragen, um John<br />

zu provozieren. Mala bereitete den Kaffee, wenn sie in die Küche kamen. Bei<br />

John saß sie auch immer mit am Tisch, was sonst nicht üblich war. Er sei ein<br />

bisschen tranig, aber sehr lustig, meinte Mala. Sie mochte John wohl gut leiden.<br />

Ob John Mala auch gut leiden mochte? Wer will das wissen, <strong>und</strong> wenn es<br />

so wäre, hätte John es wahrscheinlich selber nicht gewusst. Aber vielleicht kam<br />

er ja auch, um mit Mala einen Kaffee zu trinken, <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> zu besuchen, war nur<br />

ein Vorwand. Aber das konnte auch niemand wissen, weil John über so etwas<br />

nicht redete. Mit <strong>Valérie</strong> redete er wie mit jeder anderen Nachbarsfrau.<br />

Besonders respektvolles Gebaren wäre auch für John <strong>und</strong>enkbar gewesen, so<br />

etwas wie Tims Verhalten war ihm völlig wesensfremd.<br />

Primaballerina<br />

<strong>Valérie</strong> zog <strong>Uli</strong> ganz an sich, als sie am Fenster stand <strong>und</strong> zuschaute, wie der<br />

Herbstwind den Bäumen die Kronen zur Seite bog. Sie lächelten sich an, <strong>und</strong><br />

<strong>Uli</strong> fragte: „Müssen wir nach draußen?“ „Nein, was sollen wir da? Erinnern kann<br />

ich mich auch im Haus, <strong>und</strong> das Empfinden kann es sowieso nicht nochmal geben.<br />

Du kannst die gleiche Butter oder das gleiche Kleid wieder kaufen, aber<br />

Gefühle gibt es immer nur einmal, dann, wenn sie da sind. Das Gefühl im letzten<br />

Herbst war ja auch so ungeheuerlich, weil ich so etwas noch nie erlebt hat-<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 38 von 46


te, oder hast du mir jetzt etwa auch ein neues Gefühl zu bieten, dass ich in<br />

meinen drei<strong>und</strong>vierzig Jahren noch nie erfahren <strong>und</strong> nicht kennengelernt<br />

habe?“ scherzte <strong>Valérie</strong>. „Natürlich, du sagst es ja selbst, wiederholte Gefühle<br />

gibt es nicht, jedes mal ist es etwas Neues <strong>und</strong> Anders. Du gehst nur achtlos<br />

darüber hinweg <strong>und</strong> nimmst es gar nicht wahr, subsumierst es unter deine gewohnten,<br />

alltäglichen Zusammenhänge, wenn es nicht aus der Reihe tanzt <strong>und</strong><br />

du es wie im letzten Jahr für absolut verboten hältst.“ sah <strong>Uli</strong> es. „Aber es ist<br />

auch oft schwer, seine Gefühle klar zu erkennen, du nimmst so vieles auf <strong>und</strong><br />

kennst deine Assoziationen nicht. Was du alles siehst, du kannst es nicht benennen,<br />

was du erkennst, es wird nicht offenbar.“ gab <strong>Valérie</strong> zu bedenken.<br />

„Das glaube ich auch. In deinem Bewusstsein walten die Barrieren des Common<br />

Sense, während dein Unbewusstes viel mehr wahrnimmt. Vielleicht hat es<br />

direkt bei unserem ersten Treffen in dir meine Traumprinzessin gesehen. Offiziell<br />

durftest du für mich nur eine nette, elegante Frau, ein wenig jünger als mei -<br />

ne Mutter, sein.“ versuchte <strong>Uli</strong> <strong>Valérie</strong> zu bestätigen. Die hatte nur ein vornehmlich<br />

abfälliges Grinsen für <strong>Uli</strong> <strong>und</strong> einen Blick, der sagte: „Heute wollen<br />

wir das mal durchgehen lassen.“ „Ich habe mich schon so oft gefragt, wozu es<br />

wohl gekommen wäre, wenn wir damals nicht aufgehört hätten?“ fragte <strong>Valérie</strong><br />

schmunzelnd. „Wir hätten ganz schnell nach Hause gemusst, du hättest mir die<br />

Klamotten vom Leib gerissen, mich aufs Bett gestoßen <strong>und</strong> vergewaltigt.“ erläuterte<br />

<strong>Uli</strong>, wie das potentiell mögliche Prozedere ausgesehen haben könnte.<br />

„Meinst du? Ich wusste überhaupt nicht, was ich wollte. An Sex habe gar nicht<br />

gedacht. Im Gr<strong>und</strong>e habe ich an nichts gedacht, ich habe nur gespürt, das ich<br />

dich wollte <strong>und</strong> dringend mehr davon. Das war irre, so etwas kannte ich nicht.<br />

„Wie die 'Die Windsbraut' von Anna Ritter auch, wirst du gedacht haben:<br />

„Du Wilder, du Großer -<br />

Ich hör deinen Schritt!<br />

Schon reißt dein Verlangen<br />

Mich Zitternde mit.“<br />

vermutete <strong>Uli</strong>. „Jetzt bist du es sicher manchmal, der gern mehr von seiner<br />

Windsbraut wollte, während sie sich leider schon längst gelegt hat <strong>und</strong> eingeschlafen<br />

ist, nicht wahr?“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Valérie</strong>. „Quatsch, so geht das doch<br />

nicht. Wir lieben uns doch nicht, weil ich etwas von dir will, aber überrascht<br />

von deinen Schlafkünsten bin ich schon. Liegt das an der Schwangerschaft,<br />

dass du so leicht <strong>und</strong> schnell schlafen kannst. Von Donnerstags kenne ich das<br />

gar nicht, da bist du noch nie eingeschlafen.“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Uli</strong>. „Ich kenne<br />

das von mir selbst doch auch nicht. Ich musste mich sonst immer beruhigen<br />

durch Lesen. Wenn ich dann ins Träumen kam, schlief ich auch bald ein. Jetzt<br />

brauche ich nur eine etwas entspanntere Situation, <strong>und</strong> schon kommt Morpheus,<br />

um mich in seinen Armen davon zu tragen. Mein Leben ist ein anderes<br />

geworden. Natürlich ist es für uns alle anders geworden, aber das ist äußerlich.<br />

Wenn ich sonst nach Hause kam, hatte ich auch zu tun, aber es war wiederkehrend,<br />

entspannend. Heute kommt es mir vor, dass der wirkliche Tag für<br />

mich erst jetzt beginnt, immer High Noon. Sonst glich die Zeit bis zum Abend<br />

einem gemächlichen Wandern auf dem immer gleichen Weg, jetzt durchtanze<br />

ich sie wie eine Primaballerina, allzeit in höchster Konzentration. Alles ist mir<br />

wichtig, fordert mich emotional, die Zeit nach der Arbeit ist nicht der zweite<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 39 von 46


Teil meiner Persönlichkeit, sie ist mein Wesentliches. Hier findet mein Leben<br />

statt. Die <strong>Valérie</strong>, die du sonst nur von Donnerstag kanntest, lebt hier immer,<br />

jeden Tag. In alles was ich tue <strong>und</strong> was geschieht bin ich total involviert. Das<br />

bin ich, <strong>und</strong> das will ich sein. Aber dieses enthusiastische Leben fordert mich.<br />

Eine St<strong>und</strong>e braucht die Kraft von zweien. Da bin ich abends um acht manchmal<br />

so müde, als ob es schon nach Mitternacht wäre.“ erläuterte <strong>Valérie</strong> ihre<br />

Lage. „Du hast also nicht nur beim Kuss im Sturm deine Leidenschaft für mich<br />

entdeckt, sondern durch unsere Liebe auch deine Leidenschaft für dich selbst<br />

<strong>und</strong> dein wirkliches Leben?“ fragte <strong>Uli</strong>. „So könnten wir es nennen. Ja, mich<br />

<strong>und</strong> mein Leben habe ich durch unsere Liebe kennengelernt, das Leben wie ich<br />

selber bin. Dazu gehört auch der Kinderwunsch. Ich hab's ja gesagt, dass mein<br />

kleiner <strong>Uli</strong>, trotzdem ein Kind unserer Liebe ist.“ <strong>Valérie</strong> dazu. Liebkosend <strong>und</strong><br />

schmusend standen sie noch länger am Fenster, bis sie sich schließlich in die<br />

Küche bewegten <strong>und</strong> mit Mala einen Kaffee tranken.<br />

Assistenzprofessorin<br />

Mala hatte sich von der Hausangestellten längst zur Hausgelehrten gewandelt.<br />

In der Schule hatte man ihr geraten, mal einen Augenarzt aufzusuchen. Jetzt<br />

musste sie ständig eine Brille tragen. Weil <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> es ja waren, die ihre<br />

Brille anzuschauen hatten, gingen sie gemeinsam zum Optiker. Ein Model aus<br />

Mailand gefiel allen am besten, bei Fielman hätte man sicher den halben Laden<br />

dafür leerkaufen können. Wenn Mala dann über den Brillenrand schaute, <strong>und</strong><br />

sich das Lesegut vor die Nase hielt, hätte sie sicher jeder für eine forschende,<br />

italienische Assistenzprofessorin gehalten. Ganz so weit war sie aber noch<br />

nicht. Sie schimpfte immer auf die spinnenden Römer, denn Latein schien ihr<br />

äußerst wesensfremd zu sein. Trotzdem war sie von Ulysse als Namen für den<br />

kleinen <strong>Uli</strong> begeistert. Odysseus könne man einen Jungen ja nicht nennen,<br />

aber Ulysse, das sei doch ein w<strong>und</strong>ervoller Name, noch besser als <strong>Uli</strong>. Mit der<br />

Frage, ob es sich bei <strong>Uli</strong> auch um eine Kurzform für Odysseus handle, brachte<br />

sie den zum Schmunzeln. <strong>Uli</strong> versuchte bei Mala die Distanzen zum Latein zu<br />

verringern, auch wenn es ihm nicht gelang, Mala dahin zu bringen, Latein als<br />

ihre Muttersprache zu akzeptieren. In Mathematik <strong>und</strong> Pysik traten natürlich<br />

keine unlösbaren Probleme auf, <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> konnte zeigen, dass seine früheren autodidaktischen<br />

Methoden besser geeignet waren, etwas zu begreifen als die<br />

schulischen Vermittlungsformen. Das war ihm schon in der Gr<strong>und</strong>schule aufgefallen,<br />

als er das Rechnen mit mehr oder weniger vollen Eisenbahnwagons für<br />

absolut schwachsinnig hielt. Wer würde sich bei den Preisen im Geschäft jemals<br />

kleine Züge vorstellen? <strong>Valérie</strong> redete mit Mala manchmal tagelang nur<br />

Englisch oder Französisch. Als Mini-Ersatz für einen Schüleraustausch sah sie<br />

es. In einer Sprache müsse man leben, sonst verstehe man sie nicht. Nicht nur<br />

bei chemischen <strong>und</strong> biologischen Fragen, sondern auch bei der Information<br />

über philosophische Zusammenhänge bot John eine hilfreiche Unterstützung.<br />

Welchem Kind wurde so umfangreiche Hilfe für sein schulisches Fortkommen<br />

zuteil wie Mala? Das war nicht unbedeutend, denn manche ihrer Mitschüler<br />

hatten wegen der harten <strong>und</strong> fordernden Bedingungen das Abendgymnasium<br />

bereits aufgegeben. Schon immer hatte Mala ein eigenes Zimmer gehabt, das<br />

'Dienstmädchenzimmer'. Sie konnte sich mal ausruhen, Fernsehen schauen<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 40 von 46


oder nur für sich alleine sein. Jetzt war es ihr Wohn- <strong>und</strong> Lebensraum<br />

geworden, denn nach Hause ging sie nur selten mal. Vor allem aber war es<br />

Malas Studierzimmer geworden. Zu Problemen zwischen der Arbeit im Haus<br />

<strong>und</strong> Malas Arbeit für die Schule konnte es nicht kommen, da sowohl für <strong>Valérie</strong><br />

als auch für <strong>Uli</strong> Malas schulischer Erfolg eindeutige Präferenz besaß. Zweifellos<br />

waren die drei zu einer Familie, nein so wolten sie es nicht nennen, zu drei<br />

untereinander eng verb<strong>und</strong>enen Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Partnern geworden.<br />

Gott mag die Frauen nicht<br />

Es zeichnete sich ab, dass durch die Gespräche darüber, Ulysse wohl der Vorzug<br />

als Name für den kleinen <strong>Uli</strong> gegeben werden würde, aber erst im Krankenhausbett<br />

gab <strong>Valérie</strong> ihre endgültige Zustimmung. „Machen wir's so, Ulysse,<br />

nicht wahr?“ sagte sie knapp. <strong>Uli</strong> schwante jedoch, das man den jungen<br />

Man, auch wenn er schon zu den Erdenbürgern zählte, weiterhin als den kleinen<br />

<strong>Uli</strong>, der er ja fast neun Monate lang gewesen war, titulieren würde. Sie<br />

hatten es sich überlegt, ob <strong>Valérie</strong> in ein Geburtshaus gehen sollte. Aber sie<br />

hatte Angst. Auch wenn sich nichts Konkretes abzeichne, sei in ihrem Alter die<br />

Risikostufe eben viel höher. In der Klinik fühle sie sich wohler, weil sicherer. Irgendwelche<br />

Betäubungs- oder Dämpfungsmittel lehnte <strong>Valérie</strong> ab. Sie sei eine<br />

Frau wie jede Frau dieser Erde <strong>und</strong> wolle es auch so erfahren wie eine Frau in<br />

Usbekistan oder in Alaska, durch welche Qualen allein die Frauen für den Erhalt<br />

des Menschengeschlechts sorgten. „Ja, nur dadurch dass die Frauen freiwillig<br />

bereit sind zu leiden, kann der Erhalt der Menschheit garantiert werden.“ bestätigte<br />

sie die Ärztin. „Allein schon aus diesem Gr<strong>und</strong>e wird es aller höchste<br />

Zeit, das Matriarchat einzuführen, nicht wahr.“ suchte Valerie Bestätigung.<br />

„Und was werden die herrschenden Frauen am ersten Tag ihrer Regentschaft<br />

tun? Ein Gesetz erlassen, nach dem das Gebären zwar weiterhin bei den Frauen<br />

liegt, die Männer aber ab sofort die Schmerzen zu tragen haben? So ähnlich?“<br />

fragte die Ärztin lachend. „Das ginge bestimmt heute schon, nur im Patriarchat<br />

sind die zuständigen Forscher eben alles Männer. Auch die immensen<br />

magischen Kräfte der Heiler <strong>und</strong> Handaufleger würden gewiss ausreichen, um<br />

die Schmerzen auf den Mann zu übertragen, aber auch hier dominiert die Männersolidarität.“<br />

wusste <strong>Valérie</strong> dazu. „Das ist gut.“ meinte die Ärztin, „Sie können<br />

lachen <strong>und</strong> scherzen, <strong>und</strong> sind nicht verklemmt <strong>und</strong> angespannt vor Angst.<br />

Eine noch relativ junge Frau, die aber sehr erfahren im Meditieren war, hat hier<br />

ihr Kind bekommen. Man hat während der ganzen Geburt keinen Ton von ihr<br />

gehört, nur ihren Gesichtszügen war zu entnehmen, dass sie doch wohl etwas<br />

spürte. In erträglichen Grenzen hätten sich die Schmerzen gehalten, meinte sie<br />

anschließend. Vielleicht sollte man Meditationskurse in die Geburtsvorbereitung<br />

aufnehmen. Aber im Business meditieren die Manager doch alle, machen sie<br />

das denn nicht?“ fragte die Ärztin. Jetzt lachte <strong>Valérie</strong>, dass die Ärztin mitlachte.<br />

„Eine absolute Luftnummer war das. Da hat mal ein Journalist einen Vorstandschef<br />

getroffen, der meditierte. Das hat ihn so fasziniert, weil er es sonst<br />

im Esoterikbereich angesiedelt sah, dass er eine große Story daraus gemacht<br />

hat, die den Eindruck erweckte, als ob es jetzt alle in den Managementbereichen<br />

der Wirtschaft so halten würden. Absoluter, substanzloser Schwachsinn.“<br />

kommentierte <strong>Valérie</strong>. „Es ist nicht schlecht, wenn sie auch an etwas anderes<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 41 von 46


denken können, als daran, wie sie unter den Schmerzen zu leiden haben. Träumen<br />

sie von dem, was sich im Matriarchat alles ändern wird. Träumen sie von<br />

ihrem Sohn, der, wenn er erwachsen ist, seinen Geschlechtsgenossen empfehlen<br />

wird, die Herrschaft an die Frauen zu übergeben, oder was sie sich sonst<br />

von ihrem Sohn wünschen oder erträumen.“ empfahl die Ärztin. „Ja, dass er so<br />

groß, stark, klug <strong>und</strong> tapfer wird wie mein Mann. Ich bitte sie, wir freuen uns<br />

auf jemanden, dem wir unsere Liebe schenken können, <strong>und</strong> von dessen W<strong>und</strong>erwerk<br />

wir uns jeden Tag aufs neue faszinieren lassen wollen. Ein Fre<strong>und</strong> meines<br />

Mannes hat gesagt, wenn alle das W<strong>und</strong>er erfassen könnten, das sich in<br />

ihrem Gegenüber verberge, würde es unser gesamtes Sozialverhalten revolutionieren.“<br />

<strong>Valérie</strong> darauf. „Was ist der Fre<strong>und</strong> ihres Mannes, Theologe?“ fragte<br />

die Ärztin. „Nein, Biochemiker.“ <strong>Valérie</strong> kurz. Die Ärztin schmunzelte <strong>und</strong> ihre<br />

Mimik ließ erkennen, dass es ihr zu denken gab. <strong>Uli</strong> gab es nicht weniger zu<br />

denken. Wieso war er plötzlich zu <strong>Valérie</strong>s Mann geworden? Vielleicht nur weil<br />

es im Gespräch mit der Ärztin besser passte, oder lag eine Absicht dahinter, die<br />

<strong>Uli</strong> nicht kannte? Im Gespräch redete er von <strong>Valérie</strong> als seiner Frau. Die verstand<br />

<strong>und</strong> schmunzelte. „Ich werde die Bezeichnung jetzt immer verwenden.“<br />

kündigte <strong>Valérie</strong> an, „Was soll ich sonst sagen? Mein Licht, das uns neues Leben<br />

geschenkt hat? Mein Wort, das uns eine neue Sprache <strong>und</strong> anders Denken<br />

gelehrt hat? Es ist gleichgültig, welche Konnotationen mit der Bezeichnung<br />

'mein Mann' verb<strong>und</strong>en werden, im üblichen Sprachverständnis symbolisiert es<br />

die engste Form der Beziehung, <strong>und</strong> das reicht für die Ärztin.“ Zwischen den<br />

Schmerzattacken, bei denen sich Valeries rechte Hand immer in etwas bei <strong>Uli</strong><br />

verkrallte, redete <strong>Valérie</strong> viel. „Ich müsste laut schreien können, aber meine<br />

Contenance lässt es einfach nicht zu, nur stöhnen, weinen, wimmern wie ein<br />

Wurm darf ich. Kannst du so die Schmerzen beherrschen, frage ich dich.<br />

Kampfesrufe täten Not, wie will man Schmerz besiegen ohne Kriegsgeheul?“<br />

beklagte <strong>Valérie</strong>. „Es ist nicht nur deine Contenance. Du weißt ja auch gar nicht<br />

was du schreien sollst. Willst du etwa den kleinen <strong>Uli</strong> beschimpfen, dessen Geburt<br />

den Schmerz verursacht? Oder willst du diesen unbarmherzigen, nachtragenden<br />

Gott, der nicht vergeben <strong>und</strong> vergessen kann, ausschimpfen? Jeder<br />

Nachbar hätte die Geschichte mit dem Apfel nach zwei Tagen vergessen.“ erwog<br />

<strong>Uli</strong>. „Die meisten wissen nicht, dass sie von ihren Untergebenen etwas lernen<br />

können. Auch mal verzeihen können, einen Strich unter die Sache ziehen,<br />

wenn Gott das vom Nachbarn gelernt hätte, was bliebe den Frauen dieser Welt<br />

dann erspart? Ich glaube, Gott mag die Frauen nicht.“ vermutete <strong>Valérie</strong>. „Er<br />

hat ja selber keine.“ war <strong>Uli</strong>s Vermutung. „Erstaunlich ist das ja schon. Wie<br />

konnte er denn wissen, dass eine Frau gut für Adam war, wenn er selber gar<br />

keine kannte? Eine Frau kann man sich doch nicht erträumen.“ <strong>Valérie</strong> verw<strong>und</strong>ert.<br />

„Wahre Worte, die du sprichst. Wie hätte ich mir dich erträumen sollen?“<br />

bestätigte sie <strong>Uli</strong>. Auch wenn die Blödeleien nicht die Schmerzen vertreiben<br />

konnten, so vertrieben sie doch die Zeit. Das Schlimme besteht ja nicht nur in<br />

der Heftigkeit des Schmerzes, sondern vor allem darin, dass die Folter nicht<br />

enden will. <strong>Uli</strong> starb selbst dabei <strong>und</strong> konnte <strong>Valérie</strong> doch nicht helfen. Was ihr<br />

Unbewusstes alles in die Mimik gelegt hatte, als man ihr den Kleinen nach der<br />

Geburt reichte, war <strong>Valérie</strong> gewiss selbst nicht völlig offenbar. Vieles musste es<br />

sein, nur Triviales Glück war es jedenfalls nicht, was aus ihrem Lächeln sprach.<br />

Was seine Augen sahen, konnte er nicht erkennen, <strong>und</strong> die Klänge, die sein<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 42 von 46


Ohr wahrnahm sagten ihm nichts, aber das Orientieren danach war ihm offensichtlich<br />

mitgegeben worden. Er richte eine zeitlang seine Augen auf <strong>Valérie</strong>,<br />

als sie mit ihm sprach. Ein gemütlicher Bursche musste er sein. Geschrien hatte<br />

er nur einmal, um Luft zu bekommen, dann war es ihm wohl zu lästig.<br />

Mein Ulysse <strong>und</strong> seine Komödiantin<br />

Mala kam am nächsten Morgen sobald sie durfte. Sie sagte nichts, schaute<br />

Ulysse an, schaute <strong>Valérie</strong> an, schaute <strong>Uli</strong> an, <strong>und</strong> alles nochmal, wobei ihr Gesicht<br />

die aufgehende Sonne schon vorwegnahm. Sie fragte nicht, ob es<br />

schlimm gewesen sei, sie drückte <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> streichelte ihr die Wange. „Ich<br />

kann gar nicht sprechen.“ sagte Mala, „Alles kommt mir so dumm vor, <strong>und</strong> was<br />

mein Bauch fühlt, dafür habe ich keine Worte.“ Sie umarmte <strong>Valérie</strong> nochmal<br />

<strong>und</strong> auch <strong>Uli</strong> <strong>und</strong> meinte: „Jetzt sind wir aber im Paradies angekommen, oder?“<br />

„Bestimmt, Mala, wo sollte es sonst sein? <strong>Valérie</strong> hat uns gestern das schwere<br />

Tor geöffnet, das wir beide gar nicht aufbekommen hätten.“ bestätigte sie <strong>Uli</strong>.<br />

„Mein Ulysse.“ brachte sie in Wonne schmelzendem Tonfall <strong>und</strong> mit Morgensonne<br />

strahlenden Augen hervor, als sie den Kleinen nochmal anschaute. 'Mein<br />

Ulysse' das war nicht nur das Baby, das ihre Augen erblicken, Ulysse das war<br />

für Mala auch ein Synonym für die Vereinigung von <strong>Uli</strong> <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong>. 'Mein Ulysse'<br />

war eine Metapher für das neue Leben im Haus, das gleichzeitig mit ihm<br />

gewachsen war, für Malas neues Leben. Mein Ulysse, mein Leben, mein Paradies.<br />

Die Morgenröte war ab jetzt auch zu Hause Malas häufigster Gesichtsausdruck.<br />

Auch wenn Ulysse schlief, in Malas Gedanken musste er immer wach<br />

<strong>und</strong> lebendig sein. Zu einer Expertin für Baby- <strong>und</strong> Stramplermoden, sowie für<br />

erstes Spielzeug hatte sie sich entwickelt. Mit <strong>Valérie</strong> waren sie darüber in<br />

tiefste ästhetisch-philosophische Dimensionen vorgedrungen, bei denen John<br />

mit Schillers 'Anmuth <strong>und</strong> Würde' nur ein klägliches Bild abgab. Ein Stern sei<br />

das ästhetische Terrain, das in alle Gebiete ausstrahle, meinte Mala <strong>und</strong> <strong>Valérie</strong><br />

sah es nicht anders. Was das aber noch mit den Strampelanzügen zu tun hatte,<br />

wusste keine von beiden mehr. Dass alles nur absolut ökologisch <strong>und</strong> natürlich<br />

sein durfte, war auch für Mala längst selbstverständlich. „Da staunst'e,<br />

was?“ meinte Mala zu John, als er zusah wie <strong>Valérie</strong> Ulysse stillte, „Musste erst<br />

mal nachmachen.“ „Ich hab ja keine Frau.“ John darauf. „Und warum nicht?“<br />

wollte Mala wissen. John zuckte nur mit den Schultern. „Ich geb dir mal 'nen<br />

Tipp, John. Zuerst sagste am besten 'ner Frau, einfach nur, dass du sie gut leiden<br />

magst.“ empfahl Mala <strong>und</strong> John platzte los. Der Inhalt von Malas Worten<br />

bot ehr nicht Anlass zu einem Heiterkeitsausbruch. Welche Assoziationen John<br />

damit verband, tat er nicht k<strong>und</strong>. Jedenfalls sagte er in nächster Zeit Mala<br />

nicht, dass er sie gut leiden möge. Mala erzählte dem Ulysse immer etwas. Absolute<br />

Nonsensgeschichten, wie sie Frau Radenkovic ihrer Nachbarin unterbreitete.<br />

Den fehlenden Sinn wusste Mala durch ein Übermaß an Theatralik zu ersetzen.<br />

Mimik, Melodie <strong>und</strong> Rhythmus ließen das Erzählte für Ulysse zur großen<br />

Oper werden. Mit aufgerissenen Augen starrte er Mala konzentriert an, als ob<br />

er keinen Akzent von Malas Worten je wieder vergessen würde. Erst Malas Lächeln<br />

konnte die hohe Konzentration wieder lösen. <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> mussten<br />

auch oft lachen. So hatten sie Mala noch nie erlebt. „Du verbirgst deine<br />

schönsten Seiten, Mala. Du hast dich gefreut, dass wir nicht mehr nach Vorga-<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 43 von 46


en, sondern uns selber leben wollten, da darf die große Komödiantin aber<br />

doch nicht fehlen.“ beschwerte sich <strong>Valérie</strong>. „Natürlich, <strong>Valérie</strong>, du siehst doch<br />

auch, wie sich mein Leben verändert hat, nur geht es nicht so, als ob du einmal<br />

einen Schritt auf eine andere Seite tust, es ist ein Prozess in dem du immer<br />

einen Schritt weiter gehst. Dafür war meine Haltung sonst von zu großer<br />

Distanz geprägt, als dass sich in ein paar Monaten automatisch alles völlig ändern<br />

würde. Durch Ulysse weißt du's ja nun, dass ich auch Lust habe, den<br />

Clown zu spielen.“ antwortete Mala lächelnd.<br />

Wertvoller Kuss<br />

Immer wieder wurde über Weihnachten diskutiert mit der einheitlichen Ansicht<br />

aller drei, dass es müßig sei, sich ausgedehnter auf Weihnachtsdiskussionen<br />

einzulassen. Entweder lagerte etwas von Weinachten schon als Relikt vorgeschichtlicher<br />

Sonnenwendfeiern in den Genen, oder es war kulturgeschichtlich<br />

so stark verankert dass früheste Bezüge dazu schon dem sich entwickelnden<br />

Kleikindhirn eingeprägt wurden. Zu Weihnachten musste man etwas sagen <strong>und</strong><br />

denken, vor allem aber Gefühle haben, wie sollte das Fest der verordneten<br />

Freude sonst funktionieren. Nein, Geschenke sollte es nicht geben, eine dümmliche<br />

Metapher für das, was sie sich in der Realität täglich viel umfänglicher<br />

schenkten, seien es. Am Heiligabend hatte dann aber doch jeder kleine Kostbarkeiten<br />

für die anderen <strong>und</strong> musste erklären, warum es sich dabei nicht um<br />

ein Geschenk im herkömmlichen Sinne handle. Meistens hatte man dabei zufällig<br />

an den anderen gedacht, als man es gesehen hatte. „Das ist nur eine<br />

kleine Erinnerung an mich, aber der Kuss, den du jetzt bekommst, der ist viel,<br />

viel mehr wert, für mich, muss ich ja sagen, sonst weißt du's ja nicht.“ erklärte<br />

Mala. Für Mala war <strong>Uli</strong> das Hauptagens aller Veränderungen, durch ihn war alles<br />

so geworden, wie es jetzt war. <strong>Uli</strong> selbst sah es völlig anders. Für ihn war<br />

<strong>Valérie</strong>, ihre Lust, sich auf ihn einzulassen, ihn zu lieben <strong>und</strong> sich zu ändern,<br />

das entscheidende Movens für das, was sich in diesem Jahr gewandelt hatte.<br />

Sinfonie der vier <strong>Jahreszeiten</strong><br />

In allen Sinfonien erkennt man beim Winter die klirrende Kälte, das Eis <strong>und</strong><br />

vielleicht auch noch die Schneeflöckchen. Die Herbstmelodien sprechen von<br />

Trauer tragen <strong>und</strong> Buße tun. Jeder versteht sie, so sollen sie ja auch sein, sie<br />

sollen die Bilder malen, die jedefrau <strong>und</strong> jederman eigentlich diesen <strong>Jahreszeiten</strong><br />

zuordnet. Für <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> waren sie nichts wert, wozu brauchten sie<br />

diese banalen Volksaufgüsse. Was hatte für sie der Herbst mit Trauer <strong>und</strong> Buße<br />

zu tun? Im Sturm hatten sie küssend ihre Leidenschaft füreinander entdeckt.<br />

Das Bild zeigte sich stets als erstes, wenn sie an den Herbst dachten. Dass für<br />

Sommer das Straßencafé <strong>und</strong> ihre ersten Blicke füreinander stand, war<br />

selbstverständlich. Daran würden sie bei den <strong>Jahreszeiten</strong> denken <strong>und</strong> nicht an<br />

die Witterung eines beliebigen für diese Zeit üblichen Tages. Auch wenn die<br />

meisten Menschen beim Frühling an die unzähligen Knospen überall in der<br />

Natur dachten <strong>und</strong> die ersten Krokusse sich entfalten sahen, war das für<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> nur ein triviales Klischee. Woran sollten sie beim Frühling<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 44 von 46


anders denken als an das Parkcafé mit der Eröffnung, dass in <strong>Valérie</strong>s Bauch<br />

sich ihre eigene Frühlingsknospe entwickelte. Und den Winter? Natürlich<br />

symbolisierten den für <strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> nicht Frost <strong>und</strong> Kälte, genauso wenig wie<br />

der süßliche Weihnachtskitsch. Woran könnten sie beim Winter anders denken<br />

als an <strong>Valérie</strong>s Entbindung <strong>und</strong> die Geburt des kleinen Ulysse. So klang die<br />

Sinfonie der vier <strong>Jahreszeiten</strong> für Valerie <strong>und</strong> <strong>Uli</strong>. Das war ihre persönliche<br />

Sinfonie, die Sinfonie ihrer Beziehung, der Entwicklung ihrer Liebe. Sie hatten<br />

zu sich selbst gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> konnten die banale allgemeine Orientierung am<br />

Wetter der <strong>Jahreszeiten</strong> nicht mehr gebrauchen.<br />

Jede <strong>und</strong> jeder könnte seine persönlichen <strong>Jahreszeiten</strong> kennen, so wie sie ihn<br />

selbst betroffen haben, aber man merkt so etwas nicht. An Silvester erinnerst<br />

du die Ereignisse des letzten Jahres oder reminiszierst sie an Geburtstagen.<br />

Von Beziehungen gehören nur Events wie Heiraten, Abbrüche oder Nachwuchs<br />

dazu. Du hast deine Beziehung, deine Liebe, aber jeden Tag gelebt, vom Neujahrsmorgen<br />

bis zur Wintersonnenwende hast du dich an 365 Tagen verhalten,<br />

etwas getan <strong>und</strong> dadurch etwas verändert. Deine Liebe im Sommer war nicht<br />

die gleiche vom Frühjahr <strong>und</strong> im Winter nicht die gleiche vom Herbst. Nur du<br />

hast die Veränderungen gar nicht wahr genommen, hast auch deine Beziehung<br />

gelebt, wie man so lebt. In dem, was dir am wichtigsten sein sollte, nimmst du<br />

dich selber nicht wahr, bist dir selbst nichts wert. Bist nichts wert, weil du sogar<br />

hier nach einer Schablone lebst, ein Abklatsch der vielen, vielen anderen<br />

bist, die leben, wie man so lebt. Zu dir selbst kannst du nichts sagen, kannst<br />

nur übers Wetter reden, wie all die anderen auch.<br />

FIN<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 45 von 46


Travaille comme si tu n'avais pas<br />

besoin d'argent, Aime comme si<br />

personne ne t'avait fait souffrir,<br />

Danse comme si personne ne te<br />

regardait, Chante comme si<br />

personne ne t'écoutait, Vis<br />

comme si le paradis était sur<br />

terre<br />

„Also nur angenehme Empfindungen,<br />

kein Fetischist. Deine Fre<strong>und</strong>in braucht<br />

nicht beim Sex zu singen, oder so<br />

etwas. Was sagt denn eigentlich deine<br />

Fre<strong>und</strong>in dazu, wenn du so gern andere<br />

Frauen singen hörst?“ fragte <strong>Valérie</strong><br />

streng ernst bleibend. „Was soll das,<br />

<strong>Valérie</strong>? Du bist heute noch verrückter<br />

als beim letzten mal. Meine Fre<strong>und</strong>in<br />

muss ständig singen. Ich halte sie als<br />

Gesangssklavin, nur habe ich leider gar<br />

keine.“ lautete <strong>Uli</strong>s Antwort. Ob sich<br />

daran etwas änderte, zeigte sich für die<br />

beiden in den folgenden <strong>Jahreszeiten</strong>.<br />

<strong>Valérie</strong> <strong>und</strong> <strong>Uli</strong> – <strong>Jahreszeiten</strong> – Seite 46 von 46

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