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Olivia Die Frau liebt nur einmal

Auch wenn das Bedürfnis nach sexueller Befriedigung nicht aus sozialen Zusammenhängen resultiert, stört es die Liebe doch nicht sondern erweitert sie eher.“ argumentierte ich. Olivia hörte mir stumm zu und fixierte mich. „Ich mag dich, Henry, sehr.“ sagte sie nach längerer Pause. Die dunklen Augen suchten meine. Ernst schaute sie mich an, aber ihre Lippen umspielte doch ein Ausdruck von Freundlichkeit. Die geöffneten Finger der linken Hand fuhren leicht streichend über ihre linke Wange. Worüber dachte Olivia nach? Plötzlich erklärte sie: „Ein Geheimnis habe ich auch, aber es ist wohl besser, das nicht zu erzählen.“ Ich scherzte und wollte es ihr entlocken, aber Olivia blieb ganz ernst. „Erzählen möchte ich es im Grunde schon, und wem sonst, wenn nicht dir.“ erklärte sie, die immer lächelte oder lachte, mit ernster Mimik. „Ich kann es dir aber nur unter der Bedingung erzählen, dass wir es anschließend sofort wieder vergessen, als ob wir nichts gehört hätten, wie ein Bild, das nach dem Anschauen ausgewischt wird.“ forderte Olivia. „Ja, natürlich.“ stimmte ich hastig zu in Spannung auf das, was ich zu hören bekäme. „Henry, ich habe zu niemandem so enge soziale Beziehungen wie zu dir, wir treffen uns häufig, du lässt mich an allem Möglichen teilhaben und besprichst alles mit mir. Das gefällt mir sehr. Ich freue mich schon vorher darauf, mit dir zusammen zu sein. Eine Wohlfühlatmosphäre verspüre ich. Die milde Sonne von Jericoacoara erwärmt uns leicht. Ich suche deine Nähe, Henry, und ich weiß, dass ich dir nicht fern bin. Du trägst mich gern in deinen Gedanken.

Auch wenn das Bedürfnis nach sexueller Befriedigung nicht aus sozialen Zusammenhängen resultiert, stört es die Liebe doch nicht sondern erweitert sie eher.“ argumentierte ich. Olivia hörte mir stumm zu und fixierte mich. „Ich mag dich, Henry, sehr.“ sagte sie nach längerer Pause. Die dunklen Augen suchten meine. Ernst schaute sie mich an, aber ihre Lippen umspielte doch ein Ausdruck von Freundlichkeit. Die geöffneten Finger der linken Hand fuhren leicht streichend über ihre linke Wange. Worüber dachte Olivia nach? Plötzlich erklärte sie: „Ein Geheimnis habe ich auch, aber es ist wohl besser, das nicht zu erzählen.“ Ich scherzte und wollte es ihr entlocken, aber Olivia blieb ganz ernst. „Erzählen möchte ich es im Grunde schon, und wem sonst, wenn nicht dir.“ erklärte sie, die immer lächelte oder lachte, mit ernster Mimik. „Ich kann es dir aber nur unter der Bedingung erzählen, dass wir es anschließend sofort wieder vergessen, als ob wir nichts gehört hätten, wie ein Bild, das nach dem Anschauen ausgewischt wird.“ forderte Olivia. „Ja, natürlich.“ stimmte ich hastig zu in Spannung auf das, was ich zu hören bekäme. „Henry, ich habe zu niemandem so enge soziale Beziehungen wie zu dir, wir treffen uns häufig, du lässt mich an allem Möglichen teilhaben und besprichst alles mit mir. Das gefällt mir sehr. Ich freue mich schon vorher darauf, mit dir zusammen zu sein. Eine Wohlfühlatmosphäre verspüre ich. Die milde Sonne von Jericoacoara erwärmt uns leicht. Ich suche deine Nähe, Henry, und ich weiß, dass ich dir nicht fern bin. Du trägst mich gern in deinen Gedanken.

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Carmen Sevilla<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong><br />

Von der Lateinamerika Korrespondentin zur Rose of Berlin-Dahlem<br />

Erzählung<br />

Par notre manière de penser et nos attitudes, nous<br />

construisons notre bonheur ou notre malheur.<br />

Paul Verlaine<br />

Auch wenn das Bedürfnis nach sexueller Befriedigung nicht aus sozialen<br />

Zusammenhängen resultiert, stört es die Liebe doch nicht sondern erweitert<br />

sie eher.“ argumentierte ich. <strong>Olivia</strong> hörte mir stumm zu und fixierte mich.<br />

„Ich mag dich, Henry, sehr.“ sagte sie nach längerer Pause. <strong>Die</strong> dunklen Augen<br />

suchten meine. Ernst schaute sie mich an, aber ihre Lippen umspielte doch ein<br />

Ausdruck von Freundlichkeit. <strong>Die</strong> geöffneten Finger der linken Hand fuhren<br />

leicht streichend über ihre linke Wange. Worüber dachte <strong>Olivia</strong> nach? Plötzlich<br />

erklärte sie: „Ein Geheimnis habe ich auch, aber es ist wohl besser, das nicht<br />

zu erzählen.“ Ich scherzte und wollte es ihr entlocken, aber <strong>Olivia</strong> blieb ganz<br />

ernst. „Erzählen möchte ich es im Grunde schon, und wem sonst, wenn nicht<br />

dir.“ erklärte sie, die immer lächelte oder lachte, mit ernster Mimik. „Ich kann<br />

es dir aber <strong>nur</strong> unter der Bedingung erzählen, dass wir es anschließend sofort<br />

wieder vergessen, als ob wir nichts gehört hätten, wie ein Bild, das nach dem<br />

Anschauen ausgewischt wird.“ forderte <strong>Olivia</strong>. „Ja, natürlich.“ stimmte ich<br />

hastig zu in Spannung auf das, was ich zu hören bekäme. „Henry, ich habe zu<br />

niemandem so enge soziale Beziehungen wie zu dir, wir treffen uns häufig, du<br />

lässt mich an allem Möglichen teilhaben und besprichst alles mit mir. Das<br />

gefällt mir sehr. Ich freue mich schon vorher darauf, mit dir zusammen zu<br />

sein. Eine Wohlfühlatmosphäre verspüre ich. <strong>Die</strong> milde Sonne von<br />

Jericoacoara erwärmt uns leicht. Ich suche deine Nähe, Henry, und ich weiß,<br />

dass ich dir nicht fern bin. Du trägst mich gern in deinen Gedanken. <strong>Die</strong><br />

Geschichte von der Campesina war nett, aber bedeutsamer war wie du mich<br />

so früh schon in deinen Gedanken bewegtest. Wir mögen uns nicht <strong>nur</strong>, wir<br />

suchen uns. Wenn wir uns nicht schon die Gedanken daran verbieten müssten,<br />

würden uns unsere Gefühle sagen, dass es zwischen uns ist wie bei Ver<strong>liebt</strong>en.<br />

Ich spüre das stark, möchte dich gern berühren, dich streicheln und küssen,<br />

so wie vorhin. Ja, ich möchte zärtlich zu dir sein, überall. Wünsche mir, dass<br />

du mich berührst, mich streichelst. Ich stelle mir vor, wie wir uns liebkosend<br />

gemeinsam im Bett lägen. Mit dem Sex, das käme schon irgendwann. Das<br />

kann man sich ja nicht vorstellen, das muss man erleben, nicht wahr?“ <strong>Olivia</strong>s<br />

Geheimnis. Ich hatte kein Wort gesagt, wusste nicht was ich hörte. Bei den<br />

letzten Sentenzen hatte ich mir eine Hand vor die Augen gehalten, wohl um<br />

jegliche mimische Reaktion zu verbergen. Ich schluckte und fragte <strong>Olivia</strong>:<br />

„Du wirst das sofort vergessen haben? Nein, wohl eher nicht. Vergessen<br />

kann ich es auch nicht, <strong>Olivia</strong>.“<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 1 von 41


<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> - Inhalt<br />

<strong>Olivia</strong> die <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong>.......................................................4<br />

Obsession....................................................................................... 4<br />

<strong>Die</strong> Torschützin...............................................................................4<br />

Spree besser als der Amazonas?....................................................5<br />

Presseball....................................................................................... 6<br />

<strong>Die</strong> Campesina................................................................................ 9<br />

Anders als Fremde........................................................................ 11<br />

Bibliothekserweiterung................................................................12<br />

<strong>Olivia</strong>s Rezension.........................................................................13<br />

Neuer Stil für altes Format...........................................................14<br />

Louiza........................................................................................... 14<br />

<strong>Olivia</strong>s Geheimnis......................................................................... 15<br />

Schöne <strong>Frau</strong>..................................................................................18<br />

Rose of Berlin-Dahlem.................................................................. 19<br />

Tanzen gehen............................................................................... 21<br />

Mach nicht so ein Geschrei...........................................................22<br />

Henry ver<strong>liebt</strong>...............................................................................24<br />

Weiterentwicklung der Parkbank.................................................24<br />

Mach du doch mal was..................................................................26<br />

<strong>Olivia</strong> schizophren........................................................................ 27<br />

Ruth und <strong>Olivia</strong> regeln alles..........................................................28<br />

Zauberland................................................................................... 29<br />

Angebot aus Lissabon...................................................................31<br />

Längst geschieden........................................................................ 32<br />

Keine Lust auf <strong>Olivia</strong>.....................................................................33<br />

Veränderbare Prozesse.................................................................35<br />

Zauberland existiert nicht mehr...................................................36<br />

Leos Besuch..................................................................................36<br />

Besuch in Lissabon....................................................................... 38<br />

Kein Mensch gehört sich allein.....................................................39<br />

Danke, Henry................................................................................ 40<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 2 von 41


<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong><br />

Obsession<br />

Harte körperliche Arbeit, die ständig die Belastungsgrenze übersteigt, führt zu<br />

vorzeitigem physiologischem Verschleiß. Ein Familienvater, der ständig arbeiten<br />

muss, arbeitet nicht, um für sich und die Familie leben zu können, sondern lebt<br />

für die Arbeit. Bedingungen von denen man wusste, dass sie Krankheiten verursachten,<br />

mussten in Kauf genommen werden. Im Hinblick auf den Absolutismus<br />

hatte der Liberalismus die Herrschaft über den Menschen abschaffen wollen,<br />

aber statt der Fürsten und Adeligen einen neuen Herrscher implementiert,<br />

Money, Money, das Kapital, das jetzt den Menschen beherrschen und ausbeuten<br />

durfte. In vielen Entwicklungsländern ist es heute noch so wie früher bei<br />

uns, und vom Prinzip her hat sich auch bei uns nichts geändert. Harte körperliche<br />

Arbeit gibt es kaum noch, die Arbeitszeiten sind geregelt und Krankheiten<br />

erregende Substanzen werden verboten. Trotzdem wird das kapitalistische System<br />

in extenso betrieben und die Erkrankungen nehmen zu, psychische Erkrankungen.<br />

Der Arbeitsalltag und das Leben zu Hause werden nicht mehr dem<br />

gerecht, was die Psyche, die emotionalen Bedürfnisse, die Gefühlslage des<br />

Menschen fordern. Stressfaktoren nehmen überall zu und führen zu unterschiedlichen<br />

Arten von psychischen Breakdowns. Häufig haben die Menschen<br />

Probleme, deshalb einen Psychotherapeuten aufzusuchen, weil sie sich nicht<br />

als geisteskrank oder psychisch gestört sehen wollen. Recht haben sie. Psychische<br />

Krankheiten sind nicht immer so direkt definierbar wie eine Infektion<br />

durch den Nachweis des Erregers. Bei ihnen spielt auch Volkesmeinung, der<br />

Common Sense eine wichtige Rolle. Vor wenigen Jahren galt zum Beispiel eine<br />

<strong>Frau</strong>, die so häufig wie ein Mann Lust auf Sex hatte, als nymphomanisch und<br />

sollte sich deshalb psychotherapeutisch behandeln lassen. Andererseits fragt<br />

man sich natürlich auch, ob nicht gravierende Obsessionen und Besessenheiten<br />

gar nicht als psychisch deviant eingestuft werden, weil sie von der Allgemeinheit<br />

als normal und selbstverständlich goutiert sind. Niemand empfindet Leidensdruck,<br />

man fördert die Ausübung dieser Handlungen und hat seine Freude<br />

daran. Wer käme auf die Idee zum Therapeuten zu gehen, weil er ein Fußballfan<br />

ist? Dabei hat diese Obsession das ganze Volk befallen. Ein Sport ist es<br />

schon lange nicht mehr. Ein Sender, der die neuesten Bundesligaergebnisse <strong>nur</strong><br />

in einer Sportsendung und nicht in den Nachrichten mit dem Wichtigsten aus<br />

aller Welt verkünden würde, beginge einen üblen Fauxpas. Fußball jederzeit<br />

und überall, Leidensdruck empfinden <strong>nur</strong> die nicht von der Obsession befallenen.<br />

<strong>Die</strong> Torschützin<br />

Heute ist Pressefest. Abends findet der Ball statt und am am Nachmittag zur<br />

Belustigung der Medienleute und ihrer Familien, na was schon, Fußballspiele<br />

natürlich. Man hatte sich einen Scherz daraus gemacht, mich als deklarierten<br />

Fußballhasser zum Mitspielen zu bewegen. Ich hatte als Junge viel Fußball gespielt<br />

und ließ mich schließlich auf den Scherz ein. Eine <strong>Frau</strong>, eine Dame, spiel-<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 3 von 41


te bei uns, der Mannschaft vom Sender, auch mit. Sie war Auslandskorrespondentin<br />

für Südamerika gewesen. Alles passte zusammen, sie wollte gern zurück,<br />

der Sender baute das Korrespondentennetz ab, und in der Auslandsredaktion<br />

war eine Stelle frei geworden. Integrativ und vielleicht auch ein wenig<br />

lustig sollte ihre Beteiligung in der Mannschaft wirken. Bei dem Team von der<br />

Lokalpresse spielten sogar zwei junge <strong>Frau</strong> mit. Sie und ihre Mannschaft schienen<br />

uns völlig überlegen, und es dauerte auch nicht lange, bis sich der Ball<br />

zum ersten mal bei uns im Netz befand. Fünf weitere etwa würden noch folgen,<br />

schätzte ich. Plötzlich umdribbelte <strong>Olivia</strong>, unsere 'Südamerikanerin', den letzten<br />

Mann vorm Tor, schoss, und es war der Ausgleich. <strong>Die</strong> Torschützin kugelte<br />

sich am Boden und lachte sich krumm. Auch als sie andere beglückwünschend<br />

umarmten, hörte sie gar nicht auf zu lachen. Ein psychischer Erfolg, der uns<br />

aufbaute und das Unentschieden bis zur Halbzeit sicherte. Ich staunte <strong>nur</strong>,<br />

plötzlich zeigten alle unsere Kollegen Kämpfernaturen, die sonst noch niemand<br />

bei ihnen beobachtet hatte. Kurz nach der Halbzeit kam es sogar zu einem Gedränge<br />

vorm Tor der Lokalpresse, und plötzlich hatte jemand den Ball ins Tor<br />

befördert. Wieder <strong>Olivia</strong>. Es war nicht zu fassen, und von <strong>Olivia</strong> erwartete man<br />

noch weitere derartige Heldentaten, in dem die Zuschauer sie anspornend „Oli-vi-a“<br />

skandierten. <strong>Die</strong> meisten hatten ihren Namen vorher noch nie gehört.<br />

Natürlich gewannen wir. <strong>Die</strong> Lokalpresse schien völlig demoralisiert.<br />

Spree besser als der Amazonas?<br />

„Wenn ich deine Berichte und Features über Lateinamerika nicht gehört hätte,<br />

würde ich sagen, du warst in Brasilien, um Fußball spielen zu lernen.“ meinte<br />

ich scherzhaft zu ihr, obwohl, große Fußballkünste hatte sie eigentlich nicht gezeigt.<br />

<strong>Olivia</strong> lachte wieder anhaltend. „Ich kann doch gar nicht Fußball spielen.<br />

Ich hab's <strong>nur</strong> gemacht, weil es von den Kollegen so lieb gemeint war. Zweimal<br />

habe ich eine günstige Gelegenheit ausgenutzt, sonst nichts. Zwei Jahre Brasilien<br />

und keine Ahnung von Fußball, geht das überhaupt?“ erklärte sie. Dann<br />

befragte sie mich über meine Fußballpassion und lachte sich wieder schief. <strong>Olivia</strong><br />

lachte immer. Sie wollte aber noch mehr von mir wissen, da ich Kulturredakteur<br />

war, was sie besonders interessierte. Bei einem anschließenden Kaffee<br />

in der Sportklause wollten wir uns weiter unterhalten. Es habe sie schon als<br />

Schülerin begeistert, die tollen Reportagen aus aller Welt zu hören, was letztendlich<br />

auch zu ihrer Entscheidung für die Journalistin geführt habe. „Spanisch<br />

studiert und fließend portugiesisch sprechen, wofür ist man da besser geeignet<br />

als für Lateinamerika? Ich war selbst begeistert und außerdem wollte ich persönlich<br />

auch raus.“ erzählte <strong>Olivia</strong> von sich. „Und jetzt nicht mehr begeistert<br />

und doch lieber wieder zu Hause?“ erkundigte ich mich. „Du kannst fragen.“<br />

antwortete sie und lachte wieder. „Ich möchte etwas anderes machen, nicht<br />

mehr eine von denen sein, die du als die kleinen, doofen Reporterinnen ansiehst.<br />

Was, weiß ich aber noch nicht genau. Das muss ich erst herausfinden,<br />

eine günstige Gelegenheit abwarten und einen Treffer landen. Gut sein, auch<br />

wenn man's gar nicht kann, verstehst du?“ <strong>Olivia</strong>s Lachen steckte an. „Nein,<br />

das verstehe ich nicht. Ich meine, nicht schlecht zu sein, obwohl ich's kann.<br />

Rio und die Anden hattest du satt? <strong>Die</strong> Spree gefällt dir doch besser als der<br />

Amazonas?“ wollte ich wissen. „Mensch, Henry, wie soll ich dir das erklären?“<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 4 von 41


sagte <strong>Olivia</strong>, „Das ist eine lange und komplizierte Geschichte. Ich wollte einfach<br />

hier raus, aber was ich mir erhofft hatte, ist so nicht eingetreten.“<br />

„Unglückliche Beziehung?“ fragte ich zu einem weiteren Lachanlass für <strong>Olivia</strong>.<br />

„Nein, ich bin nicht wegen der Liebe geflüchtet. Ich wollte auf andere<br />

Gedanken kommen, mich anders sehen und verstehen lernen, aber das<br />

verstehst du bestimmt auch nicht.“ bekam ich zur Antwort. „Du wirst es mir so<br />

erklären, dass ich es auch verstehe.“ ich darauf. „Nein, nicht jetzt, das ist ein<br />

Teil der langen Geschichte. Vielleicht erzähle ich sie dir später mal, wenn es<br />

dich überhaupt interessieren sollte.“ reagierte <strong>Olivia</strong>. Sie fragte mich nach<br />

meinen Arbeitszusammenhängen. „Im Grunde könnte ich das doch auch<br />

machen. Ich würde dann meinen Schwerpunkt auf spanische Orchester und<br />

Opernaufführungen legen, aber außer Placido Domingo kenne ich gar keine<br />

spanischen Sänger.“ sagte es und lachte wieder. „Theresa Berganza ist doch<br />

super famous.“ erwähnte ich. „Ja, habe ich schon mal gehört. Ich meine den<br />

Namen. Ich habe sie noch nicht singen gehört.“ <strong>Olivia</strong> darauf. „Da musst du<br />

dich auch beeilen. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt noch singt, aber sie lebt<br />

noch. Vielleicht solltest du dir doch etwas anderes als klassische Musik<br />

aussuchen. Ein bisschen Wissen und Können dürfte nicht schaden.“ meinte ich<br />

dazu. „Hah, hast du etwa Musik studiert? Wie bist du überhaupt dazu<br />

gekommen?“ fragte sie mich. „Das ist auch eine lange, komplizierte<br />

Geschichte. Ich konnte nicht begreifen, wieso man keine CD herstellen kann,<br />

die klingt, als ob man in der Philharmonie wäre. Wenn ich ein Konzert besucht<br />

hatte, konnte ich die CD nicht mehr hören. Dann hatte ich meine audiophile<br />

Phase. Nicht schlecht, obwohl sie auch nicht das brachten, was ich suchte. Und<br />

dann hatten sie meistens unterschiedliche Jazz oder World Music aber keine<br />

Klassik. Trotzdem habe ich mich in eine Stimme ver<strong>liebt</strong>. Das Spanish Harlem<br />

von Rebecca Pidgeon wird für mich immer die schönste Schmusemusik bleiben.<br />

„With eyes as black as coal that look down in my soul<br />

And starts a fire there and then I lose control.“<br />

sang ich leise zitierend. „Du hast auch ganz dunkle Augen, <strong>Olivia</strong>.“ „Henry, hör<br />

auf, du spinnst. Du wolltest etwas ganz anderes erzählen.“ unterbrach mich<br />

<strong>Olivia</strong>. „Nein, ich war ja auch zuerst bei der Literatur, aber klassische Musik<br />

und Opern waren immer meine eigentliche Passion. Ich habe mich häufig eingemischt<br />

und öfter gefragt, warum man dies oder jenes denn nicht bringe,<br />

habe ständig mit den Klassikleuten diskutiert, kam mir schon fast wie einer<br />

von ihnen vor, und bei einer Umbesetzung habe ich dann meine jetzige Stelle<br />

im Musikbereich bekommen. Prächtig, wie eine Konzertagentur und noch viel<br />

mehr für's Radio. Ich lerne ständig dazu, wie ein nicht endendes Studium<br />

kommt mir meine Arbeit vor.“ erläuterte ich. „Ich lerne auch jeden Tag dazu,<br />

<strong>nur</strong> das allermeiste ist morgen schon Schnee von gestern.“ bemerkte <strong>Olivia</strong><br />

dazu, „Das genau ist es, was sich ändern soll. Ich möchte etwas Gehaltvolleres<br />

tun.“ „Jetzt werden sie dich wahrscheinlich von der Sportredaktion anbaggern.“<br />

kommentierte ich scherzhaft.<br />

Presseball<br />

Am Abend war es noch viel schlimmer. Zur neuen Zauberfee am Ball war <strong>Olivia</strong><br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 5 von 41


erblüht. Von den <strong>Frau</strong>en müssten wir siegen lernen, meinte man. Sie gebe dem<br />

Sender frische Kraft. <strong>Frau</strong>en, mit denen sie sprach, schmunzelten <strong>nur</strong>. „Ich<br />

kann es nicht mehr hören.“ erklärte <strong>Olivia</strong>, „Ich bin bei allen und immer <strong>nur</strong> die<br />

großartige Fußballspielerin. Komm, wir verziehen uns mal in eine Ecke, oder<br />

möchtest du vielleicht lieber tanzen?“ „Beides, Tanzen auch. Ein gemeinsamer<br />

Tanz und dann die Ecke, o. k.“ reagierte ich. Ich tanze gern, aber ein guter<br />

Tänzer im herkömmlichen Stil bin ich keineswegs. <strong>Olivia</strong> schien es auch viel<br />

besser zu finden, weil sie dadurch wieder etwas zu lachen hatte. „Hast du jüdische<br />

Vorfahren, oder bist du selbst Jüdin?“ wollte ich von <strong>Olivia</strong> wissen. Sie<br />

hatte mir nochmal ihren Nachnamen 'Winterstein' genannt. „Woran merkt man<br />

das, an der Chuzpe? Könnte schon sein, nicht war? Aber Leo der ist ein noch<br />

viel größeres Schlitzohr.“ antwortete sie. „Du bist also Jüdin, aber wer ist Leo?“<br />

fragte ich nach. „Ich bin keine Jüdin, weiß nichts von jüdischen Vorfahren und<br />

mit Leo, das ist mir <strong>nur</strong> so rausgerutscht. Den kennst du nicht.“ bekam ich zur<br />

Antwort. „Wohnt Leo auch hier in Berlin? Ist er dein Freund?“ fragte ich dennoch<br />

nach. „Ja, Leo wohnt auch in Berlin, aber er ist nicht mein Freund, ach,<br />

Quatsch, was rede ich, er ist mein Allerliebster, aber nicht so mein Freund,<br />

mein Partner, mit dem ich liiert bin, wie man das so versteht. Man kann das<br />

überhaupt nicht verstehen.“ sprach <strong>Olivia</strong>. „Ich muss schon sagen, ich verstehe<br />

auch nichts.“ meinte ich darauf. <strong>Olivia</strong> blickte mich taxierend an: „Henry, ich<br />

spüre, dass du ein netter Mensch bist. Es gefällt mir, wie wir uns unterhalten,<br />

ein gewisses Vertrauen empfinde ich schon, aber trotzdem sind wir uns völlig<br />

fremd, haben <strong>nur</strong> die Gemeinsamkeit, dass wir beim gleichen Sender arbeiten.<br />

Das mit Leo ist mir zu persönlich, zu intim. Das ist mein Leben, meine Geschichte,<br />

meine Persönlichkeit, und das ist mein Kreuz, meine Probleme und<br />

Schwierigkeiten. Es ist nicht so leicht, einen Mann zu finden, der immer hören<br />

möchte, wie Leo das jetzt wohl sehen würde.“ erklärte <strong>Olivia</strong> und lachte wieder.<br />

„Du wolltest also in Rio Leo vergessen?“ mutmaßte ich. Ein Lachanfall war die<br />

Folge. „Henry, was redest du? Das wollte ich nicht, und das geht auch nicht.“<br />

„Aber was dann? Hat dich Rio denn gar nicht verändert?“ fragte ich nach.<br />

„Zwar nicht auf die Weise, wie ich es mir erhofft hatte, aber verändert hat es<br />

mich auf jeden Fall sehr.“ <strong>Olivia</strong> dazu. „Hier haben sie immer erklärt, du würdest<br />

die Volksbefreiungsbewegungen puschen, wärst eine zweite Tanja.“ wusste<br />

ich. „Ja, hätte ich gut sein können, aber ich habe meinen Che Guevara ja<br />

nicht gefunden. Ich erlebe Berlin und das Leben hier jetzt völlig anders. Berlin,<br />

die große internationale Weltstadt, aber seitdem ich wieder zurück bin, glaube<br />

ich verstehen zu können, was die Leute meinen, wenn sie „typisch deutsch“ sagen.<br />

Alles hat ein irgendwie hausbackenes, irdenes, biederes Flair. Das Leben<br />

in der Weltstadt gleicht eher einem Dorfleben, in dem alles geregelt ist und seine<br />

Ordnung hat, als kosmopolitischem Alltag, auch wenn es hier noch so viele<br />

internationale Events gibt. In Rio fühle ich mich freier und offener, hier eher<br />

eingeengt durch die gesamte Atmosphäre und Mentalität. Außerdem hatte ich<br />

zwar in Rio meine Residenz, aber ich war ja immer unterwegs. Habe ungeheuer<br />

viel erlebt. Schlecht war das alles nicht, aber jetzt reicht es. Etwas anderes<br />

ist mir wichtiger geworden.“ erläuterte <strong>Olivia</strong> ihre Situation. Nach einer längeren<br />

Pause fuhr sie fort: „Ich besuche Campesinos, die sich gegen verschlechternde<br />

Bedingungen wehren. Meine Persönlichkeit und Identität besteht darin,<br />

Leuten in Deutschland Geschichten darüber zu erzählen. Wie eine dumme,<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 6 von 41


minderwertige Gans komme ich mir vor. Der Campesino tut etwas für sich, sein<br />

und das Leben der anderen, und ich? Mache nette Spielchen, vertändele mein<br />

Leben. Jegliche dumme Überheblichkeit gegenüber den schlichten, armen<br />

Leuten habe ich abgelegt. Ich werde kein Ziel haben, nicht wissen was ich<br />

wirklich will. Doch, habe ich eigentlich schon, <strong>nur</strong> ich weiß nicht, wie ich dahin<br />

gelangen soll.“ „Leo“ warf ich ein. Das Phantom Leo ließ mich nicht mehr los.<br />

<strong>Olivia</strong> griff nach meiner Hand. „Weißt du, Henry, mit Leo das ist im Grund nicht<br />

mehr als eine ganz enge Beziehung. Ich glaube allerdings, dass sie stärker ist<br />

als unter Zwillingen. Seit wir uns erkennen konnten, waren wir uns gegenseitig<br />

das Wichtigste auf der Welt, und das ist bis heute so geblieben. „Leo kommt<br />

gleich“ oder „<strong>Olivia</strong> kommt gleich“ gehörte mit zu den ersten Wörtern, die wir<br />

verstanden haben. Wenn das nicht geschah, wurden wir ungemütlich, sowohl<br />

Leo als auch ich. Wie sich bei Kindern, die während der Gehirnentwicklung ein<br />

Instrument spielen lernen, bestimmte Areale im Gehirn dafür bilden, werden<br />

sich auch bei uns Leo und <strong>Olivia</strong> Areale gebildet haben. Auslöschen, vergessen,<br />

rückgängig machen geht da nicht, aber wer wollte das auch?“ lüftete <strong>Olivia</strong> das<br />

Rätsel Leo. „Du bist aber doch nicht mit ihm zusammen, ihr seid kein Paar,<br />

oder?“ fragte ich nach. <strong>Olivia</strong> blickte mir in die Augen, mit ihrem schönsten<br />

Gesicht. In ihrem langen Antlitz waren die Augenbrauen hochgezogen, unter<br />

dem Ansatz ihrer dunkelbraunen Haare bildete sie kleine<br />

Bedenklichkeitsfältchen. Ihre großen, dunklen, fast schwarzen Augen fixierten<br />

mich, während ihre Lippen eine ernste Mimik zeigen wollten, aber auch ein<br />

leichtes Grinsen nicht verbargen. Sie öffnete den Mund leicht und strich mit der<br />

Zunge über ihre Zähne. „Nein, das sind wir nicht, aber warum, das verstehst<br />

du sowieso nicht.“ antwortete sie. „Offensichtlich gefällt es dir, sehr sybillinisch<br />

zu reden, aber das geht mich ja auch in der Tat nichts an.“ ich darauf. „Männer<br />

meinen doch, dass alle <strong>Frau</strong>en Sybillen seien. Es ist ganz einfach, Henry, schau<br />

mal, ein Paar ist immer zusammen, verbringt den Alltag gemeinsam, hat Sex<br />

miteinander, entwirft gemeinsame Zukunftspläne, gründet eine Familie,<br />

bekommt Kinder. Das alles wollten wir nicht. Wir haben schon sehr jung, als<br />

Kinder schon, uns Gedanken darüber gemacht, was das eigentlich sei, ob wir<br />

Bruder und Schwester wären oder so etwas Ähnliches. Als wir in die Pubertät<br />

kamen, haben wir endlos über unsere Beziehung diskutiert, immer und immer<br />

wieder. Sehr viel haben wir dabei gelernt, keineswegs <strong>nur</strong> über uns, sondern<br />

über Beziehungen unter Menschen überhaupt und über die Liebe natürlich. Von<br />

Anfang an hatten wir Sehnsucht nach einander, wundervoll, sich auf Leo oder<br />

<strong>Olivia</strong> freuen zu können. Ich wollte nicht, dass er ein Möbelstück meiner<br />

Alltagsroutine wird, dass er selbstverständlich immer dazu gehört, nichts<br />

Besonderes mehr ist. Sex? Als ich in der Pubertät anfing zu masturbieren, was<br />

hatte das mit der Liebe zwischen Leo und mir zu tun? Ich verspürte keine<br />

Gelüste nach Sex mit Leo, im Gegenteil. Sex ist etwas Triviales, das zu unserer<br />

Beziehung, unserer Liebe gar nicht in Beziehung stand, auch nicht zu ihr<br />

passte. Es war etwas Anderes, Fremdes. Ich sah die Situation in einer<br />

Kleinfamilie, wahrscheinlich würde ich später selbst irgendwann<br />

hineinrutschen, aber mit Leo, den wollte ich in dieser Mühle nicht verschleißen.<br />

Allerdings, wenn ich mal Kinder haben wollte, von wem dürften die denn sonst<br />

sein, als von Leo. Wir wollten unserer Beziehung die Sehnsucht nicht abhanden<br />

kommen lassen, davon lebt unsere Liebe seit den ersten Tagen. Für's<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 7 von 41


Gebrauchsleben, für's alltägliche Ver<strong>liebt</strong>sein, Zusammenleben und Heiraten im<br />

herkömmlichen Sinne wollten wir uns andere Partner suchen, <strong>nur</strong> das<br />

funktioniert leider überhaupt nicht. Leo hat's schon mit drei Freundinnen<br />

versucht, aber es ist immer wieder schnell vorbei. Erniedrigend sei es für sie<br />

gewesen, mich und Leo zu erleben. Dafür stehe sie nicht mehr zur Verfügung,<br />

hat eine ehemalige Freundin ihm erklärt. Und bei mir? Ich kann es mir gar<br />

nicht vorstellen, einen fremden Mann zu lieben. Warum? Weil es so sein<br />

müsste? Aber Bedarf existiert da nicht, keinerlei Verlangen.“ erklärte <strong>Olivia</strong>.<br />

Ruth, meine <strong>Frau</strong> kam an unseren Tisch. Wir hatten uns zu Beginn kurz<br />

vorgestellt. Ruth gefiel es offensichtlich. Sie war selbst Journalistin und konnte<br />

bei dieser Gelegenheit alle möglichen Bekannten wieder treffen. „Ihr redet so<br />

intensiv, erklärst du <strong>Olivia</strong> gerade das Leben in Berlin. Entschuldigung, ich weiß<br />

ihren Nachnamen gar nicht. Alle kennen <strong>nur</strong> die fabulous <strong>Olivia</strong>.“ meinte Ruth<br />

an <strong>Olivia</strong> gerichtet. „Das ist schon o. k.. Winterstein muss nicht sein. Ihr Mann<br />

hat zum Beispiel noch nie versucht, mich <strong>Frau</strong> Winterstein zu nennen.“ <strong>Olivia</strong><br />

dazu. „Weil sie ihn auch immer <strong>nur</strong> Henry nennen. Dann lassen sie doch bei<br />

mir auch das '<strong>Frau</strong> Borgmann' fallen und nennen mich Ruth.“ meine <strong>Frau</strong><br />

darauf. Dass man auf so etwas anstoßen müsse, bemerkte ich. Ruth holte sich<br />

ein Glas, eine Flasche Wein und setzte sich zu uns an den Tisch. Nach einigem<br />

Scherzen und Lachen, wünschte sich Ruth, dass <strong>Olivia</strong> uns doch mal besuchen<br />

möge. „Nein, nicht zum Tantenkaffeebesuch, komm einfach zum Mittagessen<br />

oder abends mit dem Taxi, da können wir auch noch einen Wein trinken.“<br />

erläuterte Ruth näher.<br />

<strong>Die</strong> Campesina<br />

Am nächsten Morgen rief <strong>Olivia</strong> mich schon sehr rechtzeitig an. Wir wechselten<br />

einiges Belangloses und <strong>Olivia</strong> sagte: „Henry, wenn ich dir auch nicht die Details<br />

meines Seelenlebens offenbart habe, aber ich denke doch, dass es schon<br />

sehr persönlich war. Sprich, bitte, nicht mit anderen darüber. Am liebsten auch<br />

mit Ruth nicht, wenn du es nicht längst getan hast.“ „<strong>Olivia</strong>, ich kann schon<br />

differenzieren, was ich wem warum erzähle. Zum Waschweib bin ich noch nicht<br />

geworden. Zu Ruth habe ich <strong>nur</strong> gesagt, dass ich dich für eine außergewöhnliche<br />

<strong>Frau</strong> hielte. Das sah sie auch so, obwohl sie dich doch gar nicht kennt, und<br />

wegen der Fußballtore war es bestimmt nicht. Ich glaube sie mochte dich auf<br />

Anhieb.“ reagierte ich. „Das ist doch kein Problem.“ antwortete ich auf die Fragen<br />

<strong>Olivia</strong>s zu ihrem Besuch. „Komm einfach am nächsten Sonntag zum Mittagessen.<br />

Da gibt es ein Rumpsteak mehr und wir können anschließend entscheiden,<br />

was wir machen wollen, spazieren gehen oder doch Kaffee und Kuchen,<br />

wie's uns passt. Natürlich kannst du auch abends kommen, wenn dir das<br />

lieber ist.“ „<strong>Olivia</strong>, mit den Augen der schwarzen Seen bis hin zu den schwärzeren<br />

Zehn.“ begrüßte ich sie scherzend, als sie am Sonntagmittag kam. <strong>Olivia</strong><br />

lachte und wollte wissen, woher ich das hätte. „Noch mehr hatte sie, einen<br />

Rock von Kattun und Schwarzhaar, das sie offen trug, als sie eines nachts in<br />

die Seemannsbar kam, aber nicht die <strong>Olivia</strong> sondern die Hanna Cash.“ erklärte<br />

ich lachend. „Ah, ja! Wunderschön ist das. Du hast bestimmt eine CD davon.<br />

Ich würde sie gern mal wieder hören. Es ist so schön wehmütig, aber macht<br />

vor allem auch nachdenklich.“ meinte <strong>Olivia</strong>. „Sie hatte nichts, außer sich, ihr<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 8 von 41


Leben und ihre Liebe. Heute haben wir alles, aber unser Leben aus dem Auge<br />

verloren und unsere Liebe entspricht einer Schablone. Wir haben die Freiheit,<br />

uns selber zu verlieren.“ erklärte <strong>Olivia</strong> beim Essen zu Hanna Cash. „Ich<br />

glaube, zu verstehen, was du meinst,“ sagte Ruth dazu, aber einen<br />

Wunschtraum verkörpert die Ballade für mich trotzdem nicht.“ „Sie mag keine<br />

Männer mit Maulwurfshaar.“ versuchte ich Ruths Aversion zu deuten und<br />

bekam dafür noch nicht mal einen Lacher. „Ich habe Menschen kennengelernt,<br />

die, na ja, fast so leben. Sie haben nichts als ihr blankes Leben, und das<br />

direkt, konkret und ausschließlich. Hier will mir die Welt häufig wie ein<br />

Jahrmarkt erscheinen, alles voller blendender Showgeschäfte und<br />

Schießbudenfiguren, alles <strong>nur</strong> Oberflächlichkeit, kaum Echtes, was den<br />

Menschen wirklich betrifft.“ verdeutlichte sich <strong>Olivia</strong>. „Ja, ja, aber was betrifft<br />

den Menschen wirklich? Weißt du es? Lebst du danach? Orientierst dich nicht<br />

an der Show, die dir vormacht, wie du zu leben hast?“ bemerkte Ruth. „Ganz<br />

frei machen kannst du dich davon sicher nicht, aber du kannst ein bisschen<br />

mehr Renitenza üben, öfter Widerspenstigkeit zeigen, nonkonformes Verhalten<br />

praktizieren, nicht <strong>nur</strong> alles affirmativ nachbetend mit dir laufen lassen. Du<br />

solltest deine wirklichen Bedürfnisse und Gefühle überhaupt erst mal erkennen<br />

lernen.“ <strong>Olivia</strong> darauf. „Du weißt, was deine wirklichen Gefühle und Bedürfnisse<br />

im Gegensatz zu den gelernten und übernommenen sind?“ erkundigte sich<br />

Ruth. „Erlernt und übernommen? Nachgemachte Gefühle sind es,<br />

Kasperletheater sonst nichts. Nur wirkliche Gefühle gibt es, oder Schauspiel.<br />

Henry kommt zurück. Du begrüßt ihn mit: „Hey, Henry!“, ein oder zwei<br />

Begrüßungsküsschen, oder so ähnlich, Alltagsroutine eben. Wie man's so<br />

macht. Das Wichtigste für einen Menschen sind seine guten Beziehungen zu<br />

anderen, und die Königin über allem ist die Liebe. Was kann es für dich<br />

Wichtigeres auf dieser Welt geben, als deine Liebe zu begrüßen, welches<br />

Gefühl könnte für dich stärker sein, aber du nimmst es nicht war, subsumierst<br />

dein Treffen mit Henry unter die alltäglichen Tagesgeschehnisse.“ <strong>Olivia</strong> dazu.<br />

Ruth lachte auf. „Und was schlägst du vor, sollte ich tun? Jeden Tag ein<br />

Freudenfest veranstalten?“ Ruth weiter. „Ja, so etwas in der Richtung. Du<br />

musst ja keinen Zirkus machen, entscheidend ist, dass du es weißt, empfindest<br />

und vermittelst. Wenn ich mich zum Beispiel mit Leo treffe, sind wenigstens die<br />

ersten zehn Minuten von Zärtlichkeiten, Zuneigungs- und Liebesbekundungen<br />

geprägt.“ antwortete <strong>Olivia</strong>. „Oh, nein, nicht Leo.“ schoss es mir durch den<br />

Kopf, aber <strong>Olivia</strong> hatte es mit zwei Sätzen geschickt erledigt. An der Diskussion<br />

hatte ich mich gar nicht beteiligt, hatte geträumt. <strong>Olivia</strong> führte ihr direktes<br />

originäres Leben als <strong>Frau</strong> eines Campesinos in Bolivien, hatte einen Hut auf,<br />

fünf Röcke an und vier Kinder. Sie arbeitete vom Aufwachen bis zum<br />

Schlafengehen. Mit ihrem langen Gesicht schaute sie oft bedenklich in die<br />

Gegend. Ihr Sohn hatte gestohlen, die Policia kam und schimpfte mit <strong>Olivia</strong>.<br />

Verhaften konnten sie den Kleinen nicht, er war noch zu jung. Anschließend<br />

saß <strong>Olivia</strong> am Küchentisch, den Kopf auf die Hände gestützt, und in ihren<br />

Augenliedern begann sich Flüssigkeit zu sammeln. <strong>Olivia</strong> weinte. Nur kurz,<br />

mehr Zeit hatte sie nicht, wischte sich das Feuchte aus den Augen und<br />

beruhigte sich: „<strong>Die</strong> anderen haben's noch viel schwerer.“ Eine wunderschöne<br />

Campesina, ob sie hier auch weinen konnte? „Menschen haben <strong>nur</strong> drei<br />

Bedürfnisse.“ mischte ich mich großmäulig verkündend in die Diskussion ein,<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 9 von 41


„Genug zu essen, genug zu trinken und sich häufig genug vermehren können.“<br />

Jetzt brauchte ich mich um Lacher nicht zu kümmern und Ruth strich mir mit<br />

der Bemerkung: „Ach, Henry, du bist immer so schlau.“ über's Haar. „Ist ja o.<br />

k., was ihr redet, aber das sind doch die Grundbedürfnisse, alles andere ist<br />

dem doch nachgeordnet oder resultiert daraus.“ meinte ich entschuldigend.<br />

„Essen und Trinken kannst du noch allein, aber bei der Fortpflanzung fängt's<br />

schon an, da ist immer auch ein anderer beteiligt, das hat schon<br />

kommunikative, soziale Aspekte.“ meinte Ruth. „Und wenn man die nicht will,<br />

muss du Fortpflanzungsübungen bleiben lassen.“ lautete <strong>Olivia</strong>s Kommentar<br />

dazu. Als sie von ihrem Treffen mit Leo berichtete, hatte ich versucht, mir die<br />

beiden näher vorzustellen. Natürlich spielt auch das Sexuelle beim Wunsch<br />

nach einem Partner eine Rolle, aber im Vordergrund steht doch das Bedürfnis<br />

danach, Liebe, Zuneigung, Vertrauen und Anerkennung zu erfahren, einem<br />

anderen Menschen dies zu geben, die enge Verbundenheit mit einem anderen.<br />

Und woran hatte <strong>Olivia</strong> da Mangel, dass ein Bedürfnis nach einem Mann in ihr<br />

wecken könnte? Ruth und ich wir <strong>liebt</strong>en uns, zweifellos, aber so wichtig<br />

unsere Liebe auch war, sie hatte einen Rahmen in unserer jeweiligen, sehr<br />

andersartigen Geschichte. <strong>Olivia</strong> und Leo verband ihr gemeinsames Leben, der<br />

eine war Teil des anderen. Spätere Liebe kann so etwas nie erreichen. Und der<br />

Sexualtrieb? Alles Handeln, Streben und Verlangen wird doch von der Libido<br />

regiert. <strong>Olivia</strong> hatte ihr Verlangen nach einem Mann bestimmt sublimiert. <strong>Die</strong><br />

Campesina wollte hier ein anderes Leben führen, originär und direkt in unserer<br />

Welt, die von extremem Kapitalismus geprägt ist und nach extremem Erfolg<br />

verlangt, unserer technologisierten entfremdeten Alltagswelt mit ihren<br />

endlosen Rollenvorgaben und Verhaltenserwartungen.<br />

Anders als Fremde<br />

Im Sender trafen wir uns <strong>nur</strong> sehr selten. Wir lächelten uns an, kurze Umarmung,<br />

ein paar verrückte oder witzige Worte, sodass wir lachend auseinander<br />

gingen. Wir verabredeten uns, zum gemeinsamen Mittagessen, wenn es sich<br />

ermöglichen ließ. Erzählt wurde Aktuelles rund um unsere Arbeit, aber auch<br />

vieles Persönliche. So erfuhr ich, dass <strong>Olivia</strong> als kleines Mädchen bei einem Urlaub<br />

in Portugal ein portugiesisches Mädchen kennengelernt hatte. <strong>Die</strong> beiden<br />

hatten ihre Freude miteinander, obwohl keines die Sprache des anderen verstand.<br />

Man wollte ein Wiedersehen ermöglichen, und so besuchten sich die Eltern<br />

gegenseitig abwechselnd. <strong>Olivia</strong> lernte fließend portugiesisch und Maria,<br />

so hieß die portugiesische Freundin, war stolz auf Deutsch, dass sie wie eine<br />

zweite Muttersprache beherrschte. „Und Leo, konntest du denn immer Ferien<br />

ohne Leo machen?“ erkundigte ich mich. <strong>Olivia</strong> lachte wieder. „Henry!“ vorwurfsvoll<br />

und verständnislos klang es, „Leo war doch immer dabei. Er ist auch<br />

ein halber Portugiese. Alle im Dorf sind seine Freunde, <strong>nur</strong> einen gleichaltrigen,<br />

festen Freund hat er dort nicht. Wenn sie zu uns kamen, brachte Maria auch<br />

schon mal ihren Bruder mit. Er ist älter, versteht sich aber sehr gut mit Leo.<br />

Seitdem wir beide berufstätig sind, Maria verheiratet ist und zwei Kinder hat,<br />

treffen wir uns <strong>nur</strong> noch äußerst selten.“ „Und Spanisch, wie kommst du<br />

dazu?“ wollte ich wissen. „Portugiesisch gab's bei uns an der Schule nicht, hätte<br />

ich auch nicht gemacht, aber Spanisch habe ich richtig als zweite Fremd-<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 10 von 41


sprache in der Schule gelernt, so wie du wahrscheinlich Französisch. Das kann<br />

ich wiederum <strong>nur</strong> aus Privatkursen.“ erläuterte <strong>Olivia</strong>. „Sprachlich bin ich sehr<br />

unterbelichtet, kann mit niemandem reden, brauche immer einen Translator.<br />

Manchmal ist das sehr schade. Wie gut, dass man das meiste Österreichische<br />

noch verstehen kann.“ scherzte ich. „Ja, ein Spleen ist es. Minderwertigkeitskomplexe<br />

gegenüber den Piefkes, wenn Ohren in einem Wiener Café das Wort<br />

'Schlagsahne' nicht wahrnehmen können.“ sah <strong>Olivia</strong> es. „Henry, wenn wir uns<br />

begegnen, lächeln wir uns an. Es gefällt mir, dich lächeln zu sehen, <strong>nur</strong> ich<br />

glaube, ich verstehe dein Lächeln nicht. Kann sein, dass du immer so lächelst,<br />

aber mir kommt es vor, als ob dein Lächeln einen verschmitzten Beiklang trüge,<br />

als ob wir ein gemeinsames Geheimnis hätten. Haben wir eins?“ sollte ich<br />

<strong>Olivia</strong> beantworten. Ich konnte ihr doch nicht sagen, dass mir immer die Campesina<br />

mit dem Hut auf ihrem Kopf erschien, wenn ich sie sah. „Ich mag dich<br />

einfach, <strong>Olivia</strong>. Vielleicht ist das mein Geheimnis. <strong>Die</strong> anderen sehe ich eher<br />

eintönig grau, platt gestrickt und dich in den bunten Farben der Anden. Lebendiger<br />

und interessanter sehe ich dich. Du reizt mich zu Späßen und ich erlebe<br />

dich gern lachen. Du grinst immer, wenn ich etwas erzähle, und du mir zuhörst.“<br />

antwortete ich. „Henry, so grinse ich doch nicht. Vielleicht kannst du es<br />

dir gar nicht vorstellen, dass dir einfach jemand gerne zuhört und es ihn erfreut.<br />

Rechnest du immer <strong>nur</strong> damit ausgelacht oder mokant abschätzig bewertet<br />

zu werden? Ich höre dir gern zu und lasse meine Mimik das erkennen.“<br />

<strong>Olivia</strong> machte eine länger Pause und sinnierte. Ich schwieg auch. Dann fuhr sie<br />

fort: „Ob ich dich mag? Sicher. Du taxierst einen Menschen, den du triffst, immer<br />

zuerst in seiner Rolle als potentiellen Geschlechtspartner, heißt es. Mag<br />

sein, dass ich es auch tue, <strong>nur</strong> spüre ich nichts davon. Der Blick, den Hanna<br />

Cash bis in die Zehen spürt, ist mir unbekannt, aber natürlich schätze ich Menschen<br />

bei der ersten Begegnung schon ein. Den meisten wird nichts von dem<br />

bewusst, was sie zu erkennen meinen, sie handeln einfach entsprechend. Ich<br />

versuche mir schon vorzustellen, wie jemand zu mir passen würde, ob er mich<br />

verstehen könnte, wie offen er wäre.“ „Und wie hast du mich beim ersten mal<br />

gesehen?“ wollte ich natürlich wissen. <strong>Olivia</strong> lachte, umfing meinen Hals und<br />

verwuselte mir das Haar. „Ganz genau weiß ich es gar nicht, Henry. Nur nach<br />

deinen ersten Worten und Blicken, spürte ich: „Der ist o. k.“. Mit wem hätte ich<br />

sonst wohl Lust auf einen anschließenden Kaffee haben sollen?“ ließ <strong>Olivia</strong><br />

mich mit lachendem Gesicht wissen. „Das sehe ich auch so. Wir kommunizieren<br />

ganz anders, als ob wir uns wie Fremde begegnet wären, im Grunde von<br />

Anfang an. Bei Menschen, die ich interviewe, stelle ich auch immer sehr große<br />

Unterschiede fest. Menschen, die natürlich reden, wie sie wirklich sind und andere,<br />

die ihr Bild von sich, wie sie gern gesehen werden möchten, darstellen,<br />

und das sind die meisten.“ kommentierte ich.<br />

Bibliothekserweiterung<br />

<strong>Olivia</strong> kam jetzt auch öfter zu uns, einfach so, ohne besonderen Anlass oder<br />

Einladung. Sie rief <strong>nur</strong> vorher an, fragte, ob wir etwas vor hätten, und sie stören<br />

würde. Aber <strong>Olivia</strong> störte nie. Wir gingen zusammen ins Theater oder ins<br />

Kino und auch sonst konnte <strong>Olivia</strong> immer dabei sein. Ich hatte ja auch beruflich<br />

häufig Termine am Abend, ein Konzert, eine Oper, ein Chor. <strong>Olivia</strong> begleite-<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 11 von 41


te mich meistens. Auch bei den Interviews war sie nicht selten als meine Assistentin<br />

anwesend. Bestimmt trachtete sie danach, es selber besser zu können<br />

und mich mal irgendwann abzulösen. Nein, nein, das glaubte ich doch nicht.<br />

Sie hatte mit der Literaturabteilung Kontakt aufgenommen und sich angeboten,<br />

portugiesische und spanische Literatur frühzeitig im Original zu lesen und zu<br />

rezensieren. Dazu schrieb man die renommierten Verlage in Spanien, Portugal<br />

und allen Spanisch sprachigen Ländern an. Ob unsere Bibliothek anbauen<br />

musste? Denn alle Verlage schickten gern. In vielem waren wir sicher aktueller<br />

als die Uni. Mit Leo, der an seiner Habilitation für's Lusitanische schrieb, stand<br />

sie deshalb in ständigem Kontakt. <strong>Olivia</strong> war ja Expertin in spanischer und portugiesischer<br />

Literatur, und konnte entscheiden, welches Buch auszuwählen war.<br />

<strong>Olivia</strong>s Rezension<br />

Nach einiger Zeit hörte man die <strong>Frau</strong>, die man aus Gesprächen mit Politikern<br />

am Plaza Murillo in La Paz kannte, das Buch einer jungen portugiesischen Autorin<br />

vorstellen. Außer <strong>Olivia</strong> kannte es niemand in Deutschland. Das änderte<br />

sich jedoch, weil es bald einen deutschen Verleger fand und übersetzt wurde.<br />

Im Klappentext ein Zitat aus <strong>Olivia</strong>s Rezension. Verlag und Autorin bedankten<br />

sich überschwänglich beim Sender und bei <strong>Olivia</strong>. Wenn das Buch schon ins<br />

Deutsche übersetzt war, würden Englisch, Französisch und Spanisch natürlich<br />

sicher bald folgen. Das Buch einer brasilianischen Autorin hatte sie besprochen.<br />

Sie kam nach Lissabon und <strong>Olivia</strong> bot an, sich mit ihr zu treffen und sie zu interviewen.<br />

Übersetzer brauche sie nicht <strong>nur</strong> einen Toningenieur für die Aufzeichnung.<br />

Man wollte eine genaue Regie, ein Drehbuch für's Interview vorbereiten.<br />

<strong>Olivia</strong> wies das zurück. Sie habe mit der <strong>Frau</strong> telefoniert, wisse, was sie<br />

zu fragen habe, das Gespräch müsse sich situativ entwickeln. Man ließ es sie<br />

probieren, musste es ja nicht senden, wenn es unbrauchbar war. Dass <strong>Olivia</strong><br />

zwischendurch selbst übersetzen wollte, waren ja sowieso Praktiken aus vergangenen<br />

Tagen. Sie traf sich mit der Schriftstellerin im Hotel, man verstand<br />

sich gut und meinte, das Hotel biete eine schlechte Atmosphäre für ein Gespräch.<br />

Sie mieteten sich gemeinsam eine Wohnung, und als am Donnerstag<br />

der Toningenieur kam, waren sie schon dicke Freundinnen. So sprachen sie<br />

auch im Interview miteinander. Sie lachten viel, aber die Schriftstellerin offenbarte<br />

sich <strong>Olivia</strong>, sah das Mikrofon nicht mehr und vergas das Radio. Was sie<br />

<strong>Olivia</strong> erklärte, hatte gewiss noch kein anderer Sender zu hören bekommen.<br />

Sie verloren sich auch, kamen auf anderes zu sprechen und <strong>Olivia</strong> wusste die<br />

Zuhörer so geschickt mit einzubinden, dass sie sich nicht sicher waren, ob sie<br />

nicht auch selbst manchmal das Portugiesische verstanden. „Ihr habt sicher<br />

hervorragende Übersetzer, aber der Roman ist wie ein Lied. Wenn du es übersetzt,<br />

wird es zu etwas anderem. Den richtigen Klang hörst du <strong>nur</strong> im Original.<br />

Also, alle Deutschen, lernt Portugiesisch.“ erklärte die Brasilianerin und beide<br />

lachten schallend. Damit war das Interview zu Ende. Im Sender war man begeistert.<br />

Authentischer und tiefgehender konnte ein Interview nicht sein. Man<br />

wusste gar nicht, was man schneiden sollte, weil sie alles köstlich und wichtig<br />

fanden. „Vergiss alle Regeln und Tricks. Mache es so, wie Menschen wirklich<br />

miteinander kommunizieren, ihr Wissen darlegen und ihre Gefühle offenbaren.“<br />

hatte sich die Campesina bestimmt gedacht.<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 12 von 41


Neuer Stil für altes Format<br />

<strong>Die</strong> Anerkennung dafür bedeutete <strong>Olivia</strong> viel. Natürlich wusste sie auch, dass<br />

heute die Interviews mit Simultanübersetzung oder nachträglich eingebauten<br />

deutschen Texten gemacht wurden. Sie hatte es ja selbst so praktiziert. Vom<br />

Interviewten ließ man <strong>nur</strong> einige O-Töne hören, um zu verdeutlichen, dass es<br />

kein Fake sei. <strong>Olivia</strong> habe einen neuen Stil für ein altes Format kreiert. Das Interview<br />

wurde von mehreren Sendern übernommen und das Buch natürlich<br />

schnellstens übersetzt. Alle möglichen Schriftstellerinnen und Schriftsteller sollte<br />

<strong>Olivia</strong> jetzt interviewen. Sie lehnte ab. „Das ist nicht zu reproduzieren, man<br />

kann es nicht einfach kopieren, genauso wiederholen. Ein persönliches Gespräch<br />

ist wie dein Kind, jedes ist anders, hat ein eigenes Gepräge.“ erklärte<br />

sie. Trotzdem drängte man <strong>Olivia</strong>. <strong>Die</strong> wollte eine vertrauliche Atmosphäre,<br />

musste die Möglichkeit zum ausführlichen persönlichen Kennenlernen haben.<br />

Eine bedeutsame Kommunikation zwischen zwei Menschen müsse möglich<br />

sein. Eine Hotellounge sei dazu genauso ungeeignet wie für eine Opernaufführung,<br />

da könne man <strong>nur</strong> plappern oder distanzierte Statements abgeben. Eine<br />

englische Schriftstellerin hatte das abgelehnt. <strong>Olivia</strong> verdeutlichte ihr nochmal,<br />

worum es ihr ging. An drei Tagen im Wochenendhaus der Schwester wollten<br />

sich die Schriftstellerin und <strong>Olivia</strong> kennenlernen. Sie mussten mehrmals neu<br />

mit dem Interview beginnen, weil die Schriftstellerin nicht zu bremsen war, sich<br />

in Lobeshymnen über <strong>Olivia</strong> zu ergießen. Zu Entwicklungen und Ereignissen in<br />

Lateinamerika sagte sie auch manchmal noch etwas, aber primär war sie zur<br />

Rezensentin und Chefinterviewerin bei den Literaten avanciert. Ihre Gespräche<br />

wurden zum Markenzeichen unseres Senders. Besonderes Kennzeichen war,<br />

dass sie sich mit fast allen duzte. Sie war immer sofort die gute Freundin aber<br />

auch die dominante Mutter. Den meisten schien sie so sehr zu gefallen, sie<br />

fühlten sich bei ihr geborgen und öffneten sich ihr. Einem jungen Autor erklärte<br />

sie: „Wenn mir dein Buch gefällt, dann ist es das literarische Produkt, die wohl<br />

gewählten Worte, die gelungenen Metaphern und so weiter, aber das Buch hat<br />

auch eine Seele und das bist du, deine Seele, das Buch ist ein Teil von dir, du<br />

bist das Buch. Du kannst es verbergen, kannst dich hinter einem Anonym verstecken,<br />

aber wenn du es sein willst, der diesen Roman geschrieben hat, dann<br />

lass mich doch mehr wissen. Ausfragen? Darum geht es mir nicht. Ich kenne<br />

dich ja gar nicht. Ich möchte die Seele deines Buches, und das heißt dich, besser<br />

verstehen können.“<br />

Louiza<br />

Das Buch der brasilianischen Autorin war mittlerweile in viele Sprachen übersetzt<br />

und nicht <strong>nur</strong> bei uns zum Bestseller geworden. <strong>Die</strong> Schriftstellerin war<br />

zur Buchmesse eingeladen, und der Verlag wollte für alles sorgen. <strong>Olivia</strong> bestand<br />

aber darauf, sich um Luiza, so hieß die Autorin, selbst zu kümmern. Sie<br />

sei ihre Freundin und das sei schließlich vorrangig. Vom Flughafen kamen sie<br />

zu uns. Wir seien ihre Familie, erklärte <strong>Olivia</strong>. Wenn Luiza bei uns wohne, würden<br />

wir ihr bei allem behilflich sein. Jetzt lernten wir auch Leo kennen. Dass er<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 13 von 41


nicht ihr Freund sei, wollte Louiza nicht glauben. <strong>Die</strong> Augen der beiden<br />

glänzten nicht <strong>nur</strong>, als sie sich trafen, die Sonnen waren aufgegangen und<br />

schienen ihre gesamten Körper zu durchstrahlen. <strong>Olivia</strong> und Leo nahmen uns<br />

überhaupt nicht mehr wahr. Gegenseitig in sich vertieft tauschten sei leise<br />

zärtliche Worte aus, streichelten Gesicht und Lippen des anderen und blickten<br />

sich anlächelnd immer gegenseitig tief in die Augen. Jeder sah, wie sich ihre<br />

Herzen verstanden. Ruth und ich begrüßten uns auch nicht mehr beiläufig,<br />

schnoddrig, aber was die beiden sich vermittelten, darüber verfügten wir gar<br />

nicht. Ein total lustiger Nachmittag. Wir schienen uns alle zu verstehen auch<br />

ohne Leos und <strong>Olivia</strong>s Übersetzungswetteifer. Wenn Louiza etwas erzählte, und<br />

dabei ins Lachen kam, mussten wir auch lachen. Offensichtlich hatten wir sie<br />

verstanden, wahrscheinlich weniger ihren Scherz, als Louiza selbst. <strong>Die</strong> Fahrten<br />

nach Frankfurt waren schon umständlich, aber bei uns hatte Louiza eine<br />

Familie und konnte bleiben solange sie wollte. Sonst wäre sie auf<br />

Geschäftsreise für einige Tage in einem Frankfurter Hotel gewesen. Sie hatte<br />

auch ein Interview bei 3sat, natürlich mit <strong>Olivia</strong>. Einen Satz zu ihrer<br />

Freundschaft mit Louiza musste <strong>Olivia</strong> auch sagen und deutlich machen, dass<br />

sie keine Brasilianerin sondern Deutsche sei. <strong>Olivia</strong>s tiefbraune Haare und ihr<br />

trotz fehlender Sonne immer noch dunklerer Teint ließen das vermuten. <strong>Olivia</strong><br />

erhielt kein Angebot für eine Stelle in der Literaturabteilung bei 3sat, aber oft<br />

Bitten um Lesungen, von lateinamerikanischer, portugiesischer und spanischer<br />

Literatur. Nicht <strong>nur</strong> ihr Aussehen passte hervorragend, im Fernsehen war man<br />

wohl erst auf ihre Stimme aufmerksam geworden. Kann sein, dass die <strong>Frau</strong>en<br />

im Altiplano tatsächlich mit fiepsiger Stimme sprechen, für mich hörte sich eine<br />

Campesina aber wie <strong>Olivia</strong> an, eine sanfte Altstimme, die ein sandiges Timbre<br />

hatte und durchaus die Möglichkeit zu harschen Worten offen ließ, und so gefiel<br />

es wohl den meisten Zuhörern auch.<br />

<strong>Olivia</strong>s Geheimnis<br />

Immer voll beschäftigt war <strong>Olivia</strong>, hatte ständig Termine, viele Freundinnen unterschiedlichen<br />

Grades, kannte Gott und die Welt. Trotzdem versuchte sie<br />

noch, so häufig wie möglich zu uns zu kommen und sich mit mir zum gemeinsamen<br />

Mittagessen zu treffen. „Ihr seid eben mein Heimathafen.“ erklärte <strong>Olivia</strong><br />

eines Mittags. „Warum? Wie soll ich das wissen. Es war einfach so von Anfang<br />

an. Im Grunde lag es an dir, du warst der erste, mit dem ich mich vertieft<br />

unterhalten habe. Vielleicht hast du das Urvertrauen für Deutschland in mir begründet,<br />

vielleicht wollte ich aber auch <strong>nur</strong> den wahren Grund für dein geheimnisvolles<br />

Lächeln herausbekommen. Du tust es ja immer noch, auch manchmal<br />

einfach so zwischendurch. Ich glaube es dir nicht, dass es <strong>nur</strong> daran liegt, dass<br />

du mich magst. Du denkst an etwas anderes. Warum sagst du es mir nicht?“<br />

Warum erzählte ich ihr die Geschichte mit der Campesina eigentlich nicht.<br />

Wollte ich mein kleines Geheimnis behalten, denn sagen konnten wir uns mittlerweile<br />

alles. „Von Anfang an gab es das Lächeln aber nicht so. Erst nach deinem<br />

Besuch bei uns habe ich jedes mal eine Erscheinung, wenn ich dich sehe.<br />

Ich erzählte ihr die Campesinageschichte. Stumm lachend blickten wir uns an.<br />

<strong>Olivia</strong> fiel mir um den Hals. Ich bekam einen Kuss auf beide Wangen und die<br />

Stirn. Sie löste die Umarmung aber nicht, sondern wir starrten uns in die Au-<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 14 von 41


gen, und küssten uns auch auf den Mund. Es war still. Wir starrten beide auf<br />

unsere Teller und dann wieder wie verabredet uns gegenseitig an. „Ich habe<br />

mich gefragt, ob du manchmal wirklich weinst. Traurig sein ist doch ein originär<br />

menschliches Gefühl und Weinen der Ausdruck davon.“ unterbrach ich das<br />

stumme Anschauen. <strong>Olivia</strong> schmunzelte. „Obwohl ich es selber wollte, hatte ich<br />

ein wenig Angst, wieder zurückzukommen. Du kannst dir soviel Unangenehmes<br />

ausmalen, aber der erste Tag war gut und jeder weitere wurde besser. Gedanken<br />

an mögliche üble Entwicklungen waren fast sofort verschwunden, und das<br />

lag nicht zuletzt an dir, beziehungsweise euch. Als ob mir schon nichts passieren<br />

könne. Warum und worüber sollte ich da traurig sein und weinen. Aber in<br />

Brasilien habe ich öfter geweint. Ich war permanent beschäftigt, es war spannend<br />

und trotzdem spürst du, dass etwas in dir unbefriedigt ist. Ja, die Campesina<br />

hat in die Gegend gestarrt und dann machte ihr die Traurigkeit die Augen<br />

nass. Warum? Genau wusste ich es nicht. Ich hatte gedacht, durch die anderen<br />

Verhältnisse, eine normale <strong>Frau</strong> zu werden, die Lust auf Männer hat, aber da<br />

war eher das Gegenteil der Fall. Ob ich deshalb traurig war? Andererseits war<br />

alles sehr interessant in meinem Beruf und es forderte mich voll, aber das war<br />

ich gar nicht, die <strong>Frau</strong>, die ihr Ego aus Reportagen aufbaut. Vieles in mir wurde<br />

nicht berührt und lag brach. Was ich beruflich machte, lag außerhalb von mir.<br />

So kam es mir vor. Ob mir deshalb die Tränen kamen? Im Nachhinein bin ich<br />

sicher.“ erklärte <strong>Olivia</strong>. „Womit ich mich jetzt beschäftige, das bin ich, das lässt<br />

mich frei fühlen. So wie du in deiner Welt der Klänge lebst, bin ich in meiner<br />

Welt der Literatur zu Hause. Nicht anders als ein Lied oder eine Oper können<br />

sie sein, die Romane und Erzählungen. Ich lebe ganz hier, direkt und originär,<br />

die Campesina in Berlin. Eine Auslandskorrespondentin <strong>Olivia</strong> ist gestorben.“<br />

„Dass du keine normale <strong>Frau</strong>, die Lust auf Männer hat, geworden bist, stört<br />

dich jetzt hier nicht mehr?“ fragte ich grinsend nach. <strong>Olivia</strong> schmunzelte. „Soll<br />

ich zum Therapeuten gehen? Ich empfinde doch keinerlei Leidensdruck. Eine<br />

<strong>Frau</strong>, die sich einen Partner wünscht, sucht fast immer in erster Linie Liebe.<br />

Wie könnte es daran bei mir mangeln. Ich liebe meine Mutter und Leos Mutter,<br />

ich liebe Maria, Dich und Ruth und vor allem natürlich Leo. Also Liebe im Übermaß.<br />

Was kann mir da fehlen?“ bekam ich als Antwort. „Ich liebe auch meine<br />

Mutter und meinen Vater. Meinen Großvater habe ich überschwänglich ge<strong>liebt</strong>,<br />

trotzdem habe ich mich in Ruth ver<strong>liebt</strong>, denn erotische Empfindungen zeigten<br />

sich <strong>nur</strong> bei ihr.“ erklärte ich, und <strong>Olivia</strong> lachte. „Männer empfinden eben anders,“<br />

wusste <strong>Olivia</strong>, „ihnen reicht es, wenn sie ficken können.“ „Nein, nein,<br />

nein,“ protestierte ich, „keine Frage, dass Männer und <strong>Frau</strong>en sexuell anders<br />

strukturiert sind, aber das Soziale dominiert bei Männern nicht minder. Sie sind<br />

genauso auf Anerkennung, Zuneigung und Liebe angewiesen wie <strong>Frau</strong>en. Bei<br />

Männern, die an einer Trennung zerbrechen, liegt es bestimmt nicht am Sex.<br />

Eure Unterscheidung zwischen Liebe und Sex, kann ich nicht nachvollziehen.<br />

Ich empfinde sie als ein theoretisches Konstrukt.“ Jetzt schien sich eine nicht<br />

enden wollende Diskussion anzubahnen. Zu essen gab es schon lange nichts<br />

mehr. In meinem Büro konnten wir weiter diskutieren, da wir beide keine aktuellen<br />

Termine hatten. Das Liebe und Sex etwas völlig Unterschiedliches seien<br />

und aus anderen Motivationsbasen resultierten bekam ich noch <strong>einmal</strong> detailliert<br />

erklärt. „Was du sagst, <strong>Olivia</strong>, basiert auf übelster kirchlicher Moralvorstellung.<br />

Ohne etwas gegessen oder getrunken zu haben, kannst du Leo auch<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 15 von 41


nicht lieben. Du bist nicht der hehre Geist, in dem die Liebe wohnt und der<br />

minderwertige, triviale, irdine Körper, dessen Gelüste der Satan weckt. Alles ist<br />

eins, gehört zusammen zu dir. Kein Paar liegt gemeinsam im Bett, macht nach<br />

den Zärtlichkeiten einen Schnitt und sagt: „Jetzt beginnt das Triviale.“ Auch<br />

wenn das Bedürfnis nach sexueller Befriedigung nicht aus sozialen<br />

Zusammenhängen resultiert, stört es die Liebe doch nicht sondern erweitert sie<br />

eher.“ argumentierte ich. <strong>Olivia</strong> hörte mir stumm zu und fixierte mich. „Ich<br />

mag dich, Henry, sehr.“ sagte sie nach längerer Pause. <strong>Die</strong> dunklen Augen<br />

suchten meine. Ernst schaute sie mich an, aber ihre Lippen umspielte doch ein<br />

Ausdruck von Freundlichkeit. <strong>Die</strong> geöffneten Finger der linken Hand fuhren<br />

leicht streichend über ihre linke Wange. Worüber dachte <strong>Olivia</strong> nach? Plötzlich<br />

erklärte sie: „Ein Geheimnis habe ich auch, aber es ist wohl besser, das nicht<br />

zu erzählen.“ Ich scherzte und wollte es ihr entlocken, aber <strong>Olivia</strong> blieb ganz<br />

ernst. „Erzählen möchte ich es im Grunde schon, und wem sonst, wenn nicht<br />

dir.“ erklärte sie, die immer lächelte oder lachte, mit ernster Mimik. „Ich kann<br />

es dir aber <strong>nur</strong> unter der Bedingung erzählen, dass wir es anschließend sofort<br />

wieder vergessen, als ob wir nichts gehört hätten, wie ein Bild, das nach dem<br />

Anschauen ausgewischt wird.“ forderte <strong>Olivia</strong>. „Ja, natürlich.“ stimmte ich<br />

hastig zu in Spannung auf das, was ich zu hören bekäme. „Henry, ich habe zu<br />

niemandem so enge soziale Beziehungen wie zu dir, wir treffen uns häufig, du<br />

lässt mich an allem Möglichen teilhaben und besprichst alles mit mir. Das<br />

gefällt mir sehr. Ich freue mich schon vorher darauf, mit dir zusammen zu sein.<br />

Eine Wohlfühlatmosphäre verspüre ich. <strong>Die</strong> milde Sonne von Jericoacoara<br />

erwärmt uns leicht. Ich suche deine Nähe, Henry, und ich weiß, dass ich dir<br />

nicht fern bin. Du trägst mich gern in deinen Gedanken. <strong>Die</strong> Geschichte von<br />

der Campesina war nett, aber bedeutsamer war wie du mich so früh schon in<br />

deinen Gedanken bewegtest. Wir mögen uns nicht <strong>nur</strong>, wir suchen uns. Wenn<br />

wir uns nicht schon die Gedanken daran verbieten müssten, würden uns<br />

unsere Gefühle sagen, dass es zwischen uns ist wie bei Ver<strong>liebt</strong>en. Ich spüre<br />

das stark, möchte dich gern berühren, dich streicheln und küssen, so wie<br />

vorhin. Ja, ich möchte zärtlich zu dir sein, überall. Wünsche mir, dass du mich<br />

berührst, mich streichelst. Ich stelle mir vor, wie wir uns liebkosend<br />

gemeinsam im Bett lägen. Mit dem Sex, das käme schon irgendwann. Das<br />

kann man sich ja nicht vorstellen, das muss man erleben, nicht wahr?“ <strong>Olivia</strong>s<br />

Geheimnis. Ich hatte kein Wort gesagt, wusste nicht was ich hörte. Bei den<br />

letzten Sentenzen hatte ich mir eine Hand vor die Augen gehalten, wohl um<br />

jegliche mimische Reaktion zu verbergen. Ich schluckte und fragte <strong>Olivia</strong>: „Du<br />

wirst das sofort vergessen haben? Nein, wohl eher nicht. Vergessen kann ich<br />

es auch nicht, <strong>Olivia</strong>.“ „Aber dass man Geheimnisse überhaupt niemandem<br />

verraten darf, wirst du doch beachten?“ erklärte sie, kam zu mir, strich mir<br />

über die rechte Wange und legte ihre linke an meine. „Es ist spät. Ich muss<br />

gehen. Es war ja auch ein sehr langes Mittagessen.“ sagte sie noch und verließ<br />

lächelnd mein Büro.<br />

Ich hatte nichts gesagt, <strong>nur</strong> staunend zugehört, während <strong>Olivia</strong> erzählte. Innerlich<br />

stand mir immer noch der Mund offen, mir fehlten einfach die Worte<br />

und jeglicher klarer Gedanke. <strong>Olivia</strong>, diese <strong>Olivia</strong> konstatiert, das wir beide ver<strong>liebt</strong><br />

sind und sie deshalb mit mir ins Bett will. Das war wirklich nicht zu fassen<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 16 von 41


und das auch noch von <strong>Olivia</strong>. Was würde denn jetzt für uns daraus<br />

resultieren. Wie gewohnt konnte es nicht mehr sein. Mit ihrer Beschreibung<br />

hatte <strong>Olivia</strong> ja Recht, aber dass ich in sie ver<strong>liebt</strong> war, wusste ich nicht.<br />

Natürlich mochte ich <strong>Olivia</strong>, aber mich in sie verlieben, das konnte ich gar nicht<br />

denken. Dass ich oft an sie dachte, <strong>Olivia</strong> in meinen Gedanken war, traf schon<br />

zu. Öfter als Ruth, sah ich sie. Ruth war mein Zuhause, die ruhende und<br />

beruhigende Kontinuität, <strong>Olivia</strong> verkörperte das Leben, das Lebendige. Ich<br />

hatte Lust an ihr, Lust, mich mit ihr zu befassen, mit den Gedanken an sie zu<br />

spielen, das war schon so von Anfang an. Dass wir uns suchten, unsere Nähe<br />

wollten, war auch nicht zu verleugnen. <strong>Olivia</strong> hatte schon Recht. Jeder und<br />

jedem Fremden hätte ich gesagt: „Ihr seid ver<strong>liebt</strong>.“, aber für mich war das ein<br />

Gedanke, der nicht aufkommen konnte, weil er es nicht durfte. Und <strong>Olivia</strong>, die<br />

nichts an Männern finden kann, nicht weiß, wie es möglich sein soll, dass sie<br />

Liebe zu einem anderen Mann als Leo empfinden kann, bemerkt es, stellt es<br />

fest und benennt es. <strong>Die</strong> Welt war nicht mehr in Ordnung für mich. Ich fuhr<br />

nach Hause, weil ich sowieso an nichts anderes denken konnte.<br />

Schöne <strong>Frau</strong><br />

Unsere Begrüßung gestaltete sich heute besonders intensiv. Ruth schmunzelte<br />

<strong>nur</strong> und fragte, ob ich möchte, dass wir ins Bett gingen. Nein, auf keinen Fall.<br />

Bestimmt suchte ich in ihrer Zuneigung Schutz vor möglichen Verwirrungen.<br />

Ich hätte noch zu arbeiten, erklärte ich, wollte allein sein, nachdenken über<br />

das, was mich aufgewühlt hatte. Warum eigentlich? Wenn ich auch erstaunt<br />

und erschrocken war, <strong>Olivia</strong> hatte ja nicht gesagt, dass sie mit mir ins Bett wolle,<br />

sie hatte <strong>nur</strong> erklärt, dass sie es sich vorstellen könne, und das sollte ich<br />

schnell wieder vergessen. Trotzdem konnte ich nicht schlafen. <strong>Olivia</strong>, die sich<br />

nicht vorstellen konnte einen Mann zu lieben, <strong>liebt</strong>e mich. Gerade hat sie mir<br />

noch die Diskrepanz zwischen Liebe und Sexualtrieb aufgezeigt, und erklärt<br />

mir anschließend, dass sie es sich gut vorstellen könne, aus Liebe mit mir ins<br />

Bett zu gehen. Ich mochte sie schon sehr, wie sehr, das hatte ich mir verboten,<br />

zu empfingen und bewusst werden zu lassen. Und als <strong>Frau</strong>, die ich attraktiv<br />

fand und begehren könnte? Wie sollte ich dazu etwas wissen? Derartige Empfindungen<br />

hätten im Haus meiner Gefühle striktes Zutrittsverbot gehabt. Ich<br />

wusste auch jetzt nichts dazu zu sagen. Ich hatte <strong>Olivia</strong> von Anfang an als sehr<br />

schöne <strong>Frau</strong> empfunden. Sie hatte ein markantes Gesicht, und wenn sie lachte,<br />

bezauberte es mich. Was man unter einen schönen <strong>Frau</strong> versteht, war sie sicher<br />

nicht. Ihrem Aussehen fehlte das Feminine, Ovale, Rundliche. Viel zu lang<br />

war ihr Gesicht. Sie hatte zwar keinen breiten Unterkiefer, aber statt rundlicher<br />

Bäckchen vorstehende Wangenknochen. Warum ich ihr Gesicht so gerne sah,<br />

musste an <strong>Olivia</strong> selbst liegen und bestimmt auch an dem, was es in mir ansprach.<br />

Ich dachte mir Geschichten aus, was wohl wäre, wenn. Ob Leo eifersüchtig<br />

würde, aber sie wollten es ja so, und <strong>Olivia</strong> hatte ja nichts gegen Leos<br />

Freundinnen gesagt. Ruth kam in meinen Gedankenspielen nicht vor, das hätte<br />

sie zur Qual gemacht, und es waren ja <strong>nur</strong> lustige Spielereien.<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 17 von 41


Rose of Berlin-Dahlem<br />

Angst, <strong>Olivia</strong> zu begegnen, hatte ich nicht, aber es verunsicherte mich. Offene,<br />

unbeschwerte Freude empfand ich, wenn ich <strong>Olivia</strong> traf oder treffen würde. Das<br />

Gefühl kam jetzt nicht auf. Beschwert war es durch das Geheimnis ihrer Empfindungen<br />

für mich. Ich traf <strong>Olivia</strong> nicht zufällig. Was sollte ich tun? Zu ihr gehen,<br />

auf eine Reaktion von ihr warten, sie anrufen oder erst morgen anrufen?<br />

Zu Mittag hatten wir für heute nichts ausgemacht, da würden wir sowieso telefonieren.<br />

Tatsächlich konnte ich es gar nicht erwarten, ihre Stimme, ihre Worte<br />

zu hören. „<strong>Olivia</strong>, ich rufe wegen heute mittag an, wir haben da noch nichts<br />

geregelt.“ sprach ich sie an. Kurze Stille, dann hörte ich ihr schallendes Lachen.<br />

„Ja, das ist wahr, Henry. Möchtest du dich mit mir ein wenig über die<br />

Menüs von heute unterhalten? Es gibt da zum Dessert ein ganz vorzügliches<br />

Soufflé aus dem Schaum, der die Aphrodite geboren hat. Möchtest du, dass wir<br />

darüber sprechen? Henry, uns drängt doch etwas anderes als die Absprache<br />

des Mittagessens.“ erklärte <strong>Olivia</strong>. Um elf wollten wir uns bei mir im Büro treffen.<br />

Ich sprang auf, öffnete ihr die Tür, nie tat ich das sonst. Bei der Begrüßungsumarmung<br />

bekam ich einen Kuss auf die Wange. „Das können wir doch<br />

wohl machen, wenn wir uns treffen. Krethi und Plethi tun das.“ argumentierte<br />

sie. „Da werden wir es ihnen am besten nachmachen.“ meinte ich dazu. <strong>Olivia</strong><br />

setzte sich in den Sessel und schenkte mir beim Anschauen das Lächeln einer<br />

breit gezogenen Schnute. Als ob sie einen Streich gemacht oder gescherzt hätte.<br />

Vielleicht war es ja auch <strong>nur</strong> die Mimik, mit der sich wissende Blutsbrüder<br />

einen geheimen Gang begrüßen. So wird es gewesen sein. „Jetzt haben wir<br />

beide ein Geheimnis, das wir eigentlich gar nicht kennen dürften, aber nicht<br />

vergessen können. Was machen wir denn nun damit?“ sprach ich es an. „Es<br />

hat dich sehr beschäftigt?“ reagierte <strong>Olivia</strong> fragend. „Allerdings.“ antwortete<br />

ich. „Henry, was soll der vorwurfsvolle Unterton? Nur das Schönste, von wundervoller<br />

Liebe habe ich erzählt. Und außerdem habe ich doch nichts gemacht.<br />

Was habe ich denn getan? Habe ich etwa gesagt: „Henry, der könnte jetzt gut<br />

mein Freund werden.“? Du warst einfach da im Sender und in mir, bist mir geschenkt<br />

worden. Wollte ich mich etwa verlieben? Ich wusste ja nicht mal was<br />

das war, und wie ich es hätte anstellen sollen. Ich habe <strong>nur</strong> festgestellt, was<br />

ist. <strong>Die</strong> Liebe war einfach da, der unzähmbare Vogel hatte sich einfach niedergelassen,<br />

mich nicht gefragt, ich hatte ihn nicht gerufen.“ erklärte <strong>Olivia</strong>. „Dass<br />

ich erstaunt und verwundert bin, und dass ich nichts verstehe, wirst du mir<br />

doch zugestehen.“ reagierte ich. <strong>Olivia</strong> blickte mich an, als ob sie Mitleid mit<br />

mir hätte. „Ich habe das schon so gesehen und auch empfunden, aber nicht<br />

weil die christliche Moralvorstellung den Körper in Satans Klauen wähnte. Das<br />

kommt nicht von der Religion allein. Schon Platon wusste, dass der Körper das<br />

Gefängnis der Seele sei, und ich wusste es mit vierzehn. Henry, ist es sonst<br />

auch nicht so weit her mit deiner Bildung?“ fragte <strong>Olivia</strong> rhetorisch und ließ uns<br />

lachen. „Viele Menschen halten ihren Körper für minderwertig oder hassen ihn<br />

sogar. <strong>Die</strong> absolut gesetzte Oberfläche verlangt makellose Schönheit. Du<br />

kannst dich diesem Anspruch bewusst oder unbewusst entziehen. Deinen Körper<br />

zu lieben und ihn als vollwertig in dich zu integrieren, fällt dir dann schwer.<br />

Er bedeutet dir nicht viel. Da hat sich bei mir in Südamerika schon etwas geändert.<br />

So habe ich es gar nicht wahrgenommen. Bei den Campesinos, in Bolivien<br />

habe ich gar keine erlebt, da war ich <strong>nur</strong> zweimal in La Paz, aber jedes latein-<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 18 von 41


amerikanische Land hat seine Regionen, in denen Hanna Cash gut ihr Zuhause<br />

haben könnte, bei den Campesinos regiert nicht die Oberfläche, es gibt <strong>nur</strong> die<br />

eine Wahrheit und nicht die Show. Extensiven Narzissmus und Anti-Aging Welten<br />

kennt niemand. Dein Körper das bist du und du bist auch dein Körper. Das<br />

wahre, wirkliche, direkte Leben der einfachen Menschen hat mich nicht <strong>nur</strong> fasziniert,<br />

sondern ich habe gespürt, dass ich keine andere Wahl habe, als mein<br />

Leben auch so zu gestalten. Ich denke schon, dass es mich in meinem Empfinden<br />

und emotionalen Wollen zu einem anderen Menschen gemacht hat, als ich<br />

vorher war.“ erläuterte <strong>Olivia</strong>. „Aber mit der Liebe? Zwei Sätze bevor du mir<br />

verdeutlicht hast, dass wir ver<strong>liebt</strong> sind, konnte ich von dir hören, warum du<br />

keinen Liebsten brauchst.“ wand ich ein. „<strong>Die</strong> Wörter von der normalen <strong>Frau</strong>,<br />

die Lust auf Männer hat, sind doch allenfalls lustiger Schwachsinn. Wir lieben<br />

uns nicht, weil ich Lust auf ein Mann hatte. So ein Blödsinn. Es sind auch keine<br />

erotischen Gefühle, die mich deine Nähe suchen lassen. Bestimmt wird auch<br />

meine Libido beteiligt sein, wenn ich dich anfassen, fühlen und streicheln<br />

möchte, aber es wird die andere Persönlichkeit der <strong>Olivia</strong> sein, die überhaupt<br />

erst in der Lage ist und den Wunsch hat, dich voll zu erfassen, deren Empfinden<br />

nicht mehr von der Oberflächenwelt geprägt ist. Ich denke, dass ich erst<br />

dadurch in der Lage bin, derartige Zuneigung und Liebe zu empfinden.“ erklärte<br />

<strong>Olivia</strong>. „<strong>Die</strong> Auslandskorrespondentin könnte unsere Liebe gar nicht wahrnehmen,<br />

<strong>nur</strong> die Campesina ist dazu in der Lage, meinst du, wenn ich dich<br />

richtig verstehe?“ wollte ich mich vergewissern. <strong>Olivia</strong> lachte stumm. „Ja, vielleicht<br />

kannst du es so sagen. Es ist anders, nicht <strong>nur</strong> eine Beziehung, die von<br />

tiefem, gegenseitigem Verstehen geprägt ist, ich will dich, ich will deine Nähe<br />

spüren, nicht <strong>nur</strong> liebevoll an dich denken, ich möchte dich erleben. Ich möchte<br />

dich nicht <strong>nur</strong> sehen und hören, alles von mir möchte dich erfassen, mit allen<br />

Sinnen möchte ich dich wahrnehmen, nicht <strong>nur</strong> taktil, ich möchte dich auch<br />

schmecken und riechen. Na ja, dein Odeur hat mich ja schon manchmal angeweht.<br />

Nein, es gefällt mir.“ sezierte <strong>Olivia</strong> ihren Liebesbedarf. „Dich kann ich ja<br />

gar nicht riechen, <strong>nur</strong> das Parfüm. Deine Parfüms riechen gut, sie gefallen mir,<br />

aber in der Liebe willst du den anderen doch direkt persönlich riechen.“ bemerkte<br />

ich. <strong>Olivia</strong> blickte schelmisch, stand auf und kam zu mir. Sie stellte sich<br />

vor mich mit dem Rücken zum Schreibtisch. „Mit den Worten: „Das Deo ist mit<br />

Sicherheit schon verschwunden.“ hob sie den rechten Arm über den Kopf und<br />

zog den Pullover an der rechten Seite hoch. Ich musste schrecklich lachen,<br />

aber ich sollte an ihrer Achsel riechen. Den Geruch nahm ich kaum wahr, spürte<br />

aber, dass ich viel lieber meine Finger benutzt hätte, um <strong>Olivia</strong>s Haut zu berühren,<br />

als meine Nase sie riechen zu lassen. „Du bist bekloppt und stinkst<br />

entsetzlich.“ verkündete ich und lachte. Sie hatte sich leicht auf die Schreibtischkante<br />

gesetzt und ich stand vor ihr. „<strong>Olivia</strong>, du hast erklärt, wie es zwischen<br />

uns steht, und wozu du dich in der Lage fühltest. Das wird es aber nicht<br />

geben, weil da mein Bewusstsein absolut dominiert, und ich es nicht will. Der<br />

Schweißgeruch kann vielleicht bedeutsam sein, wenn du zusammen im Bett<br />

liegst. Für uns ist es aber völlig irrelevant, weil es dazu nie kommen wird.“<br />

kommentierte ich die Situation. „Henry!“ <strong>Olivia</strong>s Anrede klang leicht wehmütig,<br />

fast ein wenig traurig, „Ich habe dir gesagt, dass ich dich liebe. Du weißt dazu<br />

<strong>nur</strong>, dass du erstaunt, verwundert bist und nichts verstehst. Sind das deine<br />

einzigen echten Gefühle und Empfindungen dazu. Etwas anderes bekomme ich<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 19 von 41


nicht zu hören?“ fragte <strong>Olivia</strong>. Ob ich einen Gefühlsstau hatte, den ich gar nicht<br />

verbal auflösen konnte. Ich stand direkt vor <strong>Olivia</strong>, nahm ihren Kopf in beide<br />

Hände und küsste sie. Mit unseren Armen umschlangen wir den Rücken des<br />

anderen und beenden würden wir den Kuss wahrscheinlich nie. Einmal mussten<br />

sich unsere Augen treffen, aber dann schlossen wir sie wieder. Mit einer Mimik,<br />

die gleichzeitig erstauntes Fragen und glückliches Erleben verkörperte, lösten<br />

wir uns, die Wange des anderen streichelnd, wieder. Während <strong>Olivia</strong> noch tief<br />

atmete, erklärte ich leicht scherzend: „War ein Versuch, ist einfach so<br />

passiert.“ „Wir werden es mit zu unseren vergessenen Geheimnissen nehmen,<br />

ja?“ schlug <strong>Olivia</strong> vor. „Aber Acht geben sollten wir schon, dass die Sammlung<br />

nicht zu groß wird.“ fügte ich warnend an. Nebeneinander an die Kante meines<br />

Schreibtisches gestützt standen wir, innerlich lagen wir uns gewiss liebend in<br />

den Armen. Dass ich <strong>Olivia</strong> <strong>liebt</strong>e, hatte ich mir eingestehen müssen, jetzt<br />

konnte ich das Gefühl sie zu begehren, vor mir selbst nicht mehr verbergen.<br />

„Unsere Liebe erfahren wir am hellen Tag bei Sonnenlicht, aber ihre Blume<br />

blüht <strong>nur</strong> im Geheimen, im Geheimnis der Nacht.“ beschrieb <strong>Olivia</strong>. „Genauso<br />

verhält es sich.“ bestätigte ich und fügte hinzu,<br />

„She only comes out when the moon is on the run<br />

And all the stars are gleaming<br />

But she is soft and sweet and dreaming.<br />

She is the Rose of Berlin-Dahlem.“<br />

<strong>Olivia</strong> lachte. „Na, ob das so ganz zutrifft? Aber du hast Recht, Liebe ist auch<br />

immer 'soft and sweet and dreaming'. Lass uns jetzt etwas essen gehen. Den<br />

Nachtisch, das soft and sweete Aphrodite Soufflé haben wir bestimmt hier<br />

schon zu uns genommen, nicht wahr?“ schlug <strong>Olivia</strong> vor.<br />

Tanzen gehen<br />

Im Sender merkte man schon, das wir mehr als befreundete Kollegen waren.<br />

<strong>Olivia</strong> antwortet auf Fragen immer: „Ich weiß es gar nicht. Wir mögen uns<br />

schon sehr gut leiden.“. Wir stellten fest, dass das Bett entscheidendes Kriterium<br />

in der Bewertung des Oberflächendenkens war. Solange wir sagen konnten,<br />

dass wir nicht miteinander schliefen, interessierte unser Verhältnis nicht weiter.<br />

Wir trafen uns jetzt, so oft es ging, und wenn wir uns begegneten, begrüßten<br />

sich nicht zwei bekannte Franzosen mit verhuschten Küsschen. <strong>Die</strong> Berührung<br />

der Wangen mit den Lippen war Surrogat für alles, was uns sonst an Zärtlichkeit<br />

verwehrt war. „Mir gefällt es sehr, wenn wir uns gegenseitig anblicken. Unsere<br />

Augen kennen auch eine andere Sprache mit Namen und Bezeichnungen,<br />

die wir sonst nicht verbalisieren können. Sie können auch Gefühle vermitteln.<br />

Sie sprechen nicht zu deinen Ohren, sondern zu deinem Herzen. Da wird sie<br />

wirklich sein, die Liebe. Man hat sie nicht <strong>nur</strong> vergessen, als man erkannt hat,<br />

das alles Wichtige im Gehirn geschieht. Wenn ich dich erwarte, dann pocht<br />

mein Herz und mir dröhnt nicht der Schädel.“ erklärte <strong>Olivia</strong> zu meiner Erheiterung.<br />

„So wird es sein. Ein Sonnengeflecht aus Liebesnerven wird das Herz<br />

umschließen, ein Plexus solaris amoralis.“ vermutete ich. Jetzt lachte <strong>Olivia</strong><br />

auch. „Du hast ja Recht. Das Herz ist auch mit seiner Liebe im Kopf, aber von<br />

dort kann es sich auf alles auswirken. Ich spüre deinen Blick nicht wie Hanna<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 20 von 41


Cash bis in die Zehen, aber wenn du mich zur Begrüßung nicht so herb oder<br />

beiläufig küsst, sondern ich dein zärtliches Empfinden wahrnehme, dann spüre<br />

ich es überall, im ganzen Körper. Ob bis in die Zehen, weiß ich nicht, aber sie<br />

werden doch wohl nicht ausgeschlossen.“ erklärte <strong>Olivia</strong>. „Das ist ja schön,<br />

Kaffeetrinken und essen und immer dabei gemeinsam reden. Ich mag es. Wir<br />

besuchen uns ja auch gegenseitig bei Veranstaltungen, aber können wir nicht<br />

auch mal gemeinsam etwas machen?“ fragte <strong>Olivia</strong>. „Was verstehst du<br />

darunter? Das tun wir doch.“ erkundigte ich mich. „Ja, schon, aber immer mit<br />

anderen. Ich meine, <strong>nur</strong> wir beide für uns allein.“ ging <strong>Olivia</strong> darauf ein. „Und<br />

was machen wir beide für uns allein?“ wollte ich wissen. „Du tanzt doch gern,<br />

wir könnten ja gemeinsam tanzen gehen.“ meinte <strong>Olivia</strong>. Als kurzen Flash sah<br />

ich das Bild, wie wir uns aneinander klebend über die Tanzfläche schoben. „Ja,<br />

schön, oder sollten wir nicht vielleicht gleich ins Bett gehen? Da sind wir beide<br />

auch allein unter uns.“ kommentierte ich ironisch. „Henry, du bist fies. Du<br />

verstehst genau, was ich meine. Ich möchte etwas Spezielles für uns, und mich<br />

nicht <strong>nur</strong> mit dir in Teilen der Alltagsroutine treffen.“ erklärte <strong>Olivia</strong>.<br />

Mach nicht so ein Geschrei<br />

Es war Sommer geworden, und wir wollten gemeinsam spazieren gehen. Auch<br />

wenn wir uns beim Gehen an Hüfte, beziehungsweise Taille umfangen hielten,<br />

mussten wir manchmal stehenbleiben und uns umarmen. Küssen war dabei<br />

selbstverständlich tabu. „Kannst du nicht mal woanders hin fassen?“ sagte <strong>Olivia</strong><br />

plötzlich. Meine Hände hatte ich auf ihren oberen Rückenbereich gelegt,<br />

wenn wir uns umarmten. <strong>Die</strong> hauchzarten Sommerkleidchen stellten sowieso<br />

eine für <strong>Olivia</strong> sehr untypische Kleidung dar. Ich kann mir nicht denken, dass<br />

sie sich zum Spazierengehen extra umzog, aber sonst trug sie auch im Hochsommer<br />

Jeans mit unterschiedlichen Tops. „<strong>Olivia</strong>, was willst du? Wo soll ich dir<br />

hin fassen? Soll ich dir gleich unter den Rock greifen?“ reagierte ich leicht entsetzt.<br />

Verärgerte Augen und ein strenger Mund zeigte die Mimik meiner ge<strong>liebt</strong>en<br />

Campesina. „Du bist ein Idiot, Henry.“ sagte sie, „Verdirbst alles durch deine<br />

dummen Ängste. Ich glaube, für dich bedeutet unsere Liebe keine Freude,<br />

sie macht dir Angst. Das passt nicht, mein Lieber. So mag ich dich nicht. Ich<br />

liebe den Henry, der sich auf mich freut, der glücklich ist, wenn er mit mir zusammen<br />

sein kann. Den Henry, der es zwangsläufig akzeptiert, dass wir ver<strong>liebt</strong><br />

sind, möchte ich lieber nicht kennen. Denkst du es so: „Wie einfach wäre<br />

alles, wenn es unsere Liebe nicht gäbe.“ Fühlst du dich dadurch belastet? Bist<br />

du traurig darüber?“ wollte <strong>Olivia</strong> wissen. Ich blies die Luft hörbar durch meine<br />

Lippen. „<strong>Olivia</strong>, so einfach ist es nicht. Keinesfalls bin ich traurig darüber, dass<br />

wir uns lieben. Was mich quält, sind Probleme. Als du mir dein Geheimnis erzählt<br />

hast, war es natürlich für mich voller Rätsel, aber ich habe schlicht gedacht:<br />

„Wie wundervoll ist das.“. Nur hast du ja kein Bild gemalt, das so fertig<br />

war. Was du erzählt hast, lebt, verändert sich und will sich weiter entwickeln.<br />

Du hast gesagt, was du dir vorstellen könntest. Das war ja fern jeglicher Realisierung.<br />

Nur wenn wir jetzt etwas tun, das unser emotionales Verlangen danach<br />

fördert, wir es unbedingt wollen und es die Entscheidung unseres Bewusstseins<br />

verdrängt, dann habe ich Angst davor.“ erläuterte ich. „Nicht meine<br />

dunklen Augen, sondern wenn du der Rose of Berlin-Dahlem an den Hintern<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 21 von 41


fasst, dann startet es ein Feuer in dir und du verlierst die Kontrolle. So ist es,<br />

nicht wahr? Und davor hast du Angst.“ veralberte mich <strong>Olivia</strong>. „Sei doch nicht<br />

so verklemmt, sag einfach: „<strong>Olivia</strong>, wenn ich dir den Rücken streichele, dann<br />

erregt mich das zu sehr.“ Dann ist es gut, dann lassen wir das. Aber mach doch<br />

nicht so ein Geschrei.“ Ich stellte es mir vor und platzte los. <strong>Olivia</strong> musste<br />

selbst lachen. „So geht das also. So machen wir das, ja? <strong>Olivia</strong>, du erregst<br />

mich immer zu sehr, da müssen wir alles lassen. Wenn ich dich <strong>nur</strong> anschaue,<br />

erregt es mich schon. Du hast selbst gesagt, dass du mich willst, mich erleben,<br />

mich voll erfassen willst. Das Verlangen danach spüre ich kein bisschen<br />

weniger als du. Wir wollen es beide, sagen uns aber, dass wir es nicht dürfen.<br />

Ob man das nicht gegebenenfalls leicht vergessen kann, wenn das Begehren<br />

zu groß wird?“ vermutete ich. „Ich habe sonst Ver<strong>liebt</strong>heit und den ganzen<br />

Zirkus für verrückte Teenyspielereien gehalten. So einen albernen Unfug<br />

brauchte ich nicht und würde so einen Zirkus nicht abziehen. Jetzt kommt es<br />

mir eher wie eine Obsession vor, die mich befallen hat. <strong>Die</strong> mich nicht loslässt<br />

und auf die ich keinen Einfluss habe, mit Geturtel oder Spielerei hat das nichts<br />

zu tun, es ist eher wie eine Sucht, eine Begierde, die immer mehr will.“<br />

erklärte <strong>Olivia</strong>. „Mich verschlingen?“ erkundigte ich mich mit einem Lächeln.<br />

<strong>Die</strong> Antwort war, dass <strong>Olivia</strong> ihre Arme um meinen Hals schlang und mich<br />

küsste. Bestimmt hatte sie den ersten und diesen Kuss auch bis in die Zehen<br />

gespürt. Ich brauchte mir nicht den Grind zu kratzen. Weil ich keinen hatte,<br />

strich <strong>Olivia</strong> mir durchs Haar, als wir uns lösten. „Nicht die Liebe ist<br />

Kinderkram, wir verhalten uns kindisch. Wir lieben uns, aber keiner darf es<br />

wissen. Alles muss ganz geheim bleiben. Zuerst habe ich mich ja gar nicht<br />

getraut, es <strong>nur</strong> dir erzählt, aber jetzt ist es doch albern. Wir lieben uns, das ist<br />

die Realität, und da wird und soll Geheimkram nichts dran ändern. Wir lieben<br />

uns, dürfen uns aber nicht küssen, weil es zu gefährlich ist. Absolut verrückt<br />

sind wir. Spielen, als ob das, was ist, nicht wäre. Verheimlichen wir es, weil wir<br />

vielleicht irgendwann jemanden damit überraschen wollen? Wir machen uns<br />

<strong>nur</strong> vor uns selbst lächerlich. Warum dürfen es andere nicht wissen, dass wir<br />

uns lieben, wenn es doch so ist?“ stellte <strong>Olivia</strong> es dar. „Na klar, man erzählt es<br />

gern, dass man ver<strong>liebt</strong> ist. Man freut sich darauf, es seinen Freunden mitteilen<br />

zu können.“ „Ja, als erster Ruth.“ unterbrach mich <strong>Olivia</strong> und lachte.<br />

„Natürlich, werde ich es ihr sagen. Meine Qual mit Ruth hat schon eine<br />

Geschichte. Zuerst hielt ich es für unser nettes kleines Geheimnis, aber<br />

mittlerweile komme ich mir unredlich vor, wenn ich es ihr nicht sage.“<br />

bemerkte ich. „Und du, was wird Leo sagen? Hast du ihm auch noch nichts<br />

erzählt?“ Ein vorwurfsvolles „Henry!“ bekam ich zu hören „Es war doch unser<br />

Geheimnis. Leo wird nicht viel darauf geben. Vielleicht denkt er, dass es<br />

bestimmt bald vorbei sein wird, sicher werde ich sein Mitleid erfahren, dass ich<br />

mich von der banalen Lust, der schmutzigen Begierde habe einfangen lassen.<br />

Er wird sich nicht vorstellen können, dass ich den Unfug nicht bald wieder lasse<br />

und einen klaren Überblick bekomme.“ vermutete <strong>Olivia</strong>. „Aber Ruth, wie<br />

schätz du das denn ein?“ „Überhaupt nicht. Ich werde ihr sagen wie es ist,<br />

denn dadurch dass ich es verheimliche, ist es für sie ja nicht anders. Höchstens<br />

schlimmer, weil ich mir anmaße, entscheiden zu können, was für sie besser ist,<br />

zu wissen oder nicht.“ so sah ich es. Jetzt umarmte <strong>Olivia</strong> mich <strong>nur</strong> und<br />

drückte mich ganz fest, Kraft und Trost vermittelte sie mir.<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 22 von 41


Henry ver<strong>liebt</strong><br />

„Ich muss immer lachen, wenn ich daran denke. 'Henry ver<strong>liebt</strong>'.“ äußerte sich<br />

eine Kollegin beim Mittagessen. „Dass ihr irgendwie zueinander passt, kann ich<br />

mir schon denken, aber ver<strong>liebt</strong>, das ist für mich immer etwas Buntes, Süßes<br />

mit Herzchen und Geschenken zum Valentinstag. Ich sah eure Beziehung sehr<br />

nüchtern, vertraulich und verständnisvoll. Für's Verlieben bist du doch gar kein<br />

Mensch.“ „Ja, und <strong>Olivia</strong> doch erst recht nicht.“ bemerkte eine andere Kollegin,<br />

„<strong>Die</strong> wirkt eher wie eine gestrenge Domina.“ „Das ist doch Quatsch.“ meinte<br />

die erste Kollegin, aber so etwas vom Stil einer kosmopolitische Lady hat sie<br />

schon an sich.“ Ich musste lachen und sah die Campesina. „Aber überheblich,<br />

arrogant ist sie doch bestimmt nicht. So einfühlsam und mitempfindent wie sie<br />

bei ihren Interviews ist. Das ist sie zu dir bestimmt auch, Henry, nicht wahr?“<br />

Ich musste immer lachen und erklärte: „Nein, sie ist ganz anders. Carola,<br />

wann warst du denn ver<strong>liebt</strong>, mit vierzehn, oder ist das noch länger her?“ erkundigte<br />

ich mich bei der Kollegin. „Wieso?“ wollte sie <strong>nur</strong> erstaunt wissen.<br />

„Na, Liebe ist doch anders als das romantizistische Gesäusel und Getingel.“<br />

antwortete ich. „Und wie?“ hakte sie nach. „Wild und verwegen.“ erklärte ich<br />

unter Lachen, „Aber, nein, die Passion ist doch das Entscheidende.“ „Das<br />

stimmt.“ bestätigte mich die andere Kollegin, „<strong>Die</strong> Leidenschaft kann in jedem<br />

glühen, das siehst du einem Menschen doch überhaupt nicht an.“ Carola wollte<br />

es anscheinend aber doch sehen. Sie starrte mich an und grinste. „Just a hunk<br />

of burning love?“ fragte sie Elvis zitierend und lachte. „Carola, du bist entsetzlich.<br />

Es ist doch wundervoll, wenn <strong>Olivia</strong> und Henry sich lieben. Lass deine Witze,<br />

sonst könnte man ja meinen, du wärst eifersüchtig.“ tadelte die Kollegin.<br />

„Ja, ich mag Henry auch gut leiden, aber mich in einen Kollegenn verlieben,<br />

das kann ich mir nicht vorstellen.“ reagierte sie. Seitdem wir es gesagt hatten,<br />

wurde unsere Liebe von allen permanent begutachtet und analysiert. Ruth war<br />

die einzige, die nichts davon hören wollte. In einer sehr vertraulichen Atmosphäre<br />

im Bett meinte ich, dass sich an unserer Liebe doch nichts verändert<br />

habe. „Oder ist dir etwas aufgefallen. Aber ...“ „<strong>Olivia</strong>“ unterbrach mich Ruth<br />

sofort. „Was ist? Woher weißt du das?“ reagierte ich fast erschrocken. „Na, hör<br />

mal, my honey pot, dass du mich für blind und taub und gefühllos hältst, finde<br />

ich nicht so berauschend. Ich mag <strong>Olivia</strong> sehr, aber nach den ersten Besuchen<br />

war doch deutlich, dass sie hauptsächlich deinetwegen kam. Ich weiß gar<br />

nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich mag <strong>Olivia</strong>, ich mag dich, eigentlich ist<br />

es doch sehr schön, dass ihr beide euch <strong>liebt</strong>. Das Gefühl, mir würde etwas<br />

weggenommen, will in mir gar nicht aufkommen.“ erklärte Ruth. Ich wollte Näheres<br />

erläutern, aber Ruth stoppte mich: „Nicht jetzt, jetzt wollten wir doch an<br />

uns denken, oder?“<br />

Weiterentwicklung der Parkbank<br />

Es gab viel zu wenig Bänke im Park, denn wir saßen jetzt mehr als wir liefen.<br />

<strong>Die</strong> Zeit für Spaziergänge war ja immer knapp bemessen. Für unseren Umgang<br />

mit dem Körper des anderen, unser liebendes Umarmen, Küssen und Strei-<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 23 von 41


cheln war sie viel zu kurz und die Bänke selbst sehr unbequem. „Warum besuchst<br />

du mich nicht mal? Ich bin so oft bei euch, und du kommst <strong>nur</strong> zu mir,<br />

um mich abzuholen.“ beschwerte sich <strong>Olivia</strong>. Ich hielt an mich und sinnierte.<br />

Tut man das nicht? Ist es vulgär zu sagen, dass man mit dem anderen ins Bett<br />

möchte, oder dachte <strong>Olivia</strong> wirklich, dass es dazu nicht kommen würde? „<strong>Olivia</strong>,<br />

wenn ich dich besuche, wird uns das Leben noch viel direkter erfassen als<br />

jetzt. Nach einigen Liebeleien wird es uns direkt ins Bett befördern. Möchtest<br />

du das gern?“ erkundigte ich mich. <strong>Olivia</strong> schaute mich tatsächlich verwundert<br />

und grinsend an. „<strong>Die</strong> Bauersfrau ist wirklich ein wenig naiv, glaube ich. Auf<br />

der Couch ist es gemütlicher als auf der Parkbank und wir würden auch ein wenig<br />

tanzen, mehr hatte ich mir dabei nicht gedacht. Ich habe ja auch überhaupt<br />

keine Erfahrung, alles geschieht intuitiv und zum ersten mal. Trotzdem<br />

ist es mit dir faszinierend. Du kennst ja meine Devise: „Gut sein, auch wenn<br />

man's gar nicht kann.“ da muss es doch herrlich für uns werden. Findest du<br />

nicht auch?“ erbat <strong>Olivia</strong> meine Meinung. „Ich meine eher, dass dein Motto in<br />

der Liebe völlig fehl am Platz ist. Wir sind automatisch gut in der Liebe, wenn<br />

wir unserer Lust und unserem Verlangen folgen.“ lautete meine Meinung. „Aber<br />

das tun wir doch gar nicht.“ erwiderte <strong>Olivia</strong>, „Dann wünschte ich mir, dass du<br />

jeden Abend bei mir wärst, wir zärtlich zueinander sein könnten und gemeinsam<br />

ins Bett gingen. Du hättest dazu keine Lust?“ Es zerriss meine Gedanken.<br />

„Natürlich, sofort.“ riefen meine Gefühle, aber in meine geordnete Welt passte<br />

es nicht. Da gehörte ich zu Ruth ins Bett. Ein Gefühl, als ob ich es Ruth würde<br />

beichten müssen, wenn ich mit <strong>Olivia</strong> schliefe. So ein Unsinn. Dass <strong>Olivia</strong> auch<br />

mein Herz und mein Verlangen gehörte, war doch das Entscheidende und nicht<br />

der blöde Sex. Trotzdem konnte ich es nicht gelöst so empfinden. Ich hatte<br />

nichts gesagt, <strong>nur</strong> gegrübelt. „Was ist mit dir, meu amante? Spürst du das Verlangen<br />

nicht mehr, von dem du gesprochen hast?“ wollte <strong>Olivia</strong> wissen. Ich<br />

nickte <strong>nur</strong> und suchte ihre Lippen. Wollte in der Leidenschaft des Kusses wahrscheinlich<br />

meine Zweifel und Bedenken überwinden. „Was ist los, Henry? Sag<br />

es mit Worten. Lass es mich auch wissen, was dich bewegt.“ forderte mich <strong>Olivia</strong><br />

auf, als ich unser Küssen gar nicht beenden wollte. „Ich bin nicht so weit<br />

wie du, <strong>Olivia</strong>. Ich bin noch sehr viel stärker dem Oberflächenfetischismus verhaftet.<br />

Ich habe immer so gelebt, nichts anderes erfahren. Habe mich in meiner<br />

eigenen Unbehaustheit zurecht gemogelt. Du gibst mir mehr als deine Liebe,<br />

du zeigst mir auch Wege, anders zu leben. Mein originäres, wirkliches,<br />

menschliches Empfinden will dich. "Ich bin din und du bist min, verloren ist das<br />

Schlüzzelin." zu unserem gemeineinsamen Haus von Herz und Körper. So wäre<br />

es richtig, aber bei mir tauchen immer noch diese vielen Bilder auf, die es stören<br />

wollen.“ versuchte ich mich verständlich zu machen. <strong>Olivia</strong>s Mimik brachte<br />

aber eher zum Ausdruck, als ob ich wie die Pythia persönlich gesprochen hätte,<br />

<strong>nur</strong> war kein Priester da, der meine Worte für die konkrete Praxis entschlüsseln<br />

konnte. Sie blickte mir lächelnd in die Augen. und mit ihrem Herzen würde sie<br />

mich schon verstehen. Ich solle doch zu ihr kommen, dann würden wir ja sehen,<br />

wie es sich entwickele. „Oder möchtest du es gern zelebrieren, wenn wir<br />

gemeinsam ins Bett gehen?“ fragte <strong>Olivia</strong>. „Keinesfalls, es handelt sich doch<br />

um eine natürliche Ausgestaltung unserer Liebe, eine Fortführung und Weiterentwicklung<br />

der Parkbank. Wir folgen doch <strong>nur</strong> unserem Verlangen und wollen<br />

kein Festival veranstalten.“ meinte ich. Das fand <strong>Olivia</strong>s Zustimmung, so soll-<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 24 von 41


ten wir es sehen. „Anlass für ein Festival gibt es vielleicht danach. Ich weiß es<br />

ja nicht.“ fügte <strong>Olivia</strong> noch an.<br />

Mach du doch mal was<br />

Als <strong>Olivia</strong> mir die Tür öffnete, war sie aber nicht wie auf der Parkbank gekleidet,<br />

sondern wie für's Konzert. Sie verstand sofort meine lachenden Gesichtszüge.<br />

„Du hast gesagt, dass du das kleine Schwarze sehr elegant fändest und<br />

ich sehr chic darin aussähe. Und wenn der Liebste kommt, will man doch<br />

schließlich gefallen, oder?“ erklärte sie und wir lachten. Gemeinsam wollten wir<br />

den Wein aussuchen. Der Alkoholgehalt war überall fein säuberlich in Prozentwerten<br />

verzeichnet, aber den Aphrodisierungsfaktor suchten wir auf den Etiketten<br />

vergebens. „Bei diesem portugiesischen Wein wird er vermutlich hoch<br />

sein.“ wusste <strong>Olivia</strong>, „Denn in der Gegend, aus der er kommt, haben die Leute<br />

sehr viele Kinder. Aber Kaffee wirkt doch auch aphrodisierend. Möchtest du<br />

einen Kaffee?“ <strong>Olivia</strong> hatte absolut Recht. Allein schon der Anblick des brasilianischen<br />

Services und hier vor allem der Formgestaltung bei der Kaffeekanne<br />

wirkte beinahe erotisch berauschend. „Hast du das schon mal gespürt wenn etwas<br />

aphrodisierend wirkt? Wie fühlt sich das denn an?“ wollte <strong>Olivia</strong> wissen.<br />

Wundervoll wirkte <strong>Olivia</strong>s Kleid in der Philarmonie aber unsere Stimmung und<br />

Laune heute Abend wäre dort äußerst unangebracht gewesen. „So ähnlich ging<br />

es weiter, wir hatten immer zu lachen über uns selbst und unser Liebesbemühen.<br />

Ins Bett würden wir heute bestimmt nicht kommen, dazu waren wir viel<br />

zu übermütig und albern. Es machte uns offensichtlich schon äußerst glücklich,<br />

dass wir überhaupt die Ausgangsposition dazu erreicht hatten. „Du hattest völlig<br />

Recht, meine Liebste. Es muss nicht zwangsläufig dazu kommen, dass wir<br />

miteinander ins Bett gehen, wenn ich dich besuche.“ erklärte ich dem Campesinagesicht,<br />

das meines fast mit der Nasenspitze berührte. „Aber das Kleid,<br />

wofür habe ich das denn extra angezogen?“ reagierte <strong>Olivia</strong> und ließ uns wieder<br />

lachen. „Henry, was auch immer ist und wird, begeistert bin ich auch jetzt<br />

schon. Ich wüsste nicht, dass ich so viel, so offen und frei gelacht hätte, wie<br />

heute Abend. Ist das nicht auch ein wundervolles Geschenk unserer Liebe?<br />

Aber wie's weiter geht, das weiß ich doch nicht; Henry. Ich habe doch keine<br />

Ahnung. Mach du doch mal was.“ forderte <strong>Olivia</strong> mich auf. Ob etwas wirklich<br />

lustig war, spielte kaum noch eine Rolle. <strong>Die</strong> Absicht des anderen, einen lachen<br />

zu sehen, reicht und bewirkte es auch. „Was soll ich denn machen?“ fragte ich<br />

verdutzt. „Na, was man mit <strong>Frau</strong>en so macht. Du müsstest das doch wissen.<br />

Zum Beispiel könntest du mir ja mal den Reisverschluss aufziehen.“ schlug sie<br />

vor. Das tat ich nicht, aber zu Lachen hatten wir wieder etwas. Beim nächsten<br />

Tanz schob <strong>Olivia</strong> mich ins Schlafzimmer und schubste mich aufs Bett. „Wir<br />

müssen einfach mal einen kühnen Schritt tun und etwas wagen.“ erklärte sie<br />

dazu. „Wir machen es einfach so, und wenn uns danach ist, ziehen wir nach<br />

und nach etwas aus.“ Mein Zwerchfell befand sich in ununterbrochener Anspannung.<br />

Auch wenn ich meinte, <strong>Olivia</strong> sehr genau und tief zu kennen, stellte<br />

ich fest, wie sehr ich in vielem noch der Oberfläche verhaftet war. So wie heute<br />

Abend hatte ich sie mir nicht vorstellen können. Es passte nicht zu ihrem Bild,<br />

das leider auch bei mir immer noch von Klischees durchsetzt war. Sich auf dem<br />

Bett langsam gegenseitig ausziehen erwies sich als äußerst mühsam und unbe-<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 25 von 41


quem. <strong>Olivia</strong> hatte <strong>nur</strong> das Kleid, einen BH und einen Slip an. Sie wartete aber,<br />

als ob sie von mir betrachtet werden wollte. Wir sahen uns grinsend an, umarmten<br />

uns und drückten unsere Körper aneinander. „Henry,“ eine Pause folgte,<br />

„wir sollten uns immer so umarmen, nicht wahr. Wenn ich dich zum Essen<br />

abhole, ziehen wir uns schnell aus und begrüßen uns dann. Deine Haut fühlt<br />

sich doch viel besser an als die Stoffe, mit denen sie behangen ist. Sollen wir<br />

mal so tanzen? Hast du Lust?“ fragte <strong>Olivia</strong>. Zum Liebesgestöhn „Je t'aime“<br />

von Jane Birkin und Serge Gainsbourg bewegten wir uns ein wenig übers<br />

Wohnraumparkett. „Wie kommst du an solche CDs?“ wollte ich von <strong>Olivia</strong> wissen.<br />

„Antiquarisch, mein Liebster. Ich muss ja alles neu erfahren, mir Vorstellungen<br />

entwickeln können, da ist ja nichts.“ erklärte <strong>Olivia</strong>. Ich war sehr unsicher.<br />

Mit uns im Bett das würde bestimmt nichts werden. Musste man dazu<br />

nicht ernster sein? Was ist denn schöner an der Liebe, als sich zu freuen und<br />

zu lachen. Allerdings, ich glaube schon, dass du beim Sex ernst und konzentriert<br />

sein musst, sonst funktioniert es nicht. So etwas Dämliches würde ich<br />

<strong>Olivia</strong> aber nicht sagen, dann lieber keinen Sex. Anfangs sah es auch so aus.<br />

<strong>Die</strong> körperlichen Zärtlichkeiten waren ja auch völlig neu für sie. Es gefiel ihr<br />

über alle Maßen. Zuerst begegnete mir immer ein erstaunt schelmisches Grinsen<br />

anschließend ihr wonnestrahlendes Antlitz. „Hast du gemerkt, dass eine<br />

Fee gerade deine Hände verwunschen hat? Sie müssen mich jetzt bis ans Lebensende<br />

streicheln und massieren.“ erklärte <strong>Olivia</strong> noch dann ging aber alles<br />

plötzlich sehr schnell. Das Wohlgefühl der Zärtlichkeiten schien auf <strong>einmal</strong> unbedeutend.<br />

'Ich will dich' hatte sich aus seinem Gefängnis befreit, und uns<br />

komplett genommen. <strong>Olivia</strong> sagte nichts mehr, schaute mich <strong>nur</strong> manchmal mit<br />

offenem, tief atmendem Mund und großen glücklich staunenden Augen an.<br />

Auch anschließend gab es keinerlei Kommentar, eine lange Pause. <strong>Olivia</strong>s Hände<br />

suchten mein Gesicht. „Es riecht so komisch. Bin ich das oder du?“ fragte<br />

sie. Ich erklärte <strong>Olivia</strong> den Spermageruch und fragte sie, ob wir uns reinigen<br />

sollten? „Nein,“ meinte sie schon wieder lachend, „wenn's dazugehört, aber gewöhnungsbedürftig<br />

ist es schon, du Stinker.“ Wieder eine lange Pause, in der<br />

niemand etwas sagte. Ob wir es so empfanden, dass Worte unser Erlebtes beschädigen<br />

würden, 'wenn du doch geschwiegen hättest' im Moment unser gefühltes<br />

Motto war?, aber <strong>Olivia</strong> sprach doch: „Meine inneren Kräfte möchten<br />

mit dir kämpfen, dich boxen, dich hauen, aber meine Außenmuskulatur untersagt<br />

jegliche Aktivität, sie ist einfach komplett breit.“ „Komm zu mir.“ sagte sie<br />

nach einiger Zeit und wälzte sich halb auf mich, „Morgen wird unser Mund<br />

sprechen wollen, jetzt möchte ich nicht reden, <strong>nur</strong> träumen.“ Ihren Kopf auf<br />

meiner Schulter befühlten ihre Fingerspitzen sanft meine Brust. So kam langsam<br />

der Schlaf über uns.<br />

<strong>Olivia</strong> schizophren<br />

Am Morgen schien <strong>Olivia</strong>s Mund auch nicht sprechen zu wollen. Im Bett<br />

schmusten wir <strong>nur</strong> und als wir aufgestanden waren, sagte sie auch nichts. Sie<br />

verhielt sich wieder so, wie ich sie nicht kannte und mir nicht vorstellen konnte.<br />

<strong>Olivia</strong> trug ständig eine Mine, als ob sie innerlich lachte und die Sonne<br />

sähe. Sie summte kleine Melodien und zwinkerte mir manchmal zu. „Du bist<br />

glücklich, <strong>Olivia</strong>, nicht wahr?“ erkundigte ich mich beim Frühstück, „Warum<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 26 von 41


sagst du nichts dazu?“ „Das Gefühl, das jetzt da ist, musst du jetzt genießen.<br />

Du kannst es nicht morgen erinnern. Darüber reden ist Porno, würde alles platt<br />

machen und zerstören. Bist du denn nicht auch ein bisschen glücklich?“ „Doch,<br />

schon, aber auf dich scheint es intensiver zu wirken. Ich lerne immer<br />

Wundervolleres von dir kennen. Meine Königin bist du.“ erklärte ich. Mit Leo<br />

war es doch nicht so völlig belanglos abgelaufen, wie <strong>Olivia</strong> es erhofft hatte. Er<br />

hielt unsere Liebe nicht für ein temporäres Phänomen, sondern warf <strong>Olivia</strong> vor,<br />

sie sei schizophren, lebe in verschiedenen Welten. „Leo, wir haben uns immer<br />

um Wahrheit bemüht, aber unsere Welt kennt viele Wahrheiten, Wahrheiten<br />

sind ein bei uns ein Oberflächengebilde. Damit haben wir gelebt, haben nicht<br />

gewusst, wie und wo das Eigentliche zu finden ist. Unsere Liebe berührt das<br />

nicht, aber ich muss jetzt in einer anderen Welt leben und dazu gehört Henry.<br />

Wie eine Metapher dafür sehe ich ihn.“ hatte <strong>Olivia</strong> erläutert. Dann hatten sie<br />

sich noch stundenlang über die Oberfläche als einzige Wahrheit und die<br />

Auswirkungen auf unser Leben unterhalten, wobei Henry gar keine Rolle mehr<br />

spielte.<br />

Ruth und <strong>Olivia</strong> regeln alles<br />

Ich musste es Ruth nicht beichten, aber ich hatte <strong>nur</strong> gesagt, es würde wohl<br />

etwas später werden und war die ganze Nacht fort geblieben. „Sonderbar,“<br />

sagte Ruth, „dass ihr beide euch <strong>liebt</strong>, macht auch mir ein warmes Herz, aber<br />

wenn du mit <strong>Olivia</strong> schläfst, habe ich doch ein Gefühl, als ob mir etwas genommen<br />

würde, etwas fehlte. Es tut weh und kommt mir vor, als ob ich so etwas<br />

wie eifersüchtig wäre. Ich kann nicht schlafen.“ Wir diskutierten länger darüber.<br />

„Henry, du bist ein guter Mensch, und du weiß, dass ich dich liebe. Daran<br />

hat sich nichts geändert, aber mein Empfinden ist nicht rational weg zu diskutieren.“<br />

erklärte Ruth. „Kannst du mit <strong>Olivia</strong> sprechen, möchtest du das?“ fragte<br />

ich sie. “Was hast du für Vorstellungen von mir? Wieso sollte ich nicht. Ich<br />

rede immer gern mit <strong>Olivia</strong>. Es ist sehr inspirierend. Sie ist eine kluge <strong>Frau</strong>,<br />

auch wenn sie es bevorzugt, sich mit dir zu unterhalten.“ antwortete Ruth. Am<br />

nächsten Samstag kam <strong>Olivia</strong> schon morgens zu uns. <strong>Die</strong> Campesina war dem<br />

vielfarbigen, schimmernden Bild einer Zauberfee gewichen, das bei mir nicht<br />

mehr durch die Äußerlichkeit ihres Phänotyps beeinflusst werden konnte. Ich<br />

hatte sie ja völlig anders erlebt, aber ob und was sich in meinem Verhalten <strong>Olivia</strong><br />

gegenüber dadurch ändern sollte, war mir ein Rätsel. Dass wir miteinander<br />

geschlafen hatten, darüber sprachen wir nicht. Ruth schien beim Mittagessen<br />

in <strong>Olivia</strong>s Augen etwas Erklärendes zu suchen. <strong>Olivia</strong> merkte es und blickte zurück.<br />

Offensichtlich klärte sich etwas bei den beiden, denn sie grinsten sich an,<br />

wenn sie sich in die Augen geblickt hatten. Ich musste den Tisch abräumen,<br />

weil die beiden sich mit einem Glas Wein zurückziehen wollten. Zwischendurch<br />

fragte Ruth mal, ob ich ihnen einen Kaffee bringen könne. Später einen weiteren,<br />

aber ein Ende schien ihr Gespräch nicht zu nehmen. Mit Ruth schien <strong>Olivia</strong><br />

wohl über alles reden zu können, da zerstörte es nichts und war kein Porno,<br />

aber ich wusste ja auch nicht, worüber sie sich unterhielten. Als es schon später<br />

wurde, wollte ich mich erkundigen. Da sprach <strong>Olivia</strong> über die einer literarischen<br />

Gesellschaft zugrunde liegenden Humanismen und die Solidarität unter<br />

den Lesenden. Offensichtlich gab es auch noch etwas anderes als mich, wor-<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 27 von 41


über sich die beiden unterhalten konnten. Was mit mir war, darüber sprach keiner<br />

von den beiden auch beim Abendessen nicht. Sicher war ich viel zu unbedeutend,<br />

als dass man mir etwas mitzuteilen hätte. „Wir haben uns hervorragend<br />

unterhalten, nicht wahr, Ruth? Wir sind uns sehr viel näher gekommen,<br />

wie Schwestern, Freundinnen wäre doch zu schwach, Ruth?“ meinte <strong>Olivia</strong> und<br />

die beiden lachten. Aber ich? Hatten sie denn vielleicht gar nicht über mich gesprochen?<br />

Ich musste wohl ein so kläglich fragendes Gesicht machen, dass ich<br />

eine Antwort bekam, ohne etwas gesagt zu haben. „Wir haben uns die Realität<br />

verdeutlicht und … -oder willst du es sagen Ruth?“ begann <strong>Olivia</strong>. Ruth schüttelte<br />

den Kopf. „wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es für Ruth einfacher<br />

ist, wenn sie es vorher weiß und sich darauf einstellen kann. <strong>Die</strong>nstags und<br />

Donnerstags wärst du dann bei mir.“ „Wie bitte?“ fuhr ich auf, „Ihr seid wohl<br />

verrückt. Organisiert an welchen Wochentagen ich welche <strong>Frau</strong> zu befriedigen<br />

habe. Ihr spinnt wohl. Warum hat mich denn keiner gefragt?“ „Ich weiß doch<br />

auch überhaupt nicht was wird. Für mich ist doch alles viel ungewisser als für<br />

dich. Wir haben <strong>einmal</strong> miteinander geschlafen, ich weiß gar nicht ob ich's<br />

nochmal will. Doch das weiß ich schon. Aber du hast mich doch nicht kennen,<br />

schätzen und lieben gelernt wegen meiner erotischen Reize. Hast du denn jeden<br />

Abend Sex mit Ruth, wenn du zu Hause bist? Das hat Ruth mir gar nicht<br />

gesagt.“ machte mir <strong>Olivia</strong> klar und Ruth schmunzelte. „Darum geht es doch<br />

nicht, Henry.“ „Trotzdem kann ich die Vorstellung nicht ertragen. Mit <strong>Frau</strong>en will<br />

ich überhaupt nichts mehr zu tun haben. Ich werde mir ein Testosteron Supressivum<br />

verschreiben lassen, dann sind alle <strong>Frau</strong>en für mich Neutrum.“ erklärte<br />

ich. „Ist er immer so ängstlich?“ erkundigte sich <strong>Olivia</strong> grinsend bei<br />

Ruth, die auch <strong>nur</strong> lächelte und nicht antwortete. „Ich glaube, wir denken im<br />

Moment in verschiedenen Welten, Henry. Wir haben uns so auf deinen Besuch<br />

gefreut, hatten uns nicht getraut. Jetzt darfst du zu mir kommen, sogar zweimal<br />

in der Woche, mehr ist nicht. <strong>Die</strong> Leidtragenden sind Ruth und ich, ganz<br />

arme <strong>Frau</strong>en. Hanna Cash hatte nichts, aber einen ganzen Mann für sich alleine.“<br />

belehrte mich <strong>Olivia</strong>. Ich war demnach ja reich, hatte zwei <strong>Frau</strong>en, <strong>nur</strong><br />

hatte ich das nie gewollt und auch jetzt nicht. Aber sich zu entscheiden, das<br />

wäre auch irrsinnig. Ich konnte nicht sagen: „Ruth oder <strong>Olivia</strong>“. Zu Ruth wollte<br />

ich abends nach Hause kommen und mit <strong>Olivia</strong> die Nacht verbringen. Es würde<br />

mich zerreißen. Wir konnten doch nicht etwas jetzt formal organisatorisch festlegen.<br />

Wir lebten doch, es wäre doch ein Prozess, in dem unterschiedliche Entwicklungen<br />

möglich waren. Teilweise bestätigte mich <strong>Olivia</strong>: „Ruth hat gesagt,<br />

Begierde, Lust, Sehnsucht und Verlangen würden immer <strong>nur</strong> ganz kurz befriedigt.<br />

Es wären Pflanzen, die immer sofort wieder neu wachsen würden, wenn<br />

du ihre Blüten gepflückt hättest. Wer weiß es, wenn nicht Ruth?“ <strong>Die</strong> legte <strong>nur</strong><br />

ein breites Grinsen auf. „Es ist ja <strong>nur</strong> ein Vorschlag für den Anfang. Wie es sich<br />

entwickeln wird, kann ich mir am allerwenigsten ausmalen.“ erklärte <strong>Olivia</strong>.<br />

Zauberland<br />

Ich befolgte es brav. Nach der Begrüßungsumarmung bei <strong>Olivia</strong> tat ich kund:<br />

„Da bin ich, es ist <strong>Die</strong>nstag.“ <strong>Die</strong> Zauberin generierte den bösesten Blick, den<br />

ich bei ihr noch nie gesehen hatte. „Halt die Klappe, Henry. Wenn du so sprechen<br />

willst, kannst du sofort nach Hause fahren.“ herrschte <strong>Olivia</strong> mich an.<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 28 von 41


Wenn ich mal ein wenig deutlicher und ernster sprach, bezeichnete <strong>Olivia</strong> es<br />

als Geschrei und daher nicht direkt ernst zu nehmen. Sie konnte es<br />

anscheinend selbst aber auch. Das traute ich mich nicht, ihr zu sagen, sondern<br />

entschuldigte mich <strong>nur</strong> hastig. Trotzdem sagte sie nichts und ich war auch<br />

sprachlos. Schweigend sah ich zu, wie die stumme <strong>Olivia</strong> in der Küche<br />

hantierte. Unser erster Ehekrach mit gegenseitigem Schweigen? <strong>Olivia</strong> legte<br />

ihre Arme um meine Taille und erklärte: „Mein Liebster, wenn du zu mir<br />

kommst, sprichst du zu mir. Deine Liebste ist der Adressat deiner Worte.<br />

Überlege dir gut, was sie gern hören würde, und benimm dich nicht wie ein<br />

Rowdy, der nichts als sich selbst im Kopf hat.“ Jetzt verzauberte wieder ein<br />

Lächeln den ge<strong>liebt</strong>en Anblick. Es war noch sehr früh, <strong>Olivia</strong> schlug vor, noch<br />

ein paar Schritte im Thielpark am Studententeich zu gehen. „Eigentlich müsste<br />

ich heute joggen. Was machst du denn, um dich fit zu halten?“ erkundigte sie<br />

sich. Ich grinste und erklärte: „Ich mache das mit Ruth zusammen.“ <strong>Olivia</strong><br />

erwartete nähere Erläuterung. „Na ja, ein Geschlechtsverkehr entspricht dem<br />

Energieaufwand eines Marathonlaufes.“ erklärte ich. <strong>Olivia</strong> lachte sich tot. „Wo<br />

hast du das denn her?“ wollte sie wissen. „Hab' ich mal irgendwo gehört.“ so<br />

ich. „Trotzdem glaube ich es nicht.“ reagierte <strong>Olivia</strong>. „Wenn wir zusammen<br />

schlafen, kann ich mir das Joggen also mit ruhigem Gewissen ersparen, meinst<br />

du?“ sinnierte <strong>Olivia</strong> und platzte dann lachend los. „Weißt du, Henry,“ begann<br />

<strong>Olivia</strong> beim Spazieren gehen, „natürlich hatte ich mir Vorstellungen davon<br />

gemacht, wie es werden könnte, wenn ich nach Deutschland zurückkäme und<br />

wie ich mein Leben demnächst ändern würde. Aber ich bin nicht nach<br />

Deutschland, sondern nach Zauberland gekommen. Jeden Tag setzt sich ein<br />

nicht enden wollendes Wunder fort. Mein Leben ist ein anderes geworden, auf<br />

eine Art und mit einer Geschwindigkeit, wie ich es mir nicht ausmalen konnte.<br />

Wenn mir in Rio eine Fee mein derzeitiges Leben im Traum gezeigt hätte, ich<br />

würde es nicht geglaubt haben, hätte es aber auch gar nicht verstehen<br />

können. Verstehst du denn alles, was mit mir geschieht? Ich nicht.“ „Es<br />

geschehen keine Wunder im Zauberland. Du bist die Fee, die alles selbst<br />

bewirkt und alles kann und bekommt, wenn sie's will. Vielleicht passt bei dir<br />

vieles im Alltag zur Campesina, aber dein Herz gehört Amaru, der<br />

Riesenschlange, die das Symbol des Wissens und der Weisheit ist. Du bist die<br />

Zauberin, die mich jeden Tag Neues an dir erkennen und Wunder von dir<br />

erfahren lässt.“ erklärte ich es <strong>Olivia</strong>. Henry, der Schmeichler, musste<br />

ausgiebig mit Küssen belohnt werden. <strong>Olivia</strong> lachte. „Selbst wenn du Recht<br />

hast, Henry, aber jede Zauberin braucht einen Zauberstab oder eine<br />

Zauberkugel, ohne dem ist sie <strong>nur</strong> eine banale Schlampe wie alle anderen<br />

auch. Gleich zu Anfang werde ich in dir meine Zauberkugel gesehen haben.<br />

Auch wenn es mir nicht direkt bewusst geworden ist, aber gehandelt habe ich<br />

danach. Wir werden uns unser Zauberland selbst gebaut haben, nicht wahr?“<br />

reagierte <strong>Olivia</strong>. Am Abend gab es wieder viel zu lachen. Um miteinander Sex<br />

zu haben, dazu schienen wir nicht im Bett zu sein. Stundenlang betätschelten<br />

wir uns begleitet von wispernden Liebesworten zärtlich und konnten uns immer<br />

wieder darüber freuen. Kinder auf der Spielwiese ihrer Liebe waren wir. Hastige<br />

Lust und Begierde wie beim ersten mal hatten wir nicht nötig. Wahrscheinlich<br />

waren wir uns sicher, dass es schon irgendwann aufkommen würde. <strong>Die</strong><br />

erfülltesten Abende und Nächte ergaben sich, wenn wir vorher im Konzert oder<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 29 von 41


in der Oper gewesen waren. <strong>Olivia</strong> regelte die Terminverschiebung mit Ruth,<br />

denn in der Philharmonie und der Oper kannte man ja unsere Terminregelung<br />

nicht. Auch wenn es mir zu Beginn höchst sonderbar vorgekommen war, und<br />

ich überhaupt nicht zwei <strong>Frau</strong>en lieben wollte, gewöhnte ich mich langsam an<br />

die Regelung. Nicht zuletzt dank Ruth, die großes Verständnis aufbrachte.<br />

„Nachempfinden kann ich deine Gefühle zwar nicht, aber verstehen kann ich<br />

es, glaube ich, gut, dass du <strong>Olivia</strong> liebst. Jede Mutter müsste sich endlos<br />

freuen, wenn ihr Sohn eine so großartige <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong>e.“ erklärte Ruth. Ich<br />

schmunzelte <strong>nur</strong> und machte mir kuriose Gedanken. Immer häufiger mussten<br />

die geplanten <strong>Die</strong>nstage und Donnerstage verschoben werden, weil <strong>Olivia</strong> oder<br />

ich abends andere Termine hatten. Dafür bekamen <strong>Olivia</strong> und ich meistens ein<br />

Wochenende. Ein sonderbares Leben, aber alles andere hätte ich nicht ertragen<br />

können.<br />

Angebot aus Lissabon<br />

Aufgeregt, verwundert und auch stolz verkündete <strong>Olivia</strong> mir, dass sie ein Angebot<br />

vom portugiesischen Verlag Editorial Caminho aus Alfragide bei Lissabon<br />

erhalten habe. Sie konnte es selbst nicht glauben. Das war nicht <strong>nur</strong> der Verlag<br />

von José Saramago sondern auch anderer berühmter Autoren, und sie solle die<br />

Autorenbetreuung übernehmen. Unvorstellbar, aber man hatte es damit begründet,<br />

dass sie eine kosmopolitische portugiesisch-deutsche <strong>Frau</strong> sei. Man<br />

wolle internationale Gesichtspunkte stärker gewichten, und da sei sie mit ihrer<br />

brasilianischen Erfahrung genau richtig. „Ich kann es mir gar nicht vorstellen.<br />

Ich kenne die <strong>nur</strong> von der Buchmesse persönlich, ja und eine Autorin von ihnen<br />

habe ich mal interviewt, aber die spinnen doch. Wie können die in Portugal<br />

eine Deutsche mit der Autorenbetreuung beauftragen wollen. Man wird sie ablehnen.“<br />

meinte <strong>Olivia</strong>. Offensichtlich stand es für <strong>Olivia</strong> aber keineswegs fest,<br />

das Angebot abzulehnen. Ich hätte schreien können: „<strong>Olivia</strong>, vergiss es. Dein<br />

Leben ist hier. Du kannst doch nicht gehen. Ich sterbe sofort, wenn du mich<br />

verlässt.“, machte aber wohl <strong>nur</strong> ein gequältes Gesicht. „Henry, da wird bestimmt<br />

nichts draus.“ tröstete <strong>Olivia</strong> mich, „Aber so etwas zu machen wäre natürlich<br />

der Big Bang meines Lebens. Leo würde vor Neid auf die Bäume klettern.<br />

Der Herr Professor könnte in seinen Seminaren stolz von meinen Erfahrungen<br />

berichten.“ Heute sprach ich es besser nicht an, was es für uns bedeuten<br />

würde, <strong>Olivia</strong> war zu stolz. Am nächsten Tag sah ich <strong>Olivia</strong> zum ersten mal<br />

weinen. In den folgenden Tagen kam bei jedem zweiten Wort das Gespräch<br />

darauf. Es wechselte zwischen den Positionen, dass sie es klar ablehnen würde,<br />

weil <strong>Olivia</strong> ihr Leben hier mit mir sah und dass sie eine Chance, wie die in Portugal,<br />

nie wieder in ihrem Leben erhalte. Aber unsere Gespräche erweckten<br />

immer den Eindruck, als ob es sich schon um den Abschied handele und der<br />

gleichzeitig das Ende für uns und unsere Liebe bedeute. Wir konnten nicht wochenlang<br />

diskutieren, <strong>Olivia</strong> wollte nach Portugal fahren und sich im persönlichen<br />

Gespräch näher erkundigen. Als sie zurückkam, erweckte sie aber den<br />

Eindruck, dass es für sie feststehe, obwohl sie erklärte, dass noch nichts entschieden<br />

sei. Unsere Liebe würde es überhaupt nicht tangieren, Liebe überbrücke<br />

jede Entfernung und die Sehnsucht sei umso größer. Ihre Wohnung in<br />

Dahlem, an die sie durch Beziehungen in Brasilia gekommen war, würde sie<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 30 von 41


nicht mehr halten können. Selbstverständlich hätte sie bei uns wohnen<br />

können, wenn sie nach Hause käme, aber das wäre Ruth doch nicht zuzumuten<br />

gewesen. Mit einer Freundin, die sich gerade von ihrem Mann getrennt hatte,<br />

fand sie eine gemeinsame Wohnung in Kreuzberg.<br />

Längst geschieden<br />

Beim Abschied weinten wir gar nicht mehr. Vielleicht hatten wir uns schon damit<br />

abgefunden, vielleicht konnte <strong>Olivia</strong> mich in ihrer nicht offen gezeigten<br />

Freude auch gut trösten. Sie freute sich nicht zuletzt auch darauf, Maria, die<br />

sie schon bei ihrem ersten Besuch in Alfragide getroffen hatte, jetzt öfter sehen<br />

zu können, andererseits war sie auch ganz erfüllt vom Traum ihrer neuen<br />

Aufgaben. Von der Faszination darüber bekam ich auch jedes mal zu hören und<br />

nicht <strong>nur</strong> von unserer Liebe. Auch wenn ihr Salär deutlich höher als beim Sender<br />

war, musste sie aufs Geld achten, denn die teuren Flüge nach Berlin bezahlte<br />

der Verlag natürlich nicht. <strong>Olivia</strong> wollte es wenigstens <strong>einmal</strong> im Monat<br />

ermöglichen, dafür musste sie sich sonst ehr einschränken. Wie zwei vor Freude<br />

glühende Sonnen begrüßten wir uns jedes mal am Flughafen. Dass ich <strong>nur</strong><br />

<strong>Olivia</strong> gehörte, wenn sie am Wochenende kam, war selbstverständlich. Auch im<br />

Urlaub. Wenn andere Leute nach Portugal in die Sonne fuhren, kam <strong>Olivia</strong> nach<br />

Berlin-Kreuzberg. Ich hatte mir dann auch Urlaub genommen und erlebte die<br />

glücklichsten Tage meines Lebens mit <strong>Olivia</strong> und ihrer Freundin. „<strong>Olivia</strong> bleib!<br />

So will ich immer leben.“ ging es mir beim Abschied durch den Kopf. Zwei Wochen<br />

nicht zu Hause und glückliche Ferien mit <strong>Olivia</strong> verbringen, das war für<br />

Ruth eine harte Probe, zumal für uns ja kein gemeinsamer Urlaub mehr zur<br />

Verfügung stand. Ruth fuhr allein in die Provence. Da waren wir schon öfter gemeinsam<br />

gewesen. Als ich Weihnachten auch <strong>nur</strong> kurz zu Hause war und auch<br />

Silvester mit <strong>Olivia</strong> verbracht hatte, sprach Ruth es an: „Nichts ist mehr wie es<br />

war, Henry. Wir leben nicht mehr zusammen, auch wenn du immer sagst, dass<br />

du mich liebst. Du gehörst mir nicht mehr, du gehörst eindeutig <strong>Olivia</strong>, auch<br />

wenn sie sich im entfernten Lissabon befindet. Ich bin zu deiner Gebrauchsfrau<br />

für den Alltag geworden. Kannst du dir vorstellen, dass ich mir in dieser Rolle<br />

nicht gefalle?“ Zwei Monate diskutierten wir. All meine Beteuerungen, Erklärungen<br />

und Vorschläge konnten Ruths herbe Enttäuschung nicht klein reden. Als<br />

ich im März wieder ein Wochenende mit <strong>Olivia</strong> verbracht hatte, erklärte Ruth<br />

mit Tränen in den Augen: „Ich habe genauso ein Recht auf Leben und Freude<br />

wie du, Henry, und alle anderen Menschen auch. Du zerstörst sie. Es ist Frühling,<br />

ich will leben, aber du lässt es mich als Qual erfahren. Ich ertrag es so<br />

nicht mehr. Was ich will, weiß ich nicht, ich weiß <strong>nur</strong>, dass ich es so nicht länger<br />

will und kann.“ Einen ganzen Monat lang versuchte ich Ruth zu bewegen,<br />

aber alles Bitten, Betteln und Klagen half genauso wenig wie alle Vorschläge<br />

für Veränderungen und einen Neubeginn. Ich war für sie ein anderer geworden.<br />

Das Bild von Henry, den sie <strong>liebt</strong>e, war <strong>nur</strong> noch Erinnerung. Ruth vermittelte<br />

mir das Gefühl, gar keine Lust zu haben, es wie auch immer mit mir zu<br />

versuchen. Derjenige, der Lust hat, ihr seine Liebe zu schenken, war ich offensichtlich<br />

nicht mehr, sondern derjenige, dem es nichts ausmacht, sie wegen eigener<br />

Interessen zu verletzen, der ihr rücksichtslos weh tun konnte. „Es macht<br />

doch keinen Sinn mehr, Henry. Innerlich sind wir längst geschieden. Du gehörst<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 31 von 41


<strong>Olivia</strong>, anders kannst du gar nicht, aber zu mir gehörst du schon lange nicht<br />

mehr.“ erklärte Ruth, womit unsere Trennung beschlossen war. <strong>Die</strong> Vorstellung,<br />

Ruth zu verlieren oder <strong>nur</strong> verletzen zu können, war mir zu Beginn meiner<br />

Liebe mit <strong>Olivia</strong> unerträglich erschienen. Jetzt wollte ich es zwar auch<br />

keineswegs, aber Ruth hatte schon Recht, unsere Beziehung hatte auch für<br />

mich ein anderes Gewicht bekommen. Lange suchte ich nach einer Wohnung,<br />

bis ich ganz im Süden in der Nähe vom Wannsee eine passable gefunden hatte.<br />

Keine Lust auf <strong>Olivia</strong><br />

Jetzt konnte <strong>Olivia</strong> zu mir kommen. Das tat sie auch. Wir schauten uns einiges<br />

an, fuhren nach Potsdam, aber letztendlich gefiel es uns in Kreuzberg, wo auch<br />

meistens ihre Freundin anwesend war, viel besser. <strong>Olivia</strong> war sehr beschäftigt<br />

und konnte auch deshalb, und nicht <strong>nur</strong> wegen des Geldes, äußerst selten<br />

kommen. Auch ihren Urlaub musste sie aufschieben. Weihnachten kam sie<br />

endlich. „Du wirkst sehr abgearbeitet. War es so stressig?“ wollte ich am Flughafen<br />

von <strong>Olivia</strong> wissen. Sie lächelte <strong>nur</strong>. <strong>Olivia</strong> hatte darum gebeten, die<br />

Weihnachtstage allein bei mir zu verbringen. „Jetzt ist alles wieder gut. Alles ist<br />

wieder in Ordnung.“ sagte sie beim Kaffee und strich mir über die Wange. „Was<br />

ist wieder in Ordnung?“ wollte ich wissen. „Ich bin sehr dumm und töricht gewesen<br />

und habe einen großen Fehler gemacht. Ich konnte es dir nicht erzählen,<br />

aber jetzt ist alles vorbei. Jetzt ist alles wie früher, wie es immer war.“ erklärte<br />

<strong>Olivia</strong>. Mir schwante etwas, was ich nicht glauben konnte und nicht<br />

wahrhaben wollte. „Etwas erzählen musst du mir aber schon. Wenn es sowieso<br />

vorbei ist, wird es dir doch nicht schwerfallen.“ wollte ich Genaueres erfahren.<br />

Natürlich, <strong>Olivia</strong> hatte einen anderen Mann kennengelernt. Sie hatte ihn als<br />

Schriftsteller betreut und dabei waren sie sich näher gekommen. Er hätte sie<br />

verehrt, sich ihretwegen von seiner <strong>Frau</strong> getrennt. Als er <strong>Olivia</strong> habe heiraten<br />

wollen, sei sie wach geworden und habe alles beendet. Ich konnte nichts sagen,<br />

mir fehlten jegliche Worte und meine Stimme wäre auch nicht in der<br />

Lage, sie zu äußern. „Es ist doch alles völlig aus und vorbei, Henry. Nichts ist<br />

mehr. Ich habe ihm erklärt, dass ich ihn nicht mehr liebe und nichts mehr mit<br />

ihm zu tun haben wolle. Für uns ist alles wie immer, es gibt nichts anderes<br />

mehr.“ reagierte <strong>Olivia</strong> auf mein betretenes Gesicht. „Nichts ist wie früher, <strong>Olivia</strong>.<br />

Dadurch das du es beendet hast, kannst du das Geschehene nicht löschen<br />

oder rückgängig machen. Und was geschehen ist, verstehe ich überhaupt<br />

nicht.“ erwiderte ich. „Verstanden habe ich es doch auch nicht, Henry. Es ist<br />

wie in einem Nebel über mich gekommen. Ich sage ja, dass es eine sehr große<br />

Dummheit war.“ antwortete <strong>Olivia</strong>. „Trotzdem, die <strong>Olivia</strong>, die ich hier verabschiedet<br />

habe, hätte das nicht gekonnt, die <strong>Olivia</strong>, die mich verlassen hat, ist<br />

nicht die, die das jetzt getan hat und auch nicht die, die es mir jetzt erzählt<br />

und so erzählen kann.“ erklärte ich. Ich konnte es nicht fassen, meine <strong>Olivia</strong>,<br />

die <strong>nur</strong> mich lieben konnte, hatte sich in einen anderen Mann ver<strong>liebt</strong>. Nach ihren<br />

damaligen Erklärungen und Interpretationen wäre das gar nicht möglich<br />

gewesen. Zu wem war sie geworden, dass sie es doch tat? <strong>Olivia</strong> versuchte immer<br />

zu erklären, zu entschuldigen, sich selbst entsetzlicher Dummheit zu bezichtigen.<br />

„Wenn ich in ihrer Nähe gewesen wäre, hätte das auch nicht passieren<br />

können.“ beteuerte sie. Trotz aller Bemühungen, Entschuldigungen und<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 32 von 41


Erklärungsversuche <strong>Olivia</strong>s blieb ich schockiert nicht <strong>nur</strong>, weil sie mich und unsere<br />

Liebe mit der Liebe zu einem anderen Mann betrogen hatte . „Ich war<br />

sonst immer freudig überrascht, neue Seiten an dir kennenzulernen. Das ist<br />

keine neue Seite, sondern ein Rückschritt. Nicht etwas Neues ist hinzugekommen,<br />

sondern etwas Altes zurückgekehrt, das du in deinem neuen Leben hier<br />

damals überwinden wolltest. Es verdeutlicht, dass du wieder in eine Sicht-,<br />

Denk- und Verhaltensweise zurückgekehrt bist, die du überwunden hattest und<br />

glaubtest abgelegt zu haben. Wenn du in der Oberflächlichkeit verweilst, wieder<br />

denkst und empfindest, wie sie es alle tun, dann wird so etwas leicht möglich.<br />

Es ist kein Fehler, was du getan hast, es ist Zeichen einer Veränderung, einer<br />

Rückwärtsorientierung, die ich bei dir nicht für möglich gehalten hatte und<br />

die mir überhaupt nicht gefällt.“ erläuterte ich. „Wir müssen viel intensiver miteinander<br />

reden. Wir könnten uns auch Briefe schreiben, richtige Briefe, das ist<br />

etwas ganz anderes als E-Mails. Erzählungen und Romane sind im Grunde<br />

nichts anderes als Briefe des Autors, bei denen der Leser der Adressat ist.“<br />

schlug <strong>Olivia</strong> vor. Ich war verwirrt, <strong>Olivia</strong> aber anscheinend auch. Den Abend<br />

und die Nacht mit ihr verbringen, das konnte ich nicht, sie interessierte mich<br />

überhaupt nicht, sondern ich würde mich wohler fühlen, wenn ich sie nicht<br />

sähe. „<strong>Olivia</strong>, ich denke, es wäre besser, wenn du zu dir führest, ich kann dich<br />

auch bringen.“ äußerte ich. <strong>Olivia</strong> begann zu weinen. Sie erklärte und verdeutlichte<br />

mir unsere Liebe. „Du hast ja Recht, <strong>nur</strong> im Moment fällt es mir schwer<br />

es auch so zu empfinden. Das andere beschäftigt mich zu sehr, deshalb möchte<br />

ich lieber allein sein.“ sagte ich knapp. <strong>Olivia</strong> nahm ein Taxi und fuhr zu sich.<br />

Am nächsten Morgen rief sie schon an, aber ich bat sie, mir Zeit zu lassen. Ich<br />

würde mich melden. Nur ich verspürte keinerlei Bedürfnis, <strong>Olivia</strong> zu sehen. Als<br />

ob ihr glänzendes Bild zerbröckelt wäre und daraus eine Ikone meiner Täuschung<br />

und Verletztheit entstanden wäre. Am darauf folgenden Tage rief <strong>Olivia</strong><br />

doch wieder an, meinte so ginge es doch nicht, wir müssten miteinander reden.<br />

Dass ich dazu keine Lust hatte, traute ich mich nicht zu sagen. So hatten<br />

wir noch nie miteinander gesprochen. <strong>Olivia</strong> versuchte immer Vertraulichkeit zu<br />

erzeugen, aber es blieb kühl, weil ich meine Distanziertheit wohl nicht unterdrücken<br />

konnte. <strong>Die</strong>se <strong>Olivia</strong> war mir so fern. „Was willst du denn eigentlich,<br />

Henry, dann lass es mich doch wissen.“ forderte mich <strong>Olivia</strong> plötzlich auf. Ich<br />

schwieg lange, bevor ich antwortete: „Ich will meine alte <strong>Olivia</strong> zurück, aber<br />

die bist du nicht mehr.“ „Du spinnst, Henry, ich bin kein anderer Mensch geworden,<br />

weil ich etwas mit einem anderen Mann zu tun gehabt habe. Hat Ruth<br />

etwa gesagt, du seist ein anderer Mensch geworden, als wir zusammen geschlafen<br />

haben?“ machte mir <strong>Olivia</strong> klar. „Darum geht es nicht, <strong>Olivia</strong>. Du hast<br />

begonnen, in einer anderen Welt zu leben, wodurch es für dich erst dazu kommen<br />

konnte. Das ist nicht die Welt, in der die Zauberfee ihr Zuhause hatte,<br />

sondern die Welt der Oberfläche, in der sie keine Zauberkugel hat, sondern<br />

eine ganz banale Schlampe, wie alle andern auch ist.“ erklärte ich. „Bitte, Henry,<br />

benimm dich. Sag mir doch, was ich tun kann, damit es zwischen uns wieder<br />

wie immer wird. Es gibt nichts nachdem ich mich mehr sehne.“ bettelte<br />

<strong>Olivia</strong>. „Ich kann nicht sagen: „<strong>Olivia</strong>, tu <strong>Die</strong>s oder Jenes, dann wird es wieder<br />

wie früher sein.“. Das ist doch Unsinn. Nichts wird wie es früher war, alles ist<br />

immer wie es jetzt ist. Damit werden wir leben müssen und versuchen, das<br />

Beste daraus zu machen. Aber jetzt bist du eine andere <strong>Frau</strong>, als die, die ich<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 33 von 41


ge<strong>liebt</strong> und begehrt habe.“ reagierte ich. Wir trennten uns wieder. Zwei Tage<br />

später rief die weinende <strong>Olivia</strong> an: „Was soll das denn, Henry? Das ist doch Irrsinn.<br />

Du machst mich verrückt und uns beide verrückt. Das können wir beide<br />

nicht. Du liebst mich doch. Aber du bemühst dich krampfhaft es zu verdrängen<br />

und zu vergessen. Ist dir unser gemeinsames Glück nicht auch mehr wert. Versuch<br />

doch mal daran zu denken. Erinnere Dich doch mal. Du bist anscheinend<br />

<strong>nur</strong> in deinen kruden Gedankenwelten gefangen, die für uns beide katastrophal<br />

sind.“ Ich konnte ihr nichts Positives sagen, ich konnte ihr nicht sagen, dass ich<br />

sie sehen wollte, ich hatte schlicht keine Lust auf <strong>Olivia</strong>. Richtig erklären konnte<br />

ich es mir selber nicht. Ich hatte mich selber gefragt, ob es nicht völlig übertrieben<br />

sei, wegen eines sogenannten Saitensprungs derart übertrieben zu reagieren.<br />

Aber darum ging es ja nicht. Ich sah die mir ferne Geschäftsfrau aus<br />

Lissabon, die mich durch nichts reizte. Das Bild meiner <strong>Olivia</strong>, der Campesina,<br />

nach dem es mich verlangte, wollte nicht auftauchen. Trübe, enttäuscht und<br />

traurig waren meine Gedanken, wenn ich an <strong>Olivia</strong> dachte. All die wunderschönen<br />

alten Bilder waren jetzt <strong>nur</strong> noch Geschichten aus der herrlichsten Zeit<br />

meines Lebens, aber jetzt waren sie nicht mehr zum Leuchten zu bringen. Am<br />

Tag vor Weihnachten rief ich <strong>Olivia</strong> morgens an und erklärte ihr, dass ich Weihnachten<br />

nicht mit ihr verbringen möchte. Ich wisse nicht, was mit mir sei.<br />

Wenn sich etwas ändere und ich auf andere Gedanken käme, würde ich mich<br />

melden. Ich meldete mich aber nicht, nicht zu Weihnachten und nicht zu Neujahr,<br />

und <strong>Olivia</strong> flog unverabschiedet, allein nach Lissabon zurück.<br />

Veränderbare Prozesse<br />

Nach zwei Wochen bekam ich einen Brief, vierzig Seiten handgeschrieben. Sie<br />

zeigte nochmal die Entwicklung unserer Liebe auf, und mir kamen beim Lesen<br />

die Tränen. <strong>Olivia</strong> beklagte die tiefen, niemals voll heilenden Wunden, die wir<br />

uns selber zufügen würden. Wehmut kam schon auf, aber kein Verlangen. Sie<br />

hatte sich mir entfremdet und von der früher immer gegenwärtigen Lust auf<br />

sie, war nichts zu spüren. Meine <strong>Olivia</strong> existierte nicht mehr. Ich beantwortete<br />

ihren Brief und wir schrieben uns auch weiterhin pervers anmutende relativ belanglose<br />

Mails unter Bekannten, in denen von unserer Liebe kein Wort mehr erwähnt<br />

wurde. Aber dieser Businessfrau gehörte ich nicht und wollte ich nicht<br />

gehören. <strong>Die</strong> Campesina war längst gestorben. Es nicht können und trotzdem<br />

gut sein, lautete sicher nicht mehr ihre Devise. Sie konnte alles und war in das<br />

fehlerhafte Leben zurückgekehrt. Nie hatte ich daran gedacht, aber der Beziehung<br />

zwischen <strong>Olivia</strong> und mir hatte ich in meinen Gedanken und Emotionen<br />

wohl so etwas wie die Gestalt einer uneinnehmbaren, unzerstörbaren Festung<br />

eingeräumt, außer Acht gelassen, dass Menschen und ihre Beziehungen untereinander<br />

immer veränderbaren Prozessen unterliegen und keine in Beton gegossenen<br />

Skulpturen sind. Ein festes Bild hatte ich von <strong>Olivia</strong>, das zwar<br />

gewisse Freiheitsspielräume hatte, aber es war mein Bild und nicht <strong>Olivia</strong><br />

selbst. Das Bild <strong>liebt</strong>e ich und in das musste <strong>Olivia</strong> sich fügen, wenn sie, die<br />

selbstverständlich die Freiheit hatte, sich auch völlig anders zu verhalten,<br />

konnte ich sie nicht mehr lieben. Ich hatte sie okkupiert, auch wenn all meine<br />

Gefühle und mein Glück durchaus ernsthaft und berechtigt gewesen waren. Vor<br />

Liebe und Beziehung zu einer <strong>Frau</strong> grauste mir. Wahrscheilich würde ich<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 34 von 41


meinen in die Katastrophe führenden Fehler immer wieder machen. Ich meinte<br />

auch immer noch Ruth zu lieben, auch wenn ich akzeptiert hatte, dass unsere<br />

Beziehung für sie unerträgliche Formen angenommen hatte. Wahrscheinlich<br />

befand sich das Bild von ihr genauso in meinem Besitz wie das von der<br />

früheren <strong>Olivia</strong>.<br />

Zauberland existiert nicht mehr<br />

Ihre Freundin kam mich besuchen. Sie erläuterte mir noch mal alles, hatte<br />

schon vorzeitig <strong>Olivia</strong> von ihrem neuen Liebhaber schwärmen gehört, und sie<br />

gewarnt, nicht den größten Fehler ihres Lebens zu machen. Jetzt sehe <strong>Olivia</strong> es<br />

selber so. Völlig fertig sei sie. In den Weihnachtsferien habe sie zwischen Weinkrämpfen<br />

und Tobsuchtsanfällen gewechselt. „Ihr gehört zusammen. <strong>Olivia</strong> gehört<br />

<strong>nur</strong> zu dir. Es kann niemanden anders geben. Du musst dich um sie kümmern.<br />

Sie zerbricht daran.“ hatte ihre Freundin gesagt. Das war sehr traurig<br />

und ich war auch gewiss Schuld daran, aber einen Menschen lieben, weil er es<br />

gern möchte oder braucht, das geht nicht. Da musste ein Arzt ihre Seele pflegen,<br />

meine Liebe konnte ich ihr nicht schenken. <strong>Die</strong> existierte nicht mehr. Als<br />

ich Ruth traf, bekundete sie mir ihr tiefstes Mitleid und wir überlegten gemeinsam,<br />

was ich tun könnte, um zu <strong>Olivia</strong> zurückzufinden. „Im Nachhinein erscheint<br />

es mir als Phantom, das nicht mehr existiert. Im Zauberland lebten wir,<br />

haben wir gesagt, es war das Zauberland der Fantasien unseres Unbewussten.<br />

Das existiert nicht mehr, und du kannst es nicht wiederherstellen oder nachträglich<br />

real werden lassen. Es war wie ein Traum, wenn du so willst. Wie in einer<br />

Ekstase fand unser Glück statt. Das ist vorbei, endgültig.“ erklärte ich.<br />

„Haben wir denn auch in einer Ekstase gelebt?“ wollte Ruth wissen und lachte.<br />

„Unsere Liebe war ein ganz irdisches, reales Glück, das Glück, was Menschen<br />

empfinden, wenn sie tiefe vertrauensvolle Beziehungen untereinander haben.<br />

Nur wir sind damit umgegangen wie Idioten, haben es in seinem Wert nicht erkannt,<br />

es wie etwas Alltägliches, Selbstverständliches behandelt, obwohl es<br />

das Größte ist, was es überhaupt für uns geben kann.“ verstand ich es. Im<br />

weiteren Verlauf bezichtigten wir uns selbst unserer Fehler, die wir begangen<br />

hatten. Jederzeit hätte ich wieder mit Ruth zusammen leben können. Sie war<br />

nicht die ferne Ge<strong>liebt</strong>e, nach der ich Verlangen hatte, sie gehörte einfach zu<br />

mir, zu meiner Welt wie meine Mutter und mein Vater. Versuche in der Richtung<br />

unternahm ich aber nicht. Ruth hatte ihr eigenes Leben und das respektierte<br />

ich, aber die Vertrautheit unter uns, die der von Geschwistern glich, würde voraussichtlich<br />

immer bestehen bleiben.<br />

Leos Besuch<br />

Mit <strong>Olivia</strong> tauschte ich jetzt schon über Jahre E-Mails. Wir schrieben darüber,<br />

was sich für uns beruflich ereignet hatte und über's Wetter. Jemandem zu<br />

schreiben, wen ich interviewt und was ich dabei erfahren hatte, war ja nicht<br />

schlecht, <strong>nur</strong> dass die Adressatin <strong>Olivia</strong> war, spielte dabei keine Rolle. Eine entfernte<br />

Bekannte war sie, mit der man nichts Persönliches besprach. Ob sie ihrem<br />

alten Verehrer gesagt hatte, sie liebe ihn jetzt doch wieder, oder ob sie<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 35 von 41


eventuell verheiratet war uns sogar schon Kinder hatte, ich wusste es nicht,<br />

würde und wollte es auch gar nicht erfahren. Nur von portugiesischen Romanen<br />

und Erzählungen bekam ich berichtet und manchmal hatte sie das eine<br />

oder andere Gedicht für mich übersetzt. Zu Beginn hatten wir uns wöchentlich<br />

geschrieben. Wenn ich auch keine Liebe mehr empfinden konnte, in meinem<br />

Kopf bewegte sich <strong>Olivia</strong> doch ständig, und da war die ehemalige von der jetzigen<br />

nicht immer klar getrennt. <strong>Die</strong> Häufigkeit unseres Briefwechsels nahm<br />

ganz langsam aber stetig ab. Wir schrieben uns noch <strong>einmal</strong> im Monat, aber<br />

das war auch nicht mehr sicher. Es kam mir auch so vor, als ob <strong>Olivia</strong> immer<br />

weniger Wert darauf lege. Ob unsere Korrespondenz je qualitativ hochwertig<br />

war, weiß ich nicht, jetzt schien <strong>Olivia</strong> aber ihre Texte oft sehr fahrig zusammen<br />

zu stellen, ging gar nicht auf das ein, was ich geschrieben hatte. Leo, der<br />

schon seit Jahren Portugiesisch Professor in Stuttgart war, rief mich an. Er<br />

käme nach Berlin und wolle sich mit mir treffen, es sei ihm sehr wichtig. „Ich<br />

will es gleich sagen,“begann Leo, als er Platz genommen hatte, „<strong>Olivia</strong> geht es<br />

sehr schlecht.“ „Schade, aber was habe ich damit zu tun?“ schoss es mir in der<br />

Pause, die Leo machte, durch den Kopf. „Sie ist am Ende.“ fuhr er fort, „Es ist<br />

<strong>nur</strong> noch eine Frage der Zeit, dass sie auch ihre Arbeit verliert.“ Wieder legte<br />

Leo eine Pause ein und antwortete auf mein fragendes Gesicht: „Sie trinkt.“<br />

Wie lange wusste er nicht. „Neu ist es aber keinesfalls. Jeder kann es ihr ansehen,<br />

und Maria meinte schon vor zwei Jahren, dass etwas mit ihr nicht mehr<br />

stimme. Da konnte sie es aber noch gut kaschieren. Das hat sie immer gekonnt,<br />

vor allem beruflich. Als ich es erstmals vermutete, hat sie mich lächerlich<br />

gemacht und alles abgestritten, bis ich später mal einen ganzen Berg leerer<br />

Medronho und Figo Flaschen in einer Abstellkammer fand. Da half kein<br />

Leugnen mehr. Sie habe abends immer gern ein Glas Wein getrunken und das<br />

habe sich ausgedehnt, erklärte sie es. Jetzt sieht sie offenbar alles ein, will alles<br />

tun, was du sagst, aber morgen ist es wie gestern, als ob du in einen holen<br />

Raum gesprochen und <strong>nur</strong> das Echo gehört hättest. Ich weiß nicht, was sie<br />

will.“ Dabei kamen Leo die Tränen. „Sie sieht alles und kann die Entwicklung<br />

erkennen. Will sie sich verrückt und zu Tode saufen? Sie ist doch nicht allein<br />

auf dieser Welt. Sie gehört doch nicht <strong>nur</strong> sich selbst. Das kann sie mir und<br />

den anderen doch nicht antun. Wenn <strong>Olivia</strong> stirbt, will ich auch, kann ich auch<br />

nicht mehr leben. Aber niemand hat mehr Einfluss auf sie, Maria nicht und<br />

selbst ich nicht. Alle haben sie schon mit ihr zu reden versucht, aber immer<br />

ohne Erfolg. Sie verspricht alles, befolgt aber nichts, schimpft und flucht <strong>nur</strong><br />

immer und das auf eine unerträglich proletenhafte Art.“ berichtete Leo. Ich sah<br />

das Bild meiner <strong>Olivia</strong>, und musste schlucken. Es war entsetzlich, das zu hören.<br />

Warum erzählte Leo es mir? Wollte er mich schockieren? „Deinetwegen ist<br />

das alles geschehen.“ sagte Leo plötzlich zu mir. Ich stritt direkt nichts ab, sondern<br />

erwartete Leos Erläuterung. „Sie hat eure Trennung überhaupt nicht verkraftet,<br />

hatte psychische Ausfälle, wir haben ihr dringend empfohlen, einen<br />

Therapeuten aufzusuchen. Arbeitstherapie hat sie es genannt, dass sie rastlos<br />

geschuftet hat. Ich bin ihr Bruder, aber du bist ihr Gott, Henry. Du hättest sie<br />

verstoßen, sagt sie auch heute noch immer wieder. Das ist ihre Bezeichnung<br />

für eure Trennung, aus dem Paradies hast du sie verwiesen. Ich habe gedacht,<br />

wenn es irgendjemanden geben würde, der ihr noch helfen könnte, wärest du<br />

es vielleicht. Du sollst sie ja nicht lieben, <strong>nur</strong> Mitleid mit ihr haben und ihr hel-<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 36 von 41


fen.“ meinte Leo. Wir sprachen noch über unsere Trennung. Leo sah es so,<br />

dass <strong>Olivia</strong> nicht ihre Lebenskunst in der Oberfläche gesucht habe, sie sei <strong>nur</strong><br />

zu Beginn überglücklich in ihrer neuen Aufgabe gewesen, sei übermütig geworden<br />

und habe leichtsinnig geglaubt, alles probieren, alles tun und lassen zu<br />

können, wonach ihr gerade war. Dass es auch um ihr Leben ging, sei ihr erst<br />

schlagartig bewusst geworden, als der Mann sie heiraten wollte. Natürlich habe<br />

sie sich in Portugal verändert, wie jeder andere sich auch immer verändere,<br />

aber nicht so, wie ich es sähe. Das war mir jetzt auch gleichgültig. Ich wollte<br />

so schnell wie möglich zu ihr und ihr zu helfen versuchen.<br />

Besuch in Lissabon<br />

Ich käme nach Lissabon und da wolle ich sie besuchen, sagte ich <strong>Olivia</strong> am Telefon.<br />

„Oh je,“ bekam ich zu hören, „der schnellste bist du aber nicht, wenn du<br />

fünf Jahre gebrauchst, bis du weißt, dass du mich sehen willst.“ Das Gesicht,<br />

das mich zur Begrüßung anschaute, hätte ich auch lieber nicht gesehen. Ich<br />

wischte mir über die Augen, als ob ich es verdauen müsste. Als ich <strong>Olivia</strong>s Gesicht<br />

sah, zeigte sich mir gleichzeitig ihr Lachen von unserem ersten Abend,<br />

und ich musste schlucken. Dass <strong>Olivia</strong> destruiert war, brauchte man gar nicht<br />

zu erklären. „Du kommst, weil ich saufe, nicht wahr?“ sagte sie auch direkt.<br />

„Du magst es so sehen, aber ich sehe es so, dass ich gekommen bin, weil es<br />

nicht <strong>nur</strong> dich, sondern auch mich, mein Innerstes zerbricht, wenn ich von dir<br />

höre und dich jetzt erlebe.“ erwiderte ich. „Wie auch immer, Henry, ich freue<br />

mich sehr, dich zu sehen. Es lässt mich einfach glücklich empfinden.“ erklärte<br />

<strong>Olivia</strong>. „Ich habe nicht geglaubt, dich jemals wiederzusehen.“ fügte sie hinzu<br />

und es erweckte den Anschein, als ob ihre Lider sich befeuchteten, aber bei<br />

den verschwommenen Augen konnte man es nicht genau wissen. Dann erzählte<br />

<strong>Olivia</strong> haargenau wie sich alles entwickelt hatte. Sie erzählte brav als ob sie<br />

ein kleines Mädchen wäre und suchte immer Verständnis in meinen Augen.<br />

Den Adega de Borba habe sie gern getrunken. Das er nicht <strong>nur</strong> gut schmecke,<br />

sondern auch ihre Gefühle aufhelle, habe sie erst relativ spät gemerkt. „Das tat<br />

mir gut. Ein wenig desperate war ich schon, wie du dir denken kannst. Hat dich<br />

denn unser Verlust überhaupt nicht gequält?“ fragte <strong>Olivia</strong>. „Ich glaube schon,<br />

aber erzähl du doch weiter.“ forderte ich sie auf. Ich bekam im Detail die Entwicklung<br />

zur Alkoholabhängigkeit beschrieben, wie es schon zu spät war, als<br />

sie es sich selbst eingestehen musste. „Ich hatte ja auch keinerlei Motivation,<br />

sah <strong>nur</strong> die düsteren Perspektiven, die ich nicht wollte und dagegen half trinken.<br />

Jetzt ist alles zu spät. Im Verlag sagen sie, ich solle aufhören und zum<br />

Arzt gehen. So ginge es nicht weiter.“ erzählte <strong>Olivia</strong>. „Warum tust du das<br />

nicht?“ fragte ich. „Warum denn, wozu denn? Es hat doch alles keinen Zweck<br />

mehr.“ bekam ich zu hören. „Du hättest ganz früh schon zum Arzt gehen sollen.<br />

Hast du es schon mal jemandem so erzählt, wie jetzt mir, Leo oder Maria?“<br />

„Vielleicht hast du Recht, aber jetzt ist alles zu spät. Erzählt habe ich nie jemandem<br />

etwas. Mein wichtigstes Anliegen war doch immer, so unauffällig wie<br />

möglich zu erscheinen und mich so lange über Wasser zu halten, wie es geht.“<br />

antwortete <strong>Olivia</strong> mir. Wie eine hoffnungslose Todgeweihte stellte sie sich dar.<br />

Ich konnte die Situation nicht ertragen und begann zu weinen. „Es ist schön,<br />

dass du gekommen bist, Henry, aber helfen kannst du mir auch nicht mehr. Mir<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 37 von 41


ist nicht mehr zu helfen.“ sagte sie. „<strong>Olivia</strong>, das bist du doch nicht. Eine <strong>Frau</strong>,<br />

die sich selbst nichts mehr wert ist.“ erklärte ich mit Tränen in den Augen.<br />

Jetzt erzählte ich, wer sie war, wie wir uns kennengelernt und sich unsere Liebe<br />

entwickelt hatte. <strong>Olivia</strong> wollte etwas zu trinken holen. „Nein, keinen Tropfen,<br />

<strong>nur</strong> Wasser.“ erklärte ich harsch, „Sonst fahre ich auf der Stelle.“ „Ich weiß das<br />

auch alles, Henry. Kein Wort habe ich vergessen, aber du wolltest mich nicht<br />

mehr.“ <strong>Olivia</strong> dazu. Nicht diese Diskussion jetzt, aber es ließ sich wohl nicht<br />

vermeiden. „Es ist sehr kompliziert, <strong>Olivia</strong>. Richtig verstehen werden wir es<br />

wohl beide nie.“ versuchte ich die Diskussion zu umgehen. „Ich gehöre dir,<br />

Henry. Nur dir gehöre ich, das ist auch jetzt immer noch so. Eine <strong>Frau</strong> kann im<br />

Leben <strong>nur</strong> einem Mann gehören, und das bist du. Wenn du mich verstößt, verursacht<br />

das einen Schmerz, der niemals endet.“ erklärte <strong>Olivia</strong>. „Nein, diese<br />

<strong>Frau</strong> die sich selbst zu Grunde richtet, soll mir nicht gehören. Mir gehört <strong>nur</strong><br />

eine <strong>Olivia</strong>, die lachen kann, die Freude hat und glücklich ist. Verstoßen, wie du<br />

es nennst, habe ich dich nie.“ verdeutlichte ich mich. „Nur, Henry, diese <strong>Olivia</strong><br />

wird es nicht mehr geben können, das ist ein für alle mal vorbei. <strong>Die</strong> Wunde ist<br />

zu groß geworden, sie wird nicht mehr heilen.“ <strong>Olivia</strong> darauf. Nur, wenn sie mir<br />

schon gehörte, dann musste sie auch gehorsam sein, dachte ich innerlich<br />

schmunzelnd. „<strong>Olivia</strong>, du kannst es in deinem desperaten Zustand nicht erkennen,<br />

ich weiß aber dass es möglich sein wird und kenne Mittel um die Wunde<br />

zu schließen.“ behauptete ich. „Und wie stellst du dir das vor? Ich darf keinen<br />

Tropfen Alkohol mehr trinken. Toller Rat. Du weißt nicht, wie oft ich ihn schon<br />

gehört habe.“ erwiderte <strong>Olivia</strong>. „Nein, ganz anders. Ich werde dich sofort mit<br />

nach Berlin nehmen. Deine Wohnung werden wir jetzt gleich von Alkohol völlig<br />

desinfizieren, und morgen fahre ich mit dir zum Verlag und erkläre, dass du<br />

eine Kur benötigst.“ lautete mein Vorschlag oder auch Befehl. „Du kannst ja<br />

sehr rigide sein, Henry“ war <strong>Olivia</strong>s Kommentar. „So lernst du auch mal neue<br />

Seiten an mir kennen, die du bislang nicht kanntest.“ scherzte ich. Sofort<br />

durchsuchten wir die ganze Wohnung und vernichteten alles, was an alkoholischen<br />

Getränken zu finden war. Wir mussten uns beeilen. Den Verlag wollte ich<br />

von Berlin aus telefonisch informieren. Mit dem nächsten Flieger ging's am anderen<br />

Morgen nach Berlin und vom Flughafen aus direkt zur Klinik Nikolassee.<br />

Man vertröstete uns und gab <strong>Olivia</strong> ein Präparat fürs Akute mit. Bis zum nächsten<br />

Morgen könne nichts passieren, und dafür bekamen wir einen Termin. Es<br />

war schon ein sehr sonderbares Erlebnis, natürlich schlief <strong>Olivia</strong> bei mir. Ich<br />

hatte zwar eine Schlafcouch, aber das wollte und konnte ich nicht. Wieder gemeinsam<br />

lagen wir im Bett, lächelten uns an, und <strong>Olivia</strong>s Blick schien zu fragen,<br />

ob sie näher kommen dürfe. Aneinander gekuschelt erzählten wir uns<br />

noch ein wenig und schliefen dann ein.<br />

Kein Mensch gehört sich allein<br />

Nach einer Woche körperlicher Entgiftung und intensiver Stoffwechselregeneration<br />

in Nikolassee war <strong>Olivia</strong> wieder ein normaler vollwertiger Mensch. Entwöhnungsbehandlung<br />

in einer Rehabilitationsklinik brauche sie nicht. Was man ihr<br />

da erzähle, wisse sie sowieso. Sie würde jetzt keinen Tropfen mehr anrühren.<br />

Das sah ich anders. Wir wussten ja gar nicht was wurde. Wenn sie allein nach<br />

Portugal zurückkehre, würde sie wieder anfangen zu trinken, andernfalls würde<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 38 von 41


sie ihren Job verlieren. Sie weinte bei der Vorstellung, meinte aber, sie hätte<br />

ihn ja sonst sowieso verloren, und ihre alte Reputation könne sie auch nicht<br />

wieder erlangen. Leo regelte die Kündigung beim Verlag für sie. Jetzt wohnte<br />

<strong>Olivia</strong> bei mir. Meine ganzen liebgewonnenen Weinvorräte hatte ich verschenkt<br />

und der Cognac hatte in der Toilette sein Grab gefunden. Wollte sie hier wohnen<br />

bleiben? Andere Äußerungen waren von ihr nicht zu vernehmen. Nur<br />

brauchte sie ihre Wohnung in Portugal dann nicht mehr. Ja, wir wollten zusammen<br />

wohnen. <strong>Olivia</strong> meinte, sie brauche mich sowieso und auch damit ich auf<br />

sie aufpassen könne. Wir besorgten uns eine neu Wohnung und Maria regelte<br />

die Auflösung ihrer Wohnung in Portugal. Ständig hatten <strong>Olivia</strong> und Maria darüber<br />

telefoniert, was sie behalten wolle und Berlin gebrauche. Eine kleine portugiesische<br />

Spedition brachte ihre Sachen zu einem Spottpreis in unsere neue<br />

Wohnung. Jetzt erst wurde es zu unserem gemeinsamen Zuhause. Wie selbstverständlich<br />

kam es mir vor, dass ich mit <strong>Olivia</strong> zusammenlebte. Dass ich es<br />

gedacht und auch wirklich so empfunden hatte, ich habe keine Lust und spüre<br />

kein Verlangen mehr, wusste ich zwar, aber vorstellen konnte ich es mir nicht<br />

mehr. „Wenn wir uns tief ge<strong>liebt</strong> haben, das war doch zweifellos so, dann siehst<br />

du <strong>nur</strong> noch den anderen Menschen, seine Taten sind unbedeutendes Beiwerk.<br />

Maria, meine Mutter und vor allem Leo würden niemals sagen, sie könnten<br />

mich nicht mehr lieben, weil ich mein Verhalten so oder so verändert hätte. <strong>Die</strong><br />

Liebe erkennt <strong>nur</strong> den Menschen und <strong>liebt</strong> ihn, alles andere ist Oberfläche und<br />

hat auf die Liebe keinen Einfluss.“ erklärte <strong>Olivia</strong>. Ich war folglich der dem<br />

Oberflächenfetischismus Verhaftete. Es ließ mich nachdenken. Hatte ich <strong>Olivia</strong>s<br />

Bild ein Klischee verpasst, dass mir nicht gefiel, es mit <strong>Olivia</strong> identifiziert und<br />

erklärt „Ich liebe dich nicht.“? Warum war mir nie bewusst geworden, dass wir<br />

uns gegenseitig so tief verstanden hatten, längst an einem Punkt gewesen waren,<br />

an dem man nicht mehr sagen konnte: „<strong>Die</strong>sen Menschen liebe ich nicht.“<br />

Vielleicht war das die Form, in der mein Unbewusstes Selbsthass praktiziert<br />

hatte, indem es mir aufoktroyierte, nicht mehr lieben zu können. Bestimmt war<br />

im Verlöschen der Oberfläche, auch eine Erklärung dafür finden, warum ich <strong>Olivia</strong><br />

plötzlich wieder als das höchste Gut der Welt für mich sah. Das wirkliche<br />

Leben, <strong>Olivia</strong> leiden zu sehen, hatte alle dummen Klischees im Moment aufgelöst<br />

und unwirksam werden lassen. Unsere frühere Situation war nicht zurückgekehrt,<br />

aber ich empfand jetzt so, als ob ich ohne <strong>Olivia</strong> nicht mehr sein könne.<br />

Dass <strong>Olivia</strong> meinte, mir zu gehören, konnte ich jedoch nicht ertragen. Ob<br />

es <strong>nur</strong> eine Alkoholphantasie war, musste ich doch klären. „Kein Mensch gehört<br />

sich allein, Henry. Niemand ist so, wie er im Uterus seiner Mutter war. Jede und<br />

jeder ist ein Produkt der ihn umgebenden Welt. Vor allem haben dich die persönlichen<br />

Beziehungen geformt. Von jedem gehört ein großer Teil seiner Mutter,<br />

vieles von mir gehört Maria und vor allem natürlich Henry und der Mann,<br />

dem ich gehöre, der mich Liebe erfahren lassen hat, bist du. All die Menschen,<br />

denen du gehörst haben dich, deine Person geformt, haben das aus dir gemacht<br />

was dich ausmacht. Du bist sie, gehörst ihnen auch. Das ist geschehen,<br />

und nichts davon kannst du je wieder rückgängig machen.“ löste <strong>Olivia</strong> es auf.<br />

„Dann musst du aber Obacht geben auf dich, kannst nicht einfach für dich entscheiden,<br />

dass du dich ihnen entziehen willst.“ meinte ich dazu. „Genauso wenig<br />

wie ich mir vorstellen kann, das Leo sagt, er wolle mit mir nichts mehr zu<br />

tun haben, war es für mich auch bei dir. Einen schlimmeren Verlust kann es,<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 39 von 41


glaube ich, für einen Menschen nicht geben, als wenn dir jemand seine Liebe<br />

entzieht. <strong>Die</strong> erste, die deshalb dem Alkohol verfallen ist, bin ich sicher nicht.<br />

Der Teufel verspricht dir immer wieder aufs neue, jetzt direkt deine Trauer über<br />

den Verlust zu trösten.“ erklärte <strong>Olivia</strong>.<br />

Danke, Henry<br />

In Berlin erholte <strong>Olivia</strong> sich rapide. Fast jeden Abend besuchten wir ein Konzert<br />

oder eine andere Musikveranstaltung. <strong>Olivia</strong> meinte, dass mich mein Empfinden<br />

für Musik und die Liebe dazu einen anderen Menschen sein ließe. „Deine<br />

Harmonien haben für dich eine besondere Gewichtung, vielleicht kannst du die<br />

Spärenklänge wahrnehmen und bist zu kosmischer Harmonie gelangt. Bestimmt<br />

habe ich das sofort an dir erkannt, konnte es nicht benennen, aber seine<br />

Faszination habe ich direkt gespürt und konnte mich ihr nicht entziehen.“<br />

erklärte <strong>Olivia</strong> und wir lachten. Wir lachten oft und gern. <strong>Olivia</strong>s Physiognomie<br />

erlangte zusehends wieder ihr früheres Aussehen und sie gewann an Selbstbewusstsein<br />

und Ausstrahlungskraft. Einer Auferstehung war es nicht unähnlich.<br />

Alle kamen, die wieder lebendige <strong>Olivia</strong> besuchen. Mit ihrer Mutter lag sie sich<br />

lange weinend in den Armen. „Es ist, als ob du ein zweites mal geboren wärst.“<br />

sagte sie, „<strong>nur</strong> dauerten die Schmerzen diesmal viel, viel länger. Wie Todesqualen<br />

und nicht wie Geburtsschmerzen kamen sie mir ja auch immer vor.<br />

Aber du hattest einen großartigen Geburtshelfer.“ Jetzt konnte sie lächeln. Leos<br />

Mutter war lustig und brachte ihre Freude über <strong>Olivia</strong>s Genesung durch Albernheiten<br />

und Späße mit ihr zum Ausdruck. <strong>Die</strong> Fähigkeiten dazu und die Lust<br />

daran hatte <strong>Olivia</strong> bestimmt von ihr. Sie war ja auch fast <strong>Olivia</strong>s Mutter gewesen.<br />

Ihre Mütter hatten sich über ihre dicken Bäuche kennengelernt und waren<br />

innigste Freundinnen geworden. In ihrer Freundschaft und der Freude über die<br />

heranwachsenden Kinder, waren die Männer schon bald überflüssig geworden,<br />

sodass Leo und auch <strong>Olivia</strong> ihre Väter <strong>nur</strong> von gelegentlichen Besuchen kannten.<br />

Vielleicht hatte ich für <strong>Olivia</strong> ja auch ein wenig von dem, wie sie sich ihren<br />

Wunschvater vorstellen würde. Leo konnte alles gar nicht fassen. Er herzte und<br />

befühlte <strong>Olivia</strong> immer wieder, und ihr Lächeln erweckte den Eindruck, als ob es<br />

auch ein wenig von Stolz in sich trüge. Leo weinte beim Abschied und sagte intensiv<br />

und bedeutungsschwer mehrmals: „Danke, Henry, danke, danke.“ Maria<br />

besuchten wir im Sommer in Portugal. „Ich habe ja immer alles gewusst.“ erklärte<br />

<strong>Olivia</strong>, „Alle haben immer gesagt: „Tu dies, mach jenes.“, aber das Problem<br />

war, dass ich nichts machte, nichts machen konnte. für mein eigenes Problem<br />

mich handlungsunfähig fühlte. Ich hätte jemanden gebraucht, der mich<br />

wie ein Kind an die Hand genommen hätte und mit mir zum Onkel Doktor gegangen<br />

wäre. Leo hat das getan. Er versteht mich eben am besten, auch wenn<br />

ich längst zu Schrott verkommen bin, er <strong>liebt</strong> mich am meisten.“ „So wird es<br />

sein, meine Liebste.“ bestätigte ich lachend. Während Maria nicht ganz ernst<br />

bemerkte: „Du bist ihm verfallen, <strong>Olivia</strong>.“ „Kann schon sein.“ meinte die, „Wir<br />

sind uns beide verfallen, Henry, nicht wahr?“ Ich nickte <strong>nur</strong> grinsend Bestätigung.<br />

FIN<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 40 von 41


Par notre manière de penser et nos<br />

attitudes, nous construisons notre<br />

bonheur ou notre malheur.<br />

Paul Verlaine<br />

Auch wenn das Bedürfnis nach sexueller<br />

Befriedigung nicht aus sozialen<br />

Zusammenhängen resultiert, stört es die<br />

Liebe doch nicht sondern erweitert sie<br />

eher.“ argumentierte ich. <strong>Olivia</strong> hörte mir<br />

stumm zu und fixierte mich. „Ich mag<br />

dich, Henry, sehr.“ sagte sie nach längerer<br />

Pause. <strong>Die</strong> dunklen Augen suchten meine.<br />

Ernst schaute sie mich an, aber ihre Lippen<br />

umspielte doch ein Ausdruck von<br />

Freundlichkeit. <strong>Die</strong> geöffneten Finger der<br />

linken Hand fuhren leicht streichend über<br />

ihre linke Wange. Worüber dachte <strong>Olivia</strong><br />

nach? Plötzlich erklärte sie: „Ein Geheimnis<br />

habe ich auch, aber es ist wohl besser, das<br />

nicht zu erzählen.“ Ich scherzte und wollte<br />

es ihr entlocken, aber <strong>Olivia</strong> blieb ganz<br />

ernst. „Erzählen möchte ich es im Grunde<br />

schon, und wem sonst, wenn nicht dir.“ erklärte sie, die immer lächelte oder lachte,<br />

mit ernster Mimik. „Ich kann es dir aber <strong>nur</strong> unter der Bedingung erzählen, dass wir<br />

es anschließend sofort wieder vergessen, als ob wir nichts gehört hätten, wie ein Bild,<br />

das nach dem Anschauen ausgewischt wird.“ forderte <strong>Olivia</strong>. „Ja, natürlich.“ stimmte<br />

ich hastig zu in Spannung auf das, was ich zu hören bekäme. „Henry, ich habe zu<br />

niemandem so enge soziale Beziehungen wie zu dir, wir treffen uns häufig, du lässt<br />

mich an allem Möglichen teilhaben und besprichst alles mit mir. Das gefällt mir sehr.<br />

Ich freue mich schon vorher darauf, mit dir zusammen zu sein. Eine<br />

Wohlfühlatmosphäre verspüre ich. <strong>Die</strong> milde Sonne von Jericoacoara erwärmt uns<br />

leicht. Ich suche deine Nähe, Henry, und ich weiß, dass ich dir nicht fern bin. Du<br />

trägst mich gern in deinen Gedanken. <strong>Die</strong> Geschichte von der Campesina war nett,<br />

aber bedeutsamer war wie du mich so früh schon in deinen Gedanken bewegtest. Wir<br />

mögen uns nicht <strong>nur</strong>, wir suchen uns. Wenn wir uns nicht schon die Gedanken daran<br />

verbieten müssten, würden uns unsere Gefühle sagen, dass es zwischen uns ist wie<br />

bei Ver<strong>liebt</strong>en. Ich spüre das stark, möchte dich gern berühren, dich streicheln und<br />

küssen, so wie vorhin. Ja, ich möchte zärtlich zu dir sein, überall. Wünsche mir, dass<br />

du mich berührst, mich streichelst. Ich stelle mir vor, wie wir uns liebkosend<br />

gemeinsam im Bett lägen. Mit dem Sex, das käme schon irgendwann. Das kann man<br />

sich ja nicht vorstellen, das muss man erleben, nicht wahr?“ <strong>Olivia</strong>s Geheimnis. Ich<br />

hatte kein Wort gesagt, wusste nicht was ich hörte. Bei den letzten Sentenzen hatte<br />

ich mir eine Hand vor die Augen gehalten, wohl um jegliche mimische Reaktion zu<br />

verbergen. Ich schluckte und fragte <strong>Olivia</strong>: „Du wirst das sofort vergessen haben?<br />

Nein, wohl eher nicht. Vergessen kann ich es auch nicht, <strong>Olivia</strong>.“<br />

<strong>Olivia</strong> <strong>Die</strong> <strong>Frau</strong> <strong>liebt</strong> <strong>nur</strong> <strong>einmal</strong> – Seite 41 von 41

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