Download E-book kostenlos - Yasmin Verschure
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Der Tag beginnt früh. Morgens um 3.30 Uhr werden wir zur täglichen Meditation<br />
geweckt. Danach kann man chanten, was soviel bedeutet wie das Singen der Mantras<br />
im Tempel. Zeit für Chai: indischer Tee, sich einen Text aus Guru Gita anhören und<br />
dann: Seva, Dienstbarkeit durch Arbeit. Arbeit auf meditative Weise ebnet den Weg zu<br />
Gott, Arbeit adelt! Wir haben mehr als vier Stunden Seva in dieser lebhaften Zeit. Nach<br />
dem Mittagessen ist Ruhezeit, nach der wieder gechantet werden kann und dann<br />
beginnt die Mittagseva. Selbstverständlich fehlen Abendessen und Abendprogramm<br />
auch nicht. Kurzum, man braucht sich nicht zu langweilen. In dieser Periode kann man<br />
den Tempel Tag und Nacht benutzen. Dort befindet sich eine gewaltige Energie. Wenn<br />
man müde ist lädt sich deine Batterie hier sofort wieder auf.<br />
Meine Seva ist schwer! Zwei Mal pro Tag zwei ein halb Stunden abwaschen. Ich stehe<br />
über großen Eimern mit heißem Wasser gebeugt, eine wenig komfortable Haltung bei<br />
amerikanischem Tempo und einer Außentemperatur von ungefähr fünf und dreißig<br />
Grad. Das hält mein Rücken letztendlich nicht aus. Nach ein paar Tagen frage ich um<br />
eine leichtere Seva und darf ich Säfte pressen. Im Vergleich zur vorigen Arbeit ein<br />
Kinderspiel! Unsere Kleidung muss in die Wäscherei. Angesichts dessen, dass diese<br />
völlig überbelastet ist sehe ich mich gezwungen, meine Kleidung täglich selbst<br />
auszuwaschen und über meiner Bettstange trocknen zu lassen. Ich habe nun mal<br />
keinen Koffer voll Reservekleidung.<br />
Es geschieht viel mit mir. Weil die Energie so sauber ist, fungiert meine Umgebung wie<br />
ein glasklarer Spiegel, wodurch ich an Ort und Stelle all meine Schwächen aufgetischt<br />
bekomme. Alte Widerstände tauchen auf, aber auch die Absicht und das Verlangen sie<br />
zu überwinden. Frustration macht sich bemerkbar, das Bedürfnis zu urteilen. Ich<br />
möchte mich gegen alle Regeln und Strukturen und gegen die amerikanische Disziplin<br />
widersetzen. Es sind zwei so unterschiedliche Welten die hier aufeinanderstoßen, wobei<br />
ich zweifellos von beiden einen Teil in mir trage.<br />
Ich verbringe viele Stunde in der Grotte und im Meditationsgarten. Diese Plätze sind<br />
nicht nur für meine Meditationen geeignet, hier arbeite ich auch an meinem Tagebuch.<br />
Ich probiere objektiv nach mir selbst zu schauen und die Lektionen zu lernen und zu<br />
integrieren die in mir auftauchen. Rauchen ist im Ashram verboten, deshalb gehe ich<br />
ab und zu auf die Straße um meine Zigarette zu rauchen. Es ist eine ausgezeichnete<br />
Ausrede um mich von der Masse abzusondern und um mich in meinen eigenen<br />
Lebensraum zurück zu ziehen. Ich genieße das Straßenleben, alle farbenfrohen Frauen<br />
in ihren prachtvollen Saris und die Männer in ihren Dotis. Auf einmal befinde ich mich<br />
zwischen einer Gruppe Demonstranten und der Polizei. Ich fühle mich in keinster<br />
Weise bedroht, ich bin nur neugierig. Es wird gegen die niedrigen Löhne im Ashram<br />
demonstriert. Man holt mich von der Straße, im Ashram wird man nicht geachtet sich<br />
für Politik zu interessieren und dieser Vorfall wird mir nicht in Dank abgenommen!<br />
Selbstverständlich gehe ich ab und zu ins Dorf und begegne den Lepraleidenden und<br />
Bettlern. Einerseits appellieren sie an mein Mitleidsgefühl und andererseits empfinde<br />
ich ihnen gegenüber Abscheu. Wie anders ich dies empfinden werde bei meinem<br />
zweiten Besuch in Indien. Dann habe ich bereits gelernt durch die Äußerlichkeiten<br />
hindurch zu sehen und von der innerlichen Schönheit, dem göttlichen Funken in jedem<br />
Menschen, zu genießen.<br />
Neben seiner geistlichen Aufgabe übernimmt der Ashram die medizinische Versorgung<br />
und Ernährung der Leprapatienten und Kranken auf sich. Ich finde es herrlich barfuß<br />
durch den Heiligen Fluss zu waten und am Heißwasserbrunnen, an dem immer ein<br />
paar Sadhus meditieren, ein Fußbad zu nehmen.<br />
Für den Mahapuja leihe ich mir einen Sari von einer meiner Reisegefährtinnen. Bei<br />
dieser speziellen Puja für Frauen wird das heilige Feuer an Gott aufgetragen. Ein Sari<br />
ist diesmal Pflicht, ich trage ihn mit königlichem Gefühl. Die Puja ist<br />
<strong>Yasmin</strong> <strong>Verschure</strong> 16/166 Met een open Hart