Strafanzeige und Strafprozess - Strafverteidiger|büro
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"Aber Sie haben doch damals der Polizei gesagt, dass Sie die Geschwindigkeit<br />
des entgegenkommenden Autos als sehr hoch eingeschätzt haben!"<br />
Der unerfahrene Zeuge sieht sich hier häufig in Bedrängnis. Ihm wird vom<br />
Fragesteller nahegelegt, entgegen der bisher in der Hauptverhandlung<br />
gemachten Aussage nochmals das zu bestätigen, was er vor Monaten bei der<br />
Polizei gesagt hat. Schließlich hat er damals seine Aussage unterschrieben. Er<br />
will nicht in den Verdacht geraten, damals etwas Falsches unterschrieben zu<br />
haben. Dieser Druck wird größer, wenn er genüsslich gefragt wird: "Ist das hier<br />
auf dem polizeilichen Protokoll Ihre Unterschrift?" Nur der selbstbewusste Zeuge<br />
wird sich hier aus der Bedrängnis befreien können. Er muss allein sich, seiner<br />
Wahrnehmungsfähigkeit <strong>und</strong> seiner Erinnerung vertrauen, will er sich nicht<br />
einfach zum Werkzeug eines anderen machen lassen.<br />
Denn Widersprüche zwischen verschiedenen Aussagen sind denkbar. Sie finden<br />
eine<br />
natürliche Erklärung , ohne dass der Zeuge gleich in einer der sich<br />
widersprechenden Aussage gelogen haben muss.<br />
Eine Erklärung ist, dass normalerweise das<br />
Gedächtnis mit der Zeit<br />
nachlässt .<br />
Der Zeuge hat sich möglicherweise bei der polizeilichen Vernehmung noch an<br />
Dinge erinnert, die zwischenzeitlich seinem Gedächtnis entschw<strong>und</strong>en sind. Auch<br />
wenn diesem Gedächtnis durch den Vorhalt auf die Sprünge geholfen werden<br />
soll, bleibt in der Hauptverhandlung beim Zeugen unter Umständen nur ein<br />
schwarzes Loch. Er darf nur das sagen, woran er sich noch erinnert, <strong>und</strong> das ist<br />
unter Umständen nichts.<br />
Eine Abweichung der Zeugenaussage in der Hauptverhandlung zum polizeilichen<br />
Protokoll kann auch eine andere Ursache haben. In der Hauptverhandlung hat<br />
jeder die Worte gehört, die der Zeuge selbst gewählt hat. Dagegen beruht das<br />
polizeiliche Protokoll auf den Formulierungen des Polizeibeamten . Hierin können<br />
Widersprüche enthalten sein, die der Zeuge aus seiner Sicht nie so gesehen hat.<br />
Solche Widersprüche entdeckt erst ein nachbohrender Richter oder Verteidiger.<br />
In diesem Fall sollte sich der Zeuge von niemandem auf eine polizeiliche<br />
Formulierung festlegen lassen. Er sollte lieber in die Offensive gehen <strong>und</strong><br />
zugeben, dass ihm seinerzeit bei der Polizei die jetzt aufgedeckte Ungenauigkeit<br />
der Aussage entgangen ist.