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Die Technik des Gründungsgeschäfts in der Hochindustrialisierung

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<strong>Die</strong> <strong>Technik</strong> <strong>des</strong> <strong>Gründungsgeschäfts</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Hoch<strong>in</strong>dustrialisierung *<br />

von<br />

Carsten Burhop<br />

Universität Münster<br />

Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät<br />

Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />

Domplatz 20-22, 48143 Münster<br />

Email: burhop@uni-muenster.de<br />

2. Mai 2006<br />

*<br />

Bedanken möchte ich mich bei Annika Petersen und Mar<strong>in</strong>a Boland für ihre Unterstützung bei <strong>der</strong> Anfertigung<br />

dieses Beitrags.


2<br />

Zusammenfassung:<br />

In diesem Beitrag wird die Entwicklung von Neu- und Umgründungen von Unternehmen <strong>in</strong><br />

Aktiengesellschaften und <strong>der</strong>en Gang an die Börse untersucht (Gründungsgeschäft).<br />

Beson<strong>der</strong>s berücksichtigt werden dabei die wesentlichen Rechtsnormen<br />

(Aktiengesetzesnovellen von 1870 und 1884, Börsengesetz von 1896), ihre wirtschaftliche<br />

und rechtliche Bedeutung sowie die wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen zwischen<br />

Emittent und e<strong>in</strong>führendem Bankkonsortium. Außerdem werden die wirtschaftlichrechtlichen<br />

Beziehungen <strong>in</strong>nerhalb von Bankkonsortien untersucht.<br />

<strong>Die</strong> nahezu vollständige rechtliche Freiheit <strong>des</strong> <strong>Gründungsgeschäfts</strong> wurde zunehmend durch<br />

Gesetze, die vor allem dem Anlegerschutz dienten, e<strong>in</strong>geschränkt. Das Plazierungsrisiko<br />

wurde meistens vom Emittenten auf das e<strong>in</strong>führende Bankenkonsortium übertragen. Innerhalb<br />

von Bankenkonsortien wurden Risiken durch Vergabe von Konsortialbeteiligungen auf<br />

zahlreiche Emissionshäuser verteilt.<br />

Anzahl <strong>der</strong> Wörter: 7.851<br />

Schlagwörter:<br />

F<strong>in</strong>anzgeschichte; Deutschland bis 1913; Gründungsgeschäft; Erstemission


3<br />

I. E<strong>in</strong>leitung<br />

Im mo<strong>der</strong>nen Bankgeschäft umfaßt das Gründungsgeschäft die Fremdkapitalf<strong>in</strong>anzierung<br />

neuer Unternehmen durch Kredite, die Vermittlung von Risikokapital und die Vermittlung<br />

von Eigenkapital, zum Beispiel durch die Emission von Aktien. H<strong>in</strong>zu treten zahlreiche<br />

Beratungsleistungen, beispielsweise h<strong>in</strong>sichtlich Wahl <strong>der</strong> Unternehmensform o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

F<strong>in</strong>anzstruktur. 1 In <strong>der</strong> Zeit vor dem Ersten Weltkrieg h<strong>in</strong>gegen be<strong>in</strong>haltete das<br />

Gründungsgeschäft ausschließlich die Gründung von Aktiengesellschaften und die damit<br />

verbundene Vermittlungsleistung <strong>der</strong> Kreditbanken beim Gang an die Börse. 2<br />

Zeitgenössische Autoren bezeichneten die Gründung von gänzlich neuen Unternehmen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Rechtsform <strong>der</strong> Aktiengesellschaft sowie die Umwandlung bestehen<strong>der</strong> Unternehmen <strong>in</strong> diese<br />

Rechtsform als Gründungsgeschäft. Als Gründungsgeschäft <strong>der</strong> Banken konnte es jedoch nur<br />

bezeichnet werden, wenn auf die Schaffung e<strong>in</strong>er Aktiengesellschaft <strong>der</strong> Gang an die Börse<br />

folgte. <strong>Die</strong> Erstemission von Aktien gehörte zum Emissionsgeschäft <strong>der</strong> Banken, welches <strong>des</strong><br />

weiteren das Emissions- und Konvertierungsgeschäft von Staats- und Kommunalanleihen<br />

sowie Industrie- und Eisenbahnobligationen und die Emission von Aktien aus<br />

Kapitalerhöhungen umfaßte. 3 H<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>er quantitativen Bedeutung stand das<br />

Gründungsgeschäft weit h<strong>in</strong>ter dem Anleihengeschäft zurück und auch die Plazierung von<br />

Aktien aus Kapitalerhöhungen war wichtig. 4 Zwischen 1883 und 1914 wurden Wertpapiere<br />

mit e<strong>in</strong>em Kurswert von rund 67,3 Milliarden Mark (<strong>in</strong> laufenden Preisen) am deutschen<br />

Kapitalmarkt emittiert. Davon entfielen lediglich 15 Milliarden Mark auf Aktien <strong>in</strong>ländischer<br />

Gesellschaften. 5<br />

Das Gründungsgeschäft hob sich vor allem aufgrund <strong>der</strong> hohen Gew<strong>in</strong>nmöglichkeiten und<br />

se<strong>in</strong>er Komplexität von den an<strong>der</strong>en Emissionsgeschäften ab. Beispielsweise war die Wahl<br />

1<br />

Vgl. Wilfried Eckert, Das Gründungsgeschäft <strong>der</strong> Banken. Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1990.<br />

2<br />

Vgl. Siegfried Wolff, Das Gründungsgeschäft im deutschen Bankgewerbe. Stuttgart und Berl<strong>in</strong> 1915; Adolf<br />

Thiwissen, Das Emissionsgeschäft. Krefeld 1900; Franz Josef Pfleger / Ludwig Gschw<strong>in</strong>dt, Börsenreform <strong>in</strong><br />

Deutschland. Stuttgart 1897; Walther Lotz, <strong>Die</strong> <strong>Technik</strong> <strong>des</strong> deutschen Emissionsgeschäfts: Anleihen,<br />

Koversionen und Gründungen. Leipzig 1890. Es sei darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß neben Banken an<strong>der</strong>e<br />

Kapitalvermittlungsstellen tätig waren. <strong>Die</strong>se begleiteten vor allem Eisenbahn- und Versorgungsunternehmen<br />

bei ihrem Gang an die Börse, vgl. dazu Max Jörgens, F<strong>in</strong>anzielle Trustgesellschaften. Stuttgart 1902.<br />

3<br />

Vgl. He<strong>in</strong>rich Sattler, <strong>Die</strong> Effektenbanken. Leipzig 1890, Kapitel 3 bis 6.<br />

4<br />

Aus Sicht <strong>des</strong> Emittenten gehört die Ausgabe von Aktien <strong>in</strong> den Bereich <strong>der</strong> Unternehmensf<strong>in</strong>anzierung. Unser<br />

Kenntnisstand zur Industrief<strong>in</strong>anzierung aus Sicht <strong>der</strong> Unternehmen ist noch sehr ger<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung kle<strong>in</strong>erer und mittlerer Unternehmen. E<strong>in</strong>en guten Überblick geben Harald<br />

Wixforth, Industriekredit und Kapitalmarktf<strong>in</strong>anzierung zwischen Reichsgründung und Weltwirtschaftskrise,<br />

<strong>in</strong>: Hanna Floto-Degener (Hg.), Bankkredit o<strong>der</strong> Kapitalmarkt: Alternativen <strong>der</strong> Industrief<strong>in</strong>anzierung <strong>in</strong><br />

Deutschland, Stuttgart 2002, S. 15-38 und Toni Pierenkemper, Unternehmensgeschichte, Stuttgart 2000,<br />

Kapitel 2.2.<br />

5<br />

Berechnet nach Karl Christian Schaefer, Deutsche Portfolio<strong>in</strong>vestitionen im Ausland 1870-1914, Münster<br />

1995, S. 578 f.


4<br />

<strong>des</strong> richtigen, den Absatz <strong>der</strong> Emission sichernden Emissionskurses bei Aktien aus<br />

Kapitalerhöhungen o<strong>der</strong> bei Anleihenplazierungen e<strong>in</strong>fach, denn er konnte sich am Kurs <strong>der</strong><br />

gehandelten Aktien o<strong>der</strong> am Marktz<strong>in</strong>ssatz für vergleichbare Anleihen orientieren. Bei<br />

neugegründeten Aktiengesellschaften herrschte h<strong>in</strong>gegen große Unsicherheit h<strong>in</strong>sichtlich <strong>des</strong><br />

zukünftigen Gew<strong>in</strong>ns <strong>der</strong> neuen Gesellschaft und damit <strong>des</strong> erzielbaren Emissionspreises.<br />

Aus Sicht <strong>der</strong> neugeschaffenen Aktiengesellschaft stellte die Emission den Abschluß<br />

zahlreicher vorgelagerte Aktivitäten dar, denn bevor die Emission angegangen werden<br />

konnte, mußten die wirtschaftlichen Grundlagen <strong>des</strong> neuen Unternehmens gelegt und die<br />

rechtlichen Voraussetzungen für Unternehmensgründung und Emission geschaffen werden.<br />

Bei diesen Schritten waren Banken allenfalls <strong>in</strong> beraten<strong>der</strong> Funktion tätig. Bildete für das<br />

neue Unternehmen die Emission den Abschluß <strong>des</strong> Gründungsaktes, so bildete die Emission<br />

für die beteiligten Banken erst den Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Geschäftsbeziehungen. Insbeson<strong>der</strong>e die<br />

Führungsbank <strong>des</strong> Emissionskonsortiums hoffte nach dem Börsengang zur Hausbank <strong>der</strong><br />

neuen Aktiengesellschaft zu werden. <strong>Die</strong>s schlug sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zahlstellenfunktion<br />

<strong>der</strong> Führungsbank nie<strong>der</strong>: Dividendensche<strong>in</strong>e <strong>der</strong> neuen Aktiengesellschaft konnten <strong>in</strong> den<br />

Folgejahre regelmäßig bei <strong>der</strong> Führungsbank <strong>des</strong> Emissionskonsortiums e<strong>in</strong>gelöst werden.<br />

Der vorliegende Beitrag behandelt ausschließlich die Abwicklung <strong>des</strong> Börsenganges durch<br />

die Banken, woh<strong>in</strong>gegen die dem Börsengang vorhergehende Beratungsleistung und die<br />

Folgen für die langfristigen Geschäftsbeziehungen zwischen Bank und neuer<br />

Aktiengesellschaft nicht berücksichtigt werden. Zunächst werden die wichtigsten<br />

Rechtsnormen und <strong>der</strong>en Entwicklung zwischen 1870 und 1913 dargestellt. Im<br />

darauffolgenden Abschnitt wird untersucht, wie viele Aktiengesellschaften zwischen 1871<br />

und 1913 im Deutschen Reich gegründet wurden und wie viele davon an die Börse g<strong>in</strong>gen.<br />

Zudem werden die Aktiengesellschaften bzw. Börsenneul<strong>in</strong>ge nach verschiedenen<br />

Charakteristika differenziert: <strong>in</strong> welchen Bereichen waren die Gesellschaften tätig, wie groß<br />

war das Aktienkapital <strong>der</strong> Börsenneul<strong>in</strong>ge und wie alt waren die Unternehmen zum Zeitpunkt<br />

<strong>des</strong> Börsenganges. Es folgt die Darstellung <strong>des</strong> Emissionsgeschäfts selbst, vor allem die<br />

Verteilung <strong>des</strong> Emissionsrisikos zwischen Emittent und Bank und die Risikoallokation<br />

<strong>in</strong>nerhalb von Bankenkonsortien sowie die Absatztechnik <strong>der</strong> neuen Aktien an <strong>der</strong> Börse. Des<br />

weiteren soll untersucht werden, ob die gewählten Emissionspreise dem wahren Wert <strong>der</strong><br />

Aktie entsprachen o<strong>der</strong> ob Kursbewegungen am ersten Handelstag auf falsche Preissetzung<br />

durch das Bankenkonsortium o<strong>der</strong> Kurspflegemaßnahmen durch dieses h<strong>in</strong>weisen.


II. Regulierung <strong>des</strong> <strong>Gründungsgeschäfts</strong><br />

5<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1870er Jahre verstand man unter e<strong>in</strong>er Aktiengesellschaft e<strong>in</strong>en „Vere<strong>in</strong>,<br />

welcher mit e<strong>in</strong>em bestimmten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e gegebene Anzahl Theile (Actien) zerlegte Capitale <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Art gegründet ist, daß die regelmäßig übertragbare Mitgliedschaft <strong>in</strong> demselben zunächst<br />

durch Übernahme (Versprechen o<strong>der</strong> Zahlung) e<strong>in</strong>es Capitalantheiles und <strong>in</strong> dem Masse, <strong>in</strong><br />

welchem solche Antheile übernommen s<strong>in</strong>d, erworben wird, während <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong> alle<strong>in</strong> als<br />

solcher, d.h. unter dem von ihm angenommenen Namen, für die Erreichung <strong>der</strong><br />

Gesellschaftszwecke thätig ist und durch se<strong>in</strong>e Handlungen nur das Gesellschaftsvermögen<br />

obligiert.“ 6 Charakteristisch für die Aktiengesellschaft waren somit die Unterteilung <strong>des</strong><br />

Gesamtkapitals <strong>in</strong> Bruchteile, so daß kle<strong>in</strong>ere Beträge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft vere<strong>in</strong>t werden<br />

konnten; die Haftungsbegrenzung auf den Nom<strong>in</strong>albetrag <strong>der</strong> Aktien; die e<strong>in</strong>fache<br />

Handelbarkeit und damit hohe Liquidität <strong>der</strong> Aktie; die Delegation <strong>der</strong> Geschäftsleitung an<br />

die Gesellschaft.<br />

Kurz vor Gründung <strong>des</strong> Deutschen Reichs wurde die Errichtung von Aktiengesellschaften am<br />

10. Juni 1870 im Norddeutschen Bund freigegeben. Mit Gründung <strong>des</strong> Reichs g<strong>in</strong>g die<br />

liberale Rechtsnorm auf das junge Reich über. Vor <strong>der</strong> Reform von 1870 war <strong>in</strong> vielen<br />

deutschen Staaten, vor allem <strong>in</strong> Preußen, e<strong>in</strong>e staatliche Konzession zur Errichtung von<br />

Aktiengesellschaften notwendig. 7 Da diese nur selten erteilt wurde – <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e wenn e<strong>in</strong><br />

öffentliches Interesse an <strong>der</strong> Aktiengesellschaft bestand o<strong>der</strong> wenn das Kapital für die<br />

geplante Unternehmung nur durch e<strong>in</strong>e Aktiengesellschaft aufgebracht werden konnte – gab<br />

es <strong>in</strong> Deutschland bei Gründung <strong>des</strong> Deutschen Reichs nur sehr wenige Aktiengesellschaften. 8<br />

Nach <strong>der</strong> Reform konnten im Reich Aktiengesellschaften ohne E<strong>in</strong>schränkung gegründet<br />

werden und dies wurde <strong>in</strong> großer Zahl getan, was <strong>der</strong> Periode 1871 bis 1873 die Bezeichnung<br />

„Grün<strong>der</strong>zeit“ e<strong>in</strong>brachte. Zwar kannten Zeitgenossen den Begriff <strong>des</strong> Grün<strong>der</strong>s, aber das<br />

Gesetz kannte ihn nicht. Alle Regelungen <strong>des</strong> neuen Gesetzes betrafen bestehende<br />

Gesellschaften, nicht Gesellschaften <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entstehungsphase. <strong>Die</strong> Wahl <strong>der</strong><br />

Unternehmensform, die Höhe <strong>des</strong> notwendigen Kapitals, die Bewertung von <strong>in</strong> die<br />

Gesellschaft durch die Grün<strong>der</strong> e<strong>in</strong>gebrachten Sache<strong>in</strong>lagen, die Wahl <strong>des</strong> Partners bei <strong>der</strong><br />

6 Achilles Renaud, Das Recht <strong>der</strong> Actiengesellschaften. Leipzig 2 1875, S. 74 f.<br />

7 In Preußen unterlagen Aktiengesellschaften seit 1843 <strong>der</strong> Konzessionspflicht, <strong>in</strong> Bremen und Hamburg<br />

h<strong>in</strong>gegen war die Gründung von Aktiengesellschaften freigestellt, <strong>in</strong> Sachsen wurde die Konzessionspflicht<br />

bereits am 15. Juni 1861 aufgehoben. Vgl. Klaus J. Hopt, Ideelle und wirtschaftliche Grundlagen <strong>der</strong> Aktien-,<br />

Bank- und Börsenrechtsentwicklung im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, <strong>in</strong>: Helmut Co<strong>in</strong>g / Wilhelm Walter (Hg.),<br />

Wissenschaft und Kodifikation <strong>des</strong> Privatrechts im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, Band 5:Geld und Banken. Frankfurt am<br />

Ma<strong>in</strong> 1980, S. 128-168. E<strong>in</strong>en sehr guten Überblick über die Regulierung <strong>der</strong> Effektenbörse gibt Ra<strong>in</strong>er<br />

Gömmel, Entstehung und Entwicklung <strong>der</strong> Effektenbörse im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t bis 1914, <strong>in</strong>: Hans Pohl (Hg.),<br />

Deutsche Börsengeschichte, Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1992, S. 163 ff.<br />

8 Vgl. die Debatten im Reichstag <strong>des</strong> Norddeutschen Bun<strong>des</strong> im Jahre 1870 <strong>in</strong> <strong>der</strong> 50. und 53. Sitzung.


6<br />

Emission <strong>der</strong> Aktien und die Festlegung <strong>des</strong> Emissionspreises sowie die Verwendung<br />

etwaiger Agio aus <strong>der</strong> Emission entstanden aus Verhandlungen zwischen Grün<strong>der</strong>n und<br />

Banken. <strong>Die</strong> neue Firma, <strong>der</strong>en Organe und die ersten Investoren waren <strong>in</strong> diese Gespräche<br />

nicht mite<strong>in</strong>bezogen, außer sie waren <strong>in</strong> Personalunion als Grün<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Bankier an den<br />

Verhandlungen beteiligt. Da die Grün<strong>der</strong> dem Gesetz nicht bekannt waren und sie somit<br />

handelsrechtlich nicht sowie zivil- und strafrechtlich kaum für ihre Handlungen haftbar<br />

gemacht werden konnten, war dem Anlegerbetrug Tür und Tor geöffnet. 9 <strong>Die</strong>s schlug sich vor<br />

allem <strong>in</strong> den sogenannten Grün<strong>der</strong>rechten nie<strong>der</strong>, die <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Bezugsrechte <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong><br />

bei späteren Kapitalerhöhungen zu e<strong>in</strong>em Vorzugspreis, e<strong>in</strong>e garantierte Dividende für e<strong>in</strong>en<br />

bestimmten Zeitraum und Aufsichtsrats- o<strong>der</strong> Vorstandsmandate für e<strong>in</strong>e festgelegte Dauer<br />

umfaßten. <strong>Die</strong> Gewährung von Grün<strong>der</strong>rechten wurde mit <strong>der</strong> Aktienrechtsnovelle von 1884<br />

erschwert und bis zum Ende <strong>des</strong> Kaiserreichs hatten fast alle Gesellschaften die<br />

Grün<strong>der</strong>rechte abgeschafft. 10<br />

Mit <strong>der</strong> Aktienrechtsnovelle von 1884 wurde außerdem die Rechtsstellung <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong><br />

erstmals def<strong>in</strong>iert. Es wurde geregelt, daß m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens fünf Personen jeweils m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens e<strong>in</strong>e<br />

Aktie <strong>der</strong> neuen Gesellschaft übernehmen und die Statuten <strong>der</strong> Gesellschaft notariell o<strong>der</strong><br />

gerichtlich festhalten mußten. Wer so verfuhr war Grün<strong>der</strong>. 11 Als Grün<strong>der</strong> galt weiterh<strong>in</strong> jede<br />

Person, die Sache<strong>in</strong>lagen <strong>in</strong> die neue Gesellschaft e<strong>in</strong>brachte.<br />

E<strong>in</strong>e erste Handlung <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> und notwendiges Element zur Gründung e<strong>in</strong>er<br />

Aktiengesellschaft war <strong>der</strong> Abschluß e<strong>in</strong>es Gesellschaftsvertrages. <strong>Die</strong>ser mußte vor allem<br />

Angaben über die Höhe <strong>des</strong> Grundkapitals <strong>der</strong> Gesellschaft und den Nom<strong>in</strong>albetrag <strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>zelnen Aktie enthalten. Ferner mußten alle Grün<strong>der</strong>rechte (z.B. Vorteilsrechte bei späteren<br />

Kapitalerhöhungen, feste Gew<strong>in</strong>nanteile für e<strong>in</strong>en bestimmten Zeitraum nach <strong>der</strong> Gründung)<br />

im Gesellschaftsvertrag festgehalten werden. Brachten die Grün<strong>der</strong> Sache<strong>in</strong>lagen <strong>in</strong> die<br />

Gesellschaft e<strong>in</strong>, dann mußte e<strong>in</strong> Grün<strong>der</strong>bericht erstellt werden, <strong>der</strong> Auskunft über die<br />

Erwerbs- o<strong>der</strong> Herstellungspreise <strong>der</strong> e<strong>in</strong>gebrachten Gegenstände und <strong>der</strong>en Rentabilität <strong>in</strong><br />

den vergangenen zwei Jahren gab. 12<br />

9<br />

Vgl. zur Rechtslage zwischen 1870 und 1884 Renaud, Recht; Carl Gareis, Das deutsche Handelsrecht. Berl<strong>in</strong><br />

1880. <strong>Die</strong> wirtschaftlichen Auswirkungen <strong>des</strong> neuen Rechts werden sehr gut von Wilhelm Oechelshaeuser,<br />

<strong>Die</strong> wirthschaftliche Krisis. Berl<strong>in</strong> 1876 beschrieben.<br />

10<br />

Wolff, Gründungsgeschäft, S. 37 ff führt die im Jahre 1908/ 09 noch bestehenden Grün<strong>der</strong>rechte auf. Nach<br />

se<strong>in</strong>er Erhebung hatten von den ca. 6.000 deutschen Aktiengesellschaften noch e<strong>in</strong> Prozent Grün<strong>der</strong>rechte <strong>in</strong><br />

ihren Statuten verankert.<br />

11<br />

Vgl. zum folgenden V. R<strong>in</strong>g, Das Aktienrecht <strong>in</strong> Deutschland, <strong>in</strong>: Handwörterbuch <strong>der</strong> Staatswissenschaften,<br />

Band 1. Jena 3 1909, S. 258-263.<br />

12<br />

Vgl. zur Kontrolle <strong>des</strong> Gründungshergangs durch Vorstand, Aufsichtsrat, Revisoren und Handelskammer<br />

Wolff, Gründungsgeschäft, S. 76 ff.


7<br />

<strong>Die</strong> Gründung konnte gemäß dem Aktienrecht von 1884 als Simultangründung<br />

(E<strong>in</strong>heitsgründung) o<strong>der</strong> Sukzessivgründung (Stufengründung) erfolgen. Bei <strong>der</strong> vor allem<br />

nach 1884 wenig verbreiteten Stufen- bzw. Sukzessivgründung wurden die Aktien nicht von<br />

den Grün<strong>der</strong>n übernommen und teilweise e<strong>in</strong>gezahlt, son<strong>der</strong>n zur öffentlichen Subskription<br />

aufgelegt. <strong>Die</strong> Zeichner <strong>der</strong> Aktien mußten die Zahlung <strong>des</strong> Nom<strong>in</strong>albetrages und <strong>des</strong><br />

vere<strong>in</strong>barten Aufgel<strong>des</strong> zusichern, wobei die Zusicherung durch e<strong>in</strong>e bare Sicherheitsleistung<br />

fundiert wurde. Bei <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis vorherrschenden Simultangründung übernahmen die<br />

Grün<strong>der</strong> zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Gründung alle Aktien und zahlten – sofern ke<strong>in</strong>e entsprechenden<br />

Sache<strong>in</strong>lagen e<strong>in</strong>gebracht wurden – e<strong>in</strong> Viertel <strong>des</strong> Aktienkapitals <strong>in</strong> bar e<strong>in</strong>. 13 Wurden die<br />

Aktien über pari emittiert, dann war auch das gesamte Aufgeld <strong>in</strong> bar e<strong>in</strong>zuzahlen. Bereits im<br />

Gründungszeitraum mußten die Organe <strong>der</strong> Aktiengesellschaft (Generalversammlung,<br />

Aufsichtsrat, Vorstand) <strong>in</strong>s Leben treten wobei die – regelmäßig von den Grün<strong>der</strong>n bestellten<br />

– Aufsichtsratsmitglie<strong>der</strong> den Gründungsvorgang prüften. Wenn Aufsichtsratsmitglie<strong>der</strong><br />

Grün<strong>der</strong> waren o<strong>der</strong> ihnen an<strong>der</strong>e Vorteile aus <strong>der</strong> Gründung zuwuchsen, dann wurde<br />

zusätzlich die Prüfung <strong>des</strong> Gründungsvorganges durch externe Gutachter, die oftmals von <strong>der</strong><br />

Handelskammer berufen wurden, vorgeschrieben. <strong>Die</strong> Gesellschaft trat juristisch mit<br />

E<strong>in</strong>tragung <strong>in</strong>s Handelsregister <strong>in</strong>s Leben. Notwendig für die E<strong>in</strong>tragung waren die<br />

vollständige E<strong>in</strong>zahlung bzw. E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gung <strong>des</strong> Grundkapitals, <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>bericht, die<br />

Abrechnung über die Gründungskosten sowie die Urkunden über die Bestellung von Vorstand<br />

und Aufsichtsrat.<br />

Neben den Grün<strong>der</strong>n und den Organen <strong>der</strong> Gesellschaft kannte das Gesetz die<br />

Grün<strong>der</strong>genossen und Emittenten. Als Grün<strong>der</strong>genossen galten Personen, welche aus <strong>der</strong><br />

Gründung e<strong>in</strong>en Vorteil erlangten ohne als Grün<strong>der</strong> genannt zu werden. Auch sie hafteten<br />

gegenüber Dritten für die Ordnungsmäßigkeit <strong>der</strong> Gründung. Auch die Bank, die die Aktien<br />

an <strong>der</strong> Börse e<strong>in</strong>führte haftete für fehlerhafte Gründungen, wenn sie die Aktien <strong>in</strong>nerhalb von<br />

zwei Jahren nach E<strong>in</strong>tragung <strong>in</strong>s Handelsregister an <strong>der</strong> Börse verkaufte.<br />

<strong>Die</strong> Börsene<strong>in</strong>führung mußte von <strong>der</strong> Aktiengesellschaft bei <strong>der</strong> Zulassungsstelle <strong>der</strong><br />

jeweiligen Börse unter Angabe <strong>des</strong> Namens <strong>der</strong> e<strong>in</strong>führenden Firma (i.d.R. e<strong>in</strong>e Bank)<br />

beantragt werden. Dem Zulassungsantrag war <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e e<strong>in</strong> Prospekt beizufügen, <strong>der</strong> u.a.<br />

Auskunft über den Gesellschaftsvertrag, den Zweck <strong>der</strong> Firma, die beabsichtige Verwendung<br />

<strong>des</strong> Kapitals, den Nennbetrag <strong>der</strong> Emission, den Betrag von zunächst von <strong>der</strong> Emission<br />

ausgeschlossenen Aktienbeständen, Sicherungs- und Vorzugsrechte für bestimmte<br />

Aktiengattungen, die Namen <strong>der</strong> Vorstands- und Aufsichtsratsmitglie<strong>der</strong>, die Regeln <strong>der</strong><br />

13 Vgl. Wolff, Gründungsgeschäft, S. 73 ff. Zwischen 1885 und 1892 wurden 1.262 Aktiengesellschaften als<br />

Simultangründung geschaffen und lediglich 116 als Sukzessivgründung.


8<br />

Bilanzaufstellung und Gew<strong>in</strong>nverteilung sowie etwaig bestehende Grün<strong>der</strong>rechte, die<br />

Dividenden <strong>der</strong> letzten fünf Jahre und die Bilanz <strong>des</strong> letzten Geschäftsjahres gab. <strong>Die</strong><br />

Zulassungsstelle prüfte die Angaben im Prospekt nach formalen Gesichtspunkten,<br />

woh<strong>in</strong>gegen die Prospektwahrheit nicht Inhalt <strong>der</strong> Prüfung war. Im Verlauf <strong>der</strong> formalen<br />

Zulassungsprüfung wurde durch die Börsenzulassungsstelle beispielsweise festgestellt, ob e<strong>in</strong><br />

ausreichen<strong>des</strong> Aktienkapital vorhanden war und ob gesetzliche Fristen e<strong>in</strong>gehalten worden<br />

waren. <strong>Die</strong> Zulassung zum amtlichen Handel o<strong>der</strong> zum nichtamtlichen Verkehr war <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

beispielsweise nur für Firmen mit e<strong>in</strong>em Aktienkapital von m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens drei Millionen Mark<br />

möglich. Auch an an<strong>der</strong>en Börsen bestanden <strong>der</strong>artige Anfor<strong>der</strong>ungen an die Gesellschaften.<br />

Beispielsweise wurde <strong>in</strong> Frankfurt am Ma<strong>in</strong> e<strong>in</strong> M<strong>in</strong><strong>des</strong>tkapital von e<strong>in</strong>er Million Mark<br />

verlangt. 14 Den vielen kle<strong>in</strong>en Aktiengesellschaften war <strong>der</strong> Weg an die großen Börsen somit<br />

versperrt. Für ihre Gründung sche<strong>in</strong>t die Haftungsbegrenzung wichtiger als die<br />

Kapitalmarktf<strong>in</strong>anzierung gewesen zu se<strong>in</strong>.<br />

Auch das Börsengesetz von 1896 brachte wichtige Än<strong>der</strong>ungen für das Gründungsgeschäft<br />

mit sich. Insbeson<strong>der</strong>e war es ab dem 1. Januar 1897 unstatthaft Aktien zum Börsenhandel<br />

zuzulassen, wenn seit E<strong>in</strong>tragung <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>in</strong>s Handelsregister weniger als e<strong>in</strong> Jahr<br />

vergangen war o<strong>der</strong> wenn die erste Jahresbilanz noch nicht vorlag. In <strong>der</strong> Praxis bedeute dies,<br />

daß e<strong>in</strong> Bankenkonsortium den Börsengang gänzlicher neuer Firmen zwischenf<strong>in</strong>anzieren<br />

mußte. Da dies nur bedeutenden Kredit<strong>in</strong>stituten möglich war, soll das Börsengesetz zu e<strong>in</strong>er<br />

Konzentration auf dem Markt für Emissionsgeschäfte geführt haben. 15 Ob dies tatsächlich<br />

geschehen ist, kann jedoch bezweifelt werden, da es sich <strong>in</strong> den meisten Fällen nicht um Neu-<br />

son<strong>der</strong>n um Umgründungen gehandelt hat. Für diese Firmen war die neue E<strong>in</strong>jahresregel ohne<br />

Bedeutung.<br />

Außerdem wurde mit dem Börsengesetz die Prospekthaftung e<strong>in</strong>geführt. Bislang hafteten die<br />

e<strong>in</strong>führenden Banken lediglich bei vorsätzlichem Fehlverhalten und <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen auch bei<br />

grober Fahrlässigkeit gegenüber <strong>der</strong> Aktiengesellschaft. Gegenüber den Aktionären bestand<br />

ke<strong>in</strong>e Haftung. Rechtsgrundlage für diese Haftung war das Aktienrecht. 16 E<strong>in</strong>e<br />

Prospekthaftung gab es noch nicht, da die Prospekte bis 1896 nicht gesetzlich, son<strong>der</strong>n<br />

berufsständisch reguliert worden s<strong>in</strong>d. Das Börsengesetz schrieb nun e<strong>in</strong>en für alle<br />

Börsenplätze e<strong>in</strong>heitlichen Inhalt <strong>der</strong> Prospekte vor und legte e<strong>in</strong>e fünfjährige<br />

Prospekthaftung fest. Emittent und e<strong>in</strong>führende Bank hafteten fortan dafür, daß korrekte<br />

Angaben im Prospekt aufgeführt wurden. <strong>Die</strong>s bedeutet, daß alle Grün<strong>der</strong> und die im Prospekt<br />

14 Vgl. Pfleger / Gschw<strong>in</strong>dt, Börsenreform, S. 113 ff.<br />

15 Vgl. Pfleger, Börsenrecht, <strong>in</strong>: Handwörterbuch <strong>der</strong> Staatswissenschaften, 3 1909, S. 143-147.<br />

16 Vgl. Pfleger / Gschw<strong>in</strong>dt, Börsenreform, S. 126 ff und S. 202 ff.


9<br />

genannten Emissionsbanken für Verluste aus vorsätzlich o<strong>der</strong> grob fahrlässig verbreiteten<br />

falschen Informationen hafteten. Allerd<strong>in</strong>gs mußte <strong>der</strong> Kläger nachweisen, daß e<strong>in</strong> gefallener<br />

Aktienkurs kausal auf falsche Angaben im Prospekt zurückzuführen war. <strong>Die</strong> Haftungssumme<br />

war zudem auf die Differenz zwischen dem Ausgabe- bzw. Erwerbskurs und dem aktuellen<br />

Kurs begrenzt; Opportunitätskosten konnten nicht geltend gemacht werden.<br />

Schadenersatzansprüche konnten schließlich nur für im Inland erworbene Wertpapiere geltend<br />

gemacht werden. 17<br />

<strong>Die</strong> Gründung von Aktiengesellschaften und <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>führung an <strong>der</strong> Börse war kostspielig,<br />

nicht zuletzt aufgrund von Steuern, denn <strong>in</strong> Form von Stempelabgaben unterlag die<br />

Errichtung e<strong>in</strong>er Aktiengesellschaft bzw. die Ausgabe von Aktien und Obligationen <strong>der</strong><br />

Besteuerung <strong>des</strong> Reiches (seit 1881) und <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>staaten. Neben den<br />

Vermittlungsprovisionen <strong>der</strong> Banken, den Gebühren für technische Sachverständige und<br />

Revisoren, den Notariats- und Handelskammergebühren bildeten die Stempelabgaben e<strong>in</strong>en<br />

wesentlichen und vor allem zunehmenden Teil <strong>der</strong> Gründungskosten. 18<br />

<strong>Die</strong> Vermittlungsprovision <strong>der</strong> Bank belief sich nach zeitgenössischer Schätzung auf zwei bis<br />

fünf Prozent <strong>des</strong> Aktienkapitals <strong>der</strong> neuen Gesellschaft, die Gebühren für Sachverständige<br />

und Revisoren, Handelskammer und Notaren betrugen meist wenige tausend Mark. Bis 1913<br />

wurde durch die E<strong>in</strong>zelstaaten e<strong>in</strong> Errichtungsstempel erhoben. <strong>Die</strong>ser betrug beispielsweise<br />

<strong>in</strong> Preußen bis 1909 e<strong>in</strong> Fünftel Prozent <strong>des</strong> Nennwerts <strong>der</strong> Emission. Bis zur Verschmelzung<br />

mit <strong>der</strong> Reichsstempelabgabe im Jahre 1913 mußte ab 1909 <strong>in</strong> Preußen bei Aktienkapitalen<br />

bis fünf Millionen Mark e<strong>in</strong> Prozent <strong>des</strong> Aktienkapitals, bei e<strong>in</strong>em Aktienkapital von fünf bis<br />

zehn Millionen Mark e<strong>in</strong>-e<strong>in</strong>viertel Prozent und bei darüber liegenden Aktienkapitalien<br />

e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Prozent als Stempelabgabe abgeführt werden. H<strong>in</strong>zu trat <strong>der</strong><br />

Reichseffektenstempel, <strong>der</strong> mehrfach erhöht worden ist. Zwischen 1881 und 1894 betrug er<br />

e<strong>in</strong> halbes Prozent <strong>des</strong> Nennwerts <strong>der</strong> Emission. 1894 wurde die Reichsstempelabgabe<br />

verdoppelt und 1900 weiter auf dann zwei Prozent erhöht. Ab 1909 war e<strong>in</strong>e Abgabe <strong>in</strong> Höhe<br />

von drei Prozent vom Nennwert zu leisten. 1913 wurden die Lan<strong>des</strong>stempel und <strong>der</strong><br />

Reichsstempel zu e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen Reichsstempelabgabe <strong>in</strong> Höhe von viere<strong>in</strong>halb Prozent<br />

<strong>des</strong> nom<strong>in</strong>alen Aktienkapitals zusammengefaßt. Bankprovisionen und Steuern verursachten<br />

somit die mit Abstand größten Kosten für den Emittenten. Insgesamt dürften sich die<br />

17 Vgl. Thiwissen, Emissionsgeschäft, S. 17 f und S. 43 ff.<br />

18 Vgl. Wolff, Gründungsgeschäft, S. 23 ff zu den Gründungskosten. <strong>Die</strong> Geschichte <strong>der</strong> Börsensteuern wird von<br />

A. Meyer, <strong>Die</strong> deutschen Börsensteuern 1881-1900: Ihre Geschichte und ihr E<strong>in</strong>fluß auf das Bankgeschäft.<br />

Stuttgart 1902 behandelt.


10<br />

Emissionskosten <strong>in</strong> den Jahren unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg auf bis zu zehn Prozent<br />

<strong>des</strong> Nennwerts <strong>der</strong> Aktienemission belaufen haben.<br />

III. Quantitative Evidenz<br />

<strong>Die</strong> Motive für die Gründung e<strong>in</strong>er Aktiengesellschaft lassen sich <strong>in</strong> drei Gruppen e<strong>in</strong>teilen.<br />

Hauptzweck <strong>der</strong> Gründung e<strong>in</strong>er Aktiengesellschaft ist die Stärkung <strong>der</strong> Kapitalkraft e<strong>in</strong>er<br />

bestehenden Unternehmung o<strong>der</strong> die Schaffung e<strong>in</strong>er gänzlich neuen Gesellschaft mit großer<br />

Kapitalbasis. Zudem wird die Haftung <strong>der</strong> Eigentümer, an<strong>der</strong>s als bei <strong>der</strong> Offenen<br />

Handelsgesellschaft, <strong>der</strong> Kommanditgesellschaft und <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelunternehmung, auf die<br />

Aktiene<strong>in</strong>lage begrenzt. Darüber h<strong>in</strong>aus kann die Leitung <strong>des</strong> Unternehmens an dafür<br />

beson<strong>der</strong>s geeignete Personen delegiert werden, so daß die Geschicke <strong>der</strong> Aktiengesellschaft<br />

nicht mehr an <strong>der</strong> Arbeitskraft e<strong>in</strong>es Unternehmers hängt. 19 <strong>Die</strong>se Vorteile <strong>der</strong><br />

Risikobegrenzung, Risikoverteilung und Spezialisierung führten zur Ausbreitung dieser<br />

Unternehmensform während <strong>der</strong> Hoch<strong>in</strong>dustrialisierung.<br />

Aus volkswirtschaftlicher Sicht kann die Höhe <strong>des</strong> e<strong>in</strong>gezahlten Kapitals <strong>der</strong><br />

Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien als Maßstab für die<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Aktiengesellschaft im Industrialisierungsprozeß herangezogen werden. E<strong>in</strong>e<br />

entsprechende Statistik für die Jahre 1871 und 1913 liegt bislang jedoch nicht vor.<br />

Überschlägig betrug das e<strong>in</strong>gezahlte Aktienkapital aller Gesellschaften im Jahre 1871 rund<br />

2,7 Mrd. Mark, bis 1913 erhöhte es sich auf circa 16,7 Mrd. Mark. 20 Das nom<strong>in</strong>ale<br />

Aktienkapital <strong>in</strong> laufenden Preisen hat sich somit <strong>in</strong> den vier Dekaden zwischen<br />

Reichsgründung und Weltkrieg um den Faktor 6,2 gesteigert. Der gesamte<br />

volkswirtschaftliche Kapitalstock hat sich im selben Zeitraum h<strong>in</strong>gegen von 64 Mrd. Mark<br />

auf 255,9 Mrd. Mark, also nur um den Faktor vier, erhöht. 21 Der Quotient zwischen<br />

e<strong>in</strong>gezahltem nom<strong>in</strong>alem Aktienkapital und volkswirtschaftlichen Kapitalstock hat sich somit<br />

zwischen 1871 und 1913 von 4,2 Prozent auf 6,5 Prozent erhöht. <strong>Die</strong>ser e<strong>in</strong>fache Vergleich –<br />

19 Vgl. Richard van <strong>der</strong> Borght, Volkswirtschaftliche Bedeutung <strong>der</strong> Aktiengesellschaft, <strong>in</strong>: Handwörterbuch <strong>der</strong><br />

Staatswissenschaft, Band 1. Jena 3 1909, S. 287-303. Lotz, <strong>Technik</strong>, S. 41f nennt zudem die Umwandlung von<br />

Bankschulden <strong>in</strong> Aktien und die anschließende Emission <strong>der</strong> Aktien sowie die horizontale und vertikale<br />

Unternehmenskonzentration als Gründungsgründe.<br />

20 Der Wert für 1871 stammt aus Deutscher Reichstag (Hg.), Stenographische Berichte über die Verhandlungen<br />

<strong>des</strong> Deutschen Reichstags, 5. Legislaturperiode, 4. Session, 1884, Band 3, Anlage Nr. 21, S. 392-396, Berl<strong>in</strong><br />

1884. Der Wert für 1913 wurde anhand von Angaben <strong>in</strong> Walther Hoffmann, Das Wachstum <strong>der</strong> deutschen<br />

Wirtschaft seit <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts, Berl<strong>in</strong> 1965, S. 748 (Aktienkreditbanken), S. 751<br />

(Notenbanken), S. 768 (Lebensversicherungen), S. 772 (Industrie und Gewerbe) und S. 811 (Eisenbahnen)<br />

berechnet.<br />

21 Hoffmann, Wachstum, S. 255f, Spalte 7.


11<br />

<strong>der</strong> noch nicht das bei Aktienausgaben erzielte Agio berücksichtigt – zeigt, daß die Bedeutung<br />

<strong>der</strong> Aktie als F<strong>in</strong>anzierungs<strong>in</strong>strument zugenommen hat.<br />

E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Maßstab um die Bedeutung <strong>der</strong> Aktiengesellschaften zu evaluieren ist <strong>der</strong>en<br />

Anzahl. Sie hat sich von 406 am Ende <strong>des</strong> Jahres 1871 auf 1.046 im Jahre 1873 erhöht.<br />

Darauf folgte e<strong>in</strong> Rückgang auf 767, wenn man die Ergebnisse e<strong>in</strong>er Reichstagsuntersuchung<br />

zugrunde legt. 22 <strong>Die</strong>se Enquete weist für die Jahre 1875 bis 1882 maximal 90 Neugründungen<br />

von Aktiengesellschaften im Deutschen Reich aus, woh<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>e spätere private<br />

Untersuchung 530 Neugründungen für diesen Zeitraum anführt. <strong>Die</strong>ser Zahl zufolge müßten<br />

somit 1.207 Aktiengesellschaften im Jahre 1882 im Deutschen Reich bestanden haben. 23<br />

Selbst diese Angabe sche<strong>in</strong>t jedoch noch zu niedrig, denn für das Jahr 1886 wird <strong>der</strong> Bestand<br />

an Aktiengesellschaften auf 2.143 beziffert. 24 Der Bestand an Aktiengesellschaften hat sich<br />

anschließend auf 3.124 (1891), 3.712 (1896) und 5.186 (1902) erhöht, um dann leicht auf<br />

5.060 (1906) abzunehmen und anschließend auf 5.222 (1909) und schließlich auf 5.486 im<br />

Jahre 1913 anzusteigen. 25 Zwischen Reichsgründung und letztem Vorkriegsjahr hat sich <strong>der</strong><br />

Bestand an Aktiengesellschaften im Deutschen Reich somit um 5.283 erhöht. <strong>Die</strong> Zahl <strong>der</strong><br />

Aktiengesellschaftsgründungen war jedoch größer – angeblich wurden zwischen 1871 und<br />

1912 6.964 Aktiengesellschaften geschaffen. 26 <strong>Die</strong>s deutet darauf h<strong>in</strong>, daß ungefähr 1.700<br />

Aktiengesellschaften während <strong>der</strong> rund vier Dekaden zwischen Reichsgründung und<br />

Kriegsausbruch <strong>in</strong> Konkurs g<strong>in</strong>gen, mit an<strong>der</strong>en Gesellschaften fusionierten o<strong>der</strong> <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Rechtsformen umgewandelt worden s<strong>in</strong>d.<br />

Abbildung 1 veranschaulicht die Zahl <strong>der</strong> Aktiengesellschaftsgründungen und <strong>der</strong>en<br />

anfängliche Kapitalausstattung für die Jahre 1871 bis 1912. Man erkennt deutlich e<strong>in</strong> für<br />

beide Größen gleichlaufen<strong>des</strong> konjunkturelles Muster mit Höhepunkten <strong>der</strong><br />

Gründungstätigkeit während <strong>der</strong> frühen 1870er Jahre, am Ende <strong>der</strong> 1880er Jahre und zur Zeit<br />

<strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>twende. H<strong>in</strong>sichtlich Anzahl und Kapitalausstattung wurde die<br />

überschäumende Entwicklung <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>jahre nie mehr erreicht.<br />

22<br />

Deutscher Reichstag, Stenographische Berichte über die Verhandlungen <strong>des</strong> Deutschen Reichstags, 5.<br />

Legislaturperiode, 4. Session, 1884, Anlage Nr. 23, Berl<strong>in</strong> 1884, S. 390 f.<br />

23<br />

Wolff, Gründungsgeschäft, S. 224<br />

24<br />

Deutsche Bun<strong>des</strong>bank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen <strong>in</strong> Zahlen 1876-1975. Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1976,<br />

S. 294.<br />

25<br />

Deutsche Bun<strong>des</strong>bank (Hg.), Geld- und Bankwesen, S. 294.<br />

26<br />

Wolff, Gründungsgeschäft, S. 224.


Anzahl<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

0<br />

12<br />

<strong>Die</strong> Gründung von Aktiengesellschaften im Deutschen Reich, 1871-<br />

1912<br />

1871 1875 1879 1883 1887 1891 1895 1899 1903 1907 1911<br />

Kapital <strong>der</strong> neuen AG, <strong>in</strong> Mio. Mark Anzahl <strong>der</strong> neuen AG<br />

Abbildung 1<br />

Eigene Berechnungen nach Wolff, Gründungsgeschäft, S. 224.<br />

Auch h<strong>in</strong>sichtlich Gesellschaftstyp und Aktientyp bestanden Unterschiede. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

überwogen die Rechtsform <strong>der</strong> „re<strong>in</strong>en“ Aktiengesellschaft und die Ausgabe von<br />

Stammaktien. Von den 5.060 Aktiengesellschaften, die Ende 1906 im Deutschen Reich<br />

bestanden, waren 4.952 re<strong>in</strong>e Aktiengesellschaften und nur 108 Kommanditgesellschaften auf<br />

Aktien. 27 Das nom<strong>in</strong>elle Aktienkapital <strong>der</strong> Gesellschaften betrug rund 13,84 Mrd. Mark,<br />

wovon lediglich 400 Mio. Mark auf Vorzugsaktien, <strong>der</strong> Rest auf Stammaktien entfiel. <strong>Die</strong><br />

meisten Gesellschaften waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nahrungs- und Genußmittel<strong>in</strong>dustrie (904) tätig, gefolgt<br />

von <strong>der</strong> Masch<strong>in</strong>en-, Instrumente- und Apparate<strong>in</strong>dustrie (533), dem Geld- und Kreditwesen<br />

(480) und dem Verkehrsgewerbe (479). Rund die Hälfte aller Aktiengesellschaften war somit<br />

<strong>in</strong> diesen vier Bereichen tätig. Blickt man auf das Kapital <strong>der</strong> Gesellschaften, dann zeigt sich,<br />

daß Aktiengesellschaften aus dem Geld- und Kreditwesen mit e<strong>in</strong>em nom<strong>in</strong>ellen<br />

Aktienkapital von über 3,7 Mrd. Mark die Spitzenposition e<strong>in</strong>nahmen, gefolgt von<br />

Gesellschaften <strong>der</strong> Masch<strong>in</strong>en-, Instrumente- und Apparate<strong>in</strong>dustrie (1,7 Mrd. Mark), dem<br />

Verkehrsgewerbe (1,6 Mrd. Mark) und dem Bergbau, Hütten- und Sal<strong>in</strong>enwesen (1,3 Mrd.<br />

Mark). 2.811 Aktiengesellschaften hatten e<strong>in</strong> nom<strong>in</strong>elles Aktienkapital von maximal e<strong>in</strong>er<br />

Million Mark. <strong>Die</strong> meisten Gesellschaften konnten somit nicht an den führenden Börsen <strong>in</strong><br />

1600<br />

1400<br />

1200<br />

1000<br />

27 Vgl. zu diesen und den folgenden Angaben Ewald Moll, Statistik <strong>der</strong> Aktiengesellschaften – <strong>Die</strong><br />

Aktiengesellschaften <strong>in</strong> Deutschland, <strong>in</strong>: Handwörterbuch <strong>der</strong> Staatswissenschaften, Jena 3 1909, S. 311 ff.<br />

800<br />

600<br />

400<br />

200<br />

0<br />

Kapital <strong>in</strong> Mio. Mark


13<br />

Berl<strong>in</strong>, Frankfurt am Ma<strong>in</strong> und Hamburg notiert werden, da dort e<strong>in</strong> Kapital von m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens<br />

e<strong>in</strong>er Million Mark notwendig war.<br />

<strong>Die</strong> Zahl <strong>der</strong> gegründeten Aktiengesellschaften ist sicherlich größer als die Zahl <strong>der</strong> an den<br />

deutschen Börsen e<strong>in</strong>geführten Aktiengesellschaften. E<strong>in</strong>e umfassende Studie über die<br />

Börsene<strong>in</strong>führungstätigkeit im Deutschen Reich liegt bislang nicht vor. E<strong>in</strong>e private<br />

Untersuchung aus dem Jahre 1903 weist für das Jahr 1871 Kurse und Dividendenzahlungen<br />

für 138 Firmen aus, so daß – Vollständigkeit <strong>der</strong> Studie unterstellt – <strong>in</strong> diesem Jahr etwa e<strong>in</strong><br />

Drittel aller Aktiengesellschaften an <strong>der</strong> Börse notiert waren. Für das Jahr 1900 werden<br />

entsprechende Angaben für 894 Unternehmen gemacht. 28 Vergleicht man dies mit <strong>der</strong> Anzahl<br />

<strong>der</strong> im Jahre 1902 bestehenden Aktiengesellschaften von 5.186, dann zeigt sich, daß knapp<br />

e<strong>in</strong> Fünftel <strong>der</strong> bestehenden Aktiengesellschaften börsennotiert war. <strong>Die</strong>s deckt sich mit den<br />

Ergebnissen e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Studie: <strong>in</strong> den Jahren 1905, 1907, 1909 und 1911 wurden 751<br />

Aktiengesellschaften <strong>in</strong> Deutschland gegründet, aber lediglich 162 Aktiengesellschaften an<br />

<strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Börse e<strong>in</strong>geführt. 29 Am 30. Juni 1914 schließlich notierten an <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Börse<br />

<strong>in</strong>sgesamt 1.005 Aktiengesellschaften, woh<strong>in</strong>gegen im gesamten Deutschen Reich Ende 1913<br />

5.386 Aktiengesellschaften bestanden. An <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Börse notierten somit knapp 20<br />

Prozent <strong>der</strong> deutschen Aktiengesellschaften. Von den <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> notierten Gesellschaften waren<br />

759 Industrieunternehmen, 115 Banken, 51 Versicherungen und 80 deutsche und ausländische<br />

Eisenbahnunternehmen. Bei Gründung <strong>des</strong> Deutschen Reichs dürften somit rund e<strong>in</strong> Drittel<br />

aller bestehenden Aktiengesellschaften an den Börsen notiert gewesen se<strong>in</strong>. Im letzten<br />

Vorkriegsjahr h<strong>in</strong>gegen dürfte dieser Anteil auf etwa e<strong>in</strong> Fünftel abgefallen se<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Anzahl <strong>der</strong> jährlichen Börsegänge war sicherlich zu ger<strong>in</strong>g um <strong>in</strong> allen Bankhäusern<br />

spezialisierte Gründungsabteilungen zu unterhalten. Wenn sich die Anzahl <strong>der</strong><br />

börsennotierten Gesellschaften im Deutschen Reich zwischen 1871 und 1913 von 134 auf gut<br />

1.000 erhöht hat, dann bedeutet dies, daß im Jahresdurchschnitt lediglich um die 20 Firmen an<br />

die Börse gegangen s<strong>in</strong>d. Das Marktvolumen war somit sehr kle<strong>in</strong> und nicht jede Bank konnte<br />

die notwendigen Spezialisten zur Durchführung von Gründungsgeschäften beschäftigen. Das<br />

notwendige Wissen war daher vermutlich – verglichen mit <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> bestehenden<br />

Banken – <strong>in</strong> wenigen Häusern konzentriert.<br />

Nicht jede Bank konnte e<strong>in</strong>e Erstemission durchführen, da dazu <strong>der</strong> Zugang zum<br />

Kapitalmarkt und großes Wissen über die Aufnahmefähigkeit <strong>des</strong> Marktes und die mit<br />

28 Eduard Wagon, <strong>Die</strong> f<strong>in</strong>anzielle Entwicklung deutscher Aktiengesellschaften von 1870-1900 und die<br />

Gesellschaften mit beschränkter Haftung im Jahre 1900, Jena 1903.<br />

29 Wolff, Gründungsgeschäft, S. 224 und S. 253. Es sei darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß die E<strong>in</strong>führungsstatistik nicht<br />

zwischen Erstemissionen und Aktien, die bereits an an<strong>der</strong>en Börsen notiert s<strong>in</strong>d unterscheidet. Zudem werden<br />

ausländische Aktiengesellschaften nicht geson<strong>der</strong>t erfaßt.


14<br />

Emissionen verbundenen Risiken verbunden s<strong>in</strong>d. Insbeson<strong>der</strong>e nach <strong>in</strong> Kraft treten <strong>des</strong><br />

Aktienrechts von 1884 und <strong>des</strong> Börsengesetzes von 1896 soll sich <strong>der</strong> Kapitalbedarf im<br />

Emissionsgeschäft deutlich erhöht haben, da es nun nicht mehr statthaft war Aktien vor<br />

Ablauf e<strong>in</strong>er Wartezeit von e<strong>in</strong>em Jahr an die Börse zu br<strong>in</strong>gen. Da das neugegründete<br />

Unternehmen das Aktienkapital bereits bei Unternehmensgründung benötigte, lief diese<br />

Regulierung <strong>des</strong> Börsengesetzes auf e<strong>in</strong>e Zwischenf<strong>in</strong>anzierung durch Banken h<strong>in</strong>aus, die<br />

nämlich die Aktien <strong>der</strong> neuen Gesellschaft zunächst <strong>in</strong>s eigene Depot nahmen. Das<br />

Aktienrecht von 1884 erschwerte außerdem die Sukzessivgründung, so daß nunmehr die – aus<br />

Sicht <strong>der</strong> Banken risikoreichere und kapital<strong>in</strong>tensivere – Form <strong>der</strong> Simultangründung <strong>in</strong> den<br />

Vor<strong>der</strong>grund trat. Bei <strong>der</strong> Simultangründung war ke<strong>in</strong>e vorherige Subskription <strong>der</strong> Aktien<br />

durch erste Investoren vorgesehen, so daß das Liquiditätsrisiko <strong>der</strong> beteiligten Banken<br />

anstieg.<br />

Sowohl das Aktienrecht von 1884 als auch das Börsengesetz von 1896 sollten somit die<br />

Konzentration <strong>des</strong> <strong>Gründungsgeschäfts</strong> auf wenige Banken geför<strong>der</strong>t haben. Tatsächlich fällt<br />

es jedoch schwer e<strong>in</strong>e starke Konzentration für das Erstemissionsgeschäft für die Jahre 1882<br />

bis 1892 festzustellen: <strong>der</strong> Herf<strong>in</strong>dahl<strong>in</strong>dex für die Konzentration betrug – gemessen am<br />

Emissionswert <strong>der</strong> neuen Aktien – lediglich 0,109. 30 Jedoch vere<strong>in</strong>ten die drei wichtigsten<br />

Emissionshäuser jener Jahre (Bank für Handel und Industrie, Berl<strong>in</strong>er Handelsgesellschaft,<br />

Discontogesellschaft) e<strong>in</strong>en Marktanteil von 43,7 Prozent auf sich. An<strong>der</strong>e Großbanken<br />

beteiligten sich erst später am Emissionsgeschäft. Beispielsweise trat die Deutsche Bank erst<br />

um 1890 – vor allem mit <strong>der</strong> Umwandlung <strong>der</strong> Deutschen Edison Gesellschaft für angewandte<br />

Elektrizität <strong>in</strong> die Allgeme<strong>in</strong>e Elektrizitätsgesellschaft (AEG) im Jahre 1887 und die<br />

Gründung <strong>der</strong> Deutsch-Österreichischen Mannesmannröhrenwerke drei Jahre später – an<br />

führen<strong>der</strong> Stelle als Emissionsbank von neuen Aktien auf. 31<br />

<strong>Die</strong> Deutsche Bank stieg allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folgezeit rasch zur führenden Emissionsbank für<br />

Industriepapiere auf. Zwischen 1895 und 1910 hatte sie die Führung bei 456 Emissionen von<br />

<strong>in</strong>- und ausländischen Industrieaktien und -obligationen <strong>in</strong>ne. An<strong>der</strong>e wichtige<br />

Emissionsbanken waren <strong>der</strong> Schaaffhausen’sche Bankvere<strong>in</strong> aus Köln (394 Emissionen), die<br />

30 <strong>Die</strong> Angaben über die Erstemissionen wurden dem Anlageband zur Börsen-Enquete Kommission: <strong>Die</strong><br />

hauptsächlichen Börsen Deutschlands und <strong>des</strong> Auslands 1882-1892, Berl<strong>in</strong> 1892, S. 44-100 (Börse Berl<strong>in</strong>)<br />

und S. 142-178 (Börse Frankfurt am Ma<strong>in</strong>) entnommen. E<strong>in</strong>e detaillierte ökonometrische Untersuchung <strong>des</strong><br />

E<strong>in</strong>flusses <strong>des</strong> Börsengesetzes von 1896, <strong>der</strong> Aktienrechtsnovelle von 1884 und <strong>der</strong> Börsenbesteuerung auf<br />

die Marktkonzentration im deutschen Bankwesen kann ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutigen Effekte nachweisen. Carol<strong>in</strong>e<br />

Fohl<strong>in</strong>: Regulation, taxation, and the devlopment of the German universal bank<strong>in</strong>g system, 1884-1913. In:<br />

European Review of Economic History, 6 (2002), S. 221-254.<br />

31 Wolff, Gründungsgeschäft, behandelt das Emissionsgeschäft von Deutscher Bank (S. 106-126), Dresdner<br />

Bank (S. 127-140), Discontogesellschaft (S. 141-158) und Darmstädter Bank für Handel und Industrie (S.<br />

159-176) vor allem h<strong>in</strong>sichtlich von Emissionszeitpunkten und Emissionsbeträgen.


15<br />

Dresdner Bank (391), die Darmstädter Bank für Handel und Industrie (314) sowie die<br />

Berl<strong>in</strong>er Handelsgesellschaft (312) und die Discontogesellschaft (302). 32 <strong>Die</strong>se<br />

Zusammenstellung differenziert allerd<strong>in</strong>gs nicht zwischen Aktien und Obligationen, zwischen<br />

<strong>in</strong>- und ausländischen Papieren, zwischen Erstemissionen und Kapitalerhöhungen. Zudem<br />

s<strong>in</strong>d die Emissionen nicht mit ihrem Volumen gewichtet und vergebene o<strong>der</strong> angenommene<br />

Unterbeteiligungen an an<strong>der</strong>en Emissionsgeschäften werden nicht berücksichtigt.<br />

IV. <strong>Die</strong> privatwirtschaftlichen Beziehungen<br />

<strong>Die</strong> privatwirtschaftlichen Beziehungen im Gründungsgeschäft spielen sich zwischen<br />

Emittent und <strong>der</strong> e<strong>in</strong>führenden Bank o<strong>der</strong> dem e<strong>in</strong>führenden Bankenkonsortium sowie<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>des</strong> Bankenkonsortiums sowie zwischen Banken und ersten Investoren ab. Dabei<br />

lassen sich drei Phasen unterscheiden. Zunächst wird im Vorfeld <strong>der</strong> Emission <strong>in</strong><br />

Verhandlungen zwischen Emittent und Konsortium das Emissionsrisiko auf die beiden<br />

Parteien verteilt. Des weiteren wird über den angemessenen Emissionspreis und die<br />

E<strong>in</strong>führungskosten verhandelt. In <strong>der</strong> zweiten Phase folgt die tatsächliche Börsene<strong>in</strong>führung,<br />

entwe<strong>der</strong> durch freihändigen Verkauf <strong>der</strong> Aktien o<strong>der</strong> durch Subskription. Schließlich zeigt<br />

sich unmittelbar nach <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung, ob <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führungspreis richtig gewählt worden war<br />

o<strong>der</strong> ob Kurspflegemaßnahmen notwendig waren. 33<br />

E<strong>in</strong>e wichtige Frage im Emissionsgeschäft ist die nach <strong>der</strong> Risikoteilung zwischen Emittent<br />

und Bank. Grundsätzlich lassen sich vier Arten von Konsortialverträgen h<strong>in</strong>sichtlich ihrer<br />

Risikoteilung zwischen den Vertragspartnern unterscheiden: Übernahmeverträge,<br />

Begebungsverträge, Garantieverträge und Optionsverträge. Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1870er Jahre<br />

wurden alle vier Formen <strong>der</strong> Risikoteilung vere<strong>in</strong>bart, nach <strong>in</strong> Kraft treten <strong>des</strong> Börsengesetzes<br />

am 1. Januar 1897 sollen fast alle Erstemissionen <strong>in</strong> Form <strong>des</strong> Übernahmekonsortiums<br />

vorgenommen worden se<strong>in</strong>. 34 Beim Übernahmekonsortium übernahmen die Konsortialbanken<br />

die gesamte Emission zu e<strong>in</strong>em bestimmten Zeitpunkt und Preis, d.h. das Konsortium trug das<br />

volle Plazierungsrisiko. Beim Begebungskonsortium h<strong>in</strong>gegen verkauften die<br />

32 4<br />

Zusammengestellt nach Jacob Riesser, <strong>Die</strong> deutschen Großbanken und ihre Konzentration. Jena 1912, S.<br />

307.<br />

33<br />

Lotz, <strong>Technik</strong>, S. 41 unterscheidet ebenfalls drei Stadien im Gründungsgeschäft: Übernahme <strong>der</strong> Aktien durch<br />

die Bankhäuser; Gründung <strong>des</strong> Bankkonsortiums und E<strong>in</strong>bezug von Unterbeteiligten; Absatz <strong>der</strong> Emission an<br />

<strong>der</strong> Börse. Pfleger / Gschw<strong>in</strong>dt, Börsenreform, S. 108 ff unterscheiden h<strong>in</strong>gegen nur zwei Phasen, nämlich die<br />

Übernahme <strong>der</strong> Aktien durch das Bankhaus und den Vertrieb <strong>der</strong> Aktien an <strong>der</strong> Börse.<br />

34<br />

Vgl. zur Organisation <strong>des</strong> Emissionsgeschäfts <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>zeit sowie für verschiedene Beispiele Carsten<br />

Burhop, <strong>Die</strong> Kreditbanken <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>zeit. Stuttgart 2004, Kapitel 4. <strong>Die</strong> Konsortialformen werden u.a.<br />

von Hans E. Büschgen, Bankbetriebslehre. Wiesbaden 5 1998, S. 346 ff und Guido Eilenberger,<br />

Bankbetriebswirtschaftslehre. München 5 1993, S.197 ff beschrieben.


16<br />

Konsortialbanken die Effekten im Auftrag <strong>des</strong> Emittenten auf <strong>des</strong>sen Rechnung. Dabei<br />

setzten die Konsortialbanken kaum eigenes Kapital e<strong>in</strong> und übernahmen nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges<br />

Risiko. Dementsprechend war auch <strong>der</strong> Konsortialnutzen, d.h. die Provision <strong>des</strong><br />

Bankkonsortiums, ger<strong>in</strong>g. <strong>Die</strong>se Konsortialform war vor allem bei <strong>der</strong> Emission von Anleihen<br />

und Obligationen verbreitet. E<strong>in</strong>e mittlere Position h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Risikoteilung zwischen<br />

Emittent und Bank nahmen das Garantie- und das Optionskonsortium e<strong>in</strong>, die jedoch nur <strong>in</strong><br />

seltenen Fällen vere<strong>in</strong>bart wurden. Beim Garantiekonsortium verkaufte die Bank <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

ersten Phase die Emission auf Rechnung <strong>des</strong> Emittenten, verpflichtete sich jedoch die<br />

verbliebenen Stücke zu e<strong>in</strong>em bestimmten Preis und an e<strong>in</strong>em bestimmten Term<strong>in</strong> zu<br />

übernehmen. <strong>Die</strong>s unterschied das Garantie- vom Optionskonsortium, denn hier hatte die<br />

Bank zwar das Recht, jedoch nicht die Pflicht zur Übernahme <strong>der</strong> Stücke.<br />

Beim weit verbreiteten Übernahmekonsortium lag <strong>der</strong> Ertrag <strong>der</strong> Bank vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Differenz zwischen dem Erstverkaufspreis an <strong>der</strong> Börse und dem Preis, zu dem die Aktien<br />

vom Emittenten übernommen wurden. Beispielsweise übernahm das unter Führung <strong>der</strong><br />

Disconto-Gesellschaft stehende Emissionskonsortium für die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> „Union<br />

Aktiengesellschaft für Bergbau, Eisen- und Stahl<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> Dortmund“ die Aktien zu pari<br />

von den Grün<strong>der</strong>n, brachte sie aber im Mai 1872 erfolgreich zu e<strong>in</strong>en Kurs von 110 Prozent<br />

an die Börse. 35 E<strong>in</strong> Jahr darauf scheiterte an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> Frankfurter Bankvere<strong>in</strong> daran die<br />

Aktien <strong>der</strong> neugegründeten Lothr<strong>in</strong>ger Eisenwerke an <strong>der</strong> Börse zu verkaufen. Das<br />

Bankenkonsortium blieb auf den im April 1873 zu pari übernommenen Aktien sitzen. 36<br />

<strong>Die</strong> Differenz zwischen dem Emissionskurs und dem Übernahmekurs bildete den<br />

Bruttogew<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Bank, von dem die teilweise erheblichen Emissionskosten zu decken waren.<br />

Beispielsweise brachte die Anglo-Österreichische Bank im Januar 1871 die Aktien <strong>der</strong><br />

neugegründeten Deutschen Nationalbank aus Bremen an die Börse. <strong>Die</strong> zu pari<br />

übernommenen Aktien im Nom<strong>in</strong>alwert von 22,5 Millionen Mark mit 40prozentiger<br />

E<strong>in</strong>zahlung konnten zu Kursen zwischen 108 und 110 am Markt plaziert werden und <strong>der</strong><br />

Bruttoertrag aus <strong>der</strong> Emission betrug rund 810.000 Mark. Von diesem Ertrag mußten die<br />

Konsortialkosten <strong>in</strong> Höhe von 427.500 Mark gedeckt werden, so daß <strong>der</strong> Nettogew<strong>in</strong>n aus<br />

dem Geschäft lediglich rund 380.000 Mark betrug. 37 E<strong>in</strong> weiteres Beispiel stellt die<br />

Erstemission von Aktien <strong>der</strong> Preußische Bergwerksaktiengesellschaft Hibernia & Shamrock<br />

dar, die im April 1873 unter Führung <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Handelsgesellschaft vorgenommen wurde.<br />

Zunächst konnten nom<strong>in</strong>al 16,8 Millionen Mark an Aktien mit 75prozentiger E<strong>in</strong>zahlung zum<br />

35 Burhop, Kreditbanken, S. 227.<br />

36 Burhop, Kreditbanken, S. 231 f.<br />

37 Historisches Archiv <strong>der</strong> Dresdner Bank, 13617-2000.


17<br />

Kurs von 115 Prozent an <strong>der</strong> Börse plaziert werden, so daß das Bankenkonsortium – es hatte<br />

die Aktien zu pari übernommen – e<strong>in</strong>en Bruttoertrag von 1.890.000 Mark erzielte. <strong>Die</strong><br />

Konsortialkosten waren <strong>in</strong> diesem Fall mit 135.315 Mark vergleichsweise ger<strong>in</strong>g, so daß <strong>der</strong><br />

Konsortialgew<strong>in</strong>n mehr als 1,75 Millionen Mark betrug. 38 Allerd<strong>in</strong>gs mußten danach<br />

erheblich Aktienbestände zur Kurspflege zurückgekauft werden, so daß die Berl<strong>in</strong>er<br />

Handelsgesellschaft Ende 1876 schließlich 1,8 Millionen Mark an Aktien <strong>der</strong> Hibernia hielt. 39<br />

Beim weit verbreiteten Übernahmekonsortium wurden die Aktien zu e<strong>in</strong>em festen Preis von<br />

den Grün<strong>der</strong>n an das Bankenkonsortium abgegeben und anschließend an <strong>der</strong> Börse plaziert.<br />

Ob das bei e<strong>in</strong>er Emission erzielte Agio dem neuen Unternehmen, dem Grün<strong>der</strong> – dies war<br />

nur bis 1884 möglich – o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bank zufloß, läßt sich ohne Kenntnis <strong>des</strong> Emissionsvertrages<br />

somit kaum entscheiden. 40 <strong>Die</strong> durchschnittliche Höhe <strong>des</strong> Agios erhöhte sich während <strong>der</strong><br />

1880er Jahre gegenüber den Grün<strong>der</strong>jahren wesentlich. In den Jahren 1870 bis 1873 betrug<br />

<strong>der</strong> kapitalgewichtete Mittelwert <strong>des</strong> Agio von Erstemissionen 8,2 Prozent, während <strong>der</strong> Jahre<br />

1882 bis 1892 betrug es 36,4 Prozent. Vor <strong>der</strong> Aktienrechtsreform von 1884 gab es ke<strong>in</strong>e<br />

Regelung, wem das Agio zufloß: <strong>der</strong> Aktiengesellschaft, dem Bankenkonsortium o<strong>der</strong> den<br />

Grün<strong>der</strong>n. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß das Agio regelmäßig den<br />

Grün<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> dem Bankenkonsortium als Gew<strong>in</strong>n zufloß. <strong>Die</strong> Novelle von 1884 schränkte<br />

dies e<strong>in</strong>, denn ab diesem Jahr mußte zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t <strong>der</strong> Übernahmepreis bzw. falls ke<strong>in</strong> fester<br />

Übernahmepreis vere<strong>in</strong>bart worden war, das Agio als Kapitalrücklage an die<br />

Aktiengesellschaft gezahlt werden. <strong>Die</strong>se Norm konnte aber umgangen werden, wenn die<br />

Aktiengesellschaft die Papiere zu pari o<strong>der</strong> zu e<strong>in</strong>em darüber liegenden Kurs an e<strong>in</strong><br />

Bankenkonsortium verkaufte. In diesem Fall konnte e<strong>in</strong> Grün<strong>der</strong>gew<strong>in</strong>n gesichert werden,<br />

<strong>in</strong>dem <strong>der</strong> über e<strong>in</strong>en bestimmten Kurs h<strong>in</strong>ausgehende Emissionserlös zwischen<br />

Bankenkonsortium und Grün<strong>der</strong>n aufgeteilt wurde. 41<br />

Wenn die Banken die Aktien zu e<strong>in</strong>em festen Kurs übernommen hatten lag das gesamte<br />

Kursrisiko <strong>der</strong> Emission bei ihnen. E<strong>in</strong>e Strategie zur Begrenzung von Klumpenrisiken bei<br />

Übernahmegeschäften lag <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bildung von Emissionskonsortien. 42 Zur Geltungszeit <strong>des</strong><br />

Allgeme<strong>in</strong>en deutschen Handelsgesetzbuches (1861-1899) waren Emissionskonsortien<br />

38 Historisches Archiv <strong>der</strong> Deutschen Bank, K01 / 0646.<br />

39 Burhop, Kreditbanken, S. 127.<br />

40 Man könnte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bilanz <strong>des</strong> Folgejahres prüfen, ob das neue Unternehmen Kapitalrücklagen aus e<strong>in</strong>em Agio<br />

bilanziert hat. Aus dem Verhältnis zwischen Kapitalrücklagen und Aktienkapital kann man dann auf den<br />

vere<strong>in</strong>barten Übernahmepreis schließen und so den Konsortialnutzen <strong>der</strong> Bank ermitteln.<br />

41 Thiwissen, Emissionsgeschäft, S. 12 f.<br />

42 Vgl. u.a. Manfred Pohl, <strong>Die</strong> Blütezeit <strong>der</strong> Konsortien 1870 bis 1914, <strong>in</strong>: Hans Pohl (Hg.), <strong>Die</strong> Zusammenarbeit<br />

von Geld<strong>in</strong>stituten <strong>in</strong> Konsortien. Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1989, S. 28-37; Riesser, Großbanken, S. 326 ff; A.<br />

Koch, Das Konsortialgeschäft <strong>der</strong> Banken, Bank-Archiv, 1922, S. 237-246; Thiwissen, Emissionsgeschäft, S.<br />

15 ff und S. 58 ff.


18<br />

regelmäßig als offene Gelegenheitsgesellschaft organisiert, danach als Gesellschaft<br />

bürgerlichen Rechts. <strong>Die</strong> beiden Gesellschaftsformen unterschieden sich hauptsächlich<br />

h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Vermögensteilung, zielten <strong>in</strong> wirtschaftlicher H<strong>in</strong>sicht jedoch auf denselben<br />

Zweck ab. <strong>Die</strong> Konsortialmitglie<strong>der</strong> schlossen regelmäßig e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen<br />

Konsortialvertrag ab, <strong>der</strong> vor allem den Zweck <strong>des</strong> Konsortiums, se<strong>in</strong>e Mitglie<strong>der</strong>, die<br />

Verteilung <strong>der</strong> Konsortialbeträge, die Außenvertretung, die Risikoteilung sowie die<br />

Geltungsdauer <strong>des</strong> Vertrages und die Höhe <strong>der</strong> Führungsprovision <strong>der</strong> leitenden Bank<br />

festlegte. In seltenen Fällen wurde das Konsortium durch e<strong>in</strong>e Reihe von <strong>in</strong>dividuellen<br />

Verträgen zwischen <strong>der</strong> Führungsbank und den Konsortialbanken geboren. Je nach<br />

Festlegung <strong>der</strong> Außenvertretung <strong>des</strong> Konsortiums schloß – was regelmäßig <strong>der</strong> Fall war – die<br />

Führungsbank, ansonsten das gesamte Konsortium e<strong>in</strong>en Übernahmevertrag mit dem<br />

Emittenten <strong>der</strong> Aktie ab. Der Konsortialvertrag konnte dabei sowohl vor Abschluß <strong>des</strong><br />

Übernahmevertrags als auch nach <strong>des</strong>sen Abschluß geschlossen werden, wobei im ersten Fall<br />

e<strong>in</strong> sogenannter bed<strong>in</strong>gter Konsortialvertrag vorlag. <strong>Die</strong> Geschäftsführung <strong>des</strong> Konsortiums<br />

lag bei <strong>der</strong> Führungsbank. Alle Zahlungen von Zeichnern bzw. Käufern <strong>der</strong> neuen Aktie<br />

g<strong>in</strong>gen bei ihr e<strong>in</strong> bzw. wurden von den an<strong>der</strong>en Konsortialbanken zu ihr überwiesen. <strong>Die</strong><br />

Führungsbank rechnete das Konsortialverhältnis gegenüber dem Emittenten und gegenüber<br />

den Konsortialmitglie<strong>der</strong>n ab. <strong>Die</strong>se wie<strong>der</strong>um rechneten gegenüber ihren Unterbeteiligten ab.<br />

Nachdem Risikoverteilung und Aufteilung <strong>des</strong> Agios zwischen Grün<strong>der</strong>n, neuer Gesellschaft<br />

und Bankenkonsortium vere<strong>in</strong>bart worden war, mußte nun das anlagesuchende Publikum über<br />

die neue Aktiengesellschaft <strong>in</strong>formiert werden. Beworben wurden Neuemissionen <strong>in</strong><br />

Prospekten. Der Prospekt enthielt alle Informationen, die für die Beurteilung <strong>der</strong> Solidität und<br />

voraussichtlichen Rentabilität <strong>der</strong> Gesellschaft notwendig waren. Während vor <strong>der</strong><br />

Aktienrechtsnovelle von 1884 ke<strong>in</strong> aktien- o<strong>der</strong> handelsrechtlicher Zwang zur<br />

Veröffentlichung o<strong>der</strong> Wahrheit von Prospekten bestand, gab es ab 1884 e<strong>in</strong>e<br />

Veröffentlichungspflicht für Prospekte und ab 1897 e<strong>in</strong>e fünfjährige Prospekthaftung.<br />

Der Verkauf <strong>der</strong> Aktien an die Anleger konnte entwe<strong>der</strong> freihändig o<strong>der</strong> durch öffentliche<br />

Subskription erfolgen. 43 Beim freihändigen Verkauf beantragte die Bank die Zulassung e<strong>in</strong>er<br />

Aktie zum Börsenhandel und sie verkaufte anschließend die Aktien über e<strong>in</strong>en längeren<br />

Zeitraum nach und nach an <strong>der</strong> Börse. Bei diesem Verfahren war es für die Bank nicht von<br />

vornhere<strong>in</strong> absehbar, wann die Effekten wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> liquide Mittel verwandelt werden würden,<br />

d.h. das Liquiditätsrisiko <strong>der</strong> Bank war bei diesem Verfahren recht hoch.<br />

43 Vgl. Wolff, Gründungsgeschäft, S. 262 ff; Thiwissen, Emissionsgeschäft, S. 18 f. und S. 54 ff.


19<br />

<strong>Die</strong> öffentliche Subskription h<strong>in</strong>gegen schaffte für die Bank Planungssicherheit. <strong>Die</strong> Bank rief<br />

<strong>in</strong> Zeitungen und durch Mitteilung an ihre Kunden zur Zeichnung <strong>der</strong> neuen Aktien zu e<strong>in</strong>em<br />

bestimmten Kurs <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es bestimmten Zeitraums auf. Nach Ablauf <strong>der</strong> Zeichnungsfrist<br />

teilte die Bank die neuen Aktien ihren Kunden zu, wobei regelmäßig die Menge <strong>der</strong> Zuteilung<br />

autonom von <strong>der</strong> Bank bestimmt werden konnte. 44 Bei <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igten Königsund<br />

Laurahütte im Jahre 1871 beispielsweise repartierte das fe<strong>der</strong>führende Bankhaus<br />

Bleichrö<strong>der</strong> die Zuteilung: Zeichnungen bis zehn Aktien wurden mit e<strong>in</strong>er Aktie bedient,<br />

Zeichnungen zwischen elf und 40 Aktien wurden mit zwei Aktien bedient, Zeichnungen über<br />

40 Stück erhielten fünf Prozent <strong>der</strong> gezeichneten Stücke. 45<br />

Bei <strong>der</strong> Zuteilung bevorzugten die Banken oftmals Anleger, die e<strong>in</strong>e längere Haltedauer <strong>der</strong><br />

jungen Aktien bei <strong>der</strong> Subskription zugesichert hatten. <strong>Die</strong>s sicherte vor allem den Kurs <strong>der</strong><br />

jungen Aktie nach unten ab, da sogenannte gesperrte Aktien nicht an <strong>der</strong> Börse angeboten<br />

werden durften. <strong>Die</strong>se Angebotsrestriktion verzögerte vermutliche die schnelle Anpassung<br />

<strong>des</strong> Aktienkurses an den <strong>in</strong>neren Wert <strong>der</strong> Aktie, d.h. die Informationseffizienz <strong>der</strong> Börse<br />

wurde reduziert. 46 Kursstabilisierend bzw. Informationseffizienzm<strong>in</strong><strong>der</strong>nd wirkten vermutlich<br />

auch Vere<strong>in</strong>barungen zwischen dem Emissionskonsortium und ehemaligen Besitzer <strong>der</strong><br />

nunmehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Aktiengesellschaft umgewandelten Firma h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er Sperrfrist für den<br />

Verkauf <strong>der</strong> dem Vorbesitzer im Zuge <strong>des</strong> Börsenganges zugeflossenen Aktien. 47<br />

Der tatsächliche Erfolg <strong>der</strong> Emission wurde wesentlich vom Ausgabekurs <strong>der</strong> Aktie<br />

bee<strong>in</strong>flußt. 48 Neben <strong>der</strong> aktuellen wirtschaftlichen und politischen Lage sowie <strong>der</strong> Flüssigkeit<br />

<strong>des</strong> Geldmarktes sollte <strong>der</strong> Emissionspreis vor allem die Ertragserwartungen <strong>der</strong> neuen<br />

Gesellschaft korrekt wi<strong>der</strong>spiegeln. 49 Bei Umwandlungen bestehen<strong>der</strong> Unternehmen <strong>in</strong><br />

Aktiengesellschaften konnte sich <strong>der</strong> Emissionskurs an <strong>der</strong> vergangenen Rentabilität <strong>der</strong><br />

Gesellschaft orientieren, bei neuerrichteten Unternehmen war die Abschätzung <strong>des</strong><br />

Emissionspreises dagegen schwer. Sie konnte beispielsweise durch das E<strong>in</strong>holen von<br />

Expertenme<strong>in</strong>ungen über die zukünftige Entwicklung <strong>des</strong> Absatzmarktes für die Produkte <strong>des</strong><br />

neuen Unternehmens abgesichert werden. Tatsächlich g<strong>in</strong>gen jedoch kaum gänzlich neue<br />

Unternehmen an die Börse, so daß meist aus <strong>der</strong> Geschäftsentwicklung <strong>der</strong> vergangen Jahre<br />

44<br />

Im E<strong>in</strong>führungsprospekt wurde regelmäßig e<strong>in</strong>e Regelb<strong>in</strong>dung für die Zuteilung <strong>der</strong> Emission ausgeschlossen.<br />

45<br />

Das Beispiel ist Gömmel, Entstehung, S. 154 entnommen.<br />

46<br />

Es gab e<strong>in</strong>e breite Diskussion über sogenannte Konzert- und Sperrzeichnungen. Vgl. u.a. Nean<strong>der</strong> Müller,<br />

Konzert- und Sperrzeichnungen, Bank-Archiv, 1903, S. 149-152; Otto Warschauer, <strong>Die</strong> Emissionssperre,<br />

Bank-Archiv, 1903, S. 170-171; Nean<strong>der</strong> Müller, Zur „Emissionssperre“, Bank-Archiv, 1903, S. 183-185;<br />

Lotz, <strong>Technik</strong>, S. 46 ff; Pfleger / Gschw<strong>in</strong>dt, Börsenreform, S. 110 f.<br />

47<br />

Thiwissen, Emissionsgeschäft, S. 12.<br />

48<br />

Vgl. Wolff, Gründungsgeschäft, S. 244 ff<br />

49<br />

Lotz, <strong>Technik</strong>, S. 44 ff.


20<br />

o<strong>der</strong> den ersten Schritten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anbahnung e<strong>in</strong>er neuen Unternehmung (e<strong>in</strong>er sogenannten<br />

Projektgesellschaft) auf die künftige Rentabilität <strong>der</strong> Gesellschaft geschlossen werden konnte.<br />

Zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t zu Beg<strong>in</strong>n <strong>des</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts bestanden die meisten <strong>der</strong> an die Börse gehenden<br />

Unternehmen bereits seit vielen Jahren, so daß aus <strong>der</strong> bisherigen Geschäftsentwicklung<br />

wichtige Informationen für den Emissionspreis entnommen werden konnten. Abbildung 2<br />

verdeutlicht dies. Weniger als zehn Prozent <strong>der</strong> am Anfang <strong>des</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>geführten Aktiengesellschaften bestanden weniger als e<strong>in</strong> Jahr. Mehr als 70 Prozent <strong>der</strong><br />

Firmen konnte bereits auf e<strong>in</strong>e m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens fünfjährige Unternehmensdauer zurückblicken. In<br />

den meisten Fällen konnte sich daher <strong>der</strong> Emissionspreis am Geschäftserfolg vergangener<br />

Jahre orientieren.<br />

kumulierter Anteil<br />

100%<br />

90%<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Alter <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Börse Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geführten<br />

Aktiengesellschaften (1905, 1907, 1909, 1911, 1913)<br />

1 4 7 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43 46 49<br />

Firmenalter <strong>in</strong> Jahre<br />

Abbildung 2<br />

Eigene Berechnungen, nach Wolff, Gründungsgeschäft, S. 253f.<br />

Ob die E<strong>in</strong>schätzung <strong>des</strong> Bankkonsortiums und <strong>des</strong> Aktienmarktes h<strong>in</strong>sichtlich <strong>des</strong> <strong>in</strong>neren<br />

Werts <strong>der</strong> Aktie übere<strong>in</strong>stimmt zeigt sich an den ersten Handelstagen: haben die beteiligten<br />

Banken den Marktwert <strong>der</strong> neuen Aktie falsch e<strong>in</strong>geschätzt, dann gibt es am ersten o<strong>der</strong> an<br />

den ersten Handelstagen e<strong>in</strong>e Kursreaktion. Der Aktienkurs paßt sich, sofern nicht<br />

Sperrzeichnungen o<strong>der</strong> Informations<strong>in</strong>effizienzen dies verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, <strong>in</strong>nerhalb kurzer Zeit an


21<br />

den <strong>in</strong>neren Wert an. <strong>Die</strong>ses Phänomen wird als Zeichnungsrendite bezeichnet und tritt<br />

regelmäßig an mo<strong>der</strong>nen F<strong>in</strong>anzmärkten auf. 50<br />

Der wirtschaftshistorische Kenntnisstand zu dieser Frage ist jedoch erstaunlich ger<strong>in</strong>g. Für die<br />

Zeit vor dem Ersten Weltkrieg liegen lediglich drei den deutschen Kapitalmarkt betreffende<br />

Studien vor. Carol<strong>in</strong>e Fohl<strong>in</strong> zeigt, daß die Medianzeichnungsrendite am Berl<strong>in</strong>er<br />

Kapitalmarkt während <strong>der</strong> Jahre 1882 bis 1892 <strong>der</strong>jenigen <strong>des</strong> New Yorker Kapitalmarktes<br />

<strong>der</strong> Jahre 1998 bis 2000 entsprach. 51 Problematisch an dieser Studie ist die Tatsache, daß<br />

Erstemissionen, Emissionen im Zuge von Kapitalerhöhungen und Zweitnotizen an an<strong>der</strong>en<br />

Börsenplätzen nicht separiert werden. Bere<strong>in</strong>igt man die <strong>der</strong> Studie von Carol<strong>in</strong>e Fohl<strong>in</strong><br />

zugrunde liegenden Daten um Emissionen im Zuge von Kapitalerhöhungen und Emissionen<br />

von Aktien, die bereits an an<strong>der</strong>en Börsen notiert werden – wenn also nur wahre<br />

Erstemissionen berücksichtigt werden – dann verr<strong>in</strong>gert sich <strong>der</strong> Stichprobenumfang von 335<br />

auf 70 Beobachtungen. 52 Von diesen 70 Gesellschaften wurden 61 Neuemissionen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

und neun <strong>in</strong> Frankfurt am Ma<strong>in</strong> durchgeführt. Das nom<strong>in</strong>elle Aktienkapital <strong>der</strong> Gesellschaften<br />

betrug rund 206,6 Mio. Mark, <strong>der</strong> Emissionswert circa 281,9 Mio. Mark und die<br />

Zeichnungsrendite etwa 11,1 Mio. Mark. Bezogen auf den Emissionswert betrug die<br />

Zeichnungsrendite somit 5,39 Prozent, das Agio rund 36,4 Prozent. <strong>Die</strong> Zeichnungsrendite<br />

<strong>der</strong> bere<strong>in</strong>igten Stichprobe ist wesentlich ger<strong>in</strong>ger als die Zeichnungsrendite <strong>der</strong> unbere<strong>in</strong>igten<br />

Stichprobe, die <strong>der</strong> Arbeit von Carol<strong>in</strong>e Fohl<strong>in</strong> zu Grunde liegt (31,1 Prozent) und recht nahe<br />

am Ergebnis <strong>der</strong> Arbeit von Christian Schlag und Anja Wodrich. Sie zeigen anhand e<strong>in</strong>er<br />

Stichprobe deutscher Erstemissionen <strong>der</strong> Jahre 1884 bis 1914, daß es signifikant positive<br />

Zeichnungsrendite mit e<strong>in</strong>em Mittelwert von 4,8 Prozent gab und daß diese im Zeitablauf<br />

zunahmen. 53 Schließlich belegt auch Carsten Burhop, daß es Zeichnungsrenditen <strong>in</strong> den<br />

Grün<strong>der</strong>jahren 1870 bis 1873 gab, diese im Durchschnitt von 73 Erstemissionen jedoch sehr<br />

niedrig waren (1,68 Prozent) und e<strong>in</strong>e hohe Varianz hatten. 54 Zwischen 1880 und dem Ersten<br />

50<br />

Vgl. für den deutschen Kapitalmarkt u.a. Richard Stehle / Oliver Erhardt, Renditen bei <strong>der</strong> Börsene<strong>in</strong>führung<br />

am deutschen Kapitalmarkt, <strong>in</strong>: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 69 (1999), S. 1395-1422; Alexan<strong>der</strong> P.<br />

Ljunqvist, Pric<strong>in</strong>g <strong>in</strong>itial public offer<strong>in</strong>gs: Further evidence from Germany, <strong>in</strong>: European Economic Review,<br />

41 (1997), S. 1309-1320; Annemarie Sapusek, Benchmark sensitivity of IPO long-run performance: An<br />

empirical study for Germany, <strong>in</strong>: Schmalenbach Bus<strong>in</strong>ess Review, 52 (2000), S. 374-405; Richard Stehle /<br />

Oliver Erhardt / René Pryzborowski, Long-run stock performance of German <strong>in</strong>itial public offer<strong>in</strong>gs and<br />

seasoned equity issues, <strong>in</strong>: European F<strong>in</strong>anical Management, 6 (2000), S. 173-196.<br />

51<br />

Carol<strong>in</strong>e Fohl<strong>in</strong>, IPO un<strong>der</strong>pric<strong>in</strong>g <strong>in</strong> two universes, Berl<strong>in</strong>, 1882-1892, and New York, 1998-2000, California<br />

Institute of Technology, Social Science Work<strong>in</strong>g Paper 1088, Mai 2000.<br />

52<br />

Zusammengestellt nach Börsenenquetekommission, Börsen, S. 44-100 und S. 142-178. <strong>Die</strong> 70<br />

Stichprobenelemente umfassen ca. 4 Prozent aller Aktiengesellschaftsgründungen <strong>der</strong> Jahre 1882 bis 1892.<br />

53<br />

Christian Schlag / Anja Wodrich, Has there always been un<strong>der</strong>pric<strong>in</strong>g and long-run un<strong>der</strong>performance? IPOs<br />

<strong>in</strong> Germany before World War I, Center for F<strong>in</strong>ancial Studies, Work<strong>in</strong>g paper 2000/12, Dezember 2000.<br />

54<br />

Carsten Burhop, Initial public offer<strong>in</strong>gs dur<strong>in</strong>g Germany’s first capital market boom, 1870-79, Arbeitspapier,<br />

Universität Münster, Januar 2006.


22<br />

Weltkrieg sche<strong>in</strong>t die Zeichnungsrendite somit im Durchschnitt bei rund fünf Prozent gelegen<br />

zu haben.<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

-10%<br />

-20%<br />

-30%<br />

01.01.70<br />

27.09.72<br />

Zeichnungsrenditen von Erstemissionen, 1870-1892<br />

24.06.75<br />

20.03.78<br />

14.12.80<br />

10.09.83<br />

Abbildung 3<br />

Quellen: Anlagenband zur Börsenenquetekommission; Burhop, Initial public offer<strong>in</strong>gs; eigene Berechnungen.<br />

Abbildung 3 veranschaulicht das Ausmaß <strong>der</strong> Zeichnungsrendite während <strong>der</strong> Jahre 1870 bis<br />

1892 und <strong>des</strong>sen Profil im Zeitablauf. 55 An <strong>der</strong> dargestellten Punktwolke <strong>der</strong><br />

Zeichnungsrenditen fällt auf, daß die Zeichnungsrenditen während <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>jahre 1870 bis<br />

1873 sowohl positiv als auch negativ waren, woh<strong>in</strong>gegen Zeichnungsrenditen nach 1880 fast<br />

nur noch positiv waren. Zudem ist die Varianz <strong>der</strong> Zeichnungsrenditen <strong>in</strong> den 1880er Jahren<br />

deutlich niedriger als während <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>zeit. Für die überwiegend positiven<br />

Zeichnungsrenditen <strong>der</strong> späteren Periode bieten sich drei Erklärungen an: entwe<strong>der</strong> haben<br />

Emittent und Bankenkonsortium während <strong>der</strong> Jahre 1882 bis 1892 die E<strong>in</strong>führungspreise<br />

absichtlich zu niedrig angesetzt. <strong>Die</strong>s wird nach mo<strong>der</strong>ner Auffassung gemacht, um dem<br />

Kapitalmarkt die hohe Qualität <strong>des</strong> zugrundeliegenden Unternehmens zu signalisieren. Das<br />

neue Unternehmen kann es sich leisten, Geld auf dem Tisch <strong>der</strong> Börse zurückzulassen, da die<br />

Zahlungsströme aus <strong>der</strong> Unternehmenstätigkeit zur Deckung <strong>der</strong> Ausgaben ausreichen.<br />

Zweitens kann dies auf Kurspflegemaßnahmen <strong>des</strong> E<strong>in</strong>führungskonsortiums h<strong>in</strong>deuten. <strong>Die</strong><br />

beteiligten Banken haben am ersten Handelstag e<strong>in</strong> Zurückfallen <strong>des</strong> Kurses unter den<br />

55 Der Graphik liegen 73 Erstemissionen <strong>der</strong> Jahre 1870 bis 1873 aus Burhop, <strong>in</strong>itial public offer<strong>in</strong>gs sowie 70<br />

Erstemissionen <strong>der</strong> Jahre 1882 bis 1892 aus dem Anlagenband zur Börsenenquetekommission zu Grunde.<br />

06.06.86<br />

02.03.89<br />

27.11.91


23<br />

Emissionspreis verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t um die eigene Reputation durch fehlgeschlagene<br />

Börsene<strong>in</strong>führungen nicht zu beschädigen. Drittens könnte durch Ausgiebige Nutzung <strong>des</strong><br />

Pr<strong>in</strong>zips <strong>der</strong> Aktiensperre das Angebot an Aktien <strong>in</strong> den ersten Handelstagen o<strong>der</strong> -wochen<br />

stark begrenzt gewesen se<strong>in</strong>, so daß e<strong>in</strong>e Kursanpassung nicht möglich war. Welcher Grund<br />

tatsächlich ausschlaggebend gewesen ist kann anhand den re<strong>in</strong>en Kursbeobachtungen aber<br />

nicht entschieden werden.<br />

V. Schlußbetrachtung<br />

Während <strong>der</strong> Jahre 1870 bis 1912 erhöhte sich die Zahl <strong>der</strong> börsennotierten<br />

Aktiengesellschaften im Deutschen Reich von 134 auf über 1.000. Insbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> den ersten<br />

Lebensjahren <strong>des</strong> Reichs, den sogenannten Grün<strong>der</strong>jahren, wurden zudem mehrere hun<strong>der</strong>t<br />

Aktiengesellschaften für kurze Zeit an die Börse gebracht. <strong>Die</strong> Anzahl <strong>der</strong> Erstemissionen<br />

während <strong>der</strong> vier Jahrzehnte zwischen Gründung <strong>des</strong> Deutschen Reichs und Ausbruch <strong>des</strong><br />

Ersten Weltkrieges war somit größer als die Zahl <strong>der</strong> Erstemissionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik<br />

Deutschland während <strong>der</strong> Jahre 1949 bis 1999. Des weiteren ist nicht nur die Anzahl <strong>der</strong><br />

börsennotierten Aktiengesellschaften im Kaiserreich gestiegen, auch die Bedeutung <strong>der</strong> Aktie<br />

als F<strong>in</strong>anzierungs<strong>in</strong>strument hat an Bedeutung gewonnen.<br />

<strong>Die</strong> grundlegenden <strong>Technik</strong>en <strong>des</strong> <strong>Gründungsgeschäfts</strong> haben sich <strong>in</strong> den vier Dekaden<br />

zwischen Reichsgründung und Kriegsausbruch wenig verän<strong>der</strong>t. In den meisten Fällen wurde<br />

e<strong>in</strong> bereits länger bestehen<strong>des</strong> Unternehmen <strong>in</strong> die Rechtsform <strong>der</strong> Aktiengesellschaft<br />

umgewandelt, die Aktien <strong>der</strong> neuen Gesellschaft wurden zu e<strong>in</strong>em festem Preis an e<strong>in</strong><br />

Bankenkonsortium verkauft (Übernahmekonsortium) und die Führungsbank <strong>des</strong> Konsortiums<br />

hat das erhebliche Liquiditäts- und Erfolgsrisiko durch Verteilung auf mehrere Konsorten und<br />

e<strong>in</strong>e Vielzahl von Unterkonsorten verteilt.<br />

Verän<strong>der</strong>t haben sich aber die Details das <strong>Gründungsgeschäfts</strong> durch E<strong>in</strong>griffe <strong>des</strong> Staates:<br />

mit <strong>der</strong> Aktienrechtsnovelle von 1884 wurden die Haftungsvorschriften für Grün<strong>der</strong> und<br />

Banken erheblich verschärft, e<strong>in</strong>e Entwicklung, die mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Prospekthaftung<br />

durch das Börsengesetz im Jahre 1897 weiter verstärkt worden ist. Des weiteren schrieb das<br />

Börsengesetz e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong><strong>des</strong>thaltedauer <strong>der</strong> neuen Aktien durch die Banken vor, d.h. im<br />

Gründungsgeschäft wurden ab 1897 liquide Mittel im hohen Ausmaß gebunden. Schließlich<br />

hat <strong>der</strong> Staat auch durch Steuern E<strong>in</strong>fluß auf das Gründungsgeschäft unternommen, denn die<br />

Ausgabe von Aktien unterlag seit 1881 <strong>der</strong> Reichsstempelsteuer.


24<br />

Wesentlich verän<strong>der</strong>t hat sich das Ausmaß <strong>der</strong> Zeichnungsrenditen. Während <strong>der</strong><br />

Grün<strong>der</strong>jahre stieg <strong>der</strong> Kurs <strong>der</strong> neuen Aktien während <strong>der</strong> ersten Handelstage kaum,<br />

vielmehr bewegte er sich bei manchen Aktien stark nach oben, bei an<strong>der</strong>en deutlich nach<br />

unten. Während <strong>der</strong> 1880er und frühen 1890er Jahre h<strong>in</strong>gegen kam es zu erheblichen<br />

Zeichnungsrenditen. <strong>Die</strong>s könnte auf e<strong>in</strong>e konservative Festlegung von Emissionspreisen,<br />

aber auch auf Stützungsmaßnahmen durch die Emissionsbanken o<strong>der</strong> auf die Sperrung von<br />

Aktienbeständen zurückzuführen se<strong>in</strong>.

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