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schlafen & planen - Veterinärmedizinische Universität Wien

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Foto Klaus Schendel<br />

THEMA<br />

Siebenschläfer<br />

– <strong>schlafen</strong> & <strong>planen</strong><br />

Klein, grau, mit großen Knopfaugen und ihren unverkennbaren Rufen sind Siebenschläfer<br />

oftmals Gäste in Jagdhütten und Hochständen. Siebenschläfer ver<strong>schlafen</strong><br />

zwei Drittel des Jahres und sind Meister in der Nachwuchsplanung: Sie können die<br />

Buchenmast vorhersehen, und nur bei guter Mast gibt’s Nachwuchs!<br />

Dr. Karin Lebl<br />

Institut für Öffentliches Veterinärwesen der Vet.-Med. <strong>Universität</strong> <strong>Wien</strong><br />

Während die einen sich über die Gesellschaft<br />

der possierlichen „Bilche“,<br />

wie die Siebenschläfer auch<br />

genannt werden, freuen, stoßen sich andere<br />

an dem Dreck, den sie hinterlassen.<br />

Manch einem Jäger etwa in der <strong>Wien</strong>erwaldregion<br />

mag auf gefallen sein, dass es<br />

12<br />

letztes Jahr ein wenig ruhiger zuging als<br />

in den Jahren zuvor. Dies lag vor allem<br />

daran, dass es dort 2010 fast keine Siebenschläferjungen<br />

gegeben hat. Was kein<br />

Grund zur Beunruhigung ist – gelegentliche<br />

Jahre ohne Nachwuchs sind für Siebenschläfer<br />

völlig normal.<br />

Siebenschläfer,<br />

auch Bilche<br />

genannt, sind<br />

Bewohner der<br />

Baumkronen.<br />

Dennoch verlassen<br />

sie ihren<br />

gewohnten<br />

Lebensraum,<br />

um in Erdhöhlen<br />

ihren etwa<br />

achtmonatigen<br />

Winterschlaf<br />

abzuhalten.<br />

© WEIDWERK, Österreichs auflagenstärkste Jagdzeitschrift<br />

Fortpflanzung<br />

Seit mehr als 50 Jahren ist bekannt, dass<br />

Siebenschläfer nicht jedes Jahr Junge aufziehen.<br />

Biologen spekulierten viele Jahre<br />

über mögliche Faktoren, die für dieses<br />

Phänomen verantwortlich sein könnten.<br />

Sie vermuteten, dass Jahre ohne Fortpflanzung<br />

durch schlechte Wetterbedingungen<br />

oder zu wenig Futter verursacht<br />

werden. Inzwischen ist erwiesen,<br />

dass Siebenschläferweibchen nur in<br />

Jahren trächtig werden, in denen eine<br />

Buchen- bzw. Eichenmast stattfindet<br />

(siehe auch WEIDWERK 1/2002). In Vollmastjahren<br />

nehmen fast alle Siebenschläfer an<br />

der Fortpflanzung teil, in Jahren mit einer<br />

Halb- oder Sprengmast hingegen pflanzt<br />

sich nur ein Teil der Population fort.<br />

Werden gar keine dieser energiereichen<br />

Samen produziert (wenn es eine sogenannte<br />

„Fehlmast“ gibt), bekommen<br />

Siebenschläfer auch keine Junge. Die<br />

Geburt der Siebenschläferjungen findet<br />

vergleichsweise erst recht spät im Jahr<br />

statt (Anfang/Mitte August), und die<br />

Jungtiere sind auf eine sehr energiereiche<br />

Futterquelle angewiesen, damit sie innerhalb<br />

von nur etwa 8 Wochen genug Fett-<br />

WEIDWERK 5/2011


vorräte anlegen können, um ihren ersten<br />

Winterschlaf zu überleben. In Jahren<br />

ohne eine solche energiereiche Futterquelle<br />

wären die Überlebenschancen der<br />

Jungtiere somit nur sehr gering. Ausgewachsene<br />

Siebenschläfer haben eine<br />

längere Vorbereitungszeit und müssen<br />

nicht wie die Jungtiere zusätzlich noch in<br />

Größenwachstum investieren. Sie schaffen<br />

es daher auch in Fehlmast-Jahren, sich<br />

mit weniger energiereichem Futter (wie<br />

Blätter und Früchte) einen dicken Winterspeck<br />

zuzulegen.<br />

Doch woher wissen Siebenschläfer, wie<br />

das Futterangebot im Herbst aussehen<br />

wird? Die Jungtiere werden nämlich bereits<br />

geboren, bevor die Bucheckern bzw.<br />

Eicheln reif sind. Und die Paarungszeit<br />

findet dementsprechend noch früher<br />

statt, Anfang bis Mitte Juli. Zu diesem<br />

Zeitpunkt scheint die zukünftige Mastsituation<br />

noch völlig offen zu sein.<br />

Unreife Früchte als Signal<br />

Doch es gibt Hinweise: Selbst die noch<br />

grünen Fruchtknospen von Bucheckern<br />

haben bereits im Juli einen sehr hohen<br />

Fettgehalt von 15 %. Es scheint daher<br />

möglich, dass Siebenschläfer sich dann<br />

paaren, wenn diese Fruchtknospen vorhanden<br />

sind. Um die Theorie zu testen,<br />

dass Siebenschläfer energiereiches Futter<br />

(wie eben Fruchtknospen von Bucheckern)<br />

als Signal nutzen, um mit der<br />

Fortpflanzung zu beginnen, wurde in<br />

einem FIWI-Projekt ein Zufütterungsexperiment<br />

am Schöpfl im <strong>Wien</strong>erwald<br />

durchgeführt. In diesem Bereich wurden<br />

bereits vor über 20 Jahren an die 200<br />

Nistkästen gebaut und aufgehängt (und<br />

auch regelmäßig gewartet). Neben verschiedenen<br />

Arten von Meisen werden<br />

diese Nistkästen auch gerne von Siebenschläfern<br />

besiedelt. Siebenschläfer bewohnen<br />

den Sommer über normalerweise<br />

Baum höhlen, nehmen aber auch gerne<br />

Nistkästen an, um tagsüber darin zu<br />

<strong>schlafen</strong> und auch um ihre Jungen großzuziehen.<br />

Seit 2006 läuft in diesem Gebiet<br />

eine groß angelegte Fang-Wiederfang-<br />

Studie, bei der im Abstand von zwei<br />

Wochen alle Nistkästen auf das Vorhandensein<br />

von Siebenschläfern überprüft<br />

werden. Im Jahr 2007, in dem es dort<br />

eine Teilmast bei Buchen gab, wurden<br />

WEIDWERK 5/2011<br />

Beim Zufütterungsexperiment<br />

wurde in<br />

Nistkästen Zusatzfutter<br />

in Form von<br />

Sonnenblumenkernen<br />

gereicht<br />

Foto Klaus Kürbisch<br />

auf etwa 30 % des Untersuchungsgebiets<br />

Sonnenblumenkerne zugefüttert. Sonnenblumenkerne<br />

sind, wie die Fruchtknospen<br />

von Bucheckern, reich an<br />

Fett und enthalten somit viel Energie.<br />

Von Mai bis Mitte Juli wurden 200 g Sonnenblumenkerne<br />

(pro Woche und Nistkasten)<br />

direkt in die Nistkästen ausgebracht.<br />

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass<br />

im Zufütterungsareal ganze 96 % der<br />

Weibchen Junge bekamen, während es im<br />

THEMA<br />

Vergleichsgebiet nur 58 % waren. Obwohl<br />

insgesamt weniger Jahrlinge als ausgewachsene<br />

Weibchen (zwei Jahre oder<br />

älter) Nachwuchs hatten, beeinflusste das<br />

Körpergewicht in beiden Altersklassen<br />

nicht die Entscheidung, ob sie Junge hatten<br />

oder nicht. Durch das Zufüttern wurden<br />

auch die Männchen beeinflusst.<br />

Männliche Siebenschläfer haben, so wie<br />

viele andere sich saisonal fortpflanzende<br />

Nagetiere, nur während der Paarungszeit<br />

zur vollen Größe ausgebildete, funkti-<br />

Die fettreichen<br />

Fruchtknospen der<br />

2010<br />

Buche im Frühsommer<br />

dienen den<br />

Wajopi,<br />

Siebenschläfern als<br />

Signal für gute<br />

Futterbedingungen<br />

Pitopia, ©<br />

für den Nachwuchs<br />

im Herbst Foto<br />

© WEIDWERK, Österreichs auflagenstärkste Jagdzeitschrift<br />

13<br />

Foto Karin Lebl


THEMA<br />

14<br />

STECKBRIEF<br />

Siebenschläfer, „Bilch“<br />

Glis glis<br />

Kennzeichen:<br />

Kopf-Rumpf-Länge: 13–16 cm<br />

Gewicht: ca. 80–120 g<br />

Schwanzlänge: 11–16 cm<br />

Beschreibung:<br />

Graues Fell, nur an der Bauchseite weiß<br />

bis cremefarben, buschiger Schwanz;<br />

charakteristische schwarze Ringe um die<br />

Augen.<br />

Lebensraum:<br />

Ist in fast ganz Europa zu finden (außer in<br />

Portugal, im südwestlichen Spanien und<br />

in den Skandinavischen Ländern) sowie<br />

in Teilen West-Russlands und des Nahen<br />

Ostens.<br />

Lebensweise:<br />

Bewohner der Baumkronen in Laub- und<br />

Mischwäldern; nachtaktiv, schläft tagsüber<br />

in Baumhöhlen (aber auch gerne in<br />

Vogelnistkästen); Winterschlaf von etwa<br />

Oktober bis Mai in unterirdischen Bauen.<br />

Nahrung:<br />

Frisst bevorzugt Knospen, junges Laub,<br />

zarte Rinde, Bucheckern, Eicheln, energiereiche<br />

Samen anderer Bäume und<br />

Sträucher, Obst und Beeren, gelegentlich<br />

auch tierische Kost (z. B. Vogeleier, Jungvögel<br />

und Insekten).<br />

Fortpflanzung & Jungenaufzucht:<br />

Paarungszeit ist Anfang bis Mitte Juli,<br />

Wurfzeit ist Anfang bis Mitte August, nur<br />

1 Wurf pro Jahr, meist um die 5 Jungtiere;<br />

Lebensdauer schwankt regional zwischen<br />

3 und 9 Jahren, da die Häufigkeit der<br />

Mastjahre unterschiedlich ist.<br />

Ein Charakteristikum<br />

des Siebenschläfers<br />

sind die schwarzen<br />

Ringe um die Augen<br />

onstüchtige Hoden. Die übrige Zeit sind<br />

die Hoden deutlich kleiner und werden in<br />

die Bauchhöhle zurückgezogen. In unserem<br />

Zufütterungsexperiment führte das<br />

energiereiche Futter dazu, dass sich deutlich<br />

mehr Männchen an der Fortpflanzung<br />

beteiligten. Auch hatten die Männchen<br />

im Zufütterungsteil für vier Wochen<br />

länger als im Vergleichsgebiet große,<br />

funktionstüchtige Hoden ausgebildet.<br />

Das langjährige Rätsel, wie Siebenschläfer<br />

die Buchenmast vorhersehen können,<br />

scheint somit gelüftet: Die fettreichen<br />

Fruchtknospen im Frühsommer dienen<br />

ihnen als Signal für gute Futterbedingungen<br />

für den Nachwuchs im Herbst.<br />

Fettreserven<br />

oder Futterangebot?<br />

Dass Säugetiere beim Vorhandensein<br />

energiereicher Nahrung mehr in ihre<br />

Fortpflanzung investieren, ist nichts<br />

Neues und wurde bereits oft in Zufütterungsexperimenten<br />

gezeigt. Es wurde<br />

angenommen, dass zusätzliches Futter<br />

die Fettreserven erhöht, und es diese höheren<br />

Energiereserven den Tieren erlauben,<br />

sich fortzupflanzen. Interessanterweise<br />

nahmen die Weibchen im Teilgebiet<br />

mit den Sonnenblumenkernen nicht<br />

mehr an Gewicht zu als jene im restlichen<br />

Gebiet. Und bei den Männchen zeigte<br />

sich, dass jene aus dem Zufütterungsgebiet<br />

nur rund 5 g schwerer waren.<br />

© WEIDWERK, Österreichs auflagenstärkste Jagdzeitschrift<br />

Obwohl das Gewicht kaum beeinflusst<br />

wurde, zeigten sich gravierende Unterschiede<br />

in der Fortpflanzung. Dies macht<br />

deutlich, dass erhöhte Fettreserven nicht<br />

die Ursache für den Anstieg der sich fortpflanzenden<br />

Siebenschläfer sein kann. Inzwischen<br />

haben neue physiologische Studien<br />

gezeigt, dass das momentane Futterangebot<br />

wahrscheinlich viel wichtiger ist<br />

als gespeicherte Fettreserven. Denn beim<br />

Fressen energiereicher Nahrung werden<br />

bestimmte Hormone ausgeschüttet, die<br />

direkt das Paarungsverhalten beeinflussen<br />

können.<br />

LANGSCHLÄFER<br />

Obwohl Siebenschläfer Bewohner der<br />

Baumkronen sind, verlassen sie für den<br />

Winterschlaf ihren gewohnten Lebensraum.<br />

Wie Feldhamster und Ziesel graben<br />

sich Siebenschläfer zum Überwintern<br />

Erdhöhlen, die etwa 50 bis 100 cm tief<br />

unter der Erdoberfläche liegen. Der Winterschlaf<br />

dauert in der Regel um die 8 Monate,<br />

somit scheint ihr Name etwas irreführend<br />

zu sein. Doch „sieben“ bedeutete<br />

früher einfach nur „viel“, und somit passt<br />

der Name wieder. Denn Siebenschläfer<br />

<strong>schlafen</strong> auch oft wochen- bis monatelang<br />

im Sommer. Es gibt erste Hinweise,<br />

dass dieser Sommerschlaf vor allem in<br />

Jahren ohne Fortpflanzung auftritt. Bei<br />

einzelnen Tieren konnte sogar gezeigt<br />

werden, dass, rechnet man Winter- und<br />

Sommerschlaf zusammen, sie mehr als<br />

10 Monate pro Jahr ver<strong>schlafen</strong>!<br />

WEIDWERK 5/2011<br />

Fotos Karin Lebl

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