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Die Rezeption der „Winterreise“ von Franz Schubert in der Moderne ...

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

<strong>Die</strong> <strong>Rezeption</strong> <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> <strong>von</strong> <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne.<br />

Hans Zen<strong>der</strong>s komponierte Interpretation<br />

I Problemstellung und Zielsetzungen 3<br />

II Das Sujet 4<br />

1 Überlegungen zur Überzeitlichkeit ...................................................................................... 4<br />

2 Von aufkeimendem Subjekt- zum Selbst-bewusstse<strong>in</strong> ........................................................ 5<br />

3 Wenn die Heimat zur Fremde wird - Müllers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> ............................................... 7<br />

A <strong>Die</strong> real lokale Entfremdung ............................................................................................ 8<br />

B <strong>Die</strong> Selbstentfremdung ................................................................................................... 10<br />

C S<strong>in</strong>n- und Zielkonfiguration ........................................................................................... 11<br />

D Kommunikation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Isolation .................................................................................... 17<br />

4 „Der epochale W<strong>in</strong>ter“ - Bestimmungen zur Diskursbreite............................................... 17<br />

5 <strong>Die</strong> Determ<strong>in</strong>ation <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne durch die W<strong>in</strong>terreisethematik....................................... 20<br />

III Bed<strong>in</strong>gung und Notwendigkeit <strong>von</strong> Interpretation 23<br />

1 Krisenerfahrung und Genese <strong>der</strong> Interpretationsnotwendigkeit ........................................ 23<br />

2 „Lebendige Interpretation“ ................................................................................................ 24<br />

3 Musik lesen: Zeichensysteme - o<strong>der</strong> Musik als Sprache ................................................... 25<br />

A Musik im Fluss .............................................................................................................. 25<br />

B Musikalische Zeichen .................................................................................................... 26<br />

C Interpretation <strong>von</strong> Zeichensystemen .............................................................................. 28<br />

4 Gründe <strong>der</strong> und Wahrheitsgehalt <strong>von</strong> Interpretation ......................................................... 36<br />

A <strong>Die</strong> Verantwortung des Interpreten ............................................................................... 36<br />

B Das Erwachsen <strong>der</strong> Verantwortung ............................................................................... 37<br />

C <strong>Die</strong> Implikate <strong>der</strong> Verantwortung .................................................................................. 38<br />

5 <strong>Die</strong> Rolle des Rezipienten .................................................................................................. 40<br />

IV Zen<strong>der</strong>s komponierte Interpretation 42<br />

1 Wege zu Zen<strong>der</strong> ................................................................................................................. 42<br />

A <strong>Die</strong> Transkriptionen Liszts ............................................................................................ 42<br />

B <strong>Die</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> Bredemeyers .................................................................................... 43<br />

C <strong>Die</strong> <strong>Rezeption</strong> Döhls ...................................................................................................... 45<br />

D Das „Experiment“ Rühms .............................................................................................. 46<br />

2 „Lecture“ als Vermittlung e<strong>in</strong>er „verlorenen“ Sprache – Zen<strong>der</strong>s Weg zu <strong>Schubert</strong> ........ 47<br />

3 <strong>Schubert</strong> und Zen<strong>der</strong> - Geme<strong>in</strong>samkeiten und Divergenzen ............................................. 48<br />

A Zyklusbildung und Tonartendisposition ........................................................................ 48<br />

B <strong>Die</strong> Bedeutung <strong>von</strong> und <strong>der</strong> Umgang mit den Tongeschlechtern .................................. 51<br />

C Onomatopoesie und Stimuli – Textausdeutung durch Malerei ...................................... 54<br />

D <strong>Die</strong> Bewegungen <strong>der</strong> Musiker ....................................................................................... 58<br />

4 Analyse e<strong>in</strong>zelner Aspekte ausgewählter Lie<strong>der</strong> ............................................................... 62<br />

5 <strong>Schubert</strong>, Zen<strong>der</strong>, Neumeier – Treffpunkt Zukunft? ......................................................... 77<br />

VI Schlussbetrachtung 79<br />

1


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- JANINE CHRISTGEN<br />

VII Literaturverzeichnis<br />

VIII Anhangverzeichnis<br />

IX Anhang<br />

2


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- JANINE CHRISTGEN<br />

I Problemstellung und Zielsetzungen<br />

„Der Mensch lebt überall noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung <strong>der</strong><br />

Welt, als e<strong>in</strong>er Rechten. <strong>Die</strong> wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, son<strong>der</strong>n am Ende und sie beg<strong>in</strong>nt<br />

erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dase<strong>in</strong> radikal werden, das heißt sich an <strong>der</strong> Wurzel fassen. <strong>Die</strong><br />

Wurzel <strong>der</strong> Geschichte aber ist <strong>der</strong> [...] schaffende, die Gegebenheiten überholende Mensch. Hat er sich<br />

erfasst und das Se<strong>in</strong>e ohne Entäußerung und Entfremdung [...] begründet, so entsteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt etwas,<br />

das allen <strong>in</strong> die K<strong>in</strong>dheit sche<strong>in</strong>t und wor<strong>in</strong> noch niemand war, Heimat.“ 1<br />

Ernst Bloch thematisiert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Hauptwerk „Pr<strong>in</strong>zip Hoffnung“ die Vorstellung, dass die<br />

Menschheit erst nach Krisenerfahrung und Durchleben e<strong>in</strong>er aus ihr resultierenden<br />

Entwicklung e<strong>in</strong>en Zustand erreicht, <strong>der</strong> sich als wahrhaftige Heimat erweist. Heimat muss<br />

erarbeitet werden. In diesem Prozess offenbaren sich wesentliche Gesichtspunkte, die im<br />

Sujet <strong>der</strong> „W<strong>in</strong>terreisen“ verankert s<strong>in</strong>d und sich auf ihre überzeitliche Verbreitung und ihren<br />

allgeme<strong>in</strong> anthropologischen Grundgedanken beziehen. <strong>Die</strong> Entfremdung des Menschen, die<br />

Dezentrierung des Subjekts, die Solipsie 2 , die Heimatlosigkeit als grundlegende<br />

Eigenschaften <strong>der</strong> menschlichen Gesellschaft. All diese Faktoren, die für Bloch <strong>der</strong><br />

Überw<strong>in</strong>dung bedürfen, <strong>der</strong> Transformation ihrer negativen Vorzeichen <strong>in</strong> die konstruktive<br />

Formierung e<strong>in</strong>es neuen heimatlichen Gefüges, ersche<strong>in</strong>en als zentrale Botschaften <strong>der</strong><br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> und begründen gerade auch ihre fortwährende <strong>Rezeption</strong>.<br />

In dieser Arbeit sollen diese konstitutiven Faktoren <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> herausgearbeitet<br />

werden. Dabei wird zunächst <strong>der</strong> literarische Kontext betrachtet und anhand dessen aufgezeigt<br />

werden, wie die Überzeitlichkeit des Sujets zu immerwähren<strong>der</strong> Transformation desselben<br />

anregte und gerade auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprachkrise <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne zu fassen ist. Ausgehend <strong>von</strong> dieser<br />

Problematik soll erläutert werden, wie die Sprachfähigkeit <strong>von</strong> Texten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er immer<br />

heterogener werdenden Gesellschaft zurückgewonnen werden kann. Wie können Texte, und<br />

dies <strong>in</strong>kludiert hier auch gerade die musikalischen Texte, die Notation, <strong>von</strong> „Abnutzung“<br />

befreit und <strong>in</strong> ihre existentielle Wirksamkeit zurückübersetzt werden, so dass ihr<br />

ursprünglicher Ausdrucksgehalt wie<strong>der</strong>hergestellt und die Mo<strong>der</strong>nität und immense<br />

Aussagekraft, die gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schubert</strong>schen <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d, hervortreten?<br />

Eben diese Gedankengänge beschäftigen Hans Zen<strong>der</strong>. Durch Erläuterungen se<strong>in</strong>er<br />

zahlreichen Texte soll diese Problematik e<strong>in</strong>gehend untersucht werden. Schließlich wird die<br />

praktische Umsetzung <strong>der</strong> theoretischen Grundlegungen Zen<strong>der</strong>s anhand se<strong>in</strong>er komponierten<br />

Interpretation <strong>der</strong> <strong>Schubert</strong>schen <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> darzustellen se<strong>in</strong>. Zudem s<strong>in</strong>d die Vorläufer<br />

1 Bloch, Ernst: Das Pr<strong>in</strong>zip Hoffnung, S. 1628.<br />

2 Solipsie: Vere<strong>in</strong>samung des Subjekts, dadurch, dass das Ich se<strong>in</strong>e eigenen Bewusstse<strong>in</strong>s<strong>in</strong>halte als e<strong>in</strong>zig<br />

Wirkliche gelten lässt und alle Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>der</strong> Außenwelt nur als dessen Projektionen betrachtet.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

für Zen<strong>der</strong>s Arbeit zu untersuchen und gleichfalls herauszustellen, <strong>in</strong> welcher Weise se<strong>in</strong><br />

Werk und dessen <strong>Rezeption</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> e<strong>in</strong>en Weg <strong>in</strong> die Mo<strong>der</strong>ne ebnet.<br />

II Das Sujet<br />

1 Überlegungen zur Überzeitlichkeit<br />

„E<strong>in</strong> geistiger Gegenstand ist eben dadurch >bedeutend


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- JANINE CHRISTGEN<br />

romantischen Wan<strong>der</strong>ns.“ 5 Was aber zu e<strong>in</strong>em spezifisch w<strong>in</strong>terlichen Wan<strong>der</strong>n veranlasst<br />

und mit welchen soziologisch-evolutionären Bed<strong>in</strong>gungen dieses verknüpft ist, soll im<br />

Folgenden ebenso entwickelt werden wie die signifikanten Merkmale e<strong>in</strong>er solchen Reise und<br />

ihre Überzeitlichkeit.<br />

2 Von aufkeimendem Subjekt- zum Selbst-bewusstse<strong>in</strong><br />

<strong>Die</strong> „W<strong>in</strong>terreisen“ nehmen literarisch betrachtet ihren Ausgangspunkt mit dem Gedicht<br />

„Galathee“ <strong>von</strong> Mart<strong>in</strong> Opitz, das 1625 <strong>in</strong> dem Buch <strong>der</strong> „Oden und Gesänge“ se<strong>in</strong>er<br />

Deutschen Poemata erschien. <strong>Die</strong>ses poetische Regelwerk leitet er mit jenem Gedicht e<strong>in</strong>. Es<br />

handelt sich dabei <strong>in</strong>haltlich um die Liebesklage des Hirten Coridon. Von beson<strong>der</strong>em<br />

Interesse ist hier jedoch nicht jenes Sujet, son<strong>der</strong>n die Art und Weise, wie dieses exponiert<br />

wird. Schon <strong>in</strong> den ersten Versen, <strong>in</strong> denen Ort und Gegenstand se<strong>in</strong>er Betrübnis exponiert<br />

werden, zeigen sich Merkmale, die für spätere W<strong>in</strong>terreisen grundlegend se<strong>in</strong> werden:<br />

„Coridon, <strong>der</strong> g<strong>in</strong>g betrübet / An <strong>der</strong> kalten Cimbersee / Wegen se<strong>in</strong>er Galathee“ 6 . <strong>Die</strong>ses<br />

Zitat weist bereits auf zwei konstitutive Merkmale h<strong>in</strong>: zum e<strong>in</strong>en auf den Zustand des<br />

Wan<strong>der</strong>ns e<strong>in</strong>es lyrischen Ichs, zum an<strong>der</strong>en auf die kalte und unwirtliche Landschaft. H<strong>in</strong>zu<br />

tritt noch e<strong>in</strong>e weitere Beson<strong>der</strong>heit, welche sich <strong>in</strong> späteren Versen offenbart: „Also sang er /<br />

dass die Wellen / Und das Ufer an <strong>der</strong> See / Galathee / O Galathee / Sämptlich [sic!] muste<br />

wie<strong>der</strong>schellen“ 7<br />

Hier zeigt sich, dass <strong>der</strong> Schmerz des Hirten e<strong>in</strong>en Konterpart <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur f<strong>in</strong>det. <strong>Die</strong> triste<br />

Landschaft spiegelt se<strong>in</strong>e Gefühlslage. War es beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> mittelalterlichen Dichtung<br />

üblich, Erquickung und Ruhe mit dem Topos des Locus Amoenus zu verknüpfen, so sche<strong>in</strong>t<br />

sich hier jener Ort <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gegenteil verkehrt zu haben, zum Locus Desertus geworden zu<br />

se<strong>in</strong>. Für diese Konfiguration lassen sich jedoch Vorbil<strong>der</strong> f<strong>in</strong>den. „Der rhetorische Rahmen,<br />

die Topothesie e<strong>in</strong>er Landschaft, die zur Gemütslage des Sängers passt, und die<br />

Schäfernamen <strong>der</strong> beteiligten Personen s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong> bukolischen Liebesklage<br />

entnommen.“ 8 Ungewöhnlich ersche<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>gegen „die recht genauen geographischen<br />

Angaben, die dem Leser den Nachvollzug <strong>der</strong> w<strong>in</strong>terlichen Reise ermöglichen; wie die lokale<br />

und jahreszeitliche Situation s<strong>in</strong>d sie nur aus biographischen Umständen verständlich.“ 9 <strong>Die</strong>se<br />

Umstände sollen hier jedoch nicht weiter erörtert werden. Ziel ist es, nicht Opitz´ <strong>in</strong>dividuelle<br />

5 Waniek, Erdmann: Wilhelm Müllers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 147.<br />

6 Opitz, Mart<strong>in</strong>: Gesammelte Werke. Bd.II, 2, S. 654-659.<br />

7 Opitz, Mart<strong>in</strong>: Gesammelte Werke. Bd.II, 2, S. 654-659.<br />

8 Drux, Rudolf: Des Dichters W<strong>in</strong>terreise, S. 231.<br />

9 Drux, Rudolf: Des Dichters W<strong>in</strong>terreise, S. 231.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Motivationen zur Entstehung e<strong>in</strong>er W<strong>in</strong>terreisesituation zu klären, son<strong>der</strong>n festzustellen, dass<br />

„die Produktion literarischer W<strong>in</strong>terreisen <strong>von</strong> den Empf<strong>in</strong>dungen e<strong>in</strong>es autonomen Subjekts<br />

und <strong>der</strong> Fähigkeit zu ihrer Artikulation abhängig ist. [...] Innerlichkeit und Rückbezug auf die<br />

eigene psychische Verfassung ersche<strong>in</strong>en als notwendige Prämissen.“ 10 Individualität und<br />

subjektives Bewusstse<strong>in</strong> aber s<strong>in</strong>d basale Merkmale <strong>der</strong> Neuzeit. Im Mittelalter wäre e<strong>in</strong>e<br />

subjektive Zentrierung undenkbar gewesen, da sich Künstler als Werkzeuge Gottes<br />

betrachteten und ke<strong>in</strong> Verständnis <strong>in</strong>dividueller E<strong>in</strong>zigartigkeit ausbildeten. Erst <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Renaissance entwickelte sich e<strong>in</strong> solches, auf den schaffenden e<strong>in</strong>zelnen Menschen h<strong>in</strong><br />

konzentriertes Weltbild. Doch auch diese Vorstellung <strong>von</strong> Individualität greift <strong>in</strong> Bezug auf<br />

Selbstbild und Selbstverständnis <strong>von</strong> W<strong>in</strong>terreiseautoren zu kurz. Das Subjekt muss erst den<br />

Weg durch die Selbsterkenntnis des Ichs, als denkendem Wesen descartesischer Provenienz 11<br />

nehmen. Es muss sich se<strong>in</strong>er selbst bewusst werden, zu sich kommen, „selbst-bewusst“ se<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong> <strong>in</strong> sich gefestigte Persönlichkeit drängt euphorisch vorwärts <strong>in</strong> Revolution, Sturm und<br />

Drang, erhebt sich gegen Grundfesten, die das neue subjektive Selbstbewusstse<strong>in</strong><br />

determ<strong>in</strong>ieren.<br />

Zeigte sich bereits 1625 bei Opitz e<strong>in</strong> aufkeimendes <strong>in</strong>dividuelles Bewusstse<strong>in</strong> mit subjektiver<br />

Ausdrucksfähigkeit, so nehmen die „W<strong>in</strong>terreisen“ im Folgenden mit <strong>der</strong> Autonomisierung<br />

und Individualisierung zu.<br />

1777 schreibt Goethe se<strong>in</strong>e „Harzreise im W<strong>in</strong>ter“. Es handelt sich hierbei um die w<strong>in</strong>terliche<br />

Besteigung des Brockens, die zur Zeit Goethes durchaus, gerade unter w<strong>in</strong>terlichen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen, abenteuerliche Züge aufwies. Das Subjekt als gegen die unwirtliche Natur<br />

agierendes Vere<strong>in</strong>zeltes. Wenngleich auch hier wie<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> des Locus Desertus auftreten<br />

und die kalte w<strong>in</strong>terliche Natur den unterschwelligen Gemütsregungen des Subjekts Ausdruck<br />

verleiht, so differenziert sich Goethes <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> doch <strong>von</strong> jenen, die <strong>in</strong> den nachfolgenden<br />

Jahren geschrieben werden sollen. Goethes Wan<strong>der</strong>er nämlich erklimmt den Brocken,<br />

bezw<strong>in</strong>gt die unwirtliche Natur und steht göttergleich - wie Prometheus - am Ende <strong>der</strong> Reise<br />

siegreich da. Der beschwerliche Weg hat das Subjekt schließlich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en persönlichen<br />

Fähigkeiten bestärkt. Der Wan<strong>der</strong>er trägt e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen Gew<strong>in</strong>n da<strong>von</strong>. <strong>Die</strong>ses Sturm<br />

und Drang - Denken, dieses unerschütterliche Selbstbewusstse<strong>in</strong> aber schw<strong>in</strong>det mit<br />

verlustreichen Revolutionen, Restaurationssystemen und <strong>der</strong> erneuten staatlichen<br />

Zurückdrängung persönlicher Individualität.<br />

10 Drux, Rudolf: Des Dichters W<strong>in</strong>terreise, S. 230.<br />

11 Vgl.: Descartes, René: Meditationes de prima philosophia. S. 40-61.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Entstand die W<strong>in</strong>terreisethematik grundlegend aus <strong>der</strong> Emanzipation des Individuums<br />

gegenüber Kirche und Staat als den bisherigen Ordnungssystemen, so zeigen sich nun auch<br />

die negativen Faktoren, die mit e<strong>in</strong>em solchen Individualisierungsprozess e<strong>in</strong>hergehen. Zum<br />

e<strong>in</strong>en bedeutet die Absage an die Orientierungse<strong>in</strong>heiten Kirche und Staat <strong>in</strong>dividuelle<br />

Autonomie und neue künstlerische Freiheit, wodurch e<strong>in</strong>e normative Ethik als Abbild<br />

staatlicher Ordnung an Relevanz verliert, zum an<strong>der</strong>en aber bed<strong>in</strong>gen die gleichen Faktoren<br />

den Verlust e<strong>in</strong>es zentrierten Weltbildes. <strong>Die</strong> Absage an norm- und orientierungstiftende<br />

Systeme wirft das Subjekt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Welt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es sich se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle Dase<strong>in</strong>sberechtigung<br />

erst selbst setzen muss, sich se<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n <strong>von</strong> Welt erschließen und konstituieren muss. Umso<br />

schwieriger ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e solche Konfiguration unter dem Gesichtspunkt e<strong>in</strong>er gescheiterten<br />

Revolution und e<strong>in</strong>es restaurativen Systems, wie es sich für Müller und <strong>Schubert</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Metternich Ära darstellt. Das Bürgertum sucht se<strong>in</strong>e Dase<strong>in</strong>sberechtigung und Bestätigung <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Ausbildung wirtschaftlicher Macht als Pendant zu verwehrter politischer Aktivität.<br />

An<strong>der</strong>erseits strebt es nach Zuflucht <strong>in</strong> Intellektuellenkreisen, die, getroffen <strong>von</strong> <strong>der</strong> ihnen<br />

verweigerten politischen Macht und <strong>der</strong> zensurbed<strong>in</strong>gten Unfähigkeit zur Artikulation,<br />

Bildung und Rückzug <strong>in</strong> die Innerlichkeit als e<strong>in</strong>zig mögliche Antwort auf die Gegebenheiten<br />

<strong>der</strong> zeitpolitischen Umstände begreifen. Folge e<strong>in</strong>es Rückzugs <strong>in</strong> und auf die eigene Person<br />

kann zu Resignation, Isolation, Vere<strong>in</strong>zelung und dem Gefühl <strong>von</strong> Fremdheit führen. <strong>Die</strong>se<br />

Konfiguration, das Überfor<strong>der</strong>tse<strong>in</strong> und Fremdse<strong>in</strong>, welches das Ich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Welt separiert,<br />

f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> entscheidendem Maße Nie<strong>der</strong>schlag <strong>in</strong> <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreisethematik.<br />

Der e<strong>in</strong>same Wan<strong>der</strong>er <strong>in</strong> <strong>der</strong> öden, kargen und unwirtlichen w<strong>in</strong>terlichen Landschaft, <strong>der</strong><br />

sich nicht artikulieren kann (o<strong>der</strong> auch nicht darf, wie im restaurativen Zensursystem).<br />

Kommunikationsloses Umherirren, das se<strong>in</strong> Pendant <strong>in</strong> Naturphänomenen f<strong>in</strong>det.<br />

Zurückgeworfen auf sich, krankt das Individuum an solipsistischer Gemütshaltung.<br />

3 Wenn die Heimat zur Fremde wird - Müllers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong><br />

Konstitutiv für die <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> <strong>von</strong> Wilhelm Müller ist die Divergenz <strong>von</strong> Heimat und<br />

Fremdse<strong>in</strong>. Es ist e<strong>in</strong> spezifisch dichotomisches Verhältnis, das sich nicht nur auf e<strong>in</strong>er<br />

äußeren Ebene, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konstitution des lyrischen, wan<strong>der</strong>nden Ichs zeigt. Zum<br />

e<strong>in</strong>en also entfernt sich <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er real <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Ort, <strong>der</strong> ihm vielleicht (doch auch dies<br />

sche<strong>in</strong>t unsicher) e<strong>in</strong>mal Heimat und Zufluchtstätte gewesen ist. Zum an<strong>der</strong>en wird <strong>der</strong><br />

Wan<strong>der</strong>er sich selbst fremd, es kommt zur Selbstentfremdung des Subjekts. <strong>Die</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong><br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Müllers offenbart folglich wesentlich existentiellere Züge, als dies den vorangehenden<br />

„W<strong>in</strong>terreisen“ zuzuschreiben gewesen wäre.<br />

A <strong>Die</strong> real lokale Entfremdung<br />

Der Wan<strong>der</strong>er zieht durch e<strong>in</strong>e kalte, unwirtliche W<strong>in</strong>terlandschaft, durch e<strong>in</strong>en Locus<br />

Desertus, vielleicht auch e<strong>in</strong>en Locus Terribilis, e<strong>in</strong>en schrecklichen o<strong>der</strong> gar unheimlichen<br />

Ort. Unheimlich auch deshalb, weil ihm die e<strong>in</strong>zelnen Naturphänomene ke<strong>in</strong>en verb<strong>in</strong>dlichen<br />

S<strong>in</strong>nzusammenhang erschließen. Was sagt ihm die Stimme <strong>der</strong> Natur, die sich ihm „im<br />

heulenden Sturm, im Rauschen des L<strong>in</strong>denbaums, im krachenden Eis, im Flackern des<br />

Irrlichts“ 12 und an<strong>der</strong>en onomatopoetischen Bil<strong>der</strong>n zeigt? Interessant ist, dass<br />

Unheimlichkeit und Fremdse<strong>in</strong> für Freud <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em engen semantischen Bezug stehen. In<br />

se<strong>in</strong>em Aufsatz über das „Unheimliche“ legt er diese Beobachtung dar.<br />

<strong>Die</strong> Provenienz des Unheimlichen aus heimatlichen Strukturen<br />

Zunächst klärt Freud die volksläufige Bedeutung des Begriffs „unheimlich“ auf. Er stellt fest,<br />

das Wort „unheimlich“ stehe offenbar dem Heimlichen, Heimischen und Vertrauten divergent<br />

gegenüber und <strong>der</strong> Schluss liege nahe, etwas habe eben darum e<strong>in</strong>e unheimliche Wirkung,<br />

weil es nicht bekannt und vertraut sei. 13 Von dieser Begriffsdef<strong>in</strong>ition nimmt Freud jedoch im<br />

Folgenden Abstand. Er bestimmt die Konnotation des Wortes schließlich mehr im<br />

Schlegelschen S<strong>in</strong>n als all Jenes, das geheim o<strong>der</strong> verborgen bleiben solle, aber dennoch<br />

hervorgetreten sei. Der Begriff des „Unheimlichen“ stelle nämlich ke<strong>in</strong>en Gegensatz zum<br />

„Heimischen“ dar, son<strong>der</strong>n gehe vielmehr aus diesem hervor. 14 Daher folgert Freud, dass<br />

„heimlich e<strong>in</strong> Wort [ist], das se<strong>in</strong>e Bedeutung nach e<strong>in</strong>er Ambivalenz h<strong>in</strong> entwickelt, bis es<br />

endlich mit se<strong>in</strong>em Gegensatz unheimlich zusammenfällt. Unheimlich ist irgendwie e<strong>in</strong>e Art<br />

<strong>von</strong> heimlich.“ 15<br />

<strong>Die</strong>ser Ansatz <strong>der</strong> Ambivalenz des Heimatbegriffes, <strong>der</strong> gleichzeitig „Unheimlichkeit“<br />

respektive „Un-Heimischkeit“ zum Ausdruck br<strong>in</strong>gt, lässt sich auch auf <strong>der</strong> Hegelschen<br />

Ästhetik basierend aufbauen. „Das Fremde tritt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em verhüllenden Dunkel <strong>der</strong><br />

aufgehellten und normativen Schönheit [...] als etwas Bedrohliches, sie <strong>in</strong> ihren Grenzen<br />

irritierendes gegenüber. Zugleich differiert es <strong>von</strong> <strong>der</strong> verlockenden Ferne: <strong>der</strong><br />

12 Drux, Rudolf: Des Dichters W<strong>in</strong>terreise, S. 236.<br />

13 Vgl. Freud, Siegmund: Das Unheimliche, S. 231.<br />

14 Vgl. Freud, Siegmund: Das Unheimliche, S. 236.<br />

15 Freud, Siegmund: Das Unheimliche, S. 237.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Verunendlichung des Fremden im Fernen, wo das Fremde se<strong>in</strong>en Schrecken verliert und sich<br />

mit dem Absoluten berührt,“ 16 sich Fremdes und Bekanntes assimilieren. <strong>Die</strong>se Vorstellungen<br />

Hegels basieren auf jener dialektischen Konzeption, welche er auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Phänomenologie<br />

des Geistes“, sowie <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Wissenschaft <strong>der</strong> Logik“ darlegt. Se<strong>in</strong> und Wesen, Ich und Nicht-<br />

Ich werden dadurch vermittelt, dass sie sich vom jeweils an<strong>der</strong>en durch ihre An<strong>der</strong>sartigkeit<br />

unterscheiden und gerade durch dieses Abstoßen und Differenzieren ihre eigene Identität<br />

f<strong>in</strong>den. Durch das bewusste Setzen <strong>der</strong> eigenen Negativität entsteht zunächst e<strong>in</strong>e sche<strong>in</strong>bar<br />

unüberw<strong>in</strong>dbare Divergenz. Es zeigt sich aber, dass gerade <strong>der</strong> Gang durch die Negativität,<br />

durch das An<strong>der</strong>swerden überhaupt erst Identität und Selbstgewissheit entstehen können. <strong>Die</strong><br />

e<strong>in</strong>e Seite bed<strong>in</strong>gt ihr negatives Gegenüber ebenso wie sich dies auch <strong>von</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

zeigt. So kann „Heimischkeit“ nicht ohne Fremde gedacht werden, da Heimat sich durch die<br />

bewusste Abwesenheit des Fremden setzt. <strong>Die</strong>se notwendige Konfiguration des sich<br />

immerwährenden Fügens <strong>von</strong> An- und Abwesendem zeigt die Dichotomie <strong>von</strong> Divergenz und<br />

Konvergenz. Dennoch muss e<strong>in</strong>geräumt werden, dass es sich hier nicht um e<strong>in</strong><br />

selbstreflektiertes, bewusstes Verhältnis <strong>der</strong> divergenten Seiten handelt. Eher stehen sich die<br />

gegenseitig bed<strong>in</strong>gten Verhältnisse unvermittelt gegenüber. Sie s<strong>in</strong>d sich <strong>der</strong> gegenseitigen<br />

Bed<strong>in</strong>gtheit nicht bewusst, empf<strong>in</strong>den sich nicht als aus dem jeweilig an<strong>der</strong>en entsprungen<br />

und stehen sich somit als Negativa gegenüber. Daher ersche<strong>in</strong>t die Fremde <strong>in</strong> Müllers<br />

Gedichten nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe zur Heimat, son<strong>der</strong>n zeigt sich gerade als <strong>der</strong>en Gegenteil,<br />

welches unvermittelbar mit dem positiven Heimatgefühl kollidiert. Wenngleich sich also<br />

Fremde aus Heimat o<strong>der</strong> besser gesagt <strong>der</strong>en Abwesenheit konstituiert, so kann <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er<br />

diese Fremdheit doch nicht überw<strong>in</strong>den, da er die Verb<strong>in</strong>dung zur heimatlichen Struktur nicht<br />

herstellen kann und so im philosophischen S<strong>in</strong>n nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist, die polarisierenden<br />

Seiten auszusöhnen.<br />

Dennoch lässt sich festhalten, dass, so antonym sich also Fremde und Heimat auch entgegen<br />

zu stehen sche<strong>in</strong>en, doch e<strong>in</strong>es aus dem an<strong>der</strong>en zu entwickeln ist.<br />

Was bedeutet dies nun für die Wan<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> die Fremde?<br />

Unheimlich war nach Freud eben als das nicht mehr Heimische bestimmt worden. Aus<br />

vormaliger Heimat ist e<strong>in</strong>e unwirtliche Landschaft geworden, die nur noch<br />

Fremdheitsstrukturen aufsche<strong>in</strong>en lässt. Der Wan<strong>der</strong>er ist, wie er selbst sagt, aus „törichtem<br />

Verlangen“ 17 zum Wan<strong>der</strong>n getrieben. Er durchzieht „planlos-zwanghaft“ die Landschaft wie<br />

16 Zitiert nach: Zenck, Mart<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> romantische Erfahrung <strong>der</strong> Fremde <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 141.<br />

17 Müller, Wilhelm: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 38.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

e<strong>in</strong> „Heimatloser, dessen Fremdheit <strong>von</strong> Anfang an außer Zweifel steht.“ 18 Irgendwann hat<br />

sich die Landschaft um ihn herum verkehrt und ist zur fremden E<strong>in</strong>öde geworden. Ziel <strong>der</strong><br />

Wan<strong>der</strong>ung ist die Konstitution e<strong>in</strong>er neuen Heimat, fester Strukturen, die wie<strong>der</strong> Halt im<br />

Leben bieten. Doch <strong>der</strong> Ausweg sche<strong>in</strong>t fern. Fremde wird eben als negatives Moment <strong>der</strong><br />

Heimat erfahren, die dichotomischen Wurzeln aber nicht erkannt. „Fremd b<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong>gezogen,<br />

fremd zieh ich wie<strong>der</strong> aus“ 19 postuliert <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er bereits zu Beg<strong>in</strong>n und lässt daher gleich<br />

auf die tiefe, e<strong>in</strong>schneidende Fremdheitserfahrung blicken, die mit se<strong>in</strong>er erzwungenen<br />

Wan<strong>der</strong>schaft e<strong>in</strong>hergeht.<br />

B <strong>Die</strong> Selbstentfremdung<br />

Wie stellt sich nun <strong>in</strong>folgedessen das Verhältnis des Wan<strong>der</strong>ers zu se<strong>in</strong>em eigenen Ich dar?<br />

Der Wan<strong>der</strong>er ist <strong>von</strong> sich selbst <strong>in</strong> gleicher Weise entfremdet, wie ihm die ihn umgebende<br />

Landschaft fremd geworden ist. So, wie sich die Heimat <strong>in</strong> ihr dialektisches Gegenteil<br />

verkehrt hat, so ist die Ich-Identität e<strong>in</strong>er Nicht-Identität gewichen. Obwohl beide, wie zuvor<br />

erläutert, gleichen Wurzeln entstammen, stehen sich die divergenten Seiten <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> letztendlich doch unvermittelt gegenüber. Es gibt ke<strong>in</strong>e übergeordnete<br />

Auflösung <strong>der</strong> Divergenz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Absoluten, wie dies Hegel <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Wissenschaft <strong>der</strong><br />

Logik“ als letzte Vermittlungsstufe darstellt. Es handelt sich eben nicht um das freie Sche<strong>in</strong>en<br />

<strong>der</strong> negativen Bestimmtheiten <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n um das „bl<strong>in</strong>de Übergehen <strong>der</strong><br />

Notwendigkeit“. 20 <strong>Die</strong> Seiten werden vermittelt, ohne dass die Notwendigkeitsstruktur<br />

Transparenz erlangt. <strong>Die</strong>s gerade ist auch e<strong>in</strong>e Konstituente, die zur Entfremdung des Ichs<br />

<strong>von</strong> sich selbst führt. Es kann durch die Erfahrung se<strong>in</strong>es Nicht-Ichs ke<strong>in</strong>e eigene Identität<br />

mehr herstellen. Heimat, Natur und Geliebte werden dem Ich fremd. <strong>Die</strong> Fremde wird „nicht<br />

erst noch erfahren, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung im Traum verklärt und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität verschärft<br />

empfunden.“ 21 <strong>Die</strong> Entwicklung e<strong>in</strong>er „Identität, welche sich durch das an<strong>der</strong>e erst bildet,<br />

<strong>in</strong>dem sie fremdliche Impulse aufnimmt und dadurch erst zu sich selbst kommt, zu e<strong>in</strong>er<br />

Nicht-Identität, <strong>in</strong> <strong>der</strong> alle Spuren e<strong>in</strong>es ursprünglich Identischen gelöscht s<strong>in</strong>d, ist nun für<br />

<strong>Schubert</strong> [...] zum Thema <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise geworden.“ 22 Mart<strong>in</strong> Zenk folgert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Aufsatz aus dieser Feststellung, dass das ästhetische Subjekt paradoxerweise <strong>in</strong> dem Maß an<br />

Identität verliere, wie es an<strong>der</strong>es als sich selbst, also die Außenwelt, nicht mehr<br />

18 Drux, Rudolf: Des Dichters W<strong>in</strong>terreise, S. 236.<br />

19 Müller, Wilhelm: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S.18.<br />

20 Hegel, G.W.F.: Wissenschaft <strong>der</strong> Logik, S. 217.<br />

21 Zenk, Mart<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> romantische Erfahrung <strong>der</strong> Fremde <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 143.<br />

22 Zenk, Mart<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> romantische Erfahrung <strong>der</strong> Fremde <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 143.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

wahrzunehmen im Stande sei und die Außenwelt schließlich mit ich-eigenen Projektionen<br />

überziehe. 23 <strong>Die</strong>ser Gedankengang ist bis auf das Wort „paradox“ folgerichtig und<br />

nachvollziehbar. Warum sollte e<strong>in</strong>e solche Konstellation paradox se<strong>in</strong>? Wendet man sich<br />

wie<strong>der</strong> Hegels Theorien zu und überlegt, wie sich hier Selbstbewusstse<strong>in</strong> konstituiert, so klärt<br />

sich das zunächst paradox Ersche<strong>in</strong>ende auf. Das Subjekt kann nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weise zu sich<br />

f<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es fähig ist, sich e<strong>in</strong> negatives Gegenüber zu setzen und sich <strong>von</strong> diesem zu<br />

differenzieren. Aus <strong>der</strong> Erfahrung <strong>der</strong> Negativität konstituiert sich die eigene Identität. Wird<br />

die Außenwelt aus dem Erfahrungsraum ausgeschlossen, gel<strong>in</strong>gt ke<strong>in</strong> Gang durch die<br />

Negativität mehr, wird ke<strong>in</strong> selbstbewusstes Ich mehr durch Differenzerfahrung erschlossen.<br />

E<strong>in</strong> solipsistisches, vere<strong>in</strong>zeltes Individuum bleibt zurück, das sich selbst fremd ist und dies <strong>in</strong><br />

umso gesteigertem Maße wird, desto weniger e<strong>in</strong>e reale negative Gegenübersetzung ihm die<br />

Überw<strong>in</strong>dung dieser Differenz ermöglicht. So überzieht <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er schließlich die<br />

Außenwelt mit eigenen Projektionen, schafft sich e<strong>in</strong>e Welt des immerwährenden W<strong>in</strong>ters, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> sich se<strong>in</strong> eigenes Fühlen und Denken bildlich darstellt. Doch gerade diese Konstellation<br />

beschreibt die solipsistische Vere<strong>in</strong>samung beson<strong>der</strong>s e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich. Für Georg Lukács ist die<br />

„selbst geschaffene Umwelt für den Menschen ke<strong>in</strong> Vaterhaus mehr, son<strong>der</strong>n Kerker.“ 24<br />

E<strong>in</strong>geschlossen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Welt <strong>der</strong> Fremdprojektionen kommt es zu <strong>der</strong> „Entfremdung des<br />

Menschen <strong>von</strong> se<strong>in</strong>en Gebilden“ 25 und somit auch <strong>von</strong> sich selbst.<br />

C S<strong>in</strong>n- und Zielkonfiguration<br />

Nun ist zu überlegen, welchen S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>e Reise o<strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung durch e<strong>in</strong>e solche Landschaft<br />

haben kann, o<strong>der</strong> viel pauschaler gefragt, welchen S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>e Wan<strong>der</strong>ung überhaupt hat. Im<br />

Folgenden sollen drei divergente S<strong>in</strong>nkonnotationen diskutiert werden und aufgrund dessen<br />

die Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Bedeutungsstruktur <strong>der</strong> Reisemetapher <strong>in</strong> <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise Müllers<br />

erschlossen werden.<br />

Teleologie<br />

Geht man <strong>von</strong> Reisen, auch literarischen, <strong>der</strong> Goethezeit aus, so dienen diese immer e<strong>in</strong>em<br />

höheren Ziel wie dem <strong>der</strong> Bildung. <strong>Die</strong>sen Reisen ist e<strong>in</strong>e Teleologie eigen, die das Wan<strong>der</strong>n<br />

konstituiert und ihm S<strong>in</strong>n gibt. In <strong>der</strong> Romantik wird „das Wan<strong>der</strong>n zum lyrischen<br />

23 Vgl.: Zenk, Mart<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> romantische Erfahrung <strong>der</strong> Fremde <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 144.<br />

24 Lukásc, Georg: Theorie des Romans, S. 55.<br />

25 Lukásc, Georg: Theorie des Romans, S. 55.<br />

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Volkssport.“ 26 Doch hat es sich grundlegend gewandelt; beson<strong>der</strong>s bei Müller sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e<br />

neue Dimension h<strong>in</strong>zugetreten zu se<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Reise hat, wie dies bereits zuvor soziologisch und philosophisch erläutert wurde, ke<strong>in</strong><br />

reales Ziel mehr. „Das Grundmuster <strong>der</strong> zeitlich beschränkten, zielorientierten Reise“ 27 wird<br />

gebrochen. „Wan<strong>der</strong>n ist nun sowohl Selbstzweck als auch Selbstausdruck. [...] Der<br />

entscheidende Aspekt ist nicht mehr die Ankunft, wie sie es für alle Heimkehrer seit Odysseus<br />

war. [...] Im prägnanten Moment des Aufbruchs bündelt, entfaltet und verklärt sich<br />

romantisches Wan<strong>der</strong>n.“ 28 Das Wan<strong>der</strong>n <strong>in</strong>s Geheimnisvolle, <strong>in</strong>s Fremde steht im<br />

Aussagezentrum.<br />

Aber auch <strong>von</strong> dieser Vorstellung differenziert sich Müllers Wan<strong>der</strong>er. <strong>Die</strong>ser zieht<br />

schließlich nicht erst <strong>in</strong> die Fremde, er wan<strong>der</strong>t bereits als Frem<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fremde. Se<strong>in</strong>e<br />

ersten Verse belegen dies. Sie zeigen e<strong>in</strong>en Menschen, dessen Wan<strong>der</strong>ung nicht erst beg<strong>in</strong>nt.<br />

Hier begegnet dem Rezipienten ke<strong>in</strong>e Person, die mit Ziel und Hoffnung aufbricht, wohl eher<br />

e<strong>in</strong>e Gestalt, die schon e<strong>in</strong>en Weg h<strong>in</strong>ter sich gebracht hat und nun wan<strong>der</strong>nd durchs Leben<br />

zieht und ke<strong>in</strong>e Heimat f<strong>in</strong>det, irre umherwan<strong>der</strong>t ohne Grund und Ziel:<br />

„Und ich wand´re son<strong>der</strong> Maßen – ohne Ruh´, und suche Ruh´.“ (Der Wegweiser) 29<br />

Doch dies sche<strong>in</strong>t nicht weiter erstaunlich, denn Müller nennt se<strong>in</strong>en Zyklus <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>.<br />

Somit wird <strong>der</strong> positiv konnotierten Reise das negative Assoziationen auslösende Bild des<br />

W<strong>in</strong>ters zur Seite gestellt. So ersche<strong>in</strong>en „<strong>von</strong> vornhere<strong>in</strong> Schatten <strong>der</strong> Skepsis, ob e<strong>in</strong>e Reise<br />

im W<strong>in</strong>ter überhaupt glücken kann“ 30 , über dem Vorhaben zu liegen. Es zeigt sich, dass die<br />

Option e<strong>in</strong>es realen Ziels <strong>der</strong> Reise gleich <strong>von</strong> Beg<strong>in</strong>n an zerschlagen ist.<br />

Zyklische Geschlossenheit<br />

Wenn also hier nicht die Bedeutung <strong>der</strong> Reise gefunden werden kann, so ist es vielleicht, und<br />

diese Möglichkeit wird bereits durch Müllers Disposition <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreisegedichte als Zyklus<br />

angedeutet, e<strong>in</strong>e Reise, die zum Ausgangspunk zurückkehrt. Aber wenngleich Müller die<br />

Gedichte <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, zuerst (Anfang 1822) als Teilzyklus zu 12 Gedichten und<br />

schließlich 1824 als vollständigen Zyklus, unter dem Titel „Gedichte aus den h<strong>in</strong>terlassenen<br />

Papieren e<strong>in</strong>es reisenden Waldhornisten“ zusammen mit den Gedichten <strong>der</strong> „Schönen<br />

26 Erdmann, Waniek: Banale Tiefe <strong>in</strong> Wilhelm Müllers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 147.<br />

27 Erdmann, Waniek: Banale Tiefe <strong>in</strong> Wilhelm Müllers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 148.<br />

28 Erdmann, Waniek: Banale Tiefe <strong>in</strong> Wilhelm Müllers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 149.<br />

29 Müller, Wilhelm: W<strong>in</strong>terreise, S. 38.<br />

30 Erdmann, Waniek: Banale Tiefe <strong>in</strong> Wilhelm Müllers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 155.<br />

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Müller<strong>in</strong>“ und den „Tafellie<strong>der</strong>n für Lie<strong>der</strong>tafeln“ 31 veröffentlichte, sche<strong>in</strong>t sich e<strong>in</strong>e<br />

zyklische Disposition aus <strong>der</strong> Anlage nicht zw<strong>in</strong>gend abzuzeichnen. „<strong>Die</strong> `W<strong>in</strong>terreise´<br />

Müllers entfernt sich konsequent <strong>in</strong> räumlicher wie emotionaler H<strong>in</strong>sicht und endet offen.“ 32<br />

<strong>Die</strong> Wege des Wan<strong>der</strong>ers s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e „Vorbereitung zur Heimreise, son<strong>der</strong>n gerade umgekehrt<br />

Stationen <strong>der</strong> fortschreitenden Desillusionierung.“ 32 Es sche<strong>in</strong>t sich also vielmehr e<strong>in</strong>e Spiral-<br />

als e<strong>in</strong>e Kreisbewegung abzuzeichnen.<br />

Spiralbewegung<br />

Der thematische Kern des Zyklus´, die Wan<strong>der</strong>schaft, zeigt „auch die Weise se<strong>in</strong>er<br />

Entwicklung im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er sich verengenden Spirale, die im Schlussgedicht gipfelt.“ 33 <strong>Die</strong><br />

Wan<strong>der</strong>schaft als konstitutives und konsistenzbildendes Merkmal des Zyklus zeigt sich <strong>in</strong><br />

„zentrifugaler“ 34 ebenso wie <strong>in</strong> „zentripetaler“ 35 Weise: zentrifugal als Flucht <strong>in</strong> die Fremde,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Suche nach Heimat o<strong>der</strong> letztendlicher Ruhe, zentripetal als Reflexion, Traum, und<br />

verklärter Blick auf die Vergangenheit. So lassen sich die Gedichte <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> Müllers<br />

nach Hellen Mustard 36 <strong>in</strong> fünf Kategorien e<strong>in</strong>teilen:<br />

1-4: Abschiedsgedichte<br />

5-9: Rem<strong>in</strong>iszenzen<br />

10-15: Desillusionierung<br />

16-18: Todesgedanken<br />

19-24: Vollständige Des<strong>in</strong>tegration<br />

Wenngleich diese Glie<strong>der</strong>ung für die <strong>in</strong>haltliche Charakterisierung <strong>der</strong> Gedichte recht<br />

pauschalisierend ersche<strong>in</strong>t, so ist <strong>der</strong> formalen Glie<strong>der</strong>ungsidee dennoch zuzustimmen. Zu<br />

beachten ist bei dieser Glie<strong>der</strong>ung, dass es sich hierbei um die Disposition Müllers und nicht<br />

um die letztendlich <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong> gewählte Reihenfolge <strong>der</strong> Gedichte handelt. (vgl.: Anhang I)<br />

Etwas gröber ließe sich <strong>der</strong> Zyklus Müllers <strong>in</strong> drei Aufbrüche mit jeweils folgenden<br />

Teilzyklen glie<strong>der</strong>n 37 :<br />

1. Teil (1-9): Rückblickende Flucht als direkte Reaktion auf nicht erwi<strong>der</strong>te Liebe.<br />

31 Vgl.. Hufschmidt, Wolfgang: Willst zu me<strong>in</strong>en Lie<strong>der</strong>n de<strong>in</strong>e Leier drehn?, S. 60.<br />

32 Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. Bd.I, S. 94.<br />

33 Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. Bd.I, S. 103.<br />

34 Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. Bd.I, S. 103.<br />

35 Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. Bd.I, S. 103.<br />

36 Mustard, Hellen: The lyric cycle <strong>in</strong> german literature, S. 87-89.<br />

37 Vgl. Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. Bd.I, S. 118.<br />

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2. Teil (10-18): Suche nach e<strong>in</strong>em Ausweg im Tod, als Reaktion auf die Nichtigkeit und<br />

S<strong>in</strong>nlosigkeit des Wan<strong>der</strong>ns.<br />

3. Teil (19-24): Suche nach Ruhe, als Reaktion auf die Verunmöglichung <strong>der</strong><br />

Todesoption, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Dualität <strong>von</strong> Rast und Reise beson<strong>der</strong>s stark hervortritt.<br />

Während die ersten Gedichte <strong>von</strong> Rückblick und Sehnsucht nach <strong>der</strong> nun enttäuschten Liebe<br />

handeln und die Wan<strong>der</strong>ung des lyrischen Ichs zunächst hauptsächlich durch diese<br />

Bed<strong>in</strong>gtheit motiviert ersche<strong>in</strong>en lassen, prägt sich im Folgenden die Todessehnsucht aus, die<br />

zum neuen Ziel <strong>der</strong> Reise wird. „Während also <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> noch um die<br />

Geliebte kreist, wirft <strong>der</strong> zweite Auszug das Ich völlig auf sich zurück.“ 38 Wird <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> zunehmenden „Entrealisierung <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung und <strong>der</strong> wachsenden<br />

Fluchttendenz“ 39 geprägt, so wandelt sich diese reflexive Haltung zu e<strong>in</strong>er Suche nach neuer<br />

Weisung, die <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grabesruhe zu f<strong>in</strong>den glaubt. <strong>Die</strong> Reise wird nun folglich<br />

als Lebensweg betrachtet, dessen S<strong>in</strong>n und Ziel sich für den Wan<strong>der</strong>er im Tod konstituiert<br />

und so rundet. Doch auch <strong>der</strong> Tod ersche<strong>in</strong>t dem Wan<strong>der</strong>er schließlich nicht als Ausweg,<br />

denn er ist ihm verwehrt. So sehr <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er auch versucht, se<strong>in</strong>e Todessehnsucht zu<br />

realisieren, so entzieht sich dieser dem Zugriff des Wan<strong>der</strong>ers gleichsam als reale Option.<br />

Zenk versteht, das „Anti-Zyklische als Zeichen e<strong>in</strong>er irreversiblen Bewegung <strong>in</strong>s Fremde“ 40 .<br />

„Wenn <strong>der</strong> Kreis o<strong>der</strong> die Kugel e<strong>in</strong> Symbol <strong>von</strong> Vollkommenheit beschreibt, e<strong>in</strong>e Identität<br />

<strong>von</strong> Leben und Natur, <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Tod als Teil <strong>der</strong> Natur e<strong>in</strong>gebunden wäre und nichts<br />

Erschreckendes hätte, dann wäre e<strong>in</strong>e nicht zyklische Anordnung e<strong>in</strong> Symbol für die Nicht-<br />

Identität <strong>von</strong> Leben und Natur, e<strong>in</strong> Ausdruck für das Fremdse<strong>in</strong> des Menschen <strong>der</strong> Natur<br />

gegenüber.“ 41 Er bezieht das Antizyklische hier nicht nur auf den Müllerschen<br />

Gedichtskorpus, son<strong>der</strong>n auch auf die ebenfalls antizyklische Tonartendisposition <strong>Schubert</strong>s,<br />

welche <strong>in</strong> Kapitel IV näher erläutert werden soll.<br />

Interessant ist, dass <strong>der</strong> bewusste Bruch e<strong>in</strong>er zyklischen Form im genormten S<strong>in</strong>n gleichsam<br />

neuen S<strong>in</strong>n konstituiert. Dem Wan<strong>der</strong>er ist es eben nicht möglich, den Tod <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Leben zu<br />

<strong>in</strong>tegrieren, nach ihm zu streben o<strong>der</strong> ihn zu wünschen, weil er aus dem Lebenszyklus<br />

h<strong>in</strong>ausgetreten ist. Er hat sich <strong>von</strong> den natürlichen Umständen entfremdet. Den Wan<strong>der</strong>er<br />

schreckt <strong>der</strong> Tod nicht, aber er kann ihn nicht f<strong>in</strong>den, da er unter Des<strong>in</strong>tegration <strong>in</strong> die<br />

natürlichen Lebensgegebenheiten leidet. Jenes ziellose Getriebense<strong>in</strong> zeigt sich auch <strong>in</strong> dem<br />

38 Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. Bd.I, S. 108.<br />

39 Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. Bd.I, S. 328.<br />

40 Zenk, Mart<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> romantische Erfahrung <strong>der</strong> Fremde <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 146.<br />

41 Zenk, Mart<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> romantische Erfahrung <strong>der</strong> Fremde <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 146.<br />

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sehnsüchtigen Wunsch nach kurzzeitiger Ruhe, <strong>der</strong> dem Wan<strong>der</strong>er unerfüllt bleibt. Jede Rast<br />

ist ihm verwehrt, er kann ke<strong>in</strong>en Aufenthalt f<strong>in</strong>den.<br />

<strong>Die</strong>se fortwährende Entfremdung f<strong>in</strong>det ihr kongruentes Abbild <strong>in</strong> <strong>der</strong> zunehmenden<br />

„Abseitigkeit und wachsenden Isolation“ 42 des Wan<strong>der</strong>ers. Zunächst flüchtet dieser aus <strong>der</strong><br />

städtischen Sphäre, getrieben <strong>von</strong> akustischen Stimuli wie dem Gebell <strong>der</strong> Hunde. Der Fluss<br />

an dem er entlang wan<strong>der</strong>t, ist zugefroren, und auch se<strong>in</strong> weiterer Weg durch die öden<br />

acherontischen Landschaften entzieht ihm immer mehr Richtung und S<strong>in</strong>nkonfiguration. Er<br />

gerät durch die Verlockung visueller Stimuli <strong>in</strong> die „tiefen Felsengründe“, kann auch „im<br />

Dorfe“ ke<strong>in</strong>e Zuflucht f<strong>in</strong>den und selbst <strong>in</strong> des „Köhlers Hütte“, wird ihm zwar Obdach aber<br />

ke<strong>in</strong>e Ruhe zuteil („In e<strong>in</strong>es Köhlers engem Haus / Hab´ Obdach ich gefunden; / doch me<strong>in</strong>e<br />

Glie<strong>der</strong> ruhn´ nicht aus: / So brennen ihre Wunden.“ 43 ). „Das Wirtshaus“ schließlich wirft ihn<br />

ganz auf sich zurück und desillusioniert jede Hoffnung auf potentielle Erlösung durch den<br />

Tod, denn alle Kammern <strong>in</strong> diesem Haus s<strong>in</strong>d besetzt und die „unbarmherz´ge Schenke“ 44<br />

weist ihn ab. Jegliche menschliche Sphäre wird ihm fremd, je<strong>der</strong> soziale Kontakt sche<strong>in</strong>t<br />

verwehrt. „<strong>Die</strong> Erfahrung <strong>der</strong> Fremde zeichnet sich im Weg des Wan<strong>der</strong>ers <strong>von</strong> <strong>der</strong> Stadt <strong>der</strong><br />

Geliebten bis h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em nicht mehr lokalisierbaren Ort <strong>der</strong> „Wüstenei“ 45 (Der Wegweiser)<br />

ab. „Der Wan<strong>der</strong>er wird sich bei diesem Gang <strong>in</strong> die Fremde selbst fremd, das heißt, er<br />

verliert an Identität <strong>in</strong> dem Maße, wie er sich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Stadt <strong>der</strong> Geliebten entfernt.“ 46 Das Ich<br />

ist nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, die Fremdheitserfahrungen zu verarbeiten und aus ihnen das eigene<br />

Subjektbewusstse<strong>in</strong> zu schöpfen. <strong>Die</strong> Hegelsche Struktur <strong>der</strong> Selbstbewusstse<strong>in</strong>skonstitution<br />

def<strong>in</strong>iert dieser <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Phänomenologie des Geistes“ wie folgt: „Das Selbstbewusstse<strong>in</strong> ist die<br />

Reflexion aus dem Se<strong>in</strong> <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen und wahrgenommenen Welt und wesentlich die<br />

Rückkehr aus dem An<strong>der</strong>sse<strong>in</strong>. Es ist als Selbstbewusstse<strong>in</strong> Bewegung; aber <strong>in</strong>dem es nur<br />

sich selbst als sich selbst <strong>von</strong> sich unterscheidet, so ist ihm <strong>der</strong> Unterschied unmittelbar als e<strong>in</strong><br />

An<strong>der</strong>sse<strong>in</strong> aufgehoben.“ 47 <strong>Die</strong>s bedeutet, dass sich Selbstbewusstse<strong>in</strong> ausschließlich durch<br />

vermittelte Frem<strong>der</strong>fahrung, durch Erfahrung <strong>der</strong> Negativität des eigenen Ichs und <strong>der</strong>en<br />

Aufhebung konstituieren kann. Da <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er die Welt mit se<strong>in</strong>en eigenen Projektionen<br />

überzieht und die Objektwelt schließlich se<strong>in</strong>e psychische Verfasstheit wi<strong>der</strong>spiegelt, kann er<br />

ke<strong>in</strong>e Frem<strong>der</strong>fahrung machen und somit auch nicht aus <strong>der</strong> erfahren Negativität zur eigenen<br />

42 Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. Bd.I, S. 120.<br />

43 Müller, Wilhelm: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 28.<br />

44 Müller, Wilhelm: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 40.<br />

45 Müller, Wilhelm: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 38.<br />

46 Zenk, Mart<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> romantische Erfahrung <strong>der</strong> Fremde <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 159.<br />

47 Hegel, G.F.W.: Phänomenologie des Geistes, S. 142.<br />

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Identität zurückf<strong>in</strong>den. Der Wan<strong>der</strong>er entfremdet sich also auf se<strong>in</strong>em Weg nicht nur immer<br />

weiter <strong>von</strong> allen möglichen Heimatstrukturen, son<strong>der</strong>n durch se<strong>in</strong> Projektionsverhalten auch<br />

<strong>von</strong> sich selbst.<br />

Gleichzeitig erfährt er soziale Ausgrenzung, welche ihm als reale Fremdheit entgegentritt.<br />

Doch auch hier kann er <strong>der</strong> Fremdheitserfahrung nicht vermittelnd begegnen, so dass er an <strong>der</strong><br />

Gesamtsituation <strong>in</strong> immer stärkerem Maße zu zerbrechen droht, als dass diese Auslöser für<br />

Auf- o<strong>der</strong> Umbruch werden könnte.<br />

Dem Ich ist also schließlich nicht nur die es umgebende Welt fremd geworden, son<strong>der</strong>n auch<br />

die eigene Persönlichkeit. E<strong>in</strong>e umfassende Fremdheitserfahrung, die es <strong>in</strong> dieser Weise <strong>in</strong><br />

den „W<strong>in</strong>terreisen“ vor Müller wohl nicht gegeben hat und die eben daher den Weg zur<br />

Mo<strong>der</strong>ne schlägt und verständlich machen kann, wieso e<strong>in</strong>e <strong>Rezeption</strong> <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> nie<br />

abgebrochen ist und gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Zeit auch wie<strong>der</strong> neue Relevanz erlangt. <strong>Die</strong><br />

Überzeitlichkeit <strong>der</strong> Thematik sche<strong>in</strong>t also auf e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen Fremdheitserfahrung zu<br />

basieren, die sich seit <strong>der</strong> Zeit Müllers und <strong>Schubert</strong>s als soziologische Grundkonstante<br />

durchhält: <strong>Die</strong> Problematik, e<strong>in</strong> grundsätzlich an<strong>der</strong>es Verständnis <strong>von</strong> Welt zu haben,<br />

welches man <strong>in</strong> repressiven Staaten nicht artikulieren konnte/kann, das Verhängnis, e<strong>in</strong>e<br />

immer komplexer sich differenzierende Welt nicht mehr durchdr<strong>in</strong>gen zu können. So wird <strong>der</strong><br />

Mensch zum vere<strong>in</strong>zelten, solipsistischen, <strong>in</strong> die Welt geworfenen Individuum. „Der Mensch<br />

ist“, so heißt es im Humanismusbrief Heideggers „vom Se<strong>in</strong> selbst <strong>in</strong> die Wahrheit des Se<strong>in</strong>s<br />

>geworfen


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D Kommunikation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Isolation<br />

In dieser Weise desorientiert und entfremdet trifft <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er schließlich auf den<br />

Leiermann. Hier, ganz am Ende des Zyklus, wird nun die „e<strong>in</strong>zige Begegnung mit e<strong>in</strong>em<br />

menschlichen Du thematisiert.“ 49 Während bereits <strong>der</strong> gesamte Zyklus <strong>von</strong> Dichotomien <strong>der</strong><br />

Ruhe und <strong>der</strong> Bewegung, ebenso wie <strong>von</strong> dem Antagonismus zwischen Natur (Objektwelt)<br />

und lyrischem Ich (Subjekt) geprägt wird, so treten diese Divergenzen im „Leiermann“<br />

erstmals zusammen. Das Leiermanngedicht<br />

„ist zugleich Vision und Wirklichkeit, es vere<strong>in</strong>igt Bewegung und Stillstand, Versunkenheit <strong>in</strong><br />

Anschauung und Entschluss, Ruhestation und Aufbruchsimpuls. [...] Darüber h<strong>in</strong>aus f<strong>in</strong>det sich hier<br />

erstmals die Polarität <strong>von</strong> Gehen und Stehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> suggestiven Vorstellung des Leierdrehens als<br />

Kreisbewegung e<strong>in</strong>e Vermittlung, die über die physische Ebene h<strong>in</strong>aus vielleicht e<strong>in</strong> Licht auf die<br />

Zirkularität des Zyklus, auf die Wie<strong>der</strong>kehr des Gleichen werfen kann: <strong>Die</strong> Wan<strong>der</strong>schaft bewegt sich<br />

zwar aus ihrem Ursprungsort weg, kehrt aber bogenförmig zu immer neuen Aufbrüchen zurück, bis<br />

`Der Leiermann` mit se<strong>in</strong>em Neubeg<strong>in</strong>n den Kreis schließt.“ 50<br />

Das bedeutet, dass sich durch das E<strong>in</strong>treten des Leiermanns <strong>in</strong> die Sphäre des Wan<strong>der</strong>ers nach<br />

e<strong>in</strong>er langen Entfremdungsspirale e<strong>in</strong> neuer Aufbruch ankündigt. Wie dieser Aufbruch<br />

aussehen kann und wie <strong>Schubert</strong> und Zen<strong>der</strong> die <strong>in</strong>terpretatorischen Freiräume auffüllen, die<br />

diese Person offenbart, soll jedoch erst <strong>in</strong> Kapitel IV erörtert werden.<br />

4 „Der epochale W<strong>in</strong>ter“ - Bestimmungen zur Diskursbreite<br />

Nachdem sich Entfremdung und Dezentrierung des menschlichen Subjekts als Kernaussage<br />

<strong>der</strong> w<strong>in</strong>terlichen Wan<strong>der</strong>ung herauskristallisiert haben, soll im Folgenden untersucht werden,<br />

welche Beweggründe <strong>Schubert</strong> zur Konstitution e<strong>in</strong>es Werks veranlassten, welches <strong>in</strong> dieser<br />

Weise konnotiert ist. Gleichzeitig soll aus diesen Erwägungen hervorgehen, wie die<br />

Fremdheitserfahrung sich als überzeitliches Kont<strong>in</strong>uum und subjektives wie kollektives<br />

Erfahren bis <strong>in</strong> die Gegenwart trägt und über diese h<strong>in</strong>aus tragen wird.<br />

Um diese Bestimmungen <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>n zu konkretisieren, wie sie wohl auch <strong>in</strong> das Denken und<br />

Komponieren Hans Zen<strong>der</strong>s e<strong>in</strong>gegangen s<strong>in</strong>d, sollen im Folgenden wesentlich die<br />

Ausführungen Hanspeter Padrutts nachgezeichnet werden. Padrutt arbeitet <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Essay<br />

die „paradigmatische Qualität <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> neu heraus.“ 51 Er leitet die<br />

49 Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, Bd.I. S. 119.<br />

50 Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, Bd.I. S. 118-120.<br />

51 Padrutt, Hanspeter: Der epochale W<strong>in</strong>ter, S. 224.<br />

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„alarmierenden Krisensymptome, die fundamentalen Erschütterungen sowohl unserer ästhetischen, als<br />

auch unserer wissenschaftlichen Erfahrungsweise, aus <strong>der</strong> ansche<strong>in</strong>end unaufhaltsamen<br />

Verabsolutierung des neuzeitlichen Subjektbegriffs her. Das <strong>in</strong> diesem Begriff gewissermaßen<br />

systemimmanent umhergeisternde <strong>der</strong>-Welt-abhanden-kommen f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

zunächst schleichenden, schließlich manifest werdenden Krankheit zum Tode des Wan<strong>der</strong>ers se<strong>in</strong>en<br />

gültigsten künstlerischen Ausdruck.“ 52<br />

Bevor dies näher erläutert wird, soll e<strong>in</strong> kurzer Blick auf die Person <strong>Schubert</strong>s geworfen<br />

werden.<br />

In vielen Aufsätzen und Schriften zu <strong>Schubert</strong> und <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> f<strong>in</strong>den sich Modelle, die<br />

jegliche Motivation zu dieser Komposition <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s Lebensumständen suchen und zu<br />

f<strong>in</strong>den glauben. Von den schlechten Lebensbed<strong>in</strong>gungen, die er als K<strong>in</strong>d im Wiener Stadtteil<br />

„Himmelspfortengrund“ vorfand, über das vergebliche R<strong>in</strong>gen nach Anerkennung durch die<br />

idealisierten Vorbil<strong>der</strong> Beethoven und Goethe, se<strong>in</strong>e gescheiterten Liebesbeziehungen und<br />

schließlich die depressive Gestimmtheit, die wahrsche<strong>in</strong>lich auch krankheitsbed<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Phase kurz vor se<strong>in</strong>em Tod e<strong>in</strong>trat. Sicherlich spiegeln sich Lebens- und Leidensgeschichte<br />

im Schaffen e<strong>in</strong>es Künstlers <strong>in</strong> gewisser Weise wie<strong>der</strong>, doch kann e<strong>in</strong> Werk, welches <strong>von</strong> re<strong>in</strong><br />

subjektiven Erlebnisstrukturen geprägt ist, wohl kaum jenen überzeitlichen Status erlangen,<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> zuzuerkennen ist. Es sche<strong>in</strong>t sich also eher um e<strong>in</strong>e anthropologische<br />

Grundgestimmtheit zu handeln, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit abzuzeichnen beg<strong>in</strong>nt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die<br />

Menschen ihren politischen Aktionswillen, welchen sie <strong>in</strong> den revolutionären Wirren<br />

artikulierten, gelähmt und nie<strong>der</strong>gestreckt f<strong>in</strong>den und sich als vere<strong>in</strong>zeltes, sprachloses<br />

Subjekt begreifen. Es geht hier also weniger um die <strong>in</strong>dividuellen, biographisch motivierten<br />

Faktoren, als vielmehr um e<strong>in</strong> zeitbed<strong>in</strong>gtes Grundphänomen, welches im Werk <strong>Schubert</strong>s<br />

Ausdruck fand und aufgrund se<strong>in</strong>er Fortsetzung bis <strong>in</strong> die heutige Zeit immer noch f<strong>in</strong>det.<br />

Padrutt beschreibt diese Grundgestimmtheit als „pessimistische, depressive<br />

Stimmungslage.“ 53 Entscheidend ist für ihn, dass gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> gegenwärtigen Zeit häufig nur<br />

die Symptome e<strong>in</strong>er solchen Depression, nicht aber das ihr zugrundeliegende Trauma,<br />

behandelt würden. „`Schmerzlos s<strong>in</strong>d wir...` sagte Höl<strong>der</strong>l<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er Gedichte. Er<br />

erkannte [...] die Schmerzlosigkeit als Mangel. Der Schmerz wird nicht zugelassen, son<strong>der</strong>n<br />

mit allen Mitteln und um jeden Preis bekämpft. Und so wird er am Ende auch nicht<br />

verwunden.“ 54 Um diese notwendige Trauerarbeit leisten zu können, muss also die Wurzel<br />

des Schmerzes gefunden werden. Padrutt sieht den Grund für Schmerz im Entzug. Er folgt<br />

dabei <strong>der</strong> Blickrichtung Heideggers, <strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schrift „Unterwegs zur Sprache“ betont, die<br />

52 F<strong>in</strong>k, Wolfgang: Hans Zen<strong>der</strong>s W<strong>in</strong>terreise. S. 8-9.<br />

53 Padrutt, Hanspeter: Der epochale W<strong>in</strong>ter. S. 224.<br />

54 Padrutt, Hanspeter: Der epochale W<strong>in</strong>ter, S. 228.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Trauer sei „<strong>in</strong> den Bezug zum Freudigsten gestimmt, aber zu diesem, <strong>in</strong>sofern es sich entzieht,<br />

im Entzug zögert und sich spart.“ 55 <strong>Die</strong> Trauer ist hier also Reaktion auf e<strong>in</strong>en entzogenen<br />

Zustand, „e<strong>in</strong> unbestimmbares Heimweh, Schmerz über das verlorene Paradies, Sehnsucht<br />

nach e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Welt.“ 56 Vielleicht spiegeln sich diese neuzeitlichen anthropologischen<br />

Grundkonstanten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Musik <strong>Schubert</strong>s.<br />

„Könnte es se<strong>in</strong>, dass die musikalische Hellsichtigkeit <strong>Schubert</strong>s doch <strong>in</strong> die Geschichte blickte? Zwar<br />

nicht <strong>in</strong> die vor<strong>der</strong>gründige Geschichte <strong>der</strong> Jahreszahlen und Fakten, die als ablaufen<strong>der</strong><br />

Wirkungszusammenhang vergegenständlicht wird, und schon gar nicht <strong>in</strong> die Geschichte <strong>der</strong><br />

Aktualitäten, die <strong>von</strong> den Medien des Gestells verwaltet wird, vielleicht aber <strong>in</strong> jene h<strong>in</strong>tergründige,<br />

verborgene unumgänglich-unzugängliche eigentliche Weltgeschichte <strong>der</strong> epochalen Zusammenhänge,<br />

<strong>in</strong> die „epochale Geschichte“? Hat <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> den Herzschlag se<strong>in</strong>er – und unserer – Epoche<br />

gespürt? S<strong>in</strong>gt die W<strong>in</strong>terreise e<strong>in</strong>en epochalen W<strong>in</strong>ter?“ 57<br />

<strong>Die</strong>ser epochale Faktor zeigt sich auch bei Padrutt e<strong>in</strong>mal mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entfremdung des<br />

Menschen. Ausgehend <strong>von</strong> dem marxistischen Gedanken <strong>der</strong> Entfremdung des Menschen <strong>von</strong><br />

sich durch die Entäußerung se<strong>in</strong>er Arbeitskraft und die Entfremdung se<strong>in</strong>er Selbst vom<br />

Produkt se<strong>in</strong>er Arbeit, zeigt sich ihm <strong>der</strong> Mensch als entwurzeltes, vere<strong>in</strong>zeltes Individuum.<br />

Wenn jedes D<strong>in</strong>g „zum gleichgültigen Rad im großen Rä<strong>der</strong>werk geworden ist, dann ist die<br />

Natur, die Erde überhaupt, dem Menschen fremd geworden.“ 58 Er wird aber nicht nur sich<br />

und <strong>der</strong> ihn umgebenden Natur fremd, son<strong>der</strong>n erlebt auch die an<strong>der</strong>en Menschen nur noch als<br />

abgekapselte Subjekte, <strong>der</strong>en Kommunikation und Interaktion immer mehr zu scheitern<br />

drohen. <strong>Die</strong> Unfähigkeit zu zwischenmenschlicher Beziehung und Kommunikation führt zur<br />

Vere<strong>in</strong>zelung und Solipsie. Der Mensch wird zum „l´étranger“ (Albert Camus). Zwischen<br />

dem Ich und <strong>der</strong> Welt hat sich e<strong>in</strong>e unüberbrückbare Kluft des Absurden manifestiert. „Das<br />

Bewusstse<strong>in</strong> des Absurden kann den Menschen plötzlich ergreifen, wenn die Kulissen des<br />

Alltags zusammenbrechen und er nun <strong>der</strong> Fremdheit und Fe<strong>in</strong>dseligkeit <strong>der</strong> Welt unvermittelt<br />

gegenüber steht.“ 59 Der Mensch kreist nun als heimatloses Subjekt um sich selbst. Der<br />

Mensch ist, wie <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> auf die eigene Mut- und Willenskraft<br />

verwiesen. „Muss selbst den Weg mir weisen, <strong>in</strong> dieser Dunkelheit“ 60 (Gute Nacht),<br />

diagnostiziert <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er bereits zu Beg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>er Reise, um schließlich festzustellen:<br />

„Will ke<strong>in</strong> Gott auf Erden se<strong>in</strong>, s<strong>in</strong>d wir selber Götter“ 61 (Mut). Zur Entfremdung und<br />

Isolation tritt also gleichsam <strong>der</strong> Entzug des Göttlichen h<strong>in</strong>zu.<br />

55 Heidegger, Mart<strong>in</strong>: Unterwegs zur Sprache, S.169.<br />

56 Padrutt, Hanspeter: Der epochale W<strong>in</strong>ter, S. 234.<br />

57 Padrutt, Hanspeter: Der epochale W<strong>in</strong>ter, S. 234. [Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al]<br />

58 Padrutt, Hanspeter: Der epochale W<strong>in</strong>ter, S. 240.<br />

59 Kunzmann, Peter: DTV-Atlas Philosophie, S. 205.<br />

60 Müller, Wilhelm: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 18.<br />

61 Müller, Wilhelm: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 40.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Interessant ist, dass <strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong> angeregte Diskurskreis <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise im Folgenden<br />

auch an<strong>der</strong>e Komponisten (z.B. Schumann und Brahms), Dichter (z.B. He<strong>in</strong>e, Büchner,<br />

Dostojewskij) und Maler (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Caspar David Friedrich) <strong>in</strong>spiriert. „E<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e<br />

Verdüsterung und Abkühlung sche<strong>in</strong>t dieses Jahrhun<strong>der</strong>t auszuzeichnen.“ 62 Padrutt sieht die<br />

Grundbestimmungen e<strong>in</strong>er solchen Entwicklung <strong>in</strong> den politischen Gegebenheiten:<br />

Restauration nach den revolutionären Wirren, Metternich Regime und Polizeistaat mit<br />

Zensursystem, welches als Produkt <strong>der</strong> Karlsba<strong>der</strong> Beschlüsse gerade das Bürgertum schwer<br />

unter se<strong>in</strong>en Repressionen leiden ließ. Dennoch, und so stellte es sich auch für das lyrische<br />

Ich <strong>in</strong> Müllers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> dar, können e<strong>in</strong>zig Revolution und Aufbruchstimmung als<br />

genu<strong>in</strong> subjektive Tätigkeiten gegen die äußeren, das Individuum negativ bestimmenden<br />

Faktoren stehen. („Als noch die Stürme tobten, / War ich so elend nicht.“ 63 - E<strong>in</strong>samkeit).<br />

Nach Padrutt gibt es nun zwei Möglichkeiten <strong>der</strong> Reaktion auf e<strong>in</strong>en solchen epochalen<br />

W<strong>in</strong>ter. Zum e<strong>in</strong>en die Akzeptanz <strong>der</strong> Situation, die sich im passiven Ausharren, welches<br />

wohl auch mit e<strong>in</strong>er gewissen Verdrängung e<strong>in</strong>hergeht, darstellt. Zum an<strong>der</strong>en die<br />

Möglichkeit, sich mit dem Wan<strong>der</strong>er zu identifizieren, mit e<strong>in</strong>em Träumer, <strong>der</strong> nicht schläft,<br />

standhält trotz Kälte und E<strong>in</strong>samkeit, sich se<strong>in</strong>en Weg selbst durch die Dunkelheit sucht.<br />

Auch wenn er <strong>in</strong> tiefster Entfremdung und Vere<strong>in</strong>zelung steht, so zeichnet ihn doch das<br />

Streben nach e<strong>in</strong>er wie auch immer gearteten Verän<strong>der</strong>ung aus. E<strong>in</strong>e Welt, die das Subjekt<br />

mit ihren Entwicklungen überfor<strong>der</strong>t, mit <strong>der</strong> stetig anwachsenden Informationsflut überlastet.<br />

All dies führt das neuzeitliche Individuum „zu e<strong>in</strong>er lebenslänglichen Irrfahrt“ 64 . Noch nicht<br />

e<strong>in</strong>mal mehr „Zugang zu e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Spezialgebiet <strong>der</strong> Welt-Datenbank“ 65 zu f<strong>in</strong>den,<br />

„wächst sich zu kafkaesken Konsequenzen“ aus, wie den <strong>von</strong> diesem beschriebenen<br />

Bemühungen „des Landvermessers K., <strong>der</strong> vergeblich zu den maßgebenden Instanzen im<br />

Schloss vorzudr<strong>in</strong>gen versucht.“ 66<br />

5 <strong>Die</strong> Determ<strong>in</strong>ation <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne durch die W<strong>in</strong>terreisethematik<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne f<strong>in</strong>det die Entfremdungsthematik also Nie<strong>der</strong>schlag. <strong>Die</strong><br />

<strong>in</strong>tellektuelle Selbständigkeit des schöpferischen Subjekts ersche<strong>in</strong>t immer mehr als<br />

Vere<strong>in</strong>zelung und Abkopplung des kommunikationswilligen Kreators. Der Autor, und damit<br />

62 Padrutt, Hanspeter: Der epochale W<strong>in</strong>ter, S. 256.<br />

63 Müller, Wilhelm: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 32.<br />

64 Padrutt, Hanspeter: Der epochale W<strong>in</strong>ter, S. 279.<br />

65 Padrutt, Hanspeter: Der epochale W<strong>in</strong>ter, S. 279.<br />

66 Padrutt, Hanspeter: Der epochale W<strong>in</strong>ter, S. 279.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

ist nicht nur jener <strong>der</strong> literarischen Werke bezeichnet, erfährt sich mehr und mehr als bed<strong>in</strong>gt.<br />

Zum e<strong>in</strong>en durch die ihm zur Verfügung stehenden Zeichen, denen er immer weniger die<br />

Fähigkeit zubilligt, exakt wie<strong>der</strong>zugeben, was als Aussage<strong>in</strong>tention geprägt worden war. Zum<br />

an<strong>der</strong>en durch die aus <strong>der</strong> Arbitrarität des Zeichens resultierende neue Leserrolle, die diesem<br />

e<strong>in</strong>e Mitgestaltungsmöglichkeit des Textes e<strong>in</strong>räumt. Auf welche Weise sich diese<br />

„Leerstellen“, wie Wolfgang Iser 67 sie nennt, konstituieren und wie sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen<br />

<strong>Rezeption</strong> aufgefüllt werden, soll <strong>in</strong> Kapitel III genauer erörtert werden, da hier auch die<br />

Wurzeln für Hans Zen<strong>der</strong>s Interpretationsansatz liegen. An dieser Stelle soll lediglich<br />

aufgezeigt werden, <strong>in</strong>wiefern die Mo<strong>der</strong>ne <strong>von</strong> <strong>der</strong> Thematik tangiert wird, die als<br />

wesentliche Konstituente <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise dargestellt wurde. Der Subjektivierungsprozess <strong>der</strong><br />

Mo<strong>der</strong>ne zeigt sich als Vere<strong>in</strong>zelungsprozess des künstlerisch schaffenden Individuums,<br />

welches diese Krisenerfahrung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neuen poetologischen Konzeption verarbeitet.<br />

Sprachkrise und Sprachskepsis resultieren aus dem Verlust <strong>von</strong> Welt. Der Überfor<strong>der</strong>ung des<br />

Subjekts <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er immer komplexer werdenden Umgebung und se<strong>in</strong>e Angst vor <strong>der</strong><br />

Unfähigkeit zur Kommunikation und solipsistischer Apartheid, wird durch die Auflösung <strong>von</strong><br />

Sprache begegnet. <strong>Die</strong> Dekonstruktion e<strong>in</strong>es vormals „deutlichen“ S<strong>in</strong>nangebots, <strong>der</strong><br />

Übergang <strong>von</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>- <strong>in</strong> die Vieldeutigkeit und die bewusste Produktion <strong>von</strong><br />

S<strong>in</strong>nüberschüssen verweist auf e<strong>in</strong>e sich <strong>in</strong> ihrer Komplexität entziehende Welt. Dem<br />

Schöpfenden wird bewusst, dass arbiträre Zeichen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle Mitteilbarkeit<br />

verunmöglichen. S<strong>in</strong>d Texte überhaupt noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gewissen Weise aussagefähig und<br />

verständlich? Lösungsansätze zeigen sich zum e<strong>in</strong>en im Verzicht auf Sprache, d.h. e<strong>in</strong>er<br />

abnehmenden Kommunikationsfähigkeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprache zum „Strandgut“ wird und<br />

schließlich im Schweigen endet (z. B. Beckett „Endspiel“), zum an<strong>der</strong>en die Möglichkeit,<br />

Welt aus Sprache entstehen zu lassen, ohne reale Rückb<strong>in</strong>dung an die Welt zu knüpfen (z.B.<br />

Proust; Joyce), aber auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Generierung e<strong>in</strong>er neuen Sprache (z.B. Dadaismus). Auch die<br />

Verb<strong>in</strong>dung <strong>von</strong> Musik und Sprache, die die Möglichkeit bietet, Sprache mit Emotionen und<br />

Gefühlen aufzuladen und so e<strong>in</strong>e neue Art <strong>der</strong> Verständlichkeit hervorzubr<strong>in</strong>gen, sche<strong>in</strong>t<br />

e<strong>in</strong>en Lösungsweg anzubieten. In diesem Zusammenhang soll <strong>in</strong> Kapitel IV die Bearbeitung<br />

<strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> durch Wolfgang Rühm thematisiert werden.<br />

So hat sich gezeigt, wie die Fremdheitsthematik, die sich als bestimmendes Merkmal <strong>der</strong><br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> und ihre Überzeitlichkeit dargestellt hat, determ<strong>in</strong>ierend für die Auffassung des<br />

Künstlers <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne und se<strong>in</strong>e Produktivität wird. Wie die daraus resultierenden<br />

67 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens.<br />

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poetologischen Konzepte nun wie<strong>der</strong>um auf die <strong>Rezeption</strong> des sie begründenden Werks <strong>der</strong><br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> zurückreflektiert, soll im Nachfolgenden erörtert und reflektiert werden.<br />

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III Bed<strong>in</strong>gung und Notwendigkeit <strong>von</strong> Interpretation<br />

1 Krisenerfahrung und Genese <strong>der</strong> Interpretationsnotwendigkeit<br />

Wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur f<strong>in</strong>det auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Musik die Krisenerfahrung <strong>der</strong> schöpfenden Individuen<br />

Ausdruck <strong>in</strong> <strong>der</strong> Werkkonzeption. Auch hier muss zu e<strong>in</strong>er „neuen Sprachlichkeit“ 68 gefunden<br />

werden. Kompositions- und Interpretationsgeschichte verweben sich, gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> Musik<br />

nach 1945, <strong>in</strong> verstärktem Maße. 69 In gleicher Weise, wie die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong><br />

„richtigen“ Interpretation und Aufführung früherer Werke mehr und mehr <strong>in</strong> den Blickpunkt<br />

gerät. <strong>Die</strong> Musik <strong>in</strong> ihrer klanglichen „Orig<strong>in</strong>algestalt“ reproduzieren zu können, setzt e<strong>in</strong><br />

„möglichst lückenlos chiffriertes und dechiffrierbares Notensystem voraus.“ 70 Aus <strong>der</strong><br />

Problematik <strong>der</strong> Rekonstruktion e<strong>in</strong>es Musikwerks und dem Wunsch des Komponisten nach<br />

möglichst genauer Wie<strong>der</strong>erschließung se<strong>in</strong>er Werke entstand „die geschichtliche<br />

Entwicklung, [...] immer engere Raster zu f<strong>in</strong>den, welche die zu übermittelnde Botschaft mit<br />

hohem Genauigkeitsgrad kodieren.“ 71 Daher verfestigte sich die Vorstellung, die das<br />

Verhältnis <strong>von</strong> Komponist und Interpret <strong>in</strong> <strong>der</strong> folgenden Weise umschreibt:<br />

A) Der Komponist schafft e<strong>in</strong>e Struktur, die er chiffriert.<br />

B) Er chiffriert sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kodierten Raster.<br />

C) Der Interpret dechiffriert diesen kodierten Raster.<br />

D) Gemäß dieser Dekodierung gibt er die ihm übermittelte Struktur wie<strong>der</strong>. 72 (Klang)<br />

So wünschenswert diese Überlieferungssituation möglicherweise Seitens des Komponisten<br />

gewesen wäre, umso stärker stellte sich jedoch die „Krise <strong>der</strong> seriellen, total determ<strong>in</strong>ierten<br />

Musik <strong>in</strong> den späten 50er Jahren dar, die sofort auch e<strong>in</strong>e Relativierung des entsprechenden<br />

Interpretationsbegriffs nach sich zog.“ 73 <strong>Die</strong> Reaktion auf die Verstrickung, die <strong>der</strong> Versuch<br />

e<strong>in</strong>er vollständigen Determ<strong>in</strong>ierung e<strong>in</strong>es Werks hervorrief, war die bewusste Aussparung <strong>von</strong><br />

Parametern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Komposition. Auf diese Weise sollten „mehr o<strong>der</strong> weniger große<br />

Spielräume für <strong>in</strong>terpretatorische Entscheidung zu e<strong>in</strong>em Bereich <strong>der</strong> Komposition selber“ 74<br />

werden. So konnte <strong>der</strong> Aktionsspielraum des Interpreten im Werk selbst verankert werden.<br />

<strong>Die</strong> Mitarbeit des Interpreten und se<strong>in</strong> schöpferisches Potential waren nun explizit gefor<strong>der</strong>t.<br />

68 Gruhn, Wilfried: Interpretation und Verstehensprozeß, S. 68.<br />

69 Vgl. Mauser, Siegfried: Theorien zur Interpretation Neuer Musik, S. 20.<br />

70 Mauser, Siegfried: Theorien zur Interpretation Neuer Musik, S. 19.<br />

71 Boulez, Pierre: Zeit, Notation und Kode, S. 67.<br />

72 Vgl. Boulez, Pierre: Zeit, Notation und Kode, S. 67.<br />

73 Mauser, Siegfried: Theorien zur Interpretation Neuer Musik, S. 20.<br />

74 Stockhausen, Karlhe<strong>in</strong>z: Musik und Graphik, S. 18.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Hier<strong>in</strong> stellt sich dar, was <strong>der</strong> Interpret <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Arbeit mit an<strong>der</strong>en Werktexten erfahren<br />

hatte: die Arbitrarität <strong>der</strong> Notation, se<strong>in</strong>e Kont<strong>in</strong>genz und se<strong>in</strong>e „Leerstellen“, die divergente<br />

Lesarten evozierten und Krisenerfahrungen gegenüber <strong>der</strong> Texttreue hervorriefen. „<strong>Die</strong><br />

Emanzipation <strong>der</strong> Praxis des produktiven – anstelle des reproduktiven – Interpreten folgt<br />

somit auf bzw. existiert neben Tendenzen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schränkung, ja <strong>der</strong> Ausschaltung des<br />

<strong>in</strong>terpretierenden Subjekts.“ 75<br />

<strong>Die</strong> Emanzipation des produktiv-schöpferischen Subjekts aber kristallisierte sich aus e<strong>in</strong>em<br />

langen Entwicklungsprozess heraus, bevor sich dieser <strong>in</strong> oben genannter Form konstituierte.<br />

So zeichnet sich e<strong>in</strong> „<strong>in</strong>terpretationsgeschichtlicher Paradigmenwechsel seit <strong>der</strong> Musik<br />

Beethovens“ ab, „<strong>der</strong> den Begriff <strong>der</strong> Aufführung o<strong>der</strong> des Vortrags <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em regelgeleiteten<br />

aufführungspraktischen S<strong>in</strong>n durch e<strong>in</strong>e Zugangsform ersetzt, die später Interpretation<br />

genannt wird“, wenngleich „<strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> musikalischen Interpretation als solcher<br />

lexikalisch das gesamte 19. Jahrhun<strong>der</strong>t h<strong>in</strong>durch nicht nachweisbar ist.“ 76 Der<br />

Paradigmenwechsel lässt sich daran ablesen, „dass jetzt erstmals Aspekte <strong>der</strong> „Deutung“<br />

virulent werden, die auf affektive, semantische und metaphysische Qualitäten abzielen, die<br />

das jetzt tatsächlich <strong>in</strong>terpretierende Subjekt e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen hat – kulm<strong>in</strong>iert <strong>in</strong> Mahlers<br />

provozieren<strong>der</strong> Bemerkung, dass das Beste <strong>der</strong> Musik nicht <strong>in</strong> den Noten stehe. 77<br />

2 „Lebendige Interpretation“<br />

Wie aber kann es nun gel<strong>in</strong>gen, das „Beste <strong>der</strong> Musik“ 78 aufzuf<strong>in</strong>den und als Interpret dem<br />

Hörer zugänglich zu machen?<br />

Hans Zen<strong>der</strong> erklärt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Notizen zu se<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, dass seit <strong>der</strong> Erf<strong>in</strong>dung des Notentextes kompositorisch fixierter Text und die<br />

vom Interpreten aktualisierte kl<strong>in</strong>gende Realität beständig ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gefallen seien. 79 Lange<br />

habe er e<strong>in</strong>e möglichst textgetreue Interpretation angestrebt, um schließlich festzustellen, dass<br />

es e<strong>in</strong>e solche orig<strong>in</strong>algetreue Interpretation nicht gebe. Daher folgert er:<br />

„So wichtig es auch ist, die Texte genauestens zu lesen, so unmöglich ist es, sie lediglich<br />

rekonstruierend zum Leben zu erwecken. Abgesehen da<strong>von</strong>, dass sich sehr viele D<strong>in</strong>ge, wie<br />

Instrumente, Säle, Bedeutungen <strong>von</strong> Zeichen etc. verän<strong>der</strong>t haben, muss man verstehen, dass jede<br />

Notenschrift <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong>e Auffor<strong>der</strong>ung zur Aktion ist und nicht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Beschreibung<br />

75 Mauser, Siegfried: Theorien zur Interpretation Neuer Musik, S. 20. [Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al]<br />

76 Mauser, Siegfried: Theorien zur Interpretation Neuer Musik, S. 21.<br />

77 Zitiert nach: Mauser, Siegfried: Theorien zur Interpretation Neuer Musik, S. 21. [Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al]<br />

78 Mauser, Siegfried: Theorien zur Interpretation Neuer Musik, S. 21.<br />

79 Vgl.: Zen<strong>der</strong>: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 221.<br />

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<strong>von</strong> Klängen. Es bedarf des schöpferischen E<strong>in</strong>satzes des Interpretierenden, se<strong>in</strong>es Temperaments,<br />

se<strong>in</strong>er Intelligenz, se<strong>in</strong>er durch die Ästhetik <strong>der</strong> eigenen Zeit entwickelten Sensibilität, um e<strong>in</strong>e wirklich<br />

lebendige und erregende Aufführung zustande zu br<strong>in</strong>gen. Dann geht etwas vom Wesen des Interpreten<br />

<strong>in</strong> das aufgeführte Werk über: Er wird zum Mitautor.<br />

Verfälschung? Ich sage: schöpferische Verän<strong>der</strong>ung. <strong>Die</strong> Musikwerke haben, wie auch die<br />

Theaterstücke, die Chance, sich durch große Interpretationen zu verjüngen. <strong>Die</strong>se sagen dann nicht nur<br />

etwas über den Interpreten aus, son<strong>der</strong>n sie br<strong>in</strong>gen Aspekte des Werkes zu Bewusstse<strong>in</strong>.“ 80<br />

Zen<strong>der</strong> glaubt nicht, dass „Aufführungen mit historischen Instrumenten uns so ohne Weiteres<br />

den Geist <strong>der</strong> Entstehungszeit zurückbr<strong>in</strong>gen könnten. Zu sehr haben sich unsere<br />

Hörgewohnheiten und unsere Ohren verän<strong>der</strong>t.“ 81 <strong>Die</strong>s arbeitet auch Ferruccio Busoni <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em „Entwurf e<strong>in</strong>er neuen Ästhetik <strong>der</strong> Tonkunst heraus“. Busoni sieht e<strong>in</strong> Kunstwerk<br />

sowohl <strong>von</strong> verän<strong>der</strong>lichen Faktoren, <strong>der</strong> Form, <strong>der</strong> Mittel und des Geschmacks, als auch vom<br />

unverän<strong>der</strong>lichen Geist bestimmt. 82 Zur Veranschaulichung dieser divergenten Konstituenten<br />

des Kunstwerks sei auf Katr<strong>in</strong> Bernhards Darstellung 83 im Anhang II.1. verwiesen.<br />

Sowohl mit den verän<strong>der</strong>lichen, wie mit den unverän<strong>der</strong>lichen Faktoren e<strong>in</strong>es Kunstwerks<br />

muss sich <strong>der</strong> Interpret nun ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen, um e<strong>in</strong>e Interpretation hervorzubr<strong>in</strong>gen, die<br />

das Kunstwerk adäquat zu vertreten vermag. Zen<strong>der</strong> sieht diesen Vorgang <strong>der</strong> Interpretation<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> „lecture“ bestimmt, <strong>von</strong> <strong>der</strong> „<strong>in</strong>dividuell-<strong>in</strong>terpretierenden Lesart“ 80 , die das Bild <strong>von</strong><br />

Werk und Komponist spiegelt, wie es sich durch die Jahre <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Sicht des<br />

Interpreten gewandelt hat und nun <strong>in</strong> dessen Umgang mit dem Werk zum Ausdruck kommt.<br />

Wie aber entsteht e<strong>in</strong>e solche „lecture“ und was s<strong>in</strong>d ihre Konstituenten?<br />

3 Musik lesen: Zeichensysteme - o<strong>der</strong> Musik als Sprache<br />

A Musik im Fluss<br />

Um noch genauer zu fassen, was Busoni mit wandelbaren und konstanten Faktoren des<br />

Kunstwerks auszudrücken versuchte, greift Zen<strong>der</strong> auf die Heraklitische „grundlegende<br />

Erfahrung <strong>von</strong> Zeitlichkeit“ 84 zurück. Er zitiert Heraklits `Panta Rhei` Fragment: „Wir steigen<br />

niemals <strong>in</strong> denselben Fluss“. Der Fluss besitzt Konstanz, Dauerhaftigkeit und doch ist er<br />

immer wie<strong>der</strong> neu. Er bildet sich aus e<strong>in</strong>em Dah<strong>in</strong>strömenden, welches ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Gegenwärtigkeit bed<strong>in</strong>gt und gleichzeitig e<strong>in</strong>em ständigen Wandel unterwirft. Niemals wird<br />

man genau jenen Fluss noch e<strong>in</strong>mal betrachten können. Dennoch formiert sich gleichzeitig<br />

80 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 221.<br />

81 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 221.<br />

82 Vgl.: Busoni, Ferruccio: Entwurf e<strong>in</strong>er neuen Ästhetik <strong>der</strong> Tonkunst, S. 5-6.<br />

83 Vgl.: Bernhard, Katr<strong>in</strong>: Reisebericht: Sekundäres zur W<strong>in</strong>terreise, S. 61.<br />

84 Zen<strong>der</strong>, Hans: Wir steigen niemals <strong>in</strong> denselben Fluß, S. 185.<br />

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e<strong>in</strong>e übergeordnete Identität, die Konstanz verleiht, die es überhaupt erst ermöglicht, e<strong>in</strong>e<br />

bleibende Identität und den Begriff „Fluss“ durch Abstraktion zu generieren. „Wir könnten<br />

gar nicht vom „Fluss“ sprechen, wenn <strong>der</strong> Fluss nicht gleichzeitig auch etwas<br />

Unverän<strong>der</strong>liches darstellen würde.“ 85 Es geht also um das Heraklits Philosophie im ganzen<br />

durchziehende Element, die gegenstrebige Fügung, welche sich <strong>in</strong> vielen se<strong>in</strong>er Fragmente<br />

wie<strong>der</strong>f<strong>in</strong>den lässt. Bezogen auf die konstanten und verän<strong>der</strong>lichen Faktoren des Kunstwerks,<br />

lässt sich aus Heraklits Fragmenten entnehmen, dass Kunstwerke e<strong>in</strong>em ständigen Wandel<br />

unterliegen und dabei dennoch e<strong>in</strong>e gewisse Beständigkeit aufweisen, die sie unverwechselbar<br />

werden lassen. Zen<strong>der</strong> folgert daraus, dass Kunstwerke ke<strong>in</strong>e stabile Identität hätten; sie seien<br />

wie Lebewesen den nicht vorhersehbaren dynamischen Dimensionen <strong>der</strong> Zeit unterworfen. 86<br />

<strong>Die</strong> zeitliche, geographische und kulturelle Distanz, die zwischen das Kunstwerk und den<br />

Interpreten trete, machte nolens-volens auch umdeutende Vermittlung unumgänglich. 87<br />

Zen<strong>der</strong> betont:<br />

„E<strong>in</strong> musikalisches Werk kann niemals nur anhand se<strong>in</strong>es Notentextes verstanden werden, die Zeichen<br />

<strong>der</strong> Partitur s<strong>in</strong>d auf die zukünftige Aktualisierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Performance bezogen, und jede Performance<br />

ist e<strong>in</strong>e Neudeutung dieser Zeichen und so jeweils e<strong>in</strong>e unterschiedliche Version des Stücks.“ 87<br />

Das heißt, je<strong>der</strong> <strong>in</strong>terpretatorische Zugang ist abhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> „lecture“. Hermann Danuser<br />

weist darauf h<strong>in</strong>, dass es bei <strong>der</strong> Interpretation e<strong>in</strong>es Werkes immer e<strong>in</strong>en gewissen<br />

Deutungsspielraum gebe, <strong>der</strong> sich im Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>fallen <strong>von</strong> „Strukturs<strong>in</strong>n“ und<br />

„Aufführungss<strong>in</strong>n“ offenbare. 88 Es handelt sich hierbei um zwei verschiedene Lektüreformen,<br />

<strong>von</strong> denen man die Erste nach Gruhn als „écriture“, die Zweite als „lecture“ bezeichnen<br />

könnte. 89 Der „Strukturs<strong>in</strong>n“ (écriture) muss durch den „Aufführungss<strong>in</strong>n“ (lecture) ausgelegt<br />

und so durch die <strong>in</strong>dividuelle Lesart aktualisiert werden. Interessant ist dabei, wo Zen<strong>der</strong> den<br />

Begriff <strong>der</strong> „lecture“ ansetzt und dass für ihn auch „die Partitur selbst schon e<strong>in</strong>e<br />

Interpretation“ 87 darstellt. <strong>Die</strong>s soll im Folgenden näher erläutert werden, um schließlich<br />

genauer auf die Interpretationsproblematik e<strong>in</strong>gehen zu können.<br />

B Musikalische Zeichen<br />

Um se<strong>in</strong> Verständnis <strong>von</strong> <strong>der</strong> Bedeutung e<strong>in</strong>es Notentextes darzulegen, betrachtet Zen<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Aufsatz „Interpretation – Schrift – Komposition“ die Umstände, unter denen sich<br />

85 Zen<strong>der</strong>, Hans: Wir steigen niemals <strong>in</strong> denselben Fluß, S. 185.<br />

86 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Wegekarte für Orpheus?, S. 86.<br />

87 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Wegekarte für Orpheus?, S. 85.<br />

88 Vgl. Danuser, Hermann: Musikalische Interpretation, S. 4.<br />

89 Vgl. Gruhn, Wilfried: Interpretation und Verstehensprozeß, S. 76.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

musikalische Notation entwickelte. Auch daran wird sich noch e<strong>in</strong>mal deutlicher zeigen,<br />

warum auch Danuser <strong>der</strong> „écriture“ ke<strong>in</strong>e Selbständigkeit zuschreibt.<br />

Zen<strong>der</strong>s Überlegungen nehmen ihren Ausgang bei Guido <strong>von</strong> Arezzo, <strong>der</strong> die erste<br />

brauchbare Grundlage für die Notation schuf, aus selbigem Grund aber aus <strong>der</strong><br />

Klostergeme<strong>in</strong>schaft ausgeschlossen wurde, da man ihm vorwarf, sich gegen die Memoria 90<br />

vergangen zu haben. 91 Während er durch den Aufbau <strong>der</strong> schriftlichen Fixierung <strong>von</strong> Musik<br />

e<strong>in</strong>erseits gerade gegen <strong>der</strong>en Vergessen ankämpfte, trat doch zugleich e<strong>in</strong> signifikanter<br />

Verlust gegenüber <strong>der</strong> mündlichen Tradierung auf. Bei <strong>der</strong> „mündlichen Tradition“ werden<br />

„Gestalt und S<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Gestalt ungeschieden vermittelt; sie treten niemals ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. [...]<br />

„Poesis“ und „mimesis“ [...], „productio“ und „imitatio“, waren e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit.“ 92 Für Zen<strong>der</strong><br />

ist diese E<strong>in</strong>heit durch die Erf<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Notation aufgebrochen. „Aufzeichnung heißt<br />

Akzentuierung, Verkürzung, Abstraktion.“ 93 Da jedoch jede Verschriftlichung<br />

unterschiedliche Akzente setzt und leicht variierende Codes benutzt, wird e<strong>in</strong>e genaue<br />

Dechiffrierung, welche S<strong>in</strong>n und Gehalt wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang br<strong>in</strong>gt, erschwert. Je größer nun<br />

<strong>der</strong> zeitliche Abstand zu den jeweiligen Codierungssystemen ist, desto problematischer wird<br />

die Rekonstruktion. Daraus resultiert e<strong>in</strong> „R<strong>in</strong>gen um die richtige Lesart“ 94 .<br />

Zen<strong>der</strong> folgert aus diesen Überlegungen, dass schriftliche Fixierung niemals dazu dienen<br />

könne, geistige Traditionen unverfälscht weiterzugeben. 95 Ähnliches lässt sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Schriftkritik Platons am Ende des Phaidros f<strong>in</strong>den. In se<strong>in</strong>er Erläuterung zu diesem Werk<br />

konkretisiert Wieland diesen Sachverhalt wie folgt: „Wer über wirkliches Wissen verfügt,<br />

wird [...] allenfalls zum Spiel o<strong>der</strong> zum Zweck <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerungshilfe versuchen, den Inhalt<br />

dieses Wissens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Text darzustellen. Gerade ihm ist klar, dass das, was das Wissen erst<br />

zum Wissen macht, im Text gar nicht greifbar wird.“ 96 Der Notentext steht zwischen<br />

Komponist und Interpret, ohne zwischen diesen s<strong>in</strong>nverlustfrei vermitteln zu können. Der<br />

Text ist, so Zen<strong>der</strong>, nie mit <strong>der</strong> Autor<strong>in</strong>tention identisch und somit kann selbst die genaue<br />

Dechiffrierung niemals nur aus dem Text alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong> authentisch kl<strong>in</strong>gendes Werk<br />

zurückgew<strong>in</strong>nen:<br />

90 Memoria: Wissensgüter werden über Generationen ohne schriftliche Fixierung auf mündlichem Weg durch<br />

das Medium <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung vermittelt und bewahrt.<br />

91 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 211.<br />

92 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 211.<br />

93 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 211.<br />

94 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 211.<br />

95 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 211.<br />

96 Zitiert nach: Danuser: Musikalische Interpretation, S. 5.<br />

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„Immer ist <strong>der</strong> größere Anteil e<strong>in</strong>er jeden Überlieferung durch den ungeschriebenen Kontext <strong>der</strong><br />

Gewohnheiten <strong>der</strong> Entstehungszeit gegeben, und die Zeichen e<strong>in</strong>es Textes verän<strong>der</strong>n sich mit diesen.<br />

<strong>Die</strong> musikalische Syntax, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Rahmen Zeichen gebraucht werden, wandelt sich. So ist es<br />

unvermeidlich, dass auch <strong>der</strong>en graphische Symbole e<strong>in</strong>em Bedeutungswandel unterliegen.“ 97<br />

Daher ist „<strong>Rezeption</strong> <strong>von</strong> Texten immer Deutung aus e<strong>in</strong>er bestimmten geschichtlichen<br />

Situation heraus.“ 98 Aus diesen Überlegungen schließt Zen<strong>der</strong>, dass musikalische Notation<br />

Aktionsanweisung für den Interpreten und Quelle für das Verstehen <strong>von</strong> Musik sei. 99 Das<br />

Zeichen bedarf folglich <strong>der</strong> Auslegung, <strong>der</strong> „lecture“, da das „Beste <strong>der</strong> Musik,“ 100 um noch<br />

e<strong>in</strong>mal Mahlers Begrifflichkeit aufzugreifen, eben nicht im Notentext steht. <strong>Die</strong>ser Vorgang<br />

ist notwendig, da im „Moment des Erkl<strong>in</strong>gens [...] die gefrorene Form <strong>der</strong> Schrift wie<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

den lebendigen Fluss <strong>der</strong> Zeit versetzt wird.“ 101 Zen<strong>der</strong> verlangt vom Interpreten die Lösung<br />

jener Knoten, die <strong>der</strong> Komponist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Komposition h<strong>in</strong>terlassen hat. Hierzu ist es jedoch<br />

unumgänglich, auch die „musikalische Topik“ 102 zu beachten, die zeitliche Bed<strong>in</strong>gtheit des<br />

Werks. Daraus folgt, dass <strong>der</strong> Versuch, Musik <strong>in</strong> <strong>der</strong> schriftlichen Fixierung gänzlich zu<br />

determ<strong>in</strong>ieren, scheitern muss. Zum e<strong>in</strong>en, da ke<strong>in</strong>e Chiffrierung e<strong>in</strong>deutig zu dechiffrieren<br />

wäre, zum an<strong>der</strong>en, da Musik verständlich bleiben muss. Ihr Charakter muss den Menschen<br />

und ihren Hörgewohnheiten angepasst werden, die divergenten Welten <strong>von</strong> Entstehung und<br />

<strong>Rezeption</strong> zum Ausgleich gebracht werden. Carl Dahlhaus spricht <strong>in</strong> dieser Beziehung <strong>von</strong><br />

„objektivierbarem Datum und zu rekonstruierendem historischen Faktum“ 103 . Danuser<br />

schließt aus dieser Aufsplittung <strong>von</strong> Dahlhaus, „dass es e<strong>in</strong>e Musikgeschichtsschreibung ohne<br />

>Interpretation< seitens des Historiographen nicht geben kann, so ist auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

Aufführungspraxis die Hoffnung auf Objektivität verflogen und hat <strong>der</strong> E<strong>in</strong>sicht Platz<br />

gemacht, dass auch – ja gerade – die praktische Rekonstruktionsversuche Alter Musik ohne<br />

Hypothesen, Deutungen, also Interpretation undenkbar s<strong>in</strong>d.“ 104<br />

C Interpretation <strong>von</strong> Zeichensystemen<br />

Interpretation ersche<strong>in</strong>t also als e<strong>in</strong>zig gangbarer Weg zur adäquaten Werkrekonstruktion.<br />

Daher ist es entscheidend zu klären, was im Allgeme<strong>in</strong>en und im Beson<strong>der</strong>en <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong><br />

unter Interpretation verstanden wird und was das Vorgehen bei <strong>der</strong> Interpretation bed<strong>in</strong>gt.<br />

97 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 212.<br />

98 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 212.<br />

99 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 212.<br />

100 Zitiert nach: Mauser, Siegfried: Theorien zur Interpretation Neuer Musik, S. 21.<br />

101 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 212.<br />

102 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 212.<br />

103 Zitiert nach: Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1053.<br />

104 Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1053.<br />

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a Interpretationsmodi<br />

Danuser teilt die musikalische Interpretation <strong>in</strong> drei mögliche Modi e<strong>in</strong>: 105<br />

I. Historisch-rekonstruktiver Modus<br />

II. Traditioneller Modus<br />

III. Aktualisieren<strong>der</strong> Modus<br />

I Der historisch-rekonstruktive Modus<br />

<strong>Die</strong>ser Modus hat als historische Aufführungspraxis se<strong>in</strong>en Ausgangspunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kultur <strong>der</strong><br />

geschichtlichen Rekonstruktion <strong>der</strong> ursprünglichen Aufführungsart e<strong>in</strong>es Werks. „E<strong>in</strong>e<br />

„historisch richtige“ Aufführung gibt es allerd<strong>in</strong>gs nicht.“ 106 Durch historische Forschung und<br />

musikalische Praxis wird <strong>der</strong> Versuch unternommen, den Zeithorizont e<strong>in</strong>er vergangenen<br />

Epoche <strong>in</strong> die Gegenwart zu transferieren. <strong>Die</strong> historischen Bed<strong>in</strong>gungen können dabei<br />

annähernd, niemals aber vollständig rekonstruiert werden. „Im ästhetischen und<br />

lebensweltlichen Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er späteren Gegenwart f<strong>in</strong>det das Rekonstruktionsbemühen<br />

e<strong>in</strong>e unüberschreitbare Schranke.“ 107<br />

II Der traditionelle Modus<br />

<strong>Die</strong>ser Interpretationszugang ist nicht vorrangig durch die Werktreue, son<strong>der</strong>n durch die<br />

E<strong>in</strong>fügung <strong>in</strong> die Geschichte <strong>der</strong> Werk<strong>in</strong>terpretation bestimmt. „Aufgrund <strong>der</strong> Überzeugung,<br />

dass die großen Werke <strong>der</strong> musikalischen >Ausdruckskunst< <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gestaltungskraft des<br />

Interpreten ihre letzte Begründungs<strong>in</strong>stanz f<strong>in</strong>den müssten, misst dieser Modus <strong>der</strong><br />

historischen Rekonstruktion des Werks wenig Gewicht bei.“ 108<br />

III Der aktualisierende Modus<br />

Wenngleich dieser Modus erst im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t eigenständige Bedeutung gew<strong>in</strong>nt, so weist<br />

Danuser dennoch darauf h<strong>in</strong>, dass sich Vorformen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Aufführungsgeschichte vom<br />

Mittelalter bis <strong>in</strong>s 19. Jahrhun<strong>der</strong>t nachweisen lassen. „In früheren Zeiten war es für den<br />

Interpreten selbstverständlich, e<strong>in</strong> Musikwerk, das sie zum Erkl<strong>in</strong>gen br<strong>in</strong>gen wollten, durch<br />

bearbeitende Maßnahmen ihrer Zeit, den eigenen ästhetischen Idealen, den Voraussetzungen<br />

105 Vgl.: Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1057-1059.<br />

106 Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1057.<br />

107 Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1057.<br />

108 Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1058.<br />

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e<strong>in</strong>es zeitgenössischen Hörens nach Gutdünken anzupassen.“ 109 Ziel ist es, die Autor<strong>in</strong>tention<br />

„auch unter verän<strong>der</strong>ten Umständen e<strong>in</strong>zulösen und die Werke e<strong>in</strong>er neuen Gegenwart<br />

zuzuführen.“ 110 In <strong>der</strong> neuesten Zeit zeichnet sich diese Interpretationsform durch die ihr<br />

zugrundeliegende Idee, „problemgeschichtliche Beziehungen zwischen musikalischen<br />

Denkformen <strong>der</strong> Gegenwart und Pr<strong>in</strong>zipien älterer Musik aufzuspüren aus.“ 111 Ziel ist es,<br />

Werke so darzustellen, dass „Züge, die ihnen ursprünglich allenfalls verborgen <strong>in</strong>newohnten,<br />

zu lebendiger ästhetischer Gegenwart erhoben werden.“ 112<br />

b Musikalische Interpretations- und Übersetzungsarbeit<br />

Aus dem zuletzt Zitierten lässt sich schließen, „dass jede Interpretation nur e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> mehreren<br />

Möglichkeiten darstellt.“ 113 An dieser Stelle ist es möglich, Zen<strong>der</strong>s Auffassung <strong>von</strong><br />

Interpretation anzub<strong>in</strong>den und se<strong>in</strong> Verständnis <strong>von</strong> musikalischer Übersetzungsarbeit zu<br />

<strong>in</strong>tegrieren.<br />

Zen<strong>der</strong> def<strong>in</strong>iert Interpretation wie folgt: „Es ist Neudeutung, Neugeburt aus <strong>der</strong> eigenen<br />

Individualität, Umschaffung alter Gestalt durch die Versetzung <strong>in</strong> neuen Kontext.“ 114<br />

Zwischen Werk und Interpretation sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> dialektisches Verhältnis zu existieren. Das<br />

Werk ist nur verklanglicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er gänzlichen Wahrheit erfahrbar. Zur akustischen<br />

Umsetzung aber ist e<strong>in</strong>e Interpretation <strong>der</strong> musikalischen Zeichen notwendig, welche es<br />

vermag, die Zeitlichkeit des Werks „<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e aktuelle, ästhetisch erfahrbare Zeitlichkeit zu<br />

übersetzen.“ 115 Es muss also e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischen Vergangenheit und Gegenwart<br />

gezogen werden. „Je<strong>der</strong> künstlerische Prozess, <strong>der</strong> des Interpretierens wie <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Neuschöpfung, ist immer auch die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung e<strong>in</strong>es aktuellen Bewusstse<strong>in</strong>s mit<br />

e<strong>in</strong>em vorgegebenen, <strong>von</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit empfangenen Material. [...] <strong>Die</strong> Geschichte<br />

spielt immer mit.“ 116 Sche<strong>in</strong>bar veraltete Kulturformen bedürfen <strong>der</strong> Neudeutung, um wie<strong>der</strong><br />

zugänglich zu werden. Zen<strong>der</strong> begreift gerade die Kraft des „Sich-Er<strong>in</strong>nerns“, des<br />

Zurückwendens als „Wie<strong>der</strong>-holen“ <strong>von</strong> Vergangenem als e<strong>in</strong>e Möglichkeit <strong>der</strong> Gegenwarts-<br />

und Zukunftsbewältigung. Höl<strong>der</strong>l<strong>in</strong> schreibt <strong>in</strong> dem im Jahr 2000 <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong> vertonten<br />

109 Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1059.<br />

110 Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1059.<br />

111 Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1059.<br />

112 Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1059.<br />

113 Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1055.<br />

114 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation- Schrift- Komposition, S. 216.<br />

115 Danuser, Hermann: Interpretation, Sp. 1065.<br />

116 Zen<strong>der</strong>, Hans: E<strong>in</strong> Vierteljahrhun<strong>der</strong>t später, S. 6.<br />

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Gedicht Mnemosyne: „Zeichen s<strong>in</strong>d wir, deutungslos,/Schmerzlos s<strong>in</strong>d wir und haben fast/<br />

<strong>Die</strong> Sprache <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fremde verloren.“ 117<br />

Mnemosyne, die Mutter <strong>der</strong> Musen, „ist im gleichen Moment <strong>in</strong> die Zukunft eilen<strong>der</strong><br />

utopischer Entwurf und Er<strong>in</strong>nerung an das Uralte.“ 118 Gadamer spricht <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er >HorizontverschmelzungHorizontverschmelzung


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Zen<strong>der</strong> versteht die Urschrift als Basis für alle sich aus ihr formierenden differenten Lesarten,<br />

die e<strong>in</strong>malig und <strong>in</strong>dividuell s<strong>in</strong>d aber dem Werk <strong>in</strong> je<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Auslegung die<br />

Möglichkeit zur lebendigen Entfaltung bietet. 122<br />

<strong>Die</strong> Zeichen des Notentextes s<strong>in</strong>d also als zu <strong>in</strong>terpretierende Symbolschichten zu verstehen.<br />

Der Interpret kann „zwischen unendlich vielen Lesemöglichkeiten“ 123 wählen. Doch wie<br />

entstehen diese Lesarten?<br />

Grundlegend besteht e<strong>in</strong> „Mangel an Bestimmtheit.“ 124 Vergleicht man dies mit dem<br />

zeichentheoretischen Modell Saussures, zeigt sich die Divergenz <strong>von</strong> Signifikat und<br />

Signifikant. Bezeichnendes und Bezeichnetes lassen sich nicht zweifelsfrei zuordnen. <strong>Die</strong><br />

Arbitrarität des Zeichens wirft somit zum e<strong>in</strong>en die Krisenerfahrung <strong>der</strong> Unmöglichkeit des<br />

unfehlbaren sprachlichen Ausdrucks auf, <strong>der</strong> vor Augen führt, dass Sprachakte missl<strong>in</strong>gen<br />

können, zum an<strong>der</strong>en die Erfahrung <strong>der</strong> Interpretationsfreiheit, die dem Werk immer neue<br />

Perspektiven und Lesarten eröffnet. „Während <strong>in</strong> <strong>der</strong> ternären Zeichenstruktur seit <strong>der</strong> Stoa<br />

das Bezeichnende und das Bezeichnete durch e<strong>in</strong>e Konjunktur verbunden s<strong>in</strong>d, die e<strong>in</strong>en<br />

nicht-arbiträren Zusammenhang zwischen Sprache und Welt herstellt, [...] wird die<br />

Anordnung <strong>der</strong> Zeichen b<strong>in</strong>är, weil man sie seit Port Royal durch die Verb<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es<br />

Bezeichnenden und e<strong>in</strong>es Bezeichneten def<strong>in</strong>iert“ 125 , die sich arbiträr zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verhalten.<br />

Auch <strong>der</strong> Komponist erstellt daher <strong>in</strong> gewisser Weise durch die Verschriftlichung se<strong>in</strong>er<br />

musikalischen Vorstellungen bereits e<strong>in</strong>e Interpretation. <strong>Die</strong> Zeichen können nie exakt die<br />

Autor<strong>in</strong>tention wie<strong>der</strong>geben. „Das Formgeben selbst ist also schon e<strong>in</strong>e Interpretation durch<br />

den Komponisten“ 126 . In ähnlicher Weise äußert sich auch Ferruccio Busoni <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

„Entwurf“: „Jede Notation ist schon Transkription e<strong>in</strong>es abstrakten E<strong>in</strong>falls. Mit dem<br />

Augenblick, da die Fe<strong>der</strong> sich se<strong>in</strong>er bemächtigt, verliert <strong>der</strong> Gedanke se<strong>in</strong>e<br />

Orig<strong>in</strong>algestalt.“ 127 Aus dieser Feststellung folgert Zen<strong>der</strong>, dass, falls bereits die Schrift des<br />

Autors Darstellung sei, das Tun des Interpreten zur Interpretation zweiter Ordnung werde, zur<br />

„Darstellung <strong>der</strong> Darstellung“. 128 Der „Leser“ o<strong>der</strong> Interpret ist nun vor die Aufgabe gestellt<br />

122 Vgl.: Zen<strong>der</strong>, Hans: Gedanken über die Bedeutung <strong>der</strong> schriftlichen Aufzeichnung für die Musik, S. 201.<br />

123 Zen<strong>der</strong>, Hans: Musikalische Interpretation und Übersetzungsarbeit, S. 226.<br />

124 Cadenbach, Ra<strong>in</strong>er: Der implizite Hörer?, S. 153.<br />

125 Gebauer, Gunter/ Wulf, Christoph: Uns<strong>in</strong>nliche Ähnlichkeit: zur Sprachanthropologie W. Benjam<strong>in</strong>s, S. 375f.<br />

126 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 216.<br />

127 Busoni, Ferruccio: Entwurf e<strong>in</strong>er neuen Ästhetik <strong>der</strong> Tonkunst, S. 22.<br />

128 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 216-217.<br />

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„herauszuf<strong>in</strong>den, was sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schrift ausdrückt.“ 129 „Der Leser muss die Abstraktion <strong>der</strong><br />

Schrift wie<strong>der</strong> lösen, konkretisieren, mit >Leben< füllen.“ 130<br />

d Der Akt des Lesens<br />

Lesen bedeutet e<strong>in</strong>en Text verarbeiten, mit ihm kommunizieren. E<strong>in</strong>e solche Kommunikation<br />

ist nur durch die Interaktion zwischen Text und Leser möglich. 131 Wolfgang Iser geht da<strong>von</strong><br />

aus, dass e<strong>in</strong> Text sich nicht auf e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Wahrheitskonfiguration festlegen lässt. Schon<br />

alle<strong>in</strong>e, weil „die Schrift immer mehr ausdrückt, als dies dem Schreibenden bewusst ist“ 132 .<br />

Als Gründe für diesen Sachverhalt wurden bereits angeführt:<br />

1. Arbritrarität <strong>der</strong> Zeichen,<br />

2. Wandel <strong>der</strong> Chiffren und ihrer Bedeutung,<br />

3. Wandel <strong>der</strong> Rezipienten (u.a. aus historischen und soziologischen Gründen)<br />

Dennoch werden Texte über Jahrhun<strong>der</strong>te rezipiert und immer neue Aspekte aus ihrer Textur<br />

herausgearbeitet. E<strong>in</strong> Text sche<strong>in</strong>t ke<strong>in</strong> Konsumgut zu se<strong>in</strong>, welches sich „verbraucht“.<br />

„Es charakterisiert Texte, dass sie ihre Kommunikationsfähigkeit nicht verlieren, wenn ihre Zeit vorbei<br />

ist; viele <strong>von</strong> ihnen vermögen auch dann noch zu `sprechen´, wenn ihre ´Botschaft` längst historisch<br />

und ihre ´Bedeutung´ schon trivial geworden ist.“ 133<br />

Es ist unmöglich, den e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n als den eigentlichen Kern e<strong>in</strong>es Werks aus dem Text<br />

herauszulösen und jenen so als „leere Schale“, <strong>der</strong> „Bedeutung entrissen“ zu h<strong>in</strong>terlassen. 134<br />

Der „Text sperrt sich gegen se<strong>in</strong>e Konsumierbarkeit“ 135 ebenso, wie gegen e<strong>in</strong>deutige<br />

<strong>in</strong>terpretatorische Festlegung. Der Leser muss sich gerade <strong>von</strong> vorgegebenen Lesarten<br />

befreien. Iser nennt dieses Vorgehen „Negativierung“. Erst im Preisgeben <strong>der</strong> mitgebrachten<br />

Maßstäbe, so Iser, liege die Möglichkeit, sich das vorzustellen, was durch den S<strong>in</strong>n des Textes<br />

real <strong>in</strong>tendiert sei. Susan Sontag zentriert diese Aussage <strong>in</strong> ihrem Aufsatz „Aga<strong>in</strong>st<br />

<strong>in</strong>terpretation“: „The mo<strong>der</strong>n style of <strong>in</strong>terpretation excavates, and as it excavates, destroys; it<br />

digs ´beh<strong>in</strong>d´ the text, to f<strong>in</strong>d a sub-text which is the true one.” 136 Gäbe es nur diese e<strong>in</strong>e<br />

Möglichkeit <strong>der</strong> Interpretation, würde <strong>der</strong> Text se<strong>in</strong>e Sprachfähigkeit e<strong>in</strong>büßen und jede<br />

Überzeitlichkeit und Kont<strong>in</strong>uität <strong>von</strong> Text erlöschen. Es muss folglich ergründet werden, wie<br />

129<br />

Gebauer, Gunter/Wulf, Christoph: Uns<strong>in</strong>nliche Ähnlichkeit: zur Sprachanthropologie W. Benjam<strong>in</strong>s, S. 377.<br />

130<br />

Gebauer, Gunter/Wulf, Christoph: Uns<strong>in</strong>nliche Ähnlichkeit: zur Sprachanthropologie W. Benjam<strong>in</strong>s, S. 377.<br />

131<br />

Vgl. Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 7-8.<br />

132<br />

Gebauer, Gunter/Wulf, Christoph: Uns<strong>in</strong>nliche Ähnlichkeit: zur Sprachanthropologie W. Benjam<strong>in</strong>s, S. 377.<br />

133<br />

Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 28.<br />

134<br />

Vgl. Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 14.<br />

135<br />

Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 18.<br />

136<br />

Sontag, Susan: Aga<strong>in</strong>st <strong>in</strong>terpretation, S. 6f.<br />

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e<strong>in</strong> optimales Verhältnis zwischen Text und Leser aussehen könnte und welche Faktoren<br />

dieses Verhältnis bestimmen. Dazu soll im Folgenden Isers Theorie des Impliziten Lesers und<br />

jenes <strong>der</strong> Leerstellen, welches auf Roman Ingardens Konzept <strong>der</strong> Unbestimmtheitsstellen<br />

beruht, erläutert werden. <strong>Die</strong> Darstellung folgt im Wesentlichen jener Konzeption, die<br />

Wolfgang Iser <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „Der Akt des Lesens“ darlegt.<br />

I Das Konzept des „Impliziten Lesers“<br />

E<strong>in</strong> Werk wirft also, wie zuvor untersucht, unterschiedliche Deutungspotentiale auf, die zu<br />

immer neuen Lesarten führen. Lesen wird zum Vorgang <strong>von</strong> S<strong>in</strong>nkonstitution und somit zur<br />

Interpretation. „Interpretation (aber) heißt nun nicht mehr S<strong>in</strong>n entschlüsseln, son<strong>der</strong>n<br />

S<strong>in</strong>npotentiale verdeutlichen, die e<strong>in</strong> Text parat hält, weshalb sich die im Lesen erfolgende<br />

Aktualisierung als e<strong>in</strong> Kommunikationsprozess vollzieht.“ 137 Sicher ist aber auch, dass die<br />

durch den Text eröffneten S<strong>in</strong>npotentiale niemals vollständig ausgeschöpft werden können.<br />

E<strong>in</strong>e solche Ausschöpfung würde auch wie<strong>der</strong>um zur Entleerung des Werks führen und ihm<br />

e<strong>in</strong>e überzeitliche Gültigkeit verwehren. Ohne den Leser und se<strong>in</strong>e schöpferische<br />

Mitgestaltung allerd<strong>in</strong>gs würden sich ke<strong>in</strong>erlei S<strong>in</strong>npotentiale erschließen und <strong>der</strong> Text somit<br />

verschlossen bleiben. <strong>Die</strong> Leser- und Interpretationsrolle ist daher für die Lebendigkeit e<strong>in</strong>es<br />

Werkes unabd<strong>in</strong>gbar, ja sogar, nach Iser, bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Textkonzeption e<strong>in</strong>beschrieben, als<br />

impliziter Leser. Er besitzt „ke<strong>in</strong>e reale Existenz, denn er verkörpert die Gesamtheit <strong>der</strong><br />

Vororientierungen, die e<strong>in</strong> Text se<strong>in</strong>en Lesern als <strong>Rezeption</strong>sbed<strong>in</strong>gungen anbietet.“ 138 Iser<br />

spricht bewusst <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Angebot, welches <strong>der</strong> Text und nicht <strong>der</strong> Autor offenbart, denn <strong>der</strong><br />

Text offeriert, wie gezeigt, e<strong>in</strong> größeres S<strong>in</strong>nangebot als das vom Autor <strong>in</strong>tendierte. Man<br />

könnte mit Foucaults Worten vom ´Tod des Autors´ sprechen. Schreiben ist für Foucault<br />

selbstreferentiell geworden: „Schreiben ist e<strong>in</strong> Zeichenspiel, das sich weniger nach se<strong>in</strong>em<br />

bedeuteten Inhalt als nach dem Wesen des Bedeuteten richtet. [...] In Frage steht die Öffnung<br />

e<strong>in</strong>es Raumes, <strong>in</strong> dem das schreibende Subjekt immer wie<strong>der</strong> verschw<strong>in</strong>det.“ 139 Wenngleich<br />

es hier nicht um e<strong>in</strong>e solch radikale Infragestellung <strong>der</strong> Autorposition geht, soll verdeutlicht<br />

werden, dass <strong>der</strong> Text nicht nur den Autorwillen abbildet.<br />

Aber auch <strong>der</strong> Leser kann nur gewisse S<strong>in</strong>nangebote ausschöpfen. „Daraus folgt, dass die<br />

Leserrolle des Textes historisch und <strong>in</strong>dividuell unterschiedlich realisiert wird, je nach den<br />

lebensweltlichen Dispositionen sowie dem Vorverständnis, das <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne Leser <strong>in</strong> die<br />

137 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 42.<br />

138 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 60.<br />

139 Foucault, Michel: Was ist e<strong>in</strong> Autor, S. 11.<br />

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Lektüre e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gt.“ 140 Intention und Erfüllung können <strong>in</strong> Gänze nur im fiktiven Konzept des<br />

impliziten Lesers zusammenfallen.<br />

„Ist aber jede Aktualisierung e<strong>in</strong>e bestimmte Besetzung <strong>der</strong> Struktur des impliziten Lesers, dann bildet<br />

diese Struktur e<strong>in</strong>e Referenz, die die <strong>in</strong>dividuelle <strong>Rezeption</strong> des Textes <strong>in</strong>tersubjektiv zugänglich macht.<br />

Damit kommt e<strong>in</strong>e zentrale Funktion des impliziten Lesers zum Vorsche<strong>in</strong>: Es ist e<strong>in</strong> Konzept, das den<br />

Beziehungshorizont für die Vielfalt historischer und <strong>in</strong>dividueller Aktualisierungen <strong>der</strong> Texte<br />

bereitstellt, um diese <strong>in</strong> ihrer Beson<strong>der</strong>heit analysieren zu können.“ 141<br />

Der implizite Leser vere<strong>in</strong>igt also alle möglichen Lesarten und Leserrollen <strong>in</strong> sich. Nun ist zu<br />

klären, wie die divergenten Lesarten entstehen können.<br />

II <strong>Die</strong> „Leerstellentheorie“<br />

Im Folgenden ist die „Text-Leser-Beziehung“ näher zu untersuchen.<br />

„Das Lesen als e<strong>in</strong>e vom Text gelenkte Aktivität koppelt den Verarbeitungsprozess des Textes als<br />

Wirkung auf den Leser zurück. <strong>Die</strong>ses wechselseitige E<strong>in</strong>wirken aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> soll als Interaktion<br />

bezeichnet werden.“ 142<br />

Interaktion ist <strong>von</strong> Kont<strong>in</strong>genzbeträgen bestimmt. <strong>Die</strong> Kont<strong>in</strong>genz ist Konstituente je<strong>der</strong><br />

menschlichen Kommunikation. Sie ist die „<strong>in</strong> aller Interaktion herrschende<br />

Unvorhersehbarkeit“ 143 , die zur Konstitutionsbed<strong>in</strong>gung für Kommunikation überhaupt wird.<br />

Der Text aber vermag ke<strong>in</strong>e solche dyadische Interaktion zu leisten. Da er auf die Fragen, die<br />

<strong>der</strong> Leser ihm entgegen br<strong>in</strong>gt nur bed<strong>in</strong>gt zu antworten vermag, entsteht e<strong>in</strong>e „konstitutive<br />

Leere“ 144 . <strong>Die</strong>sem Mangel muss <strong>der</strong> Leser durch „eigene Projektionen“ entgegenwirken. Es<br />

s<strong>in</strong>d kommunikative Unbestimmtheitsstellen, die vom Leser gefüllt werden müssen, damit die<br />

Kommunikation gel<strong>in</strong>gen kann. Hier entsteht also Kommunikation aus <strong>der</strong> Dialektik <strong>von</strong><br />

Verschwiegenem und Zusagendem. „Das Verschwiegene (wird zum) Implikat des<br />

Gesagten.“ 145<br />

Leerstellen s<strong>in</strong>d also „bestimmte Aussparungen, die Enklaven im Text markieren und sich so<br />

<strong>der</strong> Besetzung durch den Leser anbieten. Denn es kennzeichnet die Leerstellen e<strong>in</strong>es Systems,<br />

dass sie nicht durch das System selbst, son<strong>der</strong>n nur durch e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es System besetzt werden<br />

140 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 65.<br />

141 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 66.<br />

142 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 257.<br />

143 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 257.<br />

144 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 263.<br />

145 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 265.<br />

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können.“ 146 Leerstellen br<strong>in</strong>gen die „Konstitutionsaktivität des Lesers <strong>in</strong> Gang“ und<br />

„regulieren die Vorstellungstätigkeit des Lesers“ 147 .<br />

Isers Konzept ist verwandt mit dem <strong>der</strong> Ingardenschen „Unbestimmtheitsstellen“. Ingarden<br />

begreift jedes Kunstwerk als schematisches Gebilde mit verschiedenartigen<br />

Unbestimmtheitsstellen, die durch den Betrachter gefüllt werden müssen. Interessant ist die<br />

dabei auftretende Ambivalenz, dass <strong>der</strong> Gegenstand <strong>in</strong> dem Maße neue<br />

Unbestimmtheitsstellen aufwirft, wie an<strong>der</strong>e geschlossen werden. <strong>Die</strong> „Konkretisation“ 148<br />

e<strong>in</strong>es Kunstwerks kann also nie vollständig erfolgen. Wie diese Ausfüllung <strong>der</strong><br />

Unbestimmtheitsstellen sich im E<strong>in</strong>zelnen darstellt, soll an dieser Stelle nicht ausgeführt<br />

werden, da Zen<strong>der</strong>s Theorien zur Interpretation <strong>von</strong> ihnen nicht gefärbt s<strong>in</strong>d.<br />

Daher seien an dieser Stelle noch e<strong>in</strong>mal jene, die Leerstellen bestimmenden Faktoren<br />

zusammengetragen, die auch Zen<strong>der</strong>s Nutzung dieses Term<strong>in</strong>us und se<strong>in</strong> Verständnis <strong>von</strong><br />

diesem bee<strong>in</strong>flussen:<br />

1. Unbestimmtheitsstellen s<strong>in</strong>d Aussparungen im Text, die durch den Leser besetzt werden müssen.<br />

2. Jede Leerstelle bricht die Textkohärenz, welche durch die Aktivität des Lesers wie<strong>der</strong>hergestellt werden<br />

muss.<br />

3. Jede Leerstelle kann auf mannigfaltige Weise gefüllt werden, wodurch divergente Lesarten entstehen.<br />

4. Divergente Lesarten erhalten die Lebendigkeit des Textes, def<strong>in</strong>ieren ihn immer wie<strong>der</strong> neu und<br />

verhelfen ihm zu überzeitlicher Wirkung.<br />

5. Texte, die ke<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> ger<strong>in</strong>ge Leerstellen aufweisen, for<strong>der</strong>n den Leser nicht zur Kommunikation auf<br />

und entbehren somit schließlich <strong>der</strong> Fähigkeit, überzeitliche Relevanz zu erhalten.<br />

4 Gründe <strong>der</strong> und Wahrheitsgehalt <strong>von</strong> Interpretation<br />

A <strong>Die</strong> Verantwortung des Interpreten<br />

Es ist deutlich geworden, dass Zen<strong>der</strong> Text als Vermittlungsmedium <strong>von</strong> Musik begreift,<br />

welches nicht ohne die Aktivität des Lesers aktualisiert werden kann. Weiterh<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong><br />

Musikwerk für Zen<strong>der</strong> immer als Kl<strong>in</strong>gendes zu denken und daher nur <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er akustischen<br />

Umsetzung lebendig. <strong>Die</strong>se Lebendigkeit des Werks aber kann wie<strong>der</strong>um nur vermittelt<br />

146 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 266.<br />

147 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 266.<br />

148 Ingarden, Roman: Das literarische Kunstwerk, S. 250.<br />

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werden, wenn <strong>der</strong> „Geist“ 149 des Werkes erfasst und se<strong>in</strong>e „Form“ 150 gemäß den gewandelten<br />

<strong>Rezeption</strong>sbed<strong>in</strong>gungen umgeformt wird. <strong>Die</strong>s geschieht durch den zuvor erörterten Vorgang<br />

<strong>der</strong> „lecture“.<br />

Zen<strong>der</strong> formuliert se<strong>in</strong>e Überlegungen zur Notwendigkeit <strong>der</strong> Interpretation wie folgt: Es ist<br />

„nicht alle<strong>in</strong> die naive Vorstellung, die Schrift <strong>der</strong> Partitur sei e<strong>in</strong> Chiffre, die sich e<strong>in</strong>deutig<br />

vom Spieler <strong>in</strong> Klang übertragen lasse“, son<strong>der</strong>n vor allem „die Tatsache, dass unsere<br />

Empf<strong>in</strong>dungen <strong>von</strong> Klang und Zeit ständig im Wandel begriffen s<strong>in</strong>d und <strong>in</strong>sofern jedes Werk<br />

<strong>der</strong> Vergangenheit erst `gedolmetscht` werden muss.“ 151 Er führt im folgenden vier Gründe<br />

für die Aktualisierungsnotwendigkeit (musikalischer) Werke an: 152<br />

1. Bedeutungswandel <strong>der</strong> Schriftzeichen,<br />

2. Wandel des Instrumentariums und die daraus erwachsenden Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Klangbalance,<br />

3. Wandel <strong>der</strong> Konzertlokalitäten,<br />

4. Wandel des hörenden Bewusstse<strong>in</strong>s.<br />

<strong>Die</strong> Werke verlangen also nach <strong>der</strong> „Beteiligung <strong>der</strong> subjektiven Vorstellungen des<br />

Interpreten.“ 153 Aber öffnet sich durch e<strong>in</strong> solches Verständnis <strong>von</strong> Interpretation nicht auch<br />

„<strong>der</strong> Willkür Tür und Tor?“ 154 So fragt sich auch Zen<strong>der</strong>, natürlich um dies im Folgenden zu<br />

negieren. „Schöpferische Interpretation ist ohne kompositorisches Denken unmöglich, und<br />

kompositorisches Denken heißt: verantwortlich mit Material umgehen.“ 155 Woraus resultiert<br />

diese Verantwortlichkeit und welche For<strong>der</strong>ungen stellt sie?<br />

B Das Erwachsen <strong>der</strong> Verantwortung<br />

Zen<strong>der</strong> sieht die Liebe zu e<strong>in</strong>em Werk als konstitutive Voraussetzung zur verantwortlichen<br />

Interpretation und zum produktiven Umgang mit e<strong>in</strong>em Werk überhaupt.<br />

„Erst durch den „enthousiasmo“, die Begeisterung, wird die Interpretation persönlich und so<br />

schöpferisch. [...] <strong>Die</strong> schöpferische Interpretation sucht sich mit dem Geist des Werkes zu<br />

identifizieren. <strong>Die</strong>s ist auch <strong>der</strong> Grund dafür, dass schöpferische Interpretation das Orig<strong>in</strong>al nicht<br />

beschädigt, auch wenn sie noch so frei damit umgeht. In <strong>der</strong> Interpretation wird sich zwar auch etwas<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Individualität des Interpreten abdrücken, aber unabsichtlich und spontan. In dieser Spontaneität<br />

wird die alte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue Wahrheit verwandelt.“ 156<br />

149 Vgl. Busoni, Ferruccio: Entwurf e<strong>in</strong>er neuen Ästhetik <strong>der</strong> Tonkunst, S. 5.<br />

150 Vgl. Busoni, Ferruccio: Entwurf e<strong>in</strong>er neuen Ästhetik <strong>der</strong> Tonkunst, S. 5<br />

151 Zen<strong>der</strong>, Hans: Was kann Musik heute se<strong>in</strong>?, S. 148.<br />

152 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Was kann Musik heute se<strong>in</strong>? S. 148.<br />

153 Zen<strong>der</strong>, Hans: Was kann Musik heute se<strong>in</strong>?, S. 149.<br />

154 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 219.<br />

155 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 219.<br />

156 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 217-218.<br />

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<strong>Die</strong>se Vorstellungen Zen<strong>der</strong>s lassen sich <strong>in</strong> den philosophischen Überlegungen Adornos<br />

wie<strong>der</strong>f<strong>in</strong>den. Adorno glaubt, dass e<strong>in</strong> Werk nur durch H<strong>in</strong>gabe erschlossen werden kann.<br />

„Das Werk wird nicht untertan gemacht, son<strong>der</strong>n durch die aktiv-passive Angleichung des<br />

Rezipienten vermag es <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Inneres zu gelangen und dieses zu bereichern.“ 157 Es wird vom<br />

Rezipienten als mit ihm identisch o<strong>der</strong> <strong>von</strong> ihm unterschieden erfasst. Aufgrund <strong>der</strong><br />

H<strong>in</strong>wendung, mittels <strong>der</strong> „Erweiterung des Subjekts durch die Öffnung für die Welt“ 158<br />

erfährt das Ich sich selbst neu. Indem es sich <strong>in</strong> die liebende Beziehung zum Werk setzt,<br />

welches als se<strong>in</strong> Nicht-Ich (im Hegelschen S<strong>in</strong>n) ersche<strong>in</strong>t, kann es die Konturen des eigenen<br />

Ichs fassen. Ziel dieser Bewegung ist die Vermittlung zwischen Werk und Rezipient, die aus<br />

e<strong>in</strong>er solchen Grundkonstellation resultiert.<br />

„Wahrheit“, so Adorno, „zeigt sich zwischen dem Werk und dem Rezipienten im beide verb<strong>in</strong>denden<br />

mimetischen Impuls, <strong>der</strong> den Kern ästhetischer Erfahrung ausmacht, <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Vermittlung <strong>von</strong> Ich<br />

und Nicht-Ich erfolgt, die alle Zwecksetzungen, Nützlichkeitsüberlegungen, Instrumentalisierungen<br />

h<strong>in</strong>ter sich lässt und <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Vorrang des Objekts, <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Nichtidentischen vom Rezipienten<br />

erfasst wird. [...] Wenn die ästhetische Erfahrung e<strong>in</strong>en durch den Bezug auf Wahrheit gegebenen<br />

Erkenntnisgew<strong>in</strong>n liefert, ist sie nicht als subjektive Erfahrung alle<strong>in</strong> beschreibbar. Vielmehr enthält sie<br />

objektive im Werk liegende Komponenten.“ 159<br />

Das bedeutet, dass durch die liebende H<strong>in</strong>wendung zu e<strong>in</strong>em Werk sich e<strong>in</strong>e Erkenntnis<br />

desselben begründet, die nicht re<strong>in</strong> subjektiv und willkürlich ist, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> den Kern des<br />

Werks e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gt und se<strong>in</strong>en „Geist“ auf diese Weise rekonstruktiv zu erfassen vermag.<br />

C <strong>Die</strong> Implikate <strong>der</strong> Verantwortung<br />

Zen<strong>der</strong> weist darauf h<strong>in</strong>, dass diese Liebe zu e<strong>in</strong>em Werk erst dann entstehen kann, wenn „<strong>der</strong><br />

schöpferische Funke vom Autor auf den Interpreten“ überspr<strong>in</strong>gt, was eben erst <strong>in</strong> jenem<br />

Moment <strong>der</strong> Fall se<strong>in</strong> kann, <strong>in</strong>dem sich <strong>der</strong> Interpret <strong>in</strong> die „Gestalt `verliebt`, dadurch dass er<br />

<strong>von</strong> ihr „besessen“ wird.“ 160 E<strong>in</strong>e solche Beziehung zwischen Interpret und Werk kann<br />

allerd<strong>in</strong>gs nur entstehen, wenn am Anfang <strong>der</strong> Beschäftigung die „genaueste und <strong>in</strong>tensivste<br />

Aneignung des Urtextes (steht), samt Studien über die Entstehungszeit (und <strong>der</strong>) Geschichte<br />

<strong>der</strong> Interpretation.“ 161 <strong>Die</strong> Anstrengung des Interpreten müsse immer erst durch die Schalen<br />

<strong>der</strong> bisherigen <strong>Rezeption</strong> e<strong>in</strong>es Textes h<strong>in</strong>durchdr<strong>in</strong>gen, bis sie dem Orig<strong>in</strong>al so direkt wie<br />

157 Gebauer, Gunter/Wulf, Christoph: Lebendige Erfahrung – Adorno, S. 399.<br />

158 Gebauer, Gunter/Wulf, Christoph: Lebendige Erfahrung – Adorno, S. 398.<br />

159 Gebauer, Gunter/Wulf, Christoph: Lebendige Erfahrung – Adorno, S. 401.<br />

160 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 217.<br />

161 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 217.<br />

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möglich begegneten. <strong>Die</strong>se Begegnung schaffe dann, wenn sie glückt, absichtslos das<br />

„Aktuelle“ e<strong>in</strong>er neuen Lesart. 162 Zen<strong>der</strong> stellt also auch die geschichtliche Bed<strong>in</strong>gtheit e<strong>in</strong>es<br />

Werks heraus:<br />

„Jedes neu komponierte Werk steht, <strong>in</strong>dem es als Punkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenwart doch immer verbunden bleibt<br />

mit unzähligen Aspekten <strong>von</strong> Geschichte, ausdrücklich reflektiert. Dazu gehört auch die E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> den<br />

mimetischen Charakter <strong>von</strong> Schrift.“ 163<br />

Was me<strong>in</strong>t Zen<strong>der</strong> nun mit dem mimetischen Charakter <strong>von</strong> Schrift? Zen<strong>der</strong> folgt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Auffassung dieses Begriffs <strong>der</strong> Intertextualitätstheorie Derridas.<br />

Je<strong>der</strong> Text steht nach Derrida <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mimetischen Verhältnis zu an<strong>der</strong>en Texten. <strong>Die</strong>ses<br />

Verhältnis ist hauptsächlich ke<strong>in</strong> bewusst impliziertes, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> unbewusstes Verweisen.<br />

„Es gibt ke<strong>in</strong>e erste Schrift und ke<strong>in</strong> erstes Lesen; jedes Beg<strong>in</strong>nen verdankt sich e<strong>in</strong>er Doppelung. In<br />

jedem Schreiben ist <strong>der</strong> Bezug auf etwas Vergangenes bereits gegeben. [...] Texte erschließen sich nicht<br />

als begrenzte Wortkörper; sie haben e<strong>in</strong>e Geschichte. [...] Sie haben so nie den Charakter <strong>von</strong><br />

Orig<strong>in</strong>alen.“ 164<br />

<strong>Die</strong>ses mimetische Verweisspiel aber schmälert den Text nicht, son<strong>der</strong>n bereichert ihn. „Je<strong>der</strong><br />

Text hat e<strong>in</strong>e Dichte.“ 165 Nach Derrida wird <strong>der</strong> Text gerade <strong>von</strong> diesem<br />

Vervielfältigungspr<strong>in</strong>zip, <strong>der</strong> „différence“ geprägt und konstituiert. „Différence“ ist das Spiel<br />

zwischen An- und Abwesenheit <strong>von</strong> S<strong>in</strong>n. Sie besteht auch zwischen dem lebendigen Wort<br />

und dem Schriftzeichen, welches als Verdopplung des Wortes nur als Simulakrum für jenes<br />

stehen kann. Der Tod <strong>der</strong> lebendigen Sprache ist Konstituente <strong>der</strong> Schrift. <strong>Die</strong> Schrift und die<br />

durch sie entstehenden Begriffe werfen wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Bedeutungsvielfalt auf, die sich je nach<br />

Leser <strong>in</strong> unterschiedlichen Lesarten und Diskursen spiegeln können. Auf diese Weise<br />

entstehen immer neue <strong>in</strong>tertextuelle Bezüge, die dem Werk die Möglichkeit bieten, durch alle<br />

Zeiten h<strong>in</strong>durch präsent zu bleiben und ihre Relevanz zu erhalten; lebendig zu bleiben,<br />

Tradition zu kont<strong>in</strong>uieren und gleichzeitig produktiv Neues zu schaffen, zu bewahren und zu<br />

gestalten, mit an<strong>der</strong>en Worten „gegenstrebige Fügung.“ 166 <strong>Die</strong>ses anfangs ausgeführte<br />

Paradox Heraklitscher Provenienz beleuchtet hier noch e<strong>in</strong>mal Zen<strong>der</strong>s Gedanken. Harmonia<br />

als hervorgebrachte E<strong>in</strong>heit aus Wi<strong>der</strong>strebendem. Zen<strong>der</strong> versucht, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Interpretationstheorie gerade e<strong>in</strong> Ideal aufzustellen, dass Geschichte und Gegenwart, Wort/<br />

Klang und Schrift, sowie Zeichen und Deutungsvielfalt zum Ausgleich br<strong>in</strong>gt.<br />

162 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Auge und Ohr. Gedanken zum Theater – Exkurs: Autor und Interpret, S. 41.<br />

163 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 219-220.<br />

164 Gebauer, Gunter/Wulf, Christoph: Der Zwischencharakter <strong>der</strong> Mimesis – Derrida, S. 406.<br />

165 Gebauer, Gunter/Wulf, Christoph: Der Zwischencharakter <strong>der</strong> Mimesis – Derrida, S. 406.<br />

166 Zen<strong>der</strong>, Hans: Wir steigen niemals <strong>in</strong> denselben Fluß, S. 187.<br />

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Dazu ist jedoch auch die Rolle des Hörers neu zu def<strong>in</strong>ieren.<br />

5 <strong>Die</strong> Rolle des Rezipienten<br />

Zen<strong>der</strong> geht es um e<strong>in</strong>e neue Art des Hörens, um unmittelbare <strong>Rezeption</strong> und um Teilhabe an<br />

<strong>der</strong> Werkgenese, um e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>austreten aus e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong>en Konsumhaltung. Er folgt hier den<br />

Gedankengängen Georg Pichts und vor allem den <strong>in</strong> dessen Werken „Kunst und Mythos“ und<br />

„Real Presences“ formulierten E<strong>in</strong>sichten. „Für Picht s<strong>in</strong>d die S<strong>in</strong>ne, ist das Ohr selbst schon<br />

zu e<strong>in</strong>er qualitativen Leistung fähig und nicht erst die reflektierende Vernunft.“ 167 Zen<strong>der</strong> will<br />

gerade diese Fähigkeit des Hörers för<strong>der</strong>n. Er wünscht sich e<strong>in</strong>en Hörer, <strong>der</strong> „Ungewohntes,<br />

Unerhörtes vorurteilsfrei“ aufnehmen kann. Er kritisiert, dass das Kunstwerk dem Hörer meist<br />

durch e<strong>in</strong>e Flut <strong>von</strong> Kommentaren, Vor<strong>in</strong>terpretationen und E<strong>in</strong>führungen vermittelt werde<br />

und e<strong>in</strong>e direkte Begegnung mit dem Werk somit ausgeschlossen sei. 167 Um aus dieser<br />

rout<strong>in</strong>emäßigen <strong>Rezeption</strong>sform auszutreten, bedarf es zum e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>er Neubelebung <strong>der</strong><br />

„existentiellen Wucht des Orig<strong>in</strong>als“ 168 , auf die <strong>in</strong> Kapitel IV e<strong>in</strong>gegangen werden soll, zum<br />

an<strong>der</strong>en e<strong>in</strong>es neuen Verständnisses <strong>der</strong> Hörerrolle. Das klassische Kommunikationsschema<br />

wird aufgebrochen.<br />

In jenem Modell wird e<strong>in</strong>zig dem Komponisten schöpferisches Potential zugestanden. Der<br />

Interpret hat re<strong>in</strong> darstellende Funktion, so daß die mimetische Werknachahmung fast Züge<br />

e<strong>in</strong>es bl<strong>in</strong>den Gehorsams gegenüber dem Notentext aufweist, also gleichbedeutend mit e<strong>in</strong>er<br />

re<strong>in</strong>en Imitatio o<strong>der</strong> Mimikry ist. Dem Hörer fällt e<strong>in</strong>e ausschließlich passive Rolle zu, <strong>in</strong>dem<br />

er die vom Interpreten erzeugte kl<strong>in</strong>gende Darstellung des produktiv durch den Komponisten<br />

geschaffenen Notentextes rezipiert.<br />

Das kommunikationstheoretische Modell Zen<strong>der</strong>s macht sowohl den Interpreten zum<br />

Mitschöpfer, wie den Hörer zum Handelnden. <strong>Die</strong> schöpferische Tätigkeit bezieht sich also<br />

nicht mehr länger ausschließlich auf den Komponisten, son<strong>der</strong>n umschließt die Gesamtheit<br />

<strong>der</strong> kommunikationstheoretischen Trias.<br />

Zur Darstellung sei auf das <strong>von</strong> Katr<strong>in</strong> Bernhard <strong>in</strong> Anhang II.2 aufgestellte Schema<br />

verwiesen, <strong>in</strong> dem oben das traditionelle Kommunikationsschema unten die Umdeutung durch<br />

Zen<strong>der</strong> abzulesen ist. 169<br />

167 Zen<strong>der</strong>, Hans: Was kann Musik heute se<strong>in</strong>?, S. 154.<br />

168 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 223.<br />

169 Bernhard, Katr<strong>in</strong>: Reisebericht, Sekundäres zur W<strong>in</strong>terreise, S. 57.<br />

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Inwiefern diese theoretischen Ideale Umsetzung und E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> Zen<strong>der</strong>s Schaffen gefunden<br />

haben und wie die mo<strong>der</strong>ne <strong>Rezeption</strong> <strong>in</strong> realiter mit e<strong>in</strong>em Werk <strong>der</strong> Vergangenheit umgeht,<br />

soll im Folgenden geklärt werden.<br />

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IV Zen<strong>der</strong>s komponierte Interpretation<br />

1 Wege zu Zen<strong>der</strong><br />

Seit dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t hat es immer wie<strong>der</strong> kompositorische Versuche gegeben, auf die<br />

spezifische Intensität <strong>der</strong> <strong>Schubert</strong>schen Musik aufmerksam zu machen, was, wie Hiekel<br />

anmerkt, wohl <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem enormen Potential an gestalterischen Möglichkeiten<br />

steht, welches diese Musik bereithält und dazu anregt, sich produktiv mit „diesen Ideen<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu setzen, sie aufzunehmen und weitzuerdenken.“ 170<br />

<strong>Die</strong> Betrachtung <strong>der</strong> <strong>Rezeption</strong>s- und Interpretationsgeschichte <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> ist daher -<br />

gerade auch wegen ihrer Reichhaltigkeit - entscheidend für e<strong>in</strong> adäquates Verständnis <strong>von</strong><br />

Zen<strong>der</strong>s Werk. <strong>Die</strong>ses steht nicht isoliert, son<strong>der</strong>n hat Vorläufer, <strong>von</strong> <strong>der</strong>en Techniken und<br />

gedanklicher Vorstellungswelt es nicht unberührt bleibt. Anschließend an die im II. Kapitel<br />

beleuchtete Überzeitlichkeitsthematik, die grundlegend für die Werkrezeption ist, soll an<br />

dieser Stelle gezeigt werden, <strong>in</strong>wieweit diese Faktoren die <strong>Rezeption</strong> konkret bee<strong>in</strong>flussen.<br />

<strong>Die</strong> zu Zen<strong>der</strong> führenden <strong>Rezeption</strong>sstationen sollen im Folgenden kurz umrissen werden, so<br />

dass ihre substantiellen Eigenarten hervortreten. Zur Übersicht sei auf Anhang III verwiesen.<br />

A <strong>Die</strong> Transkriptionen Liszts<br />

<strong>Die</strong> produktiv variierende und neuschaffende <strong>Rezeption</strong> <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> beg<strong>in</strong>nt mit Liszts<br />

Klaviertranskription, die im Zuge <strong>der</strong> Bearbeitung <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>lie<strong>der</strong>n <strong>in</strong> den Jahren 1833-<br />

1846 entstand, also <strong>in</strong> den Jahren extensiver Konzerttätigkeit Liszts <strong>in</strong> ganz Europa. Es<br />

sche<strong>in</strong>t zwei konstitutive Faktoren zu geben, die die <strong>Rezeption</strong> Liszts bestimmen. <strong>Die</strong>se s<strong>in</strong>d<br />

zum e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> Gedanke, das Werk durch Anpassung an die Hörgewohnheiten des Publikums<br />

e<strong>in</strong>em breiteren Rezipientenkreis zugänglich zu machen, zum an<strong>der</strong>en die Herausarbeitung<br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuell <strong>in</strong>terpretierenden Lesart.<br />

Horst Weber sieht den komponierenden Virtuosen als Vermittler für Werke an<strong>der</strong>er<br />

Komponisten. 171 Jene Werke wurden zur Zeit Liszts nicht vornehmlich <strong>in</strong> orig<strong>in</strong>aler<br />

Besetzung und Satzfolge gespielt. „Liszts Transkriptionen <strong>der</strong> <strong>Schubert</strong>schen Lie<strong>der</strong> kamen<br />

den Hörgewohnheiten des Publikums entgegen.“ 172 So knüpft Liszt <strong>in</strong> gewisser Weise, wie<br />

Zen<strong>der</strong> später, am Bewusstse<strong>in</strong> des Hörers an.<br />

170 Hiekel, Jörn Peter: <strong>Schubert</strong> und das eigene Selbstverständnis, S. 289.<br />

171 Weber, Horst: Liszts W<strong>in</strong>terreise, S. 591.<br />

172 Weber, Horst: Liszts W<strong>in</strong>terreise, S. 591.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>in</strong>dividuell <strong>in</strong>terpretierende Lesart Liszts zeigt sich <strong>in</strong> zwei Aspekten: zum e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

<strong>in</strong>terpretatorischen E<strong>in</strong>griffen, zum an<strong>der</strong>en im E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong>dividuell biographischer Faktoren<br />

auf die Interpretation. 173 Zu den <strong>in</strong>terpretatorischen Freiheiten, die Liszt verwendet, zählen:<br />

- die Erweiterung <strong>der</strong> Vor-, Zwischen- und Nachspiele, bzw. <strong>der</strong>en Neukomposition,<br />

- freie Kürzungen und Variationen (z.B. rezitativische E<strong>in</strong>schübe <strong>in</strong> „Nebensonnen“) <strong>der</strong> Lie<strong>der</strong>, die sich<br />

immer weiter vom Orig<strong>in</strong>al ablösen,<br />

- die H<strong>in</strong>zufügung und Erweiterung <strong>der</strong> rhythmischen Schichten,<br />

- die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Liedfolge, was zur Akzentuierung e<strong>in</strong>er neuen Lesart <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise führt, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Trotz und Mut sich über die Verzweiflung erheben,<br />

- die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Klangfarbe durch die re<strong>in</strong> <strong>in</strong>strumentale Umsetzung (Klavier),<br />

- die Herausarbeitung <strong>der</strong> Wendepunkte <strong>der</strong> Lie<strong>der</strong> (Dur–Moll-Konfrontationen <strong>Schubert</strong>s) durch<br />

raumgreifende Figurationen,<br />

- die Konstitution <strong>der</strong> Komposition aus dem Erf<strong>in</strong>dungskern des <strong>Schubert</strong>schen Liedes,<br />

- die Ausgestaltung <strong>der</strong> onomatopoetischen Elemente (z.B.: W<strong>in</strong>d im „L<strong>in</strong>denbaum“). 174<br />

H<strong>in</strong>zu tritt, nach He<strong>in</strong>emann, die Bestimmung <strong>der</strong> Interpretation durch die biographischen<br />

Faktoren e<strong>in</strong>er gescheiterten Beziehung wegen e<strong>in</strong>es divergenten Verständnisses <strong>von</strong><br />

Künstlertum und sozialer Verantwortung. Liszt sah sich zur Unterstützung <strong>der</strong><br />

Überschwemmungsopfer <strong>in</strong> Ungarn durch Benefizkonzerte verpflichtet. <strong>Die</strong>se Entscheidung<br />

wurde <strong>von</strong> se<strong>in</strong>er Lebensgefährt<strong>in</strong> nicht mitgetragen. He<strong>in</strong>emann glaubt nun, dass die<br />

Auswahl <strong>der</strong> Lie<strong>der</strong> und ihre Anordnung nicht alle<strong>in</strong>e vom Bekanntheitsgrad, son<strong>der</strong>n auch<br />

<strong>von</strong> diesen subjektiven Erlebnissen getragen wurden, <strong>von</strong> eben jenem Trotz und jener<br />

Auflehnung gegen die Erfahrung <strong>der</strong> verschmähten Liebe aus E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Notwendigkeit<br />

des eigenen So-handelns. 175<br />

So zeigt sich bereits <strong>in</strong> dieser frühesten <strong>Rezeption</strong> e<strong>in</strong>er „Re-lecture,“ 176 wie <strong>der</strong> „Gehalt <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em kompositorischen Akt <strong>der</strong> Interpretation neu erschlossen“ 177 wird. Viele<br />

Bearbeitungsmethoden Liszts werden sich bei Zen<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>f<strong>in</strong>den, während sich die<br />

Bedeutung des poetologischen Gehalts <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> im Bewusstse<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Rezeption</strong> noch<br />

steigert. In beson<strong>der</strong>em Maße gewann <strong>in</strong> <strong>der</strong> gesamten <strong>Schubert</strong>rezeption, „das weit über ihre<br />

Zeit h<strong>in</strong>aus bis <strong>in</strong> die Gegenwart Weisende“ 178 <strong>der</strong> Musik Bedeutung.<br />

B <strong>Die</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> Bredemeyers<br />

1984 entsteht die <strong>Rezeption</strong> Bredemeyers, die sich im Wesentlichen mit den Vorgaben des<br />

literarischen Subjets beschäftigt, während sie nicht explizit auf <strong>Schubert</strong>s Vorlage<br />

173 Vgl. He<strong>in</strong>emann, Michael: Am Ende: Der stürmische Morgen, S. 193.<br />

174 Weber, Horst: Liszts W<strong>in</strong>terreise, S. 591.<br />

175 He<strong>in</strong>emann, Michael: Am Ende: Der stürmische Morgen, S. 193.<br />

176 He<strong>in</strong>emann, Michael: Am Ende: Der stürmische Morgen, S. 191.<br />

177 Weber, Horst: Liszts W<strong>in</strong>terreise, S. 597.<br />

178 Hiekel, Jörn Peter: <strong>Franz</strong>, Morton und an<strong>der</strong>e, S. 37.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

zurückgreift. „<strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise“ <strong>von</strong> Wilhelm Müller ist längst ke<strong>in</strong> Gedichtzyklus mehr,<br />

son<strong>der</strong>n durch <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong>s Vertonung ausschließlich Musik, e<strong>in</strong> Lie<strong>der</strong>zyklus,“ 179<br />

konstatiert Jürg Stenzel 1995 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>en Zeitung und fährt fort:<br />

„1984 hat <strong>der</strong> Komponist Re<strong>in</strong>er Bredemeyer Müllers Werk ohne <strong>Schubert</strong>s Töne gelesen und<br />

komponiert. Als scharfs<strong>in</strong>niger Künstler, als Intellektueller <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR erkannte er <strong>in</strong> Müller den<br />

Gleichges<strong>in</strong>nten, e<strong>in</strong>en politisch hellen Kopf im Lande <strong>der</strong> Metternich-Zensur, <strong>der</strong> durch die Blume<br />

konkrete Wahrheiten trotzdem zu sagen suchte: `Vielleicht s<strong>in</strong>d die vielen Fragezeichen - 25 Stück! –<br />

die den Müllerschen Text durchwuchern, so verdammt zeitgenössisch und uns not-wendig vertraut. Der<br />

tödliche Ernst <strong>der</strong> Situation, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> ‚Reisende’ permanent bef<strong>in</strong>det, duldet selten<br />

temperamentvollen Wi<strong>der</strong>spruch (Kontrapunkt)`, schrieb Bredemeyer zu se<strong>in</strong>er <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> für<br />

Bariton, Horn und Klavier und fügte h<strong>in</strong>zu: „<strong>Die</strong> elegische Privatgeschichte, die <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong><br />

exzellent nachempfunden hat, wollte ich nicht repetieren. Me<strong>in</strong>e sicher durch die DDR geprägte Lesart<br />

dieser Flucht e<strong>in</strong>es gefeuerten Lie<strong>der</strong>machers (Wolf Biermann!) muss, glaube ich, sehr, sehr trocken,<br />

absolut unbedauernd und distanziert sachlich, nicht e<strong>in</strong>mal anklagend vorgestellt werden.“ 180<br />

<strong>Die</strong> Komposition Bredemeyers ist Abbild e<strong>in</strong>er mo<strong>der</strong>nen, tragischen Welt. 181 <strong>Die</strong> Bitterkeit<br />

und Trostlosigkeit, die Erfahrung <strong>von</strong> E<strong>in</strong>samkeit, <strong>von</strong> Resignation und Erstarrung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gesellschaft se<strong>in</strong>er damaligen Wahlheimat Ost-Berl<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>det ihn mit Müller und schafft<br />

die Vorraussetzung zur <strong>Rezeption</strong>. „Dass die »W<strong>in</strong>terreise« e<strong>in</strong> soziales Klima bezeichnet,<br />

dass sie auf gefrorene Zustände <strong>in</strong> <strong>der</strong> späten DDR weist, mag <strong>in</strong> jedem Takt hörbar se<strong>in</strong>. Der<br />

Komponist sah damals viele Parallelen zum Klima e<strong>in</strong>er Gesellschaft, die für ihn deutliche<br />

Züge des Vereisens, Vergreisens, Frierens hatte.“ 182<br />

Es ist nicht erstaunlich, dass Brecht und Eisler Vorbil<strong>der</strong> Bredemeyers waren, spiegelt doch<br />

auch Eislers „Hollywood-Lie<strong>der</strong>buch“ (<strong>in</strong> dem er Texte Brechts vertont) als Komposition<br />

e<strong>in</strong>es im amerikanischen Exil lebenden Deutschen ähnliche Erfahrungen wie<strong>der</strong>, wie diese<br />

auch <strong>von</strong> Bredemeyer formuliert werden. 183 <strong>Die</strong> Komposition Eislers genauer zu untersuchen,<br />

ist <strong>in</strong> diesem Rahmen nicht möglich, dennoch sei darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass auch sie mit <strong>der</strong><br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> <strong>Schubert</strong>s nicht alle<strong>in</strong>e durch das Sujet <strong>der</strong> Fremdheits- und Isolationserfahrung<br />

verbunden ist. In dem Lied „Über den Selbstmord“ zitiert Eisler darüber h<strong>in</strong>aus die Takte 7-9<br />

aus <strong>Schubert</strong>s „Gute Nacht“ und stellt somit e<strong>in</strong>e explizite Verb<strong>in</strong>dung zwischen den Zyklen<br />

her. 184 Mit Bredemeyers Komposition liegt folglich e<strong>in</strong> Werk vor, dass vor allem die<br />

Überzeitlichkeit <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreisethematik betont und damit die <strong>Rezeption</strong>sweise <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit diesem Werk spiegelt.<br />

179 Stenzel, Jürg: Standhaft und frech E<strong>in</strong>spruch erhoben. www.re<strong>in</strong>er.bredemeyer.de.<br />

180 Stenzel, Jürg: Standhaft und frech E<strong>in</strong>spruch erhoben. www.re<strong>in</strong>er.bredemeyer.de.<br />

181 Vgl. Müller, Gerhard: Zum Tode des Komponisten Re<strong>in</strong>er Bredemeyer. www.re<strong>in</strong>er.bredemeyer.de.<br />

182 Arnzoll, Stefan: Bagatellen für B. www.re<strong>in</strong>er.bredemeyer.de.<br />

183 Hufschmidt, Wolfgang: Willst zu me<strong>in</strong>en Lie<strong>der</strong>n de<strong>in</strong>e Leier drehn?, S. 158.<br />

184 Vgl. Hufschmidt, Wolfgang: Willst zu me<strong>in</strong>en Lie<strong>der</strong>n de<strong>in</strong>e Leier drehn?, S. 175.<br />

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C <strong>Die</strong> <strong>Rezeption</strong> Döhls<br />

Friedhelm Döhl hat sich im Jahr 1985 gleich zweimal <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong><br />

<strong>Schubert</strong>schen <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> gestellt, woraus zunächst die De-Collage „W<strong>in</strong>terreise<br />

Bruchstücke“ für Klavier resultierte, welche im Folgenden schließlich zur Grundlage für se<strong>in</strong><br />

„W<strong>in</strong>terreise. Streichqu<strong>in</strong>tett“ wurde. Erstere Bearbeitung ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> sieben<br />

M<strong>in</strong>iaturen, <strong>in</strong> denen Döhl sieben Lie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> jeweils „auf Motive, die ihm nach<br />

dem Konzert <strong>in</strong> <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung nachklangen,“ 185 reduzierte. <strong>Die</strong> Bruchstücke ersche<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gewebe <strong>von</strong> Pausen, isoliert durch den Pedalnachhall, <strong>in</strong> Zeitgestalt,<br />

Dynamik und Lage verfremdet, aber immer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gestalt, dass das Orig<strong>in</strong>al stets als Folie<br />

präsent bleibt. 185 Ohne Worte soll „etwas <strong>der</strong> Ausdrucksvielfalt <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise<br />

Vergleichbares (entstehen). Das Ziel ist <strong>der</strong>en klangliche Veranschaulichung, im Bewusstse<strong>in</strong>,<br />

dass dar<strong>in</strong> „unsere aktuelle menschliche Situation“ 186 reflektiert wird. Durch die Betonung des<br />

Fragmentcharakters und <strong>der</strong> Pause als <strong>der</strong>en Zentralelement wird die Stille zum Mittel<br />

musikalischen Ausdrucks. <strong>Die</strong>se Dekonstruktion sieht Döhl im Werk <strong>Schubert</strong>s selbst<br />

verankert. „Der Leiermann“ sei Ausdruck des Verschw<strong>in</strong>dens des Ichs, die Kolportierung<br />

persönlichen Ausdrucks, Erkenntnis <strong>der</strong> Hoffnungslosigkeit und E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die S<strong>in</strong>nlosigkeit<br />

des unablässigen Wan<strong>der</strong>ns. 187 <strong>Die</strong>sen bei <strong>Schubert</strong> angelegten Ausdruck zentriert Döhl <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er <strong>Rezeption</strong>. Noch deutlicher tritt Döhls Interpretation <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> als „Irrfahrt<br />

e<strong>in</strong>es Menschen <strong>in</strong> zunehmende E<strong>in</strong>samkeit und Ausweglosigkeit“ <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Streichqu<strong>in</strong>tett<br />

hervor. 188 <strong>Die</strong> Wahl des Streichqu<strong>in</strong>tetts schafft den Verweis auf <strong>Schubert</strong>s C-Dur-Qu<strong>in</strong>tett,<br />

weshalb Döhl bewusst die Besetzung mit zwei Violoncelli wählt, um die Verb<strong>in</strong>dung zu<br />

<strong>Schubert</strong> e<strong>in</strong>deutig zu gestalten. Darüber h<strong>in</strong>aus gibt Döhl se<strong>in</strong>en Lie<strong>der</strong>n je e<strong>in</strong> Gedicht<br />

Georg Trakels bei. Über Trakels Gedichte schreibt er, dass er <strong>in</strong> ihnen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere<br />

Verwandtschaft zur W<strong>in</strong>terreise empf<strong>in</strong>de. 189 Auf diese Weise schafft Döhl e<strong>in</strong>e stimmige<br />

Neukomposition, „die im assoziationsreichen Kommentieren <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>´schem Material<br />

authentisch wird.“ 190 Er kommentiert <strong>Schubert</strong> und lässt die Literatur dabei e<strong>in</strong>e vermittelnde<br />

Rolle übernehmen. Somit zentriert Döhl die Aussage <strong>Schubert</strong>s durch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle<br />

Lesart, die die <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> für den Hörer auf ganz neue Weise zugänglich macht. E<strong>in</strong>ige<br />

185 Förstel, Francois: W<strong>in</strong>terreise 2001, S.121.<br />

186 Hiekel, Jörn Peter: <strong>Schubert</strong> und das eigene Selbstverständnis, S. 283. [Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al]<br />

187 Vgl. Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 56.<br />

188 Zitiert nach: Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 59.<br />

189 Zitiert nach: Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 58.<br />

190 Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 61.<br />

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dieser Vorstellungen und Bearbeitungsformen werden sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zugangsweise Zen<strong>der</strong>s<br />

spiegeln.<br />

D Das „Experiment“ Rühms<br />

Im Jahr 1990 entsteht aus <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit Sprachverlusst und Sprachzerfall<br />

Gehard Rühms „die w<strong>in</strong>terreise – dah<strong>in</strong>terweise“, die sowohl als szenische Version für Live-<br />

Aufführungen, wie auch als re<strong>in</strong> akustische Version <strong>von</strong> zwölf Hörbil<strong>der</strong>n für den Rundfunk<br />

vorliegt. Es handelt sich dabei um e<strong>in</strong>e assonantische Übersetzung <strong>von</strong> Müllers Text, die den<br />

Vokalbestand weitestgehend übernimmt, so dass trotz <strong>der</strong> nun entstehenden semantischen<br />

Korrumpierung des S<strong>in</strong>ns „die klangliche Schale fast identisch mit dem Gedicht Müllers“ 191<br />

bleibt. <strong>Die</strong>ser neue Text wird nun zu dem im H<strong>in</strong>tergrund abgespielten Werk <strong>Schubert</strong>s<br />

rezitiert. Auf diese Weise werden Bekanntes und Fremdes verknüpft und das durch<br />

alltäglichen Gebrauch Abgenutzte neu gehört. Rühm erläutert die Intention se<strong>in</strong>er Gestaltung<br />

im E<strong>in</strong>führungstext des Programmbuchs:<br />

„<strong>Die</strong> eigentümlich verzerrt wirkende Klanggestalt <strong>der</strong> Gedichte signalisiert e<strong>in</strong>e halluz<strong>in</strong>ative<br />

Aussageschicht, die dah<strong>in</strong>ter, nämlich h<strong>in</strong>ter den Orig<strong>in</strong>alworten, zu liegen sche<strong>in</strong>t und sie zugleich<br />

konterkariert. So entsteht durch die <strong>in</strong>tendierte semantische Unschärferelation e<strong>in</strong>e S<strong>in</strong>nvernebelung, die<br />

e<strong>in</strong>e tagträumerische Assoziationstätigkeit <strong>in</strong> Gang setzten mag.“ 192<br />

Durch die multimediale Struktur wird e<strong>in</strong> komplexeres und genaueres Hören gefor<strong>der</strong>t und<br />

geför<strong>der</strong>t und <strong>der</strong> Rezipient aus se<strong>in</strong>er Konsumentenhaltung gerissen. Auch dies ist e<strong>in</strong><br />

Aspekt, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> Zen<strong>der</strong>s Interpretation wie<strong>der</strong>f<strong>in</strong>den lässt.<br />

<strong>Die</strong> dargestellten <strong>Rezeption</strong>sformen, die <strong>der</strong> Interpretation Zen<strong>der</strong>s vorausgehen und sich <strong>in</strong><br />

gewissen Aspekten <strong>von</strong> dessen Werk wie<strong>der</strong>f<strong>in</strong>den, ebnen nun den Weg zu e<strong>in</strong>em<br />

facettenreichen Verständnis <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> Zen<strong>der</strong>s. <strong>Die</strong>ses soll nun sowohl im Ganzen<br />

überblicksmäßig wie auch en detail an ausgewählten Beispielen besprochen werden. Daran<br />

anschließend soll schließlich betrachtet werden, wie sich die auf Zen<strong>der</strong>s Werk folgende bzw.<br />

auf diesem aufbauende <strong>Rezeption</strong> darstellt.<br />

191 Gruhn, Wilfried: Interpretation im Verstehensprozeß, S. 73.<br />

192 Zitiert nach: Gruhn, Wilfried: Interpretation im Verstehensprozeß, S. 73.<br />

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2 „Lecture“ als Vermittlung e<strong>in</strong>er „verlorenen“ Sprache – Zen<strong>der</strong>s Weg<br />

zu <strong>Schubert</strong><br />

„Me<strong>in</strong>e „lecture“ <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise sucht nicht nach e<strong>in</strong>er neuen expressiven Deutung, son<strong>der</strong>n macht<br />

systematisch <strong>von</strong> Freiheiten Gebrauch, welche alle Interpreten sich normaler Weise auf <strong>in</strong>tuitive Weise<br />

zubilligen: Dehnung bzw. Raffung des Tempos, Transposition <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e Tonarten, Herausarbeiten<br />

charakteristischer farblicher Nuancen. Dazu kommen die Möglichkeiten des „Lesens“ <strong>von</strong> Musik:<br />

<strong>in</strong>nerhalb des Textes zu spr<strong>in</strong>gen, Zeilen mehrfach zu wie<strong>der</strong>holen, die Kont<strong>in</strong>uität zu unterbrechen,<br />

verschiedene Lesarten <strong>der</strong> gleichen Stelle zu vergleichen...,“ 193<br />

Auf diese Weise erläutert Zen<strong>der</strong> se<strong>in</strong> Bearbeitungsverfahren. Zu den Formen <strong>der</strong><br />

Interpretation und des Lesens führt er als weitere Aspekte se<strong>in</strong>er Bearbeitungstechnik die<br />

Orchestration, die Kontrafaktur, die Bewegung und die Klangchiffre an. Alle jene Techniken<br />

bestimmen, so Zen<strong>der</strong>, se<strong>in</strong>e Interpretation. Daher sei im Folgenden kurz veranschaulicht,<br />

welche Faktoren Zen<strong>der</strong> unter den e<strong>in</strong>zelnen Begrifflichkeiten subsumiert: 194<br />

Interpretation: Dehnung bzw. Raffung des Tempos, Transposition <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e Tonarten,<br />

Herausarbeiten charakteristischer farblicher Nuancen<br />

Lesen: <strong>in</strong>nerhalb des Textes spr<strong>in</strong>gen, Zeilen mehrfach wie<strong>der</strong>holen, Kont<strong>in</strong>uität<br />

unterbrechen, verschiedene Lesarten <strong>der</strong> gleichen Stelle vergleichen<br />

Orchestration: Permutation <strong>von</strong> Klangfarben; Ausnutzung <strong>von</strong> beson<strong>der</strong>en<br />

Klangmöglichkeiten<br />

Kontrafaktur: H<strong>in</strong>zufügung frei erfundener Klänge als Vor-, Zwischen-, Nach- o<strong>der</strong><br />

simultane Zuspiele; Überleitungen; Verschiebung <strong>der</strong> Klänge im Raum<br />

Bewegung: Gänge <strong>der</strong> Musiker im Raum<br />

Klangchiffre: keimhafte musikalische Figur, aus <strong>der</strong> das ganze Lied sich zeitlich entfaltet;<br />

Stimuli und Onomatopoetik<br />

<strong>Die</strong> jeweils konstitutiven und signifikanten Bearbeitungsmerkmale <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Lie<strong>der</strong><br />

können Anhang VIII entnommen werden. Genauer veranschaulicht werden sollen die<br />

e<strong>in</strong>zelnen Merkmale schließlich an ausgewählten Lie<strong>der</strong>n, die den Zyklus zentral bestimmen<br />

und an denen sich Zen<strong>der</strong>s Arbeitsweise prototypisch darstellen lässt.<br />

Entscheidend ist jedoch nicht alle<strong>in</strong> wie, son<strong>der</strong>n vor allem auch warum Zen<strong>der</strong> <strong>Schubert</strong><br />

gerade so <strong>in</strong>terpretiert, wie er es tut. Hier spielen jene Aspekte e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle, die<br />

<strong>in</strong> den Kapiteln II und III dargestellt wurden, also zum e<strong>in</strong>en die Überzeitlichkeit des Sujets,<br />

wobei sich Zen<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s auf Padrutts lebensphilosophische Auslegung bezieht, 195 zum<br />

an<strong>der</strong>en die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> Sprachfähigkeit <strong>von</strong> Musik vergangener Epochen. An<br />

letztgenanntes schließt auch jene Überlegung an, die an früherer Stelle (Kapitel III) bereits<br />

erwähnt aber noch nicht ausgeführt wurde. Es handelt sich um Zen<strong>der</strong>s Idee, die „existentielle<br />

193 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 221.<br />

194 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 221.<br />

195 Vgl. Gruhn, Wilfried: Wi<strong>der</strong> die ästhetische Rout<strong>in</strong>e, S. 46.<br />

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Wucht des Orig<strong>in</strong>als“ 196 wie<strong>der</strong>zubeleben. Zen<strong>der</strong> betont, dass <strong>Schubert</strong> während <strong>der</strong><br />

Komposition dieser Lie<strong>der</strong> nur selten und sehr verstört bei se<strong>in</strong>en Freunden erschienen sei.<br />

<strong>Die</strong> ersten Aufführungen hätten daher eher Schrecken als Wohlgefallen ausgelöst. 197 In<br />

Aufzeichnungen Spauns über den Briefverkehr mit <strong>Schubert</strong> lässt sich dies verifizieren:<br />

„<strong>Schubert</strong> wurde durch e<strong>in</strong>ige Zeit düster gestimmt und schien angegriffen. Auf me<strong>in</strong>e Frage, was <strong>in</strong><br />

ihm vorgehe, sagte er nur, `nun ihr werdet es bald hören und begreifen.´ E<strong>in</strong>es Tages sagte er zu mir,<br />

`komm heute zu Schober, ich werde euch e<strong>in</strong>en Zyklus schauerlicher Lie<strong>der</strong> vors<strong>in</strong>gen. Ich b<strong>in</strong> begierig,<br />

was ihr dazu sagt. Sie haben mich mehr angegriffen, als dies je bei an<strong>der</strong>en Lie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Fall war.´ Er<br />

sang uns nun mit bewegter Stimme die ganze `W<strong>in</strong>terreise´ durch. Wir waren über die düstere<br />

Stimmung dieser Lie<strong>der</strong> ganz verblüfft, und Schober sagte, es habe ihm nur e<strong>in</strong> Lied, ´Der L<strong>in</strong>denbaum´<br />

gefallen. <strong>Schubert</strong> sagte hierauf nur, „mir gefallen diese Lie<strong>der</strong> mehr als alle, und sie werden euch auch<br />

noch gefallen.“ 198<br />

Zen<strong>der</strong>s Ziel ist es daher, die ästhetische Rout<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Klassiker-<strong>Rezeption</strong> aufzubrechen. 199 Er<br />

glaubt eben nicht, dass man e<strong>in</strong>em Werk wie <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, welches Zen<strong>der</strong> als Ikone<br />

unserer Musiktradition und als großes Meisterwerk Europas bezeichnet, gerecht werden kann,<br />

<strong>in</strong>dem man es <strong>in</strong> „heute üblicher Form - zwei Herren im Frack, Ste<strong>in</strong>way, e<strong>in</strong> meist sehr<br />

großer Saal“ 200 darstellt. Das Werk soll für den Hörer wie<strong>der</strong> unmittelbar zu fassen se<strong>in</strong>. Wie<br />

Zen<strong>der</strong> dieses Ideal verfolgt, soll im Weiteren dargestellt werden.<br />

3 <strong>Schubert</strong> und Zen<strong>der</strong> - Geme<strong>in</strong>samkeiten und Divergenzen<br />

Im Folgenden soll untersucht werden, <strong>in</strong>wiefern die Werke <strong>Schubert</strong>s und Zen<strong>der</strong>s <strong>in</strong><br />

werkbestimmenden Aspekten Geme<strong>in</strong>samkeiten erkennen lassen bzw. an welchen Punkten<br />

Zen<strong>der</strong> durch se<strong>in</strong>e Bearbeitung e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Gewichtung dieser Gesichtspunkte vornimmt<br />

o<strong>der</strong> gar gänzlich divergente Neuerungen schafft. Im Anschluss sollen diese und an<strong>der</strong>e<br />

Determ<strong>in</strong>anten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Detailanalyse anhand ausgewählter Lie<strong>der</strong> veranschaulicht werden.<br />

A Zyklusbildung und Tonartendisposition<br />

Zen<strong>der</strong> folgt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Interpretation größtenteils <strong>der</strong> „orig<strong>in</strong>alen“ Tonartendisposition<br />

<strong>Schubert</strong>s, also jener, welche <strong>in</strong> <strong>der</strong> autographen Fassung zu f<strong>in</strong>den ist (vgl. Anhang IV). Um<br />

diese Konzeption genauer zu betrachten, ist es s<strong>in</strong>nvoll, zunächst die Überlieferungssituation<br />

<strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> <strong>Schubert</strong>s darzustellen und darauf aufbauend zu verfolgen, welche<br />

196 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er Komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise“, S. 223.<br />

197 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er Komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise“, S. 223.<br />

198 Spaun, Joseph <strong>von</strong>: Aufzeichnungen über me<strong>in</strong>en Verkehr mit <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong>, S. 117.<br />

199 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er Komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise“, S. 223.<br />

200 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er Komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 221.<br />

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Verän<strong>der</strong>ungen wodurch begründet s<strong>in</strong>d und warum Zen<strong>der</strong> e<strong>in</strong>ige <strong>von</strong> ihnen revidierte. <strong>Die</strong>s<br />

soll zu e<strong>in</strong>em tieferen Verständnis des Werks führen.<br />

„<strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise ist <strong>in</strong> zwei autographen Handschriften überliefert. <strong>Die</strong> Handschrift <strong>der</strong> ersten<br />

Abteilung stellt, <strong>von</strong> zwei Ausnahmen abgesehen (Nr. 1 und Nr. 8), e<strong>in</strong>e erste Nie<strong>der</strong>schrift<br />

dar; das Manuskript <strong>der</strong> zweiten Abteilung ist e<strong>in</strong>e autographe Re<strong>in</strong>schrift, die zugleich für<br />

den Druck als Stichvorlage diente.“ 201<br />

<strong>Die</strong>se Autographe weisen zahlreiche Abweichungen im Vergleich mit dem Erstdruck auf, die<br />

sich auf zwei divergente Umstände zurückführen lassen. Zunächst ergaben sich Varianten <strong>von</strong><br />

Seiten <strong>Schubert</strong>s, später nahm <strong>der</strong> Verleger Hasl<strong>in</strong>ger Verän<strong>der</strong>ungen vor.<br />

<strong>Schubert</strong>, <strong>der</strong> die ersten 12 Lie<strong>der</strong> <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise bereits im Februar 1827 nach Müllers<br />

Gedichten konzipiert und komponiert hatte, ergänzte diese schließlich im Oktober 1827 um<br />

12 Lie<strong>der</strong>, nachdem ihm die erweiterte Fassung <strong>von</strong> Müllers W<strong>in</strong>terreise zugänglich wurde.<br />

War <strong>Schubert</strong> zunächst <strong>von</strong> <strong>der</strong> Geschlossenheit des Zyklus ausgegangen, den Müller <strong>in</strong> dem<br />

Almanach Urania unter dem Titel „Wan<strong>der</strong>lie<strong>der</strong> <strong>von</strong> Wilhelm Müller. <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. In 12<br />

Lie<strong>der</strong>n“ veröffentlicht hatte, so musste er diese Konzeption nachträglich verän<strong>der</strong>n und<br />

öffnen. <strong>Die</strong>s bed<strong>in</strong>gte <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Tonart des 12. Liedes <strong>von</strong> d-Moll<br />

nach h-Moll: „Während ursprünglich <strong>der</strong> erste Teil gleichsam harmonisierend disponiert ist<br />

(das erste Lied beg<strong>in</strong>nt <strong>in</strong> d-Moll, das letzte Lied schließt <strong>in</strong> d-Moll), hat <strong>Schubert</strong><br />

nachträglich den harmonisierenden Tonartenbogen nicht nur geöffnet, son<strong>der</strong>n<br />

zerbrochen.“ 202 <strong>Die</strong> Begründung liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tonartendisposition <strong>der</strong> zweiten Abteilung. Sie<br />

endet nach <strong>der</strong> autographen Überlieferung mit dem „Leiermann“ <strong>in</strong> h-Moll, e<strong>in</strong>e Tonart die<br />

die Rückkehr zum Zyklusbeg<strong>in</strong>n zu verwehren sche<strong>in</strong>t. „<strong>Schubert</strong> setzt also den Schluss <strong>der</strong><br />

ersten und den Schluss <strong>der</strong> zweiten Abteilung zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> Beziehung; er stellt damit e<strong>in</strong>en<br />

Bedeutungsbezug zwischen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>samkeit und dem Leiermann her.“ 203 Im Erstdruck aber hat<br />

<strong>der</strong> Verleger Hasl<strong>in</strong>ger bereits <strong>in</strong> diese Disposition e<strong>in</strong>gegriffen und den „Leiermann“ <strong>in</strong> a-<br />

Moll veröffentlicht. „Da <strong>Schubert</strong> die Veröffentlichung des zweiten Teils <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise<br />

nicht mehr erlebte,“ 204 ersche<strong>in</strong>t die Verän<strong>der</strong>ung durch Hasl<strong>in</strong>ger als dessen eigenmächtige<br />

Handlung. Elmar Budde kritisiert Hasl<strong>in</strong>gers Umgestaltung, da die durch die Tonart h-Moll<br />

zum Ausdruck kommende Richtungslosigkeit des Zyklus zurückgenommen werde: a-Moll<br />

(Dur) verwiese als V. Stufe <strong>von</strong> d-Moll zurück auf den Beg<strong>in</strong>n des Zyklus und schlösse somit<br />

den Kreis. E<strong>in</strong> solches harmonisierendes Zusammenschließen sei aber sicherlich nicht <strong>von</strong><br />

201 Budde, Elmar: <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und das Lied, S. 242.<br />

202 Budde, Elmar: <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und das Lied, S. 242.<br />

203 Budde, Elmar: <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und das Lied, S. 243. [Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al]<br />

204 Budde, Elmar: <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und das Lied, S. 243. [Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al]<br />

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<strong>Schubert</strong> <strong>in</strong>tendiert gewesen. 205 <strong>Die</strong>ser Gedankengang sche<strong>in</strong>t sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konzeption<br />

Zen<strong>der</strong>s nie<strong>der</strong>zuschlagen. Zen<strong>der</strong>s Interpretation versperrt sich dem Glauben an e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>tendierte zyklische Geschlossenheit <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. Er folgt den autographen Angaben<br />

<strong>Schubert</strong>s und beendet se<strong>in</strong>e Interpretation <strong>in</strong> h-Moll. Zen<strong>der</strong>s E<strong>in</strong>schätzung, dass die<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> <strong>Schubert</strong>s im zweiten Teil immer mehr zu e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem<br />

Tod, dem Abschied <strong>von</strong> <strong>der</strong> Geliebten und dem Abschied vom Leben überhaupt werde, 206 es<br />

dem Wan<strong>der</strong>er folglich immer unmöglicher wird, zurückzukehren, verbietet e<strong>in</strong>e<br />

Tonartendisposition, die e<strong>in</strong>e solche Rückkehr eröffnet. Interessant ist, wie Zen<strong>der</strong> den<br />

tonalen Zusammenhang zwischen den Lie<strong>der</strong>n 12 und 24 verdeutlicht und gleichzeitig <strong>der</strong><br />

ursprünglichen Konzeption <strong>Schubert</strong>s, des geschlossenen ersten Teilzyklus, Transparenz<br />

verleiht. Zen<strong>der</strong> beg<strong>in</strong>nt se<strong>in</strong>e Interpretation des Liedes „E<strong>in</strong>samkeit“ <strong>in</strong> d-Moll, jener Tonart,<br />

die <strong>Schubert</strong> für den Abschluss des Zyklus gewählt hatte, <strong>in</strong> dem er die ersten 12 Lie<strong>der</strong><br />

Müllers vertonte. Dann jedoch s<strong>in</strong>kt Zen<strong>der</strong>s Interpretation harmonisch ab, bis sie schließlich<br />

die <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong> revidierte Tonart h-Moll <strong>in</strong> Takt 48 erreicht. Auf diese Weise verweist<br />

Zen<strong>der</strong> zum e<strong>in</strong>en auf die ursprüngliche Abgeschlossenheit und öffnet zum an<strong>der</strong>en die<br />

Verb<strong>in</strong>dung zur zweiten Abteilung und vor allem zum „Leiermann“.<br />

Für Lied 22 greift Zen<strong>der</strong> h<strong>in</strong>gegen nicht auf die autographe Tonart zurück, son<strong>der</strong>n erreicht,<br />

nach e<strong>in</strong>er Phase <strong>der</strong> harmonischen Orientierungslosigkeit, <strong>in</strong> Takt 37 Hasl<strong>in</strong>gers Tonart g-<br />

Moll. Auch hier wurde die Tonart im Erstdruck vom Verleger Hasl<strong>in</strong>ger geän<strong>der</strong>t. Warum<br />

revidiert Zen<strong>der</strong> diesen E<strong>in</strong>griff nicht? Während die Lie<strong>der</strong> 21-23 <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s Autograph<br />

durch ihre Tonartenfolge im Zusammenhang stehen (F – a – A), entfällt diese Verknüpfung<br />

durch die Intervention Hasl<strong>in</strong>gers. Das Lied „Mut“ steht nun isoliert. Verständlich werden<br />

kann diese doch sche<strong>in</strong>bar bewusste Abwendung Zen<strong>der</strong>s <strong>von</strong> <strong>der</strong> autographen Tonart nur<br />

durch se<strong>in</strong>e „lecture“. Betrachtet man die Lie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Zen<strong>der</strong>s Interpretation so hebt sich „Mut“<br />

durch e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Verklanglichung hervor. In Nr. 21 werden die choral-funeralen<br />

Elemente durch die re<strong>in</strong>e Bläserbesetzung unterstrichen. Der daktylische Schreitrhythmus, die<br />

trauermarschartige Anmutung, all dies unterstreicht die resignativ ausichtslose Lage des<br />

Wan<strong>der</strong>ers, die sich aus Müllers Text herauslesen lässt. <strong>Die</strong>ser resignative Charakter tritt auch<br />

im Text <strong>von</strong> Lied 23 zutage, während Lied 22 den subjektiven Willen zur Verän<strong>der</strong>ung<br />

postuliert, wo <strong>der</strong> letzte Versuch unternommen wird, sich aus eigener Kraft aus den Fängen<br />

des Schicksals zu befreien. Dass dies nicht gel<strong>in</strong>gen wird, zeigt die autographe<br />

205 Vgl. Budde, Elmar: <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und das Lied, S. 243.<br />

206 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 222.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Tonartendisposition, die alle drei Lie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Beziehung setzt. Der harmonische Ausbruch nach<br />

g-Moll (dies mag womöglich auch Zen<strong>der</strong> so gesehen haben) aber eröffnet vielleicht die<br />

Möglichkeit e<strong>in</strong>es unvore<strong>in</strong>genommeneren Hörens und weist zudem auf die divergenten<br />

Grunde<strong>in</strong>stellungen des Wan<strong>der</strong>ers <strong>in</strong> diesen Lie<strong>der</strong>n h<strong>in</strong>.<br />

Fraglich bleibt, warum Zen<strong>der</strong> für Lied 10 nicht auf die autographe Tonart (d-Moll)<br />

zurückgriff. E<strong>in</strong>e mögliche Erklärung mag se<strong>in</strong>, dass diese Transposition <strong>der</strong> Tonart <strong>von</strong><br />

<strong>Schubert</strong> vorgenommen wurde und Zen<strong>der</strong> daher legitimiert ersche<strong>in</strong>t, was auch den<br />

Rückgriff auf die autographe Tonart für Lied 6 verdeutlicht.<br />

Abschließend kann also festgehalten werden, dass Zen<strong>der</strong> <strong>der</strong> autographen Disposition <strong>der</strong><br />

Tonarten im Wesentlichen folgt. Wo er dies vermeidet, sche<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> Vorgehen durch e<strong>in</strong>e<br />

persönliche Lesart motiviert. Entscheidend ist jedoch, dass gerade durch die<br />

Rücktransposition des letzten Liedes erneut jene antizyklische Grundhaltung hervortritt, die<br />

<strong>von</strong> <strong>Schubert</strong> <strong>in</strong>tendiert war und mit dessen Verständnis <strong>von</strong> Müllers Text konvergiert.<br />

Zen<strong>der</strong>s Lesart ähnelt jener <strong>Schubert</strong>s, was sich auch an <strong>der</strong> zunehmenden Auflösung <strong>der</strong><br />

musikalischen Faktur zeigt. „<strong>Die</strong> am Anfang trotz aller Verfremdung noch e<strong>in</strong>deutige<br />

Beziehung zum historischen Orig<strong>in</strong>al wird [...] immer labiler, die „heile Welt“ <strong>der</strong> Tradition<br />

verschw<strong>in</strong>det immer mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e nicht rückholbare Ferne.“ 207<br />

E<strong>in</strong>e zyklische Rückkehr ist somit sowohl bei Zen<strong>der</strong>, als auch bei <strong>Schubert</strong> ausgeschlossen.<br />

<strong>Die</strong> e<strong>in</strong>zige verb<strong>in</strong>dende Konstante ist <strong>der</strong> <strong>in</strong>sistierende Wan<strong>der</strong>rhythmus, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Form <strong>von</strong><br />

konstant repetierter Achtelbewegung <strong>in</strong> Lied 1, 8, 9, 20 und 24 ebenso zu f<strong>in</strong>den ist, wie <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong> h<strong>in</strong>zukomponierten „Zwischenaktmusik“, welche die beiden Abteilungen<br />

mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verb<strong>in</strong>det.<br />

B <strong>Die</strong> Bedeutung <strong>von</strong> und <strong>der</strong> Umgang mit den Tongeschlechtern<br />

Konstitutiv für die Lie<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreisezyklus ist die Verwendung <strong>von</strong> Dur und<br />

Moll als sprechende Tongeschlechter. Dur dient <strong>Schubert</strong> als Metapher für Traum und<br />

Sche<strong>in</strong>welt, für e<strong>in</strong>e täuschende Idylle, Moll bildet die Realität ab.<br />

„Moll ist für <strong>Schubert</strong> <strong>der</strong> gesellschaftliche Normalzustand, <strong>der</strong> nicht mehr, wie noch bei Beethoven –<br />

überwunden werden kann, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Moll–Zustand als Realität. Dur h<strong>in</strong>gegen ist immer nur das, was<br />

e<strong>in</strong>mal war, was Vergangenheit ist o<strong>der</strong> was [...] Vergangenheit, [...] Traum, [...] Vorstellung, [...]<br />

Sche<strong>in</strong> ist, o<strong>der</strong> wie Theodor W. Adorno sagen würde – falscher Sche<strong>in</strong> ist. Der Gebrauch <strong>von</strong> Moll und<br />

Dur ist e<strong>in</strong>e Metapher, auf welcher <strong>der</strong> ganze Zyklus basiert.“ 208<br />

207 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 222.<br />

208 Hufschmidt, Wolfgang: Willst zu me<strong>in</strong>en Lie<strong>der</strong>n de<strong>in</strong>e Leier drehn?, S. 71.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

<strong>Die</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> ist, wie bereits im II. Kapitel gezeigt, <strong>von</strong> Antagonismen durchwebt. Als<br />

bedeutendste divergente Paarungen treten Heimat und Fremde, Ruhe und Bewegung, Natur<br />

(Objektwelt) und Ich (Subjekt), Realität und Weltflucht/Traum hervor. Zu ihrer<br />

Vers<strong>in</strong>nbildlichung greift <strong>Schubert</strong> auf die Konfrontation <strong>der</strong> Tongeschlechter zurück.<br />

„Reflexion bedeutet <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> gewöhnlich Desillusionierung und geht folglich mit<br />

e<strong>in</strong>er Moll-Wendung e<strong>in</strong>her.“ 209 Solche Moll-Dur-Konfrontationen f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> den Lie<strong>der</strong>n<br />

1, 2, 5, 7, 8, 11, 13, und 17 - 23, <strong>in</strong> welchen sie e<strong>in</strong>e Spannungs- und Glie<strong>der</strong>ungsfunktion<br />

erfüllen. Zur Veranschaulichung <strong>der</strong> bei <strong>Schubert</strong> auftretenden Konfrontationen, <strong>der</strong> durch sie<br />

verdeutlichten Antagonismen und ihrer <strong>Rezeption</strong> <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong> sei auf Anhang V verwiesen.<br />

An dieser Stelle sollen nur drei Beispiele e<strong>in</strong>er genaueren Betrachtung unterzogen werden, die<br />

verdeutlichen, dass Zen<strong>der</strong> die Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Liedkonzeption <strong>Schubert</strong>s nicht nur<br />

aufgreift, son<strong>der</strong>n diese teilweise durch deutliche akustische Umsetzung <strong>in</strong> solcher Weise<br />

hervorhebt, dass sie dem Rezipienten ohrenfällig wird.<br />

Zunächst sei die Konzeption Zen<strong>der</strong>s <strong>in</strong> Lied Nr. 11 („Frühl<strong>in</strong>gstraum“) näher betrachtet.<br />

<strong>Die</strong>se Lied lässt sich <strong>in</strong> 2x3 Strophen glie<strong>der</strong>n, da e<strong>in</strong>e Parallelisierung zwischen den zwei<br />

Strophenblöcken festgestellt werden kann. Je<strong>der</strong> dieser beiden Blöcke glie<strong>der</strong>t sich <strong>in</strong> drei<br />

Strophen, welche durch wechselnde Tempoangaben (Etwas geschw<strong>in</strong>d; schnell; langsam)<br />

getrennt s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong> jeweils mittlere Strophe wird durch ihre Mollwendung <strong>von</strong> den beiden<br />

an<strong>der</strong>en Strophen abgesetzt. Zen<strong>der</strong> arbeitet diesen Kontrast zum e<strong>in</strong>en durch e<strong>in</strong>en<br />

bewussten E<strong>in</strong>satz <strong>von</strong> Bühnen- bzw. Fernorchester, zum an<strong>der</strong>en durch e<strong>in</strong>e ausgeprägte<br />

Onomatopoetik aus. Während die erste Strophe ausschließlich vom Bühnenorchester (Harfe,<br />

Viol<strong>in</strong>en, Bratschen, Cello) begleitet wird, setzt Zen<strong>der</strong> für die sich nach Moll wendende<br />

zweite Strophe ausschließlich das Fernorchester I e<strong>in</strong>, zu welchem die Spieler <strong>von</strong> Oboen,<br />

Klar<strong>in</strong>etten, Fagotte, Horn, Trompete und Posaune während <strong>der</strong> vorausgehenden Lie<strong>der</strong><br />

gewan<strong>der</strong>t s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong>ses weit vom Bühnenorchester entfernte, aber noch sichtbare und gut<br />

hörbare Orchester 210 mit re<strong>in</strong>er Bläserbesetzung vers<strong>in</strong>nbildlicht den E<strong>in</strong>bruch <strong>der</strong> Realität <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> zweiten Strophe. Während <strong>der</strong> Hörer durch den warmen Klang <strong>der</strong> Streicher und die Nähe<br />

des Bühnenorchesters den Traum des Wan<strong>der</strong>ers als angenehm liedhaft und den<br />

<strong>Rezeption</strong>sgewohnheiten entsprechend empf<strong>in</strong>den konnte, werden se<strong>in</strong>e<br />

<strong>Rezeption</strong>sgewohnheiten im Folgenden erschüttert. Der Orchesterklang entzieht sich dem<br />

Hörer durch die räumliche Entfernung. Der Bläserklang wirkt hart im Kontrast zur<br />

209 Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 206.<br />

210 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Über die Gänge <strong>der</strong> Musiker – Vorwort zur Partitur.<br />

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vorrangehenden Streicherbesetzung und den <strong>von</strong> ihr gespielten Dreiklangsbrechungen. Auch<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

die <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>te Artikulation (forte, con sord<strong>in</strong>o, spitz) unterstreicht diesen<br />

Kontrast. In den Mittelpunkt des Interesses tritt die onomatopoetische Umsetzung des<br />

Krähens <strong>der</strong> Hähne, welches se<strong>in</strong>e Begründung aus <strong>der</strong> Textvorlage zieht. Das „Kikeriki“ <strong>der</strong><br />

Hähne f<strong>in</strong>det Ausdruck <strong>in</strong> dem <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong> vorgezeichneten Rhythmus: e<strong>in</strong>er Triole mit<br />

folgen<strong>der</strong> Viertelnote. In <strong>der</strong> anschließenden dritten Strophe setzt dann erneut das<br />

Bühnenorchester e<strong>in</strong>. Wenngleich Zen<strong>der</strong> für die vierte Strophe, die sich wie<strong>der</strong>um nach Moll<br />

wendet und <strong>von</strong> den beiden Strophen vier und sechs umrahmt wird, nicht auf die<br />

Fernorchesterbesetzung zurückgreift, wird hier im Streichersatz <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s das<br />

Krähen <strong>der</strong> Hähne herausgearbeitet. <strong>Die</strong>sen onomatopoetischen Verweis erfährt <strong>der</strong> Zuhörer<br />

als Signal für das Ende <strong>der</strong> Träume, das Erwachen, den E<strong>in</strong>bruch <strong>der</strong> Realität.<br />

Zur weiteren Veranschaulichung <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong>s Umgang mit den <strong>Schubert</strong>schen Vorgaben des<br />

Dur-Moll-Kontrastes soll Lied 19 (Täuschung) betrachtet werden. Hier arbeit Zen<strong>der</strong> nicht<br />

mit onomatopoetischen o<strong>der</strong> orchestralen Mitteln, son<strong>der</strong>n mit se<strong>in</strong>er Bearbeitungsmethode<br />

des „Lesens“, welches ihm die Möglichkeit eröffnet, Textstellen mehrfach zu wie<strong>der</strong>holen.<br />

Auf diese Weise kann Zen<strong>der</strong> dem Hörer den E<strong>in</strong>bruch <strong>der</strong> Realität durch die Repetition des<br />

nach Moll gewendeten Ausrufs „Ach“ verdeutlichen. Zen<strong>der</strong> lässt den Text <strong>in</strong>s Stocken<br />

geraten. Er bricht den Fluss und schafft so Aufmerksamkeit. Damit wird aus dem e<strong>in</strong>maligen<br />

Ausruf bei <strong>Schubert</strong> e<strong>in</strong> zweimaliger Anlauf Zen<strong>der</strong>s, <strong>der</strong> schließlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em geglückten<br />

dritten Versuch endet. Das Seufzen betont das Elend, welches sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität offenbart<br />

und führt zugleich auf das Wort „elend“ im Textfluss h<strong>in</strong>, da es dessen Artikulation zweimal<br />

verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t. So heißt es zunächst „Ach“, dann „Ach, wer wie ich“ und dann schließlich „Ach,<br />

wer wie ich so elend ist“. 211 Von welch zentraler Bedeutung dieser Ausruf für das<br />

S<strong>in</strong>nverständnis <strong>von</strong> Text und Musik ist, betont auch Ludwig Stoffels, <strong>der</strong> den „Ach-Ausruf“<br />

als Peripetie-Umschlag <strong>von</strong> <strong>der</strong> als positiv erlebten Flucht <strong>in</strong> die Illusion zur reflexiven<br />

Desillusionierung beschreibt. 212 Zen<strong>der</strong> hat die Initialwirkung <strong>der</strong> sprachlichen Metapher<br />

erkannt und auf <strong>Schubert</strong>s musikalische Umsetzung zurückprojiziert. E<strong>in</strong> identisches<br />

Vorgehen f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Lied 23 (<strong>Die</strong> Nebensonnen): auch hier bildet Zen<strong>der</strong> den Umschlag<br />

nach Moll durch die Wie<strong>der</strong>holung des Schlüsselwortes „Ach“ ab. (vgl. T. 24f.)<br />

211 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> e<strong>in</strong>e komponierte Interpretation, S. 152. [Hervorhebung d. Verf.]<br />

212 Vgl. Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 221.<br />

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E<strong>in</strong>e weitere Variante <strong>der</strong> Darstellung des Dur-Moll-Kontrastes lässt sich exemplarisch an<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Lied 21 (Das Wirtshaus) aufzeigen. Hier leitet Zen<strong>der</strong> die Desillusionierung des M<strong>in</strong>oreteils<br />

durch e<strong>in</strong>en Trommelwirbel e<strong>in</strong> (T. 22). Er nutzt also die Signalwirkung <strong>der</strong> Trommeln um<br />

den E<strong>in</strong>bruch <strong>der</strong> Realität zu verdeutlichen.<br />

Es kann festgehalten werden, dass Zen<strong>der</strong>s Umsetzung des <strong>Schubert</strong>schen Spezifikums <strong>der</strong><br />

Dur-Moll-Konfrontationen auf e<strong>in</strong>em genauen Studium <strong>der</strong> Vorlage beruht und er durch die<br />

Verwendung diverser Interpretationstechniken versucht, diese für das Publikum unmittelbar<br />

erfahrbar werden zu lassen.<br />

C Onomatopoesie und Stimuli – Textausdeutung durch Malerei<br />

Wie bereits ausgeführt, prägen e<strong>in</strong>e Reihe <strong>von</strong> Antagonismen das Bild <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise. Zu<br />

diesen zählt auch <strong>der</strong> Antagonismus <strong>von</strong> Ich und Natur. Jedoch stehen sich beide nicht nur<br />

divergent gegenüber, denn gleichzeitig ersche<strong>in</strong>t die Natur als visuelles Abbild <strong>der</strong><br />

Gefühlswelt des Ichs. In Müllers Gedichten treten daher viele Naturelemente auf, die<br />

konstitutiv für den Topos des Locus Desertus s<strong>in</strong>d. In <strong>Schubert</strong>s Vertonung werden sie häufig<br />

onomatopoetisch dargestellt, so dass ihre Aussagekraft dem Hörer unmittelbar entgegentreten<br />

kann. Zu diesen „Naturbil<strong>der</strong>n“ zählen zum e<strong>in</strong>en jene, die e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> darstellende Funktion<br />

erfüllen und auf die Gefühlswelt des Ichs verweisen (W<strong>in</strong>d, Eis, Schnee, Tränen, Irrlichter,<br />

etc.) zum an<strong>der</strong>en jene, welche Ludwig Stoffels 213 als Stimuli bezeichnet (Hundegebell,<br />

Posthornsignal, Krähen <strong>der</strong> Hähne, Krächzen <strong>der</strong> Raben, etc.). <strong>Die</strong> Stimuli führen zu e<strong>in</strong>er<br />

Verschmelzung <strong>von</strong> „objektiver Anschauung und subjektiver Reflexion. [...] (Sie)<br />

überspr<strong>in</strong>gen gleichsam das Stadium bloßer Gegenständlichkeit und treffen unmittelbar das<br />

Ich-Zentrum als bedrohliches und verlockendes Signal.“ 214<br />

Gleichzeitig ist <strong>der</strong> Gehalt dieser Naturbil<strong>der</strong> nicht festschreibbar. In ihrem allegorischen<br />

Charakter 215 liegt ihr Potenzial zur überzeitlichen Offenheit. Elmar Budde sieht <strong>Schubert</strong>s<br />

Naturzeichnungen im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Landschaftsgestaltung Caspar David<br />

Friedrichs. Naturphänomene können hier wie dort zwar visuell bzw. akustisch<br />

wahrgenommen werden, jedoch kann diese Wahrnehmung nicht zu e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>deutigen<br />

Interpretation führen. <strong>Die</strong> verwendeten Chiffren s<strong>in</strong>d „offen für Assoziationen und<br />

213 Vgl. Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 206f.<br />

214 Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 206.<br />

215 Vgl. Budde, Elmar: Modulationsmanie und Perspektivenwechsel, S. 124-125.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Allusionen. [...] So for<strong>der</strong>t <strong>Schubert</strong>s Musik, ähnlich wie die Bil<strong>der</strong> Friedrichs zu ständiger<br />

<strong>in</strong>terpretatorischer Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung heraus.“ 216<br />

Anhand dieser Ausführungen wird ersichtlich, welch bedeutende Funktion diese<br />

Klangchiffren <strong>der</strong> Naturdarstellung für die <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> haben. Zen<strong>der</strong> geht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit diesem Werk sogar so weit, dass er diese Chiffren als Grundlage für<br />

jede e<strong>in</strong>zelne Liedkomposition betrachtet.<br />

„<strong>Schubert</strong> arbeitet ja <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Liedkompositionen mit klanglichen „Chiffren“, um die magische E<strong>in</strong>heit<br />

<strong>von</strong> Text und Musik zu erreichen, welche <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e se<strong>in</strong>e späteren Zyklen auszeichnet. Er erf<strong>in</strong>det<br />

zum „Kernwort“ jedes Gedichts e<strong>in</strong>e keimhafte musikalische Figur, aus <strong>der</strong> das ganze Lied sich zeitlich<br />

entfaltet. <strong>Die</strong> geschil<strong>der</strong>ten strukturellen Verän<strong>der</strong>ungen me<strong>in</strong>er Bearbeitung entspr<strong>in</strong>gen diesen Keimen<br />

und entwickeln sie sozusagen über den <strong>Schubert</strong>schen Text h<strong>in</strong>aus: die Schritte <strong>in</strong> Nr.1 und Nr.8, das<br />

Wehen des W<strong>in</strong>des (Nr. 2, 19, 22), das Klirren des Eises (Nr. 3, 7), das verzweifelte Suchen nach<br />

Vergangenem (Nr. 4, 6), Halluz<strong>in</strong>ationen und Irrlichter (Nr. 9, 11, 19), <strong>der</strong> Flug <strong>der</strong> Krähe, das Zittern<br />

<strong>der</strong> fallenden Blätter, das Knurren <strong>der</strong> Hunde, die Geräusche e<strong>in</strong>es ankommenden Postwagens...“ 217<br />

Zen<strong>der</strong> lässt <strong>der</strong> onomatopoetischen Gestaltung daher <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Interpretation viel Raum, was<br />

häufig Kritik an se<strong>in</strong>er plakativen Gestaltungsweise evozierte. Doch bevor dies diskutiert<br />

werden kann, soll Zen<strong>der</strong>s Vorgehen an e<strong>in</strong>igen Beispielen erörtert werden.<br />

Gleich zu Beg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>er Interpretation nutzt Zen<strong>der</strong> die assoziative Wirkung <strong>der</strong><br />

Onomatopoesie. Dem ersten Lied des Zyklus wird e<strong>in</strong>e 53-taktige E<strong>in</strong>leitung vorangestellt, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> sich Zen<strong>der</strong> auf die klangliche Darstellung des Wan<strong>der</strong>ns konzentriert. <strong>Die</strong> Schritte des<br />

Wan<strong>der</strong>ers, dem <strong>der</strong> Zuhörer <strong>in</strong> Zen<strong>der</strong>s Fassung <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> nun für die nächsten<br />

e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Stunden ´folgen´ wird, lassen den Rezipienten die Situation des Wan<strong>der</strong>ers<br />

akustisch nachvollziehen. Durch schnelle Wisch-Bewegungen <strong>der</strong> Hände auf den Tom-Toms<br />

entsteht <strong>der</strong> E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>es sich durch den Schnee bewegenden Menschen. <strong>Die</strong> Wisch-<br />

Bewegungen s<strong>in</strong>d durch Pausen <strong>in</strong> Gruppen geglie<strong>der</strong>t. <strong>Die</strong> Stille zwischen den Schritten<br />

wirkt wie e<strong>in</strong> desorientiertes Umblicken des Wan<strong>der</strong>ers, e<strong>in</strong> unschlüssiges Reflektieren über<br />

den weiteren Verlauf des Weges. Der Wan<strong>der</strong>er ersche<strong>in</strong>t aus <strong>der</strong> Stille, aus dem Nichts. <strong>Die</strong><br />

Stille ist für Zen<strong>der</strong> denn auch Mittel zur Involvierung des Rezipienten <strong>in</strong> die Musik. Zen<strong>der</strong><br />

wünscht sich e<strong>in</strong> neues Hören, das darauf angelegt ist, e<strong>in</strong> Werk im Hier und Jetzt zu erleben,<br />

e<strong>in</strong> offenes pures Hören, das ohne e<strong>in</strong>e kognitiv-verstandesmäßige Zugangsweise<br />

auskommt. 218 <strong>Die</strong> Stille erneuert die Musik, <strong>in</strong>dem sie das Vorangegangene im Hörer<br />

nachkl<strong>in</strong>gen, ihn das Kommende erwarten lässt und durch ihre „Formlosigkeit“ zur<br />

Konstitution eigener Form animiert. 219 Zen<strong>der</strong> versucht somit vom Beg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>er<br />

216 Budde, Elmar: Modulationsmanie und Perspektivenwechsel, S. 136.<br />

217 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 222.<br />

218 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Über das Hören, S. 181.<br />

219 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Orientierung. Komponieren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne, S. 163.<br />

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Interpretation an, den Rezipienten zur produktiven „Mitarbeit“ aufzufor<strong>der</strong>n, <strong>in</strong>dem er ihm<br />

Freiräume gewährt, die ihn aus e<strong>in</strong>gefahrenen <strong>Rezeption</strong>sgewohnheiten h<strong>in</strong>austreten lassen.<br />

<strong>Die</strong> Schritte nun gew<strong>in</strong>nen immer deutlichere Konturen, werden schließlich <strong>von</strong> den<br />

Streicherbattuti unterstützt, die ab Takt 11 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en abwärtsgerichteten Bewegungsimpetus<br />

verfallen, <strong>der</strong> bereits an den E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> S<strong>in</strong>gstimme gemahnt, doch diese gleichzeitig, durch<br />

die Vermeidung absoluter Tonhöhen und den E<strong>in</strong>satz <strong>von</strong> Stegschlüsseln, verschleiert.<br />

„Sämtliche Saiten s<strong>in</strong>d so abgedämpft, dass h<strong>in</strong>ter den Schlaggeräuschen nur schwache<br />

Tonfärbungen hervortreten.“ 220 Erst <strong>in</strong> Takt 16 for<strong>der</strong>t Zen<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Ablösung <strong>der</strong><br />

Dämpfergriffe durch gegriffene Tonhöhen. Chromatisch absteigende Skalenausschnitte<br />

(immer noch col legno batutto) führen schließlich zur E<strong>in</strong>mündung <strong>in</strong> die Trillerbewegung. In<br />

Takt 20 wird diese Bewegung <strong>von</strong> den repetierten d-Moll Akkorden <strong>der</strong> Gitarre abgelöst,<br />

welche den pochenden Wan<strong>der</strong>rhythmus erneut aufgreift. Nach und nach treten nun die<br />

Blas<strong>in</strong>strumente auf die Bühne und nehmen ihren Platz im Orchester e<strong>in</strong>, während sie die<br />

gleiche, melodisch auf das Liedthema h<strong>in</strong>deutende Abwärtsskala, welche zuvor <strong>von</strong> den<br />

Streich<strong>in</strong>strumenten im Bühnenorchester exponiert worden war, spielen. So formiert sich aus<br />

<strong>der</strong> polyphonen, unstrukturierten Klangfülle schließlich e<strong>in</strong> vollständiges Bühnenorchester<br />

und <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. „<strong>Die</strong> Introduktion ist e<strong>in</strong>e klangliche, diastematische,<br />

dynamische, rhythmische, metrische und durch den E<strong>in</strong>zug <strong>der</strong> Musiker zudem räumlich<br />

szenische verdeutlichte Annährung an <strong>Schubert</strong>s Musik.“ 221 Da die Bewegung <strong>der</strong> Musiker im<br />

folgenden dargestellt und untersucht werden soll, ist hier vor allem hervorzuheben, dass<br />

Zen<strong>der</strong> durch die Eröffnung se<strong>in</strong>er Interpretation unter zu Hilfenahme onomatopoetischer<br />

Mittel bereits ankl<strong>in</strong>gen lässt, dass diese Elemente für ihn nicht nur grundlegend für die<br />

Musik <strong>Schubert</strong>s s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Bearbeitung e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle spielen<br />

werden. Dabei sche<strong>in</strong>t ihm gerade auch die E<strong>in</strong>beziehung <strong>der</strong> Gestaltungskraft des<br />

Rezipienten wichtig zu se<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong>se erste onomatopoetische Umsetzung fand ke<strong>in</strong>e unmittelbare Motivation im Notentext<br />

<strong>Schubert</strong>s. Alle weiteren Ausgestaltungen Zen<strong>der</strong>s erweisen sich jedoch als e<strong>in</strong>deutige<br />

Klangvorgaben <strong>Schubert</strong>s. Zen<strong>der</strong>s Ziel ist es, diese „für uns heute unauffälliger“ gewordenen<br />

Elemente <strong>in</strong> ihrer „authentischen“ Aussageexpressivität e<strong>in</strong>zuholen.<br />

So nutzt er zur Verdeutlichung des W<strong>in</strong>des im Lied „Der stürmische Morgen“ zwei<br />

Regenbleche, die den akustischen Dauerregen ebenso zum Hörer tragen wie die prasselnden<br />

220 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S. 72.<br />

221 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S. 73.<br />

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Trommelwirbel und die „rauschenden Streicherklänge und clusterartige Holzbläserläufe,“ 222<br />

so dass <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n gleichsam wie e<strong>in</strong> „großes Tableau <strong>in</strong> >Öl< ausgemalt“ 223 sche<strong>in</strong>t. Das<br />

Schwellen des Flusses <strong>in</strong> Nr. 7 ersche<strong>in</strong>t als Crescendo <strong>der</strong> Bläser, die Echorufe im Lied<br />

„Irrlicht“ wan<strong>der</strong>n durch Raum und Orchester und lassen auf diese Weise den Hörer die<br />

Empf<strong>in</strong>dungen des Wan<strong>der</strong>ers deutlicher spüren. Tränen ersche<strong>in</strong>en als Streicherbattuti, das<br />

Zerspr<strong>in</strong>gen des Eises als Saltandi <strong>der</strong> Streicher (z.B. Lied 3). Für den lauen W<strong>in</strong>d verwendet<br />

Zen<strong>der</strong> Flageolettklänge (die aber auch für Eis und Frost Verwendung f<strong>in</strong>den), für das<br />

Zerr<strong>in</strong>nen des Eises abs<strong>in</strong>kende Glissandi (z.B. Lied 6). <strong>Die</strong> Realität zieht <strong>in</strong> Lied 11 durch<br />

das onomatopoetische Krächzen <strong>der</strong> Raben und das Krähen <strong>der</strong> Hähne e<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem die 32stel-<br />

Triolen aus dem <strong>Schubert</strong>schen Satz <strong>in</strong> die Bläser verlagert werden. „<strong>Die</strong> Post“ nähert sich<br />

akustisch durch die Annährung des Horns an das Publikum, durch ihre sich verstärkende<br />

Intensität des Posthornsignals. Und auch die Hunde <strong>in</strong> Lied Nr. 17 treten dem Zuhörer gleich<br />

zu Beg<strong>in</strong>n des Liedes akustisch entgegen, <strong>in</strong>dem „bei m<strong>in</strong>imalem Bogenverbrauch die Saite<br />

<strong>der</strong> Viol<strong>in</strong>e] so gepresst [wird], dass e<strong>in</strong> leises Knurren [ohne exakte Tonhöhe] entsteht.“ 224<br />

All diese onomatopoetischen Umsetzungen durchziehen Zen<strong>der</strong>s Werk wie e<strong>in</strong> roter Faden.<br />

Jene Vorgehensweise Zen<strong>der</strong>s führt sicherlich zu e<strong>in</strong>em sehr direkten Verständnis <strong>der</strong><br />

<strong>Schubert</strong>schen Bildsprache und versetzt den Hörer <strong>in</strong> die Lage, e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>tuitiven Zugang zu<br />

gew<strong>in</strong>nen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die „Direktheit <strong>der</strong> Aussage nicht zuweilen die<br />

Grenze des guten Geschmacks überschreitet.“ 225 Ist die Aussagegewalt Zen<strong>der</strong>s<br />

unangemessen? Zwei divergente Positionen vertreten Ra<strong>in</strong>er Nonnenmann, <strong>der</strong> die zuvor<br />

aufgeworfene Frage bejaht, und Klaus H<strong>in</strong>rich Stahmer, <strong>der</strong> sie verne<strong>in</strong>t. Nonnenmann glaubt,<br />

dass <strong>Schubert</strong>s musikalisch lyrischen Symbolen durch den manchmal schablonenhaften<br />

E<strong>in</strong>satz des Lautmalerischen viel <strong>von</strong> ihrer Aussagekraft genommen werde. Er befürchtet e<strong>in</strong>e<br />

Verkürzung auf e<strong>in</strong>e illustrative Oberflächenwirkung anlässlich <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong><br />

<strong>Schubert</strong>schen Chiffren durch s<strong>in</strong>fonische Mittel des 19. und geräuschhaften Spieltechniken<br />

des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Dabei leide <strong>der</strong> allegorische Gehalt und die Aussage werde<br />

e<strong>in</strong>dimensional. 226 Stahmer h<strong>in</strong>gegen ist <strong>der</strong> Ansicht, dass Zen<strong>der</strong> lediglich die <strong>Schubert</strong>schen<br />

Mittel aufgreife und diese überhöhe. Ziel Zen<strong>der</strong>s sei also nicht e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> illustrative Wirkung,<br />

son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>e Desillusionierung und Irritation des Rezipienten durch die Überhöhung. 227<br />

222<br />

Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S. 78.<br />

223<br />

Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S. 78.<br />

[Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al]<br />

224<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. E<strong>in</strong>e komponierte Interpretation, S. 134.<br />

225<br />

Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 52.<br />

226<br />

Vgl. Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S. 81.<br />

227<br />

Vgl. Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 52.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Man kann dieses Vorgehen Zen<strong>der</strong>s genauso wenig nur gutheißen wie man es ausschließlich<br />

monieren kann. Sicherlich geht bei e<strong>in</strong>er Überhöhung <strong>der</strong> Vorlage immer e<strong>in</strong> Teil ihrer<br />

Filigranität verloren. In gleichem Maße kann auch e<strong>in</strong>e „Übersättigung“ des Rezipienten mit<br />

onomatopoetischen Mitteln hervorgerufen werden, da Zen<strong>der</strong>, wie gezeigt wurde, nicht am<br />

E<strong>in</strong>satz dieser Faktoren spart. Dennoch schafft Zen<strong>der</strong>s Interpretation durch solcherlei<br />

E<strong>in</strong>griffe auch Brüche und Irritationen, die den Zuhörer gerade zu neuen Denkanstößen<br />

motivieren können. So ist es gerade wie<strong>der</strong> jene Dichotomie, jene Gradwan<strong>der</strong>ung zwischen<br />

<strong>der</strong> Eröffnung neuer Perspektiven und <strong>der</strong> zu plakativen, e<strong>in</strong>seitigen Überformung, die<br />

polarisierende Me<strong>in</strong>ungen evoziert.<br />

D <strong>Die</strong> Bewegungen <strong>der</strong> Musiker<br />

<strong>Die</strong> Bewegungen <strong>der</strong> Musiker s<strong>in</strong>d genu<strong>in</strong> den Gedanken Zen<strong>der</strong>s entsprungen. Durch die<br />

Gänge <strong>der</strong> Akteure nimmt er <strong>der</strong> Aufführungssituation die Statik. (Zur genauen Betrachtung<br />

<strong>der</strong> Aufritte und Gänge <strong>der</strong> Musiker sei auch auf Anhang VII verwiesen, die dies schematisch<br />

darstellt.)<br />

Zen<strong>der</strong> sieht drei verschiedene Orchesterpositionen vor: das Bühnenorchester, und die beiden<br />

Fernorchester I und II. Als Bühnenorchester (BO) bezeichnet Zen<strong>der</strong> die „normale“<br />

Positionierung des Orchesters auf dem Podium vor dem Publikum (zur Aufstellung des BO<br />

sei auf die Anhang VI verwiesen). Fernorchester I (FI) bezeichnet e<strong>in</strong>e Position, die zwar weit<br />

vom Bühnenorchester entfernt, aber dennoch für die Zuschauer gut sicht- und hörbar ist.<br />

Fernorchester II (FII) h<strong>in</strong>gegen ist so weit wie möglich vom Bühnenorchester entfernt,<br />

eventuell sogar unsichtbar, so dass <strong>der</strong> Klang nur <strong>in</strong>direkt wahrgenommen werden kann. Zu<br />

diesen Orchesterverteilungen tritt die zeitweilige Positionierung <strong>von</strong> Musikern im Publikum<br />

h<strong>in</strong>zu.<br />

<strong>Die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Orchesterpositionen werden durch die Gänge <strong>der</strong> Musiker erreicht. <strong>Die</strong>se<br />

Gänge sollen, so Zen<strong>der</strong>, „immer sehr langsam und <strong>in</strong> sich versunken“ genommen werden.<br />

„Nur bei Nr. 8 und Nr. 13 ist <strong>der</strong> Bewegungscharakter lebhafter. Das Gehtempo muß konstant<br />

und ohne Stockung, die Gänge müssen genau getimt se<strong>in</strong>.“ 228<br />

Wie bereits erläutert nehmen die Musiker zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> erst allmählich ihre<br />

Bühnenorchesterpositionen e<strong>in</strong>. Der Zuhörer ist also <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage die Formation des<br />

Klangkörpers und se<strong>in</strong>e spätere Deformation mitzuerleben.<br />

228 Zen<strong>der</strong>, Hans: <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. E<strong>in</strong>e komponierte Interpretation – Vorwort zur Partitur.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

<strong>Die</strong> Orchesteraufstellung bietet für Zen<strong>der</strong> Freiheiten und Möglichleiten, die dem<br />

Komponisten und Interpreten zusätzliche Optionen offerieren.<br />

„Begnügt er (<strong>der</strong> Komponist) sich damit, an <strong>der</strong> Stelle <strong>der</strong> „klassischen“ Orchesteraufstellung die<br />

Musiker lediglich <strong>in</strong> bestimmten Mustern um die Zuhörer herum aufzustellen, so verspielt er für e<strong>in</strong>en<br />

allenfalls hübschen Effekt die Möglichkeit, den Raum <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er bisher musikalische kaum erkannten<br />

Potenz als Ermöglicher wie als Zerstörer <strong>von</strong> musikalischer Struktur erlebbar zu machen; entferne ich<br />

die Klangquellen über e<strong>in</strong>en kritischen Wert h<strong>in</strong>aus <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, so ist we<strong>der</strong> Zusammenspiel, noch<br />

gleiche Intonation möglich.“ 229<br />

Es ist also ke<strong>in</strong> re<strong>in</strong> visueller, son<strong>der</strong>n ebenso e<strong>in</strong> akustischer Effekt mit Zen<strong>der</strong>s planmäßigen<br />

Gängen <strong>der</strong> Musiker verknüpft, und <strong>in</strong> gleicher Weise auch e<strong>in</strong> Konzept, welches aus <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>tensiveren Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> und ihren Lie<strong>der</strong>n resultiert.<br />

Das Wan<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Musiker sche<strong>in</strong>t zunächst e<strong>in</strong>e Weiterentwicklung <strong>der</strong> pochenden<br />

Achtelbewegung zu se<strong>in</strong>, die sich im <strong>Schubert</strong>schen Klaviersatz gleich zu Beg<strong>in</strong>n f<strong>in</strong>det.<br />

Zen<strong>der</strong> nutzt diese Konfiguration, um die auf ihr basierende E<strong>in</strong>leitung zu gestalten. Nicht nur<br />

die Wisch-Bewegung am Anfang vers<strong>in</strong>nbildlicht die Wan<strong>der</strong>ung auch die Musiker werden<br />

<strong>von</strong> Zen<strong>der</strong> <strong>in</strong> diese alles umgreifende Wan<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>bezogen. <strong>Die</strong> Musiker ersche<strong>in</strong>en als<br />

reale Wan<strong>der</strong>er, die durch den Raum ziehen. Mit ihnen wan<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Klang: mal deutlich zu<br />

vernehmen, dann verschleiert; mal dem Blick des Zuschauers entzogen, dann <strong>in</strong> dessen<br />

unmittelbarer Nähe im Zuschauerraum. Immer aber s<strong>in</strong>d die Gänge durchdacht und gelenkt,<br />

niemals zufällig o<strong>der</strong> unmotiviert. Das Wan<strong>der</strong>n führt die Musik zum Rezipienten, lässt ihn<br />

Musik aus nächster Nähe, ohne Distanz erfahren. <strong>Die</strong> Musik tritt aus <strong>der</strong> Anonymität, die auf<br />

dem Weg zwischen Bühne und Publikum <strong>in</strong> großen Konzertsälen so leicht entstehen kann.<br />

Der Zuhörer aber soll zu-hören, h<strong>in</strong>-hören, sich emotional beteiligen, nicht zum bloßen<br />

„Konsumenten“ verkommen. Als <strong>Schubert</strong> die Lie<strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Freunden vorsang, waren sie<br />

nicht durch große Entfernungen <strong>von</strong> ihm getrennt. Sie erfuhren die Musik direkt, ohne die<br />

Distanz, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Zeit zwischen den Hörer und die „zwei Herren im Frack mit<br />

Ste<strong>in</strong>way“ 230 stellt.<br />

Wie stellt sich nun die Wan<strong>der</strong>bewegung im E<strong>in</strong>zelnen dar?<br />

„Während Lied 4 erheben sich die Spieler <strong>von</strong> Oboe I und Klar<strong>in</strong>ette I und begeben sich mit ihren<br />

Instrumenten langsam <strong>in</strong> den Zuschauerraum. [...] Während Nr. 5 bewegen sie sich -spielend- im Saal<br />

umher; es muss <strong>der</strong> E<strong>in</strong>druck <strong>von</strong> „Traumwandeln“ entstehen. <strong>Die</strong> Spieler bewegen sich unabhängig<br />

<strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> verschiedene Richtungen. Nach Abschluss <strong>von</strong> Nr. 5 gehen sie wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Richtung<br />

Bühne und nehmen während Nr. 6 ihre Plätze e<strong>in</strong>.“ 231<br />

229 Zen<strong>der</strong>, Hans: Wegekarte zu Orpheus?, S. 87.<br />

230 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 221.<br />

231 Zen<strong>der</strong>, Hans: Wegekarte zu Orpheus?, S. 87.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Das „Traumwandeln“ verdeutlicht den realitätsfernen, idealisierten Zustand des Ichs <strong>in</strong> Lied<br />

Nr. 5. Während des E<strong>in</strong>bruchs <strong>der</strong> Realität im kontrastiven Moll-Teil des Liedes schweigen<br />

die im Publikum wandelnden Musiker. Sie vermitteln dem Zuhörer das Bild e<strong>in</strong>es träumend<br />

abwesenden Wan<strong>der</strong>ers, <strong>der</strong> sich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Welt entfernt hat. Da beide Musiker <strong>in</strong> Nr. 5<br />

wechselweise auch Mundharmonika spielen, tritt die Assoziation des e<strong>in</strong>samen Wan<strong>der</strong>ers<br />

hervor, <strong>der</strong> se<strong>in</strong> stupides Wan<strong>der</strong>n durch das Mundharmonikaspiel angenehmer gestaltet. Dass<br />

die Mundharmonika als Instrument Assoziationskreise aufblendet, welche Wan<strong>der</strong>ung,<br />

Nomadentum und Heimatlosigkeit <strong>in</strong>kludieren, verhilft dem Bild zu gesteigerter Prägnanz.<br />

<strong>Die</strong> Mundharmonika bedarf ke<strong>in</strong>er Begleitung. <strong>Die</strong>se Eigenschaft macht sie zum idealen<br />

Begleiter des e<strong>in</strong>samen Wan<strong>der</strong>ers.<br />

In den Lie<strong>der</strong>n 8 bis 13 lässt Zen<strong>der</strong> die Musiker nicht nur <strong>in</strong>s Publikum wan<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n<br />

verteilt sie auf die verschiedenen Orchesterpositionen, so dass nun auch die Komponente des<br />

Raumklangs <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Weise hervortritt. Während Nr. 8 beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e langsame<br />

Bewegung e<strong>in</strong>zelner Musiker zu den Orchesterpositionen FI und FII. Auf diese Weise kann<br />

das „Irregehen“ - o<strong>der</strong> das „irre Gehen“ - durch die Raumklangwirkung und die Bewegung<br />

<strong>der</strong> Musiker explizit zum Ausdruck gebracht werden. Der <strong>in</strong>direkte Klang <strong>von</strong> FII und die<br />

Klangkonfrontationen <strong>der</strong> verschiedenen Orchesterpositionen, führen zu e<strong>in</strong>er „personalen<br />

Projektion <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dungen und Aussagen“ 232 des Liedes. Das Lied 10, welches „Rast“<br />

verspricht, diese Hoffnung aber nicht erfüllen kann, <strong>in</strong>szeniert Zen<strong>der</strong> augenfällig. Am Ende<br />

<strong>von</strong> Nr. 9 for<strong>der</strong>t er weitere Bewegungen <strong>der</strong> Musiker: Bewegungen, die aus dem Raum<br />

führen, <strong>in</strong>s Publikum und zu FI. Auf diese Weise erhält Zen<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e dezimierte Besetzung für<br />

Nr. 10, welche die im Bühnenorchester verbliebenen Musikern e<strong>in</strong>setzt. Während sich das<br />

Orchester weiter dezimiert, denn nun bewegen sich auch die restlichen Bläser zu FI, sche<strong>in</strong>t<br />

die Vere<strong>in</strong>samung des wan<strong>der</strong>nden Individuums visualisiert. Dass nur noch <strong>der</strong> Traum nah<br />

und hilfeversprechend zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t, lässt Zen<strong>der</strong> den Zuhörer <strong>in</strong> Nr. 11 erfahren. Das<br />

Bühnenorchester, welches Zen<strong>der</strong> während <strong>der</strong> Dur-Traumpassagen e<strong>in</strong>setzt, wird bei<br />

E<strong>in</strong>bruch <strong>der</strong> Realität durch die onomatopoetischen Hahnenschreie aus FI unterbrochen. Der<br />

Klang ist dem Zuschauer räumlich und visuell entzogen. Zum Schluss dieses Liedes verlässt<br />

die Trompete den Raum, verschiedene Bläser verteilen sich im Zuschauerraum, wo sie weit<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>liegende Positionen e<strong>in</strong>nehmen. Nr. 12 markiert den „psychologischen<br />

Tiefpunkt“ 233 dieser Lie<strong>der</strong>folge. Dem bie<strong>der</strong>meierlichen Streichqu<strong>in</strong>tett, bestehend aus zwei<br />

Viol<strong>in</strong>en, zwei Bratschen und e<strong>in</strong>em Violoncello, wird die „rohe“ Schlagkraft <strong>der</strong> Holzbalken<br />

232 Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme?, S. 153.<br />

233 Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme?, S. 153.<br />

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entgegengestellt, die mit ihren Nonolenschlägen drängend wirken und das Metrum des<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Orchesters als verschleppt empf<strong>in</strong>den lassen. Wenngleich das Orchester als Bühnenorchester<br />

präsent ist, entzieht sich <strong>der</strong> warme Streicherklang doch durch die gegensätzliche Wirkung<br />

<strong>der</strong> Holzbalkenschläge. <strong>Die</strong> m<strong>in</strong>imale Besetzung zeigt die Vere<strong>in</strong>samung des Wan<strong>der</strong>ers, <strong>der</strong><br />

Titel „E<strong>in</strong>samkeit“ f<strong>in</strong>det Nie<strong>der</strong>schlag <strong>in</strong> <strong>der</strong> Besetzung und <strong>der</strong> Abwesenheit <strong>der</strong> Musiker,<br />

ihrem Entzug <strong>von</strong> <strong>der</strong> Bühne. Schließlich entzieht sich auch <strong>der</strong> Streicherklang, und die <strong>von</strong><br />

Zen<strong>der</strong> e<strong>in</strong>gefügte „Zwischenaktmusik“, die e<strong>in</strong>e Brücke zwischen den beiden Abteilungen<br />

<strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> schlägt, konstituiert sich e<strong>in</strong>zig aus den repetierenden Achtelnoten, welche<br />

bereits für den Beg<strong>in</strong>n <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> elementar waren. Bestehend aus<br />

Generalpause, Wan<strong>der</strong>rhythmus und e<strong>in</strong>er weiteren Generalpause, wird die<br />

„Zwischenaktmusik“ zur sprechenden, auskomponierten Stille. Symbolisiert die E<strong>in</strong>samkeit<br />

des Wan<strong>der</strong>ers, Solipsie. „Als noch die Stürme tobten, war ich so elend nicht.“ So endet das<br />

Lied Nr. 12 – aber die Stürme toben nicht mehr, das Subjekt kann sich nicht mehr <strong>in</strong> den<br />

revolutionären Wirren ausdrücken, muss wegen <strong>der</strong> Zensur schweigen, o<strong>der</strong> ist mit den<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> komplexerwerdenden Gesellschaft überfor<strong>der</strong>t. Ohne Halt ist das<br />

vere<strong>in</strong>zelte Subjekt auf sich zurückgeworfen. Was bleibt, ist e<strong>in</strong> ewig sich repetieren<strong>der</strong><br />

Kreislauf e<strong>in</strong>er uns<strong>in</strong>nigen, aber nicht zu durchbrechenden Wan<strong>der</strong>bewegung. „<strong>Die</strong><br />

Entfremdung des Individuums wird zu e<strong>in</strong>em zentralen Gehalt“ <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> Zen<strong>der</strong>s,<br />

<strong>der</strong> sich „<strong>in</strong> <strong>der</strong> Polarität <strong>von</strong> Nähe und Ferne zum <strong>Schubert</strong>schen Klangbild“ 234 und <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

An- und Abwesenheit <strong>der</strong> Musiker spiegelt. <strong>Die</strong> Unmöglichkeit <strong>der</strong> Erfüllung <strong>der</strong><br />

angestrebten subjektiven Wünsche <strong>in</strong> <strong>der</strong> objektiven Sphäre treibt das Ich, den Menschen <strong>in</strong><br />

diese unaufhörliche Wan<strong>der</strong>schaft. 235 <strong>Die</strong>se Konfiguration stellt sich <strong>in</strong> Zen<strong>der</strong>s<br />

„Zwischenaktmusik“ dar. Zen<strong>der</strong> verlangt, dass am Ende <strong>von</strong> Nr. 12 und am Beg<strong>in</strong>n <strong>von</strong> Nr.<br />

13 ke<strong>in</strong>e Bewegung stattf<strong>in</strong>det. Alle externen Musiker sollen regungslos auf ihrem Platz<br />

verharren. <strong>Die</strong> Suspendierung <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>bewegung ruft e<strong>in</strong>en resignativen Charakter hervor.<br />

<strong>Die</strong> „Erstarrung“ <strong>der</strong> Musiker vers<strong>in</strong>nbildlicht dies. Am Beg<strong>in</strong>n <strong>von</strong> Nr. 13 ist diese<br />

Erstarrung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Erregung <strong>der</strong> Musik nun diametral entgegengesetzt. <strong>Die</strong> Hoffnung des<br />

drängenden Herzens aber ist vergeblich, was die Starre <strong>der</strong> Musiker vers<strong>in</strong>nbildlicht. Doch<br />

nun kehren die Spieler zum Orchester zurück. Das Herannahen <strong>der</strong> Post ersche<strong>in</strong>t durch das<br />

Herannahen des Horns und dessen Signal akustisch und visuell, die Musiker nehmen erneut<br />

die Plätze im Bühnenorchester e<strong>in</strong> und verbleiben dort bis zum 24. Lied, bei dem alle Bläser<br />

den Raum nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verlassen und die letzten Takte auch schon außerhalb des Raumes<br />

spielen können. Zen<strong>der</strong>s Interpretation kommt aus dem Nichts und verkl<strong>in</strong>gt im Nichts. Der<br />

234 Revers, Peter: „Schnee du weißt <strong>von</strong> me<strong>in</strong>em Sehnen“, S. 107.<br />

235 Vgl. Schmid Noerr, Gunzel<strong>in</strong>: Der Wan<strong>der</strong>er über dem Abgrund, S. 90.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Zuhörer war Zeuge e<strong>in</strong>es kurzen Lebensausschnitts e<strong>in</strong>es Wan<strong>der</strong>ers. Er wan<strong>der</strong>te für e<strong>in</strong>e<br />

kurze Zeit mit ihm, nun gehen beide wie<strong>der</strong> ihrer Wege, beide werden weiter wan<strong>der</strong>n auf<br />

dem Lebensweg. <strong>Die</strong> Bühne zu verlassen und den Zuhörer im Verkl<strong>in</strong>gen des Werks alle<strong>in</strong>e<br />

zu lassen, führt Stahmer dazu, Analogien zu Haydns „Abschiedss<strong>in</strong>fonie“ und Becketts<br />

„Come and go“ zu sehen. 236 Bei Haydn kann jedoch lediglich e<strong>in</strong>e Nähe zur Handlung, nicht<br />

aber zu <strong>der</strong>en Motivation konstatiert werden, wollte dieser durch jenes Vorgehen doch<br />

lediglich auf den unerfüllten Urlaubswunsch se<strong>in</strong>er Musiker seitens des Fürsten Esterházy<br />

aufmerksam machen. „Come and go“ lässt sich h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>erseits mit Zen<strong>der</strong>s „Kommen<br />

und Gehen“ <strong>der</strong> Musiker <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung br<strong>in</strong>gen, an<strong>der</strong>erseits aber ist hier auch die<br />

poetologische Konzeption ähnlich. Trotz <strong>der</strong> Interaktion <strong>der</strong> drei Personen Ru, Vi und Flo<br />

lässt sich ke<strong>in</strong> realer kommunikativer Gehalt eruieren. Beckett erreicht dies durch s<strong>in</strong>nleere<br />

Freilegung des sprachlichen Materials und schafft damit E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Tatsache, dass<br />

Sprache ke<strong>in</strong>e gelungene Kommunikation mehr hervorzubr<strong>in</strong>gen mag. <strong>Die</strong>s führt zur<br />

Vere<strong>in</strong>zelung <strong>der</strong> Subjekte. Vielleicht ist dies auch bei Beckett im „Kommen und Gehen“ <strong>der</strong><br />

Personen zu sehen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em s<strong>in</strong>nlosen Umherwan<strong>der</strong>n.<br />

Auf diese Weise lässt Zen<strong>der</strong>s Werk auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>bewegung <strong>der</strong> Musiker e<strong>in</strong>e<br />

konsequente Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>Schubert</strong> und den überzeitlichen Gesichtspunkten des<br />

Sujets erkennen.<br />

4 Analyse e<strong>in</strong>zelner Aspekte ausgewählter Lie<strong>der</strong><br />

<strong>Die</strong> folgende Analyse e<strong>in</strong>zelner Lie<strong>der</strong> <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise kann anhand <strong>von</strong> Anhang XVII<br />

(Partitur Zen<strong>der</strong>s) und XVIII (Partitur <strong>Schubert</strong>s) nachvollzogen und verglichen werden.<br />

Gute Nacht<br />

Da die <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong> h<strong>in</strong>zugefügte 53-taktige Introduktion bereits <strong>in</strong> Kapitel IV.3.C<br />

(Onomatopoesie und Stimuli – Textausdeutung durch Malerei) besprochen worden ist, soll an<br />

dieser Stelle gezeigt werden, wie Zen<strong>der</strong> die Hörgewohnheiten des Rezipienten zunächst<br />

(T.54-129) zu erfüllen sche<strong>in</strong>t, diese dann jedoch gänzlich unterhöhlt. Den E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er<br />

„heilen Welt“, den <strong>Schubert</strong>s Musik beim heutigen Hörer so häufig zu evozieren sche<strong>in</strong>t, wird<br />

durch Kontrastierung gebrochen. <strong>Die</strong> drei Grundthematiken <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise, das Fremdse<strong>in</strong>,<br />

die verschmähte Liebe, das Wan<strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dunkelheit werden im ersten Lied des Zyklus <strong>in</strong><br />

236 Vgl. Stahmer, Hans H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 49.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

ihrer Gesamtheit exponiert. Wird <strong>der</strong> Zyklus häufig auf die Erfahrung verschmähter Liebe<br />

und des aus ihr resultierenden Wan<strong>der</strong>ns fälschlicher Weise reduziert, so hebt Zen<strong>der</strong> die<br />

Wan<strong>der</strong>schaft und die Heimatlosigkeit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Interpretation hervor: das Wan<strong>der</strong>n durch die<br />

53-taktige E<strong>in</strong>leitung, die Erfahrung des Fremdse<strong>in</strong>s durch den kontrastierenden zweiten Teil.<br />

Dem Hörer wird <strong>Schubert</strong>s Werk „fremd“, die gewohnten Klänge distanzieren sich und lassen<br />

den Rezipienten „neu“ hören. Der Titel „Gute Nacht“ sche<strong>in</strong>t somit zu e<strong>in</strong>er<br />

programmatischen Erfahrung für Wan<strong>der</strong>er und Zuhörer zu werden.<br />

Zen<strong>der</strong> beg<strong>in</strong>nt die erste Strophe mit e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong>en Streicherbesetzung. (Der Besetzungswandel<br />

kann anhand <strong>von</strong> Anhang VII nachvollzogen werden). <strong>Die</strong> zwei Viol<strong>in</strong>en, die zwei Bratschen,<br />

das Violoncello und <strong>der</strong> Bass vermitteln den E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong> „heilen Welt“ durch die klangliche<br />

Assoziation des bie<strong>der</strong>meierlichen Streichqu<strong>in</strong>tetts. <strong>Die</strong> zweite Strophe gestaltet Zen<strong>der</strong> durch<br />

den E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> Klangfarben des gesamten Orchesters, bevor die Strophe erneut im vollen<br />

Klang des Streichquartetts endet. <strong>Die</strong>ser Klangcharakter ist für Zen<strong>der</strong> die Basis se<strong>in</strong>er nun<br />

beg<strong>in</strong>nenden Kontrastgestaltung: die plötzlich endende volle Orchesterbesetzung, die<br />

Reduktion auf die volkstümlichen Instrumente Gitarre und Akkordeon, die bereits alle naiv<br />

liedhaften Assoziationen des Rezipienten durch Überhöhung selbiger schw<strong>in</strong>den lassen, die<br />

Akkordrepetitionen <strong>in</strong> pochenden Achtelnoten, die das Wan<strong>der</strong>n des Individuums erneut<br />

plastisch hervortreten lassen. All diese Elemente erwecken im Hörer bereits e<strong>in</strong>e Vorahnung<br />

auf das Kommende, e<strong>in</strong>e gespannte Haltung, die aus <strong>der</strong> „Ruhe vor dem Sturm“ resultiert.<br />

Zen<strong>der</strong> lässt den Zuhörer nicht lange auf den „Sturm“ warten. Bereits <strong>in</strong> Takt 128 beg<strong>in</strong>nen<br />

die Holzbläser mit e<strong>in</strong>er Trillerbewegung, die auf Zen<strong>der</strong>s erste Collage <strong>in</strong> Takt 131<br />

vorbereitet. <strong>Die</strong> Melodie, <strong>der</strong> Sprachduktus, <strong>der</strong> Satz werden zerschnitten. <strong>Die</strong> „heile Welt“<br />

zerbricht. Jetzt gew<strong>in</strong>nt <strong>der</strong> Zuhörer e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Innenwelt des Wan<strong>der</strong>ers. Der<br />

Rezipient soll sich <strong>in</strong>volvieren, emotional affiziert werden. E<strong>in</strong> Entzug aus Zen<strong>der</strong>s radikalem<br />

Bruch ist kaum möglich. „Lass irre Hunde heulen vor...“ heißt es im Text, und darauf werden<br />

alle Beteiligten noch e<strong>in</strong>mal zurückgeworfen. Nun ersche<strong>in</strong>t die Welt im wahrsten S<strong>in</strong>ne des<br />

Wortes „ent-täuschend“. <strong>Die</strong> Blechbläser führen Triller <strong>in</strong> tiefer Lage aus, die Holzbläser<br />

lassen <strong>in</strong> chromatisch verfärbten Skalen das Liedthema wie<strong>der</strong>erkennen, doch es ist dem<br />

Hörer ebenso fremd geworden wie dem Wan<strong>der</strong>er die Heimat. Zen<strong>der</strong> schlägt nicht nur e<strong>in</strong>e<br />

Verb<strong>in</strong>dung zurück zum Anfang, son<strong>der</strong>n sche<strong>in</strong>t gleichzeitig den Text onomatopoetisch<br />

auszudeuten, das Heulen <strong>der</strong> irren Hunde plastisch hervortreten zu lassen. Der verstärkte<br />

Gesang weist auf diese Bedeutung ebenso h<strong>in</strong> wie die Streicherglissandi, die, wie die<br />

Holzbläser, an das Liedthema gemahnen und gleichzeitig das Heulen <strong>der</strong> Hunde darstellen. In<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

den folgenden Takten sche<strong>in</strong>t Zen<strong>der</strong> zu dem gewohnten <strong>Schubert</strong>schen Klangbild<br />

zurückkehren zu wollen, doch weist die erneute Überhöhung mittels <strong>der</strong> volkstümlichen<br />

Instrumentation (Akkordeon, Gitarre, Harfe) bereits auf e<strong>in</strong>en weiteren Realitätse<strong>in</strong>bruch <strong>in</strong><br />

die „Idylle“ h<strong>in</strong>. Der Wan<strong>der</strong>er liebt das Wan<strong>der</strong>n nicht, und auch die fügende Allmacht<br />

Gottes kann ihm als Begründung für se<strong>in</strong> Leid nicht genügen. Erneut bricht Zen<strong>der</strong> den<br />

musikalischen Fluss (T.141). <strong>Die</strong> melodiöse Artikulation <strong>der</strong> Sängerstimme versagt. <strong>Die</strong><br />

gesprochene Deklamation mit Verstärkung im Fortissimo wird unterstrichen <strong>von</strong> massivem<br />

Schlagwerke<strong>in</strong>satz (hängende Zischbecken, 2 Metallblöcke, 3 Tom-Toms, Pauke mit<br />

Holzschlägel), dem Staccatospiel <strong>der</strong> Holzbläser und <strong>der</strong> „harten, geräuschhaften“<br />

Artikulation <strong>der</strong> Streicher, die alle Striche „extrem am Steg“ ausführen. In Takt 147 for<strong>der</strong>t<br />

Zen<strong>der</strong> das Auflegen e<strong>in</strong>er schweren Metallkette auf die Pauke, so dass diese bei jedem<br />

folgenden Schlag zu rasseln beg<strong>in</strong>nt. Vielleicht e<strong>in</strong> akustisches Zeichen dafür, dass „die Liebe<br />

(des Wan<strong>der</strong>ers) ke<strong>in</strong>e Lust zum Wan<strong>der</strong>n zeigt, son<strong>der</strong>n im Gegenteil mit aller Gewalt an das<br />

Mädchen gekettet bleibt,“ 237 aber auch trotzige Auflehnung gegen die Fesseln, die ihm<br />

Gesellschaft und Leben auferlegen, spiegelt. Das Rasseln <strong>der</strong> Ketten ersche<strong>in</strong>t als lautliche<br />

Ausgestaltung e<strong>in</strong>es Protestwilligen, <strong>der</strong> sich zu befreien sucht, dessen Bürden jedoch <strong>von</strong><br />

solcher Immanenz geprägt s<strong>in</strong>d, dass e<strong>in</strong> Entkommen unmöglich sche<strong>in</strong>t. <strong>Die</strong>s wird auch<br />

durch die E<strong>in</strong>würfe <strong>der</strong> Piccoloflöten <strong>in</strong> Takt 150f. deutlich, die die Melodie zum Text „die<br />

Liebe liebt das wan<strong>der</strong>n“ höhnisch verfremdet aufgreifen und den Wan<strong>der</strong>er auszupfeifen<br />

sche<strong>in</strong>en. <strong>Die</strong>ser zweiten Collage folgt die Vorbereitung auf die sich anschließende Dur-<br />

Wendung, die Zen<strong>der</strong>, <strong>in</strong> Anlehnung an den Beg<strong>in</strong>n, <strong>der</strong> noch als „heile Welt“ erschien, mit<br />

dem Klang des Streichquartetts beg<strong>in</strong>nen lässt (T.177). In den 16 Takten zwischen <strong>der</strong> 3. und<br />

4. Strophe lässt Zen<strong>der</strong> e<strong>in</strong> „leuchtendes Klangfeld entstehen.“ 238 Beg<strong>in</strong>nend mit arpeggierten<br />

Harfenakkorden, die den Wan<strong>der</strong>rhythmus <strong>der</strong> repetierenden Achtel wie<strong>der</strong> aufgreifen, setzen<br />

zunächst die Streicher <strong>in</strong> dichter Folge e<strong>in</strong>, dann mit dem selben abwärtsgerichteten<br />

Skalenmotiv, welches erneut dem Liedthema entlehnt sche<strong>in</strong>t, auch die Holzbläser. Durch die<br />

Pizzicati <strong>der</strong> Streicher und das Leggiero-Spiel <strong>der</strong> Bläser, die sich ausnahmslos im<br />

dynamischen Rahmen <strong>von</strong> Pianissimo und Pianopianissimo bewegen, entsteht e<strong>in</strong> klangliches<br />

Bild, „e<strong>in</strong>e impressionistisch flirrende Klanglandschaft, die <strong>in</strong> sich zu ruhen und außerhalb<br />

<strong>der</strong> Zeit zu stehen sche<strong>in</strong>t.“ 239 Es hat den Ansche<strong>in</strong>, als ob Zen<strong>der</strong> die „himmlischen Längen“<br />

<strong>Schubert</strong>s, die auch beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en späten Klaviersonaten zu spüren s<strong>in</strong>d, imitiere, e<strong>in</strong><br />

237 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S.75.<br />

238 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S.77.<br />

239 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S.77.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

nicht zu Ende kommen können darstelle. Der äußeren Abgeschlossenheit steht die <strong>in</strong>nere<br />

Unabschließbarkeit gegenüber. <strong>Die</strong> äußeren Begrenzung des Individuums (wie zur Zeit<br />

<strong>Schubert</strong>s so <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Zeit - vgl. Kapitel II) divergiert mit dem <strong>in</strong>nere Drang nach<br />

Individualismus und Selbstverwirklichung. Dem Anpassungszwang setzt sich e<strong>in</strong><br />

Aufbruchswille entgegen und die geschlossene musikalische Form unterliegt <strong>der</strong> Notdurft<br />

e<strong>in</strong>en unabschließbarer Gehalt auszudrücken. „Himmlische Längen“ s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Versuch, die<br />

Welt zum Stillstand zu br<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong>en Ausgleich zwischen Welt und Individuum<br />

herzustellen. 240 Es ist <strong>Schubert</strong>s Weg <strong>der</strong> Zeitstrukturierung, Musik dah<strong>in</strong>strömen zu lassen<br />

und somit Freiheit zu eröffnen, gleichzeitig aber durch den repitierenden Charakter auf die<br />

desillusionierend reprist<strong>in</strong>ierende Zeit h<strong>in</strong>zudeuten. 241 E<strong>in</strong>e solche Konfiguration lässt sich<br />

auch im Sujet <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Person des Wan<strong>der</strong>ers und vielleicht auch <strong>in</strong> jedem<br />

selbst-bewussten Ich f<strong>in</strong>den. Vielleicht ist diese <strong>der</strong> Grund für jene „lecture“ Zen<strong>der</strong>s. E<strong>in</strong>e<br />

Entsprechung würde e<strong>in</strong> solcher Gedankengang <strong>in</strong> dem plötzlichen E<strong>in</strong>bruch <strong>der</strong> „Moll-<br />

Realität“ <strong>in</strong> Takt 203 f<strong>in</strong>den, den Zen<strong>der</strong> mit gedämpften Paukenschlägen und tiefen<br />

Blechbläserakkorden im Wan<strong>der</strong>rhythmus begleitet. <strong>Die</strong> repetierenden Achtel setzen sich <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> martelé-Strichführung <strong>der</strong> Streicher fort, akkompagniert <strong>von</strong> dem kommentierenden<br />

„traurig-resignativen Tangorhythmus des Akkordeons.“ 242<br />

Zen<strong>der</strong> schafft mit se<strong>in</strong>er Bearbeitung <strong>von</strong> „Gute Nacht“, die zeitlich die doppelte<br />

Ausdehnung <strong>der</strong> <strong>Schubert</strong>schen erreicht, nicht nur e<strong>in</strong>e „dramatische Szene“ 243 , son<strong>der</strong>n<br />

gleichfalls e<strong>in</strong>e Eröffnung des Zyklus, die dem Rezipienten das Sujet ebenso e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich vor<br />

Augen führt wie die Möglichkeiten und Ausdrucksformen <strong>der</strong> Zen<strong>der</strong>schen<br />

Bearbeitungstechnik, die sich auch <strong>in</strong> den anschließenden Lied<strong>in</strong>terpretationen<br />

unterschiedlich ausgeprägt zeigen wird.<br />

<strong>Die</strong> Wetterfahne<br />

Für die Interpretation <strong>von</strong> Lied 2 schöpft Zen<strong>der</strong> hauptsächlich aus klangmalerischen<br />

Bearbeitungselementen. <strong>Die</strong> „Klangchiffre“ des W<strong>in</strong>des stellt die Verb<strong>in</strong>dung zu Lied 22 her,<br />

<strong>in</strong> welchem dessen Verwendung jedoch noch exponierter hervortritt.<br />

Über den Streichersatz, <strong>der</strong> sich an <strong>der</strong> Komposition <strong>Schubert</strong>s orientiert, legt Zen<strong>der</strong><br />

schillernde aufwärtsgerichtete 32stel-Läufe <strong>in</strong> den Flöten, die <strong>in</strong> Wechselnoten enden,<br />

240 vgl. Godel, Arthur: <strong>Schubert</strong>s letzte drei Klaviersonaten, S. 191-257.<br />

241 Vgl. Schnebel, <strong>Die</strong>ter: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> befreienden Zeit, S. 505.<br />

242 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S.78.<br />

243 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S.77.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

dynamisch <strong>von</strong> p bis ff und zurückreichende aufbrausende Klangbögen <strong>der</strong> W<strong>in</strong>dmasch<strong>in</strong>e<br />

und gleichfalls an- und abschwellende Luftgeräusche <strong>der</strong> Blechbläser. <strong>Die</strong>se werden dadurch<br />

erzeugt, dass Luft tonlos durch das Instrument geblasen wird. <strong>Die</strong> Höhenverän<strong>der</strong>ungen<br />

werden, wie beim „normalen“ Spiel, durch die Lippenstellung erreicht. Auch bei den Flöten<br />

nutzt Zen<strong>der</strong> <strong>in</strong> Takt 10, nach anfänglichem chromatischen Abstieg, e<strong>in</strong> Glissandospiel, das,<br />

da es wie die zuvor ausgeführten Spielarten, ke<strong>in</strong>e exakte Ausführung vorschreiben kann und<br />

daher, gleich dem W<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Klangbild entwickelt. <strong>Die</strong> Darstellung des<br />

Auspfeifens des Flüchtl<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> Viol<strong>in</strong>e und Piccoloflöte übernimmt Zen<strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>,<br />

zentriert den Gedanken jedoch gleichzeitig durch den ausgedünnten Klang im restlichen<br />

Orchester. <strong>Die</strong> dritte Strophe setzt Zen<strong>der</strong> klanglich <strong>von</strong> den vorausgehenden ab. „Der W<strong>in</strong>d<br />

spielt dr<strong>in</strong>nen mit den Herzen, wie auf dem Dach, nur nicht so laut“. <strong>Schubert</strong> setzt die<br />

Begleitung an dieser Stelle e<strong>in</strong>e Oktave tiefer. Zen<strong>der</strong> reagiert auf diese Vorgabe, <strong>in</strong>dem er<br />

hier ausschließlich Cello und Kontrabass zur Begleitung e<strong>in</strong>setzt. <strong>Die</strong> Wirkung verstärkt sich<br />

zusätzlich durch die For<strong>der</strong>ung nach Flautando-Spiel, wobei <strong>der</strong> Strich sehr nah am Steg<br />

erfolgen soll. Zen<strong>der</strong> fügt anschließend e<strong>in</strong> im Tempo freies Zwischenglied e<strong>in</strong>, das<br />

ausschließlich zur onomatopoetischen Darstellung des W<strong>in</strong>des, durch die tonlos spielenden<br />

Blechbläser, dient (T. 28; Wdh. T. 39). <strong>Die</strong> bereits bei <strong>Schubert</strong> angelegte Ausschmückung<br />

des Begriffes „reich“ wird <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong> durch <strong>der</strong>en Aufgreifen <strong>in</strong> verschiedenen Stimmen <strong>in</strong><br />

sukzessiver Abfolge <strong>in</strong>tensiviert (T. 45f.). Schließlich verkl<strong>in</strong>gt das Stück, wie bei <strong>Schubert</strong>,<br />

nach dem Abflauen <strong>der</strong> W<strong>in</strong>de <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Generalpause, die e<strong>in</strong>gedenk <strong>der</strong> Zen<strong>der</strong>schen<br />

Bedeutungskonnotation als sprechende Stille, dem Hörer Zeit zur Reflexion bietet.<br />

Offen bleibt die Frage, warum Zen<strong>der</strong> nicht auf <strong>Schubert</strong>s harmonische Vorgabe des<br />

sogenannten „<strong>Schubert</strong>akkordes“ 244 (D D mit verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ter None, kle<strong>in</strong>er Septime und<br />

verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ter Qu<strong>in</strong>te - T. 31) reagiert. Er dient als Modulationsmittel für unvermittelte<br />

Verb<strong>in</strong>dungen harter tonaler Kontraste, die die psychologischen Konstitution des Ichs<br />

wi<strong>der</strong>spiegelt (hier: Armut des Wan<strong>der</strong>ers – Reichtum <strong>der</strong> Geliebten). Es wäre vielleicht sogar<br />

reizvoller gewesen, jene Darstellungsweise <strong>Schubert</strong>s durch Bearbeitungsmaßnahmen <strong>in</strong> ihrer<br />

Zeichenhaftigkeit für den heutigen Hörer erfahrbar zu machen, als re<strong>in</strong> onomatopoetisch zu<br />

arbeiten.<br />

Der L<strong>in</strong>denbaum<br />

Bereits durch die Gestaltungsweise <strong>von</strong> Lied 4, durch die Dehnung <strong>von</strong> Vor-, Zwischen- und<br />

Nachspielen, die im Kontrast zur sonst orig<strong>in</strong>al übernommenen Strophengestalt stehen,<br />

244 Zum <strong>Schubert</strong>akkord vgl. Hufschmidt, Wolfgang: Willst zu me<strong>in</strong>en Lie<strong>der</strong>n de<strong>in</strong>e Leier drehn?, S. 111.<br />

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bereitet Zen<strong>der</strong> den Hörer für den „L<strong>in</strong>denbaum“ vor, <strong>der</strong> den „schönen Sche<strong>in</strong>“ <strong>der</strong> Traum-<br />

und Er<strong>in</strong>nerungswelt ebenfalls durch Brüche zu <strong>in</strong>determ<strong>in</strong>ieren sucht. 245 Auch <strong>Schubert</strong><br />

verb<strong>in</strong>det die Lie<strong>der</strong> 4 und 5 durch das Wie<strong>der</strong>aufgreifen <strong>der</strong> Bassl<strong>in</strong>ie (Nr. 4; T. 1) im<br />

Säuseln <strong>der</strong> L<strong>in</strong>denblätter (Nr. 5; T. 1) und verwandelt „die bittere Wirklichkeit <strong>der</strong><br />

„Erstarrung“, das vergebliche Suchen im Schnee, [...] <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sche<strong>in</strong>bar bessere Welt des<br />

Traumes. [...] Wirklichkeit und Traum werden e<strong>in</strong>s, <strong>in</strong>dem sich <strong>der</strong> Traum als Metamorphose<br />

<strong>der</strong> Wirklichkeit offenbart.“ 246 (Vgl. Notenbeispiel: Anhang IX) Es ist die Realitätsflucht des<br />

Wan<strong>der</strong>ers, die hier<strong>in</strong> zum Ausdruck kommt, doch lässt Zen<strong>der</strong> den Zuhörer bereits zu Beg<strong>in</strong>n<br />

erahnen, dass die Traumwelt ke<strong>in</strong>en dauerhaften Bestand haben kann. Der Text Müllers ist<br />

teilweise konjunktivisch gefärbt, die musikalische L<strong>in</strong>ie ist volkstümlich liedhaft, was Zen<strong>der</strong><br />

durch die Instrumentation ebenso wie durch die traumwandlerischen Gänge <strong>der</strong> Musiker im<br />

Publikum unterstützt. Gitarren- und Harfenklänge überhöhen <strong>in</strong> gleichem Maße wie <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>satz <strong>von</strong> Mundharmonikaklängen den Topos <strong>der</strong> Volkstümlichkeit und lassen erwarten,<br />

dass <strong>der</strong> Locus Amoenus sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Locus Desertus verwandeln wird. Der E<strong>in</strong>bruch <strong>der</strong><br />

Realität, den <strong>Schubert</strong> mit dem Mittel <strong>der</strong> Dur-Moll-Konfrontation darstellt, wird <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong><br />

durch vorangehende Schläge <strong>von</strong> Trommel und Becken betont (T. 28). Das volkstümliche<br />

Instrumentarium setzt aus. Drastischer aber wird die Aussagegewalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> dritten Strophe, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Zen<strong>der</strong> die dem Wan<strong>der</strong>er <strong>in</strong>s Gesicht blasenden W<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Arpeggien <strong>der</strong> Harfe, den<br />

geräuschhaften Streichertremoli (durch harten Strich am Steg), <strong>der</strong> Trommelwirbel und den<br />

donnerartig wirkenden Tam-Tam-Schlägen darzustellen sucht. Es wird h<strong>in</strong>reichend deutlich,<br />

dass das Ruheversprechen des L<strong>in</strong>denbaums nur als Auffor<strong>der</strong>ung zum Suizid zu verstehen<br />

se<strong>in</strong> kann, lädt doch die Natur nicht zu träumendem Verweilen e<strong>in</strong>. Verdeutlicht wird dieser<br />

Kontrast noch e<strong>in</strong>mal, wenn Zen<strong>der</strong> <strong>in</strong> Takt 57 die Streicher zur „normalen“ Artikulation<br />

zurückkehren lässt und ihre geräuschhaften Tremoli sich <strong>in</strong> bie<strong>der</strong>meierlich anmutende<br />

Klänge verfärben. <strong>Die</strong> weit entfernten Mundharmonikaklänge am Ende (T. 79 und 81) lassen<br />

akustisch verzerrt die „heile Welt“ <strong>der</strong> volkstümlichen Artikulation, <strong>in</strong> Form <strong>von</strong><br />

Instrumentation und <strong>der</strong> bei <strong>Schubert</strong> angelegten obligaten Begleitfigur, die als „e<strong>in</strong>e Art<br />

Ländler [...], e<strong>in</strong> Symbol des Heimwehs nach dem unwie<strong>der</strong>br<strong>in</strong>glich verlorenem Glück“ 247 ,<br />

ersche<strong>in</strong>t, <strong>in</strong>s Wanken geraten. Doch ist die Polarisation <strong>der</strong> unterschiedlichen Klang- und<br />

Ausdruckssphären bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Transkription Liszts zu erkennen und ke<strong>in</strong>e genu<strong>in</strong><br />

245 vgl. Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 47.<br />

246 Budde, Elmar: <strong>Schubert</strong>s Lie<strong>der</strong>zyklen, S. 80.<br />

247 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S. 78.<br />

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Zen<strong>der</strong>sche Bearbeitungstechnik (Vgl. Liszt „Der L<strong>in</strong>denbaum“ T. 25f. dolente marcato; T.<br />

37f. dolciss. armonioso; T. 46f. molto agitato; T.61f. dolce – Anhang X).<br />

E<strong>in</strong>samkeit<br />

Begleitet durch den fe<strong>in</strong>en Klang des bie<strong>der</strong>meierlichen Streichqu<strong>in</strong>tett könnte dieses Lied<br />

dem resignativen Text e<strong>in</strong> Pendant bieten, doch wird diese Wirkung durch den E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong><br />

Holzbalkenschläge verkehrt. Sie s<strong>in</strong>d „S<strong>in</strong>nbild roher physischer Gewalt“ 248 , entfalten den<br />

Bruch <strong>von</strong> Subjekt und Welt <strong>in</strong> ganzer Härte. H<strong>in</strong>zu kommt die rhythmische Verschiebung<br />

<strong>der</strong> Nonole <strong>der</strong> Holzbalken gegen die „geraden“ Achtel <strong>der</strong> Streicher, so dass die Schläge den<br />

Streichern vorauszueilen sche<strong>in</strong>en. Schließlich übernehmen die Holzbalken das Tempo <strong>der</strong><br />

Streicher, doch zur gleichen Zeit for<strong>der</strong>t Zen<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Verlangsamung des Gesamttempos, so<br />

dass erneut e<strong>in</strong>e rhythmische Verschiebung entsteht, die den Zuhörer e<strong>in</strong>e gewisse Zähheit,<br />

e<strong>in</strong> Verschleppen im Streichersatz erfahren lässt. Der Proportionalitätsfaktor zwischen den<br />

drängenden Holzbalken und den schleppenden Streichern liegt zwischen 1,125 und 1,096<br />

(Vgl. Anhang XI). 249 Auf diese Weise verlangsamt sich das bereits ger<strong>in</strong>ge Ausgangstempo<br />

so weit, dass die Zeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Zwischenaktmusik“ fast stillzustehen sche<strong>in</strong>t. Ähnlich wie<br />

<strong>Schubert</strong>s „himmlische Länge“ sche<strong>in</strong>t Zen<strong>der</strong> hier erneut den Versuch zu unternehmen, die<br />

Zeit zum Stillstand br<strong>in</strong>gen zu wollen, gleichzeitig aber auch jede Sicherheit, jede gewohnte<br />

Struktur durch den E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> Holzbalken regelrecht zu „zerschlagen“. Dem <strong>in</strong>neren<br />

Aufbruchswillen des Subjekts wird die äußere Begrenzung entgegengesetzt. „Als noch die<br />

Stürme tobten“ war <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er so elend nicht, doch die Auflehnung des Subjekts ist<br />

nie<strong>der</strong>geschlagen. Der Mensch <strong>der</strong> Restaurationszeit unterliegt dem Metternischen Regime,<br />

<strong>der</strong> Mensch <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne den Zwängen und Wirren e<strong>in</strong>er sich ihm entziehenden Welt.<br />

Das chromatische Abs<strong>in</strong>ken <strong>von</strong> d-Moll (<strong>Schubert</strong>s autographer Tonart) zu h-Moll (jener <strong>von</strong><br />

<strong>Schubert</strong> revidierten Tonart) unterstützt den „Fall“ des Subjekts <strong>in</strong>s Halt- und Bodenlose.<br />

<strong>Die</strong>ses Vorgehen wurde jedoch bereits <strong>in</strong> Kapitel IV.3.A (Zyklusbildung und<br />

Tonartendisposition) dargestellt und soll daher hier nicht näher ausgeführt werden.<br />

<strong>Die</strong> Post<br />

Neben <strong>der</strong> onomatopoetischen Schil<strong>der</strong>ung des Herannahens <strong>der</strong> Post mittels <strong>der</strong><br />

Raumklangwirkung und <strong>der</strong> <strong>in</strong>strumentalen Verdeutlichung <strong>der</strong> Dur-Moll-Konfrontationen<br />

248 Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 52.<br />

249 Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 52.<br />

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stellt Zen<strong>der</strong> die Textvermittlung durch Tempovarianz <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund. Jede<br />

Enttäuschung, im wahrsten S<strong>in</strong>ne des Wortes Ent-Täuschung, Desillusionierung, ist mit e<strong>in</strong>er<br />

Tempoverlangsamung verbunden; <strong>der</strong> Gedanke an die Liebste führt zur Acceleration. Es<br />

sche<strong>in</strong>t, als zeichne Zen<strong>der</strong> die Erregungskurve des aufgewühlten Wan<strong>der</strong>ers nach, <strong>der</strong><br />

animiert durch die akustischen Stimuli des Posthorns zwischen erneut aufkeimen<strong>der</strong><br />

Hoffnung und resignativer E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Hoffnungslosigkeit schwankt. Je näher die Post<br />

(vers<strong>in</strong>nbildlicht durch das sich akustisch und visuell nähernde Hornsignal) kommt, desto<br />

stärker ist die Aufregung des Wan<strong>der</strong>ers zu spüren. Der Text thematisiert das Herz des<br />

Wan<strong>der</strong>ers, Stahmer sieht daher die Tempowechsel als „e<strong>in</strong>e dem mediz<strong>in</strong>ischen EKG<br />

abgelauschte Pulsfrequenz-Kurve mit zunehmen<strong>der</strong> Tendenz <strong>in</strong> Richtung auf absoluten<br />

Stillstand.“ 250 Zur Verdeutlichung dieser Annahme sei auf die graphische Darstellung <strong>der</strong><br />

Tempi <strong>in</strong> Anhang XII verwiesen. Zusätzlich gestaltet Zen<strong>der</strong> die Resignation durch Reduktion<br />

<strong>der</strong> Instrumentation nach den Generalpausen (T. 49; T. 96). In beiden Fällen handelt es sich<br />

um jene Stellen, welche <strong>Schubert</strong> mit dem Umbruch <strong>von</strong> Maggiore zu M<strong>in</strong>ore versehen hat,<br />

dem Wandel <strong>von</strong> objektivem Schil<strong>der</strong>ungsmoment zum E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die <strong>in</strong>nersten<br />

Gemütsgründe des Wan<strong>der</strong>ers. Auch hier „liest“ Zen<strong>der</strong> <strong>Schubert</strong> genau. Er lässt die<br />

Instrumentation <strong>in</strong> jenem Augenblick zunehmen, <strong>in</strong> dem das Herz „so wun<strong>der</strong>lich zu drängen“<br />

beg<strong>in</strong>nt. <strong>Die</strong> Vergeblichkeit des Rückblicks unterstreicht er <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Dur-Moll-<br />

Konfrontation (T. 96) durch die funerale Satztechnik und Klangfarbe <strong>der</strong> tiefen Holzbläser.<br />

Indem Zen<strong>der</strong> die Textzeile im Folgenden noch e<strong>in</strong>mal unter Verstärkung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>gstimme<br />

und <strong>der</strong> Beimischung <strong>von</strong> Hall wie<strong>der</strong>holt, betont er durch die Verzerrung erneut die<br />

Vergeblichkeit <strong>der</strong> Hoffnungen. In dem gedehnten Nachspiel greift Zen<strong>der</strong> auf die<br />

Posthornklänge zurück, bevor er den <strong>in</strong>strumentalen Satz ausdünnt und ihn schließlich im<br />

Piano mit Pizzicatoklängen <strong>der</strong> Streicher verkl<strong>in</strong>gen lässt. Das Aufbäumen des Herzens, die<br />

leidenschaftliche Affektion durch den Posthornklang konnte die Entfremdung des Wan<strong>der</strong>ers<br />

nicht auflösen. Der Bruch mit <strong>der</strong> Geliebten ist endgültig besiegelt. Nun bleiben ihm <strong>von</strong> den<br />

drei Sonnen, die ihm e<strong>in</strong>st <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben schienen (Glaube, Liebe, Hoffnung) nur noch<br />

zwei. <strong>Die</strong> „Nebensonnen“ erweisen sich nach und nach als Trugbil<strong>der</strong>, doch vermag selbst die<br />

eigentliche Sonne den Weg des Wan<strong>der</strong>ers noch zu erleuchten? <strong>Die</strong>s sei schließlich im<br />

Anschluss an die Analyse des Zyklus zu diskutieren.<br />

250 Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 53.<br />

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Der stürmische Morgen<br />

„Der stürmische Morgen“, <strong>der</strong> signifikanter Weise nur den Wan<strong>der</strong>er, nicht aber die<br />

Menschen, die dort <strong>in</strong> ihren „Betten schnarchen“, tangiert, sche<strong>in</strong>t durch die erweitertete<br />

W<strong>in</strong>dmetapher <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Lied 2, tonal h<strong>in</strong>gegen auch mit Nr.1 zu korrespondieren,<br />

da beide <strong>in</strong> d-moll stehen. <strong>Die</strong>s ist <strong>von</strong> Müllers Textvorlage her leicht ersichtlich. Der <strong>in</strong><br />

„Gute Nacht“ aus dem Dorf „vertriebene“, mit dem <strong>der</strong> W<strong>in</strong>d gleich e<strong>in</strong>er „Wetterfahne“<br />

spielt, während die Menschen im Dorf unberührt, vom Sturm nicht ergriffen, schlafen,<br />

ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> allen drei Lie<strong>der</strong>n als auf sich alle<strong>in</strong>e gestellt. Er nimmt Abstand <strong>von</strong> den<br />

schlafenden Zeitgenossen, wählt das Exil freiwillig, da er nicht mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong><br />

übrigen Gesellschaftsmitglie<strong>der</strong> konform geht. Damit gibt er auch die Geborgenheit <strong>der</strong><br />

menschlichen Geme<strong>in</strong>schaft auf, setzt sich dem W<strong>in</strong>d aus, doch sagt er selbst, dass ihm die<br />

Welt <strong>der</strong> Stürme lieber ist, wahrer ersche<strong>in</strong>t („Als noch die Stürme tobten, war ich so elend<br />

nicht.“) als jene Ruhe, die durch Handlungsunfähigkeit und Resignation erkauft se<strong>in</strong> mag. <strong>Die</strong><br />

Konsequenz ist <strong>der</strong> Versuch, <strong>der</strong> Welt mutig entgegenzutreten. Dem Hörer schlägt daher e<strong>in</strong><br />

akustisches Kont<strong>in</strong>uum des Dauerregens entgegen. <strong>Die</strong> prasselnden Trommelwirbel, <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> Regenbleche, die rauschenden Streicherklänge - sie alle bieten die Grundlage für<br />

e<strong>in</strong>e vom Sturm „zerrissene“ Umdeutung des <strong>Schubert</strong>schen Orig<strong>in</strong>als. Gleich zu Beg<strong>in</strong>n<br />

dehnt Zen<strong>der</strong> das Vorspiel durch das Zerreißen <strong>der</strong> Melodiel<strong>in</strong>ie. Selbst <strong>der</strong> W<strong>in</strong>d kann nicht<br />

ungestört wehen. Dem entsprechen die E<strong>in</strong>fügungen <strong>von</strong> Pausen <strong>in</strong> die S<strong>in</strong>gstimme, die Worte<br />

zerteilen, Sprachfetzen durch den Raum wehen lassen und durch ihr Auftreten die<br />

rhythmischen Fügungen außer Kraft setzten und auf diese Weise immer wie<strong>der</strong> nach dem<br />

E<strong>in</strong>schub <strong>von</strong> zusätzlichen Takten verlangen. <strong>Die</strong> Sprach- und Kommunikationsfähigkeit<br />

leidet unter dem aufbrausenden W<strong>in</strong>d, <strong>der</strong> das S<strong>in</strong>nverständnis zu kolportieren sucht. Dem<br />

Hörer weht er <strong>in</strong> den Takten 14f. <strong>in</strong> 32stel-Sechstolen <strong>in</strong> den Holzbläsern, gespielt mit<br />

Flatterzunge, entgegen, was e<strong>in</strong>e Verstärkung <strong>von</strong> <strong>der</strong> durch <strong>Schubert</strong> angelegten<br />

Triolenbewegung darstellt. <strong>Die</strong> Glissandi <strong>der</strong> Streicher und die Wirbel <strong>der</strong> Pauken verstärken<br />

diesen Ausdruck. Der Sturm steigert sich <strong>in</strong> den folgenden Takten, wird durch dynamische<br />

Bewegungen <strong>von</strong> forte bis piano unterstützt und führt zur permanenten Unterbrechung des<br />

Sprach- und Melodieflusses. So sehr <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er auf den Sturm gehofft und die Ruhe <strong>der</strong><br />

schnarchenden Menschen verachtet hat, so wird doch hier auch gerade durch Zen<strong>der</strong>s<br />

Interpretation deutlich, dass er dem Sturm alle<strong>in</strong>e nicht standhalten kann, dass se<strong>in</strong>e Worte<br />

verweht werden, er sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt nicht mehr zu artikulieren vermag.<br />

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Der Wegweiser<br />

Wenngleich <strong>der</strong> Titel die Assoziation <strong>von</strong> Orientierung aufzublenden sche<strong>in</strong>t, so ist es doch<br />

viel eher das Gegenteil, welches <strong>in</strong> diesem Lied zum Ausdruck gebracht wird und es <strong>in</strong> die<br />

Nähe <strong>der</strong> Lie<strong>der</strong> „Irrlicht“ und „Täuschung“ rückt. Mit diesen geme<strong>in</strong> ist ihm auch <strong>der</strong><br />

resignative Zwang zur Wan<strong>der</strong>schaft. <strong>Schubert</strong> sucht die Unmöglichkeit des Entr<strong>in</strong>nens aus<br />

<strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>schaft durch se<strong>in</strong>e vielfach analysierte und <strong>in</strong> Harmonielehren immer wie<strong>der</strong><br />

beispielhaft verwiesenen harmonischen W<strong>in</strong>dungen und Irrwege aufzuzeigen. <strong>Die</strong> Reaktionen<br />

auf diese Vorgaben <strong>Schubert</strong>s fallen bei Zen<strong>der</strong> jedoch weniger <strong>in</strong>s Gewicht. Er konzentriert<br />

sich auf die Hervorhebung des Wan<strong>der</strong>motivs und die Notenwertprolongation. Auf diese<br />

Weise versucht er e<strong>in</strong>mal mehr die Divergenz zwischen Außen- und Innenwelt darzustellen.<br />

Dem Ruhebedürfnis, welches Ausdruck <strong>in</strong> <strong>der</strong> Augmentation <strong>der</strong> Notenwerte f<strong>in</strong>det, wird <strong>der</strong><br />

repetierende Achtelrhythmus des stetigen „Wan<strong>der</strong>n-müssens“ entgegengesetzt. <strong>Die</strong><br />

Trostlosigkeit und Ausweglosigkeit zeigt sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Orchesterbesetzung, die sich<br />

zunächst ausschließlich aus tiefen Streichern und Bläsern speist und somit e<strong>in</strong>e melancholisch<br />

funerale Anmutung gew<strong>in</strong>nt. Der Maggioreteil (T. 22f.) erhellt den dunklen Satz, gibt <strong>der</strong><br />

illusionären Weltentflohenheit des Dur e<strong>in</strong>en lyrisch choralhaften Ton. <strong>Die</strong> pulsierende<br />

Achtelbewegung setzt dabei im gesamten Lied nicht aus. Sie läuft wie e<strong>in</strong> Perpetuum Mobile<br />

auch gegen die zur Erstarrung führenden Prolongationen an. <strong>Die</strong> Notenwerte verlieren nach<br />

und nach ihre Kraft des dynamischen Flusses. Gerade ab Takt 55 ist die zunehmende<br />

Verlängerung <strong>der</strong> Notenwerte markant. Zen<strong>der</strong> adaptiert dieses Vorgehen zwar <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>,<br />

zentriert den Gedanken des Verlustes kle<strong>in</strong>er Notenwerte und das Erstarren aber durch die<br />

Ausdünnung des Orchesters. <strong>Die</strong> Abwechslung <strong>der</strong> Klangfarben <strong>in</strong>nerhalb dieser stereotypen<br />

Repetitionen kritisiert Nonnenmann wie folgt:<br />

„Er (Zen<strong>der</strong>) nimmt ihnen ihre unerträgliche Monotonie, mit <strong>der</strong> <strong>Schubert</strong> den unausweichlich letzten<br />

Gang e<strong>in</strong>es jeden Menschen darzustellen suchte.“ 251<br />

Sicherlich belebt <strong>der</strong> Klangfarbenwechsel die Repetitionen, aber er verdeutlicht auch die<br />

Unmöglichkeit des Entr<strong>in</strong>nens, <strong>in</strong>dem sich ke<strong>in</strong> Musiker (<strong>der</strong> Sänger e<strong>in</strong>geschlossen) dem<br />

Achtelrhythmus zu entziehen vermag. Zen<strong>der</strong> führt die Prolongation <strong>der</strong> Notenwerte<br />

konsequent zu Ende, dehnt die Notenwerte <strong>in</strong> den letzten Takten über die Vorgaben h<strong>in</strong>aus.<br />

Nach dem Verschw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> repetierenden Achtelbewegung, welche <strong>in</strong> Takt 77 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Viertelrepetition mündete, lässt Zen<strong>der</strong> das Lied <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vierschlagnote des Akkordeons<br />

verkl<strong>in</strong>gen. Vielleicht ist dies bereits e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis darauf, dass auch Zen<strong>der</strong> den e<strong>in</strong>zigen<br />

251 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musiktheorie für das Musikleben, S. 80.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Ausweg im Tod sieht, doch dieser Gedanke ist am Ende dieses Kapitels noch e<strong>in</strong>mal<br />

aufzugreifen. Erwähnt werden soll h<strong>in</strong>gegen noch, dass Zen<strong>der</strong> nicht nur das harmonische<br />

Verwirrspiel <strong>Schubert</strong>s nicht akzentuiert, son<strong>der</strong>n auch das Stilmittel <strong>der</strong> Teufelsmühle 252 , e<strong>in</strong><br />

harmonisches Labyr<strong>in</strong>th, <strong>in</strong> welchem <strong>der</strong> Basslauf gegen die Tonrepetitionen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gesangsstimme chromatisch aufwärts schreitet (vgl. T. 56f.) und so e<strong>in</strong>e harmonische<br />

Zielsetzung verdunkelt, ebenfalls unberücksichtigt lässt.<br />

Mut!<br />

Während <strong>der</strong> Text Müllers e<strong>in</strong> letztes entschlossenes Aufbäumen des Subjekts nach dem<br />

Tiefpunkt <strong>der</strong> Depression <strong>in</strong> Lied 12 („E<strong>in</strong>samkeit“) vermittelt, lässt Zen<strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Bearbeitung ersichtlich werden, dass die Stürme, die sich <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er wünschte, se<strong>in</strong> neu<br />

aufkeimendes „Selbst-bewusstse<strong>in</strong>“, se<strong>in</strong> Mut, diesem Unwetter entgegenzutreten,<br />

fassadenhaft äußere Ersche<strong>in</strong>ungen s<strong>in</strong>d, mit denen die <strong>in</strong>nere Bef<strong>in</strong>dlichkeit des Wan<strong>der</strong>ers<br />

nicht kongruiert. Das vor<strong>der</strong>gründige Verhalten des Wan<strong>der</strong>ers sche<strong>in</strong>t wie „das S<strong>in</strong>gen im<br />

Wald, um sich die Angst zu vertreiben. Was bei <strong>Schubert</strong> im marschmäßigen G-Dur-Teil<br />

vor<strong>der</strong>gründig so keck und lustig kl<strong>in</strong>gt, ist dennoch untergründig Ausdruck tiefster<br />

Verzweiflung.“ 253 <strong>Die</strong>se Verzweiflung lässt sich <strong>in</strong> Zen<strong>der</strong>s Interpretation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Auflösung<br />

des Orig<strong>in</strong>als, <strong>in</strong> dessen „zerrissener“ Gestalt wie<strong>der</strong>f<strong>in</strong>den. <strong>Die</strong> Motive <strong>Schubert</strong>s fliegen<br />

dem Zuhörer entgegen, lassen ihn die <strong>in</strong>nere Verstörung des Wan<strong>der</strong>ers akustisch<br />

nachempf<strong>in</strong>den. <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>dmetapher, die <strong>in</strong> Lied 2 erstmalig anklang und sich <strong>in</strong> Lied 18<br />

steigerte, gipfelt nun <strong>in</strong> Lied 22. Konsequent zeigt Zen<strong>der</strong> die zunehmende Verstörung des<br />

Wan<strong>der</strong>ers durch die Entwicklung <strong>der</strong> W<strong>in</strong>dmetapher vom brausenden W<strong>in</strong>d zum alles<br />

zerstörenden Sturm. <strong>Die</strong> <strong>Schubert</strong>schen Motive ersche<strong>in</strong>en nur noch als „Fetzen [...], die auf<br />

die Folie e<strong>in</strong>es <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong> komponierten Kont<strong>in</strong>uums <strong>von</strong> akustischem Dauerregen<br />

aufgeklebt wurden.“ 254 Der W<strong>in</strong>d hat <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e solche Vehemenz erreicht, dass er den<br />

Wan<strong>der</strong>er nicht mehr „auss<strong>in</strong>gen“ lässt, ihn immer wie<strong>der</strong> zum Beg<strong>in</strong>n zurückwirft. <strong>Die</strong>ses<br />

beständige Zurückgeworfenwerden steht <strong>in</strong> direkter Verb<strong>in</strong>dung zur Suche nach harmonischer<br />

und metrischer Orientierung. Erst im vierten Anlauf gel<strong>in</strong>gt es, nach e<strong>in</strong>er Phase <strong>der</strong><br />

harmonischen Verwirrung (f-Moll, a-Moll, fis-Moll), zur <strong>Schubert</strong>schen Orig<strong>in</strong>altonart g-<br />

Moll vorzudr<strong>in</strong>gen und die erste Strophe nun endlich vollständig erkl<strong>in</strong>gen zu lassen. (Zur<br />

schematischen Übersicht <strong>der</strong> formalen Glie<strong>der</strong>ung sei auf Anhang XIII verwiesen.) Doch die<br />

252 Vgl. Budde, Elmar: <strong>Schubert</strong>s Lie<strong>der</strong>zyklen, S. 89.<br />

253 Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme?, S. 149.<br />

254 Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 48.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

tonale Konsolidierung besteht nur für acht Takte (T. 44-51). <strong>Die</strong> zweite Strophe wie<strong>der</strong>holt<br />

das harmonisch „suchende Verrücken und Verschieben“ 255 . Daher führt <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong><br />

Streicher (T. 52) nach gis-, jener <strong>der</strong> Bläser (T. 53) nach a-Moll, um schließlich <strong>in</strong> Takt 55, im<br />

weiterh<strong>in</strong> chromatischen Gang, nach b-Moll zu gelangen. Aber auch hier wird ke<strong>in</strong>e tonale<br />

Sicherheit gewonnen, so dass <strong>der</strong> Maggioreteil schließlich <strong>in</strong> E-Dur statt <strong>in</strong> G-Dur beg<strong>in</strong>nt (T.<br />

74). <strong>Die</strong>se harmonische Verwirrung „klärt“ Zen<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>e 13taktige Collage aus<br />

<strong>Schubert</strong>schen Motiven (T. 77-90). Zen<strong>der</strong> legt so beispielsweise <strong>in</strong> den Holzbläsern (T. 77f.)<br />

die orig<strong>in</strong>ale Melodie aus <strong>Schubert</strong>s T. 41 (A) über die Wie<strong>der</strong>holung des melodischen<br />

Duktus „gegen W<strong>in</strong>d und Wetter“ (B) und die rhythmischen Bauste<strong>in</strong>e des <strong>Schubert</strong>schen<br />

Taktes 41 (li. Hand) (C). In den Streichern greift Zen<strong>der</strong> erneut Motivteil B auf und unterlegt<br />

es mit dem Rhythmus <strong>der</strong> <strong>Schubert</strong>schen Klavierbegleitung <strong>in</strong> Takt 45f. (D). Zur<br />

Verdeutlichung dieser rhythmischen und melodischen Verwebung, die sich, aus selbigen<br />

Elementen speisend, bis Takt 90 kont<strong>in</strong>uiert, sei auf Anhang XIV.1 und 2 verwiesen. Hier<br />

s<strong>in</strong>d zum e<strong>in</strong>en die rhythmischen und melodischen Elemente verzeichnet, die Zen<strong>der</strong> aus <strong>der</strong><br />

<strong>Schubert</strong>schen Vorlage übernimmt (XIV.1) und diese zum an<strong>der</strong>en im Notentext Zen<strong>der</strong>s<br />

vermerkt (XIV.2).<br />

<strong>Die</strong>se Collage, die Zen<strong>der</strong> durch den E<strong>in</strong>satz <strong>von</strong> drei W<strong>in</strong>dmasch<strong>in</strong>en <strong>in</strong> ihrer Wirkungsweise<br />

unterstützt, führt zur Bere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> harmonischen Wirren und zur Etablierung des<br />

<strong>Schubert</strong>schen g-Moll, das schließlich, wie<strong>der</strong>um <strong>von</strong> klangmalerischen Elementen des<br />

W<strong>in</strong>des unterbrochen, <strong>in</strong> den G-Dur-Teil überführt wird. Der Satz sche<strong>in</strong>t nun vorerst<br />

transparenter, so wird die S<strong>in</strong>gstimme abwechselnd durch Bläser- und Streicherklang<br />

begleitet. Doch f<strong>in</strong>den sich auch hier signifikante E<strong>in</strong>griffe Zen<strong>der</strong>s, die dieser mit dem<br />

Term<strong>in</strong>us „Kontrafaktur“ bezeichnet und damit „frei erfundene Klänge zur <strong>Schubert</strong>schen<br />

Musik“ 256 bezeichnet, womit er den Begriff nicht im S<strong>in</strong>n <strong>der</strong> musikwissenschaftlichen<br />

Fachterm<strong>in</strong>ologie benutzt. <strong>Die</strong>se sogenannten „Kontrafakturen“ treten beispielsweise <strong>in</strong> Takt<br />

109 <strong>in</strong> den Streichern auf und gemahnen e<strong>in</strong>mal mehr an das Liedthema aus Nr.1 durch ihren<br />

abwärtsgerichteten Duktus. <strong>Die</strong> Botschaft des „Fremdse<strong>in</strong>s“ trägt diese Kontrafaktur somit <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en neuen Zusammenhang und lässt damit die Verb<strong>in</strong>dung zwischen Orts- und Gottlosigkeit<br />

aufsche<strong>in</strong>en, die gänzliche Vere<strong>in</strong>samung und Solipsie des Subjekts vers<strong>in</strong>nbildlichend. Auch<br />

die onomatopoetische „Kontrafaktur“ <strong>in</strong> Takt 121 steht nicht im luftleeren Raum. Sie er<strong>in</strong>nert<br />

an die Ausgestaltung <strong>der</strong> W<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Lied 18 (T. 14f.; T. 30f.). Der Aufruf, selber Götter zu se<strong>in</strong><br />

schließlich kl<strong>in</strong>gt durch die Aufsplittung des Satzes (T. 125f.) falsch, „wie <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em<br />

255 Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme, S. 152.<br />

256 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 222.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

defekten Tonträger vermittelt.“ 257 <strong>Die</strong> emphatische Wirkung des aufwärtsstrebenden<br />

Dreiklangs wird somit, ebenso wie <strong>der</strong> Mut des stürmenden und drängenden Subjekts,<br />

gebrochen. So verfährt Zen<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gestaltungsweise nur folgerichtig, wenn er das Lied im<br />

Sturm verwehen lässt, die Melodieelemente des <strong>Schubert</strong>schen Nachspiels aufbricht und, sie<br />

<strong>in</strong> col legno- und pizzicato-Klängen auflösend, <strong>der</strong> revolutionären Textaussage ihre<br />

Illusionshaftigkeit vor Augen führt. <strong>Die</strong> beständigen Taktbrüche tun hierzu ihr Übriges.<br />

Der Leiermann<br />

Zen<strong>der</strong> formuliert die Intention se<strong>in</strong>er Interpretation des „Leiermanns“ wie folgt:<br />

„Wird bei <strong>Schubert</strong> die W<strong>in</strong>terreise im zweiten Teil zunehmend zu e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem<br />

Tod, <strong>der</strong> Abschied <strong>von</strong> <strong>der</strong> Geliebten zu e<strong>in</strong>em Abschied vom Leben überhaupt, so zwang dies zu e<strong>in</strong>er<br />

beson<strong>der</strong>en Strategie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gestaltung des Schlusses. <strong>Die</strong> am Anfang trotz aller Verfremdung noch<br />

e<strong>in</strong>deutige Beziehung zum historischen Orig<strong>in</strong>al wird <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Bearbeitung immer labiler, die `heile<br />

Welt´ <strong>der</strong> Tradition verschw<strong>in</strong>det immer mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e nicht rückholbare Ferne. [...] Beim `Leiermann`<br />

endlich verschw<strong>in</strong>det außer <strong>der</strong> zeitlich metrischen Orientierung auch noch die harmonisch-räumliche<br />

Stabilität, <strong>in</strong>dem durch immer neu h<strong>in</strong>zugefügte Unterqu<strong>in</strong>ten (abgeleitet aus dem 4. Takt des <strong>Schubert</strong>-<br />

Liedes) die Gestalten ihre Standfestigkeit verlieren und am Schluss gleichsam `<strong>in</strong> die Erde s<strong>in</strong>ken`.“ 258<br />

Konnte man diese tendenziell sich steigernde Zerglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Schubert</strong>schen Vorlage schon<br />

<strong>in</strong> den Lie<strong>der</strong>n 18, 19 und 22 wahrnehmen, so lässt Zen<strong>der</strong> den Zyklus <strong>in</strong> Leere und<br />

Vere<strong>in</strong>samung enden. Der Klang erstirbt, entzieht sich optisch (Abgang <strong>der</strong> Musiker) und<br />

akustisch (Ausdünnung des Satzes). <strong>Die</strong>s wird durch die Rücktransposition <strong>in</strong> die<br />

Orig<strong>in</strong>altonart h-Moll unterstützt, die sich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Ausgangstonart d-Moll une<strong>in</strong>holbar<br />

entfernt (vgl. Kapitel VI.3.A. – Zyklusbildung und Tonartendisposition) und somit die<br />

zyklische <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Spiralgestalt umgebogen hat (vgl. Kapitel II.3.C. – S<strong>in</strong>n und<br />

Zielkonfiguration). „Abgeleitet aus den leeren Qu<strong>in</strong>ten des <strong>Schubert</strong>-Lieds baut Zen<strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

aus hoher Lage absteigendes Qu<strong>in</strong>tfeld <strong>von</strong> gis´´´(Picc) bis zum Kontra d (Fag) mit h als<br />

Mittelpunkt auf.“ 259 <strong>Die</strong>ses Qu<strong>in</strong>tfeld f<strong>in</strong>det sich erneut im <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong> frei h<strong>in</strong>zugefügten<br />

Nachspiel, wo es aber „alle chromatischen Töne enthält und so e<strong>in</strong> gespreiztes Cluster<br />

bildet,“ 260 <strong>der</strong> sich durch die Abgänge <strong>der</strong> Musiker und das Ausdünnen des Satzes allmählich<br />

auflöst, den Wan<strong>der</strong>er ebenso im Nichts verschw<strong>in</strong>den lässt wie er zu Beg<strong>in</strong>n aus dem Nichts<br />

erschienen war. <strong>Die</strong> Konturen, die sich anfänglich verschärften, verblassen nun.<br />

<strong>Die</strong> volkstümliche Instrumentenauswahl, die den Gesang zunächst begleitet und sich auf<br />

Klar<strong>in</strong>ette, Sopransaxophon, Akkordeon, Gitarre, Viol<strong>in</strong>en und Bratschen beschränkt,<br />

257 Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme, S. 152.<br />

258 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 222-223.<br />

259 Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme?, S. 149.<br />

260 Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme?, S. 149.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

verweist erneut auf Zen<strong>der</strong>s Bruch <strong>von</strong> Schönklang durch den Topos <strong>der</strong> Überhöhung. <strong>Die</strong><br />

Auflösung des Orig<strong>in</strong>als und dessen Allgegenwart zeigt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> konsequenten Permutation<br />

<strong>der</strong> „Leiermann-Melodie“, die <strong>in</strong> verschiedenen rhythmischen Verschiebungen zutage tritt<br />

(vgl. Anhang XV). Der Abschied ist <strong>in</strong> Zen<strong>der</strong>s Version des „Leiermanns“ deutlich<br />

formuliert. Sicherlich lässt sich die Anlage für se<strong>in</strong>e Gestaltung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorlage <strong>Schubert</strong>s<br />

f<strong>in</strong>den, doch stellt sich die Frage, ob Zen<strong>der</strong> hier nicht über die <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong> <strong>in</strong>tendierte<br />

Aussage h<strong>in</strong>ausgegangen ist, den Zyklus womöglich se<strong>in</strong>er Offenheit durch e<strong>in</strong>dimensionale<br />

Festlegung beraubt hat. <strong>Die</strong>ser Gedanke tritt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beschäftigung mit <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong><br />

<strong>Schubert</strong>s im Allgeme<strong>in</strong>en und jener Zen<strong>der</strong>s im Speziellen nur recht selten zutage. Klaus<br />

H<strong>in</strong>rich Stahmer ist e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Wenigen, die dies <strong>in</strong> ähnlicher Weise fassen:<br />

„Man kann die Disproportionalität, die durch <strong>Schubert</strong>s Vermeiden <strong>von</strong> musikalischer Gestalt im<br />

Schlusslied ausgelöst wird, auch als offenen Schluß sehen. Dem läuft die quasi-s<strong>in</strong>fonische<br />

Ausarbeitung Zen<strong>der</strong>s zuwi<strong>der</strong>, <strong>in</strong>dem sie das Schlusslied im S<strong>in</strong>n des Abschieds [...] formuliert. <strong>Die</strong>s<br />

wäre <strong>in</strong>dessen wohl die e<strong>in</strong>zige Stelle, wo die Ausarbeitung direkt <strong>in</strong>s Gegenteil dessen umschlägt, was<br />

<strong>von</strong> <strong>Schubert</strong> <strong>in</strong>tendiert wurde.“ 261<br />

Sicherlich weist die Musik <strong>Schubert</strong>s durch die starren Qu<strong>in</strong>ten und die repetierten<br />

Melodiemuster auf Erstarrung h<strong>in</strong>. Auch wurde die Figur des Leiermanns <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur<br />

häufig als Tod gedeutet und die W<strong>in</strong>terreise somit als Reise <strong>in</strong> den Tod betrachtet. <strong>Die</strong>se<br />

Betrachtungsweise sche<strong>in</strong>t allerd<strong>in</strong>gs unschlüssig. <strong>Die</strong> starre Bewegung <strong>der</strong> Leier sche<strong>in</strong>t<br />

nicht ausschließlich als negatives, erstarrendes Moment begreifbar, denn die Kreisbewegung<br />

beleuchtet auch die Zirkularität, den Kreislauf des Lebens, Beg<strong>in</strong>n und Ende. 262 Aufgrund<br />

dieser Ausführung ist es möglich, den Leiermann erneut als den „Tod“ zu deuten, <strong>der</strong> den<br />

Lebenszyklus des Wan<strong>der</strong>es beendet, doch kann gerade auch hier e<strong>in</strong> neuer Aufbruch<br />

beg<strong>in</strong>nen. Wenngleich <strong>der</strong> Leiermann isoliert und <strong>von</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft ausgeschlossen<br />

ersche<strong>in</strong>t („ke<strong>in</strong>er mag ihn hören, ke<strong>in</strong>er sieht ihn an“), so nimmt <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er doch<br />

erstmalig im gesamten Zyklus Kontakt zu e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Individuum auf, e<strong>in</strong>em Menschen,<br />

<strong>der</strong> ihm ähnlich ist, <strong>der</strong> die gleichen Sorgen und Nöte erlebt. <strong>Die</strong> Musik verb<strong>in</strong>det sie, <strong>der</strong><br />

Leiermann geht auf das „Angebot“ des Wan<strong>der</strong>ers e<strong>in</strong>, zu dessen Lie<strong>der</strong>n se<strong>in</strong>e Leier zu<br />

drehen (akustisch durch die Zusammenkunft <strong>der</strong> Stimmen wahrzunehmen). Zudem ist im<br />

Zyklus häufig hervorgetreten, dass <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er sich nach Tod und Ruhe sehnte, diese aber<br />

nicht f<strong>in</strong>den konnte, ihm <strong>der</strong> Tod folglich verwehrt war (Vgl. Kapitel II.3. – Wenn die Heimat<br />

zur Fremde wird – Müllers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>) Aus welchem Grund sollte diese Konfiguration so<br />

schnell und unmotiviert <strong>in</strong> ihr Gegenteil verkehrt werden? Es erschließt sich ke<strong>in</strong>e logische<br />

261 Stahmer, Klaus H<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation, S. 55.<br />

262 Vgl.: Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise, S. 120f.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

Erklärung für e<strong>in</strong>e solche Betrachtungsweise. Daher sollte e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>seitige Festlegung des<br />

Zyklusendes vermieden werden. Sicher ist, dass am Ende e<strong>in</strong> neuer Aufbruch steht; wie dieser<br />

sich jedoch gestaltet, ist <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Interpretation des Rezipienten zu überlassen und<br />

nicht zu determ<strong>in</strong>ieren.<br />

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- JANINE 5 CHRISTGEN<br />

<strong>Schubert</strong>, Zen<strong>der</strong>, Neumeier – Treffpunkt Zukunft?<br />

Zen<strong>der</strong>, als e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>jenigen, <strong>der</strong> sich, wie sich gezeigt hat, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e lange <strong>Rezeption</strong>stradion<br />

e<strong>in</strong>fügt, gleichzeitig aber se<strong>in</strong>e persönliche „lecture“ <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Interpretation zum Ausdruck<br />

br<strong>in</strong>gt, geht es folglich nicht um „e<strong>in</strong>e konservative Aneignung des Gewesenen, son<strong>der</strong>n<br />

vorrangig um e<strong>in</strong>e Durchleuchtung <strong>von</strong> dessen Zukunftsgehalt, <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Vergangenheit <strong>in</strong><br />

die Gegenwart h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>reicht.“ 263 Wodurch die Überzeitlichkeit des Sujets bed<strong>in</strong>gt ist, wurde<br />

bereits <strong>in</strong> Kapitel II thematisiert. Es s<strong>in</strong>d sicherlich grade diese Gedanken, die Zen<strong>der</strong> zu e<strong>in</strong>er<br />

Interpretation <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise bewogen haben. <strong>Die</strong> positiven bis euphorischen Reaktionen <strong>von</strong><br />

Presse und Publikum spiegeln, welche große Relevanz das Sujet <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Zeit hat, und<br />

dass es nichts <strong>von</strong> se<strong>in</strong>er Aktualität e<strong>in</strong>gebüßt zu haben sche<strong>in</strong>t. Dass beson<strong>der</strong>s Zen<strong>der</strong>s<br />

Werk aber e<strong>in</strong>e Brücke <strong>in</strong> die Zukunft zu schlagen vermag, zeigt sich an <strong>der</strong> <strong>Rezeption</strong>sflut,<br />

die se<strong>in</strong> Werk auslöste. Kommentare, Kurzanalysen und Rundfunksendungen, Adaptionen für<br />

den schulischen Musikunterricht entstanden und nicht zuletzt John Neumeiers Ballett,<br />

welches er zu Zen<strong>der</strong>s Interpretation im Jahre 2001 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hamburgischen Staatsoper zur<br />

Aufführung brachte. Auch diese Inszenierung wurde begleitet <strong>von</strong> enthusiastischen<br />

Reaktionen seitens des Publikums und <strong>der</strong> Presse. Neumeiers Inszenierung zentriert dabei die<br />

Gedanken, welche auch Zen<strong>der</strong>s W<strong>in</strong>terreise zugrunde liegen und setzt das Sujet<br />

choreographisch <strong>in</strong> die Mo<strong>der</strong>ne. Neumeiers Auffassung <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise spiegelt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Aussage: „<strong>Schubert</strong>s Lie<strong>der</strong>zyklus ist nicht romantisch, „it´s mo<strong>der</strong>n and it´s very present.“ 264<br />

Schon das Bühnenbild reflektiert diese zentralen Gedanken. (Zur visuellen<br />

Vergegenwärtigung des Geschil<strong>der</strong>ten sei auf die im Anhang XVI angefügten Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Inszenierung Neumeieres h<strong>in</strong>gewiesen.) Im H<strong>in</strong>tergrund erblickt <strong>der</strong> Rezipient e<strong>in</strong>e riesige<br />

Photowand mit Bil<strong>der</strong>n aus den K<strong>in</strong>dheitstagen <strong>der</strong> 13 Tänzer. Vergangenheit, Gegenwart und<br />

Zukunft fließen zusammen. <strong>Die</strong> Lebensreise des Wan<strong>der</strong>ers, <strong>der</strong> Akteure, <strong>der</strong> Zuschauer<br />

blickt auf Relikte e<strong>in</strong>er nicht mehr wie<strong>der</strong>herzustellenden Zeit auf die aktuelle Situation.<br />

Während all dies geschieht, vergeht Zeit, bricht schon die Zukunft an, wird Klang und<br />

Choreographie zu erlebter Zeit, die Impulse für die Zukunft setzten will, aufrütteln, bewegen<br />

aus <strong>Rezeption</strong>sgewohnheiten zu befreien sucht. Neumeier lässt zu <strong>der</strong> Musik Zen<strong>der</strong>s<br />

Episoden entstehen, die vere<strong>in</strong>zelte Subjekte zeigen und dieser Vere<strong>in</strong>zelung gleichzeitig<br />

durch ihren Episodencharakter Ausdruck verleihen. Verb<strong>in</strong>dend führt e<strong>in</strong>zig <strong>der</strong> Tänzer <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em übergroßen Pullover und Brille durch die dunklen und teilweise beklemmend<br />

263 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S. 70.<br />

264 Neumeier, John: Irritierende Aktualität. www.hamburgballett.de<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

anmutenden Bil<strong>der</strong>. Das Orchester mitten auf <strong>der</strong> Bühne positioniert und über e<strong>in</strong>en Steg mit<br />

<strong>der</strong> verschneiten Bühne verbunden, kann mit Zen<strong>der</strong>s onomatopoetischer musikalischer<br />

Sprache nicht deutlicher akzentuieren, was Neumeier hier choreographisch umsetzt: Kälte,<br />

Erstarrung und Solipsie, zum Ausdruck gebracht durch die 13 Tänzer, die Menschen mit<br />

verschiedenen Habiten darstellen und doch alle fremd <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umgebung wirken.<br />

„Da gibt es den gealterten Dressman ebenso wie die wohlsituierte Dame, den notorischen<br />

Existentialisten wie das sche<strong>in</strong>fröhliche Mädchen, den <strong>von</strong> Zweifeln unangekränkelten Bus<strong>in</strong>essman<br />

und die traurige Unnahbare, die skeptische Beobachter<strong>in</strong> und, als historische Rem<strong>in</strong>iszenz, offenkundig<br />

aber als Blickfang, e<strong>in</strong> Paar wie aus dem Dreimä<strong>der</strong>lhaus: e<strong>in</strong> Herr <strong>in</strong> Frack und Zyl<strong>in</strong><strong>der</strong>, <strong>der</strong> immer<br />

wie<strong>der</strong> wegzuknicken droht, und e<strong>in</strong>e süße Blonde im Bie<strong>der</strong>meier-Kleid, <strong>der</strong>en niedliches Getrappel<br />

urplötzlich erstirbt. Sie alle s<strong>in</strong>d E<strong>in</strong>zelgänger. Ihre Bewegungen s<strong>in</strong>d gefroren, tauen auf wie<br />

Er<strong>in</strong>nerungen, unternehmen dann Ausflüge <strong>in</strong> Makellosigkeit.“ 265<br />

<strong>Die</strong> alle Episoden vermittelnde Hauptperson erfährt so gesellschaftliche Kälte,<br />

Verschlossenheit <strong>der</strong> Welt und Vere<strong>in</strong>samung am eigenen Leib ebenso, wie <strong>der</strong> Beobachter.<br />

„Reduzierte Bewegungssprache und beklemmende Bil<strong>der</strong>“ 266 wirft Neumeier dem<br />

Rezipienten entgegen. Das reduzierte Bühnenbild kongruiert mit den Bewegungen. E<strong>in</strong>e<br />

Straßenlaterne als „Assoziation <strong>von</strong> Unwirtlichkeit und auf <strong>der</strong> Straße se<strong>in</strong>.“ 267 E<strong>in</strong> Bild, dass<br />

Neumeier ähnlich jenem betrachtet, das e<strong>in</strong>st die Telefonzelle vermittelte, als Mobiltelefone<br />

noch ke<strong>in</strong>e allgegenwärtige Kommunikation ermöglichten. Es ist das „Gefühl <strong>der</strong> Isolation<br />

und des Ausgesperrtse<strong>in</strong>s, e<strong>in</strong> Synonym für Unterwegsse<strong>in</strong> und gleichzeitig e<strong>in</strong> Signal für den<br />

tiefen Wunsch nach Kommunikation, Nähe, <strong>in</strong>niger Zwiesprache.“ 267 Neumeier po<strong>in</strong>tiert<br />

diesen Gedankengang <strong>in</strong> <strong>der</strong> abschließenden Bemerkung:<br />

„Es ist <strong>der</strong> Verlust des Vertrauten und auch vielleicht des Vertrauensvollen, den wir so stark spüren,<br />

damals wie heute. Irgendwie ist es, als fühle man Symptome, aber kenne die Krankheit nicht. <strong>Die</strong><br />

`W<strong>in</strong>terreise´ konfrontiert uns mit e<strong>in</strong>er sehr extremen Form <strong>von</strong> Exil … dem Exil <strong>in</strong> sich selbst,<br />

verloren gegangen, mitten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt.“ 268<br />

Das Sujet hat also nicht an Relevanz verloren, es spiegelte, spiegelt und wird immer Ängste<br />

und Nöte e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> die Krise geratenen „Selbst-bewusstse<strong>in</strong>s“ spiegeln. <strong>Schubert</strong>s<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, e<strong>in</strong> Werk, das <strong>in</strong> die Zukunft weist und durch Zen<strong>der</strong>s Aktualisierung <strong>der</strong><br />

teilweise zum re<strong>in</strong>en Genuss verkommenen Klassiker-<strong>Rezeption</strong> die „Urimpulse, die<br />

existentielle Wucht des Orig<strong>in</strong>als“ 269 wie<strong>der</strong>zugeben sucht.<br />

265 Edith Boxberger, Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>e Zeitung. www.hamburgballett.de<br />

266 ARD Tagesthemen. www.hamburgballett.de<br />

267 Neumeier, John: Irritierende Aktualität. www.hamburgballett.de.<br />

268 Neumeier, John: Irritierende Aktualität. www.hamburgballett.de.<br />

269 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 223.<br />

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- JANINE VI CHRISTGEN<br />

Schlussbetrachtung<br />

„Das Wesen <strong>der</strong> Zeit ist das Maß des Gewordenen <strong>in</strong> immer währen<strong>der</strong> Bewegung“ 270 . Durch<br />

dieses Zitat des Philosophen Xenokrates zeigt sich für Zen<strong>der</strong>, dass das Vergangene nur <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Bewegung, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er vitalen Erneuerung, lebendig ist. Um <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er „existentiellen<br />

Wucht“ zum Rezipienten zu sprechen, sucht Zen<strong>der</strong> das Werk <strong>von</strong> se<strong>in</strong>er „ord<strong>in</strong>ären“<br />

<strong>Rezeption</strong>sweise zu befreien und den Hörer aus se<strong>in</strong>er passiven <strong>Rezeption</strong>shaltung zu<br />

dispensieren. Doch ist dies nur <strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvoller Weise möglich, wenn das Werk Konstituenten<br />

aufweist, die den heutigen Menschen ebenso betreffen, wie den <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit gelebt<br />

habenden und den <strong>in</strong> Zukunft lebenden. Wenn das Werk, se<strong>in</strong> Sujet und se<strong>in</strong><br />

Ausdruckspotential anthropologische Grundkonstanten berühren. Müllers Text, <strong>Schubert</strong>s<br />

Vertonung und Zen<strong>der</strong>s Aktualisierung <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> br<strong>in</strong>gen diese Faktoren zusammen.<br />

„<strong>Die</strong> Sprache <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong> ist Dialekt: aber es ist e<strong>in</strong> Dialekt ohne Erde. Er hat die<br />

Konkretion <strong>der</strong> Heimat; aber es ist ke<strong>in</strong>e Heimat hier, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e er<strong>in</strong>nerte.“ 271 Auf diese<br />

Weise thematisiert Adorno das spezifisch dichotomische <strong>der</strong> <strong>Schubert</strong>schen Musik. <strong>Die</strong>se<br />

br<strong>in</strong>gt zum Ausdruck, wo<strong>von</strong> die <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> spricht: Entfremdung des Menschen <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Natur, <strong>von</strong> <strong>der</strong> Objektwelt. <strong>Die</strong> Hoffnung auf und Sehnsucht nach dem Vergangenen markiert<br />

<strong>Schubert</strong> <strong>in</strong> verheißungsvollen Durpassagen, die durch den E<strong>in</strong>bruch <strong>der</strong> Realität <strong>in</strong> Moll <strong>in</strong><br />

ihr Gegenteil verkehrt werden. Modulationen <strong>in</strong> entfernte Tonarten vermittels des<br />

<strong>Schubert</strong>akkordes (vgl. Kapitel 5.4.B.) zeigen die Brüche zwischen Innen- und Außenwelt,<br />

zwischen Mut und Resignation. <strong>Die</strong> Tonartendisposition lässt gleichfalls E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die<br />

Lesarten <strong>der</strong> Müllerschen <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> durch <strong>Schubert</strong>s zu. Mit diesem fe<strong>in</strong>en Geflecht<br />

musikalischer Disposition setzt sich Zen<strong>der</strong> ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Er f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprache <strong>Schubert</strong>s<br />

und <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>-Thematik, die dar<strong>in</strong> zum Ausdruck kommt, immanent zeitaktuelle<br />

Faktoren wie<strong>der</strong>, die er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ganz eigenen „Lesart“ umsetzt und dem Rezipienten näher<br />

zu br<strong>in</strong>gen sucht. Selbst wenn man nicht <strong>in</strong> allen Lesarten mit Zen<strong>der</strong> übere<strong>in</strong>stimmen mag,<br />

wenn mancher Bruch zu hart, manche Überhöhung zu scharf ersche<strong>in</strong>en mag, so führt er den<br />

Hörer doch zu e<strong>in</strong>em Ausbruch aus <strong>der</strong> gewohnten „Konsumhaltung“, lässt ihn durch<br />

<strong>Rezeption</strong>sbrüche provoziert o<strong>der</strong> motiviert eigene Assoziationen entwickeln, <strong>von</strong> Neuem<br />

über die Relevanz des Stoffes, die kunstvolle Umsetzung <strong>Schubert</strong>s s<strong>in</strong>nieren. Zen<strong>der</strong> rüttelt<br />

den Hörer auf, bietet Reibefläche. „Kunst muss Wi<strong>der</strong>stand leisteten“ 272 zentriert Gerhard<br />

Koch diesen Gedankengang, <strong>der</strong> selbiges auch über Neumeiers Ballett zu Zen<strong>der</strong>s Werk hätte<br />

270 Zen<strong>der</strong>, Hans: Alte Musik – Neue Musik, S. 15.<br />

271 Adorno, Theodor W.: <strong>Schubert</strong>, S. 29.<br />

272 Koch, Gerhard: Kunst muß Wi<strong>der</strong>stand leisten. www.breitkopf.de.<br />

79


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

schreiben können. Er sche<strong>in</strong>t damit die Me<strong>in</strong>ung <strong>von</strong> Presse und Publikum zu spiegeln, die<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Zen<strong>der</strong>s Interpretation feierten und sich somit als Subjekte <strong>in</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> wie<strong>der</strong>gefunden haben.<br />

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

VII Literaturverzeichnis<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

a) Notenmaterial<br />

Liszt, <strong>Franz</strong>: W<strong>in</strong>terreise. 12 Lie<strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong>, für Klavier<br />

überragen <strong>von</strong> <strong>Franz</strong> Liszt. In: Krause, Andreas (Hrsg.):<br />

Transkriptionen VI. Budapest: Ed. Musica 1995. (Neue Ausgabe<br />

sämtlicher Werke, Ser. 2, Bd. 21), S.98-146.<br />

<strong>Schubert</strong>, <strong>Franz</strong>: Neue Ausgabe sämtlicher Werke. [...] Serie IV: Lie<strong>der</strong>, Bd.4 –<br />

Teil a. Kassel: Bärenreiter [...] 1979.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. E<strong>in</strong>e komponierte Interpretation für<br />

Tenor und kle<strong>in</strong>es Orchester. [...] Wiesbaden: Breitkopf und<br />

Härtel 1996.<br />

b) Primärquellen<br />

Bloch, Ernst: Das Pr<strong>in</strong>zip Hoffnung. Frankfurt am Ma<strong>in</strong>: Suhrkamp 1979.<br />

Boulez, Pierre: Zeit, Notation und Kode. In: <strong>der</strong>s.: Musikdenken heute II, aus d.<br />

<strong>Franz</strong>. Übertragen v. Josef Häusler. Ma<strong>in</strong>z: Schott 1885.<br />

(Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik, 6), S.60-75.<br />

Busoni, Ferruccio: Entwurf e<strong>in</strong>er neuen Ästhetik <strong>der</strong> Tonkunst. Faks. e<strong>in</strong>er Ausg.<br />

<strong>von</strong> 1916 (= 2., erw. Ausg.) Leipzig: Insel 1974.<br />

Descartes, René: Meditationes de prima philosophia = Meditationen über die<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Philosophie. Late<strong>in</strong>isch-deutsch. 3. Aufl.<br />

Hamburg: Me<strong>in</strong>er 1992 (Philosophische Bibliothek, 250a).<br />

Eco, Umberto: Grenzen <strong>der</strong> Interpretation. München: Dtv 1995.<br />

Foucault, Michel: Was ist e<strong>in</strong> Autor?. In: Ders.: Schriften zur Literatur. Frankfurt<br />

am Ma<strong>in</strong>: Fischer-Taschenbuchverl. 1988, S. 7-31.<br />

Freud, Sigmund: Das Unheimliche. In: Ders.: Psychologische Schriften. Frankfurt<br />

am Ma<strong>in</strong>: Fischer-Taschenbuchverl. 1970. (Studienausgabe, 4).<br />

Hegel, Georg F.W.: Phänomenologie des Geistes. Nach <strong>der</strong> Ausg. Leipzig 1907.<br />

Köln: Könemann 2000.<br />

Hegel, Georg F.W.: Wissenschaft <strong>der</strong> Logik II – Erster Teil: <strong>Die</strong> Objektive Logik -<br />

Zweiter Teil: <strong>Die</strong> subjektive Logik. Auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong><br />

Werke <strong>von</strong> 1832-1848. 6. Aufl. Frankfurt am Ma<strong>in</strong>: Suhrkamp<br />

2003 (Werke, 6).<br />

Heidegger, Mart<strong>in</strong>: Unterwegs zur Sprache. 6. Aufl. Pfull<strong>in</strong>gen: Neske 1982.<br />

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

Ingarden, Roman: Das literarische Kunstwerk. 2. verb. u. erw. Aufl. Tüb<strong>in</strong>gen:<br />

Niemeyer 1960.<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. 4. Auflage.<br />

München: F<strong>in</strong>k 1994.<br />

Lukács, Georg: <strong>Die</strong> Theorie des Romans. E<strong>in</strong> geschichts-philosophischer<br />

Versuch über die Formen <strong>der</strong> großen Epik. 2. Aufl. München:<br />

Dtv 2000.<br />

Mann, Thomas: Der Zauberberg. Roman. Anhand <strong>der</strong> Erstausg. Berl<strong>in</strong> 1924 neu<br />

durchges. 4. Aufl. Frankfurt am Ma<strong>in</strong>: Fischer 2004.<br />

Müller, Wilhelm: Werke. Tagebücher. Briefe. [...] Berl<strong>in</strong>: Gatzka 1994. 6 Bände<br />

Müller, Wilhelm: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise und an<strong>der</strong>e Gedichte. Frankfurt am Ma<strong>in</strong>: Insel-<br />

Verl. 1986.<br />

Opitz, Mart<strong>in</strong>: Gesammelte Werke. Krit. Ausgabe. [...] Bd. 2, <strong>Die</strong> Werke <strong>von</strong><br />

1621 bis 1626: Teil 2. Stuttgart: Hiersemann 1979 (Bibliothek<br />

des Literarischen Vere<strong>in</strong>s <strong>in</strong> Stuttgart, 301).<br />

Picht, Georg: Kunst und Mythos. Vorlesungen und Schriften. 5. Aufl. Stuttgart:<br />

Klett/Cotta 1996.<br />

Rühm, Gerhard: „<strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise – Dah<strong>in</strong>terweise“. Neue Gedichte und<br />

Fotomontagen zu <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong>s Lie<strong>der</strong>zyklus. Klagenfurt:<br />

Ritter 1991.<br />

Sontag, Susan: Aga<strong>in</strong>st Interpretation and other essays. New York: Dell Publ.<br />

1966.<br />

Staiger, Emil: Musik und Dichtung. 5. erw. Aufl. Zürich: Atlantis-Musikbuch-<br />

Verl. 1986.<br />

Stockhausen, Karlhe<strong>in</strong>z: Musik und Graphik. In: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik,<br />

Bd. 3 1960, S. 18.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Über die Gänge <strong>der</strong> Musiker. In: Zen<strong>der</strong>, Hans: <strong>Schubert</strong>s<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. E<strong>in</strong>e komponierte Interpretation für Tenor und<br />

kle<strong>in</strong>es Orchester. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 1996.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Intuition, Zeit, Archaik – Vermutungen über Giac<strong>in</strong>to Scelesi.<br />

In: Ders.: Wir steigen niemals <strong>in</strong> denselben Fluß. Wie<br />

Musikhören sich wandelt. Freiburg: Her<strong>der</strong> 1996. S. 45-55.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Wir steigen niemals <strong>in</strong> denselben Fluß. Wie Musikhören sich<br />

wandelt. Freiburg: Her<strong>der</strong> 1996.<br />

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Das Mo<strong>der</strong>ne ist das Individuelle – Anmerkungen zur<br />

Musikkritik aus Sicht des Komponisten. In: Neue Musikzeitung<br />

Jg. 50 , H. 9 2001, S. 50.<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Vom fernen glück funktionieren<strong>der</strong> Teamarbeit – Hans Zen<strong>der</strong><br />

über neue Strukturen zwischen Komponist, Interpret und<br />

Wissenschaftler. <strong>in</strong>: Neue Musikzeitung Jg. 51, H. 12 2002, S.<br />

56.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken. Texte zur Musik 1975-2003. Wiesbaden:<br />

Breitkopf und Härtel 2004.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Fortschritt und Er<strong>in</strong>nerung. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken. Texte<br />

zur Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 2004,<br />

S. 190-195.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans : Interpretation - Schrift - Komposition. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne<br />

denken. Texte zur Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und<br />

Härtel 2004, S. 209-220.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Alte Musik – Neue Musik. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken. Texte zur<br />

Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 2004, S.<br />

15-16.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Auge und Ohr. Gedanken zum Theater. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne<br />

denken. Texte zur Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und<br />

Härtel 2004, S. 35-46.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Wegekarte für Orpheus? Über nichtl<strong>in</strong>eare Codes <strong>der</strong> Musik<br />

beim Abstieg <strong>in</strong> ihre Unterwelt. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken.<br />

Texte zur Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel<br />

2004, S. 85-94.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Musik als Erfahrung. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken. Texte zur<br />

Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 2004, S.<br />

136-140.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Fragmente über e<strong>in</strong>e zukünftige Musik. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne<br />

denken. Texte zur Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und<br />

Härtel 2004, S. 141-144.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Was kann Musik heute se<strong>in</strong>? In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken. Texte<br />

zur Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 2004,<br />

S. 145-156.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Orientierung. Komponieren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne.<br />

In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken. Texte zur Musik 1975-2003.<br />

Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 2004, S. 157-165.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Über das Hören. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken. Texte zur Musik<br />

1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 2004, S. 177-182.<br />

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Vom Umgang mit Regelsystemen. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken.<br />

Texte zur Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel<br />

2004, S. 183.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Wir steigen niemals <strong>in</strong> denselben Fluß. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne<br />

denken. Texte zur Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und<br />

Härtel 2004, S. 184-189.<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Fortschritt und Er<strong>in</strong>nerung. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken. Texte<br />

zur Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 2004,<br />

S. 190-194.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Gedanken über die Bedeutung schriftlicher Aufzeichnung <strong>von</strong><br />

Musik. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken. Texte zur Musik 1975-<br />

2003. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 2004, S. 199-201.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Mnemosyne. Höl<strong>der</strong>l<strong>in</strong> Lesen. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken.<br />

Texte zur Musik 1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel<br />

2004, S. 340.<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. In: Ders.: <strong>Die</strong> S<strong>in</strong>ne denken. Texte zur Musik<br />

1975-2003. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 2004, S. 221-223.<br />

c) Sekundärquellen<br />

Adorno, Theodor W.: <strong>Schubert</strong>. In: Metzger, He<strong>in</strong>z-Klaus/Riehn, Ra<strong>in</strong>er (Hrsg.):<br />

<strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> „Todesmusik“. München: Ed. Text und Kritik<br />

1997 (Musik-Konzepte, 97/98), S. 19-30.<br />

Baum, Günther: <strong>Schubert</strong> – Müller: <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> neu gesehen. In: Neue<br />

Zeitschrift für Musik Jg. 128, H.2 1967, S. 78-80.<br />

Bernhard, Katr<strong>in</strong>: Reisebericht – Sekundäres zur W<strong>in</strong>terreise. In: <strong>Schubert</strong><br />

Perspektiven Jg. 3, H. 1 2003, S. 54-64.<br />

Budde, Elmar: <strong>Rezeption</strong>sgeschichte des <strong>Schubert</strong>lieds. In: Danuser, Hermann<br />

(Hrsg.): Gattungen <strong>der</strong> Musik und Ihre Klassiker. Laaber:<br />

Laaber-Verl. 1988 (Publikationen <strong>der</strong> Hochschule für Musik und<br />

Theater Hannover, 1), S. 235-250.<br />

Budde, Elmar: Marg<strong>in</strong>alien zu <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise. In: Österreichische<br />

Musikzeitschrift Jg. 45, H.12 1990, S. 673-679.<br />

Budde, Elmar: <strong>Schubert</strong>s Lie<strong>der</strong>zyklen. E<strong>in</strong> musikalischer Werkführer.<br />

München: Beck 2003.<br />

Budde, Elmar: Modulationsmanie und Perspektivenwechsel. Über <strong>Franz</strong><br />

<strong>Schubert</strong> und Caspar David Friedrich. In: Kolleritsch, Otto<br />

(Hrsg.): Dialekt ohne Erde. <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und das 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t. Wien: Universal-Ed. 1998 (Studien zur<br />

Wertungsforschung, 34), S. 121-137.<br />

84


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

Bullerjahn, Claudia: Zur <strong>Rezeption</strong> <strong>von</strong> <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise im 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t. Demonstriert an den Werken <strong>von</strong> Hans Zen<strong>der</strong>,<br />

Ra<strong>in</strong>er Bredemeyer und Friedhelm Döll. In: Erwe, Hans-<br />

Joachim/Keil, Werner (Hrsg.): Beiträge zur Musikwissenschaft<br />

und Musikpädagogik. Festschrift für Rudolf Weber zum<br />

sechzigsten Geburtstag. Hildesheim 1997 (Hildesheimer<br />

musikwissenschaftliche Arbeiten, 4), S. 180-212.<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Cadenbach, Ra<strong>in</strong>er: Der implizite Hörer? Zum Begriff e<strong>in</strong>er „<strong>Rezeption</strong>sästhetik“<br />

als musikwissenschaftlicher Diszipl<strong>in</strong>. In: Danuser, Hermann<br />

(Hrsg.): <strong>Rezeption</strong>sästhetik und <strong>Rezeption</strong>sgeschichte <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Musikwissenschaft. Laaber: Laaber-Verl. 1991 (Publikationen<br />

<strong>der</strong> Hochschule für Musik und Theater Hannover, 3), S. 133-<br />

163.<br />

Danuser, Hermann: Interpretation. In: F<strong>in</strong>scher, Ludwig (Hrsg.): <strong>Die</strong> Musik <strong>in</strong><br />

Geschichte und Gegenwart. 2. neubearb. Ausg. Sachteil Bd.4.<br />

Kassel: Bärenreiter 2000, Sp. 1053-1068.<br />

Danuser, Hermann Musikalische Interpretation. Laaber: Laaber-Verl. 1997 (Neues<br />

(Hrsg.): Handbuch <strong>der</strong> Musikwissenschaft, 11).<br />

Danuser, Hermann Grundtypen <strong>der</strong> Interpretationsanalyse. In: Danuser, Hermann<br />

(Hrsg.): (Hrsg.): [ ] Neue Musik und Interpretation. Fünf<br />

Kongreßbeiträge und drei Sem<strong>in</strong>arberichte. Ma<strong>in</strong>z: Schott 1994<br />

(Veröffentlichungen des Instituts für Neue Musik und<br />

Musikerziehung Darmstadt, 35), S. 23-30<br />

Danuser, Hermann: Zur Interdependenz <strong>von</strong> Interpretation und <strong>Rezeption</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Musik. In: Danuser, Hermann (Hrsg.): <strong>Rezeption</strong>sästhetik und<br />

<strong>Rezeption</strong>sgeschichte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Musikwissenschaft. Laaber:<br />

Laaber-Verl. 1991 (Publikationen <strong>der</strong> Hochschule für Musik und<br />

Theater Hannover, 3), S. 165-177.<br />

Drux, Rudolf: Des Dichters W<strong>in</strong>terreise. Bemerkungen zu ihrer Gestaltung bei<br />

Mart<strong>in</strong> Opitz und <strong>in</strong> den Gedichten Goethes, W. Müllers und<br />

He<strong>in</strong>e/Biermann. In: Esselborn, Hans/Keller, Werner (Hrsg.):<br />

Geschichtlichkeit und Gegenwart. Festschrift für Hans <strong>Die</strong>ter<br />

Irmscher zum 65. Geburtstag. Köln: Böhlau Verlag 1994<br />

(Kölner germanistische Studien, 34), S. 230-241.<br />

Erdmann, Waniek: Banale Tiefe <strong>in</strong> W. Müllers W<strong>in</strong>terreise. In: Jahrbuch des Freien<br />

Deutschen Hochstifts 1994, S.141-189.<br />

F<strong>in</strong>k, Wolfgang: Hans Zen<strong>der</strong>s W<strong>in</strong>terreise. <strong>in</strong>: E<strong>in</strong>führungstext zur CD: Hans<br />

Zen<strong>der</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise. A composed Interpretation. Hans<br />

Peter Blochwitz. Ensemble Mo<strong>der</strong>n. BMG 1995, S.8-13.<br />

85


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

Förstel, Francois: W<strong>in</strong>terreise 2001. De-Collage, De-Komposition und an<strong>der</strong>e<br />

Gestaltungsaufgaben im Musikunterricht. In: Institut für Neue<br />

Musik und Musikerziehung Darmstadt (Hrsg.): Konzert-<br />

Klangkunst– Computer. Wandel <strong>der</strong> musikalischen<br />

Wirklichkeiten. Ma<strong>in</strong>z: Schott 2002 (Veröffentlichungen des<br />

Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt, 42),<br />

S.116-128.<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Gebauer, Gunter Mimesis als Zugang zur Welt, Sprache und Schrift. In: <strong>Die</strong>s.:<br />

/Wulf, Christoph: Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft. 2. Aufl. Re<strong>in</strong>bek bei<br />

Hamburg: Rowohlt 1998, S. 372-373.<br />

Gebauer, Gunter Uns<strong>in</strong>nliche Ähnlichkeiten: Zur Sprachanthropologie W.<br />

/Wulf, Christoph: Benjam<strong>in</strong>s. In: <strong>Die</strong>s.: Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft. 2.<br />

Aufl. Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg: Rowohlt 1998, S. 374 -387.<br />

Gebauer, Gunter Lebendige Erfahrung – Adorno. In: <strong>der</strong>s.: Mimesis. Kultur –<br />

/Wulf, Christoph: Kunst – Gesellschaft. Hamburg: Rowohlt 1999, S. 389-405.<br />

Gebauer, Gunter Der Zwischencharakter <strong>der</strong> Mimesis – Derrida. In: <strong>der</strong>s.:<br />

/Wulf, Christoph: Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft. Hamburg: Rowohlt<br />

1999, S. 406-422.<br />

Georgiades, <strong>Schubert</strong>. Musik und Lyrik. Gött<strong>in</strong>gen: Vandenhoeck &<br />

Thrasybulos: Ruprecht 1967.<br />

Giesler, Walter: Instrumentation. In: F<strong>in</strong>scher, Ludwig (Hrsg.): <strong>Die</strong> Musik <strong>in</strong><br />

Geschichte und Gegenwart. 2. neubearb. Ausg. Sachteil Bd.4.<br />

Kassel: Bärenreiter 2000, Sp. 911-948.<br />

Godel, Arthur: <strong>Schubert</strong>s letzte drei Klaviersonaten (D 958- 960).<br />

Entstehungsgeschichte, Entwurf, Re<strong>in</strong>schrift und Werkanalyse.<br />

Baden-Baden: Körner 1985. (Sammlung<br />

musikwissenschaftlicher Abhandlungen, 69)<br />

Gruhn, Wilfred: Interpretation und Verstehensprozeß. In: Danuser, Hermann<br />

(Hrsg.): Neue Musik und Interpretation. Fünf Kongreßbeiträge<br />

und drei Sem<strong>in</strong>arberichte. Ma<strong>in</strong>z: Schott 1994<br />

(Veröffentlichungen des Instituts für Neue Musik und<br />

Musikerziehung Darmstadt. 35) Ma<strong>in</strong>z 1994. S. 67-80.<br />

Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme? Zu Hans Zen<strong>der</strong>s<br />

komponierter Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise. In:<br />

Musica Jg. 48 H. 3 1994, S. 148-154.<br />

Gruhn, Wilfried: Hans Zen<strong>der</strong>s W<strong>in</strong>terreise – Wi<strong>der</strong> die ästhetische Rout<strong>in</strong>e.<br />

Hans Zen<strong>der</strong>s Version <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. In: Neue<br />

Zeitschrift für Musik Jg. 158, H. 1 1997, S. 42-47.<br />

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

Gülke, Peter: <strong>Die</strong> Verjährung <strong>der</strong> Meisterwerke. Überlegungen zu e<strong>in</strong>er<br />

Theorie <strong>der</strong> musikalischen Interpretation. In: NZ, Neue<br />

Zeitschrift für Musik. Jg. 127, H. 1 1966, S. 6-12.<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Gülke, Peter: Aufführungspraxis <strong>von</strong> <strong>der</strong> Warte des Dirigenten und<br />

Musikwissenschaftlers aus gesehen. In: Krones, Hartmut<br />

(Hrsg.): Alte Musik und Musikpädagogik. Bericht über das <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Lehrkanzel "Musikalische Stilkunde und<br />

Aufführungspraxis" an <strong>der</strong> Abteilung Musikpädagogik <strong>der</strong><br />

Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>in</strong> Wien aus<br />

Anlaß des 175jährigen Jubiläums <strong>der</strong> Hochschule veranstaltete<br />

Symposion "Alte Musik und Musikpädagogik". Wien: Böhlau<br />

1997 (Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis,<br />

1), S. 167-167.<br />

Gutmann, Helmut: Das Musikkapitel <strong>in</strong> Thomas Manns „Zauberberg“. In: The<br />

German quarterly Jg. 47 1974, S. 415-431.<br />

He<strong>in</strong>emann, Michael: Am Ende: Der stürmische Morgen – zu Liszts Transkriptionen<br />

<strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise. In: <strong>Schubert</strong>-Perspektiven Jg. 1, H. 2 2001, S.<br />

190-196.<br />

Hiekel, Jörn Peter: <strong>Franz</strong>, Morton und an<strong>der</strong>e. Kompositorische Reflexe auf<br />

<strong>Schubert</strong>s Musik. In: Neue Zeitschrift für Musik Jg. 128, H. 1<br />

1997, S. 78-80.<br />

Hiekel, Jörn Peter: <strong>Schubert</strong> und das eigene Selbstverständnis. Beispiele für die<br />

<strong>Rezeption</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Musik nach 1950. In: Kolleritsch, Otto (Hrsg.):<br />

Dialekt ohne Erde. <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und das 20. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

Wien: Universal-Ed. 1998 (Studien zur Wertungsforschung, 34).<br />

S. 277-291.<br />

Hufschmidt, Wolfgang: Willst zu me<strong>in</strong>en Lie<strong>der</strong>n de<strong>in</strong>e Leier drehen? Zur Semantik <strong>der</strong><br />

Sprache <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s WINTERREISE und Eislers<br />

HOLLYWOOD-LIEDERBUCH. 2., überarb. Und erw. Aufl.<br />

Saarbrücken: Pfau 1997.<br />

Kemmelmeyer, Karl J.: <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise. Didaktische Interpretation mit<br />

elektronischen Mitteln. E<strong>in</strong> Produktionsbericht. In: K<strong>in</strong>zler,<br />

Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik – Freundesgabe für Walter<br />

Heise. Osnabrück: Univ. 2001 (Schriftenreihe des Fachbereichs<br />

Erziehungs- und Kulturwissenschaften <strong>der</strong> Universität<br />

Osnabrück, 17), S. 208-217.<br />

Kienscherf, Barbara: Auf Reisen durch Raum und Zeit. In: Neue Zeitschrift für Musik.<br />

Jg. 162 f., H. 6 2001, S. 63.<br />

Kolleritsch, Otto: „Dialekt ohne Erde...“. <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und das 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t. In: Kolleritsch, Otto (Hrsg.): Dialekt ohne Erde.<br />

<strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und das 20. Jahrhun<strong>der</strong>t. Wien: Universal-Ed.<br />

1998 (Studien zur Wertungsforschung, 34), S. 8-24.<br />

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

Korff, Malte: <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong>. München: Dtv 2003.<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Krebs, Harald: Wan<strong>der</strong>n und Heimkehr: Zentrifugale und Zentripetale Tendenz<br />

<strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s frühen Lie<strong>der</strong>n. In: Musiktheorie Jg. 13, H. 1 1998,<br />

S. 111-122.<br />

Krones, Hartmut: „E<strong>in</strong> Accumulat aller musikalischen Modulationen und<br />

Ausweichungen ohne S<strong>in</strong>n, Ordnung und Zweck“. Zu <strong>Schubert</strong>s<br />

schauerlichen Werken 1817-1828. In: Österreichische<br />

Musikzeitschrift Jg. 52, H.1-2 1997, S. 32-40.<br />

Krones, Helmut: „...nicht die leiseste Abweichung im Zeitmaße“. Tempofragen<br />

bei <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> am Beispiel <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise. In:<br />

Musiktheorie Jg. 13, H.12 1998, S. 680-690.<br />

Kunzmann, Peter/ Dtv-Atlas Philosophie. 10. aktual. Aufl. München: Dtv 2002.<br />

Burkhard, <strong>Franz</strong>-Peter/<br />

Wiedmann, <strong>Franz</strong>:<br />

Marsoner, Katr<strong>in</strong>: Tränen über <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise. In: Kolleritsch, Otto<br />

(Hrsg.): Dialekt ohne Erde. <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und das 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t. Wien: Universal-Ed. 1998 (Studien zur<br />

Wertungsforschung, 34), S. 296-309.<br />

Mauser, Siegfried: Theorien <strong>der</strong> Interpretation Neuer Musik. In: Danuser, Hermann<br />

(Hrsg.): Neue Musik und Interpretation. Fünf Kongreßbeiträge<br />

und drei Sem<strong>in</strong>arberichte. Ma<strong>in</strong>z: Schott 1994<br />

(Veröffentlichungen des Instituts für Neue Musik und<br />

Musikerziehung Darmstadt, 35), S. 16-22.<br />

Morsch, Ulrich: B<strong>in</strong>dung und Freiheit: Zum Verhältnis <strong>von</strong> Neuer Musik und<br />

Interpretation. In: Danuser, Hermann (Hrsg.): Neue Musik und<br />

Interpretation. Fünf Kongreßbeiträge und drei Sem<strong>in</strong>arberichte.<br />

Ma<strong>in</strong>z: Schott 1994 (Veröffentlichungen des Instituts für Neue<br />

Musik und Musikerziehung Darmstadt, 35), S. 8-15.<br />

Müller, Karl-Josef: „<strong>Die</strong> Leidenschaft als zweifelnde Liebe“. <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise<br />

<strong>in</strong> Manns „Zauberberg“. In: [...] Germanisch-romanische<br />

Monatsschrift Jg. 44, H. 75 1994, S. 191-204.<br />

Mustard, Helen M. The Lyric Cycle <strong>in</strong> German Literature. In: Columbia University<br />

germanic studies No.17, 1946, S. 87-89.<br />

Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musiktheorie für das Musikleben.<br />

In: [...] Musik & Ästhetik Jg. 7, H. 26 2003, S.65-90.<br />

Norman McKay, <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> reconsi<strong>der</strong>ed. In: The music review Jg.<br />

Elisabeth: 38, H.38 1977, S. 94-100.<br />

88


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

Oberembt, Gert: <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. In: Jens, Walter (Hrsg.): K<strong>in</strong>dlers neues<br />

Literatur-Lexikon. Bd.12 Frechen: Komet [...] [ ] 1998, S. 40-<br />

41.<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Oswald, Peter: Portrait: „<strong>Die</strong> existentielle Wucht des Orig<strong>in</strong>als“. Hans Zen<strong>der</strong><br />

im Gespräch mit Peter Oswald. In: Österreichische<br />

Musikzeitschrift Jg. 49, H. 5 1994, S. 304-305.<br />

Padrutt, Hanspeter: Der epochale W<strong>in</strong>ter. Zeitgemäße Betrachtungen. Zürich:<br />

Diogenes 1990.<br />

Re<strong>in</strong><strong>in</strong>ghaus, Frie<strong>der</strong>: <strong>Schubert</strong> und das Wirtshaus. Musik unter Metternich. 2. Aufl.<br />

Berl<strong>in</strong>: Oberbaumverl. 1980.<br />

Revers, Peter: „...Schnee du weißt <strong>von</strong> me<strong>in</strong>em Sehnen“ Aspekte <strong>der</strong><br />

<strong>Schubert</strong>rezeption <strong>in</strong> Hans Zen<strong>der</strong>s W<strong>in</strong>terreise. In: Kolleritsch,<br />

Otto (Hrsg.): Dialekt ohne Erde. <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und das 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t. Wien: Universal-Ed. 1998 (Studien zur<br />

Wertungsforschung, 34), S. 98-119.<br />

Schmid Noerr, Der Wan<strong>der</strong>er über dem Abgrund: E<strong>in</strong>e Interpretation des<br />

Gunzel<strong>in</strong>: Liedes „Gute Nacht“ aus dem Zyklus die W<strong>in</strong>terreise <strong>von</strong> F.<br />

<strong>Schubert</strong> und W. Müller. Zum Verstehen <strong>von</strong> Musik und<br />

Sprache. In: In: Metzger, He<strong>in</strong>z-Klaus/Riehn, Ra<strong>in</strong>er (Hrsg.):<br />

<strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> „Todesmusik“. München: Ed. Text und Kritik<br />

1997 (Musik-Konzepte, 97/98), S. 88-111.<br />

Schnebel, <strong>Die</strong>ter: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> befreienden Zeit. Versuch über<br />

<strong>Schubert</strong>. In: [...] NZ, Neue Zeitschrift für Musik Jg. 131, H.10<br />

1970, S. 148-505.<br />

Schrö<strong>der</strong>, Ges<strong>in</strong>e: Bearbeitung. In: F<strong>in</strong>scher, Ludwig (Hrsg.): <strong>Die</strong> Musik <strong>in</strong><br />

Geschichte und Gegenwart. 2. neubearb. Ausg. Sachteil Bd. 1.<br />

Kassel: Bärenreiter 2000, Sp. 1321-1336.<br />

Spierl<strong>in</strong>g, Volker: Kle<strong>in</strong>e Geschichte <strong>der</strong> Philosophie. 50 Porträts <strong>von</strong> <strong>der</strong> Antike<br />

bis zur Gegenwart. 4. Aufl. München [...]: Piper 1996.<br />

Stahmer, Klaus He<strong>in</strong>rich: Bearbeitung als Interpretation. Zur <strong>Schubert</strong>rezeption Gustav<br />

Mahlers, Hans Zen<strong>der</strong>s und Friedhelm Döhls. In: Stahmer,<br />

Klaus H<strong>in</strong>rich (Hrsg.): <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong> und Gustav Mahler <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Musik <strong>der</strong> Gegenwart. Ma<strong>in</strong>z: Schott 1997 (Schriften <strong>der</strong><br />

Hochschule für Musik Würzburg, 5), S. 25-61.<br />

Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. Bd. 1: Müllers Dichtung und <strong>Schubert</strong>s<br />

Vertonung. Bonn: Verl. für syst. Musikwissenschaft 1987<br />

(Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen <strong>der</strong> Musik, 48/62)<br />

Vogt, Harry: WDR 3 Programmheft. Musik und Zeit. Begegnungen mit Hans Zen<strong>der</strong>. Köln<br />

2005.<br />

89


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Vollmann, Rolf: Willhelm Müller und die Romantik. In: Feil, Arnold: <strong>Franz</strong><br />

<strong>Schubert</strong>. <strong>Die</strong> schöne Müller<strong>in</strong> – W<strong>in</strong>terreise. Stuttgart: Reclam<br />

1975, S. 173-184.<br />

Weber, Horst: Liszts W<strong>in</strong>terreise. In: Laubenthal, Annegrit (Hrsg.): Studien zur<br />

Musikgeschichte. E<strong>in</strong>e Festschrift für Ludwig F<strong>in</strong>scher. Kassel:<br />

Bärenreiter 1995, S.591-601.<br />

Wetzel, He<strong>in</strong>z: W<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>samkeiten bei Caspar David Friedrich und Wilhelm<br />

Müller. In: [...] Aurora. Jahrbuch <strong>der</strong> Eichendorf-Gesellschaft<br />

Jg. 55, H. 1 1995, S. 183-216.<br />

Youens, Susan: “Wegweiser” <strong>in</strong> “die W<strong>in</strong>terreise”. In: The journal of<br />

musicology Jg. 5, Nr. 1 1987, S. 357-379.<br />

Zeller, Hans Rudolf: Ferruccio Busoni und die musikalische Avantgarde um 1920.<br />

In: Metzger, He<strong>in</strong>z-Klaus (Hrsg.): Musik <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Tradition.<br />

Mikrotonale Tonwelten. München: Ed. Text und Kritik 2003<br />

(Musik-Konzepte, Son<strong>der</strong>bd. 3), S. 9- 18.<br />

Zenk, Mart<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> romantische Erfahrung <strong>der</strong> Fremde <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s<br />

W<strong>in</strong>terreise. In: [...] Archiv für Musikwissenschaft Jg. 44, H. 2<br />

1987, S. 141-160.<br />

d) www<br />

Amzoll, Stefan: Bagatellen für B. Wieviel Geschichte hat neue Musik? Dem<br />

Komponisten Re<strong>in</strong>er Bredemeyer zum 75. Geburtstag. In: Junge<br />

Welt 08.12.1995. www.jungewelt.de/2004/02-03/017.php.<br />

[Abfragedatum: 09.08.2005].<br />

ARD Tagesthemen: Neumeiers “W<strong>in</strong>terreise”. 17.12.2001.<br />

www.hamburgballett.de/d/rep.htm [Abfragedatum:<br />

24.05.2005].<br />

Boxberger, Edith: Neumeiers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. In: FAZ 17.12.2001.<br />

www.hamburgballett.de/d/rep.htm [Abfragedatum:<br />

24.05.2005].<br />

Bredemeyer, Re<strong>in</strong>er: "... wir haben ke<strong>in</strong>erlei Chance: nützen wir sie". www.re<strong>in</strong>erbredemeyer.de<br />

[Abfragedatum: 09.08.2005].<br />

Conrad, Stefanie: Reduziertes Bewegungsvokabular. John Neumeiers<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>: Ecken und Kanten statt choreographischer<br />

90


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Schnörkel. In: Taz, die Tageszeitung 18.12.2001. www.taz.de<br />

[Abfragedatum: 24.05.2005].<br />

Kogler, Horst: Neumeiers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. In: Kogler Journal.Tanznet.de<br />

www.hamburgballet.de/d/rep.htm [Abfragedatum:<br />

09.08.2005].<br />

Kunckel, Susanne: „Tanz ist nicht die Tageszeigung“. Ist das Ballett <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krise? In:<br />

Welt am Sonntag 01.07.2001.<br />

www.wams.de/data/2001/07/01/503019.html?s=2<br />

[Abfragedatum: 09.08.2005].<br />

Müller, Gerhard: Zum Tode des Komponisten Re<strong>in</strong>er Bredemeyer. Er konnte alles,<br />

außer nach Noten schw<strong>in</strong>deln. In: Neues Deutschland 08.12.1995.<br />

www.re<strong>in</strong>er-bredemeyer.de [Abfragedatum: 09.08.2005].<br />

Neumeier, John: Irritierende Aktualität. www.hamburgballett.de/d/rep.htm<br />

[Abfragedatum: 24.05.2005].<br />

Regnitz, Hartmut: Neumeiers“ W<strong>in</strong>terreise“ . In: <strong>Die</strong> Welt 17.12.2001.<br />

www.hamburgballett.de/d/rep.htm [Abfragedatum:<br />

24.05.2005].<br />

Rossmann, Ekkehard: Neumeiers <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. <strong>in</strong>: dpa<br />

www.hamburgballet.de/d/rep.htm [Abfragedatum:<br />

24.05.2005].<br />

Schmalmack, Brigitte: Reise ohne Wie<strong>der</strong>kehr. www.hamburgballett.de/d/rep.htm<br />

[Abfragedatum: 24.05.2005].<br />

Stenzel, Jürg: Standhaft und frech E<strong>in</strong>spruch erhoben<br />

Gebrauchsmusik ohne Qualitätsverlust: Zum Tod des Komponisten<br />

Re<strong>in</strong>er Bredemeyer. In: Faz 07.12.1995.<br />

www.re<strong>in</strong>er-bredemeyer.de [Abfragedatum: 09.08.2005].<br />

Koch, Gerhard: Kunst muß Wi<strong>der</strong>stand leisten. www.breitkopf.de<br />

[Abfragedatum: 24.05.2005].<br />

91


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

VIII Anhangverzeichnis<br />

Anhang I Abfolge <strong>der</strong> Gedichte im Zyklus Müllers<br />

In: Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. Bd. 1: Müllers Dichtung und <strong>Schubert</strong>s<br />

Vertonung. Bonn: Verl. für syst. Musikwissenschaft 1987 (Orpheus-<br />

Schriftenreihe zu Grundfragen <strong>der</strong> Musik, 48/62). Abbildung S.2<br />

Anhang II Kommunikationsschemata<br />

In: Bernhard, Katr<strong>in</strong>: Reisebericht – Sekundäres zur W<strong>in</strong>terreise. In:<br />

<strong>Schubert</strong> Perspektiven Jg. 3, H. 1 2003, Abbildung S.57, 61.<br />

Anhang VI Umgang mit den Tongeschlechtern Moll und Dur<br />

In: Zen<strong>der</strong>, Hans: Orchesteraufstellung und Besetzung. In: Zen<strong>der</strong>, Hans:<br />

<strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. E<strong>in</strong>e komponierte Interpretation für Tenor und<br />

kle<strong>in</strong>es Orchester. [...] Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 1996. Abbildung<br />

im Vorwort.<br />

Anhang IX Vergleich <strong>der</strong> Melodieführung <strong>in</strong> Lied 4 und 5<br />

In: Budde, Elmar: <strong>Schubert</strong>s Lie<strong>der</strong>zyklen. E<strong>in</strong> musikalischer Werkführer.<br />

München: Beck 2003, Abbildung S. 80.<br />

Anhang X Liszts Transkription des „L<strong>in</strong>denbaums“<br />

In: Liszt, <strong>Franz</strong>: W<strong>in</strong>terreise. 12 Lie<strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong>, für Klavier<br />

überragen <strong>von</strong> <strong>Franz</strong> Liszt. In: Krause, Andreas (Hrsg.): Transkriptionen<br />

VI. Budapest: Ed. Musica 1995. (Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Ser. 2,<br />

Bd. 21), Abbildung S.122-128.<br />

Anhang XV Rhythmusmodelle <strong>in</strong> Lied 24<br />

In: Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme? Zu Hans<br />

Zen<strong>der</strong>s komponierter Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise. In: Musica<br />

Jg. 48 H. 3 1994, Abbildung S.149.<br />

Anhang XVI Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Inszenierung Neumeiers<br />

In: Neumeier, John: Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Inszenierung <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> als<br />

Ballett. www.hamburgballett.de /d/gallery.html.<br />

Anhang XVII Partitur ausgewählter Lie<strong>der</strong> aus <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong><br />

In: <strong>Schubert</strong>, <strong>Franz</strong>: Neue Ausgabe sämtlicher Werke. [...] Serie IV: Lie<strong>der</strong>,<br />

Bd.4 – Teil a. Kassel: Bärenreiter [...] 1979.<br />

Anhang XVIII Partitur ausgewählter Lie<strong>der</strong> aus Zen<strong>der</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong><br />

In: Zen<strong>der</strong>, Hans: <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. E<strong>in</strong>e komponierte Interpretation<br />

für Tenor und kle<strong>in</strong>es Orchester. [...] Wiesbaden: Breitkopf und Härtel<br />

1996.<br />

92


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

ABBILDUNGSVERZEICHNIS<br />

Stoffels, Ludwig: <strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise. Bd. 1: Müllers Dichtung und <strong>Schubert</strong>s Vertonung. Bonn:<br />

Verl. für syst. Musikwissenschaft 1987 (Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen <strong>der</strong> Musik,<br />

48/62). (Anhang I)<br />

Bernhard, Katr<strong>in</strong>: Reisebericht – Sekundäres zur W<strong>in</strong>terreise. In: <strong>Schubert</strong> Perspektiven Jg.<br />

3, H. 1 2003, S. 61. (Anhang II.I)<br />

Bernhard, Katr<strong>in</strong>: Reisebericht – Sekundäres zur W<strong>in</strong>terreise. In: <strong>Schubert</strong> Perspektiven Jg.<br />

3, H. 1 2003, S. 54-64. S. 57. (Anhang II.II)<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: Orchesteraufstellung und Besetzung. In: Zen<strong>der</strong>, Hans: <strong>Schubert</strong>s<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. E<strong>in</strong>e komponierte Interpretation für Tenor und kle<strong>in</strong>es Orchester. [...]<br />

Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 1996. (Anhang VI)<br />

Budde, Elmar: <strong>Schubert</strong>s Lie<strong>der</strong>zyklen. E<strong>in</strong> musikalischer Werkführer. München: Beck<br />

2003, S. 80. (Anhang IX)<br />

Liszt, <strong>Franz</strong>: W<strong>in</strong>terreise. 12 Lie<strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>Franz</strong> <strong>Schubert</strong>, für Klavier überragen <strong>von</strong> <strong>Franz</strong><br />

Liszt. In: Krause, Andreas (Hrsg.): Transkriptionen VI. Budapest: Ed. Musica 1995. (Neue<br />

Ausgabe sämtlicher Werke, Ser. 2, Bd. 21), S.122-128. (Anhang X)<br />

Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme? Zu Hans Zen<strong>der</strong>s<br />

komponierter Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise. In: Musica Jg. 48 H. 3 1994,<br />

S.149. (Anhang XX)<br />

Zen<strong>der</strong>, Hans: <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>. E<strong>in</strong>e komponierte Interpretation für Tenor und<br />

kle<strong>in</strong>es Orchester. [...] Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 1996. (Anhang XXI)<br />

<strong>Schubert</strong>, <strong>Franz</strong>: Neue Ausgabe sämtlicher Werke. [...] Serie IV: Lie<strong>der</strong>, Bd.4 – Teil a.<br />

Kassel: Bärenreiter [...] 1979. (Anhang XXII)<br />

Neumeier, John: Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Inszenierung <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> als Ballett.<br />

www.hamburgballett.de /d/gallery.html.<br />

93


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE ANHANGSÜBERSICHT:<br />

CHRISTGEN<br />

ANHANG I GEDICHTABFOLGE UND ZYKLUSBILDUNG<br />

ANHANG IIa DIVERGENTE KONSTITUENTEN DES KUNSTWERKS<br />

ANHANG IIb KOMMUNIKATIONSSCHEMATA<br />

ANHANG III REZEPTIONSÜBERSICHT<br />

ANHANG IV TONARTENPLAN DER WERKE SCHUBERTS UND ZENDERS<br />

ANHANG V UMGANG MIT DEN TONGESCHLECHTERN DUR UND MOLL<br />

ANHANG VI ORCHESTERAUFSTELLUNG UND BESETZUNG<br />

ANHANG VII RAUMWEGE UND INSTRUMENTATION<br />

ANHANG VIII SIGNIFIKANTE BEARBEITUNGSMERKMALE<br />

ANHANG IX VERGLEICH DER MELODIFÜHRUNG IN LIED 4 UND 5<br />

ANHANG X LISZTS TRANSKRIPTION DES LINDENBAUMS<br />

ANHANG XI RETARDATION (LIED 12)<br />

ANHANG XII TEMPOVARIANZ (LIED 13)<br />

ANHANG XIII FORMALER ABLAUF (LIED 22)<br />

ANHANG XIVa RHYTHMUS- UND MELODIMODELLE SCHUBERTS (LIED 22)<br />

ANHANG XIVb ZENDERS COLLAGE DER MODELLE SCHUBERTS (LIED 22)<br />

ANHANG XV RHYTHMUSMODELLE (LIED 24)<br />

ANHANG XVI AUSGEWÄHLTER LIEDER ZENDERS<br />

ANHANG XVII PARTITUR DER LIEDER SCHUBERTS ZUM VERGLEICH<br />

ANHANG XVIII BILDER DER INSZENIERUNG NEUMEIERS<br />

94


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

I Abfolge <strong>der</strong> Gedichte im Zyklus Müllers<br />

95


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

II Kommunikationsschemata<br />

II.1 Durch Katr<strong>in</strong> Bernhard veranschaulichte divergenten Konstituenten des Kunstwerks<br />

In <strong>der</strong> Zeit unverän<strong>der</strong>liche Faktoren<br />

bewahren vor dem veralten:<br />

Geist e<strong>in</strong>es Kunstwerks<br />

Maß <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung<br />

Das Menschliche, das <strong>in</strong> ihm ist<br />

Rasch alternde, vergängliche Faktoren, die<br />

<strong>der</strong> ständigen Erneuerung bedürfen:<br />

Form, die diese drei Faktoren<br />

aufnimmt<br />

Mittel, die sie ausdrücken<br />

Geschmack <strong>der</strong> Entstehungs-Epoche<br />

II.2 Von Katr<strong>in</strong> Bernhard aufgestelltes Schema, <strong>in</strong> dem oben das traditionelle Kommunikationsschema unten die<br />

Umdeutung durch Zen<strong>der</strong> abzulesen ist<br />

aktiv<br />

mitschöpferisch<br />

Re<strong>in</strong> darstellend<br />

Mimesis = imitatio<br />

Mimikry, bl<strong>in</strong>de<br />

Nachahmung<br />

passiv<br />

rezipierend<br />

KOMPONIST INTERPRET<br />

kl<strong>in</strong>gende<br />

Darstellung<br />

HÖRER<br />

schöpferisch<br />

Text<br />

Mitschöpferisch<br />

Mimesis = productio handelnd<br />

96


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

III <strong>Rezeption</strong>sübersicht<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

JAHR AUTOR TITEL BESETZUNG ANMERKUNG<br />

1823/24 Müller,<br />

Wilhelm<br />

1827/28 <strong>Schubert</strong>,<br />

<strong>Franz</strong><br />

1838-40 Liszt, <strong>Franz</strong> Klaviertranskription<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong><br />

1984 Bredemeyer,<br />

Re<strong>in</strong>er<br />

1985 Döhl,<br />

Friedhelm<br />

1990 Rühm,<br />

Wolfgang<br />

1993 Zen<strong>der</strong>, Hans<br />

1997 Suzuki,<br />

Yukikazu<br />

1997/98 Florey,<br />

Wolfgang<br />

2001 Neumeier,<br />

John<br />

W<strong>in</strong>terreise Literarische Vorlage - Literarische Vorlage<br />

- Reflex auf gesellschaftliche/<br />

politische Zustände<br />

W<strong>in</strong>terreise Tenor und Klavier - Kompositoischer Reflex auf<br />

Müllers W<strong>in</strong>terreise<br />

- Reflex auf gesellschaftliche/<br />

politische Zustände und subjektive<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> Bariton, Horn, Piano<br />

1. „Bruchstücke zu<br />

W<strong>in</strong>terreise“<br />

2. „W<strong>in</strong>terreise.<br />

Streichqu<strong>in</strong>tett“<br />

<strong>Die</strong> W<strong>in</strong>terreise –<br />

Dah<strong>in</strong>terweise<br />

<strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong><br />

E<strong>in</strong>e komponierte<br />

Interpretation<br />

Gefühlslage<br />

Klavier - <strong>in</strong>dividuell <strong>in</strong>terpretierende Lesart<br />

<strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise <strong>Schubert</strong>s<br />

- Reflex auf persönliche Umstände<br />

- Werkvermittlung durch Erfüllung<br />

<strong>der</strong> Hörgewohnheiten <strong>der</strong><br />

1. Klavier<br />

2. Streichq<strong>in</strong>tett (mit<br />

2 Celli, wie im<br />

<strong>Schubert</strong>schen<br />

Qu<strong>in</strong>tett)<br />

Szenische Version<br />

für Live-Aufführung<br />

u. akustische Version<br />

<strong>in</strong> 12 Hörbil<strong>der</strong>n für<br />

Rundfunk<br />

- neuer<br />

assonantischer Text<br />

wird über <strong>Schubert</strong>s<br />

Vertonung gelegt<br />

Tenor und kle<strong>in</strong>es<br />

Orchester<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> Orchestration<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> Streichquartett und<br />

Tonband<br />

<strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> Ballett zu Zen<strong>der</strong>s<br />

komponierter<br />

Interpretation<br />

Rezipienten<br />

- Frei <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s<br />

Kompositionsvorgaben<br />

- <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bitterkeit und Trostlosigkeit<br />

<strong>der</strong> musikalischen Sprache drückt<br />

sich die Vere<strong>in</strong>zelung <strong>der</strong> Subjekte<br />

ebenso wie die gesellschaftliche<br />

Resignation und Erstarrung aus<br />

Überzeitlichkeit des Sujets<br />

- aktuelle menschliche Situation<br />

reflektieren autobiographisch<br />

- Auffallende Elemente durch<br />

E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong> Pausen zu<br />

Bewusstse<strong>in</strong> br<strong>in</strong>gen (1)<br />

- Ausdrucksvielfalt <strong>Schubert</strong>s ohne<br />

Worte entstehen lassen (2)<br />

- zusätzliche semantische Bezüge,<br />

durch Anreicherung mit Gedichten<br />

Trakls u. Verweis auf <strong>Schubert</strong>s<br />

Qu<strong>in</strong>tett Intertextualität<br />

- Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit<br />

Sprachverlust und Sprachzerfall<br />

- S<strong>in</strong>n soll durch h<strong>in</strong>tergründige<br />

Assoziation des <strong>Schubert</strong>schen<br />

Werks erschlossen werden<br />

- Abnutzung soll aufgebrochen<br />

werden<br />

- multimediales Zusammenwirken<br />

verschiedener Schichten<br />

- Ausdruck <strong>der</strong> Überzeitlichkeit <strong>der</strong><br />

Thematik<br />

- Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong><br />

„Existentiellen Wucht <strong>der</strong><br />

Orig<strong>in</strong>als“<br />

- Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong><br />

Überzeitlichen Thematik durch die<br />

choreographische Umsetzung <strong>der</strong><br />

Vorlage Zen<strong>der</strong>s<br />

97


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

IV Tonartenplan <strong>der</strong> Werke <strong>Schubert</strong>s und Zen<strong>der</strong>s<br />

IV.1 - <strong>Schubert</strong><br />

NR TITEL TAKT TEMPOBEZEICHNUNG TONART<br />

1 Gute Nacht 2/4 Mäßig d-Moll<br />

2 <strong>Die</strong> Wetterfahne 6/8 Ziemlich geschw<strong>in</strong>d a-Moll<br />

3 Gefrorene Tränen 2/2 Nicht zu langsam f-Moll<br />

4 Erstarrung C Ziemlich schnell c-Moll<br />

5 Der L<strong>in</strong>denbaum 3/4 Mäßig E-Dur<br />

6 Wasserflut 3/4 Langsam e- Moll (Hasl<strong>in</strong>ger) <br />

fis-Moll (= Autograph<br />

<strong>Schubert</strong>)<br />

7 Auf dem Flusse 2/4 Langsam e-Moll<br />

8 Rückblick 3/4 Nicht zu geschw<strong>in</strong>d g-Moll<br />

9 Irrlicht 3/8 Langsam h-Moll<br />

10 Rast 2/4 Mäßig c- Moll (<strong>Schubert</strong>) <br />

d-Moll (Autograph)<br />

11 Frühl<strong>in</strong>gstraum 6/8 Etwas bewegt A-Dur<br />

12 E<strong>in</strong>samkeit 2/4 Langsam h-Moll (<strong>Schubert</strong>) <br />

d-Moll (Autograph)<br />

13 <strong>Die</strong> Post 6/8 Etwas geschw<strong>in</strong>d d-Moll<br />

14 Der greise Kopf 3/4 Etwas langsam c-Moll<br />

15 <strong>Die</strong> Krähe 2/4 Etwas langsam c-Moll<br />

16 Letzte Hoffnung 3/4 Nicht zu geschw<strong>in</strong>d Es-Dur<br />

17 Im Dorfe 12/8 Etwas langsam D-Dur<br />

18 Der stürmische C Ziemlich geschw<strong>in</strong>d, doch d-Moll<br />

Morgen<br />

kräftig<br />

19 Täuschung 6/8 Etwas geschw<strong>in</strong>d A-Dur<br />

20 Der Wegweiser 2/4 Mäßig g-Moll<br />

21 Das Wirtshaus C Sehr langsam F-Dur<br />

22 Mut 2/4 Ziemlich geschw<strong>in</strong>d, kräftig g-Moll (Hasl<strong>in</strong>ger) <br />

a-Moll (Autograph)<br />

23 <strong>Die</strong> Nebensonnen 3/4 Nicht zu langsam A-Dur<br />

24 Der Leiermann 3/4 Etwas langsam a-Moll (Hasl<strong>in</strong>ger) <br />

h-Moll (Autograph)<br />

98


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

IV.2 - Zen<strong>der</strong><br />

NR TITEL TAKT TEMPOBEZEICHNUNG TONART<br />

1 Gute Nacht 4/4 273 Mäßig, <strong>in</strong> gehen<strong>der</strong> Bewegung<br />

274<br />

d-Moll<br />

2 <strong>Die</strong> Wetterfahne 6/8 Ziemlich geschw<strong>in</strong>d, unruhig a-Moll<br />

3 Gefrorene Tränen 4/4 Nicht zu langsam f-Moll<br />

4 Erstarrung C Nicht zu geschw<strong>in</strong>d c-Moll<br />

5 Der L<strong>in</strong>denbaum 3/4 Mäßig langsam E-Dur<br />

6 Wasserflut 3/4 Langsam, streng im Takt fis-Moll (vgl.<br />

Autograph <strong>Schubert</strong>)<br />

7 Auf dem Flusse 2/4 Mäßig e-Moll<br />

8 Rückblick 3/4 Nicht zu geschw<strong>in</strong>d g-Moll<br />

9 Irrlicht 3/8 Langsam h-Moll<br />

10 Rast 2/4 Mäßig c- Moll<br />

11 Frühl<strong>in</strong>gstraum 6/8 Etwas geschw<strong>in</strong>d A-Dur<br />

12 E<strong>in</strong>samkeit 2/4<br />

Langsam<br />

d-Moll (vgl. Autograph<br />

<strong>Schubert</strong>)<br />

Herabs<strong>in</strong>ken nach h-<br />

Moll (<strong>von</strong> <strong>Schubert</strong><br />

revidierte Tonart)<br />

13 <strong>Die</strong> Post 6/8 Etwas geschw<strong>in</strong>d d-Moll<br />

14 Der greise Kopf 3/4 Etwas langsam c-Moll<br />

15 <strong>Die</strong> Krähe 2/4 Etwas langsam c-Moll<br />

16 Letzte Hoffnung 3/4 Nicht zu geschw<strong>in</strong>d Es-Dur<br />

17 Im Dorfe 12/8 Etwas langsam D-Dur<br />

18 Der stürmische<br />

Morgen<br />

C Ziemlich geschw<strong>in</strong>d, doch kräftig d-Moll<br />

19 Täuschung 6/8 Etwas geschw<strong>in</strong>d A-Dur<br />

20 Der Wegweiser 2/4 Mäßig g-Moll<br />

21 Das Wirtshaus 8/8 Sehr langsam F-Dur<br />

22 Mut! 2/4 Ziemlich geschw<strong>in</strong>d, kräftig g-Moll wird erst<br />

nach Phase tonaler<br />

Orientierungslosigkeit<br />

erreicht<br />

23 <strong>Die</strong> Nebensonnen 3/4 Nicht zu langsam A-Dur<br />

24 Der Leiermann 3/4 Etwas langsam h-Moll (vgl. Autograph<br />

<strong>Schubert</strong>)<br />

273 Än<strong>der</strong>ungen Zen<strong>der</strong>s, die nicht <strong>Schubert</strong>sscher Prov<strong>in</strong>ienz s<strong>in</strong>d.<br />

274 <strong>Die</strong>se Bezeichnungen übernimmt Zen<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Autographen Nie<strong>der</strong>schrift <strong>Schubert</strong>s.<br />

99


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Lied Takt 1 Tonarten 1 Antagonismen Umsetzung durch Zen<strong>der</strong><br />

1 T. 71-99 D - d Realität -Traum Kontrastverstärkung durch vorrausgehende<br />

Collagen<br />

2 T. 32f. + 44f. a - A Armut - Reichtum Ausschmückung des Klaviersatzes<br />

5 T. 25-37 E – e Traum/Er<strong>in</strong>nerung - Onomatopoetische Ausschmückung;<br />

Realität<br />

Instrumentationswandel,<br />

7 T. 27-40 e - E Gegenwart - Rückblick<br />

8 T. 27-48 g - G Gegenwart - Rückblick Klangwechsel; Tempowechsel „etwas<br />

ruhiger“<br />

11 T.15f-26; 59-71 A – a Traum/Rückblick/Liebe Fernorchester im Mollteil Ferne des<br />

–Realität/E<strong>in</strong>samkeit Traumzustands; Bühnenorchester im<br />

Vermittlung: Stimuli Durteil Nähe, Wärme, Traumzustand<br />

13 T. 27ff.; 72ff. Es - es Hoffnung –<br />

Temporeduktion; Reduktion des<br />

Desillusionierung Orchesters; Aufnehmen <strong>der</strong> Generalpausen<br />

Vermittlung: Pausen <strong>Schubert</strong>s sprechende Stille<br />

17 T. 16-18 D – d Träumende Welt – Folgt <strong>Schubert</strong>s Vorgaben: Leere ke<strong>in</strong>e<br />

Zerr<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> Träume akk. Ergänzung; Umschlagen <strong>der</strong><br />

Bewegungsrichtung <strong>der</strong> Triller<br />

18 T. 10-13 d - B Realität – Illusion<br />

Umgang mit den Tongeschlechtern Moll und Dur<br />

1 bezieht sich auf <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong><br />

100


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

19 T. 21-31 A – a Illusion - Realität Hervorheben <strong>der</strong> Last <strong>der</strong> Realität durch <strong>in</strong><br />

Moll repetiertes „Ach“<br />

20 T. 22-40 g - G Wan<strong>der</strong>n – Reflexion<br />

des uns<strong>in</strong>nigen Tuns<br />

Ausdünnung des Orchesters<br />

21 T. 22-23 F – f Hoffnung auf Erlösung Überleitung <strong>in</strong> den Mollteil wird mit<br />

durch den Tod –<br />

Abweisung<br />

Trommelwirbel verdeutlicht<br />

22 T. 37-47 g - G Protest/Willensstärke – Mehrfacher „Anlauf“ zum Durteil<br />

Infragestellung <strong>der</strong><br />

Textaussage<br />

Protestoption wird <strong>in</strong> Frage gestellt<br />

23 T. 16-23 A - a Rückblick -<br />

Hervorheben <strong>der</strong> Last <strong>der</strong> Realität durch <strong>in</strong><br />

Desillusionierung Moll repetiertes „Ach“<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

101


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

VI Orchesteraufstellung und Besetzung<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

102


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

VII Raumwege und Instrumentation<br />

103


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE VII CHRISTGEN Raumwege und Instrumentation<br />

104


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE VII CHRISTGEN Instrumentation und Raumwege<br />

105


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE VII CHRISTGEN Raumwege und Instrumentation<br />

106


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

VII Raumwege und Instrumentation<br />

107


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

VII Raumwege und Instrumentation<br />

108


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

VIII Signifikante Bearbeitungsmerkmale<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

<strong>Die</strong> Begriffe, die <strong>in</strong> untenstehen<strong>der</strong> Tabelle für die Bearbeitungsmerkmale verwendet werden (Interpretation,<br />

Lesen, Kontrafaktur, Klanchiffre) s<strong>in</strong>d dem Vokabular und <strong>der</strong> Bestimmungsweise Zen<strong>der</strong>s entnommen und<br />

subsumieren die im Folgenden aufgeführten Bestimmungen 275 :<br />

INTERPRETATION: Dehnung bzw. Raffung des Tempos, Transposition <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e Tonarten,<br />

Herausarbeiten charakteristischer farblicher Nuancen<br />

LESEN: <strong>in</strong>nerhalb des Textes spr<strong>in</strong>gen, Zeilen mehrfach wie<strong>der</strong>holen, Kont<strong>in</strong>uität<br />

unterbrechen, verschiedene Lesarten <strong>der</strong> gleichen Stelle vergleichen<br />

ORCHESTER: Permutation <strong>von</strong> Klangfarben; Ausnutzung <strong>von</strong> beson<strong>der</strong>en<br />

Klangmöglichkeiten<br />

KONTRAFAKTUR: H<strong>in</strong>zufügung frei erfundener Klänge als Vor-, Zwischen-, Nach- o<strong>der</strong><br />

simultane Zuspiele; Überleitungen; Verschiebung <strong>der</strong> Klänge im Raum<br />

BEWEGUNG: Gänge <strong>der</strong> Musiker im Raum<br />

KLANGCHIFFRE: keimhafte musikalische Figur, aus <strong>der</strong> das ganze Lied sich zeitlich entfaltet;<br />

Stimuli und Onomatopoetik<br />

ABKÜRZUNGEN: F I: Fernorchester I F II: Fernorchester II<br />

BO: Bühnenorchester P: Publikum<br />

Nr. Interpretation Lesen Orchester Kontrafaktur Bewegung Klangchiffre<br />

1<br />

2<br />

3<br />

- än<strong>der</strong>t Taktart:<br />

2/44/4<br />

- Taktwechsel<br />

- autographe<br />

Tempoangabe<br />

- Rezitierte<br />

Textpassagen<br />

werden den<br />

gesungenen<br />

gegenüber<br />

gestellt<br />

- än<strong>der</strong>t Taktart:<br />

6/84/4<br />

- Tempowechsel<br />

- Taktdehnung<br />

- autographe<br />

Tempoangabe<br />

- autographe<br />

Tempoangabe<br />

Wdh., Spr<strong>in</strong>gen<br />

im Text,<br />

Lesartenvergleich,<br />

Collage,<br />

herausgeschnittene<br />

Passagen<br />

werden neu<br />

zusammengestellt<br />

Beg<strong>in</strong>nt mit<br />

bi<strong>der</strong>meierlichem<br />

Streichquartett<br />

um sich im<br />

Folgenden vom<br />

„<strong>Schubert</strong>schen“<br />

Klang<br />

fortwährend zu<br />

distanzieren<br />

W<strong>in</strong>dmetapher<br />

wird durch<br />

W<strong>in</strong>dmasch<strong>in</strong>e,<br />

Becken und<br />

„tonloses“<br />

Blasen <strong>der</strong><br />

Blechbläser<br />

ausgefüllt.<br />

Xylorimba,<br />

Harfe=<br />

transparent<br />

gläserner Klang<br />

Streicher: c.l.b.;<br />

pizz., trem.; <br />

Frost u. Eis /<br />

Bie<strong>der</strong>meierliches<br />

Steichquartett <br />

Wärme (T.33f.)<br />

- Introduktion:<br />

58 Takte<br />

onomatopoetsiches<br />

Marschieren<br />

- Verstärkung <strong>der</strong><br />

Stimme<br />

- 16taktiges<br />

Zwischenspiel<br />

(T. 161-176)<br />

Fl., Ob., Kl., Trp.,<br />

Hn., ziehen erst im<br />

Verlauf des VS e<strong>in</strong><br />

275 Vgl.: Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 222-223.<br />

Schritte<br />

Wehen<br />

des<br />

W<strong>in</strong>des<br />

Klirren<br />

des<br />

Eises<br />

109


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

4<br />

- Taktwechsel<br />

- autographe<br />

Tempoangabe<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

5<br />

6<br />

7<br />

- autographe<br />

Tempoangabe<br />

- Tempowechsel<br />

- Transposition<br />

<strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s<br />

autographe<br />

Tonart fis-moll<br />

- abweichende<br />

Tempoangabe<br />

- Hervorhebung<br />

des daktylischen<br />

Rhythmus<br />

- autographe<br />

Tempoangabe<br />

Absetzen <strong>der</strong><br />

Strophen: 2.<br />

Str.: Melodie <strong>in</strong><br />

Pos., Text<br />

rezitiert <br />

Zen<strong>der</strong>s<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />

mit <strong>der</strong><br />

Problematik<br />

strophischen<br />

Vertonens<br />

Wdh,<br />

Unterbrechung<br />

des<br />

Sprachflusses/<br />

<strong>der</strong> Kont<strong>in</strong>uität,<br />

Lesartenvergleich<br />

Volkstümliche<br />

Instrumentation<br />

Überhöhung/<br />

Kitsch <br />

offenbart den<br />

falschen Sche<strong>in</strong> /<br />

Kontrast zur<br />

onomatopoetisch<br />

gestalteten 3.<br />

Strophe<br />

Eis = Streicher:<br />

c.l.b., gliss., salt.,<br />

trem., Flageolett/<br />

Posaunenkantilene<br />

Assoziation<br />

jüngstes Gericht<br />

Instrumentation<br />

wächst mit <strong>der</strong><br />

Zunahme <strong>der</strong><br />

Aufregung des<br />

lyr. Ich<br />

8 Dur-Moll-<br />

Konfrontation <br />

Wechsel des<br />

Klangcharakters<br />

Abspaltungen<br />

aus Melodiesegmenten<br />

bilden<br />

VS, ZS und NS<br />

Kontrast zur<br />

orig<strong>in</strong>ale<br />

Strophengestalt<br />

Mundharmonika<br />

entfernt sich <br />

Raumklang<br />

- Dehnung des<br />

VS<br />

- Auskomponiertes<br />

„Schwellen“<br />

- löst Melodiesegmente<br />

aus<br />

<strong>Schubert</strong>s<br />

Vorspiel und<br />

gestaltet aus<br />

diesem Material<br />

e<strong>in</strong> neues<br />

Klangbild<br />

9 - Raumklang<br />

durch Verteilung<br />

<strong>der</strong> Musiker auf<br />

die<br />

verschiedenen<br />

Orchesterpositio<br />

nen<br />

- Echos: machen<br />

die Verirrung des<br />

Wan<strong>der</strong>ers<br />

räumlich deutlich<br />

Ob.I, Kl.I <strong>in</strong><br />

Zuschauerraum<br />

Ob.I, Kl.I spielend<br />

im Zuschauerraum /<br />

Ob.I, Kl.I zurück<br />

zum Orchesterplatz<br />

Trp., Pos. F I<br />

Schlagzeug III, Fg. I,<br />

Kl.I F I<br />

Fl.I, Ob.I , Schlagzeug<br />

IV FII<br />

Trp., Pos. = F I<br />

Schlagzeug III, Fg. I,<br />

Kl.I = F I<br />

Fl.I, Ob.I, Schlagzeug<br />

IV = F II<br />

Verzweifelte<br />

Suche<br />

nach<br />

Vergan-<br />

genem<br />

Säuseln<br />

<strong>der</strong><br />

Blätter<br />

im W<strong>in</strong>d<br />

Verzwei<br />

felte<br />

Suche<br />

nach<br />

Vergangenem<br />

Klirren<br />

des<br />

Eises<br />

Schritte<br />

Halluz<strong>in</strong>ation<br />

und<br />

Irrlichter<br />

110


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

10 Zurückgenomme<br />

ne Besetzung:<br />

Streicher,<br />

Akkordeon,<br />

Xylorimba,<br />

Harfe<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

11 - autographe<br />

Tempoangabe<br />

12 - Suche nach <strong>der</strong><br />

„richtigen“<br />

Tonart<br />

Herabs<strong>in</strong>ken<br />

<strong>von</strong> d-moll nach<br />

h-moll<br />

- kont<strong>in</strong>uierliche<br />

Verlangsamung<br />

des Tempos <br />

„Verschleppen“<br />

- Rezitierter<br />

Text:<br />

Hervorhebung,<br />

wirkt wie<br />

Apostrophe ans<br />

Publikum<br />

Wdh, Collage<br />

<strong>von</strong> Textfragmenten,Kont<strong>in</strong>uitätsbruch,Lesartenvergleich<br />

Traum:<br />

bie<strong>der</strong>meierliche<br />

Streicher;<br />

Realität: Bläser<br />

Harter Klang <strong>der</strong><br />

Holzbalken als<br />

Kontrast zum<br />

Klangcharakter<br />

des bie<strong>der</strong>meierlichenStreichquartetts<br />

Ü Ausschließlich<br />

Holzbalken<br />

13 - Tempowechsel Collage, Wdh.,<br />

Lesartenvergleich,<br />

Horn, Trompete<br />

und Trommel<br />

nähren sich <br />

onomatopoetische<br />

Umsetzung <strong>der</strong><br />

Postkutsche<br />

(Nahen)<br />

- Klangopposition<br />

<strong>von</strong><br />

Bläsern und<br />

Streichern<br />

Zwischenaktmusik<br />

- Dehnung des<br />

VS<br />

- Raumklang,<br />

durch verteiltes<br />

Orchester<br />

- Verstärkung<br />

- Dehnung des<br />

NS <br />

Auflösung/<br />

Fragmentierung<br />

Fl.I+II, Ob.I+II, Kl.<br />

I+II, Fg. I+II, Hn.,<br />

Trp., Pos., = F I<br />

Nach 11:<br />

Trp., Schlagzeug IV<br />

verlassen Raum<br />

Fg. I+II, Schlagzeug<br />

III BO<br />

Ob. I+II, Kl. I+II, Hn.,<br />

Pos., P<br />

Antagonismus<br />

<strong>von</strong><br />

Rast <strong>in</strong><br />

Wan<strong>der</strong>s<br />

chaft<br />

- Halluz<strong>in</strong>ation<br />

und<br />

Irrlichter<br />

- Krähen<br />

<strong>der</strong><br />

Hähne<br />

Innere<br />

Zerrissenheit<br />

KEINE BEWEGUNG Schritte<br />

Rückweg <strong>der</strong> Bläser<br />

BO<br />

Schlagzeug IV, Trp.<br />

Auftritt <strong>von</strong> außen<br />

<strong>in</strong>s BO<br />

14 - Dehnung NS Alter<br />

und Tod<br />

15 - freie<br />

Flug<br />

Zusammen-<br />

und<br />

stellung <strong>von</strong><br />

Rufe <strong>der</strong><br />

Melodiesegmenten<br />

aus<br />

<strong>Schubert</strong>s<br />

Vorlage <strong>in</strong> VS<br />

und NS<br />

Krähe<br />

16 - Kontradiktion<br />

<strong>von</strong> legato und<br />

c.l.b., pizz.,<br />

stacc.,<br />

Funerale<br />

Bläsergruppe /<br />

bie<strong>der</strong>meierliche<br />

Streichergruppe<br />

- trem.=<br />

zitterndes Laub<br />

- Erweiterung<br />

des<br />

unaufhörlichen<br />

Fallens <strong>der</strong><br />

Blätter <br />

Onomatopoesie<br />

- Ende: G.P.<br />

17 - Knurren <strong>der</strong><br />

Hunde: Vl. Und<br />

Trommel dem<br />

VS vorausgesetzt<br />

Posthorn<br />

Zittern<br />

<strong>der</strong><br />

fallenden<br />

Blätter<br />

Knurren<br />

<strong>der</strong><br />

Hunde<br />

111


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

18<br />

- Triolen <br />

Sechstolen<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

- E<strong>in</strong>fügungen<br />

führen zu<br />

Taktwechseln<br />

- Kont<strong>in</strong>uitätsbruch,<br />

19 - Wdh.,<br />

Kont<strong>in</strong>uitätsbruch,Lesartenvergleich,<br />

Akustischer<br />

Dauerregen<br />

durch E<strong>in</strong>satz<br />

<strong>von</strong><br />

Regenblechen<br />

- durchsichtige/<br />

transparente<br />

Instrumentation<br />

- häufige<br />

Flageoletts,<br />

c.l.b., pizz. <br />

Täuschung<br />

- Erweiterung<br />

des VS<br />

- Erweiterung<br />

des<br />

„Zwischenspiels“<br />

- Erweiterung<br />

des NS<br />

- Zerreißen <strong>der</strong><br />

Motive <br />

Collage<br />

Orig<strong>in</strong>al gänzlich<br />

zerrissen<br />

- E<strong>in</strong>fügungen<br />

<strong>von</strong> Pausen<br />

- 35 Takte<br />

„Täuschung“<br />

gehen dem VS<br />

voraus<br />

- erweitertes ZS<br />

- erweitertes NS<br />

20 - Erweitert<br />

Prolongationen<br />

<strong>der</strong><br />

<strong>Schubert</strong>schen<br />

Vorlage <br />

Verlust des<br />

Bewegungsimpulses<br />

21 - än<strong>der</strong>t Taktart:<br />

C 8/8<br />

22 - g-Moll erst<br />

nach Phase<br />

tonaler<br />

Orientierungslosigkeit<br />

erreicht<br />

- Schwanken <strong>der</strong><br />

Metrik/<br />

Taktwechsel<br />

23 - Taktwechsel<br />

- polyrhythmische<br />

Gesamtstruktur<br />

- Wdh.,<br />

Spr<strong>in</strong>gen im<br />

Text, Lesartenvergleich<br />

- wdh.,<br />

Kont<strong>in</strong>uitätsbruch<br />

- Funeraler<br />

Bläsersatz <br />

ke<strong>in</strong>e Streicher<br />

- Trommelwirbel:<br />

Zeichen<br />

zur H<strong>in</strong>richtung<br />

- 3 W<strong>in</strong>dmasch<strong>in</strong>en<br />

- exponiertes<br />

Schlagwerk<br />

Auskomponierte<br />

Fermate<br />

<strong>Schubert</strong>s<br />

- Onomatopoetischer<br />

E<strong>in</strong>schub mit<br />

Motivverarbeitungen<br />

(T.77-90)<br />

- Erweiterung<br />

des VS <br />

Aufbau e<strong>in</strong>er<br />

polyrhyth.<br />

Gesamtstruktur<br />

konkurrierende<br />

Tempi<br />

- Erweiterung <strong>der</strong><br />

ZS<br />

- Erweiterung NS<br />

Innere<br />

Zerrissenheit<br />

Wehen<br />

des<br />

W<strong>in</strong>des<br />

+<br />

Halluz<strong>in</strong>ation<br />

und<br />

Irrlichter<br />

Wan<strong>der</strong>motiv(unfreiwilligesWan<strong>der</strong>n<br />

und<br />

Orientierungslosigkeit) <br />

Resignation<br />

choral<br />

funerale<br />

Elemente<br />

Wehen<br />

des<br />

W<strong>in</strong>des<br />

3 Sonnen<br />

= 3<br />

Rhythmusvarianten<br />

112


MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

24 - Transposition<br />

<strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s<br />

autographe<br />

Tonart h-moll <br />

versperrt den<br />

Bezug zum<br />

Beg<strong>in</strong>n<br />

- Taktwechsel<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

- Verkl<strong>in</strong>gen<br />

durch sich<br />

entfernen <strong>der</strong><br />

Musiker<br />

- Erweiterung<br />

<strong>von</strong> VS/ NS<br />

- Ereiterung <strong>der</strong><br />

Qu<strong>in</strong>tschichtung<br />

- polyrhyth. Und<br />

polymel.<br />

Schichtungen <br />

harmonisch –<br />

räumliche<br />

Stabilität<br />

schw<strong>in</strong>det<br />

Alle Bläser (außer<br />

Pos.) verlassen<br />

nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> den<br />

Raum<br />

Leere<br />

Qu<strong>in</strong>ten<br />

<strong>der</strong><br />

Leier<br />

113


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- JANINE CHRISTGEN<br />

IX Vergleich <strong>der</strong> Melodieführung <strong>in</strong> Lied 4 und 5<br />

114<br />

„Der<br />

L<strong>in</strong>denbaum“<br />

-Nr. 5-<br />

„E<strong>in</strong>samkeit“<br />

-Nr. 4-


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- JANINE CHRISTGEN<br />

X Liszts Transkription des „L<strong>in</strong>denbaums“<br />

115


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- JANINE CHRISTGEN<br />

116


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117


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- JANINE CHRISTGEN<br />

118


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119


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120


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- JANINE CHRISTGEN<br />

121


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- JANINE CHRISTGEN<br />

XI Retardation (Lied 12)<br />

Tempo<br />

140<br />

120<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Retardation<br />

1 2 3 4<br />

Abschnitt<br />

Holzbalken<br />

Streicher<br />

Holzbalken Streicher Proporz<br />

115 102 1,125<br />

102 91 1.121<br />

91 83 1,1<br />

83 74 1,1<br />

122


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- JANINE CHRISTGEN<br />

XII Tempovarianz (Lied 13)<br />

Tempo<br />

120<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

1 34 45 48 56 60 68 80 86 90 95 102 106 124<br />

Takte<br />

TAKT 1 34 45 48 56 60 68 80 86 90 95 102 106 124<br />

TEMPO 66 88 99 66 77 66 77 99 88 99 66 55 22 66<br />

123


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- JANINE CHRISTGEN<br />

XIII Formaler Ablauf <strong>von</strong> Lied 22<br />

Formteil Benennung Ablauf<br />

I<br />

II<br />

VORSPIEL<br />

1. STROPHE (M<strong>in</strong>ore)<br />

T.1-17<br />

1. Anlauf: T.18-19 (f-Moll)<br />

W<strong>in</strong>d: T. 20-23<br />

2. Anlauf: T. 24-27 (a-Moll)<br />

W<strong>in</strong>d: T. 28<br />

3. Anlauf: T. 29-33 (fis-Moll)<br />

W<strong>in</strong>d: T. 34-36<br />

4. Anlauf T. 37-41 (g-Moll = Orig<strong>in</strong>altonart)<br />

W<strong>in</strong>d: T. 42-43<br />

Fortsetzung: T. 44-48 (g-Moll)<br />

III<br />

COLLAGE<br />

T. 49-59 Verarbeitung des <strong>Schubert</strong>schen Materials<br />

IV 2. STROPHE T. 59-66 – setzt nicht <strong>in</strong> g-Moll, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> b-Moll an Suche nach<br />

<strong>der</strong> „richtigen Tonart“ beg<strong>in</strong>nt <strong>von</strong> Neuem<br />

T. 65-66 – Zwischenspiel<br />

T. 67-71 – Ansatz <strong>in</strong> a-Moll statt g- Moll Suche nach richtiger<br />

Tonart setzt sich fort<br />

T. 72-73 – „Echo“ <strong>der</strong> S<strong>in</strong>gstimme<br />

T. 74-77 – Beg<strong>in</strong>n des Maggioreteils, aber E-Dur statt G-Dur<br />

V WIND -COLLAGE T. 77-90 – Verarbeitung <strong>Schubert</strong>scher Motive<br />

VI 2. STROPHE - NEU T. 90-104 – M<strong>in</strong>oreteil wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Orig<strong>in</strong>algestalt wie<strong>der</strong>holt<br />

VII MAGGIORETEIL T. 105-127<br />

T. 128-147 – Abspaltungen und Zerreißen des <strong>Schubert</strong>schen Materials<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

XIV Rhythmus und Melodieschichten <strong>in</strong> Lied 22<br />

XIV.1 Rhythmus und Melodiemodelle <strong>Schubert</strong>s<br />

A<br />

B<br />

C<br />

D<br />

A1 A2<br />

B1<br />

B2<br />

Vgl:: <strong>Schubert</strong> Lied 22<br />

Takt 41 – li. Hand Klavier<br />

Vgl.: <strong>Schubert</strong> Lied 22<br />

Takt 39f. - S<strong>in</strong>gstimme<br />

Vgl.: <strong>Schubert</strong> Lied 22<br />

Takt 41 – li.Hand Klavier<br />

Vgl.: <strong>Schubert</strong> Lied 22<br />

Takt 45 - Klavier<br />

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XIV.2 Zen<strong>der</strong>s Collage <strong>der</strong> Melodie- und Rhythmusmodelle <strong>Schubert</strong>s<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

XV Rhythmusmodelle <strong>in</strong> Lied 24<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

XVI Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Inszenierung Neumeiers<br />

BILD I: BÜHNE MIT DEN JUGENDBILDERN DER TÄNZER IM HINTERGRUND<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

BILD II: BÜHNE MIT VIDEOSEQUENZEN AUS DER JUNGEND DER TÄNZER<br />

BILD III/ IV: VERDEUTLICHUNG DER QUALEN DES WANDERERS DURCH DEN MYTHOLO-<br />

GISCHEN VERWEIS AUF THANTALUS<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

BILD V: DURCH GLASCHEIBE GETRENNTE MENSCHEN – ZUR VERDEUTLICHUNG DER DISTANZ<br />

ZWISCHEN DER INDIVIDUEN, BEI GLEICHZEITIGER VISUELLER NÄHE.<br />

BILD VI: DURCH GLASCHEIBE GETRENNTE MENSCHEN – ZUR VERDEUTLICHUNG DER<br />

DISTANZ ZWISCHEN DER INDIVIDUEN, BEI GLEICHZEITIGER VISUELLER NÄHE.<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

BILD VI: VEREINZELTES INDIVIDUUM, MIT ÜBERGROSSEM PULLOVER, DER DIE<br />

UNVERBINDBARKEIT VON SUBJEKT UND WELT SPIELGELT, DA DIESE JENEM GLEICHFALLS ZU<br />

GROSS GEWORDEN IST, IHN ÜBERFORDERT.<br />

BILD VII: DAS VEREINZELTE INDIVIDUUM VERSUCHT ZUGANG ZUR WELT ZU FINDEN.<br />

BILD VIII: KONTAKT – GLEICHE BEWEGUNGSABLÄUFE SIGNALISIEREN KOMMUNIKATION<br />

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- JANINE CHRISTGEN<br />

BILD IX/X/XI: VEREINZELTE INDIVUDUUEN AUF DER BÜHNE<br />

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- JANINE XVII CHRISTGEN Partitur ausgewählter Lie<strong>der</strong> aus <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong><br />

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- JANINE XVIII CHRISTGEN Partitur ausgewählte Lie<strong>der</strong> aus Zen<strong>der</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong><br />

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