Die Rache Yorix
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»><strong>Die</strong> <strong>Rache</strong> <strong>Yorix</strong>
INHALTSVERZEICHNIS<br />
I. EINLEITUNG 1<br />
II. DER SCHLÜSSEL »ENCH« 15<br />
1. Zur Quellenlage 15<br />
2. »Vom Nutzen und Nachteil der Historie« 22<br />
3. Das Weltbild des »Philopseudes« 26<br />
Exkurs: Der Leviathan 32<br />
4. <strong>Die</strong> Fluchthilfen der Phantasie 39<br />
5. Der »Hetztraum« 47<br />
a) sensus impudicus 47<br />
b) sensus litteralis 51<br />
c) sensus anagocicus 57<br />
6. Zur Theorie des »Längeren Gedankenspiels« 61<br />
7. <strong>Die</strong> Flucht 70<br />
8. Fazit 80<br />
III. DER ZAUBERSTAB DES HERMES 86<br />
1. Luna >a tergo< 86<br />
2. »Profil Von Links« 95<br />
3. »Gelebte Vita« 108<br />
a) Der herzkranke Hermes 108<br />
b) <strong>Die</strong> scheue Eumenide 117<br />
c) <strong>Die</strong> Venus von Giffendorf 125<br />
4. »>Oknos der Seilflechter
V. DAS HUMORISTISCHE WELTGERICHT 228<br />
1. Humor als dichterische Einbildungskraft? 228<br />
2. Humoristische Häresie 240<br />
3. »Der Vogel Merops« 250<br />
4. »Gonopsychanthropologia« 264<br />
5. »Tat-Twam Asi« 278<br />
6. »Galgn-Huhmohr« 291<br />
VI. SCHLUSS 309<br />
1. Allegorie 309<br />
2. Witz 313<br />
3. Humor 319<br />
VII. LITERATURVERZEICHNIS 327
Meinen Eltern
I. EINLEITUNG<br />
Zur Methode wird nur der getrieben,<br />
dem die Empirie lästig wird.<br />
J. W. v. Goethe<br />
<strong>Die</strong> Methodendiskussion in der Literaturwissenschaft hat wenig neue Erkenntnisse und<br />
viele überlange Einleitungen hervorgebracht. <strong>Die</strong> Erwartung allerdings, daß ein<br />
forciertes Nachdenken über die Arbeitsziele und -mittel zwangsläufig auch die Zahl<br />
instruktiver Textinterpretationen vermehren würde, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil,<br />
es scheint, die »Saifenblasen= Montgolfieren« der Reflexion steigen um so höher, je<br />
mehr Textballast abgeworfen wird. Das Niveau interpretatorischer Selbstbesinnung<br />
verflüchtigt sich bei solchem begrifflichen Auftrieb dann üblicherweise derart ins<br />
Ätherische, daß der Ausgangspunkt nur allzuschnell aus dem Blick gerät und<br />
stattdessen freischweifend räsoniert wird. <strong>Die</strong> Folge: Das literarische Werk verkommt<br />
zum Beispielgeber für beliebige ideologische Vorurteile. An die Stelle der, von<br />
ästhetisierenden Generalisten ohnehin immer als philologischer Sklavendienst<br />
verachteten, textgebundenen Interpretationsarbeit tritt die Paraphrase, das derzeit<br />
bevorzugteste rhetorische Hilfsmittel all jener Hermeneuten, die sich im Niemandsland<br />
zwischen Philosophie und Literaturwissenschaft angesiedelt haben.<br />
<strong>Die</strong>se essayistische Unbekümmertheit um die Eigenart der Texte rächt sich<br />
zwangsläufig in der Stereotypie der Erträge. So mühelos sich Theorien in einen Text<br />
hineinlesen lassen, so unergiebig ist ihr Erklärungswert. Um strukturalistische,<br />
marxistische, psychoanalytische, soziolinguistische ... Lehrsätze zu beweisen, sollte es<br />
nicht des Umweges über die Kunst bedürfen, zumindest dann nicht, wenn das<br />
Erkenntnisinteresse vorgeblich ein literaturwissenschaftliches ist; und umgekehrt, um<br />
den Sachgehalt eines individuellen Textes zu erarbeiten, braucht es nicht die Beihilfe<br />
vielzähliger universalistischer Verfahrens-lehren.<br />
Vor dem einzelnen Werk erweist sich die proklamierte Pluralität der Lektüren und<br />
Methoden folglich auch schnell als hermeneutische Illusion. Ästhetische Theorien,<br />
welcher Provenienz auch immer, erklären günstigstenfalls sich selbst, aber selten<br />
genug ihren Gegenstand. So rechtfertigen - um mit der ertragärmsten Lesemethodik<br />
zu beginnen - die von der psychoanalytischen Exegetik bislang zu Tage geförderten<br />
Ergebnisse kaum je die Mühen der Lektüre. Was an Freuds Gradiva-Studie dank<br />
seines hermeneutischen Genies noch den Reiz der Neuheit hatte, die Anamnese der<br />
systemeigenen Lehrsätze in einem beliebigen literarischen Text, langweilt bei seinen<br />
Epigonen als jener gemeinhin praktizierte biographische Voyeurismus, der kaum mehr<br />
im Sinn hat als die lehrbuchmäßige Applikation standardisierter Psychogramme<br />
zwecks rückwirkender Therapie des Autors. <strong>Die</strong>se analytische Überheblichkeit<br />
gegenüber dem Erzähler ist insofern bemerkenswert, als sie beispielgebend wurde:<br />
die Zeit schien gekommen für die <strong>Rache</strong> des ewigen Zweiten, der dank der<br />
>Methode< sich befähigt glaubte, dem Autor den Sinn des Gesagten nun endlich<br />
selbst diktieren zu können. Ihren populistischen Abschluß fand diese<br />
Emanzipationsbestrebung des Lesers in der Rezeptionsästhetik, die<br />
konsequenterweise Textinterpretation und -wertung zur Sache des historischen<br />
Kollektivs erklärte, die »Kontrollinstanz des vorgegebenen Werkes« verabschiedete
und stattdessen die Egalität aller Deutungen als neues hermeneutisches Grundgesetz<br />
proklamierte, so als ließe sich über den Sinngehalt von Kunst abstimmen. Wenn dem<br />
so wäre, dann lieferten die Verkaufszahlen ein absolut sicheres Kriterium dessen, was<br />
literarische Qualität zu sein hat.<br />
<strong>Die</strong> elitäre Radikalisierung dieses sich volkstümlich gebenden hermeneutischen<br />
Nihilismus vollzogen die Dekonstruktivisten, indem sie den Autor vollends<br />
entmündigten, seine Rede angesichts der »Unmöglichkeit wirklichen Verstehens« als<br />
a priori sinnlos diskreditierten, womit der Nobilitierungsprozeß des Interpreten vom<br />
><strong>Die</strong>ner des Werkes< zum alleinigen Gebieter der Bedeutungen sein gewünschtes<br />
Ende fand. Was bleibt, ist die Kunst des Exegeten, der an jedem beliebigen Werk<br />
wortreich aufs neue zu demonstrieren vermag, welche hermeneutische Raffinesse es<br />
verlangt, das Nichtssagende eines literarischen Textes zur Sprache kommen zu<br />
lassen.<br />
So grobschlächtig, ungerecht und falsch diese Urteile auch im einzelnen sein mögen,<br />
die Misere in der Literaturwissenschaft, abzulesen an der stetig sinkenden Zahl<br />
instruktiver Textinterpretationen bei unübersehbarer Zunahme inhaltsleerer<br />
Theoriepropädeutiken, bezeugt deutlich genug die Unergiebigkeit der methodischen<br />
Überanstrengung. Wer jede hermeneutische Mode mitmachen wollte, wer in jede<br />
theorieinterne Redeweise sich einüben muß, dem bleibt keine Zeit mehr für die<br />
Lektüre, und genau diese Unterlassung spiegelt sich in vielen neueren Arbeiten.<br />
Angesichts dieser fruchtlosen Hypertrophie der Reflexion spricht alles für eine<br />
pragmatische Bescheidung, sowohl was die Erkenntnisziele als auch Wahl und<br />
Einsatz der Mittel anbelangt. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, hier<br />
soll nicht die Rückkehr zu rein textimmanenten Verfahrensweisen propagiert werden -<br />
für eine differenzierte Methodenkritik ist eine Einleitung ohnehin nicht der Raum -, es<br />
geht ausschließlich um die exegetische Selbstverständlichkeit, vor aller Flucht in die<br />
Unverbindlichkeit des Theoretisierens den Text selbst zu Wort kommen zu lassen.<br />
<strong>Die</strong> Interpretation eines literarischen Werkes insbesondere sogenannter >schwieriger<br />
Autoren< hat häufig den Charakter eines unausgesetzten Rätselratens.<br />
Selbstverständlich steht es dabei jedem frei, seinen eigenen Lösungsweg zu suchen:<br />
man kann den Sinn von Rätseln überhaupt in Frage stellen; man kann ihre<br />
ökonomischen Entstehungsbedingungen soziologisch, ihre sprachliche Strukturform<br />
linguistisch ventilieren, man kann über ihren Kompensationswert für den Rätselsteller<br />
wie für seinen Mitspieler meditieren, man kann mehrheitlich über ihre Lösung<br />
abstimmen lassen oder ihre ontologische Unlösbarkeit an sich behaupten, man kann<br />
alle denkbaren Lösungen in der Hoffnung herbeikarren, daß sie sich von alleine<br />
aussortieren - oder man versucht, sie zu enträtseln. Dabei ist jede Methode recht,<br />
solange sie nicht den Text zwingt, auf Fragen zu antworten, die er nicht stellt.<br />
Natürlich ist die Nutzanwendung dieses Beispiels begrenzt; nicht jeder Text gibt Rätsel<br />
auf, nicht jedes literarische Rätsel ist nur für eine Lösung gemacht, viele bestehen<br />
geradezu auf ihrer Rätselhaftigkeit und verwehren sich grundsätzlich jeglicher<br />
Auflösung. Im Fall Arno Schmidts jedoch, wie auch all jener Autoren, denen er<br />
schriftstellerisch verpflichtet ist, namentlich Sterne, Wieland, Jean Paul, Thomas Mann<br />
und James Joyce, bleiben die Texte, das zeigen alle bisherigen<br />
Interpretationserfahrungen, ohne hermeneutisches Rätselraten stumm.<br />
Ulysses, Joseph und seine Brüder, Zettels Traum - bereits die Titel sind<br />
Bildungsprüfungen, die alle Rezensenten gern haben über sich ergehen lassen, weil<br />
nicht mehr als elementarstes Grundwissen abverlangt wird; die Odyssee, das 1. Buch<br />
Moses, der Sommernachtstraum, allesamt kanonische Schriften, auf die sich zu
erufen, niemand als esoterische Extravaganz wird abtun können. Noch ehe der erste<br />
Satz gesprochen ist, weiß der Leser demnach, worauf er sich bei der Lektüre<br />
einzurichten hat, daß nämlich fortan der Bezug zu anderem ausdrücklich gesucht wird,<br />
daß in diesen Werken vom »Trugschluß der Referenz« oder gar beziehungsloser<br />
Autoreflexivität keine Rede sein kann; im Gegenteil, die Texte gewinnen Bedeutung<br />
erst durch ihre Berufung auf die Tradition.<br />
Was beim Titel noch als lösbare Quizfrage gefällt, wird beim Eröffnungssatz meist<br />
schon zum anstößigen Problem. <strong>Die</strong> Rätselhaftigkeit der Texte sperrt sich gegen eine<br />
allzu eilfertige Lektüre. Es gibt keinen Grund, das den Autoren zum Vorwurf zu<br />
machen.<br />
Das feuilletonistische Gemurre über die unzumutbare polyhistorische Gelehrsamkeit<br />
Arno Schmidts (Jean Pauls, James Joyce', Hermann Brochs, Robert Musils ...)<br />
wiederholt in unverbesserlicher Ignoranz die immer gleichen Klagen einer aufs<br />
Mediokre eingeschworenen Leserschaft, die seit jeher allergisch auf eine<br />
Überbeanspruchung ihrer feierabendlichen Bildungsbereitschaft reagiert. Auch wenn<br />
es das Vorurteil immer einreden will, der poeta doctus ist keine Spätgeburt der<br />
Moderne. Zu allen Zeiten sahen sich die Autoren dem Vorwurf ausgesetzt, sie<br />
übertrieben die Gelehrsamkeit zum Verdruß aller und insbesondere der Rezensenten.<br />
Dabei war und ist niemand genötigt, Rabelais, Sterne, Joyce oder Arno Schmidt zu<br />
lesen, nur, wenn man es tut, dann gebietet der Anstand, nicht den eigenen<br />
Bildungsgrad als Maßstab zu setzen, sondern Lernbereitschaft zu zeigen. Ob das in<br />
jedem Fall lohnend sein wird, ist eine andere Frage, über die aber nur mitreden kann,<br />
wer sich der Mühe gestellt hat. Bei dieser Arbeit am Text sollte es wiederum eine<br />
Selbstverständlichkeit sein, nicht von vornherein anzunehmen, der Autor neige immer<br />
dann zur Fahrlässigkeit, wenn es einem selbst an Verständnis fehlt. <strong>Die</strong> Aversion<br />
gegen das Zufällige als Produktionsfaktor, das Beharren auf handwerklicher Sorgfalt<br />
ist eine Eigenart Arno Schmidts, die er mit allen Literaturschaffenden von Rang teilt.<br />
Auch wenn daraus nicht das Recht noch der banalsten Unstimmigkeit auf<br />
Entschlüsselung zu folgern ist, so bleibt doch die Aufforderung, diesen Anspruch ernst<br />
zu nehmen und sich nicht voreilig mit essayistischen Allgemeinplätzen zu begnügen.<br />
Grundsätzlich muß jedem Wort in einem literarischen Text eine kalkulierte<br />
Bedeutungs- und Funktionsfähigkeit zugebilligt werden; grundsätzlich ist jeder Satz<br />
kommentierungsbedürftig und interpretationswürdig, denn >selbst-verständlich< ist<br />
nichts in einem Kunstwerk, das als solches sein Existenzrecht erst unter Beweis zu<br />
stellen hat. So überzogen dieser idealtypische Anspruch formuliert scheint, er ist längst<br />
literarisch eingelöst, und das nicht erst seit James Joyce. Gottlob Regis' Erläuterungen<br />
zu Gargantua und Pantagruel sind doppelt so umfangreich wie der Text selbst, was<br />
unverständlicherweise immer zu Lasten des Kommentators ausgelegt wird, anstatt zu<br />
Gunsten des Autors, der sich bei seinem Werk offensichtlich etwas gedacht hat.<br />
<strong>Die</strong> philologische Lesbarmachung von Texten ist die Grundvoraussetzung jeder<br />
ernsthaften Lektüre und eine obligatorische Pflicht der Literaturwissenschaft - der sie<br />
sich inzwischen immer häufiger entzieht. Für die wenigsten »Klassiker der Moderne«<br />
wurden Werksausgaben erarbeitet, die historisch-kritischen Ansprüchen genügen; nur<br />
in den seltensten Fällen existieren Kommentare, die dem Leser die notwendigsten<br />
Lektürehilfen bereitstellen.<br />
Im Fall Arno Schmidts hat diese Aufgabe der hermeneutischen Grundlagenforschung<br />
das Bargfelder »Dechiffrier-Syndikat«, wie sich die notgeborene Gemeinschaft<br />
überforderter Arno Schmidt-Leser selbstironisch taufte, übernommen - mit<br />
ansehnlichem Ertrag. Der üblich gewordene Spott über diese sektiererisch anmutende<br />
>Amateur-Philologie< darf nicht vergessen lassen, daß ohne diese Arbeit Arno<br />
Schmidt - im literaturwissenschaftlichen Sinn - nahezu unverständlich geblieben wäre.
Natürlich läßt sich jeder seiner Texte auch gänzlich unbefangen >nur so zum<br />
Vergnügen< lesen - als ob Lektürelust und Sachverständnis einander nicht befördern,<br />
sondern gegenseitig ausschließen würden; natürlich kann man die Göttliche Komödie<br />
auch als Reiseroman anpreisen, natürlich muß ein Interpret nicht mit Homer, irischer<br />
Geschichte, englischer Literatur und katholischer Dogmatik vertraut sein, um den<br />
Ulysses zu verstehen, aber was kann er dann anderes artikulieren als seine<br />
emotionale Betroffenheit über die esoterische Perfidie des Autors? Ohne begleitenden<br />
Kommentar, sei er vom Leser in mühevoller Kleinarbeit selbst erstellt oder in<br />
Gemeinschaftsproduktion entstanden, werden die Texte - nicht nur der >überbildeten<br />
Moderne< - meist nur zum Spiegel der Interpreteneitelkeit: »Denn bei den alten, lieben<br />
Toten / Braucht man Erklärung, will man Noten; / <strong>Die</strong> Neuen glaubt man blank zu<br />
verstehn, / Doch ohne Dolmetsch wirds auch nicht gehn.«<br />
Selbstverständlich ersetzen solche Lesehilfen nicht die Textanalyse, dessen waren<br />
sich auch die Bargfelder Zuträger bewußt, nur wurde von vielen übersehen, daß, wer<br />
in Heimarbeit das Dechiffrierhandwerk betreibt, noch lange kein<br />
Literaturwissenschaftler ist, und die Verehrung für den >Meister< keine Gewähr für<br />
interpretatives Können bietet. So mangelt es einer Vielzahl der erschienenen Aufsätze,<br />
die sich an der Deutung des Werkes versuchen, an den elementarsten methodischen<br />
Voraussetzungen; häufig genug wird mehr feuilletonistisch räsoniert als wirkliche<br />
Textarbeit betrieben - die Ergebnisse sind dementsprechend dürftig. Über Arno<br />
Schmidts Weltanschauung(en) wurde spekuliert; der vermeintliche Wandel seiner<br />
Persönlichkeit vom streitbaren Jakobiner zum senilen Esoteriker kritisch verfolgt; seine<br />
Romane und Erzählungen als Bruchstücke einer großen Konfession gedeutet - mit<br />
dem Erfolg, daß jeder glaubte, sich in diesem Steinbruch nach Belieben für den<br />
Meinungsstreit munitionieren zu können. An diesem Selbstbedienungsverfahren hat<br />
sich bislang wenig geändert, obwohl die Aktualität des Werkes wie auch sein<br />
literaturpolitischer Provokationswert inzwischen Geschichte sind und die<br />
Gesinnungskämpfe ein Ende gefunden haben.<br />
Weiterhin bestehen aber blieb die Furcht der Exegeten vor dem Text, genauer vor dem<br />
Text als Interpretationseinheit. Ein Resultat dieser Ausweichstrategie ist die Vielzahl<br />
der Gesamtdarstellungen bzw. Einführungen, in denen immer wieder aufs neue die<br />
Selbsteinschätzungen Arno Schmidts paraphrasiert werden, mit der Konsequenz, daß<br />
sich Autor wie Interpret zumeist einig sind über die säkulare Bedeutung des Werkes.<br />
<strong>Die</strong> Arno Schmidt-Forschung droht solchermaßen im Leerlauf zu stagnieren, kaum da<br />
sie in Gang gekommen ist. Über diesen Entwicklungsstillstand wie über die<br />
Unzulänglichkeit der vorliegenden Arbeiten sind sich die meisten der >Bargfelder<br />
Sachverständigen< einig. <strong>Die</strong> Aufforderung ihres Wortführers Jörg Drews, angesichts<br />
dieser Misere »Schmidts Literatur in den kommenden Jahren verstärkt von etwas<br />
umfassenderen Standpunkten aus und unter etwas breiteren Perspektiven« zu<br />
untersuchen, fand dementsprechend viel Beifall, aber keinen produktiven Zuspruch.<br />
Verständlicherweise, denn solange Gehalt und Bedeutung der Texte nicht zureichend<br />
erforscht sind, über ihre Bauform wenig mehr als das vom Autor dazu Geäußerte<br />
bekannt ist, kann jene postulierte Erweiterung des Interpretationshorizontes nicht<br />
stattfinden; solange noch immer über das >Was< und >Wie< der Texte keine Klarheit<br />
herrscht, ist es müßig, über das >Warum< und >Wozu< zu spekulieren.<br />
Daraus ergibt sich die klare Aufgabenstellung, daß vor aller >kritisch< sein wollenden<br />
Erkundung des »Wahrheitsgehaltes« zunächst einmal der »Bedeutungsgehalt« der<br />
Werke herauszuar-beiten ist, und zwar ausgehend von einem Textverständnis, das<br />
sich nicht wie bisher auf philologische Kommentierung bzw. selektive Auswertung des<br />
Gesamtwerkes beschränkt. Zu diesem Zweck einer sachgebundenen Interpretation ist<br />
der Leser auf die Beihilfe des Erzählers angewiesen - nicht auf die des Verfassers. Ein
Text, will er nicht als Kryptogramm konsternieren, muß sich selbst erläutern können -<br />
ohne externe Leseanweisung. Als eine solche allgemeinverbindliche poetologische<br />
Absichtserklärung des Autors Arno Schmidt gelten noch immer die Berechnungen,<br />
was zur Folge hatte und hat, daß kein Interpret auf eine Paraphrase dieser Aesthetica<br />
in nuce verzichten zu können glaubt. <strong>Die</strong>ses ständige Ruminieren ist um so<br />
unergiebiger, wenn man bedenkt, daß Arno Schmidt selbst die Berechnungen<br />
keineswegs als systematische Poetologie konzipiert hat, sondern - wie Umfang und<br />
Eingangsmotto belegen - als eine pragmatisch-provozierende Darlegung seiner<br />
Arbeitsmethoden, wobei ihm die Richtigkeit seiner Thesen »eine Frage<br />
untergeordneten Ranges« schien. (R & P, 300) Nachgewiesenermaßen hat sich Arno<br />
Schmidt auch nur sehr bedingt an die eigenen rigiden Konstruktionsvorgaben<br />
gehalten; festzustellen ist, »[...] daß die Gestaltung der Syntax in den Werken<br />
Schmidts nicht so sehr durch die strukturellen Bedingungen der Prosamodelle<br />
bestimmt wird, als vielmehr durch die individuelle Entwicklung seines Sprachstils [...].«<br />
Wem die geometrischen Konstruktionshypothesen der Berechnungen I zu abstrakt<br />
erscheinen, der möge, so die barsche Aufforderung Schmidts, »[...] zur Kenntnis<br />
nehmen, daß das Problem der heutigen und künftigen Prosa nicht der >feinsinnige<<br />
Inhalt ist [...], sondern die längst fällige systematische Entwicklung der äußeren Form.«<br />
(R & P, 290) An dieses breve hat man sich in der Sekundärliteratur weitgehend<br />
gehalten, wie sonst ließe sich die allgemeine Irritation angesichts der vermeintlichen<br />
>Wende zum Mythos< erklären. Unbemerkt blieb, daß diese behauptete<br />
Vordringlichkeit der formalen Problematik schon in den Berechnungen II eine<br />
merkliche Abschwächung erfuhr. Zwar wird auch hier prätendiert, literarische Formen<br />
ließen sich in einer mathematischen Beschreibungssprache fassen, auch findet sich<br />
erneut eine penible tabellarische Übersicht, in der den »Längeren Gedankenspielen«<br />
die jeweiligen anthropologischen Typen zugeordnet werden, aber entscheidend ist,<br />
was dieser Prosaform zur Aufgabe gestellt wird: »das komplette Porträt eines<br />
Menschen in einem gegebenen Zeitraum x« vorzulegen. (R & P, 298) Erinnert man<br />
sich der Epi- und Hypozykloiden in den Berechnungen I, so mutet das wie ein Rückfall<br />
in die verpönte Inhaltsästhetik an. Ganz im Rahmen des Traditionellen wird<br />
>Erzählen< als eine mögliche Form der (Selbst-)Darstellung einer Persönlichkeit<br />
begriffen, ungeachtet der Zweifel in der modernen Romantheorie, ob eine derartige<br />
personale Integrität, wie sie Schmidt hier offenbar stillschweigend voraussetzt,<br />
überhaupt noch existent bzw. abbildbar ist.<br />
<strong>Die</strong> formalen Vorgaben der Berechnungen I betreffen vorwiegend die Verlaufsform des<br />
Geschehens; die Struktur des Textes soll adäquates Abbild der Bewußtseinsvorgänge<br />
sein. Aber, wenn es Zweck des Erzählens ist, das komplette Porträt eines Menschen<br />
zu geben, dann muß die Darstellung mehr als eine Mimesis der<br />
Apperzeptionsmechanismen leisten, dann kann sie sich nicht nach Äußerlichkeiten wie<br />
»Bewegungskurve und Tempo der Handelnden im Raum« ausrichten (R & P, 286),<br />
dementsprechend kann der Inhalt keine Funktion der Form, sondern umgekehrt, die<br />
Form muß eine Funktion des Inhalts bzw. der vorgegebenen Erzählintention sein.<br />
<strong>Die</strong>se Vordringlichkeit des Darstellungszwecks gilt (unausgesprochen) nicht allein für<br />
die poetologischen Provokationen in eigener Sache, sondern auch für die<br />
»Lesemodell«-Theorie, die Arno Schmidt am »Fall Karl May« entwickelte und fortan für<br />
all seine - ausschließlich inhaltlich orientierten - Literaturdeutungen nutzte. Um diese<br />
hermeneutische Heuristik ist unnötig viel Aufhebens gemacht worden, denn im Grunde<br />
besagt sie nicht mehr, als daß Texte, sei es nun bewußt oder unbewußt, mehrdeutig<br />
verfaßt sein können und dementsprechend allegorisch zu lesen sind. Da Arno<br />
Schmidts essayistische Literaturstudien bekanntlich mehr über sein eigenes Schaffen
als über das seiner Analysanden aussagen, ist es naheliegend, eine solche<br />
allegorische Machart auch für seine eigenen Erzählungen und Romane zu vermuten.<br />
Wichtiger jedoch als die spekulative Diskussion all dieser Vorabbekundungen des<br />
Autors, die allesamt nicht so aufwendig durchdacht sind, als daß sie sich nicht auch<br />
aus der Lektüre selbst hätten ergeben können, ist die Bereitschaft, im Text selbst den<br />
Direktiven des Erzählers zu folgen, denn wenn ihm an Verständlichkeit gelegen ist,<br />
dann wird er dem Leser auch die entsprechenden Instruktionen geben. Es ist nicht<br />
einzusehen, warum dergleichen auktoriale Lektüreleitung immer als autoritäre<br />
Lenkung abgelehnt und nicht als eine zur Erarbeitung des Textgehalts unabdingbare<br />
Orientierungshilfe begrüßt wird. Es mag zwar durchaus sein, daß der >Sinn< eines<br />
Textes etwas anderes ist als das, was der Urheber mit ihm im Sinn hatte, aber diese<br />
Einsicht entbindet nicht von der Pflicht der Interpretation. Will man das einzelne Werk<br />
nicht nur als meditatives Medium mißbrauchen, dann muß vor der philosophischhermeneutischen<br />
>Sinnsuche< die literaturwissenschaftliche Analyse der<br />
Textbedeutung abgeschlossen sein.<br />
An Gadir oder Erkenne Dich Selbst wird mit betonter Pedanterie zu exemplifizieren<br />
sein, was sich an Sachgehalt in dieser Erzählung verbirgt, ob bzw. wie die<br />
allegorische, auf Totalität der Lebensdarstellung zielende Gestaltungsabsicht<br />
technisch umgesetzt wurde und welche Hilfen der Erzähler dem Leser an die Hand<br />
gibt, sachgerecht zu lesen. Gadir oder Erkenne Dich Selbst wurde deshalb für die<br />
Interpretation ausgewählt, weil dieses »Phantasiestück« aus dem ersten Erzählband<br />
Arno Schmidts, dem Leviathan, in einer für das Gesamtwerk beispielgebenden Weise<br />
die Kunst des »Längeren Gedankenspielens« erprobt.<br />
Nach dieser methodischen Vorübung gilt es, die Tauglichkeit des erarbeiteten<br />
Allegoreseverfahrens im größeren Maßstab zu überprüfen, und zwar an Kaff auch<br />
Mare Crisium, jenem Roman also, der wie kein anderer als repräsentativ für die<br />
Erzählkunst Arno Schmidts gelten kann, weil er, gängiger Einschätzung zufolge, den<br />
Übergang vom Früh- zum Spätwerk vollzieht. Sollte sich auch hier der heuristische<br />
Nutzen der Sitara-Hermeneutik bestätigen, so wäre ihr Erklärungswert für das<br />
Gesamtwerk zwar nicht bewiesen, aber sehr wahrscheinlich.<br />
Wichtiger jedoch ist, was mittels dieser Exegetik Neues, Erhellenderes über diesen<br />
Roman selbst zu sagen sein wird, denn ungeachtet seiner Beliebtheit bei den Schmidt-<br />
Lesern, über die Deutungsansätze in den frühen Arbeiten von Drews, Ott und Minden<br />
ist man, trotz zahlreicher informativer Einzelstudien, bislang nicht hinausgekommen.<br />
Der Umfang, die komplizierte Motivtechnik, die Überfrachtung mit Realien zum Teil<br />
entlegenster Provenienz und nicht zuletzt die »ferkorxde Orrto=Graffie« (KAFF, 298)<br />
ließen die Interpreten offensichtlich vor >Größerem< zurückschrecken. Solches, d. h.<br />
eine Deutung des Romans zu versuchen, heißt nach Maßgabe der vorgeschlagenen<br />
allegorischen Lektüretechnik, zunächst die unterschiedlichen Leseebenen herauszupräparieren<br />
und ihre gehaltliche Synchronisierung zumindest in groben Zügen<br />
nachzuzeichnen.<br />
Bis zu diesem Punkt wird sich die Untersuchung auf das beschränken, was in der<br />
Sekundärliteratur, zumeist mit spöttischem Unterton, Textanalyse unter Anleitung der<br />
impliziten Autorenintention genannt wird, was hermeneutischem Handwerk gemäß<br />
aber schlicht die unverzichtbare Erkundung des Sach- und Bedeutungsgehaltes des<br />
Einzelwerkes ist.<br />
Erst wenn das geleistet wurde, Herkunft, Zuordnung und Bauform der Inhalte geklärt<br />
sind, kann die Analyse der Eigenart des poetischen Verfahrens und der Erzähltechnik<br />
dieses Romans in Angriff genommen werden.<br />
Dazu genügt nicht länger der Rekurs auf die von Arno Schmidt selbst gegebenen<br />
poetologischen Instruktionen. Für eine kritische, d. h. distanzierte Interpretation bedarf
es werksexterner Kategorien, die wiederum nicht so abstrakt und gegenstandsfremd<br />
sein dürfen, daß sie den Text in das Prokrustesbett einer dogmatischen Begrifflichkeit<br />
zwängen. <strong>Die</strong> derzeitige Literatur-wissenschaft bietet in dieser Hinsicht und für diesen<br />
speziel-len Fall kaum Hilfsmittel, so daß auf Altbekanntes zurückzugreifen war.<br />
In der Schmidt-Forschung wurde gelegentlich das Werk Jean Pauls als ein möglicher<br />
historischer Bezugspunkt genannt, aber das Diktum des Jean Paul-Experten Wolfgang<br />
Proß, die »Gleichung Jean Paul - Arno Schmidt« sei funktionslos, hat jede weitere<br />
Nachforschung unterbunden. Wenn im folgenden trotzdem ein solcher Vergleich der<br />
poetischen Technik beider Autoren unternommen wird, dann aus der Vermutung<br />
heraus, daß dieses rigide Urteil mitsamt seinen Berufungsgründen sich erübrigt, wenn<br />
durch die Ergebnisse einer textgenauen Interpretation einige der herkömmlichen<br />
Vorurteile über das Werk Arno Schmidts korrigiert worden sind.<br />
<strong>Die</strong> auffälligste und literaturwissenschaftlich zugleich ergiebigste Gemeinsamkeit der<br />
beiden Provinzial-Enzyklopädisten Jean Paul und Arno Schmidt ist ihr >WitzWitz< nur noch als<br />
rhetorischen Scherzartikel führt, in Vergessenheit geraten - nicht in der literarischen<br />
Praxis, wohl aber in der Theorie. Unverdienterweise, wie zu zeigen sein wird, denn<br />
diese, von Jean Paul so virtuos gehandhabte und in seiner Vorschule der Ästhetik als<br />
die eigentliche dichterische Grundkraft gepriesene Kunst der Kombinatorik, stellt das<br />
geeignete »heuristische[] Hebzeug« für eine Analyse der Poetik Arno Schmidts, und<br />
zwar nicht nur was die Oberflächenphänomene Zote und Kalauer anbelangt.<br />
Der Witz ist das genuine Arbeitsinstrument des Polyhistors, des Zettelkasten-Dichters.<br />
<strong>Die</strong> Vielfalt der exzerpierten Kenntnisse wird erst fruchtbar, wenn sie durch die witzige<br />
Kombination in immer neue, überraschende Zusammenhänge gebracht wird. Jean<br />
Paul stellt diese spielerische Kunst in den <strong>Die</strong>nst der Aufklärung: durch die »witzige<br />
Bildung« des Lesers soll die Einigung der Welt im Zeichen der Humanität<br />
vorangetrieben werden. Ausgehend von diesem Totalitätsanspruch wird ein Rückblick<br />
auf die Geschichte des polyhistorischen Dichtens die Traditionsgebundenheit des<br />
vermeintlichen Außenseiters Arno Schmidt deutlich werden lassen, nicht zum Zweck<br />
einer selbstgenügsamen Historisierung, sondern um das Vorurteil autodidaktischer<br />
Willkür und spleeniger Gelehrtheit auszuräumen.<br />
Sinnfälligster Ausdruck des polyhistorischen Denkens ist der >Zitatismusgelehrten DichtensPhänomenologie des Witzes< erfaßt zwar durchaus die auffälligsten formalen wie<br />
auch inhaltlichen Besonderheiten von Kaff auch Mare Crisium, nicht aber jenes<br />
Gestaltungsprinzip, das erst den eigentlichen Kunst- und Unterhaltungswert dieses
Romans ausmacht: wie bei Jean Paul ist auch hier der eigentliche <strong>Die</strong>nstherr des<br />
Witzes der Humor.<br />
Obwohl Arno Schmidt sich wiederholt als Humorist ausgegeben hat, bislang wollte<br />
niemand diese Selbstbezichtigung poetologisch sonderlich ernst nehmen. Wie<br />
überhaupt in der Literaturwissenschaft nach wie vor eine gewisse Reserviertheit<br />
gegenüber dem Humor als Kunstform festzustellen ist, denn obgleich der<br />
humoristische Roman dank Joyce und Thomas Mann keineswegs im<br />
Biedermeierlichen verendete, sondern sich als beispiellos modern erwiesen hat,<br />
existiert bislang nur eine Arbeit von Rang: Preisendanz' Der Humor als dichterische<br />
Einbildungskraft. Leider beschränkt sich diese Studie auf die Werke des »poetischen<br />
Realismus« und spart zudem - was noch weit bedauerlicher ist - die Humortheorie der<br />
Vorschule der Ästhetik aus, obwohl Jean Paul anerkanntermaßen nicht nur als einer<br />
der bedeutendsten Praktiker, sondern auch als einer der scharfsinnigsten Theoretiker<br />
in diesem Fach gilt. Es ist daher naheliegend, auch hier auf seine Überlegungen<br />
zurückzugreifen, in Auseinandersetzung mit den Thesen von Preisendanz ihre<br />
Gültigkeit zu überprüfen, historisch abzusichern, um sie dann - analog dem Rekurs auf<br />
die Witzlehre der Vorschule - für die Interpretation von Kaff zu nutzen.<br />
Als fortwährender Maßstab in diesem Wechselspiel von theoretischer Vorüberlegung<br />
und interpretativer Nachprüfung bzw. Lektüreerfahrung und begrifflicher<br />
Verallgemeinerung werden dabei jene Werke fungieren, die als Inbegriff der<br />
humoristischen Erzähltradition gelten können, namentlich Sternes Tristram Shandy,<br />
Jean Pauls Giannozzo, Raabes Stopfkuchen, Joyce' Ulysses und Thomas Manns<br />
Joseph und seine Brüder.
I. DER SCHLÜSSEL »ENCH«*<br />
1. Zur Quellenlage<br />
(Ein >KriegsGefangener< könnte ergo den<br />
greisn PYTHEAS ausbrechn lassn ...)<br />
(ZT, 1001 lm)<br />
Pünktlich zum 100. Geburtstag 1963 widerfuhr Gustav Frenssens Werk eine<br />
Wiederbelebung, die keineswegs zu erwarten, geschweige denn zu erhoffen war. Arno<br />
Schmidt nahm sich dessen Sache als eines vermeintlich >unerledigten Falles< an und<br />
widmete dem Dithmarschen Volksschriftsteller einen Funkessay, der, zumindest was<br />
den Umfang anbelangt, selbst die Arbeiten über Wieland und Gutzkow übertrifft.<br />
Wozu ein solcher Aufwand für den - nicht nur politisch - notorisch denkschwachen<br />
Frenssen (RvG, 126 f.), der sich durch seine markigen Blut- und Bodensprüche nach<br />
Art: »Wir sind ein Volk auf einem zu kleinen Raum.« oder: »[...] was im Blut ist, das ist<br />
auch im Recht!« eindringlich den Nationalsozialisten empfahl, und dies bereits in dem<br />
1926 erschienenen Otto Babendiek, der vorgeblich der »Periode der Einsicht«<br />
entstammt. (RvG, 137)<br />
Denn um einer gerechten Würdigung des Gesamtwerks willen rät Schmidt, die<br />
»>JugendsündenAltersweisheitKatalysatorfunktion< liege, sie regen den Leser/Autor zum Um- und Ausgestalten,<br />
zum »Längeren Gedankenspiel« an.<br />
So wird der Schmidt-Leser in Tante Lene, der Ersatzmutter Otto Babendieks - eine<br />
»breithüftig=deftige >Größte Mutter< [...], die in der Deutschen Literatur kaum<br />
Ihresgleichen hat!« (RvG, 154) - unschwer das Vorbild für die nicht weniger magna<br />
materhafte Tante Heete aus Kaff auch Mare Crisium erkennen.<br />
Eine weitere Romangestalt, die Schmidt seit seiner Lektüre des Otto Babendiek - »es<br />
mag 1929 gewesen sein« - an- und aufgeregt hat, bis er »endlich, mit 35, selber ein<br />
>Gadir< schrieb«, war »[...] die, das ganze wohlbeleibte Buch durchgeisternde Gestalt<br />
des großen Reisenden PYTHEAS VON MASSILIA [...].« (RvG, 159 f.)<br />
Nun wäre anzunehmen, daß diese explizite Bezugnahme auch einen entsprechenden<br />
Niederschlag in der Erzählung gefunden hat, dem scheint aber nicht so:<br />
Der im Frenssen-Roman zum Studienobjekt gewordene Pytheas hat dann freilich<br />
wenig zur Charakterisierung des Ich-Erzählers von »Gadir« beigetragen. Vor allem<br />
kommt die >Meerlunge
Ebensowenig finden sich, der Nachprüfung Kuhns zufolge, direkte Übernahmen,<br />
allenfalls Anklänge sind herauszuhören: die Wendung »Gewürze, Gold, Profitchen«<br />
(13) ähnelt der Aufzählung von Professor Bornholt im Babendiek: »Gold und Gewürz,<br />
von Bronze und Bernstein«, darüberhinaus fügt sich dessen Charakterisierung des<br />
Pytheas, »den Geist nicht auf Geld gespannt, wie alle andern, sondern auf die<br />
Wahrheit«, in das von Schmidt entworfene Bild des antiken Seereisenden.<br />
Das wäre alles an Entsprechungen?<br />
Den aufkeimenden Argwohn, Schmidt habe den Leser womöglich auf eine falsche<br />
Fährte gelockt, versucht Huerkamp zu beschwichtigen, indem er erinnert, daß Pytheas<br />
ein weiteres Mal, nämlich in dem Funkessay über den vergessenen Hainbund-Dichter<br />
Samuel Christian Pape erwähnt wird. Da findet sich nun tatsächlich die berühmte<br />
»Meerlunge« des Pytheas, jenes graue Gemisch aus Wasser, Luft und Land (RvG,<br />
199), aber doch nur zur Umschreibung dessen, was schon Professor Bornholt hinter<br />
dieser Bezeichnung vermutete, eines ausgewachsenen »Schmuddelwetters« nämlich.<br />
Der wörtliche Vergleich beider Texte ist erwiesenermaßen unergiebig, nicht so der<br />
thematische.<br />
Otto Babendiek ist ein autobiographischer Roman; in detaillierter Breite und mit kaum<br />
gebändigter Selbstgefälligkeit schildert der Ich-Erzähler seinen Aufstieg zum<br />
erfolgreichen Großschriftsteller. Als Motto dieses literarischen Rechenschaftsberichtes<br />
hätte Frenssen ohne weiteres das nosce te der Gadir-Erzählung wählen können.<br />
Bei der Subjektzentriertheit dieses Romans ist es fast unvermeidlich, daß ab und an<br />
etwas in Charakterologie dilettiert wird. Als Resultat solcher intellektueller<br />
Abschweifungen finden sich dann Merksätze wie: »<strong>Die</strong> Wirklichkeit wird zum Traum.<br />
<strong>Die</strong> Träume werden Wirklichkeit.« Oder: »Denn was man in der Wirklichkeit am<br />
wenigsten ist, ist man in Stunden des Wunschträumens.« <strong>Die</strong>se seelenkundlichen<br />
Allgemeinplätze wären nicht weiter erwähnenswert, stünden sie nicht im Verdacht, als<br />
mögliche Anregungen für die Psychologie Gadirs und insbesondere für das dort<br />
erstmals erprobte »Längere Gedankenspiel« gedient zu haben.<br />
Der Pytheas-Experte im Otto Babendiek ist Professor Bornholt, zumeist Onkel Gosch<br />
gerufen, eine Figur, geschildert ganz nach dem trivialen Klischee des weltfremden,<br />
liebenswürdig-vertrottelten Professors. Einziger Lebensinhalt dieses romantischen<br />
Sonderlings ist es, alles über den antiken Entdecker in Erfahrung zu bringen und<br />
womöglich Spuren seines einstigen Aufenthaltes an der dithmarschen Küste<br />
aufzuspüren - natürlich mit Erfolg.<br />
Neben dem reinen Unterhaltungswert hat diese Nebenhandlung aber noch eine<br />
zweite, wichtigere Funktion: sie dient der metaphorischen Spiegelung des Lebenswegs<br />
Otto Babendieks. Schon zu Beginn wird dieser Gleichklang intoniert. <strong>Die</strong> Eltern<br />
erhalten unmittelbar nach der Geburt ihres Sohnes Otto einen Golddukaten als<br />
Patengeschenk, der zur Begutachtung auf den blankpolierten Tisch gelegt wird:<br />
<strong>Die</strong> kleine, blanke Fläche sah in dem fließenden Sternenlicht aus wie ein weites,<br />
weites Wasser, und wie Meer in der Nacht. Und mitten drin lag, wie eine goldene,<br />
runde Insel, mit heimlich stillem Glanz die Münze. Gott allein weiß, was für Bilder die<br />
beiden Menschen in ihrer Seele sahen. Nur eins weiß auch ich: daß sie das Gold nicht<br />
als Geld, Glück und Pracht deuteten. Sondern es war ihnen irgendwie ein Bild ewigen,<br />
heiligen Geheimnisses, dahin alle Menschen fahren, dahin auch ich fahren sollte, der<br />
eben geborene.<br />
Am Romanende wiederholt sich diese Münzschau, und mit fast den gleichen Worten<br />
wird erneut das Bild des »ewig heiligen Geheimnisses« beschworen, dahin es alle<br />
Menschen zieht.
<strong>Die</strong> Seefahrt als Daseinsmetapher, der Entdecker Pytheas als maritimer<br />
Schutzheiliger, als Verkörperung der romantischen Sehnsucht nach der unendlich<br />
fernen Insel, die zu suchen sich auch der Schriftsteller Otto Babendiek auf den Weg<br />
gemacht hat.<br />
»>Wo ist Thule?
verbesserten Informationslage, die autobiographische Fundierung nahezu vollständig<br />
bekannt ist. <strong>Die</strong> Rückschau des Pytheas auf seine armselige Jugend und den<br />
anschließenden Sklavendienst bei Gryphius (13), die bittere Erinnerung an die Zeit als<br />
Zwangssoldat und die anschließende Erfolglosigkeit als Dichter und Denker (24), das<br />
alles sind heutigentags nur allzu bekannte und leicht zu identifizierende Stationen der<br />
Lebensgeschichte Arno Schmidts. Allerdings scheint die Zahl der autobiographischen<br />
Verschlüsselungen noch erheblich größer, die Angleichung insbesondere der<br />
abenteuerlichen Fluchten des einen vor, des anderen in die Kriegsgefangenschaft<br />
wesentlich enger als bisher vermutet. Beispielhaft läßt sich dieser manieristische Hang<br />
zu >Privatspäßen< an den fingierten Daten zeigen.<br />
Der Erzählung zufolge stirbt Pytheas im Alter von 98 Jahren (19); 52 Jahre und 124<br />
Tage davon hat er in phönizischer Gefangenschaft zugebracht. Wozu diese -<br />
höchstwahrscheinlich - ahi-storische Lebensverlängerung? Pytheas soll den Ausbruch<br />
des 1. Punischen Krieges miterleben! Für den Handlungsverlauf der Erzählung ist<br />
dieses Ereignis allerdings belanglos, der Krieg zwischen Karthago und Rom hat für<br />
Pytheas lediglich den Rang einer interessanten Neuigkeit.(11) Funktional bestimmbar<br />
wird die zugrunde liegende Absicht erst, wenn man die Autobiographie des Autors<br />
hinzuzieht. Als der II. Weltkrieg ausbrach und Arno Schmidt erstmals einberufen<br />
wurde, war er 25 Jahre alt; 52 Jahre ist Pytheas in Gefangenschaft. Einschließlich der<br />
Zeit seiner Internierung in einem britischen Lager bei Brüssel hat Schmidt der Krieg<br />
fünf Jahre und vier Monate seines Lebens geraubt. 45 Jahre alt war Pytheas, als er in<br />
Gefangenschaft geriet. 124 Tage war Arno Schmidt im Lager Villvoorde gefangen<br />
(»Wu Hi?«, 203 ff.); am 124. Tag gelingt Pytheas die Flucht aus dem phönizischen<br />
Gefängnis.
2. »Vom Nutzen und Nachteil der Historie«<br />
Und wenn ihr nach Biographien verlangt, dann nicht<br />
nach jenen mit dem Refrain »Herr Soundso und seine<br />
Zeit«, sondern nach solchen, auf deren Titelblatte<br />
es heißen müßte »ein Kämpfer gegen seine Zeit.«<br />
F. Nietzsche<br />
Sind die Antike-Erzählungen Arno Schmidts nur Stilübungen in der Nachfolge<br />
Wielands? Erschöpft sich ihre Funktion darin, aktuelle Verhältnisse historisch<br />
einzukleiden bzw. als »Ventil des direkt nicht Sagbaren« zu fungieren?<br />
Widerlegt werden diese Thesen Reinhart Herzogs von der Antike als bloßem<br />
Evasions- und Projektionsraum allein durch die Tatsache des Nebeneinanders von<br />
antiken und zeitgenössischen Erzählungen im Frühwerk. Wenn Arno Schmidt im<br />
Leviathan unverhüllt gegenwartsbezogen erzählt, dann ist nicht einzusehen, warum er<br />
in Gadir, im Alexander oder in Kosmas plötzlich Zuflucht zum historischen Kostüm<br />
gesucht haben soll.<br />
Von einem >wirklichen< Interesse an der Antike sei schon deswegen nicht zu<br />
sprechen, so Herzog weiter, weil, mit Ausnahme des Kosmas, durchweg das Fehlen<br />
einer »historischen und überhaupt narrativ autonomen Detailbreite im antiken Kontext«<br />
zu konstatieren sei. Ein haltloses Urteil - zumindest was Gadir oder Erkenne Dich<br />
Selbst anbelangt. Keineswegs erscheint Pytheas als dürftig verkleidetes alter ego des<br />
Autors, im Gegenteil, präsent ist dem Leser zunächst die historische Gestalt; die<br />
autobiographische Ausgestaltung der geschichtlichen Leerstellen war bei Erscheinen<br />
des Textes in ihrer Gesamtheit überhaupt nicht erkennbar. Was Herzog zum historisch<br />
im Grunde belanglosen, allegorischen Versteckspiel abwertet, scheint vielmehr ein<br />
dialektisches Wechselspiel: der Erzählung geht es gleichermaßen um eine<br />
Antikisierung der Gegenwart wie um eine Aktualisierung des Vergangenen. Der Bezug<br />
zur Antike reduziert sich nicht auf Äußerlichkeiten: Geschichte als Requisitenkammer<br />
und Kostümverleih, sondern er ist elementar, lebensbezogen, monumentalisch.<br />
<strong>Die</strong> Einführung dieses Begriffs aus der zweiten der Unzeitgemäßen Betrachtungen<br />
rechtfertigt sich durch die frappante Übereinstimmung dieser theoretischen Vorgabe<br />
einer lebensbezogenen Geschichtsbetrachtung, die in Polemik gegen den historischen<br />
und philologischen Antiquitätenhandel »ein liebendes Versenktsein in die empirischen<br />
Data, ein Weiterdichten an gegebnen Typen« einfordert, und dem literarischessayistischen<br />
Anspruch Arno Schmidts, wie er in der vielzitierten Grundsatzerklärung<br />
aus dem DYA NA SORE-Vorspiel seinen nicht minder emphatischen Ausdruck<br />
gefunden hat:<br />
[...] <strong>Die</strong>s also mein Credo gegen alle Buchstabenmänner und greisen Variantensucher,<br />
mit ihren Büscheln von Stinkmorcheln in den verkrüppelten Händen: [...] Müde vom<br />
Durchwandern öder Letternwüsten, voll leerer Hirngeburten, in anmaaßendsten<br />
Wortnebeln; überdrüssig ästhetischer Süßler wie grammatischer Wässerer; entschloß<br />
ich mich: Alles, was je schrieb, in Liebe und Haß, als immerfort mitlebend zu<br />
behandeln! - - - (DYA, 12)<br />
Ein wirkliches, d. h. auf die gegenwärtige Wirklichkeit bezogenes Interesse an der<br />
Tradition hat nicht der Wissenschaftler, dem es nur darum zu tun ist, die Ereignisse<br />
>an sich< zu erklären, sondern der Interpret, der es versteht, ihren Sinn >für sich< zu<br />
entdecken. Mit der Konsequenz, daß die Zeitlichkeit der Geschichte ignoriert, ihre<br />
Prozeßhaftigkeit geleugnet wird: nicht mehr die Universalhistorie der Menschheit<br />
interessiert, sondern die Lebensgeschichte der
[...] einzelnen, die eine Art von Brücke über den wüsten Strom des Werdens bilden.<br />
<strong>Die</strong>se setzen nicht etwa einen Prozeß fort, sondern leben zeitlos-gleichzeitig, dank der<br />
Geschichte, die ein solches Zusammenwirken zuläßt, sie leben als die Genialen-<br />
Republik, von der einmal Schopenhauer erzählt; ein Riese ruft dem andern durch die<br />
öden Zwischenräume der Zeiten zu, und ungestört durch mutwilliges lärmendes<br />
Gezwerge, welches unter ihnen wegkriecht, setzt sich das hohe Geistergespräch fort.<br />
Daß Arno Schmidt den Zugang zur (Literatur-)Geschichte im wesentlichen über die<br />
Biographie sucht, gründet wohl weniger in erkenntnistheoretischen Vorbehalten<br />
gegenüber der Verifizier-barkeit generalisierender Aussagen; näherliegender, wenn<br />
auch banaler, ist die These, es handle sich um eine Form der Aneignung, die sich<br />
mittels der trivialen Operation der Identifikation vollzieht:<br />
So geht eigentlich in dieser Minute kein Jüngling in ganz Jena, Weimar, Berlin usw.<br />
über den Markt, der nicht glauben müßte, als Schrein - Sakramentshäuschen -<br />
Heiligen-Haus - Rindenhaus - oder Mumienkasten irgendeines jetzt oder sonst<br />
lebenden Geister-Riesen heimlich herumzulaufen, so daß, wenn man besagten<br />
Schrein und Mumienkasten aufschlüge, der gedachte Riese deutlich ausgestreckt<br />
darin läge und munter blickte. Ja, Schreiber dieses war früher fünf bis sechs große<br />
Männer schnell nacheinander, so wie er sie eben gerade nachahmte.<br />
Der Mensch ist dem Menschen das Interessanteste, aber noch interessanter ist der<br />
Held. Als solcher kann der historische Pytheas zweifellos angesehen werden, und<br />
Schmidt betont diesen Heroismus mit entsprechendem Pathos.<br />
<strong>Die</strong>se literarische Heldenverehrung ist eine pädagogische Spielart des Dialoges über<br />
die Zeiten hinweg, eine Spielart, für die seit jeher Plutarchs vergleichende<br />
Lebensbeschreibungen das bevorzugteste Lehr- und Musterbuch waren: »Sättigt eure<br />
Seelen an Plutarch und wagt es, an euch selbst zu glauben, indem ihr an seine Helden<br />
glaubt.« Oder, wie es Hölderlin in für Schmidt nicht minder verbindlicher Weise als<br />
erzieherische Programmatik für die Ausbildung des jungen Hyperion formuliert: »Lebe<br />
in Gemeinschaft mit deinen Heroen! Du findest ihresgleichen schwerlich so bald unter<br />
den Lebendigen.«<br />
Überhistorisch nennt Nietzsche »[...] die Mächte, die den Blick von dem Werden<br />
ablenken, hin zu dem, was dem Dasein den Charakter des Ewigen und<br />
Gleichbedeutenden gibt, zu Kunst und Religion.« Das Unhistorische ebenso wie das<br />
Überhistorische sind ihm notwendige Regulative gegen die das Leben zu ersticken<br />
drohende historische Wissenschaft, sie sind Mittel dessen, was jenseits aller<br />
positivistischen Forschung einzig zum Ziel der Menschwerdung führt, dem »>Erkenne<br />
dich selbstGreiff
entsprechendes tertium comparationis wäre für Greiffenberg schon deshalb schwerlich<br />
zu finden, weil außer Massilia kein weiterer Wohnsitz des Pytheas bekannt ist. <strong>Die</strong><br />
Logik der Identifikation gebietet es - entgegen der autobiographischen Realität -, die<br />
>fiktiven< Jugend- und Berufserlebnisse in der gleichen, historisch vorgegebenen<br />
Stadt anzusiedeln.<br />
Der Angleichungsprozeß der beiden Biographien ist formal gesehen ein Vergleich mit<br />
dem Fluchtpunkt Identifikation; zwei Lebensläufe werden parallelisiert und zur<br />
Deckung gebracht. Es ist zu untersuchen, ob dieses Verfahren witziger Analogisierung<br />
kennzeichnend für die Verarbeitung des gesamten historischen Materials ist.
3. Das Weltbild des »Philopseudes«<br />
Der denkende Mensch hat die wunderliche<br />
Eigenschaft, daß er an die Stelle, wo das<br />
unaufgelöste Problem liegt, gerne ein<br />
Phantasiebild hinfabelt [...].<br />
J. W. v. Goethe<br />
Zuerst pfiff der Eine. - Als sie das nächste Mal vorbeischlenderten, war dasselbe<br />
näselnder Gesang: »Oh, Fräulein Mirjam: wenn ich mit Ihnen tanz'- tz tz, tz tz ...« [...].<br />
(11)<br />
Der Erzähleingang ist eine Falle. <strong>Die</strong> Schlagerzeile verweist den Leser des Jahres<br />
1949 auf die jüngste Vergangenheit. <strong>Die</strong> Frage beim Postenwechsel: »>Was Neues<br />
vom Krieg - ?AuszeichnungGeschichte
ezeichnet (BEL, 262), bedenkenlose Geschichtsklitterung ist, die niemandem gerecht<br />
wird, hat bereits <strong>Die</strong>ter Kuhn zu Recht hervorgehoben.<br />
Alexander als Prototyp des Machtmenschen, Alexander-Kult als Inbegriff einer<br />
verdächtigen Hingabe an die Macht - die nachfolgende Erwähnung Platons (= »Sohn<br />
des Ariston«) bestätigt diese Deutung in einem zweifachen Sinn: zum einen wird damit<br />
dessen politisch-philosophische Anbiederung an den sizilianischen Tyrannen Dionys<br />
als eine alexandrinische Form des Macht-Kults entlarvt, zum anderen wird über das<br />
platonische Ideal vom >Totalen Staat< der Bezug zum Nationalsozialismus<br />
wiederhergestellt: »[...] berief man sich nicht zur Hitlerzeit gern und ausgiebig auf eben<br />
diesen Platonischen Staat?« (DYA, 18)<br />
<strong>Die</strong>sen kommerziellen Schuften ist die Kugelgestalt der Erde natürlich gleichgültig, da<br />
das auf ihren Warenabsatz ja keinerlei Einfluß hat - ich werde den Schweinen doch<br />
einmal geheimnisvoll Andeutungen über neue Ökumenen im Südmeer hinwerfen; oder<br />
wie man, ständig nach Westen steuernd, den Ostrand der unsrigen erreichen könnte:<br />
Indien! (13)<br />
<strong>Die</strong> bekannten Oppositionen kehren wieder: der Nordlandfahrer, einzig getrieben vom<br />
reinen Wissensdrang, die kommerziellen Schufte, denen es nur um Warenabsatz und<br />
Profite, d. h. um Herrschaft im Endlichen zu tun ist. Stichwortmäßig werden die heute<br />
nur allzu geläufigen topoi der Zivilisationskritik angeführt, gipfelnd in der prophetischen<br />
Warnvision ex eventu: »[...] die Technokraten werden einst die Welt zugrunde richten -<br />
!« Schmidt stilisiert Pytheas zum >reinen Wissenschaftleran sichGeheimwissen< um die Kugelgestalt der<br />
Erde durchaus nicht - wie es die hagiographische Idealisierung glauben machen will -<br />
ohne Nutzeffekt ist, denn gerade dieses szientifische Arkanum verschafft das für die<br />
Selbsterhaltung so notwendige Machtgefühl.<br />
<strong>Die</strong> kompensatorische Erniedrigung der >reinen Wissenschaft< bleibt bei der<br />
nachfolgenden Polemik natürlich unbedacht; die Gegenüberstellung zweier Epochen<br />
wird in den Vergleich zweier Geisteshaltungen überführt, die als zeitlos vorgestellt<br />
werden: »[...] (die wollen immer >angewandte< Wissenschaften: auch ein<br />
Kennzeichen des barbarischen Geistes.)« (22) Ganz anders der griechische Geist, wie<br />
ihn Pytheas und Eudoxos verkörpern:<br />
Ist heiß geworden; der See blitzt blau und weiß. Was muß das für ein brüllendes<br />
Ungeheuer sein, dort oben am Himmel, das die riesige Erde so zum Glühen bringt;<br />
und doch wollte Eudoxos von Knidos in seiner Nähe wohnen, um seine Natur zu<br />
ergründen. - Wenn Euch später einmal jemand fragen sollte, was den griechischen<br />
Geist vor dem barbarischen auszeichnete, dann erzählt ihm das. (13 f.)<br />
»Wissenschaft ist hier«, so interpretiert Thomé, »die Ergründung des Wesens zeitloser<br />
Dinge wie der Sonne. [...] <strong>Die</strong> Naturwissenschaft scheint eben jene Funktion zu<br />
übernehmen, die in Schopenhauers System die ästhetische Kontemplation der Kunst<br />
hat.« Wohl kaum, schließlich ist auffällig genug, daß Wissenschaft in der zitierten<br />
Textstelle Ausdruck eines geradezu waghalsigen Willens zur Erkenntnis ist. Der Mut<br />
des Eudoxos, wie er hier anekdotisch in Szene gesetzt wird, erinnert eher an<br />
ritterlichen Drachenkampf als an wissenschaftliche Forschungsarbeit. Das Wissen<br />
muß der Natur unter Einsatz des Lebens abgetrotzt werden, von beruhigter<br />
Kontemplation ist wenig zu spüren. Zudem, wer ein rechter Wissenschaftler sein will,<br />
vermeidet die allzu bildliche Rede. <strong>Die</strong> Sonne als brüllendes Ungeheuer zu sehen, ist<br />
ein ausgesprochener Rückfall in die vorwissenschaftliche, animistische Weltsicht.<br />
Mehr noch, Dämonisierung ist Deutung, der Bezug zum Objekt ist qualitativ bestimmt,
noch ehe es überhaupt rational erfaßt ist. Pytheas ist kein >neutraler< Beobachter,<br />
seine Sehweise keine genuin wissen-schaftliche, sondern eine metaphorischpoetische.<br />
Wir wissen noch viel zu wenig; so viel aber steht fest, daß in unsäglichen Raumtiefen<br />
die fürchterlichen Feuerdrachen stehen, Flammenzungen schwengeln sesamgroß<br />
(welch Wort!), Feuerfäuste rasen dröhnend auf Glutbrüste - - nicht dran denken, nicht;<br />
wir sind verloren. - (15 f.)<br />
So apodiktisch wie die Setzung der kosmologischen Szenerie ist auch der<br />
schlußfolgernde Befund. War die Sonnen=Ungeheuer-Metapher noch motiviert durch<br />
einen Induktionsschluß: was die riesige Erde so zum Glühen bringt, kann eben auch<br />
ein gigantischer feuerspeiender Drache sein; so ist hier der Umschlag der räumlichen<br />
Größenmaße in die dämonologische Qualität völlig unvermittelt - nichts an dieser<br />
erotisch aufgeheizten Vision einer drakonischen Höllenwerkstatt könnte einer<br />
ernsthaften Nachprüfung genügen: »Weder Mythologie noch Legenden sind in der<br />
Wissenschaft zu dulden.«<br />
<strong>Die</strong> unmittelbar nachfolgende >Traumtheorie in nuce< versucht zumindest eine<br />
lückenlose Beweiskette. Ausgangspunkt ist ein banaler »Traumfetzen«, »(Natürlich<br />
veranlaßt durch die Ankündigung)« des Kleidertauschs.(16) Ob in der Selbstsicherheit<br />
der Erklärung ein erstes Indiz für die Kenntnis der Freudschen<br />
Traumentstehungstheorie zu sehen ist, sei dahingestellt, schlüssig beweisen läßt sich<br />
eine Rezeption an dieser Stelle nicht. An das Traumgesicht des kleinen spitzäugigen<br />
Mannes, der Pytheas ein Paar Holzschuhe hinhält, schließt sich die Assertion an:<br />
»aber oft ist grade an solchen Sachen das meiste Wahres«, denn, so bestätigt die<br />
Erinnerung an ähnliche Situationen, »[...] früher ist es mir zuweilen geschehen, daß<br />
sich eben solche Lappalien genau erfüllten.« So auch in diesem Fall, wie das<br />
>tatsächliche< Erscheinen des kleinen Mannes beim Bekleidungsempfang >beweist
wie die Daqués rekurriert würde, es bleibt offen, was man sich unter diesen Regeln im<br />
einzelnen vorzustellen hat bzw. wie der Zusammenhang zwischen diesem<br />
Determinismusmodell und der kurz zuvor entwickelten drakonischen Kosmologie zu<br />
denken ist.<br />
Sicher ist nur, daß die programmatische Schlußfolgerung sowohl in sich unschlüssig<br />
als auch wirkungslos bezüglich der Sehweise des Ich-Erzählers bleibt. Unschlüssig,<br />
weil die Kombination der Teilchen als Entwicklung bezeichnet und damit implizit<br />
gedeutet wird, was dem proklamierten Realismus des Feststellens und Beschreibens<br />
diametral entgegensteht; wirkungslos für die Perspektive des Pytheas, weil seine<br />
Weltsicht eben keineswegs nur deskriptiv, sondern wertend ist. <strong>Die</strong> Unverbindlichkeit<br />
dieser positivistischen Selbstbescheidung belegt eindringlich das unmittelbar folgende<br />
>Tryptichon des Pandiabolismus
Exkurs: Der Leviathan<br />
natura daemonia est,<br />
non divina.<br />
Aristoteles<br />
Über die logische Stringenz des kosmologischen Leviathan-Beweises in der<br />
gleichnamigen Erzählung Arno Schmidts ist genug spekuliert worden; die immanenten<br />
Widersprüche dieser negativen Theodizee hat zuletzt Thomé ausführlich analysiert.<br />
Eine »inkonsistente Metaphysik«, in der »unvereinbare Traditionselemente konfundiert<br />
werden: der physikotheologische Schluß von der Natur auf den Schöpfer und der<br />
Pessimismus der Willensmetaphysik«, so sein (kaum überraschendes) Fazit. Was war<br />
anderes zu erwarten? Wer, außer den professionellen Geistersehern, zu denen Arno<br />
Schmidt sicherlich nicht zu rechnen ist, hält es nach Kant noch für möglich, die<br />
Existenz eines transmundanen Schöpferwesens beweisen zu können. Nichts gegen<br />
eine Interpretation der >argumentativen Bemühungen< der Protagonisten, aber<br />
darüber wurde bislang versäumt, die Frage nach der literarischen Herkunft und<br />
poetologischen Funktion dieser Dämonologie zu stellen.<br />
Jörg Drews hat, gleichsam im Vorbeigehen, darauf hingewiesen, daß Schmidt die<br />
Existenz des Leviathan »[...] weniger strikt philosophisch-astrophysikalisch beweist als<br />
vielmehr als adäquate poetische Großchiffre einführt.«<br />
Nur, der Leviathan ist keine »Großchiffre«, sondern, und darauf haben schon die<br />
ersten Rezensenten hingewiesen, ein aus der Bibel wohlbekannter Urdrache, der in<br />
der gleichnamigen Schrift des Thomas Hobbes zum politischen Symbol avancierte:<br />
This done, the Multitude so united in one Person, is called a COMMON-WEALTH, in<br />
latine CIVITAS. This is the Generation of that great LEVIATHAN, or rather (to speak<br />
more reverently) of that Mortall God, to which wee owe under the Immortall God, our<br />
peace and defence.<br />
Arno Schmidt hat den gleichen empiristischen Ansatz wie der englische Aufklärer: die<br />
Direktive des »Nosce teipsum, Read thy self« wird von Hobbes in seiner Einleitung als<br />
erkenntnistheoretische Basis seines Philosophierens genannt, und Schmidt teilt - wie<br />
Thomé zurecht betont - dessen pessimistische Anthropologie, wie sie in der<br />
Beschreibung des Naturzustandes als bellum omnium in omnes zum Ausdruck kommt,<br />
aber diese Einsicht führt ihn keineswegs zu einer Apologie der disziplinierenden<br />
Staatsmacht. Im Gegenteil, die idealistische Verklärung des magnum corpus<br />
Leviathan, des aus allen Einzelwesen zusammengesetzten Gesamtmenschen >Staat<<br />
zum deus mortalis, der alle einander entgegenstrebenden Einzelinteressen befriedet,<br />
wurde spätestens durch den Nationalsozialismus widerlegt. <strong>Die</strong> Geschichte brachte<br />
den biblischen Leviathan wieder in Erinnerung:<br />
Der heilige Augustinus sah in Behemoth [= der terrestrische Zwilling des Seedrachens<br />
Leviathan] den Satan. Da wir glauben, daß der Nationalsozialismus ein Unstaat ist<br />
oder sich dazu entwickelt, ein Chaos, eine Herrschaft der Gesetzlosigkeit und<br />
Anarchie, welche die Rechte wie die Würde des Menschen »verschlungen hat« und<br />
dabei ist, die Welt durch die Obergewalt über riesige Landmassen in ein Chaos zu<br />
verwandeln, scheint uns dies der richtige Name für das nationalsozialistische System:<br />
DER BEHEMOTH.<br />
<strong>Die</strong> verstreuten alttestamentarischen Aussagen über den Leviathan sind Anspielungen<br />
auf einen Drachenmythos, der - so zumindest die Einschätzung des Schmidt
wohlvertrauten Religionsgeschichtlers Hermann Gunkel - auf die babylonische<br />
Schöpfungsgeschichte zurückgeht. Sein Inhalt sei kurz skizziert: Am Anfang war das<br />
Wasser, der Urozean, das Chaos - personifiziert durch ein furchtbares drachenartiges<br />
Wesen und seine Helfer. <strong>Die</strong>sen Mächten der Tiefe standen die Götter der Oberwelt<br />
bzw. (im AT) Gott gegenüber. <strong>Die</strong> Chaosungetüme empörten sich gegen deren<br />
Weltregiment und beanspruchten selbst die Herrschaft. Der Tapferste der Götter bzw.<br />
Gott bezwang das Ungeheuer, ließ es aber weiterleben. Vor dem Weltende wird es ein<br />
letztes Mal auftreten, um dann, abermals besiegt, für immer in einem Sumpf von Feuer<br />
und Schwefel zu verschwinden:<br />
Und es entstand Krieg im Himmel, sodass Michael und seine Engel Krieg führten mit<br />
dem Drachen. Und der Drache führte Krieg und seine Engel [...]. Und geworfen wurde<br />
der grosse Drache, die alte Schlange, genannt der Teufel und der Satan, der den<br />
ganzen Erdkreis verführt, geworfen wurde er auf die Erde, und seine Engel wurden mit<br />
ihm geworfen. (Off. 12, 7)<br />
<strong>Die</strong> Arno Schmidt vermutlich vertrauteste literarische Gestaltung dieser<br />
drakonologischen Teufelslegende findet sich in Karl Mays allegorischem<br />
Erweckungsschauspiel Babel und Bibel, das den Leviathan in der Schatzkammer des<br />
Turms zu Babel hausen läßt, wo er den »Geist der Liebe gefangenhält«:<br />
In diesem Saal steht der Drache, das Wappentier der An'allah [= die<br />
Gewaltmenschen], Kital (arabisch), der Kampf! [im Original gesperrt gedruckt] Von<br />
Kain, dem ersten Gewaltmenschen, an bis auf den heutigen Tag hat dieser Drache in<br />
Blut gestanden und - nicht nur allein in Blut - es gibt noch ganz andre Kämpfe als nur<br />
mit Stahl und Blei. Kämpfe, die durch Jahrhunderte reichen. Schlachten, die nicht mit<br />
Kanonen brüllen und nicht an einem Tag geschlagen sind, sondern die sich leise durch<br />
die Völker schleichen und Millionen niedermetzeln, ohne daß man weiß, woher,<br />
warum, wofür! Und auch das ist »Kital, des Kampfes Drache!«<br />
Gerade in der trivialisierten Bühnenfassung Mays wird die antagonistische Struktur des<br />
Leviathan-Mythos deutlich: die Welt ist zweigeteilt in Gut und Böse; am Anfang war<br />
Kampf, am Ende wird Kampf sein; der Sieg Gottes ist bislang kein endgültiger. Man<br />
verkehre die Situation: nicht Gott, sondern der Teufel hat gesiegt, das Gute ist<br />
unterlegen, das Böse triumphiert - es ergibt sich exakt jenes >Weltbild
freuen, speisen ihn mit katechetischen Gemeinplätzen ab, mit der pfäffischen<br />
Aufforderung, doch die Wunderwerke Gottes zu betrachten (37, 14) - blanker Hohn<br />
angesichts der Leiden Hiobs. »Wie ist doch euer Trost so nichtig! und eure Antworten -<br />
es bleibt nur die Falschheit.« (21, 34) Jahwe, offenbar selbst erzürnt über die<br />
Untüchtigkeit seiner Fürsprecher, läßt sich herab - nicht um Hiob Rede und Antwort zu<br />
stehen, sondern um zu prahlen: Wo war denn Hiob, als er die Erde gründete (38, 4),<br />
sie einrichtete, zur besten aller Welten machte; wie will er, der Sterbliche, es wagen,<br />
ihn zu richten, den Allmächtigen, der jeden Hohen demütigt und die Gottlosen zertritt.<br />
(40, 7) <strong>Die</strong> Lobpreisung all seiner Großtaten, mit denen es Hiob einzuschüchtern gilt,<br />
endet mit der selbstgefälligen Schilderung des glorreichen Sieges über die<br />
Chaosungeheuer Behemoth und Leviathan. Angesichts dieser rhetorischen<br />
Machtdemonstration widerruft Hiob auf der Stelle und bereut in Staub und Asche; aber<br />
seine Fragen blieben unbeantwortet. Und sie kehrten wieder:<br />
Ich dich ehren? Wofür?Hast du die Schmerzen gelindertJe des Beladenen?Hast du die<br />
Tränen gestilletJe des Geängsteten?«<br />
<strong>Die</strong> Hiobsklage wird zur Rechtfertigung des prometheischen Trotzes, wie ihn Pytheas<br />
so demonstrativ zur Schau stellt.<br />
Seine endgültige literarische Gestalt gewinnt der Leviathan/Hiob-Stoff in dem letzten<br />
großen Heldenepos der Weltliteratur, in Melvilles Moby Dick.<br />
»Und Ahab, der Sohn Omris, tat, was dem Herrn missfiel, und trieb es ärger als alle,<br />
die vor ihm gewesen waren.« (1. Kön, 16, 30) - er rebellierte. Kapitän Ahab tut es ihm<br />
nach, er jagt den Leviathan, den »Hiobswal« rund um die Erde:<br />
Vor seinen Augen schwamm der Weiße Wal einher als die monomanische<br />
Verkörperung aller dieser tückischen Mächte, die ein Mensch von tiefer Gemütsart in<br />
sich zehren fühlt, bis er schließlich mit halbem Herzen und halber Lunge weiterleben<br />
muß. <strong>Die</strong>se unfaßbare Tücke, die von Anbeginn vorhanden war, deren Herrschaft<br />
selbst moderne Christen die eine Hälfte der Welt zuteilen und die von alten Ophiten<br />
des Ostens in ihren Teufelsstatuen verehrt wurde. [...] All das, was wahnsinnig macht<br />
und quält, alles, was die Hefe der Dinge aufrührt, alle Wirklichkeit und ihre<br />
Niedertracht, alles, was an den Nerven zehrt und das Hirn verbrennt, all das geheime<br />
Teuflische des Lebens und Trachtens, alles Übel war für den wahnsinnigen Ahab<br />
sichtbar personifiziert und praktisch angreifbar geworden in Moby Dick. Auf des Wales<br />
weißen Höcker lud er die ganze Wut und den Haß, der von seinesgleichen seit Adams<br />
Zeiten bis heute empfunden worden war [...].<br />
<strong>Die</strong> Welt ist Drachenwerk; der mit dem Titel Leviathan gesetzte Mythos wird in den<br />
Erzählungen nicht zurückgenommen, sondern reproduziert. <strong>Die</strong> antagonistische<br />
Verfaßtheit der Welt, die Klage Hiobs gegen die blinde Grausamkeit des Schöpfers, in<br />
der bereits die Kraft der Auflehnung wirkt, die Prometheus verkörpern wird, diese Trias<br />
bildet das inhaltliche und strukturelle Fundament der drei Erzählungen Gadir oder<br />
Erkenne Dich Selbst, Leviathan oder <strong>Die</strong> Beste Der Welten, Enthymesis oder W. I. E.<br />
H. (= Wie ich euch hasse) - die Titel bereits verweisen auf den Entscheidungszwang<br />
des Entweder - Oder. Der Sieg des Leviathan läßt nur die Alternative Unterwerfung<br />
oder Flucht. Alles Tun der Helden ist solchermaßen durch den Mythos vorherbestimmt,<br />
ihr Handeln erstarrt im Angesicht des Unabänderlichen zu einer Reihung vorgestanzter<br />
»Pathosgesten«. <strong>Die</strong>se literarische Wiederaufbereitung der archaischen Leviathan-<br />
Sage mitsamt den entsprechenden Reaktionsschemata kann kein Beitrag zu der von<br />
Schmidt geforderten >realistischen< Abbildung der Welt sein, dergleichen romantische<br />
Heroisierung ist der alltäglichen Mediokrität des Seins völlig unangemessen. Aber nur<br />
durch diese primitive Zweiteilung in Gut und Böse ordnet sich die Welt in so
überschaubare belletristische Strukturen, erst durch solche sentimentalen<br />
Simplifizierungen wird die moralische Rigidität seiner Helden, werden sie selbst als<br />
Helden erst ermöglicht, und - der behauptete Sieg des Bösen legitimiert das Recht auf<br />
Flucht.<br />
Wer glaubt, bei dem späten Arno Schmidt einen unreflektierten Rückfall in die<br />
mythologische Denkungsart diagnostizieren zu können, hat den Titel seines Erstlings<br />
überlesen: Am Anfang war der Leviathan.<br />
4. <strong>Die</strong> Fluchthilfen der Phantasie<br />
Ich wandre mit der Wolke. - - (18)<br />
Neben den >argumentativenAbschreiben, Alter!
<strong>Die</strong>ser erste Kurztraum ist, ähnlich wie die dazugehörige Rückerinnerung, ein<br />
retardierendes, beruhigendes Moment im Reflexionsgang. Gleich nachdem Pytheas in<br />
höchster Erregung geschworen hat, ihm werde keine Gelegenheit zur Flucht entgehen,<br />
nickt er ein und träumt sich in die Zeit bei Gryphius zurück. <strong>Die</strong>ses Träumen am<br />
hellichten Tag »ist eigentlich sonst auch nicht bei mir üblich« - das mag als Hinweis<br />
auf den gesundheitlichen Zustand des Pytheas zu lesen sein, ihm ist kalt, er fröstelt,<br />
das Fieber macht sich allmählich breit, aber man kann es auch als wörtliche Einlösung<br />
des oben zitierten emphatischen Schwurs verstehen, sich keine Gelegenheit zur<br />
Flucht entgehen zu lassen, auch den >Traum< nicht.<br />
Natürlich »bei Gryphius im Kontor« - wie auch bei dem »Wahrtraum« des<br />
»spitzäugigen Mannes« wird eigens betont, daß der Traum anknüpft an die besonders<br />
impressiven Ereignisse des Vortags, den »Tagesrest«, in diesem Fall an das<br />
Erinnerungsbild des Sklavendienstes unter Direktor Oikandros. Während aber in der<br />
bewußten Rückschau dessen Person im Mittelpunkt stand, so ist es hier - ganz im<br />
Sinne des von Freud betonten egoistischen Charakters aller Träume - Pytheas selbst<br />
in einer alltäglichen Arbeitssituation: »[...] ich strich den Auftrag mechanisch von<br />
meiner Karte ab (war Lagerbuchhalter damals).« (14)<br />
Der Trauminhalt, wie er bis dahin beschrieben wird, ist banal; welche Bedeutung er für<br />
Pytheas hat, erhellt erst die sich anschließende atmosphärische Wiederbesinnung:<br />
»Am schönsten war die scharfe kühle Sommermorgenluft im Traum, alle Gegenstände<br />
klar mit weinigen reinen Schatten - so etwas sieht man nur als Jüngling.«<br />
In der Rückerinnerung war es die sentimentale Formel »wie einst im Thargelion« (=<br />
Mai), jetzt, im Traum, ist es das assoziationsreiche Kompositum »Sommermorgenluft«,<br />
das, gelesen als Lebensaltermetapher, Bilder der Jugendlichkeit evoziert. Für den<br />
greisen Pytheas - die Erzählung spielt im Spätherbst - ist der Traum eine<br />
Wiederverjüngung. Er erlebt und empfindet wie einst als Jüngling, er flieht aus der<br />
Gegenwart - in die Vergangenheit.<br />
Der Trauminhalt ist (im poetischen Sinne) zweifach determiniert: zum einen informiert<br />
er über den Berufsalltag des Pytheas, d. h. er ist einer der Bausteine, aus denen sich<br />
der Leser ein biographisches Gesamt-Bild zusammensetzen kann; zum anderen hat er<br />
genau die Funktion, die Freud als Wesensmerkmal jedes Traums bestimmt hat, er<br />
dient der Wunscherfüllung, insofern ist er ein Beitrag zum psychologischen Porträt des<br />
Pytheas.<br />
Am darauffolgenden Tag, dem 120., kommt es zu einem erneuten träumerischen<br />
Fluchtversuch - in lyrischer Gewandung:<br />
Goldmond brennt auf am Festungsturm; in Märchenfernen reist ein Sturm, zaust und<br />
zaubert. [...] Ich steige leicht wie Wind empor, zum Wolkenwald durch Wolkentor; weiß<br />
nicht, wie meine Spur verlor. Ich wandre mit der Wolke. - - Ja; denkst 'e! (18)<br />
Heinz Jerofsky, der Jugendfreund Arno Schmidts, erinnert sich:<br />
In das letzte Jahr am Südausgang [des Görlitzer Bahnhofes, täglicher Treffpunkt von<br />
A. S. und H. J.] fallen Arnos erste Gedichte. [...] Am Südausgang bekam ich auch ein<br />
Gedicht mit der Überschrift »Gadir« vorgelegt. Im Nachhinein kommt es mir vor, als<br />
hätte er damals schon gewußt, daß er einmal eine Erzählung so nennen würde, um<br />
dieses Gedicht darin zu verwenden. (»Wu Hi?«, 45, 223 f.)<br />
Das gleiche Gedicht, allerdings ohne Titel, findet sich auch in den 1940 als<br />
Weihnachtsgeschenk für seine Frau geschriebenen Dichtergesprächen im Elysium. Im<br />
achten Gespräch, das in einer festlichen Halle auf der Burg Wolkenstein, dem<br />
Wohnsitz Fouqués stattfindet, läßt es der Gastgeber - zur Freude der Anwesenden -<br />
als kühlen, klaren Gesang ertönen. Selbst Goethe hat hier, in Schmidts<br />
Dichterparadies, nur lobende Worte für den einstmals Verkannten; vor allem die<br />
herrliche Bildkraft hat es ihm, ebenso wie Homer und Wieland, angetan. Letzterer
emerkt: »Ich denke mir, daß ein guter Leser so etwas sehen dürfte, wenn er den<br />
Zauberring in der Hand hat.« (DiE, 96 f.) Im Zauberring ist sie allerdings nicht zu<br />
finden, die geheimnisvolle Wolkenburg »Misitra«, wie Goethe sie nennt. Trotzdem ist<br />
eine Urheberschaft Fouqués nicht ausgeschlossen, schließlich könnte »Misitra« in<br />
einem seiner zahllosen anderen Werke beschrieben sein; aber, so >gewagte<<br />
Komposita wie »Märchenfernen«, »weinbelaubt«, »Wacholdermeer« bei Fouqué?<br />
Zudem, es mangelt am rechten Pathos, von dem Preußen-Dichter ist man Markigeres<br />
gewohnt. Wahrscheinlicher also ist die Vermutung, Arno Schmidt habe dieses Gedicht<br />
als eine Art Stilübung in Fouqués Manier verfaßt.<br />
Wie ist die Wahl des Titels zu erklären? Existiert ein Werk Fouqués, dessen<br />
Handlungsort Cadiz ist, oder war allein die Bedeutung des Namens ausschlaggebend:<br />
Gadir = Burg, Festung?<br />
Spätestens bei der Niederschrift der Erzählung wird Schmidt allerdings auch den<br />
älteren Übersetzungsversuch Mannerts mitbedacht haben: »Der Name bedeutet einen<br />
Zaun, weil sich dieses Volk [= die Phönizier] hier die westliche Gränze der Erde<br />
dachte.« In dem Funkessay Goethe und einer seiner Bewunderer wird der kurzzeitig<br />
Wiederbelebte über das eigentlich Neue der Moderne belehrt:<br />
»Was aber würden Sie sagen? Sie, der Sie weder Güterzüge, Kabeltrommeln, noch<br />
Panzer kannten?« / Er war zu faul zum Nachdenken über Irdenes; verstand aber sehr<br />
wohl, was ich meinte: hier war der Zaun zwischen uns; Gadir. (DYA, 140)<br />
Was bei der Niederschrift des Gedichts nur ein poetisches Synonym für die<br />
romantische >Burg< gewesen sein mag, durch die Erfahrung des Krieges und der<br />
Internierung wurde es zum Symbol der Gefangenschaft, der Zeit- und Erlebnisgrenze<br />
>3. ReichMit der Wolke wandern< ist eine Metapher für die poetische, die<br />
träumerische Selbstbefreiung, die vorerst mißlingt: »Ja; denkst'e« - aber diese<br />
scheinbar so desillusionierende Schlußbemerkung ist auch anders zu lesen: Ja; denke<br />
die Flucht.<br />
Am 121. Tag entwendet Pytheas beim Bekleidungsempfang einen kleinen stählernen<br />
Halbmond, »[...] wie ihn die Soldaten auf ihren Ledersandalen tragen, abgeschliffen,
aber hell und hart glänzend.« (19 f.) In fiebriger Hast entwirft er daraufhin seinen<br />
Fluchtplan:<br />
Ich werde beide Stäbe erst einmal unten durchkratzen und sie dann hochzubiegen<br />
versuchen. Erst wenn das nicht geht, auch oben. - Ordentlich Fieber und mein Herz<br />
trommelt: zuerst muß ich zur Insel schwimmen [...]. Da sind zwei Gehöfte, also<br />
müssen auch Kähne da sein; einen genommen und rüber zum festen Lande, - und so<br />
weiter, und so weiter.-<br />
<strong>Die</strong> hektische Anspannung hält bis zum Abend an: »Kann nicht schlafen, kann nicht<br />
schlafen.« <strong>Die</strong> Fluchtgedanken übersetzen sich in eine Bilderflucht: »Bilder fliehen<br />
augenentlang, alle von links nach rechts und hurtig bewegt«; wie im Film ziehen die<br />
einzelnen »snapshots« vorbei:<br />
Kornwogen, massiv und grell golden; rollende Wagenzüge; Alalagmos aus klaffenden<br />
Soldatenmündern; hasten Wasserschäume; endlosgrün gleitet Brettanikes Küste am<br />
Backbord; schrien wir Jünglinge nicht »Tod den Timuchi« unterm stämmigen Mond? -<br />
(20)<br />
Eine Reihe impressiver Einzelerinnerungen, melancholisch gestimmt auf die dunklen<br />
Laute a, o und u; dynamisiert durch die Bewegungsverben: wogen, rollen, hasten,<br />
gleiten.<br />
<strong>Die</strong> Bildinhalte lassen sich den bekannten Motivreihen zuordnen: Kornwogen =<br />
Sommer, Jugendlichkeit; rollende Wagenzüge = Flucht; Alalagmos (Schlachtgeschrei)<br />
= Krieg; die endlose britannische Küste = Ziel der Nordlandfahrt des Pytheas, Sinnbild<br />
des Strebens nach Unendlichkeit. <strong>Die</strong>se Reihung von Erinnerungspartikeln klingt in der<br />
rhetorischen Frage aus: »schrien wir ... « Erneut eine Rückerinnerung an die<br />
Jugendzeit, Rebellen waren sie, stämmige Jünglinge, die den Regierenden den Tod<br />
androhten. Ganz ähnlich wird dann auch der befreite und wiederverjüngte Pytheas<br />
zum Aufstand der Guten wider Gott und Natur aufrufen. (37)<br />
<strong>Die</strong> ausformulierte rhetorische Frage beruhigt die heftige Fluchtbewegung der<br />
Bilderreihe und leitet zu dem heller getönten Stimmungswechsel über:<br />
So fühlte ich die Haut meiner Hände, wenn ich betrunken war, stumpf und angenehm<br />
lau, und immer noch kein Stern im grauen Geweite. - Schön: ziehn wir noch ein<br />
Weilchen mit den Flatterwolkenstreifen. (20 f.)<br />
Pytheas wandert mit den Wolken. Was zuvor durch das desillusionierende »denkst 'e«<br />
aufgehoben schien, hier kehrt es wieder, unwidersprochen. Und direkt im Anschluß<br />
daran: »und Eisen zwischen unermüdlichen Fingern: es geht! Langsam, gewiß; aber<br />
es geht [...].«<br />
Unterbrochen wird die Feilarbeit an den Gitterstäben durch eine erneute<br />
Rückerinnerung an die Jünglingszeit: »Als junger Mensch hing mir der Mond wie eine<br />
Frucht mit schaumiger Seidenschale und schartigem Silberkern in den Weinranken.«<br />
Eine verklärende Metaphernfolge im Stil Jean Pauls. <strong>Die</strong> Kontrastierung erfolgt direkt<br />
im Anschluß: »Jetzt liegt eine glasige Lichtlache inmitten der Zelle [...].« Eine doppelte<br />
Optik: dem titanischen Jüngling ist der Mond eine zu pflückende Frucht, dem<br />
gefangenen Greis eine glasige Lichtlache. Aber sofort beginnt die Phantasie den<br />
desillusionierenden Eindruck als Möglichkeit der Befreiung zu sehen: »die müßte rund<br />
sein, dann flösse ich wie auf einer Eisscholle in schwarzer Unendlichkeit, blitzschnell<br />
umgetrieben, der letzte Mensch (oder der erste: was wäre unangenehmer?)«<br />
Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige, und ich war tot, und siehe, ich bin<br />
lebendig in alle Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und des Totenreiches.<br />
(Off. 1, 17 f.)<br />
Alle zentralen Motive des »Hetztraumes«, der Sinngehalt der gesamten Erzählung<br />
wird hier, im Zitat, vorweggenommen: die Überwindung des Todes - durch die Kunst.<br />
<strong>Die</strong> nachfolgende Regieanweisung bestätigt diese Lesart nachdrücklich: »Phosphoros
erscheint auf der Spitze des Berges Mathos«. Phosphoros, der Lichtträger und<br />
Lichtbringer, ist die antike Bezeichnung für den Planeten Venus in seiner Phase als<br />
Morgenstern. Damit eröffnet sich eine kaum überschaubare Vielfalt von Bezügen: zu<br />
dem später zitierten Phaeton-Mythos beispielsweise, zu dem oben bereits<br />
angespielten Titan Jean Pauls, auch die Gestalt des Hyperion, auf dessen<br />
Wahlverwandtschaft mit Pytheas schon hinzuweisen war, gehört in diesen Helios-<br />
Sagenkreis.<br />
Welcher symbolische Gehalt im unmittelbaren Kontext dieser Textstelle zu<br />
aktualisieren ist, zeigt das folgende Ideogramm:<br />
EinStabistdurch -<br />
Das Gestirn der Venus ist Sinnbild der Dichotomie von Werden und Vergehen, Geburt<br />
und Tod; ihr morgendlicher Stellvertreter Phosphoros verkörpert dabei den<br />
heilbringenden Aspekt, er ist Künder einer neuen Zeit, als solcher wird er zum Fanal<br />
der nahenden Befreiung des Pytheas.<br />
Der letzte der kleineren Träume führt wieder in die Vergangenheit zurück: Pytheas sitzt<br />
mit seinen zänkenden Eltern in der »finsteren Küche«. (28) Der verschwollenen<br />
Befehle und »fetten Soldatenflüche[]«, die der Vater ihm, dem Manne, zubrodelt,<br />
endlich überdrüssig geworden, haut er »ihm eine ins rotunde Radaugesicht, daß er<br />
sofort schwieg, völlig verblüfft; war fertig, saß da, mit abgesägten Hosen, he?!-« Eben<br />
in dieser Tat des manngewordenen Pytheas liegt der markante Unterschied zu den<br />
vorangegangenen Kurz-Träumen. Mit dem rhetorischen Aufruf zum Widerstand gegen<br />
die Autoritäten wird ernst gemacht; der Faustschlag gegen den Vater ist der Auftakt<br />
der proklamierten Rebellion der »Guten« wider die Mächtigen. Damit ist die in den<br />
Träumen und Erinnerungen vergegenwärtigte Jugendgeschichte zu ihrem<br />
(idealisierenden) Abschluß gelangt. <strong>Die</strong> Gefangenschaft der Kindheit endet mit dem<br />
Akt der Auflehnung des Erwachsenen: »Ich erwachte und empfand wieder, wie nach<br />
früheren ähnlichen Vorgängen, ein herrliches Gefühl von Stolz und Erleichterung,<br />
lachte befreit, den Kopf im Nacken [...].«<br />
<strong>Die</strong> imaginierte Selbstbefreiung, sei sie nun reine Wunschphantasie oder<br />
träumerischer Nachvollzug eines >tatsächlichen< Geschehens, lenkt den Sinn des<br />
Pytheas wieder auf die Flucht: »Es zuckt mir in den Händen, wenn ich die Stäbe<br />
angucke: ob sie sich biegen lassen? Wenn ja; dann verschwind ich noch heute<br />
Nacht.« (28)<br />
5. Der »Hetztraum«<br />
a) sensus impudicus<br />
Es hat der Autor, wenn er schreibt,<br />
So was Gewisses, das ihn treibt.<br />
J. W. v. Goethe<br />
Um Mißverständnisse zu vermeiden, ist vorab klarzustellen: das Motto ist nicht<br />
programmatisch, im folgenden soll keine psychoanalytische Deutung des
»Hetztraumes« versucht werden; Gegenstand der Interpretation ist nicht das<br />
»Unbewußte« des Autors via Text, sondern der Text selbst.<br />
Bestimmte Hinweise lassen darauf schließen, daß Konstruktion und Inhalt des<br />
»Hetztraumes« bewußt nach Maßgabe der Freudschen Traumtheorie ausgearbeitet<br />
wurden. <strong>Die</strong> These lautet folglich: Arno Schmidt kannte zum Zeitpunkt der Konzeption<br />
dieser Erzählung zumindest die Traumdeutung, und er hat seine Kenntnisse (für<br />
diesen speziellen Fall) auch poetologisch genutzt. Als textexterner Beweis für die frühe<br />
Freud-Rezeption sei an den in der Einleitung erwähnten Briefausschnitt erinnert, in<br />
dem Schmidt betont, daß er die »wichtigsten Bücher« des großen Mannes schon in<br />
seiner ersten Bibliothek besaß - daß er sie auch gelesen hat, bleibt vorläufig eine<br />
petitio principii.<br />
Der Text bietet bis zum Beginn des »Hetztraumes« kaum Anlaß, über sexuelle<br />
Untergründigkeiten zu spekulieren; einzig die erotisch angehauchte Schlagerzeile<br />
gleich zu Anfang, die schwengelnden Feuerdrachen (15) und das etwas gezwungene<br />
Wortspiel am 122. Tag (23) sind ex post als erste spärliche Hinweise deutbar. Insofern<br />
wäre der Verdacht, hier würde, um einer Bestätigung der in Sitara angelesenen<br />
Vorurteile willen, forciert eine Spurensuche in abseitige Gefilde betrieben, zutreffend -<br />
wenn nicht der »Hetztraum« selbst den Leser auf diese Fährte zwingen würde, und<br />
zwar nicht mittels einer kryptischen, nur dem Überscharfsinn des »Etym«-Spezialisten<br />
zugänglichen Geheimlosung, sondern äußerst handfest:<br />
Erst als ich damit an Dreifüße klirrte, merkte ich, daß mir ein stählerner<br />
Stechschlüssel, der Hieroglyphe ench gleich, in der Rechten hing; [...]. (25)<br />
<strong>Die</strong> Schlüssel-Metaphorik wird in der Traumdeutung in einem doppelten Sinn genutzt,<br />
zum einen spricht Freud von dem »Schlüssel der Symbolisierung« bzw. dem<br />
»Schlüssel zur Lösung des Traumes«, zum anderen erinnert er an die sexuelle<br />
Bedeutung: »[...] die Symbolik von Schloß und Schlüssel hat Uhland im Lied vom<br />
>Grafen Eberstein< zur anmutigsten Zote gedient.« Für den Schlüssel in Gestalt der<br />
Hieroglyphe ench gilt beides, er eröffnet den Zugang zu diesem »Hetztraum« - gerade<br />
vermittels seines mehrfachen Symbolwertes.<br />
Offenkundig ist die sexuelle Deutbarkeit; die Zusammensetzung »Stechschlüssel« ist<br />
dafür eine erste nachdrückliche Bestätigung, was aber diese allegorische Lesart<br />
endgültig legitimiert und als intentional ausweist, ist die Bedeutung der Hieroglyphe<br />
ench: »Leben und Leben machen«, dargestellt durch ein Phallus-Ideogramm.<br />
MEPH. Hier diesen Schlüssel nimm.FAUST. Das kleine<br />
Ding!MEPH. Erst faß ihn an und schätz ihn nicht gering.FAUST. Er wächst in meiner<br />
Hand! [...]MEPH. Merkst du nun bald, was man an ihm besitzt?<br />
Der Dichter des Tagebuchs hätte sicherlich Verständnis für diese ithyphallische Lesart<br />
gezeigt, schließlich dient sie weniger dazu, eine neue Deutung der Faustschen<br />
Mysterien-Initiation in der Finsteren Galerie zu suggerieren, sondern als erster Beleg<br />
dafür, daß der Gang zu den Müttern eine der im »Hetztraum« zitierten Vorlagen ist.<br />
Mustert man, aufmerksam geworden durch diesen Schlüssel-Hinweis, daraufhin den<br />
Text nach symbolfähigen Begriffen, so finden sich (natürlich) etliche; angeführt seien,<br />
um entsprechenden Einwänden zuvorzukommen, nur die beweiskräftigsten:<br />
Gehetzt wird Pytheas von der »Punierbrut«, »blutgeil«, durch »hohe hallende Säle«.<br />
»Rötliche Marmorwände, mattgelb geädert, wiesen keine Fuge[]; oft standen<br />
mannshohe Vasen, rankenüberlaufen, in Sammlungen«. Seinen Verfolgern zu<br />
entkommen, stürzt er sich »geblähten Gewandes ums Säulenkap« und sticht den<br />
»vierkantigen Hohlstab drehend in die achte Rosette der Lotosleiste«, um dann in die<br />
sich »huldvoll spaltende Wand« zu gleiten. Was man sich unter dem vierkantigen<br />
Hohlstab vorzustellen hat, bedarf keiner Erläuterung. <strong>Die</strong> Zahl >8
ist ein veritables Anagramm, über die dazugehörige Bedeutung der »Rosette«<br />
informiert Bornemans Sex im Volksmund. Der Lotos wäre für den Schmidt der Sitara-<br />
Studie schon ob seiner Buchstabenfolge >oto< verdächtig, was nicht weiter<br />
interessierte, wenn diese so anamorphotisch gestaltete Pflanze nicht auch in der<br />
ägyptischen Mythologie als lebensverheißendes Schoß-Symbol figurierte:<br />
Der rosafarbene ägyptische Lotos, nekheb, mit dem süßen und erfrischenden<br />
Anisdufte schließt bei Sonnenuntergang seinen Kelch, zieht seinen Stengel ein und<br />
verschwindet im Wasser; des Morgens kommt er aber wieder ans Licht, öffnet seinen<br />
Kelch und läßt die Insekten, die sich in ihm für die Nacht versteckt haben, heraus.<br />
Auch der neugeborene Lichtgott Horus kommt jeden Morgen wie ein Insekt aus der<br />
sich öffnenden Lotosblüte heraus.<br />
Das Ineinanderschieben von »Haken und Riegelbarren«, das Stehen im<br />
»kluftschmalen Gang«, der Abstieg in den Schacht über eine steile Marmorstiege, das<br />
alles sind extrem symbolfähige, vornehmlich der Anal- und Genitalsphäre<br />
zuzuordnende Vorgänge und Tätigkeiten. Treppab wird geschlüpft und<br />
[...] nach dreiundachtzig Stufen erschloß ench wiederum die Mauer. Hart über'm<br />
Boden zwängte ich mich durchs enge Mannloch, schloß sorgsam die Öffnung mit<br />
Steinpfropf und Querstange, und erhob mich ins helle Goldlicht des türlosen<br />
quadratischen Gemaches.<br />
Auf die Bedeutung der Zahl >8< wurde schon hingewiesen, die der >3< ist bekannt,<br />
somit ist »83« als ein numerisch dargestellter Penetrationsakt a tergo zu lesen, der -<br />
wie zur Bestätigung - wörtlich wiederholt wird. Denn - wie ist das Nachfolgende sonst<br />
zu verstehen? Was ist ein enges »Mannloch« anderes als ein - Genitivkompositum,<br />
durch das Pytheas sich hart »über'm Boden« zwängt - eine Angabe, die mittels<br />
Anlautverschreibung wesentlich zweideutiger würde. Mit Pfropf und Stange wird die<br />
Öffnung verschlossen, und zu guter Letzt hebt er sich »ins helle Goldlicht« des<br />
ausgangslosen Gemachs; bedenkt man den Symbolgehalt des Goldes, so wird der<br />
Hintersinn dieser Stelle überdeutlich.<br />
Pytheas weicht nicht von der Spur; lange flieht er die Wendeltreppe hinab, wieder<br />
schließt er mit ench, »sechsmal drehend«. Auf dem Wasser des Kanals liegt ein<br />
ebenhölzernes Kajak, in das er ohne zu zögern schlüpft, »[...] gut und leicht lag das<br />
Paddel in meiner Hand.« Erregt gleitet er zwischen den Jaspiswänden dahin, erlotet<br />
»in kaum Mannstiefe mit dem Ruder die glatte Grundbahn«, bis er schließlich in<br />
Unnahbarkeit versinkt.<br />
Eine wort- und silbengenauere Analyse könnte noch deutlicher machen, was so<br />
zumindest im Ansatz erkennbar geworden ist: die Lesbarkeit des »Hetztraumes« als<br />
homosexuelle Wunschphantasie mit dem ödipalen Fernziel einer Wiedergeburt:<br />
Einer großen Anzahl von Träumen, die häufig angsterfüllt sind, oft das Passieren von<br />
engen Räumen oder den Aufenthalt im Wasser zum Inhalt haben, liegen Phantasien<br />
über das Intrauterinleben, das Verweilen im Mutterleibe und den Geburtsakt zugrunde.<br />
[...] Träume dieser Art sind Geburtsträume; zu ihrer Deutung gelangt man, wenn man<br />
die im manifesten Traume mitgeteilte Tatsache umkehrt, also anstatt: sich ins Wasser<br />
stürzen - aus dem Wasser herauskommen, d. h.: geboren werden. <strong>Die</strong> Lokalität, aus<br />
der man geboren wird, erkennt man, wenn man an den mutwilligen Sinn von »la lune«<br />
im Französischen denkt.
) sensus litteralis<br />
Im Innern ist ein Universum auch [...].<br />
J. W. v. Goethe<br />
An Zitaten, Anspielungen bzw. literarischen Vorlagen sind zu nennen:<br />
- Karl May:<br />
Im vierten Band des Silbernen Löwen führt ein »höchst bedeutsamer Traum« (DYA,<br />
182) den Helden in die »Ruine der Schatten« zurück, deren unterirdisches<br />
Kanalsystem er kurz zuvor erkundet hat.<br />
Nach einer Exkursion durch die seltsamen Gemächer dieses Baus, wagt er den<br />
»Sprung hinaus in das, was mir als >Tod< bezeichnet worden war«, ins kalte Wasser<br />
des Kanalbassins nämlich, worauf er in »gewöhnlichem Tone« feststellt: »Ich lebe,<br />
denn es gibt ja keinen Tod!« <strong>Die</strong> erwartungsvoll im Wasser sich tummelnden Gerippe<br />
erkennen an dieser erfreulichen Botschaft den verheißenen Erlöser, denn die Sage<br />
erzählt<br />
»[...] von diesem Einen, daß er den Schlüssel Hephata besitze, und bis zu diesem<br />
Augenblick ist Alles, was sie sagte, eingetroffen.« [...] Da rief ich aus: »Ich habe ihn,<br />
den Schlüssel, und keine Stärke kann ihm widerstehen!«<br />
»Ephatha, das heisst: tu dich auf!« (Mark. 7, 34) - mit diesem Wort heilte Jesus einen<br />
Taubstummen. Karl May, ganz messianischer Wundermann, öffnet damit die Tore der<br />
labyrinthischen Unterwelt, um anschließend mit den befreiten »Schatten« eine<br />
monumentalische Lob- und Preismesse zu seinen und Gottes Ehren abzuhalten.<br />
»Leben und Leben machen« ist die Bedeutung der Hieroglyphe ench; exakt den<br />
gleichen Symbolwert hat der Schlüssel Hephata. Arno Schmidt deutet diesen Gang in<br />
die Unterwelt, wie überhaupt die letzten beiden Bände des Silbernen Löwen, als eine<br />
»Auto= und Psychobiographie einziger Art«, als einen »>Sprung in die eigene<br />
Vergangenheit
Ein unentbehrliches Requisit der Fouquéschen Ritterromane, das sich auch im<br />
»Hetztraum« wiederfindet, ist das »Alte Buch« bzw. die »Alte Schriftrolle«, die dem<br />
Helden als Wegweiser und Seelenspiegel dienen.<br />
- Jean Paul<br />
<strong>Die</strong>ter Kuhns Hinweise auf die Vergleichbarkeit der Kanufahrt des Pytheas mit der<br />
Traumreise des Albano, »in einem weißen Kahn auf einem finstern Strom, der<br />
zwischen glatten, hohen Marmorwänden schoß«, sind insofern zu ergänzen, als<br />
Albano wie Pytheas sich vor Beginn des Traums in der »gewaltigen Hand des<br />
Fiebers« befinden und beiden der »Geist des Traums« die funkelnde »Höhle der<br />
unterirdischen Schätze«, das »Geister-Eldorado« eröffnet. Albanos Todesahnung<br />
schließlich, »Da dacht' ich an meinen Tod«, verklärt sich in einer für Pytheas<br />
Erlösungsphantasie musterbildenden Weise zur Vision des ewigen Lebens, der hellen<br />
Unendlichkeit, dargestellt als »ein entzücktes, leichtes, weites Eden«, in das er mit<br />
seinem »Flügel-Schiff« übersetzt.<br />
- Goethe<br />
Faust wie Pytheas öffnet ein numinöser Wunderschlüssel den Zugang zur Unterwelt.<br />
Erst als der Flüchtende »damit an Dreifüße klirrte«, merkte er, was er eigentlich in der<br />
Hand hielt, den Schlüssel ench nämlich. Zum Vergleich:<br />
Mephistopheles.Ein glühnder Dreifuß tut dir endlich kund,Du seist im tiefsten,<br />
allertiefsten Grund.[...]Da faß ein Herz, denn die Gefahr ist groß,Und gehe grad' auf<br />
jenen Dreifuß los,Berühr ihn mit dem Schlüssel! (V. 6283 ff.)<br />
Fausts Weg führt ins »Unbetretene, Nicht zu Betretende«, in ungekannte »Öd' und<br />
Einsamkeit«, wo er »in ewig leerer Ferne« die eigenen Schritte nicht hören wird. (V.<br />
6223 f., 6227 f. und 6246) Pytheas versinkt in der Stille und Eintönigkeit der nicht<br />
endenwollenden »Schwarzwasserpolster«.<br />
»Der erste, der sich jener Tat erdreistet« (V. 6299), der sich in das Reich der Schatten<br />
wagt, um das Urbild der Schönheit zu entführen - doch so einzig wie Mephisto in<br />
Unkenntnis der Mythologie seiner »antikische[n] Kollegen« (V. 6949) - »Das<br />
Heidenvolk geht mich nichts an« (V. 6209) - die Tat Fausts erscheinen lassen will, ist<br />
sie nicht. Schon Orpheus unternahm Ähnliches; auch er, dessen Name - der Dunkle -<br />
bereits eine besondere Beziehung zur Unterwelt anzeigt, wagte den Gang in das<br />
Reich der Tiefe, wo die Schemen hausen, um seine mondgleiche Geliebte wieder ins<br />
Leben zu holen.<br />
Orpheus scheitert; ebenso Faust. Mit Gewalt läßt sich das Bild nicht in die Welt<br />
zwingen; erst der Traum, die Besinnung auf die schöpferische Macht der Kunst, läßt<br />
für Faust eine Wirklichkeit des Zusammenseins mit Helena entstehen, der zwar kein<br />
Realitätsgehalt im objektiven Sinn des Wortes zukommt, dafür aber der Wert, den<br />
Schein einer Tatsächlichkeit des Lebens ohne Tod erzeugt zu haben.<br />
Der zentrale Inhalt des Orpheus-Mythos wie auch des »Gangs zu den Müttern« ist die<br />
Reflexion auf die Macht der Kunst. Eine Macht, die ahnungsvoll von Faust beschworen<br />
wird, noch ehe er ihren Sinn wirklich versteht:
Ist dieser Schlüssel nicht in meiner Hand!Er führte mich, durch Graus und Wog' und<br />
WelleDer Einsamkeiten, her zum festen Strand.Hier fass' ich Fuß! Hier sind es<br />
Wirklichkeiten,Von hier aus darf der Geist mit Geistern streiten,Das Doppelreich, das<br />
große, sich bereiten. (V. 6550 ff.)<br />
Alle zitierten Texte stehen in einem motivischen Zusammenhang, alle sind sie<br />
Variationen über den delphischen Spruch des »Erkenne Dich Selbst« - als Künstler.<br />
<strong>Die</strong>se Gemeinsamkeit des Themas spiegelt sich in der fast einhelligen Wahl des<br />
Traums als Darstellungsmittel, er ist - lange vor Freud - als »via regia« zum<br />
Unbewußten erkannt.<br />
<strong>Die</strong> Suche nach sich selbst führt in die Tiefe; die bildliche Konkretion ist der Gang in<br />
die Unterwelt. Der Sinn dieser Reise liegt in der Wiederkehr, in dem, was ans<br />
Tageslicht gebracht wird als Antwort auf die Ausgangsfrage nach der eigenen Identität.<br />
Unter diesem Blickpunkt steht die erneute Lektüre des »Hetztraumes«, die wiederum<br />
mit einer Deutung des Schlüssels »in Gestalt der Hieroglyphe ench« beginnt.<br />
Darin nur ein sexuelles Symbol sehen zu wollen, genügt nicht. Im literarischen Kontext<br />
des Traumes ist sein Sinngehalt ein anderer. Literarischer Kontext, das meint zunächst<br />
die auffällige Präsenz von Schriftzeichen in diesem Traum: »die runden Stirnen mit<br />
Geheimnissen beschrieben«, die Form des Stechschlüssels, die »bräunliche, brüchige<br />
Rolle«, die »rieselnden Altgoldbuchstaben«, die hohen Tafeln, »schriftzeichenüberlaufen«,<br />
und schließlich die Gedichtzeilen. <strong>Die</strong> Flucht des Pytheas wird nicht durch den<br />
Raum oder die Verfolger, sondern durch die Schriftrolle dirigiert: sie weist ihm den<br />
Weg, der Schlüssel ench öffnet die Türen. Eine vergleichbare Funktion haben auf der<br />
Handlungsebene die Sandalenschnalle in Gestalt des kleinen stählernen Halbmondes<br />
(19), mit der es Pytheas >gelingtRotten Borough< der Religionen«, der hinfällige<br />
Bau versinnbildliche den ruinösen Zustand der alten Lehrgebäude. (DYA, 176)<br />
Es scheint, daß auch dem pyramidenförmigen Bau im »Hetztraum« eine solche<br />
symbolische Bedeutung zukommt, natürlich nicht als bildliche Konkretion theologischer<br />
Systeme, sondern als architektonische Metapher der literarischen Tradition. Dafür<br />
spricht die erwähnte Allgegenwart der Schriftzeichen, die immer größer werdende Zahl<br />
von Nebengemächern, je tiefer Pytheas in das Gebäude eindringt, und nicht zuletzt
das, was an Seltsamem sich in den Räumen befindet: »Bilder, Rollen, Geräte,<br />
Gewirktes, Gedachtes, zu betrachten ein Leben lang.«<br />
<strong>Die</strong> Klimax endet mit dem substantivierten Partizip »Gedachtes« -<br />
Vergegenständlichung des Geistes, was leistet Literatur anderes? Und was ist die<br />
Aufgabe der Tradition, wenn nicht die Bewahrung all dessen, was jemals gedacht<br />
wurde? Und sah nicht Arno Schmidt seine Lebensaufgabe darin, all das »zu<br />
betrachten ein Leben lang.«<br />
Betroffen liest Pytheas »zwei Zeilen von Hellbraunem«:<br />
»... Lampiges Fenster weht auf, Stimmen undWolkenzug; / Brunnengeliebte am<br />
Marktspendet aus steinernem Krug ...«<br />
Bräunlich war die Farbe der Schriftrolle, »von Hellbraunem« sind diese zwei Zeilen.<br />
Wozu diese auffällige Konstruktion (Inversion, Substantivierung)? <strong>Die</strong> Zugehörigkeit<br />
zur Schriftrolle, zur Tradition, soll akzentuiert werden! <strong>Die</strong> Abtönung ist als Hinweis auf<br />
das Alter dieser Verse zu lesen: hellbraun, d. h. sie wurden vor nicht allzulanger Zeit<br />
geschrieben.<br />
1933 schenkte Arno Schmidt seinem Freund Heinz Jerofsky ein Notizbuch mit seinen<br />
>Gesammelten JugendgedichtenSprung in die eigene Vergangenheit
vom »Greis« in ein »kleines Kind« zurückverwandelt und damit der ganzen Welt die<br />
Jugendfrische des Anfangs zurückgibt.<br />
Durch diese Aufhebung und Umkehrung des Alterungsprozesses verliert der Tod seine<br />
Bedeutung als endgültige Grenze. Sterben heißt wiedergeboren werden, und die<br />
Gefahren dieser Regeneration gilt es, ähnlich wie bei der ersten Geburt, durch<br />
Vorsorge zu bannen. Von dieser Vorstellung her erklärt sich der ungeheure<br />
wissenschaftliche und ökonomische Aufwand, der von den Ägyptern im Totenkult<br />
betrieben wurde. So sollte die sorgfältige Einbalsamierung und Mumifikation den<br />
Körper vor der Verwesung bewahren und ihm Schutz für die Reise ins Jenseits<br />
gewähren.<br />
Ich fiel gleich auf dem Tisch zusammen, gefühlloses Knochenbündel in Rohleinen<br />
geballt, nur der Kopf schwebte noch abgesondert rastlos listig dicht über der Platte<br />
(Otternhäupter sah ich so kreisen - horch, und die alten Schlangen wachen auf) [...].<br />
(25)<br />
Präziser läßt sich der Begriff >Mumie< kaum ins Bild übersetzen: »gefühlloses<br />
Knochenbündel in Rohleinen geballt«.<br />
Der Kopf schwebt noch eine Weile über der Tischplatte, »[...] dann sank auch er, ein<br />
schneebehangener schlafender Vulkan: wildschnell floh Pytheas, ein Jüngling, im<br />
Hetztraum!« Der Kopf war den alten Ägyptern der eigentliche Sitz des Lebens, die<br />
Schlange ein Symbol der erhofften Palingenesie: der Greis sinkt schlafend nieder - der<br />
Jüngling flieht wildschnell: eine träumerische Selbstverjüngung, dargestellt als<br />
Kopfgeburt.<br />
<strong>Die</strong> Viper (= Otter) hat schon der Schmidt wohlbekannte Herodot als<br />
Regenerationssymbol der Ägypter genannt (II, 74); weiter gehören dazu: der Schlüssel<br />
ench, die Statuen mit den hoheitsvollen Affengesichtern (der Pavian galt als heiliges<br />
Tier, das sowohl in den Totensprüchen wie als Statue bzw. in Abbildungen Schutz-<br />
und Identifikationsgestalt war), die Stiere, der Falke: »Hieroglyphen wandten<br />
Falkenköpfe«, verehrt als Sinnbild der Himmelfahrt, des aufstrebenden Höhenfluges,<br />
und schließlich der schon genannte Lotos.<br />
Auf der Handlungsebene sind es die >natürlichen Verbündeten< des Pytheas, die<br />
diesem Symbolkreis zuzuordnen sind: der Mond, in der ägyptischen Mythologie<br />
vorgestellt als ein Gott, »der im Grab ruht, aber im Tod seine Kraft wiedergewinnt«; die<br />
Wolken, die Himmelsschiffe der Jenseitsreisenden, und schließlich der die Neugeburt<br />
verheißende Morgenstern: »>Er [der Tote] stellt sich unter sie [die Sterne], sein Bruder<br />
ist der Mond und sein Verwandter der Morgenstern
Kanals, zwischen hohen Jaspiswänden dahin, immer weiter in die ausgangslos<br />
scheinenden Labyrinthe.<br />
Aber diese Reise ist keine ohne Wiederkehr, denn was die ägyptische<br />
Unterweltsvorstellung von der griechischen oder römischen unterscheidet, ist der<br />
Glaube an die Rückkunft der Toten aus dem Reich des Osiris. So wie der Sonnengott<br />
immer aufs neue der Welt wiedererscheint, Hesperos sich tagtäglich zu Phosphoros<br />
verjüngt, so kann auch der Mensch auf seine Regeneration hoffen. <strong>Die</strong> Barke steigt<br />
aus der Unterwelt empor und setzt ihre Reise im Himmelsozean fort, bis sie das »Land<br />
der Seligen« erreicht.<br />
<strong>Die</strong> ägyptische Jenseitsvorstellung ist ein gewaltiger Protest gegen den Tod, »dessen<br />
Wirklichkeit man abstreitet«. Ihre Überzeugungskraft beruht auf einer hochentwickelten<br />
Psychologie, deren erkenntnistheoretischer Ausgangspunkt die Direktive des nosce te<br />
bildet:<br />
<strong>Die</strong> Lebenden können sich eigentlich mit der Welt der Toten nicht vertraut machen,<br />
und auch für die Ägypter war das Jenseits ein »anderes Reich, das die Menschen<br />
nicht kennen«. Aber an einer Stelle scheint ein Einstieg in jene Welt möglich zu sein: in<br />
der »Unterwelt« des Unbewußten in der menschlichen Seele, das uns mit dem<br />
Jenseits verbindet. Was die Unterweltsbücher der thebanischen Königsgräber<br />
beschreiben, sind Fahrten durch tiefste Räume der Seele, und auch das Totenbuch<br />
versucht in vielen seiner Sprüche, mit dem Licht der Sonne, des Tagesbewußtseins, in<br />
tiefste Schichten menschlicher Existenz hinabzuleuchten, elementare Wünsche,<br />
Ängste, Gefahren und Möglichkeiten aufzudecken oder namhaft zu machen.<br />
6. Zur Theorie des »Längeren Gedankenspiels«<br />
Es ist doch lange hergebracht,<br />
Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.<br />
J. W. v. Goethe<br />
Das Phantasieren, das Träumen am hellichten Tag, »gehört zum unveräußerlichen<br />
Bestand unserer Bewußtseinstatsachen«, dekretiert Schmidt in völliger<br />
Übereinstimmung mit Freud und Bloch. (R & P, 295) Denen genügte allerdings der<br />
umgangssprachliche Begriff >Tagtraum
die Traumarbeit nichts anderes als die Kompensation eines unbefriedigten<br />
Triebverlangens, einhergehend mit einem Realitätsverlust, der bis zur<br />
Neurosenbildung führen kann. Das zu vermeiden, ist der Tagträumer genötigt, für<br />
seine gestaute Libido wieder den Rückweg in die Realität zu suchen - günstigstenfalls<br />
über die Kunst. »Der Künstler ist im Ansatze auch ein Introvertierter, der es nicht weit<br />
zur Neurose hat.« Allerdings gelingt ihm, was den meisten mangels Talent verwehrt<br />
bleibt:<br />
Er versteht es erstens, seine Tagträume so zu bearbeiten, daß sie das allzu<br />
Persönliche, welches Fremde abstößt, verlieren und für die anderen mitgenießbar<br />
werden. Er weiß sie auch soweit zu mildern, daß sie ihre Herkunft aus den verpönten<br />
Quellen nicht leicht verraten.<br />
<strong>Die</strong> Freiheit des Künstlers beschränkt sich Freud zufolge auf die formale<br />
Weiterverarbeitung des vom Unbewußten bereitgestellten Rohmaterials; gleich dem<br />
naiven Tagträumer ist auch er letztlich gezwungen, seine Zwangsvorstellungen immer<br />
wieder zu reproduzieren. <strong>Die</strong>ser deterministischen Konzeption widerspricht Bloch ganz<br />
entschieden. Für ihn handelt es sich beim Tagtraum nicht um eine Vorstufe des<br />
nächtlichen Traums, sondern um einen autonomen Zustand, der eigener Kategorien<br />
zu seiner Beschreibung bedarf. Ganz im Sinne seiner Ästhetik des »Vor-Scheins«<br />
betont Bloch den antizipierenden Charakter des Tagtraums. Seine Inhalte speisen sich<br />
nicht aus Infantilem oder gar Archaischem, er ist nicht repressiv, sondern<br />
zukunftsgerichtet. Dem entspricht eine gänzlich andere Rolle des träumenden, besser<br />
phantasierenden Ichs; der Tagtraum wird nicht passiv erlebt, sondern aktiv »mit lauter<br />
selbstgewählten Vorstellungen« gestaltet. <strong>Die</strong>ses von Freud nicht weiter beachtete<br />
Distinktionsmerkmal wird auch von Schmidt nachdrücklich hervorgehoben:<br />
Der Unterschied zwischen Traum und Gedankenspiel liegt bekanntlich darin, daß zwar<br />
die objektive Realität [...] bei beiden annähernd die gleiche ist; die subjektive [...]<br />
Realität beim Traum jedoch in ausschlaggebendem Maße passiv erlitten wird (wir<br />
erfahren darin oft unerwünscht-empörendste Rücksichtslosigkeiten, Alpträume,<br />
mythisches Grauen); während beim Gedankenspiel das Individuum wesentlich<br />
souveräner, aktiv-auswählend, schaltet (natürlich ebenfalls »konstitutionell<br />
beschränkt«). (R & P, 294)<br />
Der Traum wird erlebt, das Gedankenspiel gestaltet; gerade dieses Mehr an Freiheit<br />
sichert dem Tagtraum im Gegensatz zu dem oftmals in privater Hermetik befangenen<br />
Nachttraum seine Kom-munizierbarkeit, die ihn erst, auch darin sind sich Schmidt und<br />
Bloch einig, kunstfähig werden läßt.<br />
Während aber Blochs optimistische Anthropologie in polemischer Distanz zur<br />
Psychoanalyse jede konstitutionelle Beschränkung der Vorstellungsinhalte leugnet,<br />
behält Schmidt diesen individualpsychologischen Aspekt bei - unter ausdrücklicher<br />
Berufung auf Freud: »Das LG befindet sich auf der Mitte zwischen Traum und<br />
Kunstwerk [...].« »Denn was der Nacht der Traum, das ist dem Tag das LG : die via<br />
regia ins Menscheninnere. -« (TbZ, 273; SIT, 26)<br />
Das Originelle der Konzeption Schmidts ist, daß sie die beiden Extreme, hier<br />
Introvertiertheit und Prädetermination, da Extrovertiertheit und Autonomie, in nützlicher<br />
Weise vermittelt: das »Längere Gedankenspiel« ist für ihn sowohl Instrument der<br />
fiktiven Introspektion in Analogie zur Traumdeutung als auch erzählbare Geschichte;<br />
die individuelle Wunscherfüllung, »ludus remedium«, verbindet sich mit der objektiven<br />
Mitteilungsfunktion, der »Sorge um das Ganze«. (R & P, 306).<br />
Nun ist allerdings zuzugeben, daß sich Arno Schmidt erst in Sitara ausdrücklich zu der<br />
Abhängigkeit seiner »LG«-Theorie von der Traumdeutung Freuds bekennt. Für die
Berechnungen II ist ein solcher Einfluß zwar wahrscheinlich, aber nicht zweifelsfrei<br />
nachweisbar. Das führte die Interpreten zwangsläufig dazu, nach anderen Anregern<br />
dieser Aesthetica in nuce zu fahnden - bei Schopenhauer glaubte man schließlich<br />
fündig geworden zu sein.<br />
»Schmidt hat diese Theorie [des »Längeren Gedankenspiels«] offensichtlich im<br />
Hinblick auf Schopenhauers Definition des Genies entwickelt«, vermutet <strong>Die</strong>ter Kuhn,<br />
und Thomé generalisiert: »Der historische Ort dieser Konzeption [der Kunst als<br />
Erkenntnisorgan sui generis] ist [...] die Ästhetik Schopenhauers.«<br />
Nun sind zumindest Thomé keineswegs gewisse Unstimmigkeiten entgangen; zwar<br />
beharrt er darauf, eine Ähnlichkeit der Palliativfunktion intellektualer Akte feststellen zu<br />
können, aber einschränkend wird die Reduktion der Phantasiearbeit auf die<br />
Bedürfnisse des Subjekts konstatiert: letztlich bleibt bei Schmidts Helden der »Intellekt<br />
ein Instrument des Willens«, nie erhebt er sich »zur Ruhe der Kontemplation«. Also<br />
kann die Kunstlehre der Welt als Wille und Vorstellung in diesem Fall gar nicht<br />
zuständig sein. Sehr wohl, behauptet Thomé, aber eben »weitgehend subjektiviert und<br />
psychologisiert« - was für ein Paradoxon.<br />
Wollte Schopenhauer nicht mit seiner Ästhetik gerade Antwort auf die Frage geben,<br />
wie »Wohlgefallen und Freude an einem Gegenstande [...] ohne irgend eine<br />
Beziehung desselben auf unser Wollen« möglich sein kann? Galt ihm nicht die Kunst,<br />
definiert »als die Betrachtungsart der Dinge unabhängig vom Satze des Grundes [im<br />
Original gesperrt gedruckt]«, gerade als der Ort, wo sich der einzelne seiner<br />
Individualität entledigt und, befreit von jeglichem Wollen, sich ganz in der Anschauung<br />
verliert? Hat er es etwa unterlassen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß Genialität<br />
nichts anderes sei, »[...] als die vollkommenste Objektivität [s. o.], d. h. objektive<br />
Richtung des Geistes, entgegengesetzt der subjektiven, auf die eigene Person, d. i.<br />
den Willen, gehenden«? Hat er nicht deutlich genug ausgesprochen, daß bei der<br />
phantasievollen Selbsttäuschung<br />
[...] der Intellekt seiner eigenen Natur, die auf Wahrheit gerichtet ist, Gewalt anthun<br />
muß, indem er sich zwingt, Dinge, die weder wahr, noch wahrscheinlich, oft kaum<br />
möglich sind, seinen eigenen Gesetzen zuwider, für wahr zu halten, um nur den<br />
unruhigen und unbändigen Willen auf eine Weile zu beschwichtigen, zu beruhigen und<br />
einzuschläfern.<br />
Schopenhauers Ästhetik - subjektiviert und psychologisiert, das ist eine kaum zu<br />
überbietende contradictio in adjecto. Aber ist nicht die palliative Funktion der<br />
intellektualen Akte zumindest eine ähnliche? Auch hier könnte das Mißverständnis<br />
kaum größer sein. <strong>Die</strong> Kunst ist Schopenhauer ein Quietiv des Wollens, weil sich der<br />
Ausübende in den Momenten der Kontemplation der Herrschaft des Willens entzieht;<br />
das »Längere Gedankenspiel« ist seinem Urheber ein Palliativum, weil es dem Willen<br />
das in der Realität Entbehrte nunmehr in der Imagination gewährt. Hier ist die Kunst<br />
Ersatzbefriedigung, momentane Sättigung der Triebansprüche, dort dient sie der<br />
affektbefreiten Erkenntnis der Idee. <strong>Die</strong> palliative Wirkung der intellektualen Akte des<br />
Gedankenspielers gründet in ihrer Funktion als Wunscherfüllung, die der<br />
Kontemplation in ihrer Absence von jeglicher Wunschregung. Der eine ist glücklich,<br />
weil sich seine Wünsche erfüllen, der andere, weil er keine mehr hat.<br />
<strong>Die</strong> Ästhetik Schopenhauers ist für die Theorie des »Längeren Gedankenspiels« nicht<br />
zuständig, es sei denn, man vermutet, Schmidt habe sich der Mühe einer völligen<br />
Umwertung dieses Systems unterzogen, eines Gedankens wegen, der spätestens seit<br />
der Romantik allbekannt war: Kunst kann eine Form der Wunscherfüllung sein.
<strong>Die</strong> »>Traumspiele< der Weltliteratur sind Gedankenspiele« (R & P, 294) - die<br />
bedeutendsten Traumdichtungen, die durchdachteste Traumpsychologie vor Freud<br />
schufen die Romantiker. Darauf ausführlich einzugehn, ist hier nicht der Raum; die<br />
folgende Zitatenreihe hat nicht mehr zur Absicht, als aufzuzeigen, daß zentrale Thesen<br />
der »LG«-Theorie und wesentliche Konstruktionsprinzipien des »Hetztraumes« bei den<br />
für Schmidt nachgewiesenermaßen einflußreichen Autoren wie Hoffmann, Herder und<br />
Jean Paul vorformuliert sind.<br />
So in der Prinzessin Brambilla:<br />
Sancho meinte, Gott solle den ehren, der den Schlaf erfunden, es müsse ein<br />
gescheuter Kerl gewesen sein; noch mehr mag aber wohl der geehrt werden, der den<br />
Traum erfand. Nicht den Traum, der aus unserm Innern nur dann aufsteigt, wenn wir<br />
unter des Schlafes weicher Decke liegen - nein! den Traum, den wir durch das ganze<br />
Leben fort träumen, der oft die drückende Last des Irdischen auf seine Schwingen<br />
nimmt, vor dem jeder bittre Schmerz, jede trostlose Klage getäuschter Hoffnung<br />
verstummt, da er selbst, Strahl des Himmels in unserer Brust entglommen, mit der<br />
unendlichen Sehnsucht die Erfüllung verheißt. -<br />
Schmidt zufolge ist das typische Merkmal der Prosaform »Län-geres Gedankenspiel«<br />
die doppelte Handlung, zu deren korrekter Kennzeichnung er die Begriffe<br />
»Erlebnisebene I« (= objektive Realität) und »Erlebnisebene II« (= subjektive Realität)<br />
einführt. Eben dieses Nebeneinander von Wirklichkeit und phantasierter Zweitwelt ist<br />
bekanntlich auch das durchgängige Strukturmerkmal der Erzählungen E. T. A.<br />
Hoffmanns, ihr poetologisches Äquivalent ist das »serapiontische Prinzip«. Der<br />
Anachoret Serapion hat »wirklich geschaut[,] was er verkündete«, deshalb avanciert er<br />
zum Schutzheiligen des gleichnamigen Dichterkreises. Was ihm allerdings zum<br />
schaffensmächtigen Künstler fehlte, war die »Erkenntnis der Duplizität«; das also, was<br />
den Gedankenspieler vom Träumer unterscheidet, den Dichter vom Trivialliteraten: die<br />
Fähigkeit, eine Außenwelt zu statuieren.<br />
Der Traum wird passiv erlebt, das Gedankenspiel aktiv gestaltet - nach Maßgabe der<br />
psychischen Verfaßtheit seines Urhebers. Im »Hetztraum« wird Pytheas von seinen<br />
Verfolgern gejagt, die Schriftrolle weist ihm den Weg; im »Längeren Gedankenspiel«<br />
der Flucht ist er selbst der Handelnde, der Zeitpunkt und Verlauf des Geschehens<br />
bestimmt. Jean Paul sieht diese Differenz ähnlich: »Im Traume ist keine Vernunft und<br />
also keine Freiheit.« »In Träumern [...] ist nichts wacher und stärker als die passive<br />
oder fühlende Natur.« Und: im Traum kommen die Bilder »[...] ungerufen vor den<br />
Geist, der, als Widerspiel des Tags, jetzt nur anschauet, und nicht erschafft [...].«<br />
»Denn was der Nacht der Traum, das ist dem Tag das LG: die via regia ins<br />
Menscheninnere. -« (SIT, 26) Der Träumer, wie der Gedankenspieler, offenbart sich<br />
selbst durch seine Phantasien bzw. Träume, mit dem Unterschied allerdings, daß beim<br />
Traum Unbewußtes bzw. Vorbewußtes offener zur Darstellung gelangt als beim<br />
literarischen Tagtraum, der je nach Kompetenz und Bewußtseinsgrad des Autors<br />
verschlüsselbar ist. Eine mimetische Gestaltung des Traums setzt demnach, sofern sie<br />
authentisch sein will, »große Opfer an Stücken der eigenen Persönlichkeit voraus«<br />
(TbZ, 274), größere jedenfalls als bei der Konstruktion des minder decouvrierenden<br />
»Längeren Gedankenspiels«.
Daß der Traum ein Mittel der Selbsterkenntnis bzw. ein poetisches Medium der<br />
psychologischen Durchleuchtung und autoptischen Selbstdarstellung ist, zeigen schon<br />
die Jugendträume Josephs im Alten Testament. Vornehmlich Herders Verdienst ist es,<br />
dieses Wissen um den Traum als literarisch bedeutsames Bewußtseinsphänomen<br />
wiederentdeckt und ästhetisch popularisiert zu haben. In seinem allegorischen Gedicht<br />
Der Traum findet sich auch das inzwischen wohlvertraute Motiv des nosce te:<br />
T. [= Der Traum] Aus Dir nahm ich die Farben und Tön' und Gestalten der<br />
Dinge;Achtest Du minder sie, weil ich in Dir sie erschuf?Unter Zerstreuungen sonst, im<br />
Gewühl der Sinne verlohren,Samml' ich Dich ein in Dich; und Du erwachetest -<br />
Dir!Horch!«(Er berührete mich mit dem Stabe. Da wurden Gestalten, Auen und<br />
Blumen umher, Stimmen um mich und Gesang.In Elysium ging ich; ich schwebt' in<br />
Lüften, im Mondglanz,Ueber Sternen.) Wohin hebst Du, o Genius, mich?T. In Dich<br />
selbst.«<br />
Daß diese Selbstbegegnung zur Höllenfahrt werden kann, darauf hat schon Plato<br />
hingewiesen; Jean Paul formuliert in seiner Nachfolge:<br />
Fürchterlich tief leuchtet der Traum in den in uns gebaueten Epikurs- und Augias-Stall<br />
hinein; und wir sehen in der Nacht alle die wilden Grabtiere oder Abendwölfe ledig<br />
umherstreifen, die am Tage die Vernunft an Ketten hielt.<br />
Der Traum bringt all das Vergangene wieder zu >Bewußtsein
Genau das scheint sich Arno Schmidt in Gadir oder Erkenne Dich Selbst zur Aufgabe<br />
gemacht zu haben, Entstehung und Verlaufsform der Gedankenspielerei in Analogie<br />
zur Traumarbeit darzustellen.<br />
7. <strong>Die</strong> Flucht<br />
In der Literatur wie in unseren Träumen<br />
gibt es keinen Tod.<br />
I. Singer<br />
Der Übergang von der ersten Handlungsebene zum »Längeren Gedankenspiel«<br />
vollzieht sich unmerklich. Erst nach wiederholter Lektüre ist es möglich, den Einsatz<br />
des >fiktiven< Geschehens zu bestimmen, das mit der verheißungsvollen<br />
Regieanweisung »Sterne treten auf« beginnt. (30)<br />
<strong>Die</strong> Flucht selbst setzt ein mit dem Absprung, genauer mit der Schilderung seiner<br />
Vorbereitung. Auf zwei homologe Kurzabschnitte (zweigliedriger Auftakt, Parenthese,<br />
Rückblick - Vorschau), deren Handlungssätze durch Verwendung der Partizipialform<br />
anstelle des Infinitivs die Gleichzeitigkeit von Sprechen und Handeln suggerieren, folgt<br />
eine kurze Pause, die Wartezeit zum Absprung, eingeleitet mit der zweifachen<br />
Ermahnung zur Ruhe. <strong>Die</strong> zunehmende Anspannung ist am akzelerierenden Puls<br />
ablesbar, mit dem Pytheas die Dauer der Wachrunde mißt: 418, 470, 492. »Jetzt noch<br />
hundert warten; dann springen.«<br />
Im Takt des Herzschlages rekapituliert er noch einmal Einzelheiten des Fluchtplans,<br />
spricht sich die letzten Bewegungen vor: »Langsam herausschieben; Zehenballen an<br />
die Kante stemmen. Neunzig. - Hände zum Abstoß mit ansetzen. Ansetzen. Ansetzen:<br />
- Hundert!!!« <strong>Die</strong> sich steigernde hektische Bewegtheit der Zeit bis zum Absprung wird<br />
im stream of conciousness unmittelbar erlebt; die vollkommene Kongruenz von<br />
Ausdruck und Inhalt läßt keinen Zweifel, daß hier wirklich zum Absprung angesetzt<br />
wird, durch und in der Bewegung der Sprache selbst.<br />
»Der Sprung glückte gleich«, das fiebrig dynamische Handeln beruhigt sich, wird<br />
abgelöst durch das Präteritum der erinnernden Darstellung. Das erste Fluchtziel, die<br />
Insel, ist erreicht:<br />
Insel und Mitternacht (Und Freiheit!!) - Aber wenig Herzschlag. Narbiger Silberball<br />
im Zenith, wolkenumflossen. (31)<br />
Fast unmittelbar wird die dreiteilige Zustandsformel in ihr poetisches Äquivalent<br />
übersetzt: Insel - Mond; Mitternacht - Zenith; Freiheit - wolkenumflossen. Im Rückgriff<br />
wird dann der Sprung aus dem Gefängnis und das Durchqueren des Kanals erzählt -<br />
mit ironischer Bezugnahme auf die Exposition.<br />
Oben tickte wieder die Wache vorbei - hoben sie nicht Augen, gekniffen im Argwohn,<br />
über halboffnem Lauermaul - ich mußte mir die Faust in den Schlund setzen: vor irrer<br />
Bosheit! Denn näselnd wanderte es in süßlichem Schlafzimmerfalsett: »Heute nacht<br />
oder nie ...«<br />
<strong>Die</strong> Situation hat sich verkehrt. Fand zu Beginn der Postenwechsel unter dem<br />
Fenstergitter statt, so führt jetzt der Weg der Wache oben vorbei. Wieder trällert einer<br />
der Soldaten eine anzügliche Schlagerzeile, diesmal allerdings mit überaus<br />
bedeutungsvollem Nebensinn. Denn nicht nur, daß der Interpret dieses Liedes<br />
ebenfalls Schmidt heißt, Joseph Schmidt; nicht nur, daß der Titel des Films, mit dem
dieses Lied und sein ebenso kleinwüchsiger wie stimmgewaltiger jüdischer Sänger<br />
international berühmt wurden, stellvertretend die Sehnsucht des Pytheas ausspricht:<br />
Ein Lied geht um die Welt; auch beider Tod ist ähnlich: der »deutsche Caruso« starb<br />
auf der Flucht vor den Nazis in einem Internierungslager bei Zürich an Fieber,<br />
nachdem er um seine erste rettende Schiffspassage nach Amerika von einem<br />
Doppelgänger betrogen worden war und die zweite aufgrund der Ausweitung des<br />
Seekrieges nicht mehr zustande kam.<br />
Auch in den beiden nachfolgenden Szenen der Fluchtphantasie findet sich der<br />
Rhythmuswechsel zwischen erlebender und erzählender Rede: der Gang am Gehöft<br />
vorbei in Richtung Ufer vollzieht sich im Präsens; die Wiedergabe der Personenrede<br />
im epischen Präteritum.<br />
Beim ersten Lesen hat diese Episode ein durchaus spannungsförderndes Moment;<br />
Pytheas, auf dem Weg zum Ufer, stockt plötzlich: »Verdammt: - Flüstert da nicht noch<br />
jemand; - vorn? -« Aber schnell erweist sich die vermeintliche Gefahr als ein<br />
harmloses Rendezvous zweier Jungverliebter. Wem der Ausgang der Flucht<br />
unbekannt ist, dem genügt als Motivation dieses Zusammentreffens der Zufall; wer<br />
aber um die Fiktionalität des Geschehens weiß, dem stellt sich die Frage nach dem<br />
Zweck dieser Inszenierung. Im Kleidertausch allein kann er nicht liegen, der wäre<br />
handlungstechnisch auch anders zu bewerkstelligen gewesen, wie die nachfolgende<br />
Senner-Szene beweist. Warum also imaginiert Pytheas diese Begegnung? <strong>Die</strong><br />
Antwort ergibt sich, wenn die Funktion der Rückerinnerung bzw. der Leitspruch der<br />
Erzählung und nicht zuletzt die sexuelle Unterminierung des »Hetztraumes«<br />
mitbedacht werden. Was dort in symbolischer Verschlüsselung dargestellt wurde, wird<br />
nun in Handlung umgesetzt - unter der Aufsicht der Zensur versteht sich, d. h. in<br />
weitaus verhüllterer Form.<br />
Eine romantische Liebesszene, er ganz schüchterner Jüngling, der sich kaum der<br />
Geliebten zu nähern wagt: zaghaft nur hob er »die Hand, berührte rührend unbeholfen<br />
ihre Locken« und versucht eine Beschwörung durch die magische Dreierformel:<br />
»>Dein Haar< [...], >Deine Augen< [...], >Deinen Mund< -.« (32) Sie, offenbar geübter<br />
in Liebesdingen, nötigt ihn zur Eile und zur Tat, so daß ihm nichts übrig bleibt, als<br />
zuzugreifen. Pytheas schlägt verschämt die Augen nieder, und, kaum daß die<br />
lockende Erscheinung im Haus verschwunden ist, auch ihren Anbeter: »(- der Junge<br />
hat auch just meine Figur -)«. Das Purpurkleid steht Pytheas prächtig, und als<br />
schließlich ein blankes Tuch aus einem der Kammerfenster weht, vollendet er den<br />
Rollentausch, indem er »geehrt und standesgemäß die schlohweise Linke« bewegt,<br />
»so waren alle Beteiligten zunächst beruhigt.« (34) In diesem Augenblick hat sich der<br />
Greis in einen Jüngling verwandelt, wenn auch nur durch eine Kostümierung, wenn<br />
auch nur für die Frau im Fenster.<br />
»Lampiges Fenster weht auf« (26) - die motivische Verbindung zum »Hetztraum« ist<br />
gegeben, auch hier also eine Selbstbegegnung? Im Text spricht nur die Tatsache der<br />
gleichen Figur für die These, der so zaghaft agierende Jüngling sei Pytheas selbst, die<br />
ganze Szene folglich eine Wiedererinnerung an seine >erste LiebeLeviathan
Bei der Deutung des »Hetztraumes« wurde das Vorhandensein homosexueller<br />
Wunschregungen behauptet. Wenn dem so wäre, müßte sich, entsprechend der<br />
analogischen Strukturiertheit von Traum und »Längerem Gedankenspiel«, in dieser<br />
Szene zumindest eine Andeutung darauf finden lassen.<br />
Ich legte meinen Mund an seinen falben Bartflaum (»und von unerhörten Dingen<br />
flüstern bärtige Lippen an bärtige Wangen« - ist nicht von mir, hab's mal irgendwo<br />
gelesen -). (33)<br />
Ein für Schmidt typisches Literaturrätsel mit der impliziten Aufforderung doch<br />
herauszufinden, wo er es denn gelesen haben mag. <strong>Die</strong> Antwort gibt er selbst, wenn<br />
auch in verschlüsselter Form: in >SealthielBart-Zitat< entnommen ist, trägt allerdings<br />
wenig zur Deutung bei. Zunächst also scheint diese literarische Reminiszenz<br />
willkürlich, aber Schritt für Schritt wird die >Realität< dem Zitat angeglichen: »Ich - gut<br />
- ich flüsterte«; die ironische Wiederaufnahme des Verbs, die Formulierungspause und<br />
das zustimmende »gut« zeigen an, daß hier bewußt der vorgegebene Satz als<br />
Handlungsmuster akzeptiert wird. Zur vollständigen Wiederholung fehlt nur noch die<br />
Entsprechung für das betont vorangestellte Objekt »von unerhörten Dingen«. Und<br />
folgsam beugt sich Pytheas noch einmal über den Jüngling: »Noch eins: Was über den<br />
Kuß hinausgeht ist vom Übel. Hörst Du? Glücklicher?« <strong>Die</strong> Bestätigung, daß damit die<br />
Handlungsvorgabe des Zitats eingelöst ist, folgt sofort: »(also doch von unerhörten<br />
Dingen!)«<br />
Realität, wie sie sich hier darstellt, ist Produkt eines Prozesses wechselseitiger<br />
Angleichung von Fiktion (Zitat) und Handlung, wobei unzweifelhaft ist, daß dem<br />
literarischen Klischee, in diesem Fall der Fouqué-Allusion, die Steuerungsfunktion<br />
zukommt. Es sei denn, man wollte die Tatsache der >Bärtigkeit< des Jünglings als<br />
Zufall, d. h. als erzählerische Willkür abtun, anstatt sie als Paradebeispiel für die<br />
Technik der »Motivation von hinten« anzuerkennen: der Bart muß sein, sonst wäre das<br />
Zitat nicht anzubringen.<br />
Wo finden sich nun, um zur Ausgangsfrage zurückzukehren, die vermuteten Anklänge<br />
an die (homo)sexuelle Symbolik des »Hetztraumes«? Es sind - entsprechend der<br />
bewußt verstärkten Zensur - nur Indizien: die Wiederkehr der Dreizahl: »drei Tage[]«,<br />
des Gold-Symbols: »zwei Goldstücke«, die zärtliche Annäherung des >Mund-<br />
Anlegens
ezeichnet vermutlich Hades/Pluto, d. h. den Herrscher über die Unterwelt wie auch<br />
den Fruchtbarkeitsgott, nicht allein die dunklen, sondern auch die wohltätigen<br />
chthonischen Kräfte. Eine personifizierte Dichotomie von Werden und Vergehen also,<br />
die als zentrales Charakteristikum der ägyptischen Jenseitsvorstellung benannt wurde.<br />
Darüberhinaus ist Axiokersos dem Heroen Kadmos gleichzusetzen, seines Zeichens<br />
Drachentöter und Gründer Thebens, der einst Zeus im Kampf gegen den Urdrachen<br />
Typhon beigestanden haben soll, indem er das Ungeheuer durch Musik betörte -<br />
ebenso wie die Orpheus-Sage eine Parabel über die Macht der Kunst.<br />
Ein weiterer Hinweis auf die mythologische Fundierung der Handlung wird wenig<br />
später in dem schon zitierten Monolog über den Fortgang der Flucht gegeben:<br />
Ich muß zunächst in die Bergwildnis, die Riesenwand hinauf [...]; dann verkleidet zum<br />
Hafen nach Gadir [...] und auf einem Nordfahrer anheuern; und in Mentonomon<br />
desertier' ich, verschwinde, in den glühenden Wäldern, über Lichtungen, wie der<br />
Meteoride Phaeton, mein Bruder (würde sich wohl auch vor [sic!] die klapprige<br />
Verwandtschaft bedanken). (34)<br />
So wie zuvor die Anrufung des Axiokersos ist auch diese Verbrüderung durchaus<br />
historisch motiviert. Pytheas war Seereisender, kannte folglich die Schutzkraft der<br />
Kabiren; er entdeckte die Nordseeküste für die griechisch-römische Welt, berichtete<br />
über ihren Bernsteinreichtum und rückt damit zwangsläufig in die Nähe der Phaeton-<br />
Sage:<br />
Phaëton, welchem die Flamme die rötlichen Haare verwüstet,Rollt kopfüber und stürzt<br />
durch die Lüfte, ein langerStreifen,Wie ein Stern vom heiteren Himmel, auch wenn er<br />
nichtwirklichFällt, bisweilen den Eindruck erweckt, als sei er gefallen.<br />
Seine Schwestern, die ihm die Sonnenrosse angeschirrt haben, werden zur Strafe in<br />
Bäume verwandelt, ihren Tränenfluß<br />
Härtet die Sonne zu Bernstein; es fängt ihn der leuchtende Strom auf,Schickt ihn den<br />
jungen latinischen Frauen, als Schmuck ihn zu tragen.<br />
Phaeton wird zudem, wie schon im ägyptologischen Kontext erwähnt, als Sohn der<br />
Eos und des Kephalos gedacht, gemäß dieser Genealogie verkörpert er die Venus<br />
bzw. Hesperos/Phosphoros, dessen Erscheinen auf dem Berge Mathos Pytheas die<br />
baldige >Befreiung< anzeigte.<br />
Pytheas, Bruder des Phaeton, damit Sohn des Helios, der zugleich als Apollo Gott der<br />
Dicht- und Tonkunst ist, Enkel des Titanen Hyperion - durch diese mythologische<br />
Fraternisierung eröffnet sich der gleiche Symbolzusammenhang, der auch durch die<br />
Anrufung des Axiokersos angespielt wurde: das Geheimnis der Wiedergeburt und die<br />
göttliche Macht der Kunst.<br />
Helios steigt im Osten aus einer Bucht des Ozeans, wandert über den Himmel,<br />
versinkt wieder im Meer und fährt schlafend in einer Barke von den Hesperiden zurück<br />
in den Osten. Wie im ägyptischen Glauben auch, wird der Kreislauf des Lebens<br />
dargestellt im Gang des mächtigsten der Gestirne. <strong>Die</strong> Wahlverwandschaft des Helden<br />
zu Hölderlins Hyperion wurde bereits angedeutet, an dieser Stelle spricht er sie selbst<br />
aus. »Phaeton, mein Bruder«, damit wird Pytheas kaum ausdrücken wollen, daß er<br />
den Trotz und die kindische Unbedachtheit, durch die der Sohn des Helios seinen<br />
Untergang herbeizwang, teilt, sondern dessen titanischen Mut, der nach dem<br />
Unbedingten verlangt, das Unmögliche wagt.<br />
»Acht Schiffe ankern im Haupthafen, wanken; zwei vor der Insel Erythia [...].« (38) Auf<br />
Erythia, der sagenhaften Insel der Abendröte, vermutete man den Garten der Götter<br />
mit dem Baum des ewigen Lebens. Den Namen erhielt das Eiland von einer der<br />
Hesperiden, die, wie alle bisher genannten Gottheiten, doppelgesichtige Wesen sind:<br />
»ebenso wie Hesperos, durch den Namen schon verbunden mit dem Abend, dem
Sonnenuntergang, dem Eingang zur Nacht. Freilich, zu einer Nacht, die goldene<br />
Früchte birgt« und Unsterblichkeit verheißt.<br />
Bevor im Rahmen der Schlußszene der Fluchtpunkt der verwendeten Mythologeme<br />
bestimmt wird, ist der weitere Handlungsverlauf nachzutragen. Auch für die der<br />
Rendezvous-Episode nachfolgenden Geschehenseinheiten gilt der zuvor schon<br />
konstatierte dynamisierende Wechsel von Präsens und Praeteritum, Erzählen und<br />
>ErlebenGib uns<br />
guten Gang, du, Gries, Gestein und Hartwuchs ..Durch-den-Bach-WatenKneipp-Trick< nahezu obligatorisch. Für Pytheas allerdings wird der Gebirgsbach zu<br />
einem Ort des Schreckens, ihm begegnet etwas, was ihn vor »Grauen« zittern macht,<br />
aber da er »erst einmal weiter« muß, wird auch dem Leser zunächst vorenthalten, was<br />
dann aus der erhöhten Perspektive der Baumkrone als Parabel des bellum omnium in<br />
omnes geschildert wird: die Lachswanderung.<br />
»<strong>Die</strong> Zelle hinter mir wird langsam unkenntlich; - halbe Stunde etwa noch.<br />
Nebelbarken stehen auf dem See [...]. Möchte einen der Fergen sehen, ihn zur<br />
Nordfahrt überreden, notosgetrieben, Wind umwogt's Haupt schlapphutbreit.« (24)<br />
<strong>Die</strong>selbe Atmosphäre, die auf den »Hetztraum« einstimmte, herrscht in der<br />
Schlußszene:<br />
Am Abend Gestürm zieht auf.[...] Letzte Vergrauung Nebelwind, naß, meert<br />
den Berg ein, orgelt, rollt über röhrenden Wäldern. (38)<br />
<strong>Die</strong> Natur wird zum Spiegel der freiheitstrunkenen Aufruhr des Pytheas:<br />
Ich sog tief Luft und röchelte, gurgelte sinnlos selig hinaus: in die Freiheit. Schob mich<br />
breitbeinig in den Dunst: in die Freiheit! Es stampfte oben in den Wolken; Regen<br />
schlug donnernd an meine Stirn; mein Herz brandete: Freiheit! Ich hob die
grauhaarigen Beine tanzend an: Freiheit! Freiheit! Ich dien' nicht mehr bei Gryphius;<br />
weit liegt der Kerker hinter mir! Pytheas ist frei geworden und stampft oben in den<br />
Wolken!! - (38)<br />
Ein Tanz der sich vermengenden Elemente, ein furioser Schlußtakt, der alle dem<br />
Pytheas befreundeten Naturmächte auf einen Ton stimmt, den der Freiheit.<br />
Beschworen wird das Bild eines Schiffers, der in die ihm vertraute Atmosphäre<br />
eintaucht, tief die meernasse Luft einsaugt, sich breitbeinig in den Dunst schiebt, dem<br />
vor Freude über die endliche Erlösung das Herz im Jubel brandet: Pytheas »[...]<br />
stampft oben in den Wolken!! -« In den Wolken; nicht die See, das Wolkenmeer, der<br />
Himmelsozean ist der Freiheitsraum; nicht der Seefahrer Pytheas stampft hier im<br />
Triumph, sondern der Luftschiffer, der sich wie Giannozzo über die Welt erhoben hat:<br />
Welche lüftende Freiheitsluft gegen den Kerkerbrodem unten! [...] - Himmel! du<br />
müßtest jetzt aufstampfen vor Lust darüber, wie das Luftschiff dahinsauset und zehn<br />
Winde hinterdrein und wie die Wolken an beiden Seiten als Marsch-Säulen und Nebel-<br />
Türme langsam wandeln [...].<br />
Der Luftschiffer, das ist der Satiriker, der Abstand gewonnen hat, aber auch, und das<br />
gilt hier, der »hohe Mensch«, der Träumer, der Phantast, der sich im romantischen<br />
Höhenflug der »Fesseln des Irdischen« entledigt. <strong>Die</strong> Wolken sind Sinnbilder des<br />
Träumerischen, Fahrzeuge ins Jenseits; das >Mit-der-Wolke-WandernMit-den-<br />
»Flatterwolkenstreifen«-Ziehenrobinsonadenhafte Fabel< aus den »Zuständen und Denkweisen« des Helden. (DYA,<br />
307) Interessant wird dieses monologische Sprechen für den Leser, weil das Schicksal<br />
des Pytheas gleichnisfähig ist:<br />
Um allezeit einen sichern Kompaß, zur Orientirung im Leben, bei der Hand zu haben,<br />
und um dasselbe, ohne je irre zu werden, stets im richtigen Lichte zu erblicken, ist<br />
nichts tauglicher, als daß man sich angewöhne, diese Welt zu betrachten als einen Ort<br />
der Buße, also gleichsam als eine Strafanstalt [...].<br />
<strong>Die</strong> Welt ein Kerker, das Leben eine Abfolge von Gefangenschaften, man muß kein<br />
schwarzgalliger Misanthrop sein, um diese Einsicht nachvollziehen zu können. Nicht<br />
weniger geläufig, nicht weniger gebräuchlich sind auch die vorgestellten Methoden des<br />
Entkommens: Traum, Rückerinnerung, Glücksmomente der Reflexion,<br />
Gedankenspielereien. Angesichts dieser >Alltäglichkeiten< ist die Feststellung<br />
Heißenbüttels, Schmidt sei ein verhinderter Volksschriftsteller, durchaus triftig, wenn<br />
auch weniger in dem gemeinten Sinn, wonach die Helden seiner Romane und<br />
Erzählungen Repräsentanten des Typus >Kleiner Mann - ganz groß< darstellen, als<br />
vielmehr zur treffenden Kennzeichnung der Trivialität des vermeintlichen Esoterikers.<br />
Das ist keineswegs abschätzig gemeint: »<strong>Die</strong> Realität liefert zu vielen realen Grund,<br />
sie zu fliehen, als daß eine Entrüstung über Flucht anstände, die von harmonistischer<br />
Ideologie getragen wird [...].«<br />
Was Arno Schmidts Allmachtsphantasien allerdings von den belletristischen<br />
Solipsismen eines Karl May unterscheidet, ist, daß er dieses Verfahren der poetischen<br />
Selbsterhöhung bewußt handhabt und - ab dem Leviathan - witzig ironisiert; zum<br />
zweiten, daß sich - jedenfalls im Frühwerk - Realitätsentfremdung mit schärfstem
Realitätsbewußtsein paart. Eine Verbindung, die charakteristisch ist für Jean Paul wie<br />
für die >späten Romantikertatsächlich< aus der Zelle geflohen, wird durch den Erzähler eines<br />
Besseren belehrt. Nicht Pytheas erwacht, sondern der Leser, und zwar in eine<br />
Wirklichkeit, die ebenso unverbürgt ist wie die vorherige. Denn, wer waren Giskon,<br />
Abdichiba und Hakkadosch; die Namen bleiben nichtssagend: Pytheas lebt in der<br />
Erinnerung, seine Bedränger sind vergessen.<br />
»Meine Phantasie spielt oft [...] mit dem Gedanken aller Menschen Leben und mein<br />
eignes seyen nur Träume eines ewigen Geistes, böse und gute Träume, und jeder Tod<br />
ein Erwachen. [im Original gesperrt gedruckt]« Pytheas träumt den Tod als<br />
Wiedergeburt. Alle mythologischen Symbole im Text verweisen auf seinen Wunsch<br />
nach Reinkarnation, sind Ausdruck einer Unsterblichkeitssehnsucht - die sich in und<br />
durch die Literatur erfüllt.<br />
Im »Hetztraum« ist dem Jüngling der Schlüssel ench in die Hand gegeben, Symbol<br />
des »Lebens und des Leben-Machens«. <strong>Die</strong> Toten wiederauferstehen zu lassen, die<br />
Rückkehr aus der Unterwelt erzwingen, die Urbilder der Schönheit ins Leben bringen,<br />
alle im Traum zitierten Texte sind Parabeln über die Schöpfungskraft der Kunst.<br />
Arno Schmidt hat sich in Pytheas wiedererkannt, weil er dessen Nordlandfahrten als<br />
Ausdruck eines unbedingten Willens zum Unendlichen verstand. Er hat Pytheas in<br />
Gefangenschaft gesetzt, der biographischen Entsprechung wegen und um ein<br />
Gleichnis des Daseins zu geben, nicht der Menschen schlechthin, sondern der »hohen<br />
Menschen«. Sie sind die »wahre Fürstenbank des hohen Adels der Menschheit« bei<br />
Jean Paul, sind »jene Riesengeister« bei Schopenhauer, welche sich »durch den öden
Zwischenraum der Jahrhunderte« hinweg verständigen, jene von Goethe angerufene<br />
säkularisierte »>Gemeinschaft der Heiligenneue< descensus-Szene synthetisiert.<br />
<strong>Die</strong> Tradition liefert die Bausteine für das Spiel der Imagination. Wie im Kaleidoskop<br />
ordnen sich die verstreuten Wissens- und Erlebnispartikel mittels einer präzisen Optik
zu einem kalkuliert-vieldeutigen Gebilde: Literatur wird zur Kunst des<br />
Zusammenfügens, zum handwerklichen Spiel, das sich, wie das vielbändige Werk<br />
Arno Schmidts bezeugt, beliebig oft wiederholen läßt. <strong>Die</strong> Kombinationsmöglichkeiten<br />
sind nahezu unbegrenzt - nicht aber die Kombinationsformen. Gegeben ist das Thema<br />
des nosce te, gegeben ist der Anspruch, das »komplette Porträt eines Menschen in<br />
einem gegebenen Zeitraum x« (R & P, 298) vorzulegen, zwangsläufige Konsequenz<br />
daraus ist die allegorische Darstellungsweise. Wie anders wollte man alle<br />
Persönlichkeitskomponenten in mimetischer Nachahmung ihres synchronen<br />
Zusammenwirkens gleichzeitig zur Darstellung bringen.<br />
»Man wird [...] gut daran tun, 4 (vier) >Lesemodelle< zu distinguiren« (SIT, 285): L I =<br />
die Oberflächenhandlung; L II = Triebebene; L III = Autobiographisches; L IV =<br />
Jenseitsmodell. Eben diese am »Fall Karl May« entwickelte Hermeneutik liegt als<br />
allegorisches Ordnungs- und Darstellungsprinzip der Erzählung Gadir oder Erkenne<br />
Dich Selbst zu Grunde.<br />
Der Schlüssel in »Gestalt der Hieroglyphe ench« ist Handlungsrequisit, Phallus-<br />
Zeichen, Dingsymbol der Poesie und des ägyptischen Wiedergeburtsglaubens.<br />
»Hetztraum« und »Längeres Gedankenspiel« sind vierfach lesbar: als<br />
Abenteuerphantasie, als erotischer Wunschtraum, als literarische Selbsterkundung<br />
und als Todes- bzw. Palingenesievision.<br />
Was ist mit dem Nachweis dieser Übereinstimmung zwischen exegetischem Modell<br />
und poetischer Verfahrensweise gewonnen?<br />
<strong>Die</strong> Egozentrik des Autors Arno Schmidt ist bekannt; die Präsenz autobiographischen<br />
Materials in den Antike-Erzählungen muß von daher als Selbstverständlichkeit<br />
angesehen werden.<br />
<strong>Die</strong> Existenz eines mythologischen Über- bzw. libidinösen Unterbaus im »Hetztraum«<br />
und - in zensurierter Entstellung - auch im »Längeren Gedankenspiel« überrascht<br />
dagegen. Auch wenn in Gadir noch keine durchgängige Sexualisierung der Sprache<br />
im Stil der Etym-Schreibweise praktiziert wird, so bleibt die Feststellung unerwartet<br />
genug, daß Arno Schmidt bereits in dieser frühen Erzählung den Traum wie auch das<br />
»Längere Gedankenspiel« unter Beihilfe mythologischer und psychoanalytischer<br />
Symbole als Mittel zur Selbstdemaskierung der >unbewußten< Wunschvorstellungen<br />
des Protagonisten verwendet hat, und zwar intentional, wie der betonte Einsatz der<br />
Schlüssel-Hieroglyphe beweist. Welche Schlußfolgerungen daraus zu ziehen sind,<br />
hängt nicht zuletzt davon ab, ob Vergleichbares auch auf die anderen Erzählungen<br />
des Frühwerks zutrifft. Sollte das der Fall sein, dann ist davon auszugehen, daß Arno<br />
Schmidt seit seiner ersten Freud-Lektüre die Psychoanalyse mitsamt ihrem<br />
mythologischen Bildmaterial zu literarischen Zwecken genutzt hat. Bleibt es dagegen<br />
bei diesem Einzelfall, sollte sich also kein weiterer Hinweis auf eine entsprechend<br />
geartete Methodik des allegorischen Sprechens ergeben, dann wäre Gadir oder<br />
Erkenne Dich Selbst als zunächst folgenloses Experiment anzusehen, an das erst mit<br />
Kaff auch Mare Crisium wieder angeknüpft wurde.<br />
Maximen und Reflexionen, Nr. 553, HA XII, S. 441.<br />
J. Paul an Jacobi, 29. 5. 1800. Briefe III, S. 364.<br />
Vgl. die ebenso konzise wie vernichtende Kritik Albrecht Schönes, der,<br />
ausgehend von einem exemplarischen Fall kollektiver Legasthenie, aufzeigt, wie<br />
schnell sich die hermeneutischen Spekulationen der Rezeptionsästhetik in der<br />
Interpretationspraxis als Gerede erweisen. A. S., Götterzeichen, S. 88 ff.<br />
Vgl. H. R. Jauß, Literaturgeschichte, S. 127, 133 f., 138 f. u. a.
Vgl. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 100 und S. 125, Anm. 221.<br />
P. de Man, Allegorien des Lesens, S. 105; vgl. auch S. 155 und 176 u. a.<br />
Arno Schmidt war nie so avantgardistisch, wie er selbst und die Rezensenten es<br />
mitunter glauben machen wollten, von daher ist der Abstand zwischen dem<br />
>formalistischen Neuerer< und dem >konservativen Traditionalisten< ohnehin kleiner<br />
als gemeinhin angenommen. Wie gering er tatsächlich ist, wie nah sich - positiv<br />
gesprochen - beide »Meisterdiebe« stehen, darauf hat Rudi Schweikert mit<br />
berechtigtem Nachdruck hingewiesen. Was diese »nah-entfernte Nachbarschaft«<br />
literaturwissenschaftlich so interessant macht, ist dabei weniger die frappante<br />
Ähnlichkeit der Lektürebiographien (Nietzsche, Schopenhauer, Freud, Daqué,<br />
Bachofen, Mereschkowskij u. a.) oder die Tatsache, daß Arno Schmidt seinen<br />
ruhmreichen Konkurrenten öffentlich schalt und heimlich bei ihm borgte, sondern die<br />
Gemeinsamkeit des poetischen Verfahrens, sowohl was die polyhistorische Technik,<br />
die psychoanalytische Aufbereitung mythologischer Erzählmuster als auch die<br />
humoristische Formkunst anbelangt. Vgl. R. Schweikert, Der Schleier der Maja und<br />
insbesondere Nah-enfernte Nachbarschaft, S. 170 ff.<br />
P. de Man, Allegorien des Lesens, S. 170.<br />
J. W. v. Goethe, Sprichwörtlich, Gedichte, S. 622.<br />
J. Drews, Zur 50. Lieferung, S. 3.<br />
Wer einer solchen Gelegenheitsarbeit ein »>Nemo geometriae ignarus intratoVorkriegs-<br />
Bibliothek< besaß, warum sollte er sie nicht gelesen haben, warum sollten sich nicht<br />
schon in seinen ersten Erzählungen Lektürespuren finden lassen? Wenn aber der<br />
Einfluß Freuds schon wesentlich früher wirkte, wäre daraus nicht zwangsläufig zu<br />
folgern, daß auch das Spiel mit der Bildersprache der Psychologie, dem Mythos, früher<br />
als bislang vermutet einsetzte?
Vgl. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 378.<br />
W. Proß, Arno Schmidt, S. 96.<br />
G. C. Lichtenberg, Geologische Phantasien, Schriften III, S. 113.<br />
Vgl. REZ I, S. 192; Sit, S. 359 u. a.<br />
* Keimzelle dieser Gadir-Interpretation war eine Hausarbeit, die ich im SS 1984<br />
gemeinsam mit Herrn Pol Sax geschrieben habe. Für seine Anregungen und Hilfen<br />
möchte ich mich hier ausdrücklich bedanken.<br />
G. Frenssen, Otto Babendiek, S. 1227 und 915.<br />
D. Kuhn, [Leviathan I], S. 4.<br />
<strong>Die</strong> Zahl in Klammern bezeichnet die Seitenzahl Gadirs im Reprint der<br />
Erstausgabe des Leviathan.<br />
G. Frenssen, Otto Babendiek, S. 344 und 1131.<br />
J. Huerkamp, »Gekettet an Daten & Namen«, S. 379, Anm. 24.<br />
G. Frenssen, Otto Babendiek, S. 222 und 1289.<br />
Ebd., S. 19.<br />
Ebd., S. 1291. Wie fasziniert Schmidt von diesem Motiv war, zeigt sich nicht<br />
zuletzt daran, daß er es in Caliban über Setebos in gleicher Funktion wieder<br />
verwendete, vgl. KiH, S. 298.<br />
Ebd., S. 1266.<br />
Vgl. D. Kuhn, [Leviathan I], S. 3 ff; weitere Dechiffrierungen sind zu erwarten,<br />
vgl. D. Kuhn, Mannert, S. 12 und S. 30, Anm. 42.<br />
Der Ausdruck »Philopseudes« ist doppelsinnig. Zum einen wird damit auf die<br />
Ablehnung des Pytheas seitens der nachfolgenden Geographen-Generationen<br />
angespielt: Pytheas der Erz-Lügner (Strabo I, 4, 3); zum anderen ist der Begriff ein<br />
Synonym für den Dichter schlechthin, also autobiographisch zu lesen: in seinem<br />
gleichnamigen Dialog - aus dem die Vorlage für Goethes Zauberlehrling stammt - zählt<br />
Lukian, ähnlich wie Plato, die Dichter zu den Lügenfreunden.<br />
Vgl. den entsprechenden Artikel in der RE; H. J. Mette, Pytheas von Massilia,<br />
und die - für den Bargfelder Boten erstellte - Zusammenfassung der erhaltenen<br />
Pytheas-Fragmente von H. Tätzsch.<br />
Vgl. J. Huerkamp, »Gekettet an Daten & Namen«, S. 45; D. Kuhn, [Leviathan I];<br />
H. Droege, Begegnung mit Arno Schmidt, S. 37; U. Laugwitz, Notizen, und H. Vollmer,<br />
<strong>Die</strong> Gefangenschaft des Frei-Denkers. <strong>Die</strong> Arbeit Vollmers bietet nichts Neues, was<br />
den Sachgehalt Gadirs anbelangt, aber seine Interpretation erfaßt einige der<br />
wesentlichen Motive - allerdings in einer allzu verallgemeinernden Weise, die ebenso<br />
zutreffend wie unergiebig ist, vgl. insbesondere S. 32 ff.<br />
Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Werke I, S. 251.<br />
R. Herzog, Glaucus Adest, S. 14 (eigene Paginierung).<br />
Ebd.<br />
F. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Werke I, S.<br />
249.<br />
Zum typologisch-geschichtslosen Denken Arno Schmidts vgl. H. Thomé, Natur<br />
und Geschichte, S. 121 ff.<br />
F. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Werke I, S.<br />
270.<br />
Vgl. H. Thomé, Natur und Geschichte, S. 165 ff.<br />
J. Paul, Flegeljahre. Eine Biographie, SW I/2, S. 710.<br />
F. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Werke I, S.<br />
251.<br />
Hölderlin, Hyperion, Werke I, S. 529.
F. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Werke I, S.<br />
281.<br />
Ebd., S. 284.<br />
Vgl. Novalis, Vorarbeiten 1798, Werke II, Nr. 105, S. 334.<br />
J. Huerkamp, »Gekettet an Daten & Namen«, S 45.<br />
Maximen und Reflexionen, HA XII, Nr. 545, S. 439.<br />
Vgl. J. Huerkamp, »Gekettet an Daten & Namen«, S.143.<br />
D. Kuhn, Erläuterungen, S. 3.<br />
Vgl. H. Thomé, Wissenschaft und Spekulation, S. 12.<br />
Auf diese palliative Funktion der wissenschaftlichen Exkurse hat bereits H.<br />
Thomé in seinem lesenswerten Essay über den Leviathan hingewiesen, allerdings ist<br />
seine daraus gefolgerte These, Arno Schmidt betreibe eine »Literarisierung der<br />
Wissenschaft«, insofern irreführend, als genuin Wissenschaftliches im Werk Arno<br />
Schmidts allenfalls als belangloses Rechenkunststück zur Sprache kommt; nicht nur,<br />
daß alle argumentativ präsentierten Theoreme allein schon durch die Tatsache ihrer<br />
fiktionalen Eingebundenheit literarisiert sind, sie beruhen auch nahezu allesamt auf<br />
witzig-analogischen, d. h. poetischen Denkfiguren: Wissenschaft wird im Werk Arno<br />
Schmidts nicht literarisiert, sie wird als solche, d. h. als Methodik, erst gar nicht<br />
wahrgenommen. Vgl. H. Thomé, Wissenschaft und Spekulation, S. 9 f. und 14 f.<br />
Ebd., S. 13.<br />
J. W. v. Goethe, Maximen und Reflexionen, HA XII, Nr. 546, S. 439.<br />
A. Schopenhauer, PP I, SW 5, S. 269.<br />
Vgl. A. Schopenhauer, WWV II, SW 3, S. 54 ff.<br />
Vgl. W. Proß, Von Daqué zu Freud, S. 86 ff.<br />
Vgl. J. K. Wezel, Belphegor, S.137.<br />
Ebd., S. 216 f.<br />
Dazu mit Blick auf das gesamte Frühwerk ausführlich und instruktiv H. Thomé,<br />
Natur und Geschichte, S. 47-92, insbesondere S. 58-63.<br />
Vgl. A. Schopenhauer, WWV II, SW III, S. 669 und PP I, SW 5, S. 129 u. a.<br />
De divinat., c. 2, zitiert in der Übersetzung Schopenhauers, WWV II, SW 3, S.<br />
398.<br />
H. Thomé, Natur und Geschichte, S. 29 und 35.<br />
J. Drews, Arno Schmidt vor Zettels Traum, S. 167.<br />
T. Hobbes, Leviathan, II, 17, S. 227.<br />
Vgl. H. Thomé, Natur und Geschichte, S. 30.<br />
Vgl. O. Negt, A. Kluge, Geschichte und Eigensinn, S. 1019-1027.<br />
F. Neumann, Behemoth, S. 16; zitiert nach O. Negt, A. Kluge, Geschichte und<br />
Eigensinn, S. 1024.<br />
H. Gunkel, Schöpfung und Chaos, S. 112 ff.<br />
K. May, Babel und Bibel, GW Bd. 49, S. 274 f.<br />
Vgl. L. Marcuse, Philosophie des Glücks, S. 24-41.<br />
J. W. v. Goethe, Prometheus, Gedichte, S. 163.<br />
H. Melville, Moby Dick, S. 237 und 241.<br />
Auf diese ordnungsstiftende Funktion des Leviathans hat bereits Klaus Podak<br />
aufmerksam gemacht: »Es muß uns genügen, Leviathan und seine Verwandten als<br />
große, schriftstellerische Mittel zu verstehen, die Snapshot-Splitter-Welt mit einer böslabilen<br />
Kraft zusammenzuhalten und stimmig zu bewegen.« Allerdings irrt er, wenn er<br />
glaubt, hier finde »ein Umschlag des wissenschaftlich fundierten Weltbildes in<br />
Mythologie« statt, »in - das ist wichtig - naturwissenschaftliche.« Und schon gar nicht<br />
kann die Rede davon sein, daß »Schmidt den heute möglichen Mythos« geschrieben
habe, Schmidt hat mit dem Leviathan eine volkstümliche Teufelsgestalt poetisch<br />
wiederbelebt - mehr nicht. Vgl. K. Podak, Arno Schmidt, S. 41 f.<br />
Vgl. S. Freud, <strong>Die</strong> Traumdeutung, S. 269.<br />
Vgl. K. Mannert, Geographie, Teil I, S. 280.<br />
F. de la Motte Fouqué, Dramatische Dichtungen, S. 27. Zitiert nach F. R. Max,<br />
Der »Wald der Welt«, S. 260.<br />
F. R. Max, Der »Wald der Welt«, S. 263.<br />
Vgl. ebd., S. 305 ff.<br />
Vgl. D. Kuhn, [Leviathan I], S. 10.<br />
Vgl. beispielsweise J. J. Bachofen, Das Mutterrecht, S. 361 f., wo vom<br />
Zauberschlaf des Odysseus die Rede ist, »[...] der mit der Erhebung des Morgensterns<br />
endet. Tritt hier der dem Mutterrecht und seiner Kulturstufe eigentümliche Prinzipat der<br />
Nacht deutlich hervor, so wiederholt sich in dem Schlafe und seiner Beendigung die<br />
Vorstellung von dem siegreich das Dunkel überwindenden Frühlicht, dessen<br />
Herrlichkeit Orpheus auf dem Pangaeon sehnsuchtsvoll entgegenharrt, das der<br />
heiligen Mysteriennacht ein Ende macht und dem Glauben an Aufwachen aus dem<br />
Todesschlafe zum Ausgangspunkte diente.«<br />
In das Stammbuch von Friedrich Maximilian Moors, Gedichte, S. 18.<br />
S. o. S. 9, Anm. 13.<br />
S. Freud, <strong>Die</strong> Traumdeutung, S. 284, 423 und 294. Vgl. auch SIT, S. 341 und<br />
insbesondere S. 345. Zur weiteren Verwendung der Schlüssel-Metaphorik bei Arno<br />
Schmidt vgl. E. D. Steinwender, »Schlüsseltausch«. Steinwenders Einschätzung der<br />
erzählerischen Funktion der Träume im Frühwerk ist - handlungstechnisch gesehen -<br />
auch für Gadir verbindlich: »Hier strukturieren die Träume gleichsam die ganze<br />
Geschichte, stellen also eine Art Hohlspiegel dar, in dem Handlung und Problematik<br />
des Textes wie in einer dramatischen Integrationsszene gebündelt werden.«<br />
»Kosmas«, S. 10.<br />
J. W. v. Goethe, Faust II, V. 6258 ff.<br />
Vgl. S. Freud, <strong>Die</strong> Traumdeutung, S. 172 ff., 231 und 325.<br />
Ebd., S. 294 f.<br />
D. Mereschkowskij, <strong>Die</strong> Geheimnisse des Ostens, S. 49.<br />
Vgl. S. Freud, <strong>Die</strong> Traumdeutung, S. 328.<br />
Gadir inszeniert das Ödipus-Drama in einer für die Interpretation unergiebigen<br />
Direktheit: zum einen die rebellische Aufruhr des Pytheas gegen seinen Vater, sein<br />
blinder Haß gegen alle Autoritäten, die unbezähmbare Wut auf Helios, auf Leviathan,<br />
den Vater-Drachen, zum anderen die herbeigesehnte Mütterlichkeit des Mondes, der<br />
Nacht, der Insel, des Meeres, die Rettung, Geborgenheit und Wiedergeburt verheißt.<br />
Vgl. S. Freud, <strong>Die</strong> Traumdeutung, S. 330 f.<br />
Gott, Gemüt und Welt, Gedichte, S. 612.<br />
K. May, Im Reiche des silbernen Löwen IV, FE Bd. 25, S. 328 f. und 346.<br />
F. de la Motte Fouqué, <strong>Die</strong> beiden Hauptleute, in: Romantische Erzählungen, S.<br />
132-179, S. 151.<br />
F. de la Motte Fouqué, Der Zauberring, S. 249 f. Vgl. auch Novalis, <strong>Die</strong><br />
Lehrlinge zu Saïs: »Wunderlich führte ihn der Traum durch unendliche Gemächer voll<br />
seltsamer Sachen [...]«; auch der Leitspruch des nosce te kehrt in entsprechender<br />
Dramatisierung wieder: »Einem gelang es - er hob den Schleyer der Göttin zu Saïs -<br />
Aber was sah er? Er sah - Wunder des Wunders - Sich selbst.« Werke Bd. I, S. 218<br />
und 234.<br />
Vgl. F. de la Motte Fouqué, Abfall und Buße, S. 75 und 230.<br />
F. R. Max, Der »Wald der Welt«, S. 170.<br />
J. Paul, Titan, SW I/3, S. 552; vgl. D. Kuhn, [Leviathan I], S. 10.
J. Paul, Titan, SW I/3, S. 539, 551 f. und 553.<br />
Vgl. K. Kerényi, <strong>Die</strong> Mythologie der Griechen II, S. 220-226.<br />
S. Freud, <strong>Die</strong> Traumdeutung, S. 494.<br />
Vgl. »Wu Hi?«, S. 45 f. und 221 ff.<br />
J. Paul, Vorschule 3, SW I/5, S. 35.<br />
Zwielicht, Werke I, S. 146.<br />
E. Hornung, Ägyptische Unterweltsbücher, S. 9.<br />
Vgl. E. Hornung, Das Totenbuch der Ägypter, S. 21-33.<br />
H. Kees, Totenglauben, S. 145 und 91.<br />
Vgl. S. Freud, Vorlesungen, S. 130.<br />
»Als der Gott Râ zum Greise wurde / sterbend Namen und Gestalt tauschte<br />
[...]« beginnt eines der Jugendgedichte Arno Schmidts. Ein externer Beleg dafür, daß<br />
die schon früh aus seinem Geschichtsbuch, dem »Kumsteller«, vermittelten<br />
Elementarkenntnisse ägyptischer Mythologie anregend geblieben sind; vgl. »Wu Hi?«,<br />
S. 224 und PeK, S. 378 f.<br />
E. Hornung, Das Totenbuch der Ägypter, S. 28.<br />
H. Kees, Totenglauben, S. 66.<br />
E. Hornung, Das Totenbuch der Ägypter, S. 25 f.<br />
Faust I, V. 4044 f.<br />
S. Freud, Vorlesungen, S. 79.<br />
Ebd., S. 296.<br />
Ebd.<br />
Vgl. E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, S. 98.<br />
Ebd., S. 105.<br />
Vgl. die gegenteilige Deutung von Boy Hinrichs, Utopische Prosa, S. 92 f. und<br />
98 f., die ebenso haltlos ist wie seine Definition des »Längeren Gedankenspiels«:<br />
»Das LG [...] ist eine eigenständige Struktur der Modernen Literatur, die zugleich unter<br />
dem Anspruch der Reinen Literatur steht, das Spektrum der vorhandenen Strukturen<br />
zu erweitern. Es ist also eine neu- bzw. weiterentwickelte Struktur, die nicht in<br />
Begriffen und Kategorien der traditionellen Literaturtheorie aufgeht.« (125) Abgesehen<br />
von der tautologischen Argumentationsstruktur, um eine Neuentwicklung kann es sich<br />
schon deshalb nicht handeln, weil Schmidt selbst das »LG« in den Zusammenhang<br />
einer Formtradition stellt, die keineswegs - wie von Hinrich behauptet - mit der des<br />
utopischen Romans identisch ist. Hinrichs ignoriert, daß in den Berechnungen II nicht<br />
nur die Insel Felsenburg als Vorform eines »Längeren Gedankenspiels« genannt wird,<br />
sondern auch E. T. A. Hoffmanns Prinzessin Brambilla, Cervantes' Don Quixote,<br />
Mörikes Orplid u. a., womit dem wortreichen Theoretisieren über das »LG« als eine<br />
Form der utopischen Prosa bereits im Ansatz und durch Schmidt selbst enge Grenzen<br />
gesteckt sind. Was die in den Berechnungen II angeführten Romane und Erzählungen<br />
verbindet, ist nicht die Zugehörigkeit zur Gattung >utopische Prosazwei WeltenReißverschlußprinzip< in Kaff, längst bekannt, mehr noch, mit<br />
dergleichen didaktischen Lektürehilfen, die wenig mehr leisten, als selbst dem<br />
schläfrigsten Leser die Duplizität des Geschehens zu visualisieren, ist Schmidt weit<br />
hinter der Formkunst beispielsweise eines E. T. A. Hoffmann zurückgeblieben.<br />
Vgl. S. Freud, <strong>Die</strong> Traumdeutung, S. 494.
D. Kuhn, Der Philosoph und der Dichter, S. 176 und H. Thomé, Natur und<br />
Geschichte, S. 120.<br />
H. Thomé, Wissenschaft und Spekulation, S. 26.<br />
H. Thomé, Natur und Geschichte, S. 124.<br />
A. Schopenhauer, PP II, SW 6, S. 442.<br />
A. Schopenhauer, WWV I, SW 2, S. 218.<br />
Ebd.<br />
A. Schopenhauer, WWV II, SW 3, S. 243.<br />
Grundlegend: A. Beguín, Traumwelt und Romantik.<br />
E. T. A. Hoffmann, SW IV, S. 260.<br />
E. T. A. Hoffmann, <strong>Die</strong> Serapions-Brüder, SW III, S. 54.<br />
J. Paul, Briefe und bevorstehender Lebenslauf, SW I/4, S. 980 und 973.<br />
J. G. Herder, SW XXIII (Suphan), S. 290.<br />
Zu den gesetzwidrigen Begierden gehören jene: »<strong>Die</strong> im Schlaf zu entstehen<br />
pflegen [...], wenn das übrige in der Seele, was vernünftig und mild ist und über jenes<br />
herrscht, im Schlummer liegt, das Tierische und Wilde aber, durch Speisen oder<br />
Getränke überfüllt, sich bäumt und den Schlaf abschüttelnd losbricht, um seiner Sitte<br />
zu frönen.« Plato, Politeia, SW 3, 571 C, D.<br />
J. Paul, Briefe und bevorstehender Lebenslauf, SW I/4, S. 980.<br />
Ebd.<br />
J. Paul, Leben des Quintus Fixlein, SW I/4, S. 202.<br />
J. G. Herder, Über Romane und Mährchen, SW XXIII, S. 295.<br />
J. Paul, Vorschule 72, SW I/5, S. 252 und Briefe und bevorstehender<br />
Lebenslauf, SW I/4, S. 981 f.<br />
FAZ-Magazin, Heft 321, 25. April 1986, S. 20.<br />
<strong>Die</strong> >Entschlüsselung< dieser Stelle verdanke ich Frau Sabine Eiermann vom<br />
Schallarchiv des Süddeutschen Rundfunks; alle biographischen Informationen über<br />
Joseph Schmidt stammen von einem Begleittext zu der gleichnamigen LP (Nr. 137 12<br />
- 8594 - 3 M Elec.).<br />
J. Paul, Briefe und bevorstehender Lebenslauf, SW I/4, S. 980 f.<br />
Der Rabe XII, S. 116.<br />
F. de la Motte Fouqué, Alethes von Lindenstein, S. 142.<br />
K. Kerényi, <strong>Die</strong> Mythologie der Griechen, Bd. I, S. 71 und Bd. II, S. 24 f.<br />
Ovid, Metamorphosen, II, V. 319 ff.<br />
Ebd., V. 364 f.<br />
Vgl. K. Kerényi, <strong>Die</strong> Mythologie der Griechen, Bd. I, S. 153-155.<br />
Aus ähnlichen Motiven heraus wird Waiblinger seinen Hölderlin-Roman Phaeton<br />
betitelt haben.<br />
K. Kerényi, <strong>Die</strong> Mythologie der Griechen, Bd. I, S. 48.<br />
Vgl. J. G. Schnabel, Wunderliche Fata einiger Seefahrer, Bd. II, S. 213 ff. Der<br />
Auszug in DYA, S. 73 ff. unterschlägt (ohne Kennzeichnung) alles, was sich nicht mit<br />
dem Bild des Schreckensmannes vereinbaren läßt, so u. a. das Dankgebet des<br />
Flüchtlings Johann Ferdinand Kramer, vgl. S. 76 bzw. S. 218. Über mögliche<br />
autobiographische Parallelen ließe sich angesichts der dürftigen Fakten nur<br />
spekulieren, vgl. »Wu Hi?«, S. 205.<br />
F. de la Motte Fouqué, Alethes von Lindenstein, S. 132.<br />
Nachweis D. Kuhn, [Leviathan I], S. 10; vgl. F. de la Motte Fouqué, Der<br />
Zauberring, S. 371.<br />
F. de la Motte Fouqué, <strong>Die</strong> vier Brüder, S. 492.<br />
J. Paul, Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch, SW I/3, S. 927 und 942.<br />
A. Schopenhauer, PP II, SW 6, S. 321.
270.<br />
H. Heißenbüttel, Annäherung an Arno Schmidt, S. 693.<br />
T. W. Adorno, Ästhetische Theorie, S. 21.<br />
Ebd.<br />
E. T. A. Hoffmann, Meister Floh, SW V, S. 683 f.<br />
H. Thomé, Wissenschaft und Spekulation, S. 21.<br />
E. T. A. Hoffmann, <strong>Die</strong> Serapions-Brüder, SW IV, S. 55.<br />
A. Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß, Bd. I, S. 40, Nr. 77.<br />
J. Paul, Unsichtbare Loge, SW I/1, S. 222.<br />
A. Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß, Bd. III, S. 188.<br />
Brief an Zelter vom 18. 6. 1831.<br />
F. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Werke I, S<br />
A. Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß, Bd. III, S. 502.