Ausgabe 9 - IPOS
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Veränderungsmanagement in der Kirche als Leitungsaufgabe<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
schritt diese Theologie zwar die Grenze zur neuzeitlich-aufklärerischen<br />
Kultur, jedoch schloss sie sich<br />
gegenüber den strukturellen sozialen Veränderungen<br />
praktisch und theoretisch weitgehend ab.<br />
4.1.3 Diskurs unter der Oberhoheit der Theologie<br />
Weite Teile der Theologie des zwanzigsten Jahrhunderts<br />
sind nach 1918 gekennzeichnet gewesen von<br />
einem Abbruch des Diskurses zwischen Theologie<br />
und zeitgenössischer Kultur, zwischen Theologie und<br />
Wissenschaft, zwischen Theologie und gesellschaftlichen<br />
Zusammenhängen. Die Neoorthodoxie des<br />
“senkrecht von oben” der Wort-Gottes-Theologie ließ,<br />
streng genommen, keine Diskursivität von Theologie<br />
und Philosophie, von Kirche und Gesellschaft zu.<br />
“Streng genommen” deshalb, weil das Konstruktionsprinzip<br />
der Wort-Gottes-Theologie unter<br />
Eskamotierung des Gedankens, überhaupt ein<br />
Konstruktionsprinzip zu haben, Theologie nicht mehr<br />
als ständige Grenzüberschreitung verstehen konnte.<br />
Das erneut supranaturalistisch verstandene Gegenüber<br />
Gottes erweist sich als allmächtiges und darin<br />
zugleich nur scheinbares Gegenüber des Menschen,<br />
das seine Anerkennung durch Bestätigung seiner Allmacht<br />
sucht und nicht im Überschreiten der Grenze<br />
zum jeweils radikal anderen findet 44 . Selbst noch in<br />
“Christengemeinde und Bürgergemeinde”, einer<br />
Schrift Barths, der es um die Verantwortung der Christen<br />
in einer säkularen, demokratischen Umwelt geht,<br />
ist die Verhältnisbestimmung beider “Gemeinden” nur<br />
unter der absoluten Dominanz der Christengemeinde<br />
denkbar: Sie bildet den inneren der konzentrischen<br />
Kreise, der über die Kriterien verantwortlichen, “richtigen”<br />
politischen Handelns verfügt.<br />
Freilich wurde diese Theologie in Konfrontation mit<br />
der Barbarei der faschistischen Diktatur entwickelt<br />
und in Auseinandersetzung mit der Zwei-Reiche-Lehre<br />
der neulutherischen Ordnungstheologie, die zum Begreifen,<br />
Begrenzen oder auch nur Verstehen des Faschismus<br />
und der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen,<br />
die zum Faschismus geführt hatten, keinerlei<br />
theologisches Instrumentarium besaß. Anders als<br />
die Wort-Gottes-Theologie entließ die neulutherische<br />
Ordnungstheologie die Bereiche der Politik, der Wirtschaft<br />
oder der Gesellschaft einer “Eigengesetzlichkeit”,<br />
in der theologisch-ethische Kriterien nach eige-<br />
nem Bekunden nichts zu suchen hatten. Bekanntlich<br />
führte diese Abspaltung der Sozial-, Wirtschafts- und<br />
Gesellschaftsethik bis zur zeitweisen Kumpanei mit<br />
dem NS-Regime. Die Missachtung der Relevanz gesellschaftlicher<br />
und politischer Strukturen verdeckte<br />
die Kraft des Evangeliums im Bereich des Politischen,<br />
Gesellschaftlichen und Wirtschaftlichen.<br />
4.1.4 Theologie als Wissenschaft vom Umgang<br />
mit Vielfalt und Grenzen<br />
Paul Tillich hat das “Protestantische Prinzip” als Gestaltungsprinzip<br />
des Protestantismus namhaft gemacht:<br />
Der unbedingte Gehalt kann unter den Bedingungen<br />
von Essenz und Existenz immer nur in bedingter<br />
Form erscheinen. Der prophetische Gehalt<br />
wird je neu in einer institutionellen Form gefasst,<br />
drängt aber immer eodem actu über ebendiese historische<br />
Form hinaus. Im Kairós einer “Gestalt der Gnade”<br />
entsprechen Gehalt und Form einander. Aber der<br />
prophetische Gehalt drängt immer über die jeweilige<br />
institutionelle Form hinaus und verlangt neue Formen<br />
der Institutionalisierung. Auf diese Weise kommt das<br />
“semper reformanda” der Kirche so zur Geltung, dass<br />
der unbedingte Gehalt die historisch, gesellschaftlich<br />
usw. bedingte Form immer wieder über sich hinaustreibt.<br />
Diese prozesshafte Struktur gilt für historischgesellschaftliche<br />
Konstellationen in gleicher Weise<br />
wie für die Kirche selbst. Daher handelt es sich bei<br />
einem solchen “Programm” nicht um beliebige Veränderungen<br />
gemäß der jeweils neuesten Mode, sondern<br />
um eine strikt an der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus<br />
als dem Christus orientierte Programmatik.<br />
Im Folgenden soll die notwendige Integration der<br />
Theorie der Theologie mit den Grundlagen des<br />
Veränderungshandelns in der Kirche an dem von meinem<br />
akademischen Lehrer Falk Wagner vertretenen<br />
Programm einer im Neuprotestantismus seit Schleiermacher<br />
begonnenen weiteren Entmythologisierung<br />
theologischer Gehalte ansatzweise gezeigt werden.<br />
Wagner gewinnt seine in den hier zitierten kurzen<br />
Werken vorgestellten Thesen aus einer theo-logischen<br />
Explikation der Trinitätslehre, wie er sie seit<br />
den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts<br />
in zahlreichen Anläufen vorgestellt und weiter entwikkelt<br />
hat 45 . Für seine Theorie ist einerseits kennzeichnend,<br />
dass sie sich um eine argumentativ-diskursive