27.10.2013 Aufrufe

Ausgabe 9 - IPOS

Ausgabe 9 - IPOS

Ausgabe 9 - IPOS

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

Akteure sich dieses Zusammenhangs in der Weise<br />

bewusst sind, dass sie ihn produktiv für das Austarieren<br />

der polaren Spannung von Beheimatung und Aufbruch<br />

nutzen können.<br />

Die theologiegeschichtlich jeweils unterschiedliche<br />

Beantwortung dieser Schlüsselfragen hat nebeneinander<br />

bestehende und gegeneinander agierende Strömungen<br />

in Theologie und Kirche hervorgebracht.<br />

Ohne diese strittigen Schlüsselfragen als solche wenigstens<br />

rudimentär aufzudecken, ist eine transparente<br />

Verständigung über Veränderungsnotwendigkeiten<br />

der Kirche nicht möglich. Die Kirche bedarf der<br />

Selbstaufklärung.<br />

Es ist bekannt, dass die den neben- und z.T. gegeneinander<br />

bestehenden Strömungen zugrunde liegenden<br />

Konflikte die evangelische Kirche in der BRD dauerhaft<br />

begleitet haben und begleiten. Ernst Lange sah<br />

ihre Analyse gar als “Medium kirchlicher Planung” an<br />

(Lange 1981, 285) und meint: “Die Geschichte der<br />

EKD ist reich an solchen Konflikten, die zum Teil<br />

gesamtkirchliche und gesamtgesellschaftliche Bedeutung<br />

hatten: Wiederbewaffnung, atomare Rüstung,<br />

‚moderne Theologie’, Ostdenkschrift, Kirchenreform<br />

und Demokratisierung, Anti-Rassismus-Programm”<br />

(ebd.).<br />

4.1.1 Reformation als Anschlussfähigkeit an den<br />

Grund der Kirche<br />

Die Reformation bedeutete nicht nur eine der größten<br />

Veränderungen der Form der Kirche selbst, sondern<br />

sie beinhaltet das Programm fortwährender Veränderung.<br />

Der ständige Rückbezug der Gemeinde auf den<br />

Grund des Glaubens selbst bieten Grund und Motiv<br />

einer ständigen Veränderung der Gestalt der Kirche.<br />

Historisch hat Kirche dieses Veränderungsmotiv allerdings<br />

nicht immer auf sich selbst angewandt, sondern<br />

ist einerseits immer wieder Bündnisse mit den Mächten<br />

der Beharrung eingegangen, andererseits ist sie<br />

immer wieder von Bewegungen aus ihrer Mitte über<br />

diese historischen Formen hinausgetrieben worden.<br />

Kirchliche Ordnung ist nach reformatorischem Verständnis<br />

kein Selbstzweck, sondern Mittel zum<br />

Zweck der Verkündigung des Evangeliums – ein Instrument,<br />

dessen die Verkündigung des Evangeliums<br />

unter den zweideutigen, gebrochenen Bedingungen<br />

der Geschichte bedarf. Deshalb fiel die Definition des-<br />

sen, was Kirche ausmacht, in CA VII auch so<br />

minimalistisch aus. Insofern haben wir in dem<br />

Konstruktionsprinzip der evangelischen Kirche ein<br />

durchweg “modernes” Vorbild des Organisationsprinzips<br />

“form follows function” vor Augen.<br />

4.1.2 Liberale Theologie schließt sich an bürgerlich-individualistischen<br />

Diskurs an<br />

Der liberalen Theologie im Anschluss an Schleiermacher<br />

oder Hegel war es in jeweils unterschiedlicher<br />

Weise weitgehend gelungen, die grundlegenden Gehalte<br />

der Theologie so umzuformulieren, dass sie<br />

anschlussfähig an den individualistischen Diskurs der<br />

modernen Gesellschaft wurden. Es galt, die einst<br />

supranaturalistisch und objektivistisch verstandenen<br />

Gehalte der Theologie so zu erfassen, dass sie in den<br />

Diskurs der Epoche nach der “kopernikanischen<br />

Wendung” Kants eingebracht werden konnten. Es sei<br />

in Erinnerung gerufen, dass dies zwar von Schleiermacher<br />

bis Harnack und Troeltsch in unterschiedlicher<br />

Weise mehr oder weniger gelang, “liberale” Theologie<br />

jedoch immer an den Universitäten – und noch<br />

viel stärker in den Landeskirchen – in der Minderheit<br />

blieb gegenüber einem von der Erweckungsbewegung<br />

überformten Pietismus und dem erstarkenden politisch<br />

und theologisch konservativen Neuluthertum.<br />

Weil die liberale Theologie als Kind ihrer Zeit sich<br />

jedoch als “bürgerliche” Theologie ausarbeitete, zu<br />

deren Strukturprinzip Konkurrenz, Tauschprinzip und<br />

Wettbewerbsindividualismus wurden (Ritschl, Herrmann),<br />

war sie strukturell nicht in der Lage, die vehement<br />

aufkommende soziale Frage theologisch zu<br />

verstehen und zu integrieren. Es blieb in der liberalen<br />

Theologie wie bei ihren konservativen theologischen<br />

Gegenspielern – bei allem bewundernswürdigen und<br />

aufopfernden persönlichen Engagement z.B. in den<br />

Reihen der entstehenden Inneren Mission – bei der<br />

individualistisch enggeführten Addition von Glaube<br />

und karitativem Handeln, von Dogmatik und Ethik 43 .<br />

Die strukturellen Ursachen des Pauperismus und der<br />

beginnenden Proletarisierung der ehemals bäuerlichen<br />

Massen konnte diese Theologie nicht begreifen.<br />

Daher fand sie auch keine strukturell-politische Antwort<br />

auf die Nöte der Zeit, sondern begann, die unter<br />

die Räder der industriellen und frühkapitalistischen<br />

Maschinerie Geratenen zu verbinden. Insofern über-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!